Fürstenkinder 3 – Adelsroman - Viola Larsen - E-Book

Fürstenkinder 3 – Adelsroman E-Book

Viola Larsen

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Beschreibung

Sie sind in aller Munde – geliebt, bestaunt, verehrt. Eine Aura umgibt sie, der Reiz des Besonderen, des Unerreichbaren lässt die Augen von uns allen auf sie richten. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. In der völlig neuen Romanreihe Fürstenkinder kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Fürstenkinder steht für einen idealen neuen Romantypus, der zugleich das klassische Erfolgsmodell verwirklicht. Große Schriftstellerinnen, die den Liebesroman seit langem prägen, konnten wir für diese neue Heftreihe gewinnen. Die Indigofahne der Valmons flatterte noch immer auf dem Turm, das Fürstentum freilich existierte längst nicht mehr. Geblieben waren von einstigem Glanz und versunkener Pracht nur das zauberhafte Valmoner Schloß und der Fürstentitel, sonst nichts. Manuel Fürst von Valmon war der letzte männliche Träger des erlauchten Namens. Er war Arzt, er besaß die Professur, und er hörte es viel lieber, wenn man ihn mit Professor als mit dem ihm zustehenden Titel ›Durchlaucht‹ anredete. Er lebte seit dem Tod seiner Gemahlin sehr zurückgezogen, widmete sich mit aufopferungsvoller Hingabe seinem Beruf, den er als wahre Berufung betrachtete, und seine zärtliche Liebe galt ausschließlich seiner kleinen Tochter, Prinzessin Puck. Es mußte schon etwas Besonderes geschehen sein, wenn Fürst Manuel es versäumte, zur Geburtstagsfeier des Prinzeßchens pünktlich wie versprochen von seiner Klinik nach Hause zu kommen. Gräfin Nathaly von Dobbersberg, die Betreuerin und Erzieherin der kleinen Prinzessin Mirabel von Valmon, die freilich alle nur ›Prinzeßchen Puck‹ nannten, weil sie ein richtiger Kobold war, wartete ungeduldig auf die Ankunft des Fürsten. Die Geburtstagstafel war schon festlich gedeckt, alles war bereit. Nur die Hauptpersonen fehlten. Gräfin Nathaly wandte sich ärgerlich zu der offenen Terrassentür, die in den frühlingsbunten Schloßgarten führte, und rief mit erhobener Stimme: "Mirabel! Komm sofort, der Kaffee ist fertig!" Mamsell Hütchen, die den Kuchen aufschnitt, verbiß sich ein Lächeln. "Mirabel!" rief Gräfin Nathaly abermals, diesmal reichlich ungeduldig. "Wo steckst du denn wieder?" "Auf Ritter Kunibert!" antwortete Mamsell Hütchen. "Was soll das heißen?" fragte die Gräfin ungehalten. "Genau das, was ich gesagt habe!"

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Fürstenkinder – 3 –

Das trotzige Prinzesschen

Mirakel will keine neue Mutter

Viola Larsen

Die Indigofahne der Valmons flatterte noch immer auf dem Turm, das Fürstentum freilich existierte längst nicht mehr. Geblieben waren von einstigem Glanz und versunkener Pracht nur das zauberhafte Valmoner Schloß und der Fürstentitel, sonst nichts.

Manuel Fürst von Valmon war der letzte männliche Träger des erlauchten Namens. Er war Arzt, er besaß die Professur, und er hörte es viel lieber, wenn man ihn mit Professor als mit dem ihm zustehenden Titel ›Durchlaucht‹ anredete.

Er lebte seit dem Tod seiner Gemahlin sehr zurückgezogen, widmete sich mit aufopferungsvoller Hingabe seinem Beruf, den er als wahre Berufung betrachtete, und seine zärtliche Liebe galt ausschließlich seiner kleinen Tochter, Prinzessin Puck.

Es mußte schon etwas Besonderes geschehen sein, wenn Fürst Manuel es versäumte, zur Geburtstagsfeier des Prinzeßchens pünktlich wie versprochen von seiner Klinik nach Hause zu kommen.

