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Dem zehnjährigen Außenseiter Freddy gelingt das, wovon Millionen Jungen und Mädchen in seinem Alter träumen: Er wird Fußballnationalspieler. Der Weg bis dorthin ist steinig und führt ihn - bei all den Erfolgen - oftmals bis an die Grenzen des Erträglichen. Aber Freddy gibt nicht auf!
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für Günther H.
Thomas Welte wurde 1971 in Ravensburg geboren. Nach seinem Lehramtsstudium widmete er sich dem Schreiben. Heute lebt und arbeitet der Autor am Bodensee.
Prolog
Vier Jahre zuvor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Freddy atmete tief ein. Selbst hier, in der ansonsten sehr noblen Umkleide von Real Madrid, roch es nach verschwitzten Socken, nassen Kickschuhen und abgestandener Luft. Fehlte nur noch der typisch orangefarbene Mülleimer, der in keiner Fußballkabine der Welt fehlen durfte. Aber hier war das Ding weiß, so wie die glatten Wände und der riesengroße Marmortisch in der Mitte des Raums, auf dem bereits die isotonischen Getränke, das Obst und die Powerriegel für die Halbzeitpause standen.
Freddys Blick schweifte durch den übergroßen Raum nach oben. An der Decke prangerte majestätisch das Wappen des Vereins. Ein Kreis, darin verschnörkelt die Großbuchstaben M, F, C und darüber eine Krone. Die Königlichen, wie Real Madrid auch genannt wurde. Freddy schluckte und streichelte sich über die Härchen, die sich auf seinen Armen aufgestellt hatten. Er konnte sein Glück kaum fassen! Sein erstes Länderspiel, und dann ausgerechnet gegen Spanien, eine der besten Mannschaften der Welt!
Er zog sich sein weißes Nationaltrikot über den Kopf und berührte zärtlich mit den Fingern den Bundesadler auf der Brust. Sofort breitete sich ein wohliges Kribbeln in seinem Bauch aus. Vergleichbar wie an Weihnachten, als er sein blaues Mountainbike bekommen hatte. Nur, dass es jetzt tausendmal stärker war.
In diesem Stadion hatten schon Messi und Ronaldo gespielt, Neymar und Mbappé, und vielleicht saßen sie genau an der Stelle, an der Freddy gerade seine Fußballschuhe band. Ob sie auch so aufgeregt waren wie er?
Freddy stand auf und folgte seinen Mitspielern auf den Gang. Überall an den Wänden hingen übergroße Fotos von Spielern, die in diesem Verein schon einmal gespielt hatten. Er erkannte Iker Casillas, den legendären Torhüter und natürlich Zinedine Zidane, einer der besten Mittelfeldspieler aller Zeiten.
Spanien spielte heute ganz in Rot. Die gegnerischen Spieler warteten an der breiten Treppe, die aufs Spielfeld führte. Einige von ihnen hielten die Augen geschlossen, lehnten an der Wand oder dehnten sich. Einer schien zu beten.
Die Schiedsrichter kamen und führten beide Mannschaften, vorbei an den zahlreichen Fernsehkameras, aufs Feld. Mehrere tausend Zuschauer waren gekommen und begrüßten die Spieler, indem sie brüllten, klatschten und das Bernabéu-Stadion in ein spanisch-deutsches Fahnenmeer verwandelten. Der Lärm war ohrenbetäubend!
Die zwei Mannschaften stellten sich in einer Reihe vor der Haupttribüne auf. Freddys Augen suchten Tamara, ihren Bruder, seine Eltern und seine Geschwister. Er erkannte lediglich den spanischen König mit seiner Familie, die in der Ehrenloge saßen und freundlich winkten.
Eine Stadiondurchsage, die Freddy nicht verstand, dann wurde es plötzlich still. Nur der heiße Saharawind wehte den Spielern und Zuschauern um die Nase und schien sich seinen Platz im Stadion zu suchen. Freddy legte seine rechte Hand auf die Brust, spürte das Pochen in seinem Körper. Sie würden gleich die Nationalhymnen spielen, wie es vor Länderspielen üblich war.
