Friendly Fire - Ralf-Axel Krause - E-Book

Friendly Fire E-Book

Ralf-Axel Krause

0,0

Beschreibung

Meine Biografie. Eine wie viele ? Vielleicht. Aber eine die viele Dinge hinterfragt, die nicht so gut gelaufen sind und eine, die vielleicht auch vieles erklärt. Wie man es auch immer sehen möchte, in diesem Buch habe ich im Alter von 50 Jahren angefangen, das aus mir herauszuschreien, was mich gequält und fast an den Rand des Wahnsinns und der Kapitulation gebracht hat. Ich habe mir nicht ausgesucht, ob ich auf diesem Planeten und in diesem Land sein darf. Wenn ich vor meiner Geburt gewusst hätte, was mich hier erwartet, hätte ich mir gerne die Nabelschnur um den Hals gelegt ! Aber nun lebe ich und ich versuche auch nur das beste daraus zu machen ... Mein Buch ist keine Rache, aber es ist auch keine "Streicheleinheit". Was ich damit erreiche weiß ich nicht, aber ich würde mir wünschen, das ich die Menschen damit zum Nachdenken anrege. Zum Nachdenken darüber, seinen Nächsten mit dem nötigen Respekt, Verantwortung und vielleicht auch noch Nächstenliebe, oder Dankbarkeit zu betrachten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 642

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Friendly Fire

R.-A. Wolfgang Krause

Eine sozialkritische und

R.-A. Wolfgang Krause, geboren am: 20. Dezember 1964, im Jahr von „A Hard Days Night“

Beruf: Schuldienstverweigerer, Musiker, Tischler, Pädagoge, Funkamateur, Kraftfahrer, Jobber, Ehrenamtler, Buchautor, … aber warum?

Friendly Fire

Impressum:

© 2014 R.-A. Wolfgang Krause Umschlag, Illustration: R.-A. Wolfgang Krause Lektorat, Korrektorat: R.-A. Wolfgang Krause Übersetzung: N.N.

Verlag: Tredition GmbH, Hamburg

ISBN :

978-3-7323-0271-0 ( Paperback ) 978-3-7323-0272-7 ( Hardcover ) 978-3-7323-0273-4 ( e-Book )

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und den Autoren reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vorwort

Es ist der 20. November 2012 um 13:00 Uhr und ich fange jetzt an mein Leben aufzuschreiben. Die Einzige, die davon weiß, ist meine Lydia. Hoffentlich kriege ich alles zusammen was wichtig ist und was die Menschen betrifft, die ich erreichen will.

Der Anlass mein Leben aufzuschreiben und es als Buch auf den Markt zu bringen, ist eine seit dem Jahr 2011 andauernde und widerlicher Straftat, die auf mich verübt wird und mir mit Stand von September 2014, anscheinend immer noch keiner helfen kann. Mein Kopf ist durch das sog. Post-Traumatische-Belastungs-Syndrom so gut wie am Ende, aber ich werde mir alle Mühe geben, das beste daraus zu machen. Ein anderer Punkt, der mich seit geraumer Zeit immer mehr stört, ist die Tatsache, das in einigen Kreisen hinter meinem Rücken vieles „spekuliert“ wird, was nicht der Realität entspricht und erst Recht nicht meiner Persönlichkeit. Leider sind die Menschen zu einem sehr großen Teil nicht in der Lage ehrlich mit mir zu sein und somit auch nicht im Stande, ihre zum Teil „paranoiden Halbheiten“ mal darzulegen. Ich werde hier Schritt für Schritt alles über meine Person offen legen und wer dann noch ein Problem mit mir hat, der soll an meine Tür klopfen und mit mir darüber reden, oder für immer aus meinem Leben verschwinden und sich nicht mehr über mich äußern..

Jeder kann sich, gemessen an seiner psychischen und sozialen Entwicklung, sowie an seiner emotionalen Intelligenz, sein eigenes Bild über meine Geschichte machen. Wie man es auch immer (be-)werten wird, jedem könnte es genauso gehen wir mir und jeder kann ein Part in dieser Geschichte sein und von daher denke ich, das

„Friendly Fire“

als Buchname ganz gut passen würde.

( Zur Erläuterung: Der Begriff „Friendly Fire“ kommt aus dem militärischen und bezeichnet den Zustand, wenn man im Kugelhagel der Waffen von den eigenen Kameraden sitzt. )

Ich bin das Gegenteil eines Klaus Voormann, den ich sehr bewundere und verehre, aber der vieles, wenn nicht alles, in seinem Leben an Glück, Kraft und Liebe geschenkt bekommt hat, was ein Mensch nur bekommen kann. Nicht das er für seinen Erfolg nichts getan hat, aber er hat wahrscheinlich eine ganz wesentliche Grundvoraussetzung für sein Glück und seine Schaffenskraft mitbekommen. Er war gewollt und geliebt. Ich hatte das nicht, im Gegenteil. Ich bin dafür durch die Hölle gegangen und dadurch der geworden, der ich bin. Ein Mensch, aber einer der überall aneckt, den kaum einer leiden mag, wenn er schon verstanden wird. Jemand, der alles kritisch sieht und immer wieder den Wahnsinn ertragen muss, das er unerwünscht, oder für lächerlich und hässlich gehalten wird, egal was er tut. Wenn ich im Jahre 1960 nachts durch Hamburg marschiert wäre, hätte ich wahrscheinlich eine auf den Kopf bekommen, mein Geld wäre weg gewesen und Hilfe hätte ich auch nicht bekommen, aber „good ol’ Klausi“ hat die beste Band der Welt getroffen … Gut, das es im Leben auch solche Geschichten gibt.

Ich will mit meinem Buch Menschen bewegen, darauf zu achten wie man möglichst nicht miteinander umgehen sollte, schon mal deshalb, damit man sich nachher nicht wundert, wenn man einen in seinem Umfeld, oder seiner Familie hat, der „ach so anders und dumm“ ist. Jedes Kind und kommt es noch so „unpassend“ auf die Welt, ist ein Geschenk und jeder Mensch, sagt er auch noch so abstrakte Sachen, die einem vielleicht auch wehtun können, ist auch ein Geschenk. Er ist auch dann ein Geschenk, wenn er andere Meinungen hat, die wir nicht teilen können und die uns vielleicht sogar verletzen. Er ist auch ein Geschenk, wenn er anders aussieht und nicht unserem Schönheitsideal entspricht. Wir können nicht nur, sondern wir lernen durch diese Menschen und erst wenn wir diese Wertungen richtig verstehen, können wir vielleicht ein wenig auf Frieden hoffen.

Auch wenn ich den weniger starken und eher zartbeseideten Asthenikern unter uns ans Herz legen möchte, dieses Buch eher mit Vorsicht zu „geniessen“, so möchte ich mit meinem Buch alle Menschen erreichen. Also nicht nur die guten und die schlechten, sondern auch die kleinen und die großen, die jungen und die alten. Mich würde es ganz besonders freuen, wenn gerade auch Kinder und Jugendliche ( ggf. mit pädagogischer und psychologischer Begleitung ) mein Buch lesen können, nicht damit sie Angst vor dem Leben kriegen, um Gottes Willen, aber damit sie bei sich selbst, oder bei anderen besser erkennen können, wenn etwas bei ihnen, oder bei dem Klassenkameraden anders ist und sie vielleicht dadurch noch rechtzeitig Hilfe geben und bekommen können, um nicht genauso so ein Sonderling zu werden, wie ich. Dieses Buch wird sicher auch wieder den Menschen in die Hände fallen, die so gebaut worden sind, das sie jetzt meinen müssen: „Das hat sich Krause alles nur ausgedacht, weil er eine Entschuldigung für seine Dummheiten braucht und im Mittelpunkt stehen will, …“. Naja, vielleicht denken die das auch nur, weil Sie sich erschrocken haben, oder weil sie sich schämen? Vielleicht aus mangelnder emotionaler Intelligenz, oder aus der Zwanghaftigkeit heraus, das nie was anders sein kann, wie sie es sich immer vorgestellt haben? Was auch immer, ich werde versuchen hier alles, so weit wie möglich, aufzudecken was mich bewegt und wie es mich bewegt hat und vor allem, was mir weh getan hat und damit mein Leben in eine sehr ungesunde Spur gebracht hat. Ich möchte aufzeigen, wie ein unschuldiges Kind, das wie jeder andere von uns auch nackt zur Welt gekommen ist, ein aggressiver, depressiver, kranker und abstrakter Mensch werden kann. Ich will nicht undankbar sein, aber man hat mich nicht gefragt, ob ich geboren werden wollte. Leider muss ich ja Orte und Namen verschleiern. Ich würde zu gerne noch offener sein können und diejenigen, die mir weh getan haben, dabei ins Gesicht sehen. Aber ich denke, abgesehen das diese Menschen dann vor lauter Überforderung anfangen würden laut zu schreien, es würde dann eher wie eine billige Rache herüberkommen und dann würde ich ja mit denen auf eine Stufe stehen. Nein Danke, darauf kann und will ich gänzlich verzichten. Außerdem gibt es den Opferschutz und daran werde ich mich partou halten! Wichtig ist aber aufzudecken und zu zeigen, wie ich etwas empfunden habe, von dem was alles wirklich passiert ist und vielleicht auch endlich mal meine Sichtweise an verschiedenen Situationen teilen, ohne das mir ein versoffener Bauer über den Mund fährt. Es soll in erster Linie ein Buch über die sog. „Eigenanalyse“ sein, eine Aufarbeitung meines Lebens und auch eine Aufdeckung vieler Verwerflichkeiten, die nicht nur an mir, sondern leider viel zu oft, hinter unseren Fenstern in Familien, im Schuldienst, in Jugendämter und Heimen an Kindern und Jugendlichen, auch durch Unterlassung, begangen wurden. Ich wünsche mir, das dieses Buch auch Richter, Staatsanwälte und Polizisten lesen, damit sie abschätzen lernen, wer wirklich „Schuld“ hat und wer vielleicht auch die Verantwortung dafür trägt, das ein Mensch auf Abwegen ist. Es soll auch ein Buch für die Menschen sein, die mich mögen, lieben und die meine Freunde sind und besonders für meine Lydia. „Last not Least“, soll es auch ein Buch sein, für die Menschen, die ich um Vergebung bitten möchte, für das, was ich Ihnen vielleicht bewusst und vielleicht auch unbewusst, böses getan habe. Es ist ein Buch über die sozialen und zwischenmenschlichen Missstände in unserer Gesellschaft, die ganz perfide, aber offensichtlich ablaufen und einen großen Schaden anrichten, ohne das wir es wahrnehmen.

