Fremdsprachenunterricht und Linguistik-Studium: 'Wozu brauchen wir das eigentlich?' - Frank Jodl - E-Book

Fremdsprachenunterricht und Linguistik-Studium: 'Wozu brauchen wir das eigentlich?' E-Book

Frank Jodl

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Beschreibung

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache muss nicht per se den Charakter eines rein theoretischen, von der Praxis des Sprachunterrichts hermetisch getrennten Bereichs aufweisen. Veranschaulichen lässt sich diese Auffassung, indem man bei der Auseinandersetzung mit im Sprachunterricht immer wieder auftretenden Rückfragen linguistische Erkenntnisse und Theorien miteinbezieht. Konkret bedeutet dies, dass man in diesem Zusammenhang speziell den Fällen nachspüren sollte, in denen die klassischen Lehrbuchregeln und die tatsächliche Sprachpraxis – zumindest aus Sicht der Schülerinnen und Schüler – einander überhaupt nicht zu entsprechen scheinen oder tatsächlich nicht entsprechen. Genau diese Vorgehensweise ist Leitmotiv der vorliegenden Monographie: Linguistische Theorien in einer Weise anzugehen, die dazu beiträgt, den Linguistik-Studierenden tiefere Einsichten in die zu vermittelnde Materie zu ermöglichen. Zusätzlich sollen sie dadurch in die Lage versetzt werden, die Sicht von Schülerinnen und Schülern einzunehmen und scheinbare – oder auch echte – Widersprüche zwischen Theorie und Praxis im Unterrichtsgespräch aufzugreifen und zu klären. Ziel ist somit, bei den zukünftig Lehrenden Awareness für die semantisch-kommunikationstheoretischen Implikationen sprachlicher Strukturen zu schaffen. Diese Awareness kann in der Lehrpraxis eine wichtige Rolle spielen.  

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Give me an education, Emily; that has always been my heart's desire. Then, I can do all the rest.

George Harris (in Uncle Tom’s Cabin/Harriet Beecher Stowe) zu seiner Schwester Emily.

 

Deutsch ist meine Muttersprache und deshalb mir natürlich, aber das tschechische ist mir viel herzlicher [...].

Franz Kafka, Mai 1920, Briefe an Milena

 

Di tsung iz di feder fun hartsen.

Jiddisches Sprichwort

 

Inhaltsübersicht

Vorwort

1. Die Gratwanderung zwischen zwei Grundauffassungen: „Toleranz gegenüber dem Phänomen permanenter Wandel als natürliches Merkmal von Sprache“ versus „Sprachpflege als Notwendigkeit“

1.1 Vorbemerkung zur Zielgruppe der vorliegenden Arbeit

1.2 Unterschiedliche Auffassungen zum Wesen des Sprachwandels und ihre Relevanz für die Sprachdidaktik

1.3 Sprachwandel und Normenproblematik

1.4 Grammatikalische Korrektheit versus Zweck-Orientiertheit?

2. Die in der vorliegenden Arbeit vertretene didaktische Grundauffassung

3. Die Verhältnisse in der L1 begreifen – für eine Entmythologisierung bestimmter Auffassungen im Hinblick auf die deutsche Grammatik

4. Die grammatikalischen Phänomene im Einzelnen

4.1 Die Tempuswahl-Problematik

4.1.1 Vorbemerkungen zur Tempuswahl-Problematik (Vergangenheitstempora)

4.1.2 Vertiefende Betrachtungen zur Tempus-Theorie Harald Weinrichs

4.1.3.1 Problemstellung

4.1.3.2 Der kommunikationstheoretische Blick auf die verbale Kategorie Aspekt

4.1.3.3 Ein entscheidendes Beispiel gegen die Aspekt-Theorie? Zur Bedeutung des Kriteriums „Sprecherwahl“

4.1.3.4 Aspekt-Kritik und Pollaks Inzidenz-Schema: Abschluss zur Frage nach kommunikativen Vorteilen

4.1.3.5 Zur Konkurrenz der Kriterien aus Sicht der Lernenden und zur vermeintlichen Unvereinbarkeit der Tempus-Theorien

4.1.3.6 Die Frage nach dem „absoluten“ romanischen Imperfekt und die Grenzen der weinrichschen Tempus-Theorie: Eine zusätzliche KS/SH

4.1.4 Zwischenresümee zur Aspektproblematik

4.1.5 Die Verlaufsformen der Vergangenheit und das Kriterium Aspekt

4.1.5.1 Vergangenheitsverlaufsformen und Aspekt allgemein: Annäherung über das Englische

4.1.5.2 Die Verlaufsformen der Vergangenheit im Spanischen

4.1.5.3 Abschließendes Resümee zur Aspektproblematik: Das Verhältnis „Verlaufsformen (Vergangenheit) und Aspekt“

4.1.6 Vergangenheitstempora und die Sonderstellung des ENGLISCHEN gegenüber dem Deutschen und den romanischen Sprachen

4.1.7 Vergangenheitstempora und die Sonderstellung des SPANISCHEN gegenüber dem Deutschen, dem Englischen und den anderen romanischen Sprachen

4.1.7.1 Die Sonderstellung des Spanischen in der Kommunikationssituation/Sprechhaltung (KS/SH) des Discours

4.1.7.2 Die Sonderstellung des Spanischen in der KS/SH des Récit

4.1.8 Didaktische Aufbereitung und fachübergreifende Nutzbarmachung des Tempussystems des Deutschen

4.1.8.1 Das deutsche Tempus „Vollendete Gegenwart“ (VGW)

4.1.8.2 Zusatzwissen für die Fremdsprachen im Hinblick auf die Vollendete Gegenwart (VGW)

4.1.8.3 Die spezielle Situation des Englischen im Hinblick auf die Vollendete Gegenwart (VGW)

4.1.8.4 Zusammenfassende Analyse der im Englischen gegebenen Sondersituation: Die Rolle des Kriteriums „Fakten-Nennung“

4.1.8.5 Zusammenfassung zur VGW-Problematik (sprachübergreifend)

4.1.8.6 Das deutsche Tempus „Präteritum“

4.1.9 Der Faktor „Schriftlichkeit versus Mündlichkeit“ bzw. „Nähesprache versus Distanzsprache“ und die Problematik der Tempuswahl

4.1.9.1 Vorbemerkungen: Tempus im Spannungsfeld zwischen literarischer und Alltagssprache – „echtes“ Erzählen versus Erzählen „light“?

4.1.9.2 Erzählen „light“

4.1.9.3 Reiner Discours (Besprechen)

4.1.9.4 Das Problem der gemischten Kommunikationssituationen (Erzählen und Besprechen) im Bereich der Mündlichkeit

4.1.9.5 Das Problem der Einzel-Énoncés

4.1.9.6 Zusammenfassung „Schriftlichkeit versus Mündlichkeit“

4.1.10 Ist es für eine missverständnisfreie Kommunikation überhaupt wichtig, mit dem Tempussystem richtig umgehen zu können?

4.1.10.1 Verbalformen (Tempus und Aspekt) allgemein

4.1.10.2 Die Bedeutung temporaler Konjunktionen/Präpositionen/ Adverbien im Zusammenhang mit Präsens- und Vergangenheitssystem

4.1.10.3 Das deutsche Tempus „Plusquamperfekt“

4.1.11 Gesamtresümee zur Tempuswahl-Problematik (Vergangenheitstempora)

4.2 Didaktische Aufbereitung und fachübergreifende Nutzbarmachung der Irrealis-Problematik (Hypothesenbildung) am Beispiel des Deutschen

4.2.1 Wiederaufnahme des Themas aus Abschnitt 3: „Konjunktiv Irrealis“ versus „Konditional“

4.2.2 Ein weiterer Mythos: „Der deutsche Konjunktiv und der romanische Subjunktiv/Konjunktiv haben ‚nichts‘ miteinander zu tun“

4.2.2.1 Vorbemerkungen

4.2.2.2 Das Problem „Zeitenfolge und Subjunktiv/Konjunktiv“ bezogen auf die romanischen Sprachen, aufbereitet über die im Deutschen gegebenen Verhältnisse

4.2.2.3 Konjunktivsetzung und Subjektgleichheit in Haupt- und Nebensatz

4.2.3 Zwischenresümee

4.2.4 Die Anwendungsbereiche des Konjunktivs/Subjunktivs: Unterschiede zwischen dem Deutschen und den romanischen Sprachen

4.2.5 Gesamtresümee zum Thema Konjunktiv/Subjunktiv

4.3 Didaktische Aufbereitung und fachübergreifende Nutzbarmachung des Phänomens „Deklinationen“ und seine Bedeutung für die Kommunikation

4.3.1 Die deutschen Deklinationen im Wandel

4.3.1.1 Vorbemerkungen

4.3.1.2 Innovationen bezüglich der Flexion/Deklination deutscher Substantive

4.3.1.3 Bereits erfolgter Wandel bezüglich der Flexion/Deklination deutscher Substantive

4.3.2 Ein Gespür für die „Ökonomie der Sprache“ entwickeln

4.4 Didaktische Aufbereitung und fachübergreifende Nutzbarmachung des Phänomens „infinite Verbformen“ und „finite Verbformen“

4.4.1 Vorbemerkungen zur Problematik der unpersönlichen Konstruktionen

4.4.2 Zur Problematik der Infinitiv-Konstruktionen im Besonderen

4.4.3 Zur Problematik von Konstruktionen mit Partizip Präsens, substantiviertem Infinitiv und Gerundium

4.4.4 Mögliche Normverstöße bei Infinitiv-Konstruktionen

4.4.4.1 Die Infinitivkonstruktion „Substantivierter Infinitiv“

4.4.4.2 Andere Infinitiv-Konstruktionen

4.4.4.3 Resümee aus 4.4.4.1 und 4.4.4.2.

4.5 Didaktische Aufbereitung und fachübergreifende Nutzbarmachung der drei unterschiedlichen werden-Funktionen

4.5.1 werden als reines Hilfsverb: Zur Futurbildung

4.5.2 werden als reines Hilfsverb: Zur Passivbildung (Handlungspassiv)

4.5.3 werden als Kopulaverb zur Angabe einer Zustandsänderung

4.5.4 Resümee aus 4.5.1 bis 4.5.3

5. Translationswissenschaft und Sprachunterricht

5.1 Vorbemerkungen

5.2 Morphosyntax und Translationswissenschaft

5.2.1 Mit-Übersetzen im streng formalen/morphologischen Bereich: Die pseudo-defektiven Verben und ihr Potential zur Klärung sprachlicher Strukturen im Anfangsunterricht „Spanisch als Fremdsprache“ (E/LE)

5.2.2 Die übersetzungsrelevante Textanalyse nach Vázquez-Ayora (1977)

5.2.2.1 Vorbemerkungen

5.2.2.2 Mögliche Analyse-Einheiten und die Problematik der Einheit „Wort“

5.2.2.3 Zur Einheit „Wort „ alternative Analyse-Einheiten

5.2.2.4 Erste Schritte in Richtung der übersetzungsrelevanten Textanalyse: die Klassifikation der Einheiten

5.2.2.5 Die übersetzungsrelevante Textanalyse im engeren Sinne: die Segmentierung des Ausgangstexts

5.2.3 Das Auflösen englischer, französischer, spanischer und italienischer infiniter Verbformen (IVs) beim Übersetzen ins Deutsche

5.2.3.1 Vorbemerkungen

5.2.3.2 Das Auflösen infiniter Verbformen im Englischen

5.2.3.3 Das Auflösen infiniter Verbformen im Französischen

5.2.3.4 Das Auflösen infiniter Verbformen im Spanischen

5.2.3.5 Das Auflösen infiniter Verbformen im Italienischen

5.3 Die Fremdsprache verstehen: semantisch komplexe fremdsprachliche Formulierungen

5.3.1 Vorbemerkungen/Einstieg in die Problematik

5.3.2 Die Fremdsprache verstehen: in Bezug auf das Spanische

5.3.3 Die Fremdsprache verstehen: in Bezug auf das Englische

5.3.4 Die Fremdsprache verstehen: in Bezug auf das Französische

5.3.5 Die Fremdsprache verstehen: in Bezug auf das Italienische

6. Resümee: Modellhafte Exemplifizierung zum Thema „Sprachwissenschaft und Sprachunterricht“

6.1Vorbemerkungen

6.2 Erarbeitung der Ausgangssituation: Das Plusquamperfekt in der Hypothese

6.3 Surcomposé-Formen: Die Sachlage in den Fremdsprachen

6.4 Resümee

7. Bibliographie

Vorwort

Der traditionelle Aufbau eines akademischen Sprachstudiums für das Lehramt sieht für angehende Gymnasiallehrkräfte die „erfolgreiche Teilnahme“ an nicht wenigen linguistischen Lehrveranstaltungen vor. Dass die Lehramtsstudierenden den Zwang, sich mit den entsprechenden Inhalten zu befassen, eher kritisch sehen und infolgedessen die Frage aufwerfen, inwiefern speziell dieser stark theoretisch ausgerichtete Teil des Kurrikulums einen direkten Nutzen für die spätere Sprachlehrpraxis haben kann, ist inzwischen zur Binsenweisheit geworden.