Er schloss die Augen und spürte die kräftigen Arme seiner Mitspieler auf seinen Schultern. Alles Jungs, die nur ein Ziel hatten: Bundesliga-Profi zu werden! Er tat es ihnen gleich, fühlte noch intensiver die Nähe zu seiner Mannschaft und die Geschlossenheit innerhalb des Teams. Es war ein angenehmes Gefühl und der Lohn für viel Arbeit und Schweiß, aber auch für die zahlreichen Enttäuschungen in seinem vierzehnjährigen Leben.
„Einigkeit und Recht und Freiheit …“, schallte es aus den Lautsprechern. Freddys Finger gruben sich in die Schultern seiner Fußballkameraden. Er sang leise mit, aber in Gedanken war er bei Tamara, Peter und im Hof seiner Eltern, wie er den Ball immer und immer wieder zurück aufs Dach der gegenüberliegenden Scheune kickte.
Klick, klack, klack, klack.
Klack, klick, klack, klick Der leichte Kunststoffball tanzte wie ein Flummi, an Zauberfäden gezogen, auf den Falzen der moosbewachsenen Dachziegel. Hinzu kam der Wind von der Seite, der heute besonders stark blies. Freddy hatte sich darauf eingestellt und stand immer einen Meter weiter links in der Hoffnung, der Ball würde direkt vor seinen Füßen runterfallen. Aber das tat er nur in den seltensten Fällen. Vereinzelt sprang er im letzten Moment noch auf die verzinkte Regenrinne oder ein Falz gab ihm eine völlig andere Richtung. Aber genau das liebte Freddy: Die Unberechenbarkeit des Balles, der ihn zwang, mal einen Schritt nach vorne oder drei nach hinten zu machen, nach links oder rechts zu gehen, ihn mit der Brust zu stoppen oder direkt mit der Stirn wieder aufs Dach zu köpfen. Es gab kein besseres Training, seine Technik zu verbessern, als den Ball stundenlang aufs Dach zu kicken. Und das tat er; Tag für Tag, Woche für Woche, seit er den Ball von seiner Oma zu Ostern bekommen hatte.
„Freddy, Essen ist fertig!“, rief ihm seine Mutter von der Haustüre aus zu.
Freddy stoppte den herunterfallenden Ball gekonnt mit dem rechten Spann, drehte sich mit einer eleganten Körperbewegung zur Seite und jagte mit der Kugel über das hinter ihm liegende Feld bis hoch zum alten Birnbaum und wieder zurück. Dabei achtete er darauf, dass er die Kirsche, wie Papa den Ball häufig nannte, bei vollem Tempo abwechselnd links und rechts führte. Mal Innenseite, dann Außenrist, meist mit dem Spann. Durch die kurz gemähten Stoppeln des Feldes kam es immer wieder vor, dass der Ball etwas zur Seite sprang. Dann zog er die Kugel mit der Sohle zu sich heran und setzte seinen Sprint fort.
Freddy stoppte nie die Zeit, aber sein Vater, der ihn dabei schon vom Badezimmer beobachtet hatte, meinte eines Tages, ein Motorrad sei im Vergleich zu ihm ein Fahrrad mit zwei platten Reifen. Freddy freute sich sehr über das Kompliment, zumal ein Motorrad nicht gleichzeitig auch noch dribbeln konnte. Zumindest hatte er noch keines gesehen.
„Wie war es in der Schule?“, wollte Papa wissen, während er sich ein Schnitzel aus der heißen Pfanne nahm. Hanna kicherte.
„Heute ist doch Feiertag“, sagte Freddys kleine Schwester und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. Dass ihre langen, blonden Haare dabei im Teller mit der Tomatensoße hingen, schien sie nicht weiter zu stören.