Ich habe in meiner Kindheit und Jugend gelernt, das man Menschen in 2 Klassen unterscheiden muss. Es gibt „gute Menschen“. Also die: Kopfnicker, Ja-Sager, die dann auch Berufsdenunzianten und Moralpolizisten sein dürfen, die ohne äußerlichen Makel und die, die eben schon mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden und vor allem alles „richtig“ machen und „besser“ sind wie andere und dies halt obendrein noch zur Show stellen dürfen. Es sind die, die die besseren Eltern hatten, die etwas mehr in die Klassenkasse packen konnten, oder dem „Klüngel“ auf andere Weise dienlich waren und die, die als Kind schon in einer schönen Wohnung, mit dem besseren Spielzeug und einem großen Auto gelebt haben. Es sind auch die, die sich für alles was sie tun, keine Mühe geben brauchen, weil sie ja eben die Gutmenschen sind. Gutmenschen sind aber nicht immer die, die das Abitur haben. Nein, sie können auch aus dem Pool der Blödzeitungsleser stammen und zu Hause nur die Suppe rühren. Aber dann sind sie richtig gefährlich. Dumme Menschen, die Macht wollen, sollte man genau im Auge behalten. Im späteren Leben sind es dann die Menschen, die mit allem was zu kritisieren ist, überfordert sind und sich somit alles schön reden und die Realität nur recht einseitig verstehen können. Was für ein Preis! Ich gehöre eher zu den „schlechten Menschen“. Das sind dann die, die anders aussehen wie die guten, vielleicht auch Sommersprossen, große, schiefe Nasen und abstehende Ohren haben. Die mit der unbequemen „Wahrheit“ und die, mit dem eigenen Kopf. Ein anderer Kopf? So etwas kann extrem neidisch machen, oder ? Das sind die, bei denen die Eltern geschieden sind und die nicht so schöne Klamotten haben, wie die „Gutmenschen“. Die, die von Anfang an nicht gewollt waren. Die, die man so verstößt, das sie nicht mal eine Arbeit aufnehmen dürfen und können und dann kein Geld haben, was wieder ein Argument ist, um sie zu verunglimpfen. Die, die wenn sie mal was haben, gleich an die Wand denunziert werden. Die, die nicht mal versuchen dürfen nett, freundlich und hilfsbereit zu sein. Die, die man bei dem kleinsten Versuch gut zu sein, schon eine ins Gesicht schlägt und alles weg nimmt. Die, die schon gehasst werden, bevor man sie kennt und bevor sie durch die Tür kommen, und und und …

Ich habe sicherlich auch schöne Erlebnisse in meinem Leben gehabt und auf diese werde ich hier auch teilweise eingehen. Aber zunächst sollen hier Traumata aufgearbeitet werden. Genau die Traumata, die dazu führen können, das eine Mensch desozialisiert, das er vielleicht auch kriminell wird, Drogen nimmt und um sich beißt, weil er Nähe als was bedrohliches empfindet …

In eine meiner Ausbildungen konnte ich die Werke von Marie von Ebner-Eschenbach kennen und schätzen lernen. Ich werde dieses Buch, mit den Versen von dieser wirklich sehr weisen Dame, verzieren.

Kindheit / Eltern / Geschwister

Mein Vater war schon über 40 und meine Mutter über 30, als ich im Dezember 1964 geboren wurde. Meine Eltern hatten noch den Krieg erlebt. Mein Vater sogar als Soldat. Er war bei den Fliegern und sollte nach 1945 von den Amis in der Kriegsgefangenschaft in Regensburg erschossen werden. Aber ein Krause lässt sich nicht so einfach erschießen und so ist mein Vater flux durch den Zaun und ab nach Passau, später dann zu Fuß nach Berlin. Meine Mutter war 14 Jahre alt, als der Krieg aus war. Gepeinigt von Hungerödemen und mit der Schande im Gesicht, das die Nazis alles verkackt hatten was nur ging, verlor sie dann 2 Jahre nach dem Krieg auch noch Ihren Vater, also meinen Großvater. Da sie diesen Mann bis heute absolut vergöttert, war damit auch Ihr Leben zu Ende, wie sie es einmal gegenüber meine älteren Schwester erwähnt hat und was sie uns allen auch bis heute immer wieder spüren lässt.

21.11.12 um 7:30, es geht weiter:

Meine Mutter war mit mir überfordert und so musste meine älteste Schwester Doris im Alter von 12 Jahren eine Mutterrolle übernehmen, mit der sie wohl ohne Frage ebenso überfordert war, wie meine Mutter mit mir. Nein, sie war keine schlechte „Mutter“, aber was soll man denn von einer 12jährigen erwarten? Ich muss aus heutiger Sicht sagen, das sich meine Schwester die beste Mühe gegeben hat und bestimmt auch über sich hinausgewachsen ist, aber auch das hat Folgen. Wer in so einem Alter schon eine Mutterrolle aufgezwungen bekommt, hat nicht viel von seiner Kindheit und seiner Jugend. Es entspricht also nicht der sogenannten Entwicklungsstufe und auch nicht der natürlichen Rolle in der Familie. Wenn man schon eine Rolle annehmen muss, auf die man nicht gefasst ist, wohin dann mit dem eigentlichen „Ich“, welches ja zum Teil auch noch in der Entwicklung steht? Wohin mit der Wut und der Trauer, nicht auch einfach nur ein Teeny sein zu können? Bis heute ist mir emotional nicht ganz klar, ob sie nun meine Schwester, oder meine Mutter ist. Ich könnte Ozeane voll kotzen, wenn ich höre, das Eltern über Ihre Schlüsselkinder prahlen: „Schau mal, so früh war mein Kind schon selbstständig, das ist gut und prägt für’s Leben.“ So ein Schwachsinn, ein Kind muss ein Kind sein und keine Mutter, oder ein Selbstversorger. Ein Kind darf auch nicht mit dem Grund auf so eine Rolle abgestellt werden, das es nicht anders gehen soll. Das gilt kompromisslos und daran ist nichts zu rütteln.

[ Sieh auch: Erik Erikson – Lebenszyklus ]

Für meine nächst ältere Schwester Gerda, war mein erscheinen alles andere wie ein Geschenk. War sie doch immer der Mittelpunkt der Familie, musste sie fortan auf alles zu Gunsten ihres kleinen Bruders verzichten. Wie fühlt man sich so mit 6 Jahren, wenn man auf einmal nicht mehr im Mittelpunkt steht? Wenn man von 100 auf 0 runter fällt? Daran sind schon ganz andere Menschen gescheitert. Nach der Lehre von E. Erikson entsteht im Alter zwischen 6-10 Jahren entweder der Werksinn, oder das Minderwertigkeitsgefühl. Schauen sie sich z.B. Biografien wie von dem Schlagersänger Gunther Gabriel an, wie ist dieser Mann unglücklich gefallen und wie ist er damit umgegangen und zurecht gekommen? Wenn so ein gestandener Mann fällt, was soll dann ein kleines Mädchen tun? Dazu kommt noch, das man eine Verantwortung tragen soll, vor der jeder Erwachsene feige weglaufen würde. Das macht in jedem Fall ohnmächtig und wütend.