So dürfte der bewusst provokant gewählte Haupttitel im Zusammenhang mit dem im Untertitel aufscheinenden Begriffspaar Linguistik-Studium und Fremdsprachenunterricht mehr oder weniger selbsterklärend sein. Ich werde in Abschnitt 1.1 auf diesen Punkt genauer eingehen.

Generell sehe ich als Zielgruppe der vorliegenden Arbeit Lehramtsstudierende (Gymnasium) der Fächer Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch und Deutsch, wobei ich im Verlauf dieses Vorworts diesbezüglich noch eine Differenzierung vornehmen werde.

Zuvor muss Folgendes zur Zielsetzung des vorliegenden Leitfadens festgehalten werden: Es sollen bestimmte, im Folgenden noch näher zu beschreibende linguistische Theorien aufgegriffen und – ausgehend von der L1 Deutsch (vgl. Jodl 2011) – sprachvergleichend in einer Weise angegangen werden, die deutlich macht, in welch großem Umfang die Beschäftigung mit linguistischen Theorien bei den zukünftig Lehrenden ein Bewusstsein für ganz praktische sprachliche Probleme schaffen und dadurch deren didaktische Sicherheit und Kompetenz erhöhen kann, vgl. auch den in Römer (2005) vertretenen Ansatz.

Wenn dabei das sprachvergleichende Element eine entscheidende Rolle spielt, so gehe ich selbstverständlich nicht davon aus, dass die Leserinnen und Leser dieses Buches außer der L1 Deutsch auch jede einzelne der genannten Fremdsprachen beherrschen.

Es wird aber realistisch sein, von folgenden Voraussetzungen auszugehen: Alle Interessierten haben im Hinblick auf die im Folgenden zu behandelnden Inhalte ausreichende Kompetenz im Deutschen und Englischen.

Wie man an der Tatsache, dass bei den von mir thematisierten Sprachen die romanischen in der Überzahl sind, erkennen kann, richtet sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich an Romanistinnen und Romanisten. Somit besteht – im Sinne von Jodl (2011) immer von der L1 Deutsch ausgehend – die Möglichkeit, sich die vorgeschlagenen Inhalte zunächst in Bezug auf eine romanische Sprache zu erarbeiten und sich dann mit dem kontrastiven Vergleich zum Englischen zu befassen. Unter „eine romanische Sprache“ wäre hier idealerweise das Spanische zu verstehen, was aber nicht zwingend ist, so dass bezüglich der Zielgruppe wie folgt differenziert werden muss:

a.) Zur Zielgruppe: Idealfall an Fächerkombinationen

Spanisch + Englisch (zusätzlich Deutschkenntnisse: L1)

Spanisch + Deutsch (zusätzlich Englischkenntnisse: Schulsprache, hohes praktisches und metasprachliches Niveau)

Dabei spielen die Ausführungen zu den Sprachen Deutsch und Englisch folgende Doppelrolle bzw. haben folgende Ziele:

das bezüglich der romanischen Sprachen (speziell des Spanischen) Gesagte durch Vergleich mit dem Deutschen und Englischen kontrastiv zu vertiefen und dadurch zu höherer Awareness im Bereich Spanisch zu gelangen (sowohl im Hinblick auf Spanisch als Sprache als auch als Studien- und Unterrichtsfach)

die theoretischen Kenntnisse zum Englischen und Deutschen und somit auch die Lehrkompetenz in den angestrebten Unterrichtsfächern Deutsch und Englisch im Hinblick auf sprachübergreifendes Lehren zu erweitern.

Der unter a.) beschriebene Idealfall bedeutet aber nicht, dass das vorliegende Buch nicht auch für Romanistik-Studierende, die andere Fächer als Spanisch (also Französisch und/oder Italienisch) studieren, von Nutzen sein könnte.

b.) Zur Zielgruppe: Weitere Fächerkombinationen

b1.) Französisch + Englisch (zusätzlich Deutschkenntnisse: L1, passive Kenntnisse in Spanisch und/oder Italienisch)

Französisch + Italienisch (zusätzlich passive Spanisch-Kenntnisse)

b2.) Italienisch + Englisch (zusätzlich Deutschkenntnisse: L1, passive Kenntnisse in Spanisch und/oder Französisch)

Selbstverständlich gilt sowohl für die unter a.) beschriebene Ideal-Zielgruppe als auch für Zielgruppe b.), dass der Nutzen, den man aus diesem Buch ziehen kann, sich für diejenigen erhöht, die statt nur eines romanistischen Fachs gleich zwei romanistische Fächer studieren (und eventuell Lese-Kompetenz in einer dritten romanischen Sprache besitzen).

Wie auch immer die individuelle Sachlage bezüglich der Kompetenzen der Nutzerinnen und Nutzer dieses Buches in Bezug auf die romanischen Sprachen sein mag – die Beispiele sind so gewählt, dass unabhängig davon, für welches romanistische Studienfach sich jemand entschieden hat, verstanden werden kann, was die jeweiligen Beispiele – z.B. zu einzelnen grammatikalischen Formen – veranschaulichen sollen. Bei schwierigen wissenschaftlichen Original-Zitaten habe ich Übersetzungen beigefügt.

Schließlich sei erwähnt, dass es weitere Unter-Typen zu Zielgruppe b.) gibt, die sich dadurch auszeichnen, dass sie keine romanischen Sprachen als Studienfächer enthalten:

b3.) Englisch + Deutsch (zusätzlich Schulkenntnisse in einer romanischen Sprache, vorzugsweise Spanisch oder Französisch)

b4.) Deutsch + (zusätzlich Schulkenntnisse in nicht-sprachliches Fach X Englisch + einer romanischen Sprache)

b5.) Englisch + (L1 Deutsch + Schulkenntnisse in nicht-sprachliches Fach X einer romanischen Sprache)

Was die Themengebiete, die ich für dieses Buch ausgewählt habe, angeht, so möchte ich, wie schon aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich ist, zwei von ihnen mit besonderer Ausführlichkeit behandeln.

Da wäre zunächst die Tempusproblematik, bei der ich mich prinzipiell auf die klassische Arbeit Weinrich (11964/62001) stütze, in Jodl (2012a+b) formulierte zusätzliche Gedanken weiter entfalte und mit neuesten Arbeiten, etwa Haßler (2016a), in Verbindung bringe. Dieser Bereich wird, wie soeben angedeutet, besonders viel Raum einnehmen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist das Verhältnis von Translationswissenschaft und Sprachunterricht. Dabei gilt es zunächst zu betonen, dass ich bei diesem Thema den Akzent auf einen kleinen Teilbereich der Translationswissenschaft legen möchte, der gar nicht deren Kernproblematik mit den (grosso modo) semiotisch-semantisch-hermeneutischen Fragestellungen betrifft (vgl. Franke 2017), sondern die morphosyntaktische Seite. In einem stark reduzierten Maße spreche ich aber auch genuin translatorische Probleme an und halte mich dabei in der Hauptsache an die Ansätze Siever (2010) und (2015), Sinner & Wieland (2013) und Sinner & Bahr (2015).

Um den auf den Buchinhalt bezogenen Teil dieses Vorworts abzuschließen, möchte ich die folgenden redaktionellen Hinweise geben: Die Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi), Band 48/2 (2018) ist dem Thema „Alltagspraktiken des Erzählens“ gewidmet. Leider habe ich die im genannten Zeitschriftenband veröffentlichten Arbeiten in meinen Kapiteln 4.1.9.1 Vorbemerkungen: Tempus im Spannungsfeld zwischen literarischer und Alltagssprache – „echtes“ Erzählen versus Erzählen „light“? und 4.1.9.2 Erzählen „light“ vor Drucklegung nicht mehr berücksichtigen können.

Wichtig ist mir außerdem, darauf hinzuweisen, dass die aus diversen Quellen (Internet-Foren, Sitcom-DVDs etc.) stammenden Sprachbeispiele nur gewählt wurden, um sprachliche Phänomene zu veranschaulichen, das heißt, dass es nicht darum gehen kann, inhaltliche Nähe zu den Urhebern des Materials herzustellen. Auch ein technischer Hinweis sei in dieser Hinsicht noch gegeben: Beim Zitieren aus Internetforen, habe ich die in den Forenbeiträgen auftretenden Tipp- und andere Schreibfehler in den meisten Fällen bewusst nicht mit „sic“ kennzeichnet, um den Lesefluss nicht zu erschweren. In Zitaten aus Internet-Foren wurden also im Normalfall die Schreibfehler ohne Kennzeichnung übernommen.

Was die Bezugnahme auf Eugenio Coseriu angeht, so sei hier allgemein angemerkt, dass es zu Originalität und Entstehungsgeschichte wichtiger Teile seines Gesamtwerks inzwischen beachtenswerte kritische Darstellungen gibt, vgl. beispielsweise die Arbeit Venier (2012, 72-78, 153s.), die bezüglich des soeben genannten Teilaspekts das Ziel hat, u.a. die Vorarbeiten Benvenuto Aronne Terracinis angemessen zu würdigen.

Zum Schluss dieses Vorworts möchte ich auch Worte des Dankes aussprechen. Allen zu danken, denen ich zu Dank verpflichtet bin, würde den vorgegebenen Rahmen bei Weitem sprengen. So kann ich (in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen) nur diejenigen nennen, denen ich mich in besonderem Maße verpflichtet fühle: Dagmar Abendroth-Timmer, Ute Bitz, Frank Blanchon, Peter Blumenthal, Stephen Charles, Béatrice Comparot, Bridget Drinka, Ludwig Eineder, Hans Goebl, Walburga Hülk-Althoff, Bob Hugman, Franz-Josef Klein, Harald Mayer, Salvatore Milana, Ingo Plag, Christopher J. Pountain, Laura Ramírez Sainz, Jürgen Schiewe, Monika Sokol, Britta Thörle, Aina Maria Torrent i Alamany-Lenzen, Sigrid Valérien, Maria M. Vogel und vor allem Ursula Wienen, die mich besonders intensiv beim Lektorat unterstützt hat. Die Verantwortung für nach wie vor vorhandene Fehler liegt selbstverständlich allein bei mir.