„Und kein Kindergarten“, ergänzte ihr Bruder Jo und rollte mit den Augen. „Du isst wie ein Baby!“
„Selber Baby“, entgegnete ihm seine Schwester schnippisch und stopfte sich ein paar Nudeln zu viel in den Mund. „Nur, weil du älter bist und blöder, darfst du nicht … Ih, hör auf, mich zu stupsen! Mama, Jo hat mich gehauen!“
„Schluss jetzt!“, fuhr ihre Mutter dazwischen und schöpfte Hanna etwas Gurkensalat. „Papa meinte doch nur, wie es gestern in der Schule war. Jo, wie war Mathe?“
„War easy“, antworte Jo gleichgültig und trank einen Schluck Wasser. Er musste kurz aufstoßen, dann widmete er sich wieder seinem Essen.
„Und in Musik?“, wollte Papa wissen.
Freddy spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Verlegen stocherte er mit der Gabel auf dem Teller.
„Auch easy“, log er und hoffte, dass keiner weiter nachfragte. Er verspürte keine Lust, die ganze Wahrheit zu erzählen. Dass sein Lehrer ihn aufgefordert hatte, vor der Klasse vorzusingen. Wie seine Mitschüler plötzlich angefangen hatten zu lachen. Wie sich sein Lehrer das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte. „Hoffentlich kannst du besser rechnen als singen, sonst wird das nichts mehr“, gluckste Herr Klafke und schickte ihn zurück auf seinen Platz.
Freddy strich sich seine rotblonden Haare nach hinten. Die Scham, die er nach dem Vorsingen empfand, steckte noch tief in seinen Knochen. Zumal es nicht das erste Mal war, dass ihn sein Musiklehrer vor versammelter Mannschaft so gedemütigt hatte.
Er dachte an Tamara mit ihren langen, braunen Haaren, die als einzige aus der Klasse nicht gelacht, sondern verlegen aus dem Fenster gesehen hatte. Tamara war anders. Das mochte daran liegen, dass sie erst in diesem Schuljahr neu dazugekommen war. Sie redete nicht viel, stand in den Pausen meist allein bei den Fahrradständern, aß ihr Brot und schaute zu den Bergen, die sich wie grauweiße Riesen vor dem blauen Tuch des Himmels abzeichneten.
Sie war eine Außenseiterin – und er war es auch!
Vermutlich, weil ihnen Markenklamotten nicht wichtig waren oder sie als eine der wenigen in der 4. Klasse noch kein Handy besaßen und damit nicht ständig zockten. Vielleicht aber auch nur, weil sie nicht so sein wollten wie die anderen.
Tamaras glanzlose Augen versetzen ihm einen Stich in die Magengegend. Immer dann, wenn er sich unbeobachtet fühlte, schielte er heimlich zu ihr rüber. Häufig las sie in ihrem Schulbuch oder schrieb konzentriert auf ihrem iPad. Wenn sich dann doch zufällig ihre Blicke begegneten, schauten beide schnell wieder weg. Aber der Moment genügte Freddy, um zu erkennen, wie unendlich traurig Tamara in diesem Augenblick war.
Klick, klick, klack, klack Ziel des Spiels mit dem Dach war es, dass der Ball nicht den Boden berührte. Wenn der Ball in der Luft war, musste ihn Freddy auch dort annehmen, jonglieren oder direkt wieder hochspielen. Natürlich war das nicht einfach, aber inzwischen gelang es ihm ziemlich gut. Nur nicht heute. Allein in den letzten zehn Minuten sprang der Ball mehrfach auf dem asphaltierten Hofplatz neben sich auf.
Freddy stieß einen grellen Schrei aus, nahm den Ball in beide Hände und schoss ihn mit einer Wucht in die Luft, die selbst ihn erstaunte. Der Ball stieg in den Himmel und war im nächsten Moment hinter dem Hausdach verschwunden. Er würde ihn später im Garten von Frau Schwarzmann holen. Der Frust war raus, das war erst mal das Wichtigste!
Zufrieden mit sich selbst legte er sich neben die üppig gewachsenen Kletterrosen vor Omas Haus ins weiche Gras. Im Schatten war es kühl, erfrischend angenehm und Freddy spürte, wie sich sein Puls allmählich wieder normalisierte.