Ich war also geboren worden. In eine Familie und mit Eltern, die überhaupt nicht wussten, was da auf sie zu kommt. Ich kann das gejammere meiner Mutter immer wieder hören: „Was Du doch für ein schweres Kind warst“. Ja, schwer war ich tatsächlich und vor allem auch unbequem. Aber das ist auch wieder typisch Mensch. Statt daraus zu lernen, nimmt man es als Angriff und schlägt drauf ein. Egal wie sensibel und wehrlos es ist. Meine Mutter rieb mir auch immer wieder mit begeistertem Gejaule unter die Nase, das mein Vater nicht die richtigen Klamotten für mich ins Krankenhaus mitbrachte, als meine Mutter dann nach meiner Geburt entlassen werden sollte. War ich etwa so unerwünscht? Heute weiß ich, das mich mein Vater mehr geliebt hat, wie es meiner Mutter recht war. Das gleiche gilt auch für meine Geschwister. Wie später einmal berichtet wurde, sollte ich zu meiner Taufe in ein „Taufkleid“ gewickelt werden, was zu klein für mich war, oder sollte ich sagen, ich war zu groß für das Taufkleid? Eine weitere Symbolik die sich in meinem späteren Leben auch immer wieder zeigen wird. Denn, alle aus meiner Familie passten in das Taufkleid. Meine Schwestern und deren Kinder, aber ich nicht. Für mich war nicht nur diese Situation, einfach „zu klein“. Ich hatte stets das Gefühl abgelehnt und unerwünscht zu sein. Nicht dazu zu gehören. Mein erster Spitzname war „Mühf“, das kommt von Mief, übler Geruch, also „der Stinkende“, sozusagen. Wenn ich etwas sagte, oder kommentierte, was vielleicht nicht unbedingt gleich verstanden wurde, dann wurde ich ausgelacht. Ich war für diese Familie einfach zu groß und somit zu viel. Für mich gab es mehr, wie nur das, was man von mir verlangt hat und die Welt war sowieso hinter unserer ach so feinen, spießigen Siedlung lange nicht zu ende.

Die älteste Erinnerung die ich habe ist die, das ich in etwas drinnen liege und Musik läuft. Über mir sind Gesichter. Ich nehme das Lachen dieser Menschen wahr. Lachen die mich aus, oder freuen die sich einfach nur über mich? Wo das auch immer herkommt, aber ich habe bis heute keinen Bezug dazu und kann fast kaum unterscheiden, wer mich auslacht, oder wer sich über mich freut. Irgendjemand deckt mich zu und ich fühle mich eingeengt. Ich wühle mich auf und man versucht es wieder. Es ist unangenehm. Dann verfliegt die Erinnerung.

Ich habe ein Zimmer mit meiner 6 Jahre älteren Schwester zusammen. Ich kann nicht mehr sagen wie groß es genau war, aber am Ende waren 2 große Türen die auf den Balkon führten. Im Winter durften wir da nicht hin, weil es sonst zu kalt gewesen wäre, aber im Sommer war es eine richtig schöne Spielecke. Mein Bett stand rechts und das meiner Schwester auf der linken Seite. Ich kann mich noch erinnern, das später irgendwelche Poster aus der Bravo bei meiner Schwester hingen. Wir hatten einen kleinen Kachelofen im Zimmer und den habe ich geliebt. Wenn er nicht zu heiß war, konnte man oben drauf sitzen und lesen. Er hatte eine Warmhalteklappe in der man Äpfel, oder andere dufterzeugende Dinge rein tun konnte. Mit diesem Ofen verbindet mich wohl auch mein erstes Wort. Die Klappen, hinter denen man das Feuer anmachte waren eben „heiß“. Ich versuche mich schwer an diese Zeit zu erinnern, viel kommt nicht rüber, aber das was ich schreiben kann ist wohl auch beschreibend für meine Kindheit und für das, was aus mir geworden ist.

Der Alptraum vom gefressen werden

Seit meiner frühsten Kindheit, bis in die Pubertät rein, wurde ich von Alpträumen geplagt, die immer wieder nach dem selben Muster abliefen. Ich sitze in unserer Küche auf dem Fußboden am Kühlschrank. Meine Mutter und meine Schwester Gerda wuseln in der Küche herum und sind albern. Ich kann auf den Eingang unseres Kinderzimmers schauen und sehe, wie mich die Türklinke anstarrt. Das Schlüsselloch ist ein kreisrundes großes Maul und im oberen Teil erkenne ich kleine, helle Augen. Der Griff schlingelt sich in meine Richtung und will nach mir greifen. Was ist das für ein Monster? Es ist schrecklich und ich habe Angst. Gerda und meine Mutter lachen darüber und ich spüre, wie verlassen und allein ich mit meiner Angst bin. Aus irgendeinem Anlass erschrecke ich plötzlich. Da springt diese Türklinke auf den Boden und rennt auf mich zu. Mit winzig kleinen Beinen und fast so als wenn sie über den Boden schwebt. Die Band „Pink Floyd“ würden ein Video davon machen, wenn sie das sehen könnten, so psychedelisch sieht das aus. Ich habe Angst und es wird schwarz. Dann finde ich mich wieder. Ich liege in meinem Bett auf dem Bauch. Irgendwas hält mich auf dem Schoss und beißt in meinen Rücken. Ich werde gefressen und habe widerliche Schmerzen. Ich kann kaum atmen. Ich nehme irgendwie das Gesicht dieser Türklinke war und höre sie noch knurren und stöhnen. Dann wache ich auf. Die Schmerzen habe ich noch den halben Tag lang gespürt. Ich konnte nichts essen, alles war so abstrakt und irreal. Ich hatte Angst durch eine Tür zu treten. Diese Angst ist bisweilen heute noch da. Lange nicht mehr so heftig wie ich das als Kind hatte, aber es ist immer noch ein komisches Gefühl. Manchmal habe ich das Gefühl, das dieses Wesen doch meine Mutter gewesen sein könnte, nur mit dem Kopf einer Türklinke. Ich weiß bis heute nur annähernd was das bedeutet haben könnte, aber an alle die, die jetzt da wieder mit dem Kopf schütteln und denken „was der Krause da wieder für ein Blödsinn schreibt“, es war und ist einfach nur grausam, also versucht mal bitte Eure vielleicht dämlichen Emotionen unter Kontrolle zu halten. Auch wenn Euch jetzt bewusst werden sollte, wie verletzlich man doch ist, es ist nicht ansteckend und keiner muss sich vor mir ekeln. Die einzige die etwas davon hätte mitbekommen können, ist meine Schwester Gerda. Ich weiß, das ich noch mal mit Ihr darüber reden muss. Aber das braucht einen langen Atem und viel Feingefühl. Ein anderer Traum, der mich aus dieser Zeit noch lange begleitet hat, spielte sich so ab: Ich stand hinter unserem Haus am Garten und wollte rein in die warme Stube. Meine Mutter schaute lächelnd aus dem Fenster und meinte „Nein, das geht hier nicht mehr“. Der Himmel war grau, es war nass und kalt. Die Häuser drüben an der anderen Straße sahen ausgebombt und verbrannt aus und alles war dreckig & matschig. Es regnete und ich wusste nicht wohin. Ich habe immer gehofft, das sich dieser Traum nicht irgendwann einmal verwirklichte.

In einem ebenso sehr heftigen Albtraum, den ich als Kind auch oft durchleben musste, stehe ich auf dem Marktplatz unseres Dorfes. Meine Mutter hat mich an der Hand. Es ist totenstille. Plötzlich beugt sie sich zu mir runter und sagt:“Es geht nicht mehr, Du musst hier bleiben“. Dann lief sie los und lies mich stehen. Ich schrie und wollte hinter her, aber es ging nicht. Je mehr ich strampelte, desto weniger kam ich vom Fleck. Grausam und psychedelisch, waren diese Bilder. Vor allem aber traumatisierend. Wieder waren die Häuser in meiner Umgebung dreckig und verlassen. Auf einer Wiese hockte ein Mädchen und verbrannte. Sie war nackt und dreckig. Wie die aus Vietnam, die ich im Fernsehen gesehen haben. Es sah aus, als wenn sie Wunderkerzen in der Haut hatte. Was hatte das für eine Bedeutung?