Auch meinen Heidelberger, Siegener und Kölner Studierenden möchte ich für anregende Diskussionen danken, die für mich von kaum schätzbarem Wert waren, ebenso dem ibidem-Verlag, der dieses Buch in die Reihe Romanische Sprachen und ihre Didaktik aufgenommen hat.

Der allerherzlichste Dank richtet sich an meine Familie, Freundinnen und Freunde, die während der Zeit der Entstehung dieses Buches in kaum akzeptablem Maße zurückstecken mussten, und mir doch alles gegeben haben.

1. Die Gratwanderung zwischen zwei Grundauffassungen: „Toleranz gegenüber dem Phänomen permanenter Wandel als natürliches Merkmal von Sprache“ versus „Sprachpflege als Notwendigkeit“

1.1 Vorbemerkung zur Zielgruppe der vorliegenden Arbeit

Wenn sich jemand entschließt, ein akademisches Sprachstudium zu absolvieren und dabei den Abschluss „Lehramt an Gymnasien“ anzustreben, so wird er – das sieht das Kurrikulum des jeweiligen Faches so vor – einen Großteil seiner Studienzeit darauf verwenden müssen, sich mit Linguistik/Sprachwissenschaft zu befassen. Innerhalb dieses ganz wesentlichen Teilbereichs spielen dann die Inhalte, die sich mit dem Phänomen des Sprachwandels befassen, eine zentrale Rolle (Sprachkontakt, Sprachvariation, Sprachwandel i.e.S. usw.).

Die Erfahrung lehrt, dass gerade diese Themen – vielleicht aufgrund ihrer sprachgeschichtlichen Ausrichtung – von den Studierenden häufig als losgelöst von der Schulpraxis betrachtet werden.

Topos ist geworden: Wozu brauchen wir das eigentlich?

Ziel der vorliegenden Arbeit ist somit, aufzuzeigen, dass gerade die Behandlung des Phänomens „permanenter Wandel als natürliches Merkmal von Sprache“ auch für die Unterrichtspraxis am Gymnasium gewinnbringend sein kann. In diesem Zusammenhang soll dargelegt werden, dass es sinnvoll ist, eben dieses linguistische Teilthema dazu zu nutzen, die Lernenden zur Sprachreflexion1 anzuregen.

Sprachreflexion wiederum ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Erzielen von Lernerfolg.2

Als Zielgruppe der vorliegenden Arbeit sind somit die Lehramtsstudierenden der romanischen Schulsprachen, aber auch der Fächer Englisch und Deutsch zu sehen: Lehramtsstudierende, die Jugendliche mit Bildungssprache3 Deutsch (im Folgenden: L1 Deutsch) in den Fächern Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch oder Deutsch unterrichten werden.

Der Aufbau der einzelnen Kapitel beruht auf folgendem Prinzip: Anhand der Beschreibung aktueller („virulenter“) sprachlicher Innovationen bzw. Normverletzungen4 wird veranschaulicht, inwiefern Innovationen einerseits zwar (im Rahmen des natürlichen Sprachwandels) Ausgangspunkt für tatsächlichen Wandel5 sind. Andererseits wird aber auch gezeigt, dass Innovationen – unabhängig davon, ob sie „sich durchsetzen“ und so ihren Status hin zu tatsächlichem Wandel ändern – zunächst verständnisbehindernd6 sein können, so dass wir uns mit Schiewe (2002, 132f.)7 fragen müssen „Wie kann man es anders sagen?“

Außer dem Kriterium „virulente Innovations- und Wandelphänomene“ kann auch die Behandlung von Grammatik-Mythen der zentrale Punkt beim Aufbau eines Kapitels sein.

1.2 Unterschiedliche Auffassungen zum Wesen des Sprachwandels und ihre Relevanz für die Sprachdidaktik

Über ihre Linguistik-Ausbildung lernen die Studierenden zunächst, dass Sprache als System auf Funktionieren8 ausgerichtet ist und Sprachwandel so verläuft, dass dieses Funktionieren, trotz des Wandels, nie gefährdet ist.

Sie lernen weiter, dass die strengen Strukturalisten davon ausgehen, dass Sprache als autonomer Mechanismus die internen Entwicklungen in einer bestimmten Weise steuert, das heißt: Sollten sprachliche Neuerungen eben das Funktionieren des Kommunikations- bzw. Zeichensystems „Sprache“ so beeinträchtigen, dass eine missverständnisfreie Kommunikation nicht mehr gewährleistet wäre, so würde sich „das System“ von selbst reparieren.9 Wenn dem so wäre, würde sich die Frage „Wie kann man es anders sagen?“ erübrigen: Puristische Sprachkritik oder sprachpflegerische Maßnahmen wären prinzipiell nicht notwendig, denn die Sprache würde, wie gesagt, selbst für Regulierung sorgen.

Allerdings lernen die Studierenden auch, dass sich gezeigt hat, wie sehr die Darstellung des Systems menschliche Sprache als autonomer Mechanismus die Erfassung des eigentlichen Wesens des Sprachwandels behindert:10 Es ist nun einmal so, dass hinter dem „System Sprache“ die Individuen und Kollektive stehen, die dieses System anwenden, also die SPRECHER. Dies gilt im Übrigen unabhängig davon, ob sich hinter den im einzelnen sehr heterogenen Sprachwandelphänomen nun ein bewusster oder ein unbewusster Prozess abspielt.11

Wenn wir nun der moderneren Sprachwandelauffassung, wie sie uns etwa in den Arbeiten Johannes Kabateks entgegentritt, folgen, so wird schnell klar, dass das Thema „Sprachwandel“ doch Relevanz im Hinblick auf Sprachdidaktik besitzt, das heißt:

Sobald die hinter dem Sprachwandel stehenden SPRECHER nicht mehr ausgeblendet, sondern deren Sprechtätigkeit12 und das damit in Verbindung stehende Phänomen „Sprecherwahl“13 bei Sprachwandel-Theorien mitberücksichtigt werden, gewinnt auch die didaktische Dimension des Phänomens Sprachwandel wieder an Bedeutung: So kann reflektiert werden, WIE die Sprecher die Sprache verändern und mit welchen Innovations- und Auswahlprozessen wir es zu tun haben. Im Rahmen von Sprachreflexion, die aus dem Sprachunterricht nicht wegzudenken ist, werden wir immer wieder zu der von Schiewe (2005, 132f.) angeregten, im Folgenden zu vertiefenden Frage „Wie kann man es anders sagen?“ gelangen.

1.3 Sprachwandel und Normenproblematik

Die bisher angerissenen Themen führen uns zu einer weiteren Dimension unseres Themas, vgl. Koch (1988, 324):

[...], die heutige Sprachnormenkritik hingegen berücksichtigt oft nicht genügend, dass – bei aller Großzügigkeit gegenüber Abweichungen von der kontingenten Normp – ein Verzicht auf die Vermittlung der essentiellen Sprachregeln der Distanz den Lernenden um ein unschätzbares erzieherisches und emanzipatorisches Gut bringen würde [...].

Was wir dieser für unser Anliegen ganz wesentlichen Passage entnehmen können, ist eine dringend notwendige Differenzierung, die darin besteht, zwar weiterhin davon auszugehen, dass die Sprachwissenschaft in allererster Linie deskriptiv und nicht präskriptiv arbeitet, aber dennoch nicht außer Acht zu lassen, dass es auch in den Arbeitsbereich des Sprachwissenschaftlers fällt, sich mit sprachlichen Normen14 und deren Entstehung zu befassen oder im Rahmen der offiziellen Sprachpolitik einer Sprechergemeinschaft bestimmte Empfehlungen abgeben zu müssen.

Wie facettenreich das daraus entstehende Dilemma ist, lässt sich gut am Phänomen „romanische Sprachen“ veranschaulichen: Dass „Sprachverfall“ zu allen Zeiten und unabhängig von den historischen Einzel-Sprachen immer wieder angeprangert und die Rückkehr zu einer wie auch immer gearteten „klassischen“ Norm gefordert wurde, ist eine Binsenweisheit, man denke nur an die Ermahnungen der Appendix Probi oder an das Anliegen der Karolingischen Renaissance.

Und dennoch: Die romanischen Sprachen wären nicht entstanden, wenn sich die Normen des Lateinischen nicht geändert hätten,15 was wiederum nur deshalb möglich war, weil Normverstöße vorkamen.

In Kochs Auffassung spiegelt sich also die ganz allgemeine Konfliktsituation, in der die Linguistik sich befindet, wider. Eine interessante Diskussion hierzu finden wir im 2002 erschienenen Sammelband „Streitfall Sprache. Sprachkritik als angewandte Linguistik?“ Dort stehen sich die beiden folgenden Positionen gegenüber:16

die Sprachwissenschaft kann nur eine beobachtende und beschreibende Rolle haben

die Sprachwissenschaft muss auch Sprachkritik betreiben bzw. Empfehlungen zum („korrekten“) Sprachgebrauch abgeben, in gewissem Sinne „präskriptiv“ sein.

Einen sehr gut nachvollziehbaren Standpunkt nimmt diesbezüglich Jürgen Schiewe ein, vgl. hierzu Schiewe (2002, 132f.):

Einen […] Punkt muss ich noch erwähnen, um einem Missverständnis vorzubeugen: Bei Sprachkritik geht es natürlich nicht darum, irgendjemandem einen bestimmten Sprachgebrauch vorzuschreiben. Sprachkritik, wie ich sie verstehe, soll nicht in dem Sinne präskriptiv sein, dass sie sagt: ‚Das ist gut und richtig, ihr sprecht falsch und ich spreche richtig, ihr müsst so und so reden‘. Vielmehr beinhaltet sie, wie gesagt, das Aufzeigen der Möglichkeit, dass man etwas auch anders sagen kann, die Möglichkeit, bestehende Normen in Frage zu stellen, sie zu reflektieren und daraufhin zu kritisieren. Eine Entscheidung darüber, was letztlich besser oder schlechter im Sprachgebrauch ist, treffen niemals die Sprachkritikerinnen und Sprachkritiker, diese Entscheidung treffen immer die Sprachbenutzer, […].

Vom Kern dieser Auffassung sollte auch in der vorliegenden Arbeit etwas zu spüren sein: Eine der Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um die verschiedenen Möglichkeiten, etwas zu versprachlichen, reflektieren zu können, ist, die „orthodoxen“, die „normgerechten“ Möglichkeiten zu kennen und diese mit dem tatsächlichen Gebrauch, dem wir täglich im Rahmen der Alltagskommunikation begegnen, zu vergleichen. Dieses Vergleichen ist eine Art von Reflexion oder von Sprachkritik, die zur Folge haben kann, dass man – als Sprachanwender/als Sprecher – einen bestimmten Gebrauch verwirft.

Wenn es also, wie im Folgenden zu sehen sein wird, immer wieder Bestrebungen gegeben hat, die deutschen Konditional-Formen (würde-Formen: Wenn ich stehen würde) gegenüber den „alten“ Konjunktiv-Irrealis-Formen (Wenn ich stünde usw.) zu stigmatisieren, so ist es angesichts des massenhaften Auftretens von würde-Formen im Alltag nur legitim, wenn man diesen Sachverhalt reflektiert, eine neue Bewertung der Normen vornimmt und sich als Sprecher für einen Sprachgebrauch entscheidet, der einem vertretbar erscheint.