Er berührte mit der Hand sein Gesicht, als ob er damit die Sommersprossen zählen könne, die dort heute in der prallen Sonne neu entstanden sind. Er mochte sie nicht, hatte sie noch nie gemocht. Freddy fand, es sah aus, als sei er mit einem Pinsel und brauner Farbe angespritzt worden. „Besprenkelt“ traf es vermutlich besser. Während die Hautpigmentierungen im Winter weitgehend verschwanden, kamen sie an den ersten langen Sonnentagen mit einer Heftigkeit zurück, die ihn fassungslos und unendlich wütend stimmten.
„So ist das Leben“, sagte seine Oma und nahm ihn liebevoll in den Arm.
Mama fand die Sommersprossen süß. Sie wollte als Kind auch gern welche haben. Dann, so hatte sie ihm erklärt, hätte sie ausgesehen wie Pipi Langstrumpf, mit einem Affen auf der Schulter und Superkräften, mit denen sie sogar ein Pferd stemmen könne. Freddy wollte aber nicht so sein wie Pipi Langstrumpf. Er wollte auch kein Pferd stemmen. Er wollte einfach nur Freddy sein! Deshalb überredete er seine Mutter, mit ihm zu einem Hautarzt zu gehen. Dieser verschrieb ihm eine Paste für die Arme und das Gesicht, die er einmal am Tag auftragen sollte. „Du wirst sehen, damit sind deine Pigmentierungen im Handumdrehen verschwunden.“
Tja, die zweite Dose dieses „Wundermittels“ war inzwischen leer, die Sommersprossen aber bis heute geblieben.
Natürlich waren diese Gesichtsveränderungen auch seinen Mitschülern nicht verborgen geblieben, die ihn an guten Tagen einfach nur „Fleckie“ nannten. An die anderen Wörter wollte er erst gar nicht denken.
„Freddy!“, hörte er seine Mutter laut rufen. Er hob den Kopf:
„Ich bin hier! Bei Oma im Garten. Was gibt‘s?“
„Jo hat seine Trinkflasche vergessen. Sie haben doch heute Heimspiel. Bist du so nett und bringst sie ihm rüber auf den Sportplatz?“
Sein feiner Bruder Jonathan, den alle nur Jo nannten. Wenn sein Kopf nicht angewachsen wäre, würde er den vermutlich auch vergessen. Eigentlich hatte Freddy keine Lust, seinem ach-so-klugen Bruder die Sachen hinterherzufahren. Aber es war Samstag, das Wetter war klasse und mit dem Fahrrad war er schnell wieder zurück.
„Wenn es sein muss …“
Seine Mutter sollte nicht denken, dass er das gern machte und Jo schuldete ihm damit einen Gefallen.
Freddy stand auf, schnappte sich erst die Trinkflasche, dann das Fahrrad aus der Garage und schoss davon. Bis zum Sportplatz benötigte er keine fünfzehn Minuten.
Das Spiel seines Bruders hatte bereits begonnen. An der Seitenlinie standen ein paar Jungs aus seiner Klasse, deshalb stellte sich Freddy hinter das Tor. Hier hatte er seine Ruhe!
Jo war Verteidiger, und im erstbesten Moment würde er ihm die Flasche zuwerfen und wieder abdüsen. Aber es gab keine Unterbrechung. Stattdessen plätscherte das Spiel beider Mannschaften im Mittelfeld hin und her. Hin und her. Her und hin.
Freddy drehte sich um und spähte nach seiner Grundschule. Sie müsste eigentlich von hier aus gut zu …
„PASS AUF!“, schrie plötzlich jemand und Freddy zuckte erschrocken zusammen. Im nächsten Augenblick sah er, wie der Ball mit brachialer Geschwindigkeit auf ihn zuflog.