Mit Essen spielt man nicht und Essen wirft man nicht weg

Mit dem Essen war es bei Krauses auch immer so eine Sache. Mein Vater war eigentlich immer drauf erpicht, das es was gutes und reichhaltiges gab. Wahrscheinlich eher aus der Genussleidenschaft, wie aus Nächstenliebe, aber das soll hier mal egal sein. Bei allem was auch negatives in meiner Familie passiert ist und in dem mein Vater eine große Verantwortung trägt, danke ich meinem Vater, denn auch daraus konnte ich im Nachhinein viel lernen. Aber da meine Mutter ja am 8. Mai 1945 stehen geblieben war, war oft „Schmalhans der Küchenmeister“ angesagt. Es war sogar so heftig, das ein Teebeutel 3 mal benutzt wurde. Oder vom verschimmelten Brot wurde der Kanten abgeschnitten und das was noch gut war, wurde gegessen. Ich kann mich daran erinnern, das meine Mutter mal irgendwelchem Besuch etwas zu naschen anbieten wollte und reichte ein paar Süßigkeiten, die ich wohl in meiner Schultasche vergessen hatte und die entsprechend aussahen. Mein Gott, im Nachhinein so was von unangenehm. Und so war es halt auch, das mindestens meine Schwester Gerda und ich oft Magen-Darm Erkrankungen hatten. Mitten in der Nacht wachte ich auf und musste spucken. Es tat höllisch weh im Bauch, es machte mir Angst und war einfach nur ekelig. Meine Mutter war natürlich wieder genervt, weil sie ja alles sauber machen musste und von meinem Vater kam nichts weiter wie ein „lass ihn das doch mal selber weg machen“. Die nächsten Tage musste ich im Bett bleiben, bekam erst nur Tee, wenn der drinnen blieb, eine Hühnerbrühe, wenn die drinne blieb mal einen Zwieback und so weiter. Naja meine Mutter sparte damit natürlich Geld, was sie ja anscheinend nie hatte und ich konnte mit meiner Anwesenheit auch nicht nerven, weil ich ja im Bett bleiben sollte. Meine Mutter war geizig was das betrifft. Bedingt durch den Krieg hatte sie einen ganz eigenen Umgang mit Essen. Als wir mal zum Essen eingeladen wurden, was meine Mutter auch von anderen Leuten als selbstverständlich hielt, aber selber nie gemacht hat, kann ich mich daran erinnern, das meine Mutter so was zu mir sagte wie: „Wenn wir jetzt ins Restaurant fahren, dann möchte ich aber, das Du vorher noch eine Kleinigkeit isst. Nicht das Du da noch Hunger bekommst …“ Wenn andere Leute mir was gutes tun wollten und meinten: „Nu lass den Jungen mal essen, der braucht das doch, wo er so dünn ist … und Du hast doch sonst auch nichts … “ Dann lehnte meine Mutter zum Entsetzen der Gastgeber dieses Geschenk einfach mal ab. „Das nimmst Du nicht, … ich will das nicht, … das gehört sich nicht … und basta …“ Standardessen, was ich mir immer bestellen musste, war dann ein Wiener Schnitzel mit Pommes. Nichts anderes. Egal ob es billiger, oder teurer war. Ende!

Komisch, meine Schwestern hat Sie zum betteln losgeschickt, wie mir später mal berichtet wurde. Warum durfte ich nichts annehmen, was mir anscheinend mal gut getan hätte?

Die gute Seele von Nebenan

Eine Tür weiter lebte eine alte Dame. Eine Großmutter, wie aus einem alten Spielfilm. Schwer katholisch, fromm und mit allen guten Tugenden bestückt, die man sich vorstellen konnte. Natürlich konnte sie auch recht autoritär wirken, wenn zum Beispiel ein Ball auf Ihren offenen Balkon geworfen wurde. Auch wenn es versehentlich war. Das war dann nicht mehr wieder gut zu machen. Aber sie hatte ein gutes Herz und hat sich immer rührend um mich gekümmert. Die alte Dame ist irgendwann Mitte der 70er Jahre verstorben. In Ihrer Wohnung war alles noch so, wie zu der Zeit in der die Häuser gebaut worden sind. Die Steckdosen waren aus Glas und Porzellan. Die Leitungen aus stoffummantelten Kupferstreifen. Der Original Gasherd, incl. Holzkohleofen mit Emaille und Messingleitungen stand noch in der Küche. Aus dieser Wohnung hätte man heute ein Museum machen können. Denken Sie bitte nicht, das es dort dreckig, oder verwohnt war. Nein, Sie hätten vom Fußboden essen können. Auch Ihr Garten war gepflegt. In der Hauptsache, war dieser von oben bis unten mit Gemüse und Obst bepflanzt. Alles was man sich vorstellen konnte. Das wurde dann eingekocht und konserviert. Bis zum Schluss hatte die alte Dame so gelebt. Für mich ist das bis heute absolut vorbildlich und berührend. Oft hat sie für mich gekocht, oder hat einen kleinen Snack für mich gehabt. Was mich als Kind schon faszinierte, waren die Gebete vor dem Essen. Das war was ganz dolles, das man mit jemanden Gesprochen hat, der nicht da war und der immer was gutes bewirken konnte, wenn man an ihn glaubte. Ich glaube, da habe ich einen guten Bezug zu Gott gelernt. Sie war eine Ersatzoma und jemand, der sich um mich kümmerte, wenn ich meiner Mutter zu viel wurde.

Der Vater als Lebensretter

Wir waren bei Freunden. Ich war ca. 3 Jahre alt. Es muss Sommer gewesen sein und wir waren im Garten. Vielleicht was trinken, grillen, quatschen, feiern, sonst was, ich weiß es nicht mehr. Was jetzt folgt kenne ich nur aus Erzählungen und von einer Fotografie, die noch in meinem Fotoalbum klebt. Ich stehe an einem Swimmingpool und sehe mich im Spiegelbild. Dann, Kopfüber rein und nach dem was mir erzählt wurde, bin ich fast ertrunken. Nur die Achtsamkeit meines Vaters hat mir das Leben gerettet. Nein, ich denke nicht, das ich narzistisch bin, oder doch? Also im Moment eher nicht. Aber ich habe bis heute hohen Respekt vor Wasser und habe auch nur mit Mühe und Not schwimmen gelernt.

Diese selbe Scheiße wie jedes Jahr

Genau vor unserem Haus lag der Festplatz unserer Siedlung. Jedes Jahr, schon vor dem 2. Weltkrieg zelebrierte man dort einen sog. Rummel, oder auch Kirmes genannt. Es gab Buden, Karussells, Autoscooter und ein sagenhaftes Bierparadies. Für Kinder natürlich ein Garten Eden, sollte man meinen. Abgesehen, das ich bis nachts um 3:00 Uhr die Sirene vom Autoscooter gehört habe, hatte ich nicht viel, um an diesen Ereignissen teilzunehmen. Schön, wenn andere Spaß haben und man selbst ist nur Zaungast. Für meine Mutter war das natürlich alles viel zu teuer. Zu diesem Fest wurde die ganze Siedlung geschmückt. Girlanden, bunte Fahnen, Blumen, alles was zu einem Pfingstfest dazugehört. Die Menschen haben sich verkleidet und man zog mit mehreren Spielmannzügen durch fast jede Straße. Sogar Sonntag früh um 6 Uhr. Das legendäre Weckkonzert. Das alleine weckt jedes Jahr in mir ein Gefühl, als wenn ich mir einen Airbus stibitzen müsste und damit einen Sturzflug auf dieses Kaff machen möchte. Abends war dann dieser Fackelzug. Dieser endete dann auf dem sog. Kirchplatz, der auch gleichzeitig ein Schulhof war. Hier steht eine kleine Kapelle mit Gräbern von gefallenen Kindersoldaten, die für Hitler & Co in die letzte Schlacht gezogen sind. Der Fackelzug endet mit der Nationalhymne als Instrumentalversion. Den Text kann man sich ja denken, auch wenn genug Leute angemessen leise etwas „leicht anderes“ mitsingen. In dieser Situation habe ich mal den Hitlergruß gezeigt. Gab mal wieder tierisch Ärger, aber na und? Was die denken, zeige ich halt und das finden die doof. Für mich sind diese bellenden Spießer nichts anderes wie Vampire die man ins Licht stellt. Peinlich und Lächerlich. Wie so viele andere auch, die auf Wahrheit und Ehrlichkeit rumkotzen, sollten diese Menschen mal den „Ich-Anteil“ in Ihren Aussagen und Handlungen, insbesondere gegen Kinder, prüfen. Was diesen „Deutschland-Song“ betrifft, vertrete ich eine sehr eigene Einstellung, aber ich meine, das sie bodenständig und logisch ist. In der DDR sang man – bis zu einem bestimmten Tag - „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lasst uns Dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.“ Dieser Text ist mir näher, als die erste Strophe dieser gewissen Nationalhymne, die man heute immer noch für unser Land singt, oder nur spielt, oder was weiß ich.