Als einen besonders auffälligen und vom linguistischen Standpunkt aus gesehen in mehrfacher Hinsicht17 hoch problematischen Fall von Stigmatisierung könnte man folgende Darstellung, vgl. Mathias Schreiber (2006, 184) auffassen:

Zur Entdifferenzierung des Sprachbilds [...] gehören auch Erscheinungen wie [...] das immer beliebtere Ersetzen des Präteritums durch das vermeintlich leichtere Perfekt (statt „rief“ „hat gerufen“), ein sprachlicher Denkverlust, zu dem der Triumph des Erzählens im Hallo-hier-bin-ich-Präsens bei zahlreichen neuen Romanen nicht wenig beiträgt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass vor allem Nicht-Linguisten bei Konfrontation mit dieser Pauschal-Aussage zu der Überzeugung gelangen, es sei schlechtes Deutsch, zu sagen „ich habe gemacht“ (statt: ich machte) und „sie ist gestorben“ (statt: sie starb), dass also das Präteritum (z.B. ich machte) unbedingt gerettet werden müsse, schon allein deshalb, weil das „Perfekt“18 (z.B. ich habe gemacht) ohnehin ein sprachlicher Fehler sei. Doch was ist mit Fällen wie:

(1-3_1*) Wie ist das Spiel gelaufen? – *Super, wir gewannen!

(1-3_2*) Ich muss dir etwas Trauriges sagen: *Deine Tante starb.

(1-3_3*) Ihr solltet doch nicht mehr so viel Lärm machen, *jetzt wachte der Kleine auf!

(1-3_4*) *Was tatest du? *Du machtest das Fenster auf!

Kommt man hier wirklich ohne das „Perfekt“19 aus? Muss es nicht doch heißen:

(1-3_1a) Wie ist das Spiel gelaufen? – Super, wir haben gewonnen!

(1-3_2a) Ich muss dir etwas Trauriges sagen: Deine Tante ist gestorben.

(1-3_3a) Ihr solltet doch nicht mehr so viel Lärm machen, jetzt ist der Kleine aufgewacht!

(1-3_4a) Was hast du getan? Du hast das Fenster aufgemacht!

Tatsächlich ist es so, dass man die Regeln für die Anwendung der von Mathias Schreiber genannten deutschen Vergangenheitstempora um einiges differenzierter darstellen muss, als in seinem Artikel geschehen.

Diese vertiefte alternative Darstellung wird in der vorliegenden Arbeit in Abschnitt 4.1 präsentiert. Der darin vertretenen Grundkonzeption entsprechend wird die Aufbereitung des Themas kontrastiv erfolgen, so dass die Bewusstmachung des spezifischen Problems des Deutschen die Erfassung analoger oder abweichender Sachverhalte, die in den Fremdsprachen vorliegen können, erleichtern kann.

Zum Schluss dieses Abschnitts, in welchem der Umgang mit Sprach-Reflexion behandelt wurde, sei nochmals festgehalten, welche Kriterien ich bezüglich dieser Reflexion für wesentlich halte:

Welche Vor- und Nachteile beinhalten die variierenden sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten hinsichtlich des Ziels, missverständnisfrei zu kommunizieren?

Welches subjektive Gefühl erzeugen sie wohl beim Hörer bezüglich rein ästhetischer Kriterien, d.h.: Ist absehbar, dass eine Sprecher-Entscheidung für einen bestimmten Sprachgebrauch beim Hörer das Gefühl erzeugt, dieser Gebrauch sei gekünstelt oder veraltet?

Somit wäre Ziel der vorliegenden Arbeit, auch im Sinne Peter Kochs,20 Lernende dazu zu befähigen, ihren Sprachgebrauch so zu gestalten, dass er von den Hörern als reflektierter Sprachgebrauch wahrgenommen wird. Das „emanzipatorische Gut“, von dem Koch in Bezug auf Heranwachsende oder Lernende ganz allgemein spricht, würde so erhalten bleiben, was – wie Koch sagt – ja ganz wesentlich ist.

Wenn wir uns fragen, was unter „emanzipatorisches Gut“ zu verstehen ist, so wird die Antwort wohl, sinngemäß, lauten: Es ist damit eine Fähigkeit gemeint, die dem Individuum Akzeptanz in der Gesellschaft verschafft. Dazu gehört ein reflektierter Sprachgebrauch.

Dass ein ästhetisch vertretbarer Sprachgebrauch für gesellschaftliche Akzeptanz nach wie vor ganz wesentlich ist, zeigt die extrem negative Rezeption öffentlich auf Englisch gehaltener Politiker-Reden.21 Zusätzlich interessant ist bei diesem Beispiel, dass es hier gar nicht allein um korrekte Grammatik, sondern auch um die akzeptable Aussprache beim Ablesen eines von Fachleuten vorgefertigten Textes geht.

1.4 Grammatikalische22 Korrektheit versus Zweck-Orientiertheit?

In neuester Zeit ist in Politik und Medien die Tatsache diskutiert worden, dass die Anzahl der 1,0-Abiturabschlüsse in nie dagewesenem Umfang zugenommen hat.23 Die verantwortlichen Politiker begründen dies mit einem zu begrüßenden Anstieg der Bildung der Abiturienten, während Öffentlichkeit und Bildungsexperten wie folgt argumentieren, vgl. Bölling (2010b):

Bölling: [...] Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Noten nach Einführung des Zentralabis gestiegen. Ich glaube nicht, dass dies daran liegt, dass in all diesen Ländern die Schüler besser geworden sind.

WDR.de: Sondern?

Bölling: Die Anforderungen sinken. Mittlerweile werden in Prüfungen in modernen Sprachen schon zweisprachige Lexika zugelassen. Das gab es früher nicht. Es gibt in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Erleichterungen. Man kann das auch bei den Aufgabenstellungen in den Abiturprüfungen sehen. Es wird einfacher, gute Ergebnisse zu erzielen.24

Ähnlich äußert sich Katrin Hummel (2014):

Der bessere Notenschnitt liegt zum Teil am Zentralabitur in den Ländern; die Aufgaben sind einfacher als früher. Außerdem wurden die Ansprüche bei der Bewertung gesenkt.

Katrin Hummels Kritik fällt insofern besonders drastisch aus, als sie hervorhebt, dass nicht nur die Aufgaben leichter, sondern auch die Ansprüche bei der Bewertung gesenkt worden seien.

Wir können die einschlägige Diskussion an dieser Stelle sicherlich nicht entscheiden.

Was man aber wird festhalten können, ist, dass im modernen Fremdsprachenunterricht (FSU) das Ziel, die Lernenden zu grammatikalisch korrekter Ausdrucksfähigkeit zu befähigen, in den Hintergrund getreten ist. Dies möchte ich über einen Auszug aus einem Konzept25 zur Leistungsbewertung26 (Fach: Französisch) und die darin enthaltenen Angaben zur Gewichtung von Einzelleistungen veranschaulichen:

Wenn für die „inhaltliche Leistung“ 60 Punkte und für die „Darstellungsleistung/sprachliche Leistung“ 90 Punkte erzielt werden können, so werden von den 90 Punkten „Darstellungsleistung/sprachliche Leistung“ nur 30 für „Sprachrichtigkeit“ vergeben und von diesen 30 Punkten wiederum nur 10 für korrekte Grammatik.27

Das heißt: Im Bereich „Darstellungsleistung/sprachliche Leistung“ spielt der Teilbereich „korrekte Grammatik“ eine stark untergeordnete Rolle: 10 von 90 Punkten.

Was nun die offiziellen Vorgaben der obersten Schulbehörden (Beispiel hier: Nordrhein-Westfalen) angeht, so wird das Kriterium „grammatikalische Korrektheit“/Sprachrichtigkeit/sprachliche Richtigkeit relativ stark an das Kriterium „Beeinträchtigung der Kommunikation“ gebunden, vgl. Lehrplannavigator28 NRW (Beispiel: Fach Englisch):

Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit werden auch daraufhin beurteilt, in welchem Maße sie die Kommunikation insgesamt beeinträchtigen.

Die Integration dieses, man könnte sagen, ‚Ober-Kriteriums‘ ist einerseits leicht nachvollziehbar bzw. durchaus sinnvoll, das heißt: Wenn Lernende sich – unabhängig davon, ob schriftlich oder mündlich – wie folgt ausdrücken:

(1-3_4) *Il faut que tu fais [sic] tes devoirs tout de suite.

(1-3_5) *Les employeurs n’acceptent pas que les gens font [sic] la grève.

so wird durch den Grammatikfehler bzw. die Normverletzung das Verständnis in keinster Weise behindert, im Gegensatz zu Fällen wie dem folgenden, mit folgendem Ausgangssituation: Tante Jackie möchte abends öfter mal ausgehen, ist aber nicht bereit, zu akzeptieren, dass ihre Mutter dann auf ihr Kind aufpasst. Sie bespricht das mit ihrem Schwager Dan:

(1-3_6) Dan: „Glaubst du wirklich, deine Mutter krümmt deinem Kind auch nur ein Haar?“

Jackie: „Wer weiß? Weißt du, als wir das letzte Mal aus waren und wieder zurückgekommen sind, hättest du den Hut sehen sollen, den sie ihm aufgesetzt hat.“29

Bei (1-3_6) bewirkt der Grammatikfehler ein Verdrehen des Sachverhalts: Wann hat das Aufsetzen des Hutes stattgefunden? Während bzw. in dem Moment, als Jackie und ihr Freund von ihrer Unternehmung zurückkommen, oder schon vorher? Gemeint war hier eigentlich: „schon vorher“, das wird aber nur deutlich, wenn man statt „aufgesetzt hat“ das Tempus „aufgesetzt hatte“ verwendet.30 Somit sollte hier – vollkommen zu Recht – stärker negativ bewertet als bei (1_4) und (1_5).

Alles in allem müsste man mit der soeben beschriebenen, modernen Regelung für die Punktevergabe gut leben können.

Dieser Eindruck ist aber trügerisch, denn die über das Notenvergabe-Prinzip zu Tage tretende Relativierung des Phänomens „Grammatikfehler“ birgt ein Risiko. Dieses besteht darin, dass von der neuen Leistungsbewertungsphilosophie eine falsche Signalwirkung ausgehen könnte, obwohl sie eine sehr sinnvolle Differenzierung vorsieht. Das dazugehörige Punkte- bzw. Notenvergabe-Prinzip könnte nämlich missverstanden werden: als Symbol dafür, dass grammatikalische Korrektheit ganz allgemein nichts weiter sei als ein Luxus, vor allem dann, wenn es nicht um authentische Kommunikation, sondern „nur“ um Schulnoten geht.

Dass dem nicht so ist, haben wir schon über das Zitat aus Peter Koch (1988, vgl. oben 1.3.) gesehen: Die Beherrschung der sprachlichen Norm ist ein unverzichtbares emanzipatorisches Gut, ganz abgesehen davon, dass ein Training der Fähigkeit, sprachliche Äußerungen und Normen zu analysieren, bei den Lernenden zu klareren Formulierungen führen wird.

Sehen wir uns in dieser Hinsicht ein weiteres Beispiel an: Ich wähle hierzu das Thema „Tempuswahl/Vergangenheitstempora“, weil es den Lernenden erfahrungsgemäß besonders viele Probleme bereitet.