Statt sich zu ducken, wie es wahrscheinlich die meisten Zehnjährigen gemacht hätten, sprang er hoch, stoppte den Ball mit der Brust, bis dieser schließlich auf seinem Fuß landete. Ohne groß nachzudenken, begann er ihn abwechselnd, mal mit rechts, dann mit links, zu jonglieren.
„Hey, gib endlich den Ball zurück!“, forderte ihn eine Stimme vom Spielfeld auf. Freddy kickte den Ball hoch und jonglierte ihn jetzt mit dem Kopf. Sechs, sieben, acht, neun…
„Gib endlich den Ball her!“
Der Schiedsrichter, kaum älter als sein Bruder, war an die Torauslinie gekommen und sah ihn auffordernd an.
Freddy legte den Kopf zurück, sodass der Ball hinter seinem Rücken runterfiel. Dann zog er blitzschnell die Hacke hoch und spielte damit den Ball dem Schiedsrichter genau in die Arme.
Erst jetzt sah Freddy, dass ihn alle Spieler mit großen Augen und offenen Mündern anstarrten. Dem Schiedsrichter war die Pfeife aus dem Mund gefallen.
Freddy stellte die Trinkflasche neben das Tor, gab Jo kurz ein Zeichen und ging dann zurück zum Fahrrad. Er war schon fast auf dem Parkplatz, als ihn ein junger Mann mit blonden Bartstoppeln und grüner Trainingsjacke ansprach:
„Wie heißt du?“
„Ich? Ich, also, ich bin der Freddy und ich …“
„Wie alt bist du?“
„Zehn, aber …“
„Was machst du am Dienstag um halb sechs?“
„Weiß noch nicht. Wieso?“
„Gut, dann sehen wir uns zum Training. 17.30 Uhr, umgezogen auf dem Platz. Bis dann!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich der fremde Mann um, ging zurück zum Sportplatz und Freddy hatte das Gefühl, eben von einem Pinguin geküsst worden zu sein!
Mit den alten Fußballschuhen seines Bruders im Rucksack fuhr Freddy langsam Richtung Sportgelände. Schon vor fünf Minuten hörte er die Kirchturmuhr zweimal schlagen, war aber noch nicht einmal beim Bäcker. Das war erst die Hälfte des Weges. Sollte er die Sache nicht besser abblasen? Noch war Zeit.
Seine Eltern hatten ihn früher häufig ermutigt, ins Training zu gehen, aber Freddy hatte stets abgelehnt. Natürlich wollte er auch Fußballprofi werden, Interviews und Autogramme geben, schnelle Autos fahren, doch dafür hätte er sich dem TSV Grünstein anschließen müssen. Ein anderer Verein stand für Papa und Mama aus Zeitgründen nie zur Diskussion. Damals wie heute stellte er sich die Frage, was ihn bei den Übungseinheiten erwarten würde. Vermutlich einen Trainer, der ihn genauso wenig mochte wie sein Musiklehrer. Blöder Klafke! Ganz sicher aber einige seiner Mitschüler aus der 4. Klasse, die seit gestern auffallend oft in der Schule über ihn tuschelten. Kaum war er in ihrer Nähe, wechselten sie plötzlich das Thema oder stoben auseinander.
Andererseits war das Training heute eine Chance, den Jungs zu zeigen, wer er wirklich war. Ein Comic lesender, für sein Alter etwas zu kurz geratener, lustiger, zuverlässiger Kerl, der lieber zehn Liter abgestandenes Badewannenwasser schlucken, als eine Erbse in den Mund nehmen würde. Der sich etwas schräg auf den Toilettensitz setzte, weil er früher panische Angst hatte, ins Klo zu plumpsen. Diese Gewohnheit war ihm bis heute geblieben.
Freddy lehnte sein Rad an den Zaun, schloss es ab und ging mit Herzrasen die wenigen Stufen zum Sportplatz hoch. Kaum angekommen, kam ihm auch schon der junge Mann mit den Bartstoppeln entgegen. Seine blonden Haare waren hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Hi, ich bin Sven“, begrüßte er ihn freundlich und musterte Freddys Rucksack. „Hast du Kickschuhe dabei?“