Es muss 1968 gewesen sein. Ich sollte als 4jähriger Bengel bei dem großen Festumzug mitlaufen. Als Eisenbahner verkleidet. Wenn mich meine Erinnerungen nicht täuschen, dann habe ich das damals so verstanden, das man mich da nicht mitlaufen lassen hat, weil man mir was gutes wollte, sondern um mich bloß zustellen. Ich soll mich auf den Boden geworfen haben und wie am Spieß gebrüllt haben, als ich mich bei den anderen Kindern einreihen sollte. Ich habe keinerlei Erinnerungen daran. Aber ich weiß, das ich bis heute eine enorme Ablehnung gegen Spielmannzüge und alles was damit zusammenhängt, habe. Symbolisch betrachtet haut auch der Programmpunkt „Einreihen“ nicht mehr bei mir hin. Ich bin ich und nicht einer von vielen.

Der erste Spielkamerad

Meine frühsten Kontakte außerhalb meiner Familie, an die ich mich erinnern kann, war unter anderem ein Junge aus der Nachbarschaft Namens Finn. Finn hatte einen Sprachfehler und war das, was die Erwachsenen damals „zurückgeblieben“ nannten. Aber er war ein lustiger Kamerad mit dem man viel lachen konnte und der einfach auch alles mit machte. Unsere Leidenschaft waren Autos in allen Formen und Farben. Wir rannten die Straße rauf und runter, mit einem Stock in der Hand, was ein Lenkrad darstellen sollte und machten laute Motorengeräusche. Wir spielten im Garten und bauten uns in der Buddelecke aus Sand viele Straßen und eine ganze Stadt. Mit unseren Matchbox-Autos fuhren wir dann durch Berge, Tunnel und Täler, so lange bis es „Aamproot“ gab und wir rein mussten. Am nächsten Tag ging es weiter. Es gab aber auch dunkle Seiten um meinen Spielfreund. Eines Tages haben wir wieder irgendwas im Garten gespielt, als Finn bemerkte, das er mal musste. Er hat es nicht geschafft und machte sich ein. Für einen Jungen, der so war wie Finn, muss das eben ein anderes Ausmaß gewesen sein, oder eine andere Bedeutung gehabt haben. Man sagt, wenn Kinder so etwas über einem bestimmten Alter hinaus tun, dann zeigen sie damit ihr Inneres. Eben die Schlacke und den Abfall, der in Ihnen wohnt. Es geht ihnen quasi nicht gut und das können diese kleinen Menschen dann nicht über den Mund artikulieren. Als Finns Mutter dies bemerkte ging es rund. Finn bekam laut keifend eine „Ansage“ und die Hand seiner Mutter klatsche auf seine Lederhose. Finn weinte. Ich konnte das nicht ertragen und lief vor Angst weinend zu meiner Mutter. Ich habe es als Kind überhaupt nicht vertragen können, wenn andere Kinder, aus welchem Grund auch immer, weinten, Angst hatten, oder Ihren Unmut auf andere Weise äußerten. Noch schlimmer war es, wenn Kinder von Erwachsenen ausgeschimpft wurden. Später hatte ich da noch ein sehr einschneidendes Erlebnis und es ist auch bis heute noch nicht aus mir raus, wenn ich das Leiden von Kindern mitbekomme. Ich habe mich nie bei Finn in die Wohnung getraut. Meine Vorstellungen über die Wohnung, war aus heutiger Sicht so abstrakt, das ich es schon krank nennen würde. Ich dachte immer, da schwimmt alles voll mit Fäkalien. Warum dachte ich nur so etwas? Finn hatte noch 2 Schwestern. Beide älter als wir und ich habe die beiden auch als super liebe Menschen in Erinnerung. Da die beiden schon größer waren, haben wir nicht den engen Kontakt gehabt, aber wir waren irgendwie alle eine Art Familie. Der „Kidsclub“ aus unserer kleinen Straße.

Dann war da noch Jenny, …

Eine kleine, kesse, rot-blonde, süße Göre, die mehr Leid in sich trägt, wie man überhaupt vermuten kann. Oft stand Ihre Mutter bei uns an der Tür und bat um Hilfe. Der Vater war wieder besoffen und ist mit dem Messer auf Jenny, der Oma und der Mutter selbst, losgegangen. Meine Mutter soll Ihr sogar mal die Tür vor der Nase zu geschlagen haben. Als ich das gehört habe, dachte ich mir stockt der Atem. Ich habe von meiner Mutter so einige emotionale Verwerflichkeiten in Erinnerung, aber das war eine von denen, von denen ich lange Zeit nichts wusste. Ich habe das als Kind natürlich ganz anders begriffen wie heute, aber auch hier hatte ich mehr Angst davor, dass ich Jenny weinen sehen müsste, als das mich Ihr Vater an die Wand klatscht. Ist so ein Gefühl nicht abstrakt? Ich möchte eindringlich betonen, das ich Angst davon hatte, Leid von anderen an mich heran zulassen und nichts anderes. Also keine dummen Sprüche, oder Witze, so etwas kann für ein Kind ein ganz grausamer Zustand sein. Warum Jennys Vater auch immer so war und was alles dazu geführt hatte, weiß ich nicht. Ich kann mich aber daran erinnern, das die ganze Straße Angst vor diesem Kerl hatte, selbst unser hochrot gesoffener Polizist, der am Ende unserer Straße wohnte und nicht besser war, wie die Leute, die er selber eingesperrt hatte. Eines Tages hieß es wieder „kommt alle rein, der Herbert kommt da vorne und schreit wieder wie ein Tier“ Wie eine „V2-Rakete“ war ich in meinem Zimmer und unter meinem Bett. Nur mein Vater ging vor die Tür und ich spürte es knistern. Je näher er kam und meinen Vater sah, desto leiser wurde er. Dann hörte ich meinen Vater mit knirschenden Zähnen sagen: „Herbert, reiß Dich zusammen, sonst gibt es was mang die Hörner, das man alles nur so brummt“ und wenn dieser Spruch mit einer gewissen leisen Artikulation kam, wussten alle, jetzt ist gleich Essig! Mein Vater war keiner der groß geschrien hat, geschweige denn, ordinär wurde. Er wurde leise, ganz leise, noch leiser und fast still. Wenn dann die Lippen immer spitzer wurden und nur noch ein Zischen aus seinem Mund kam, musste man, möglichst unbemerkt und unter dem Teppich, den Raum verlassen.

Aber Jenny gehört mit in mein Leben und spielt da auch bis heute eine ganz besondere und große Rolle. Ich habe zwar auch hier keine Erinnerungen daran, aber sie soll mich mal als Kind in die Wange gebissen haben. Wohl wegen einem Dreirad auf dem ich sie nicht fahren lassen wollte. Ich weiß nicht mehr genau was da los war, aber die Narben sind teilweise noch zu erkennen. Jenny, ich hätte Dich auch ohne diese Narben nie vergessen und werde Dich immer in meinem Herzen tragen. Wir haben den Kontakt verloren, aber ich denke, es ist manchmal wichtiger, was man im Herzen und im Kopf trägt, als auf, oder an der Hand.

Die kleine Melina

Irgendwann, ich denke vor 1970 bekamen wir eine neue Spielkameradin in unsere Straße. Melina wohnte mit Ihrem Vater alleine. Die Mutter war wohl schon gestorben als sie 3 Jahre alt war, hieß es. Ich konnte mir das kaum vorstellen und hatte mal wieder endlose Angst, weil da ein Leid war, welches ich selber nie erleben wollte. Wie schon bei Familie Bouns beschrieben, war diese Angst so, dass das Objekt vor dem ich Angst hatte, ganz abstrakte Formen für mich angenommen hat. Bei Menschen dachte ich oft, sie wären dreckig, schleimig, oder auch giftig. Bei Objekten war es oft so, das ich diese verbrannt, ausgebombt, oder defekt erlebt habe. Die kleine Melina hatte den größten Garten am Ende unseres Hauses und im Sommer wurden da regelrechte Kinderfeste drinnen gefeiert. Melina hatte im Sommer Geburtstag, das passte wie die Faust auf’s Auge. Ihr Vater war ein echter „Kinderfreund“ und hat immer was für uns übrig gehabt. Nirgendwo konnten wir besser spielen, wie bei Melina im Garten. Sie hatte das beste Spielzeug der Straße, ein Zelt, eine Buddelecke, eine riesengroße Schaukel, ein geheimnisvoller Schuppen stand da im Garten und es gab auch immer lecker zu naschen. Aber auch bei Melina wird sich später noch zeigen, das hinter der sonnigen Fassade, die sie bis heute noch hat, mehr Leid verbirgt, wie man glaubt. Ich habe von Melina auch immer so einen komischen Alptraum gehabt, der sich öfter wiederholte. Sie wurde von Männern in ein Auto geladen und sollte gegessen werden. Sie werte sich und diese Situation wollte irgendwie nicht aufhören. Ich schrie im Traum wie am Spieß, nach meiner Mutter und komischer Weise nach einem anderen Nachbarn, mit dem wir kaum was zu tun hatten, aber keiner hörte mich. Ich habe in meiner Kindheit viel von Kannibalismus geträumt. Psychoanalytiker sind sich einig, was das zu sagen hat.