In diesem Fall gilt es zu beachten, dass die moderne Auffassung, grammatikalische Korrektheit sei als etwas eher Sekundäres zu sehen, bei den Lernenden den Eindruck entstehen lassen könnte, dass im Bereich der Verbalformen der Vergangenheit die Hauptinformation für die Kommunikationshandlung im Merkmal „ist vergangen“ bestehe. Die Tatsache, dass z.B. im Englischen mehrere unterschiedliche Verbalformen existieren, die Vergangenes ausdrücken, muss aus Schülersicht tatsächlich wie sprachlicher Luxus, und somit überflüssig, wirken:

You have eaten

You ate

You have been eating

You were eating

Dass es nun gerade kein Luxus ist, von diesen vier Verbalformen, die (u.a.!) das Merkmal „ist vergangen“ tragen, die „richtige“ zu wählen, zeigt folgende kleine Anekdote,31 mit der man auch im Unterricht arbeiten könnte:

Ausgangssituation/Kontext: Beim Nachhausekommen fragt der deutsche Austauschschüler seine Gastmutter: (1-3_7e) ?Have you been eating?

Es geht um die Reaktion einer englischen Gastmutter auf folgende Frage eines Austausschülers: „Have you been eating?“ Hier ist sicherlich mit der Kommunikation „etwas schief gelaufen“. Ich gehe unten in Kapitel 4.1.11.1 detailliert auf diesen Fall ein.

Dies widerspricht ganz klar der – unter Lernenden häufig anzutreffenden, von Punktevergabe-Prinzipien vielleicht noch geförderten – Auffassung, dass die „vielen“ Vergangenheitsformen32 sich doch ohnehin nur im Nuancen-Bereich unterscheiden und eine differenzierte Anwendung eine „quantité négligeable“ sei.

Im Falle von (1-3_7e) sind wir also auf Grammatik-Kenntnisse im Tempus-Aspekt-Bereich angewiesen, wenn Missverständnisse vermieden werden sollen.33 Hierauf wurde, speziell in Bezug auf das Französische, das bei diesem Thema vom Grundsätzlichen her zusätzlich für andere34 romanische Sprachen aussagekräftig ist, auch in Blumenthal (21997, 50, Hervorhebung F.J.) verwiesen:

Da der semantische Gegensatz zwischen Imperfekt [franz. Imparfait bzw. romanisches Imperfekt] und Passé simple [span. indefinido, ital. passato remoto] im deutschen Tempussystem keinen unmittelbaren Gegenwert besitzt, entsteht in der vorliegenden35 Übersetzung ein leichter Informationsverlust; [...].

Dass der von Blumenthal behandelte Informationsverlust und seine Relevanz für missverständnisfreie interlinguale Kommunikation gerade auch in sprachdidaktischer Hinsicht ein wichtiges Thema sind bzw. es sein sollten, will ich in den folgenden Abschnitten weiter vertiefen.

1 Vgl. zum damit verbundenen Konzept der language awareness Knapp (2013) bzw. auch Martin (2013, 198) oder Schädlich (2012). Zur Frage nach der Beziehung zwischen (romanischer) Sprachwissenschaft und gymnasialem Unterricht vgl. Frings (2006), Jodl (2006), Jodl (2013), Jodl (2016, eingereicht) und Reimann (2006/2014) oder Thörle (2008). Vgl. zu ähnlichen Ansätzen auch Römer (2005), Dengscherz, Businger & Karaskina. edd. (2014), García Folgado & Sinner. edd. (2015) oder Bürgel & Siepmann. edd. (2016).

2 In Anlehnung an Tanzmeister (2008a, 16, unten zitiert) und Butzkamm (2012, 87 und 90f., unten zitiert) verzichte ich hier bewusst auf die in Krashen & Terrell (1983, 59–61) beschriebene Unterscheidung zwischen „Lernen“ und „Erwerben“, also gesteuertem und „natürlichem“ (ungesteuertem) Lernen, da die beiden Vorgänge nicht klar voneinander getrennt werden können, vgl. allgemein unten Abschnitt 2.

3 Ich greife auf „Bildungssprache“ als Alternative zu den problematischen Begriffen „Muttersprache“ oder „Erstsprache“ zurück. Für einen entsprechenden Hinweis danke ich meiner Siegener Kollegin Dagmar Abendroth-Timmer. Aus Traditions-Appeal habe ich mich aber dafür entschieden, die Abkürzung L1 beizubehalten.

4 Jede sprachliche Innovation ist zunächst eine Normverletzung, vgl. Coseriu (1958/1974, 99 + 119), vgl. darauf aufbauend z.B. auch Frank-Job (2005, 171 und 181) und Koch (2005).

5 Ich folge hier der grundlegenden coseriuschen Unterscheidung „Innovation versus Wandel“: Sprachwandel ist erst dann erfolgt, wenn eine Innovation (von der gesamten Sprechergemeinschaft) ins System übernommen worden ist, vgl. Coseriu (1958/1974, 122).

6 Das heißt: Nicht jede Innovation setzt sich durch, so dass sie tatsächlichen Wandel zur Folge hätte. Aus systemlinguistischer Sicht ist es somit zwar nicht wahrscheinlich, dass verständnisbehindernde Innovationen bzw. Normverletzungen sich durchsetzen, trotzdem könnte die Sprachpflege hier ansetzen, um den Lernenden das Know-how für eindeutiges Formulieren und Kommunizieren zu vermitteln. Vgl. auch den folgenden Abschnitt 1.2.

7 Vgl. hierzu ausführlicher den vorliegenden Abschnitt, unten.

8 Vgl. allgemein Coseriu (1952) und (1958/1974, wenn nicht anders angegeben, im Folgenden nach 1974 zitiert).

9 Diese Auffassung zum Wesen von Sprache und Sprachwandel als sich selbst regulierendes System ist das Credo der strengen Strukturalisten und darf inzwischen als überholt gelten, vgl. Kabatek(2005, 158, vor allem FN 5, Kritik an Wurzel 1994, 14). Ein guter Überblick zu den entsprechenden Sprachwandel-Auffassungen, einschließlich Kritik am streng strukturalistischen Standpunkt, findet sich in Berschin & Felixberger & Goebl(2008/1978). Vgl. zur Kritik am strengen Strukturalismus auch Wiesinger (1970, 17–18) bzw. Coseriu (1975, 60–62). Vgl. hierzu auch die in Kabatek (2005) angeregte Diskussion zur von Keller (1990/2014) geprägten Auffassung, Sprachwandel sei als „Phänomen der dritten Art“ („Von der unsichtbaren Hand in der Sprache“) zu sehen. Eine Zusammenfassung zu wichtigen Sprachwandel-Theorien findet sich auch in Jodl ( 2015, angenommen).

10 Vgl. Kabatek (1996) und (2005).

11 Vgl. hierzu auch Jodl (2008a, 165–175).

12 Es sei hier nochmals auf die Wilhelm von Humboldt rezipierenden Arbeiten Coserius verwiesen, vgl. vor allem Coseriu (1958/1974).

13 Vgl. allgemein den dem Phänomen „Sprecherwahl“ gewidmeten Sammelband Stehl (2005).

14 Vgl. allgemein zur Normenproblematik zusätzlich Abendroth-Timmer u.a. (2010) bzw. Abel (2010).

15 Vgl. Frank-Job (2003) und (2005) und Koch (2005), bzw. auch Kiesler (2006) oder auch Rohlfs (1968, 23–44) bzw. allgemein Coseriu (1958/1974, 118f.)

16 Zu Objektivitätsproblemen bzw. generellen Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen Sprachwissenschaft und Sprachkritik vgl. Gardt (2002).

17 Selbstverständlich gibt es Bereiche, in denen festzustellen ist, dass das dt. Perfekt sich zu ungunsten des Präteritums ausbreitet (vgl. Blumenthal 21997, 59: „Verunsicherung von Sprechern“ oder Duden 2005, 520, §744). Dennoch ist, wie ich in Jodl (2011, 75–79, vgl. auch unten 4.1.8.1) zu zeigen versucht habe, auch der umgekehrte Vorgang feststellbar, d.h.: In nicht wenigen Fällen kommt es zu einer nicht normgerechten Ausweitung des dt. Präteritums (zu ungunsten des Perfekts!). Vgl. allgemein unten, Kap. 4.1 Es scheint also ratsam, auf Pauschalisierungen, wie Mathias Schreiber (a.a.O.) sie vornimmt, zu verzichten (vgl. auch Siever & Wehberg 2016, 28).

18 „Perfekt“ als Bezeichnung für Formen wie habe gemacht, habe gelacht, bin gegangen usw. ist, wie unten, Abschnitt 4.1.1 zu sehen sein wird, keine günstige Bezeichnung (besser sind: „Präsensperfekt“ oder „Vollendete Gegenwart“).

19 Im Folgenden werde ich in Bezug auf das Deutsche statt „Perfekt“ bewusst die Bezeichnung „Vollendete Gegenwart“ (VGW) verwenden, denn: „Die meisten der bekanntesten Sprachen haben ein Tempus dafür, daß man Vergangenes in nachholender Information mitteilt. In manchen Sprachen heißt dieses Tempus Perfekt. Das ist die ungeeignetste aller denkbaren Bezeichnungen. Wenn man nämlich Vergangenes, statt es zu erzählen, bespricht, dann ist es eben nicht ein Abgeschlossenes (per-fectum), sondern etwas, das ebenso zu meiner Welt gehört wie Gegenwärtiges oder Zukünftiges, das ich bespreche, weil ich es zu besorgen habe.“ (Weinrich 62001, 82). Für sinnvoll halte ich auch die vom Duden gewählte Bezeichnung „Präsensperfekt“, vgl. Duden (2005, 519, §742). Siehe zu diesem Tempus den gesonderten Abschnitt 4.1.8.1., unten. Vgl. zur semantischen Differenzierung dieser Tempora allgemein Eisenberg (42013b, 105f.).

20 Koch (1988, 324, oben zitiert).

21 Vgl. Volkery (2010).

22 Das Adjektiv „grammatikalisch“ verwende ich, wenn ich meine „auf die Grammatik bezogen“. Das Adjektiv „grammatisch“ verwende ich dann, wenn angezeigt werden soll, dass eine Formulierung idiomatisch gesehen wohlgeformt ist.

23 Vgl. beispielsweise die einschlägigen Online-Artikel der Tagespresse (Sommer 2014) aber auch eine Veröffentlichung der Landesregierung von NRW, aus der dieser Anstieg der 1,0-Abiturabschlüsse hervorgeht, wobei die Tatsache an sich allerdings unterschiedlich interpretiert wird: Vgl. Minkley et al. (2015), auch zu

http://www.nrw.de/landesregierung/ministerin-loehrmann-nrw-hat-abitur-mit-doppeljahrgang-erfolgreich-bewaeltigt-14793/. Vgl. auch:

http://www.sueddeutsche.de/bildung/abiturleistungen-boom-der-note--1.2001092

und http://www.wiwo.de/erfolg/campus-mba/bildung-die-inflation-des-abiturs/7652312.html [Letzter Zugriff jeweils 13.04.2018].

vgl. auch Vitzthum/Lauer (2015) und Christ (2014).

24 Vgl. auch Bölling (2010a), wo sich ein Vergleich der Abiturprüfungen der letzten 200 Jahre findet.

25 Online: http://www.rsg-gym.org/unterricht/franzosisch/ [Letzter Zugriff 13.04.2018].

26 Es geht hierbei um: Allgemeine Vorgaben aus dem Kernlehrplan (KLP) für das Fach Französisch (G8) Sekundarstufe I des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes NRW vom 21.05.2008, veranschaulicht am Beispiel des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums Dortmund, vgl. www.rsg-gym.org/wp.../Konzept-zur-Leistungsbewertung-im-Fach-Französisch.docx [Letzter Zugriff 13.04.2018], siehe auch Fußnote 25.