Es waren aber noch anderen Kinder in der Straße. Weiß der Geier, wo sie sind und was sie heute noch so machen. Diese Menschen gehören in meine Kindheit und in mein Leben und sie haben es geprägt. Aus meiner frühen Kindheit kann ich aber immer sagen, das Finn, Jenny und Melina meine engsten Freunde waren. Diese Menschen werden immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben und es sind einer der wenigen schönen Kindheitserfahrungen, die ich machen konnte.

Inkompetenz der Eltern in diesem Lebensabschnitt

Auch wenn meine Kindheit zunächst für mein damaliges Umfeld eher unbeschwert erschienen sein mag, ich meine, es hat ja nie einer was gesagt, so hätte ich mir von meinen Eltern mehr soziale Kompetenzen gewünscht. Mein Vater hat es mir z.B. strickt verboten Fußball zu spielen. Dazu sei erwähnt, wenn mein Vater solche unsachlich-autoritären Befehle gegeben hat, so hatte er wenigsten eine, wenn auch sehr eigene, Begründung dafür. „Fußball ist ein Proletensport und so was spielt ein Krause nicht“, hieß es. Er meinte weiter, „wenn, dann gehst Du in den Turnverein, aber mit diesen Leuten da, brauchst Du Dich auch nicht abgeben, das sind da in diesem Falle auch alles nur Proleten und Kaschuben“. Also hatte man für alles eine Begründung und konnte gut erklären, wie etwas nicht geht. Super! Meine Mutter hat hingegen alles verboten, was auch irgendwie zu verbieten war. Hier gab es keine Begründungen. Warum auch? Sie war ja die Tochter von einem hochrangigen Nazi und musste sich von „unwürdigem Leben“ nichts sagen lassen. Eine oft benutzte Floskel meiner Mutter war: „Wir haben dafür kein Geld“. Das war Quatsch. Wir sind zwar nicht im Geld geschwommen, aber es waren oft Kleinigkeiten, die sie einfach aus purem Bockwillen ablehnte. Naja und wer Zwanghaft ist, erlebt eh keine Veränderungen, die machen ja auch Angst und von daher lebt man immer noch in der Zeit, wo alles so war, wie es am besten gepasst hat. Meine Schwester Gerda wollte einmal in den Spielmannzug eintreten. Es gab keinen Grund das abzulehnen, aber meine Mutter wollte es einfach nicht. Tante B. und Onkel W. Bremer ( Nachbarn ), wollten sogar die Kosten übernehmen. Aber nein, „wozu braucht man so was?“, war die Gegenfrage von meiner Mutter und ich füge mal hinzu, es war ja nicht der „Bund deutscher Mädel“.

Auch im Zusammenhang das mein Vater immer schon aus diesem Dorf weg wollte, einmal sogar nach Afrika, bin ich recht dankbar, das ich in meinem Heimatkaff nie Fuß gefasst habe, aber objektiv gesehen, hätte es alles anders laufen können und müssen!

Die Tante aus London

Meine Mutter hatte normal 3 Brüder. Einer ist leider schon Anfang der 70er Jahre verstorben. Einer kurz nach der Geburt im Krieg und einer lebt heute noch. Beide Onkels habe ich in guter Erinnerung. Dann war da noch die Tante Lotti aus London. Es war unsere Tante, aber irgendwann wurde auf einmal dementiert, das es die Schwester meiner Mutter ist. Wieder mal so eine typische Halbwahrheit meiner Mutter. Das hat sie in einem anderen Fall auch so gemacht und es hat mich auch über Jahre schwer belastet, als ich erfahren habe, das ich mit gewissen Personen, nicht blutsverwandt bin. Man lässt seine Kinder nicht gegen die Wand laufen. Das ist definitiv und ohne zu diskutieren Kindesmissbrauch. Lotti hatte eine Tochter und einen Sohn. Zwei wunderbare Menschen und bei allem was gelogen wurde, sind wir uns immer einig: Wir sind Cousins!

So oft es ging, besuchte sie uns, oder wir fuhren auch nach London. Für mich war das etwas ganz großes und auch diese Verbindung hat mir in meinem Leben viel Halt gegeben.

Ein Backpfeife mit beinahiger Todesfolge?

Kinder sind in der Regel ungezwungen, wollen Ihre Umwelt ertasten, Ihre Grenzen kennenlernen und können darin nicht unbedingt verstehen, das es sog. Erwachsene gibt, die darin etwas böses sehen und meinen, das man Kinder dann auch knallhart und konsequent bestrafen muss, wenn sie über sog. moralische Grenzen hinausgehen. Auch ich musste diese Erfahrung mehrere male sehr schmerzlich erfahren. An eine Situation kann ich mich heute noch sehr genau erinnern und das wird auch nicht vergessen werden. Ich weiß gar nicht was genau los war, warum mein Vater darauf so endlos wütend reagierte. Ich musste einfach nur mal auf die Toilette und wollte in ein Ecke an einer Kellerwand meine Notdurft verrichten. Ich stand wohl zu dicht bei den anderen Kindern und mein Vater brüllte ich solle das lassen und beschimpfte mich als Dreckschwein. Ich rannte in die Wohnung, um bei meiner Mutter Schutz zu suchen. Meine Mutter war ganz kleinlaut und meinte so was wie „Ja, ich habe gehört wie der Papa geschimpft hat“. Sie gab mir einen Bonbon. Dann kam mein Vater in die Wohnung und ohne große Ankündigungen habe ich einen Handschlag ins Gesicht bekommen, der mich recht heftig in die Ecke befördert hat. Ich hatte das Gefühl, das ich durch die ganze Küche geflogen bin. Ohne eine emotionale Regung verließ mein Vater die Wohnung. Ich glaube zu wissen, das er noch irgendwas gebrubbelt hat, aber das war nicht mehr wichtig, denn ich konnte nicht mehr atmen. Meine Mutter hat es dann irgendwie geschafft, den verkanteten Bonbon aus meinem Hals zu holen. Was wäre wohl gewesen, wenn sie nicht da gewesen wäre? Dann wäre ich wohl nur 3 Jahre alt geworden. Jetzt sollte ich aufhören zu weinen und so was nie wieder machen. Was ich auch immer nicht mehr machen sollte, das hätte man anders regeln können, sollen und müssen. Komischer Weise durften meine Schwestern nie Bonbons bekommen. Bei einem Ausflug hat eine meiner Schwestern wohl mal beim herumtoben einen Bonbon verschluckt und wäre beinah erstickt. Mein Vater war da sehr konsequent.

Als Kind habe ich das Bewusstsein gehabt, das man erst ein Mensch wird, wenn man erwachsen ist. Also erst mal nicht mal als Wertung, sondern eher als Fakt. Ein Kind ist eben etwas eigenes. Was es auch immer sein mag, aber noch lange kein Mensch. Wer mit so einem Bewusstsein lebt und sich darin entwickelt, hat wenig Selbstvertrauen und kein gesund ausgeprägtes Ich-Wertgefühl. Es zeigt auch auf, wie ich von allem ausgegrenzt war.

Arlett zieht ein

Ca. 1973 zogen neue Nachbarn in unser Haus ein. War da vielleicht ein neuer Spielkamerad für mich dabei? Ich war neugierig wie sonst was, aber ich wurde bald eines besseren belehrt. Es war ein Mädchen. Sie hieß Arlett und war auch noch ca. 4 Jahre jünger als ich. Wenn man 9 Jahre alt ist, ist das nicht gerade eine interessante Entdeckung.