27Im Bundesland Berlin wird die sprachliche Korrektheit, je nach Fach, mit ca. 10% oder 15% in die Notengebung miteinbezogen, was ein relativ geringer Faktor zu sein scheint, wenn man bedenkt, dass die Prozentzahl 15 bei Fächern wie Geschichte, Philosophie, Politikwissenschaft gilt, bei den Fächern Latein und Alt-Griechisch sind es nur ca. 10%, vgl. https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/pruefungen-und.../vv_schule_03_2009.pdf [Letzter Zugriff 13.04.2018]. Vgl. zur Bewertung der Umsetzung der Anforderung „Sprachrichtigkeit“ mit 18 (dafür 6 für Grammatik) von 112 BE (Bewertungseinheiten) im Fach Deutsch http://www.ibs-verband.de/files/pdf-dateien/leistungsbewertung.pdf, [Letzter Zugriff 13.04.2018].

28 Vgl. http://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-i/gymnasium-g8/englisch-g8/kernlehrplan-englisch/leistungsbewertung/leistungsbewertung.html [Letzter Zugriff 13.04.2018].

29 Quelle: Roseanne, Staffel 7, Folge 15, vgl. auch oben Vorwort, S. 8.

30 Vgl. speziell zur Problematik der Vorzeitigkeit unten Abschnitt 4.1.10 und Kapitel 4.1.10.3.

31 Vgl. Jodl (2012b, 85). Ich danke an dieser Stelle ein weiteres Mal meinem früheren Kollegen Bob Hugman, B.A., für den interessanten Hinweis. Es gibt noch an einigen anderen Stellen der vorliegenden Arbeit Anlass, Bob Hugman zu danken: Dabei geht es um sehr wertvolle Hinweise, die ich bekommen habe. So spreche ich in dieser Fußnote im Voraus meinen herzlichsten Dank für all die anderen Beispiele, die noch kommen werden, aus. Wenn wir dann zur Besprechung weiterer Beispiele gelangen, werde ich Bob Hugman nur noch als Quelle oder Korrektiv nennen.

32 Die Formen „you have been eating“ und „you were eating“ tragen außer dem Merkmal „ist vergangen“ auch noch das aspektuelle Merkmal „Verlauf“.

33 Ähnlich verhält es sich mit dem in Jodl (2012b, 85) präsentierten Gegensatzpaar (Kontext: Ein britischer Royal schüttelt einer Untertanin die Hand, worauf die Untertanin ausruft:):

(1-3_8a) He touched my hand, he touched my hand! versus (1-3_8b) *?He has touched my hand, he has touched my hand. Wo liegt der Unterschied?

34 So werden z.B. auch in Haßler, vgl. Haßler (2016a, 276 bzw. unten, Abschnitt 4.1.1.) die romanischen Sprachen hinsichtlich vieler den Bereich Tempus-Aspekt betreffender Fragen als Entität gesehen. Detailunterschiede werden in Abschnitt 4.1 behandelt. In Anlehnung an Hilty (1965, 279) und seine Kritik an Weinrich (11964) weise ich ausdrücklich darauf hin, dass z.B., aber nicht nur, die Verhältnisse im Portugiesischen zeigen, dass bezüglich allumfassender Analogien Vorsicht geboten ist.

35 Blumenthal bezieht sich hier auf einen in Blumenthal (21997, 49) durchgeführten Vergleich zwischen einem französischen Originaltext und der dazugehörigen deutschen Übersetzung, Blumenthals Beispiel (73).

2. Die in der vorliegenden Arbeit vertretene didaktische Grundauffassung

Die Ergebnisse verschiedener Arbeiten zeigen,1 dass die über die L1 erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten – entgegen früher vertretenen Auffassungen – im FSU gewinnbringend eingesetzt werden können.2 In der vorliegenden Arbeit gehe ich davon aus, dass die L1 dazu in einer ganz bestimmten Weise aufbereitet werden sollte, woraus sich zwangsläufig ergibt, dass kognitionsorientierte Lehrmethoden wieder aufgewertet werden müssen. Dass diese Methoden prinzipiell sinnvoll sind, ist in zahlreichen Arbeiten beschrieben worden.3

Genau genommen geht es beim hier vertretenen Ansatz darum, im Methodenstreit „traditionelle/kognitionsorientierte/lehrergesteuerte versus modernste/explorativ-spielerische/freie Unterrichtsmethoden“ eine Versöhnung herbeizuführen, indem man die beiden Methoden sinnvoll kombiniert,4 vgl. zu solchen Kompromissen bzw. zur Wiederaufwertung5 traditioneller Lehrmethoden Wiater(2002, 115):

Der geregelte Aufbau von Wissen, Einstellungen und Können verlangt allerdings auch bei den lernstarken Schülerinnen und Schülern nach lehrergesteuertem Unterricht, der in der Regel lehrgangsorientiert ist. […]. Wie wichtig das lehrergesteuerte, lehrgangsorientierte Lernen ist, belegen wissenschaftliche Untersuchungen über die Sachkompetenz der Schülerinnen/Schüler. […]. Infolgedessen spricht alles dafür, den offenen Unterricht nur im Verbund mit lehrergesteuertem Unterricht und inhaltlich mit diesem abgestimmt durchzuführen. Der offene Unterricht ist notwendig, nicht aber hinreichend für eine gute und effektive Unterrichtsgestaltung! [Fettsetzung F.J.]

Diese Auffassung korreliert mit Tanzmeister(2008a, 16):

Dem natürlichen Spracherwerb entsprechend soll nun eine Fremdsprache nicht mehr überwiegend durch Erlernen grammatischer Regeln, sondern durch authentisches interaktives, kommunikatives Sprechhandeln im Gebrauch erworben werden. Doch lässt sich diese Dichotomie so nicht unbedingt aufrechterhalten, da sich Lernen und Erwerben vermischen, weil explizit gelerntes deklaratives Wissen (Wissen, dass) in unbewusstes prozedurales Wissen (Wissen, wie) übergeführt [sic] werden kann. Auch erweisen sich unmittelbare kognitive sprach- und sprachlernreflexive Phasen im Sinne der Sprachbewusstheit als sehr zielführend […].

Somit zeigt auch Tanzmeister, dass traditionelle6 Unterrichtsformen nicht von vornherein abzulehnen sind, weil auch das Wissen, das durch lehrergesteuerten Unterricht vermittelt wurde („deklaratives Wissen“), nicht immer automatisch ein totes Wissen ist, das – weil man etwas irgendwann einmal gehört hat – irgendwo im Gehirn abgelegt wurde, von wo aus es aber nicht mehr abrufbar ist. Es ist vielmehr so, dass deklaratives Wissen laut Tanzmeister prinzipiell in „prozedurales Wissen“ (also Wissen, das sofort zur praktischen Anwendung bereitsteht) umgewandelt werden kann. Dazu müssen die Inhalte aber in einer bestimmten Weise präsentiert worden sein. In der Sensibilisierung für diese Herangehensweise liegt das Anliegen des vorliegenden Buches.

Mit anderen Worten könnte man auch sagen, dass die vorliegende Arbeit – in Anlehnung an neueste Forschungsergebnisse – in der Tat das Ziel verfolgt, die traditionellen, kognitionsorientierten7 Lehrmethoden wieder aufzuwerten.8 In dieser Hinsicht ist auch eine Beobachtung, die Harald Weydt in einem Sonderbereich der Sprachlehr- und Lernforschung gemacht hat, sehr interessant. Es geht dabei um die Lernstrategien überdurchschnittlich sprachbegabter Individuen [Weydts „Interviewpartner“], vgl. Weydt (2008, 38):

Interessanterweise stellen einige Interviewpartner [...] das Studium der Grammatik völlig an den Anfang. Auf die Frage, was sie machen würden, wenn sie z.B. jetzt nach Peru gehen müssten und schnell vorher die Quechua-Sprache erlernen wollten, antworteten sie mir übereinstimmend, dass sie sich erst einmal die Grammatik der entsprechenden Sprache vornehmen und langsam und genau durchlesen würden. Ich fragte Gippert, ob er sich dabei Notizen mache; er sagte: „Nein, nur lesen.“ Dann habe er die Hauptstruktur dieser Sprache verstanden und würde zu Texten übergehen. Ähnlich äußert sich Ringmacher.

Doch was genau hat es mit der im Vorangegangenen kurz angerissenen wissenschaftlichen Kontroverse auf sich?

In allerletzter Konsequenz geht es dabei um die Frage, ob eine Fremdsprache unter weitestgehendem Verzicht auf Grammatikunterricht eher spielerisch-kommunikativ unterrichtet werden soll, oder, wie im traditionellen Fremdsprachenunterricht üblich, auch – und dies in nennenswertem Umfang – durch Grammatikunterricht. Bezüglich der zuletzt genannten Methode könnte man auch von „kognitionsorientierten“9 Methoden sprechen. Diese wenden sich an die Denk- bzw. Erkenntnisfähigkeit der Lernenden, während die zuerst genannte, neuere Methode eher das Gefühl anspricht und den Anspruch erhebt, dafür zu sorgen, dass eine Fremdsprache weitgehend ohne von außen gesteuerte Grammatikvermittlung, also ganz „natürlich“ erlernt werden kann, nämlich in der Weise, in der auch die Muttersprache erlernt wurde.10 Hierbei gilt es aber folgenden Hinweis von List (2003, 28) bzw. Butzkamm & Butzkamm (2008, 308ff.) zu beachten: Die beim Erstspracherwerb ablaufenden Mechanismen können beim Erlernen einer zusätzlichen Sprache (also nach Abschluss des Erstsprach-Erwerbs) kein weiteres Mal ablaufen.11 Daraus folgt, dass die Art und Weise, im Klassenzimmer zu lernen, von den neurologischen Voraussetzungen her gesehen also gar nicht identisch sein kann mit derjenigen, die beim Erlernen der Muttersprache gegeben ist, vgl. hierzu allgemein auch Teepe (2005), Huttenlocher & Dabholkar (1997, 177) oder Luhmann (2005). Man könnte auch sagen: Man kann die extrem günstigen äußeren Bedingungen, die beim kindlichen Erstsprach-Erwerb (tägliches „Sprachbad“ während des größten Teils der Wachzeit, 365 Tage im Jahr) gegeben sind, im Schulunterricht, wo das „Sprachbad“ nicht täglich und wenn, dann von der Stundenanzahl her gesehen nur stark eingeschränkt, stattfinden kann, nicht künstlich nachstellen.

Hinzu kommt, dass laut Butzkamm (2012, 87ff.) selbst der „natürliche“ Spracherwerb, d.h. der Erwerb der Muttersprache durch das Kleinkind, nicht ohne (eine bestimmte12 Art von) „Grammatiklernen“ auskommt, vgl. Butzkamm (2012, 87):

[Sprachen holt man sich] nicht wie einen Sonnenbrand, indem man sich ihnen nur aussetzt.

bzw. auch Butzkamm (2012, 90f.):

Durch die Art, wie Eltern zu ihnen sprechen, begreifen die Kinder nicht nur, was man jetzt von ihnen will [SINN] und wie das Gespräch jetzt weitergehen soll, sondern wo die Dinge sich im Lautstrom wiederfinden [Entschlüsselung (des Codes)]. Mit der Entschlüsselung der Botschaft geht es zugleich um die Entschlüsselung der Sprachstruktur [= Grammatik].

Das Gegensatzpaar „moderner, kommunikationsorientierter Fremdsprachenunterricht“ gegenüber „traditioneller, kognitionsorientierter Fremdsprachenunterricht“ findet seine Entsprechung im Gegensatzpaar „moderne, offene, explorationsorientierte Unterrichtsform (d.h. die Unterrichtsperson gibt möglichst wenig vor)“ gegenüber „traditionelle, lehrerorientierte, darstellende Unterrichtsform“ (d.h. die Unterrichtsperson steuert den Unterricht).

Anliegen der vorliegenden Arbeit ist also auch, vgl. Lutjeharms (2004,18):13

[…] die Muttersprache [= L1] als Lernhilfe zu benutzen anstatt zu versuchen, sie auszuschalten, was wohl nicht möglich ist.

Grammatikalische14 Inhalte sollen also in einer ganz bestimmten Weise, nämlich von der L1 ausgehend, dargestellt werden, mit dem Ziel, den Leserinnen und Lesern ein tiefergehendes Verständnis, vor allem von Zusammenhängen15 oder Unterschieden zwischen den einzelnen Schulsprachen, zu ermöglichen.

In der vorliegenden Arbeit wird somit von folgenden Lernerfolgsprämissen ausgegangen:

Neu zu vermittelnde Informationen müssen generell mit im Gehirn der Lernenden bereits vorhandenen Wissensbeständen (L1 und bereits erlernte weitere Fremdsprachen) verknüpft werden, was die neuere Hirnforschung als Voraussetzung dafür sieht, dass Wissen so im Gehirn abgespeichert wird, dass es im Bedarfsfall auch wieder abrufbar ist. Nach diesen Erkenntnissen bedeutet „Lernen“ also nicht, das Gehirn mit möglichst vielen neuen Informationen zu „füttern“. Diese müssen vielmehr so dargeboten werden, dass eine Verknüpfung16 mit bereits vorhandenen Wissensbeständen erfolgt bzw. neue neuronale Verknüpfungen entstehen17

Der Gebrauch der L1 im FSU darf nicht tabuisiert werden (vgl. Causa 2002, Lutjeharms 2004, Butzkamm 2005 + 2006, Butzkamm 2012, Butzkamm & Caldwell 2009). Vielmehr sollen über den Einsatz der L1 prinzipielle Zusammenhänge, die alle Sprachen betreffen, geklärt, und die jeweiligen Erkenntnisse dann auch wieder durch entsprechende Beispiele aus der L1 – im Sinne von a.) – zwecks Herstellung neuer neuronaler Verknüpfungen im Gehirn gefestigt werden (vgl. allgemein zu den Erfolgsaussichten dieses kognitionsorientierten Vorgehens Tanzmeister (2008a, 16): „[…] weil explizit gelerntes deklaratives Wissen (Wissen, dass) in unbewusstes prozedurales Wissen (Wissen, wie) übergeführt [sic] werden kann.“

Traditionelle und moderne Lehrmethoden sollen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern sinnvoll kombiniert werden („blended learning“, Stracke 2006). Hierbei kann auch das Prinzip „Lernen durch Lehren“, vgl. Abendroth-Timmer (2000a + b), ein wichtiges Element sein.

1 Vgl. Causa (2002), Lutjeharms (2004, 18) und Butzkamm (1973/1978), (1989/2002), (2005) und (2006) oder Butzkamm & Caldwell (2009) bzw. zusätzlich Jodl (2011).

2 Es geht hier um Butzkamms Prinzip der „Aufgeklärten Einsprachigkeit“, wonach – trotz zentraler Stellung der Zielsprache als Unterrichtssprache – die Muttersprache nicht tabuisiert werden darf, so dass über Zuhilfenahme der Muttersprache Missverständnisse vermieden werden können, vgl. Butzkamm (1973/1978) und den Unterrichtsentwurf aus Thiele (2012, v.a. 27).

3 Vgl. allgemein auch Jodl (2006), (2013) und (2014a). Ein weiteres Beispiel aus diesem Bereich wäre die Mehrprachigkeitsdidaktik, vgl. etwa Meißner (1993a + b, 1998, 2008), Nieweler (2001), Jodl (2006), Franceschini (2009), Videsott (2011), Bär (2012a + b), Schädlich (2012), Franceschini & Videsott (2014) bzw. speziell zu Textdechiffrierung und Mehrsprachigkeitsdidaktik Bürgel (2012). Vgl. Hentschel (2014) zu Übungsformen für den Fall, dass (z.B. aufgrund der Sprachtypologie) Rückgriff auf das Deutsche nicht möglich ist. Hinzu kommen die Arbeiten Wiater (2002, 115), Tanzmeister (2008a, 16), siehe Zitate vorliegendes Kapitel, und Weydt (2008, 38) oder Hattie (2009/2013), (2012a + b), Schwerdt & Wuppermann(2011a + b) und Bassola et al. (2014, 79).

4 Vgl. zum Prinzip des „Blended-Learning“ Stracke (2006), siehe auch das Folgende. Sehr nützliche Ansätze finden sich in dieser Hinsicht in Franke (2013).

5Interessanterweise hat eine solche Diskussion, die sich – auf einen Nenner gebracht – mit der zentralen Frage befasst, ob traditionelle oder moderne Unterrichtselemente höher zu bewerten seien, auch in der Geschichtswissenschaft stattgefunden, wobei auch hier die traditionellen Methoden inzwischen wieder aufgewertet worden sind, vgl. für einen ersten Überblick Jodl (2008b).

6Für die Rückkehr zu traditionellen Methoden plädieren außer Butzkamm (siehe oben) auch Hattie (2009/2013) und (2012a+b) bzw. auch Schwerdt & Wuppermann (2012a+b).

7 Als spezieller Teilbereich wäre hier die Wortschatzarbeit zu nennen, vgl. Neveling (2004 + 2010) oder Siepmann (2006).

8 Diese Aufwertung trägt wohl auch der Tatsache Rechnung, dass die entgegengesetzte Methode (im weitesten Sinne „spielerisches Lernen“) ihre Grenzen hat: Gemäß neueren Forschungsergebnissen ist es nicht möglich, die natürlichen Bedingungen, unter denen ein Kind seine Muttersprache erlernt hat, nämlich unbewusst und „spielerisch“, in einem Kurs künstlich nachzustellen, vgl. List (2003, 28). Eine Zusammenfassung zur Frage, was Lernen eigentlich bedeutet, findet sich in Funk (2014, 186–187), vgl. allgemein auch Dengscherz & Businger & Taraskina (2014).

9 Hiermit korreliert wie gesagt der Begriff der awareness, vgl. zusammenfassend Knapp (2013). Vgl. auch die positive Einschätzung zur prinzipiellen Rolle von Grammatikkenntnissen Fäcke (2002, 157) und Michler (2014, v.a. 237).

10 Die folgenden Ausführungen sind untrennbar mit der Grundsatzdiskussion „Gibt es hinsichtlich des Erstspracherwerbs eine kritische Phase, nach deren Ende kein vollständiger Erwerb der Erstsprache mehr möglich ist (Stichwort: „Wolfskinder“)“ bzw. „Wie korreliert diese Frage mit dem Zweitspracherwerb?“ verbunden. In der einschlägigen Forschung scheint man noch zu keiner allgemein akzeptierten Auffassung gelangt zu sein. Bickes/Pauli (2009, 93f.) lehnen die Critical-Period-Hypothesis in ihrer traditionellen Form ab, während Müller (2013, 66f.) die Critical-Period-Hypothesis stützt, ebenso Schwarz (2008, 153), Dittmann (2010, 69f., vor allem S. 70) und Butzkamm & Butzkamm (2008, 308–311). Aufgrund dieser Sachlage folge ich also der Critical-Period-Hypothesis.

11 So hat etwa gezeigt werden können, dass die für den sogenannten natürlichen oder spielerischen Erwerb der Muttersprache notwendigen neurologischen Voraussetzungen nur während einer bestimmten Entwicklungsphase des kindlichen Gehirns gegeben sind und zu einem späteren Zeitpunkt (ca. 9 Jahre) nicht künstlich nachgestellt werden können, vgl. allgemeinList (2003, 28). Butzkamm & Butzkamm (2008, 311) geben in einem Extremfall als Grenze den Beginn der Pubertät an, vgl. allgemein auch Pinker (1995) und (1997).

12 In diesem Fall geht es selbstverständlich nicht um theoretischen Grammatikunterricht, sondern um die Art und Weise, wie ein Kleinkind die Muttersprache „zugesprochen“ (Butzkamm 2012, 86ff.) bekommt, so dass es die Grammatik entschlüsseln kann, d.h. ihm die Struktur des Zugesprochenen bewusst wird.

13Wie schon aus den programmatischen Titeln „Eine methodische Reform ist überfällig. Die Muttersprache als Sprachmutter“ und „Quo usque tandem – Die Einsprachigkeit in der gegenwärtigen Praxis und ihre Korrektur“ hervorgeht, kann auch Butzkamm (vgl. ders. 2005 und 2006) bzw. auch Butzkamm (2012) und Butzkamm & Caldwell (2009) nachweisen, dass es kontraproduktiv ist, die L1 im Fremdsprachenunterricht komplett auszuschalten, vgl. hierzu auch Causa (2002) und den Sammelband Turnbull & Dailey-O’Cain. edd. 2009.

14 Vgl. allgemein zur gewichtigen Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht Zimmermann (1988), Mertens (2006), Stutterheim, von & Carroll (2007) oder Schröder (2010).

15 D.h. „Lernen“ kann als die Herstellung neuronaler Verknüpfungen im Gehirn gesehen werden („Konnektionismus“, vgl. z.B. Schönpflug 2003, 51 oder Tanzmeister 2008b, 260). In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass man in Anlehnung an Kim et al. (1997), vgl. Grießhaber (2010, 179), davon ausgehen kann, dass bei monolingualem Erstspracherwerb (bis ca. 6 Jahre) ein neuronales Netz erstellt wird und ein zweites, wenn die Heranwachsenden NACH dieser Altersstufe oder monolinguale Erwachsene eine Zweitsprache erlernen, wobei das zweite neuronale Netz (das der „Fremdsprache“) auf das der „Muttersprache“ zurückgreifen kann („Konnektionismus“). Die Besonderheit beim bilingualen Spracherwerb („zwei Muttersprachen“) ist darin zu sehen, dass in diesem Fall nur EIN neuronales Netz für beide Sprachen gebildet wird.

16 In diesem Zusammenhang ist selbstverständlich auf den Wert der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu verweisen, vgl. zu entsprechenden bibliographischen Hinweisen oben, Fußnote 38.

17 Vgl. Tanzmeister (2008a, 15f.), Teepe (2005), Huttenlocher & Dabholkar (1997: z.B. 177), Luhmann (2005), Schönpflug (2003, 51), Hattie (2009/2013), (2012a + b) und Schwerdt & Wuppermann (2011a + b). Bezüglich der Mehrsprachigkeitsdidaktik wäre noch ein besonderer, wiederum mit der Rolle der Muttersprache zusammenhängender Teil-Aspekt zusätzlich zu erörtern: Es geht um die praktische Frage, wie ganz konkret im Unterricht systematisch vernetzt werden kann, d.h. von welchem Ausgangspunkt aus: Die Kurrikula der Sprachlehrenden sind nicht zwangsläufig so, dass man ein in möglichst viele oder gar alle Richtungen vernetztes Lehren voraussetzen könnte: Wenn jemand eine Fremdsprache lehrt und, nehmen wir als konkreten Fall, Englisch und Geschichte studiert hat, jedoch weder über Kenntnisse in Französisch, noch in Spanisch noch Italienisch oder Portugiesisch verfügt, was kein unrealistisches Szenario ist, dann kann er maximal von seiner Muttersprache Deutsch ausgehend, eventuell das Englische einbeziehend, sprachübergreifend unterrichten. Das heißt, es hängt sehr individuell von der Lehrkraft ab, wie sie in speziell ihrem Fach Synergien nutzbar macht. Eben bei diesem Kriterium, individuelle Abhängigkeit, stellt sich die Frage nach Systematisierung. Dieses Problem wird in Jodl (2011) aufgeworfen und diskutiert, vgl. auch Nieweler (2001) oder Leitzke-Ungerer (2005).