Weihnachten mit der Familie Klietz

Irgendein Weihnachten, ich denke es muss auch 1973 gewesen sein, waren meine Eltern und ich bei den neuen Mietern eingeladen. Es gab eine Feuerzangenbowle. Ein riesiger Zuckerhut brannte über einen Topf und schmolz langsam in den darunterliegenden Alkohol. Die Flamme brannte bläulich und es war eine wundervolle Atmosphäre. Plötzlich quietschte es durch die Wohnung: „Mama“. Mir ging es durch Mark und Bein und Arlett lachte. Sie hatte eine kleine Puppe mit einem Lautsprecher drinnen, die irgendwelche nervenden Geräusche von sich gab. Den ganzen Abend lief sie mir mit diesem Ding hinterher und nervte mich. Ich hätte das Ding am liebsten zertreten, aber sie lachte nur und begriff nicht, das es mir weh tat, wenn man sich so artikulierte. Auch wenn es nur eine Puppe war, ich fand es einfach nur widerlich.

Warum schreit Arlett Nachts immer?

Arlett hatte ihr Zimmer genau über meinem und so hörte ich ab und zu wenn sie durchs Zimmer rannte, oder wenn sie spielte. Manchmal sogar so deutlich, das ich es nervend fand. Eine Erinnerung bleibt mir aber, die mir die Angst durch den Körper trieb und mein Adrenalin an der Oberlippe sprudelte. Es war Schlafenszeit und ich knipste nach ein paar Mickymausheften auch mein Licht aus. Plötzlich hörte ich sie weinen. Das weinen wurde intensiver und es kamen schreie hinzu wie ich noch nie zuvor ein Lebewesen habe schreien gehört. Dann Stille. Keiner rührte sich, es war dunkel und aus dem Keller hörte ich das Rattern des Zeitzählers für das Hausflurlicht. Furchtbar. Ich habe dann meine Mutter darauf angesprochen. Die meinte, das die Eltern in einem Ruderclub sein und Arlett muss wohl schlecht geträumt haben. Ich meinte dann, das mir das auch Angst macht. Darauf sagte meine Mutter etwas, was ich mich bis heute sehr beunruhigt: „Mach Dir keinen Kopf, der Onkel von Arlett ist da und passt auf“. Ich kannte diesen Onkel und andere Kinder aus unserer Straße wohl auch. Ich denke, das sich diese Situation ein Grund dafür gewesen sein könnte, der Jahre später noch sehr böse auf Arlet und mich einschlägt. In meiner Heimat wird erzählt, das ein weiteres Familienmitglied von Arlett in den 50er Jahren für eine Weile in einem Zuchthaus gesessen haben soll. Wegen Verführung minderjähriger, oder sogar noch mehr. In den 50er Jahren gab es in Deutschland noch Zuchthäuser. Es ist unklar, wann die letzten abgeschafft wurden. Mein Vater soll maßgeblich an der Verurteilung dieses Menschen mitgewirkt haben.

Wir können fliegen

Es gab mit Arlett auch ein kindlich-romantisches Erlebnis. Da mein Vater ja im Krieg ein Kampfflieger war, hatte ich auch einen Flugzeugtick bekommen und versuchte sogar die kleinen Modelle einer bekannten Spielzeugfirma nachzubauen. Meine erste war eine „StuKa“. Mein Vater war sie geflogen. Als ich ihm das Modell zeigte, wurde er auf seine eigene Art und Weise, ganz still und introvertiert. Ich begriff es erst wesentlich später was dies zu bedeuten hatte. In jedem Fall war ich völlig von Flugzeugen besessen und träumte immer davon, selber zu fliegen. Irgendwie musste es doch wohl gehen, oder !?! So packte ich eines Tages meine kleine Arlett an der Hand und sprang mit Ihr von der Haustreppe seitlich in den Vorgarten unseres Hauses. Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, wir sind geflogen. Ein kurzer Moment in dem wir den Kontakt zum Boden verloren hatten und einfach frei waren. Wenn es doch bloß länger dauern könnte und wenn es doch bloß zu steuern wäre. Eine Symbolik, die sich noch in meinem späteren Leben wieder zeigen wird.

Als ich später in der Tischlerausbildung war, habe ich einen Arzt gehabt, in dessen Sprechzimmer ein Bild von einem schlafenden Kind hing. Es war mit dem Bleistift per Hand gemalt und ich fand es wunderschön. Auf diesem Bild stand ein Vers, den ich nie in meinem Leben vergessen werde und der sich auch komischer Weise, bei aller minimierten Merkfähigkeit, sehr schnell bei mir eingebrannt hat:

In Deinem Alter, Kind, hat man noch Gründe anzunehmen,man könne fliegen, wie laufen lernen.Ich werde Dich nicht aufklären,vielleicht bin doch ich es der sich irrt.

Die beiden Bremers

Meine Eltern hatten nicht gerade viele Kontakte und Freunde. Was wohl auch eher an meiner Mutter lag, für die ja anscheinend ein Leben ohne die NS-Bande nichts wert war. Eine Freundschaft meiner Eltern, die sogar, bis heute andauert sind Bremers. Onkel Wolfgang und Tante Brigitte, waren für mich wie aus Alice im Wunderland. Sie waren selbstständig und hatten zwei 2 Geschäfte. Ein alter Familienbetrieb, den Tante Brigitte aus Ihrer Familie übernommen hat. Bremers waren also schlicht wohlhabend. Er fuhr in den 70ern einen BMW 2000 tii und sie einen NSU Prinz. Ich konnte die Autos am Geräusch erkennen. Überhaupt soll das wohl eine sehr außergewöhnliche Gabe in meiner Kindheit gewesen sein, das ich so ca. 95 % aller Autos am Fahrgeräusch erkannt haben soll. Klar, einen VW-Käfer hört man immer, aber wer unterscheidet schon als 4jähriger einen Opel von einem Ford? Wie auch immer, Bremers hatten immer ein Herz für Kinder. Vielleicht weil sie selbst keine hatten, aber in unserer Straße gab es ja genug davon. Sie brauchten sich ja nur in den Garten zu setzen und dann waren auch schon alle da. Bremers machten oft Grillfeste und hatten die exotischsten und leckersten Speisen zu bieten, die man sich vorstellen kann. Ich hatte so was zu vor noch nie gesehen und vor allem die Menge. Ich durfte, zum Verdruss meiner Mutter, alles essen und soviel ich wollte. In der Zeit wo meine Mutter im Krankenhaus war, durfte ich bei den beiden mal frühstücken. Es gab frische Brötchen, soviel ich wollte. Aber was war das für eine leckere rote Wurst da auf dem Teller? Ich wagte mich nicht zu fragen, aber Onkel Wolfgang ging gleich drauf ein und meinte „Willste probieren, das ist leckere Cervelatwurst“ ehe ich „nein danke“ sagen konnte, hatte ich 4 ( ! ) Scheiben auf meinem Brötchen. Ich kriegte den Mund nicht mehr zu vor staunen. Eine gute Gelegenheit um endlich ab zu beißen. In meinem Mund hatte ich eine Revolution und mir war klar, wo anders ist es besser als zu Hause!

Onkel Wolfgang ist mittlerweile tot und ich war der erste, der es geschafft hatte, eine Beileidskarte zu schicken. Das war so nicht gewollt, aber das es so gekommen ist, ist für mich eine ganz besondere Ehre, denn ich werde die beiden nie vergessen können und nicht vergessen werden. Ich glaube zu wissen, das es Menschen gibt, die das am liebsten rückgängig machen würden und die sich darüber peinlich berührt finden, das der dumme Krause, das hin bekommen hat. Aber so ist es nun mal im Leben. Der Herr ist gerecht und hat keine Uhr. Was heißen will, auch wenn es lange dauern wird, die Wahrheit wird immer raus kommen.

Landschaft

Was die örtliche Umgebung betrifft, hätte ich es nie besser haben können. Der kleine Ortsteil in dem ich gewohnt habe, war dörflich. Die Häuser hatten einen sehr eigenen Baustiel. Jeder hatte einen Garten. Es gab einen Tümpel, oder nennen wir es auch Dorfteich, eine tot gelegte Bahnstrecke, Gebüsche, Wiesen, Bäume auf die man kraxeln konnte und jeder kannte jeden. Ich konnte mein Fahrrad eine Woche auf der Straße stehen lassen und irgendjemand hätte ein 2tes dazu gestellt. Unser Garten lag hinter dem Haus in dem wir wohnten. Natürlich hatte ich eine Buddelecke in der ich ganze Welten bauen konnte. Meine eigene kleine Welt hatte ich da und das war wertvoll. Wir hatten Himbeeren, ein paar Erdbeeren, einen Birnbaum der so leckere Früchte trug, das ich diese heute noch gern hätte. Pflaumen und Äpfel gab es auch und am Eingang stand ein großer Fliederbaum. Der Geruch ist mir heute noch in der Nase. Die Gärten lagen wie lange Handtücher nebeneinander. Jeder konnte genau sehen, was der andere gerade in seinem Garten so machte. Wehe es war was nicht erlaubt, oder man hatte keine Genehmigung. Da war die Moralpolizei aber gleich zur Stelle. Wenn aber diese Moralpolizisten Gift in Ihrem Garten spritzten um z.B. Läuse zu beseitigen und das Gift auch schön auf dem Obst und dem Gemüse anderer Nachbarn zu finden war, dann war man so derartig klein und konnte sich das alles gar nicht vorstellen, das es so schlimm war. Der einzige Nachteil war der, das wir in der Einflugschneise des Flughafen wohnten. Das heißt, wir konnten die Flugzeuge anfassen, wenn sie über unserem Haus waren. Wir haben uns daran gewöhnt und wo ich die Flugzeuge später nicht mehr hatte, hatten sie mir sogar gefehlt. Aus unserem Haus konnte man einen alten Bahndamm sehen, auf dem nie Züge gefahren sind. Das Gleis hat man aus Kriegsgründen parallel neben dem Damm gebaut. Bis Dezember 1961 sind noch die Transitzüge nach Hamburg gefahren. Auch Güterzüge waren dort unterwegs und vor dem Mauerbau auch noch die Berliner S-Bahn ins Umland. Auf diesem Gleis ist jemand mit einem Zug aus der DDR geflohen. Eine sehr ergreifende Geschichte, die später noch verfilmt wurde. Erst vor nicht allzu langer Zeit habe ich von meiner Schwester erfahren müssen, das in diesem Zug sogar Verwandte von uns gesessen haben sollen. Als man die Strecke 1996 wieder in Betrieb nahm, war der Flüchtling und seine Familie sogar noch mal dort. Unser Haus stand ca. 100 Meter Luftlinie von der Berliner Mauer entfernt. Ich konnte fast auf den Todesstreifen schauen und so war es für mich immer gegenwärtig. Diese Mauer und die DDR hatten was faszinierendes, was schreckliches und sogar was idyllisches zu gleich. So habe ich mich mit 16 Jahren entschlossen, auch mal den anderen Teil unseres Dorfes, der hinter dem Stacheldraht lag, zu besuchen. Ich wollte wissen, wer da wohnt und wie sieht das alles von der anderen Seite aus. Von der DDR Seite kam ja nicht so dicht an die Mauer heran wie von Westseite, aber ich konnte vieles sehen und auch wenn es heute nicht mehr aktuell ist, bin ich dankbar, das ich es noch erleben konnte. Meine Mutter hat mir einige Sachen notiert und mir empfohlen, wo ich hingehen kann und auch bei wem ich mich ggf. melden könnte. Viele hatten ja auch noch Freunde und Verwandte auf der anderen Seite. Auf der DDR-Seite unseres Dorfes stand ein sog. Volkshaus. Das war in der DDR so etwas wie ein Gemeindehaus, in dem Tanzabende, Disco, Kino etc. veranstaltet wurden. Man konnte diese Veranstaltungen locker auch auf der Westseite wahrnehmen. Teilweise so dröhnend laut das wir dachten, die kommen jetzt rüber. Ich fand das interessant und so bin ich dort hin und habe mir das Spektakel angesehen. Es war definitiv eine andere Welt. Man musste Karten kaufen und diese teilweise auch noch mit sog. „Bückware“, oder Westgeld bezahlen. Dann bekam man einen Platz zugewiesen und es gab noch, wie in einem Restaurant, warmes Essen. So etwas kannte ich nicht. Eine Band spielte und man tanzte. Ich saß mit netten, jungen Leuten an einem Tisch. Natürlich hatten die Interesse und kamen sofort ins Gespräch mit mir. Wir freundeten uns an und regelmäßig, einmal im Monat, fuhr ich ins andere Teil unseres Dorfes um die neuen Freunde zu besuchen. Es waren sehr angenehme Zusammenkünfte. Wir hatten Party, sie zeigten mir die Umgebung, Potsdam Sancoussi, den Ritter Kalebuz und vieles mehr. Ich konnte somit meine Heimat auf eine Art und Weise kennenlernen, wie sie vor dem Mauerbau 1961 war. Das hatten damals andere Leute in meinem Alter nicht. Schade, das ich den Freunden meinen Teil von Berlin nicht zeigen konnte. Aber das hatte sich ja dann 1989 eh erledigt. Da ich, wie im weiteren Verlauf auch hier beschrieben, meine Heimat irgendwann verlassen habe, ist diese Freundschaft irgendwann eingeschlafen.

Bonanza

Mein erstes Fahrrad hat mir mein Vater geschenkt hat. Ein Bonanzafahrrad. Diese Dinger kamen in den 70ern auf dem Markt und ich war der Mittelpunkt im Dorf. 3-Gangschaltung und einen Tachometer. Jeder wollte mal mit fahren, aber ich durfte es nicht aus der Hand geben. Somit war schon wieder Stress vorprogrammiert.

Grundschulzeit

Die Vorschule. Anfang der 70er Jahre kam ich in die Schule. Es war das Jahr in dem die Einschulungen und Versetzungen von Ostern auf Sommer umgestellt wurden. Also war meine Vorschulzeit eher kürzer wie bei anderen Kindern. Ich weiß nicht mehr wie der erste Tag war, aber je länger die Schule andauerte und je öfter ich hin musste, desto unerträglicher wurde sie. Das fing bereits in der Vorschule ganz leise und schleichend an. Ich habe noch die Bilder vor mir, wie es war, als ich auf dem Schulhof erschien und die anderen Kinder schon da waren. Schreiend kam sie auf mich zu und wollten mich lediglich begrüßen. Wie Kinder eben so sind. Eigentlich ja eine tolle Geste, aber für mich war das, als wenn ich was verbrochen hätte, oder wie eine Strafe. Ich kann es nicht adäquat in Worte fassen, aber ich hatte Angst. Zum Glück ist man ja in der Vorschule nicht groß gefordert. Wir sangen, bastelten und spielten irgendwas. Hotte kam zu spät, Karsten kotzte auf den Tisch und Sylvia dachte das Nudeln an den Bäumen wachsen. Naja, Ihr Vater war Italiener. Aber doch gab es Sachen, die mich überfordert haben. Meine Banknachbarin Veronika - ich sehe diese Barbypuppe heute noch vor mir - drehte mir ständig das Ohr um, oder machte irgendwas, was mir weh tat, oder unangenehm war. Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte. Dabei wäre es so einfach gewesen. Entweder der Lehrerin Bescheid sagen, oder sich prompt und mit viel Energie wehren. Das waren aber Sachen, die ich partout nicht im Kopf hatte. Ich wusste quasi nicht, das so was als Möglichkeit existiert. Eines Tages sollten wir eine Schuhsohle aus einem Stück Pappe ausschneiden. Daran wurden durch 2 Löcher eine Schnur gezogen an der wir dann lernen sollten, wie man eine Schleife bindet. Ich war völlig überfordert und wahrscheinlich auch u.a deshalb, weil sich die tolle Veronika mal wieder von Ihrer besten Seite zeigte. Es hieß wer fertig ist kann gehen. Ich wollte auch gehen. Ich wollte nach Hause in mein Zimmer und alleine sein, oder Trost bei meiner Mutter suchen, aber es ging nicht. Es war wie in diesen Alpträumen, wo ich nach Hause wollte, aber es nicht ging. Ich fing an zu weinen. Alles lachte. Der Trost der „Lehrerin“ war eher so was wie ein „Double-Bind“, wie das was es hätte sein sollen. Ich war nicht mehr in der Lage meine Arbeit zu machen und meine Mutter musste mich sogar abholen. Ich wollte da nicht mehr hin, denn das Ergebnis war von Lehrerseite und wie von Elternseite dasselbe, ich war ein böses Kind. Man kann sich hoffentlich vorstellen, wie unangenehm es für einen 5-6jährigen Menschen ist, in solchen Umständen in eine Gemeinschaft gezwungen zu werden, die er als Gefahr empfindet. Ich gehe heute davon aus, das hier schon der Grundstein dafür gelegt wurde, das ich Schule und Gesellschaft ablehnte. Viele haben mich bis heute falsch verstanden, obwohl das entweder nur blinde oder Vollidioten sein müssen. Ich lehne auf keinen Fall die Bildung ab – Im Gegenteil, ich sehe sie als ein sehr wertvolles Gut für jeden Menschen und bin dankbar über alles was ich mir aneignen konnte, aber ich lehne die Schulform und die sich darin eingefressene „Antipädagogik“ ab und zwar entschieden. Als Kind, oder Jugendlicher, war das noch auf einer anderen Ebene, aber als Erwachsener mit dem Sachverstand eines Pädagogen, ist das was anderes. Ich will später noch genauer darauf eingehen. Zunächst möchte ich noch ein paar Beispiele aus meiner Schulzeit vorstellen.