3. Die Verhältnisse in der L1 begreifen – für eine Entmythologisierung bestimmter Auffassungen im Hinblick auf die deutsche Grammatik

Die Rolle der L11 im FSU muss bekanntlich als zweigeteilt gesehen werden: Einerseits ist die L1 häufig Quelle für Interferenzen,2 die sich – wie unten noch ausführlich dargestellt wird – als großes Hindernis beim Erlernen von Fremdsprachen erweisen können. Andererseits können Kenntnisse und Fertigkeiten aus der L1, bei entsprechender didaktischer Aufbereitung, das Verinnerlichen fremder Strukturen aus den zu erlernenden Zweit- und Drittsprachen3 erleichtern. Dabei können sowohl vollkommene, also offensichtliche, als auch Teil- und Null-Analogien eine Rolle spielen. In jedem der drei Fälle ist es notwendig, die Verhältnisse hinsichtlich der L1 Deutsch klar und systematisch darzustellen, so dass den Lernenden die zwischen den Strukturen herrschenden Beziehungen bewusst4 werden.

An diesem Punkt gibt es leider einige Defizite zu beklagen: Obwohl wir uns, was die Pflege der L1 Deutsch angeht, ganz allgemein gesehen in einer bewegten Zeit befinden – man denke nur an den unglaublichen Erfolg von Sprach- und Kommunikationsratgebern wie z.B. Bastian Sicks „Zwiebelfisch“5 – ist es sehr schwierig, sich zu bestimmten Gebieten der Grammatik des Deutschen ein klares Bild zu verschaffen. Das mag zu einem nicht unbedeutenden Teil auch daran liegen, dass in diesem Bereich sehr viele Halbwahrheiten6 oder Falsch-Informationen kursieren, denen auch mit Hilfe oder vielleicht gerade wegen der öffentlichen Sprachpflege-Diskussionen nicht beizukommen ist.7 In diesem Zusammenhang, bei dem es um die wissenschaftlich mehr oder weniger begründete Weitervermittlung von sprachlichen „Fakten“ oder puristischen Zurechtweisungen geht, sei zu Beginn dieses Abschnitts ein eher anekdotisches Beispiel dafür gegeben, zu welch bedenklichen „fachlichen“ Aussagen über die Grammatik der deutschen Sprache es kommen kann: Es geht darum, dass im muttersprachlichen Deutschunterricht immer noch zu hören ist, das Deutsche sei „eine würde-lose Sprache“:8 Man will die Lernenden durch dieses Wortspiel dafür sensibilisieren, im Rahmen ihres eigenen Sprachgebrauchs die echten Konjunktiv-Irrealis-Formen9 (also „ich führe“; „ich hülfe“; „ich stünde“ usw.) zu verwenden, statt der (übrigens schon längst etablierten) Ersatzform (Konditional) „ich würde fahren“ (oder „ich würde helfen“; „ich würde stehen“ usw.). Die Botschaft ist, mit anderen Worten: „Gut ist dein Deutsch dann, wenn du würde-Formen komplett weglässt.“ Eine Warnung, dass die Lernenden durch Berücksichtung dieser einfach so in den Raum gestellten Pauschalregel auch zu so zweifelhaften Sätzen wie

(3_1) Wenn du mich jetzt mit dem Auto zum Bahnhof führest, hülfe mir das wirklich sehr.

gelangen könnten und die ‚würde‘-Formen somit doch nicht komplett zu verdammen sein können, wurde nicht ausgesprochen, es fehlte also an Differenzierung.

Ein weiterer Fall, in denen man die ‚würde‘-Formen braucht, kommt hinzu: das „Futur in der Vergangenheit“10. Das heißt: Auch wenn generell gilt, dass im Deutschen mit der Zeitenfolge (Consecutio temporum) anders11 umzugehen bzw. eine solche nicht in der Form vorhanden ist wie in den hier behandelten Fremdsprachen, so tritt sie doch gerade im Falle des Futurs in der Vergangenheit recht häufig auf:

(3_2) Damals sagte sie, sie würde das in der folgenden Woche erledigen.

Dass die Konditional-, also die ‚würde‘-Formen, ja nicht nur einen (bei Puristen anscheinend unwillkommenen) Konjunktiv-Irrealis-Ersatz darstellen, sondern auch die Funktion des „Futurs in der Vergangenheit“ erfüllen können, wird bei der beschriebenen Pauschalkritik ebenfalls nicht thematisiert.

Dabei ist zumindest dies ein Bereich, in dem eben die würde-Formen ihre eindeutige Berechtigung haben, denn zu welchem Ergebnis würden wir gelangen, wenn wir auch hier die Grundregel „Deutsch ist eine würde-lose Sprache“ anwenden und somit die Form „würde erledigen“ durch einen echten Konjunktiv Irrealis (der beim Verb „erledigen“ zufällig gleich aussieht wie das Präteritum des Indikativs) ersetzen würden? Das wäre dann der zwar korrekte, aber etwas weniger transparente Satz:

(3_3) Damals sagte sie, sie erledigte das in der folgenden Woche.

Was man abschließend zu diesem Problem wird sagen dürfen, ist, dass es also Zeiten gab, in denen es einfach schick gewesen zu sein scheint, zur Rettung des Konjunktivs Irrealis die ‚würde‘-Formen pauschal abzulehnen. Im Folgenden werden wir sehen, dass auch heute noch in dieser oder ähnlicher Form mit Informationen über die Grammatik des Deutschen umgegangen wird.

1 Vgl. zu diesem Themenkomplex grundlegend die Arbeiten von Butzkamm.

2 Ich wähle hier bewusst die traditionelle, negativ konnotierte Bezeichnung „Interferenzen“ (statt „Transferenzen“), weil es im Folgenden um zu reflektierenden Sprachgebrauch gehen wird.

3 Vgl. hierzu Butzkamm (2005), (2006), (2012) bzw. auch Lutjeharms (2004, 18) und Jodl (2011).

4 Vgl. hierzu wie gesagt die Arbeiten Butzkamm und speziell zum Begriff der awareness jetzt Knapp (2013) bzw. allgemein auch Jodl (2013).

5 Vor allem aus soziolinguistischen Gründen ist das Phänomen „Zwiebelfisch“ eher kritisch zu sehen, vgl. Maitz & Elspaß (2007).

6 Man denke nur an das oben zitierte Beispiel zum deutschen Perfekt.

7 Vgl. Hoberg (2002, 29–33), der diese Situation sehr treffend beschreibt.

8 Vgl. etwa Kommentar Nr. 17, vom 23.02.2009: „Konjunktiv! Mein Deutschlehrer sagte immer „Das Deutsche ist eine würde-lose Sprache“ im Diskussionsforum http://dict.leo.org/forum/viewGeneraldiscussion.php?idThread=650198&idForum=4&lang=de&lp=ende [Letzter Zugriff: 13.04.2018]. Nicht nachvollziehbar sind die Angaben in folgendem ZEIT-Artikel: http://www.zeit.de/1959/39/wuerdeloses-deutsch/seite-3 [Letzter Zugriff: 13.04.2018]. Vgl. auch: „Geändert von Zsuzsa (12.04.2011 um 11:39 Uhr) Grund: Das Deutsche ist eine würde-lose Sprache – Konjunktiv verwendet.“ unter: http://forum.glamour.de/threads/60038-Forums-Babys-XV-Das-ganze-Leben-ist-ein-Schub!/page359 [Letzter Zugriff: 13.04.2018] und: by tiger-kuh-katze vor 8 Jahren (18.04.2006) „das deutsche ist eine würde-lose sprache“ unter: http://www.bookcrossing.com/forum/14/239142/7665136 [Letzter Zugriff: 13.04.2018].

9 Vgl. Gallmann & Lotze(2009) zur Benennungsproblematik: Häufig wird diese Form auch als „Konjunktiv Präteritum“ bezeichnet, was sprachgeschichtlich wohl gerechtfertigt scheint, jedoch wohl kaum aus aktueller Sicht (hierzu mehr unten, Abschnitt 4.2.). Ich habe mich daher für die Bezeichnung „Konjunktiv Irrealis“ entschieden, vgl. zur entsprechenden terminologischen Differenzierung auch Eisenberg (42013b, 109).

10 Vgl. Duden (2005, 545, §782 + 529–531, §763) und Eisenberg (42013b, 116)

11 Vgl. Duden (2005, 521f., § 747).

4. Die grammatikalischen Phänomene im Einzelnen

4.1 Die Tempuswahl-Problematik

Das Erlernen der normgerechten Anwendung der Verbalformen des Vergangenheitssystems1 bereitet erfahrungsgemäß in allen Fremdsprachen große Schwierigkeiten.2 Das didaktische Element dieser Problematik korreliert mit der in Teilen als äußerst kontrovers einzustufenden linguistischen Theoriebildung, oder anders ausgedrückt: Diese Kontroversen (vgl. Jodl 2006, 2012a+b, Jansen 2013) haben mit dazu beigetragen, dass die didaktische Aufarbeitung des Themas in den Lehrbüchern widersprüchlich oder undurchsichtig wirkt, vgl. Jodl (2012a+b).

Ich will die Situation, das heißt die Verflechtungen von linguistischen und didaktischen Problemen, in den folgenden Abschnitten nachzeichnen. Als roten Faden wähle ich hier ganz bewusst die Tempus-Theorie Harald Weinrichs (11964/62001), vgl. Jodl (2012a+b).

Bevor ich zur genaueren Beschreibung der Vorteile, die die weinrichsche Darstellung aus fachdidaktischer Sicht haben kann, übergehe, möchte ich – ebenfalls ausgehend von der Theorie Weinrichs – als Hinführung zur Vertiefung des Themas die Ausgangslage näher beleuchten.

4.1.1 Vorbemerkungen zur Tempuswahl-Problematik (Vergangenheitstempora)

Die Gründe, die mich dazu veranlasst haben, die weinrichsche Tempus-Theorie als Orientierungspunkt für die in der vorliegenden Arbeit vertretene Argumentation zu wählen, können wie folgt dargestellt werden:

1.) Trotz ihrer Defizite, die von der Fachwelt mehrfach und auch aus nachvollziehbaren Gründen moniert wurden,3 stellt die Theorie Weinrichs eine in weiten Teilen überzeugende Alternative zu der aus guten Gründen (siehe unten 4.1.3) ebenfalls umstrittenen4 aspektbasierten, klassischen Tempus-Theorie dar. Diese Sachlage sei hier kurz (zur späteren Vertiefung) anhand der folgenden Beispiele veranschaulicht:

(4-1_1a)5 [Beginn eines neuen Abschnitts, Quelle: LQG-FM (1965, 137)]

Tout le jour Perceval resta sur le rocher, regardant sur la mer si aucun vaisseau ne venait.

(4-1_1b) Quelle: LQG-FM (1965, 261): Ils furent en mer toute la nuit, sans boire ni manger, car il n’avaient point de provisions.

(4-1_1c) Quelle: LQG-FM (1965, 264), Kontext: Ein Überlebender erzählt (mündlich) von der furchtbaren Tat dreier Brüder, die nach der Tat ihr ganzes Umfeld tyrannisieren: Je vous dirai comment je le sais: „Ce castel appartenait