Gräfin Nathaly von Dobbersberg, die Betreuerin und Erzieherin der kleinen Prinzessin Mirabel von Valmon, die freilich alle nur ›Prinzeßchen Puck‹ nannten, weil sie ein richtiger Kobold war, wartete ungeduldig auf die Ankunft des Fürsten.

Die Geburtstagstafel war schon festlich gedeckt, alles war bereit. Nur die Hauptpersonen fehlten.

Gräfin Nathaly wandte sich ärgerlich zu der offenen Terrassentür, die in den frühlingsbunten Schloßgarten führte, und rief mit erhobener Stimme: »Mirabel! Komm sofort, der Kaffee ist fertig!«

Mamsell Hütchen, die den Kuchen aufschnitt, verbiß sich ein Lächeln.

»Mirabel!« rief Gräfin Nathaly abermals, diesmal reichlich ungeduldig. »Wo steckst du denn wieder?«

»Auf Ritter Kunibert!« antwortete Mamsell Hütchen.

»Was soll das heißen?« fragte die Gräfin ungehalten.

»Genau das, was ich gesagt habe!« entgegnete die Mamsell betont höflich. »Unser Prinzeßchen Puck ist gerade auf ihrem Pony in den Park geritten.«

Gräfin Nathaly preßte die schmalen Lippen so sehr zusammen, daß sie nun mehr wie ein Strich erschienen.

»Danke, Mamsell«, erklärte sie kühl. »Wir werden mit dem Kaffee also warten, bis Ihre kleine Hoheit zurück ist.«

Es wird uns gar nichts anderes übrigbleiben, hätte Mamsell Hütchen beinahe gesagt, aber sie beherrschte sich. Sie konnte die Gräfin nicht ausstehen.

Das Prinzeßchen hingegen liebte sie zärtlich, auch wenn sie Ihrer kleinen Hoheit den Spitznamen ›Hütchen‹ verdankte, weil sie so gern Hüte trug.

Als Gräfin Nathaly allein war, seufzte sie tief auf; sie klappte ihr Lorgnon zusammen und ließ sich in einen der Clubsessel vor dem festlich gedeckten Geburtstagstisch nieder.

Eine steile Falte wuchs in ihre hohe Stirn. Nervös griff sie zu einer Zigarette. Erzieherin der Prinzessin Mirabel zu sein, war wirklich keine Kleinigkeit.

Die Gräfin beugte sich ein wenig vor und betrachtete ihr Spiegelbild in der silbernen Kaffeekanne, die auf dem Tisch stand: ihre Miene glättete sich, sie war mit ihrem Aussehen sehr zufrieden.

Dabei war Gräfin Nathaly keine Schönheit. Sie war zu groß und zu schlank. Boshafte Zungen nannten sie heimlich eine hagere Bohnenstange.

Aber die Gräfin fand ihre Figur blendend. Sie kleidete sich mit ausgesuchter Eleganz und legte großen Wert darauf, immer sorgfältig frisiert zu sein.

Ihr Gesicht war zwar regelmäßig geschnitten, aber gleichfalls ein wenig in die Länge geraten, so daß die boshaften Zungen es ein Pferdegesicht nannten.

Die Kunst des Make-up beherrschte Gräfin Nathaly jedenfalls ausgezeichnet und alles in allem war sie überzeugt davon, daß es ihr eines Tages gelingen würde, die zweite Fürstin von Valmon zu werden.

Allerdings vermied sie es bei derlei rosigen Zukunftsträumen, das Bildnis der ersten Gattin des Fürsten anzusehen, denn die verstorbene Fürstin war eine wirkliche Schönheit gewesen.

In puncto Schönheit schlägt Mirabel ihrer Mutter zweifellos nicht nach, dachte die Gräfin spöttisch; die Kleine ist ungelenk wie ein Füllen, und ihr Gesichtchen kann man bestenfalls apart nennen.

Tatsache war, daß Prinzeßchen Puck zwar einen allerliebsten Charme besaß, aber wirklich nicht eben ­hübsch zu nennen war. Die dunklen Haare fielen knabenhaft unordentlich in das drollige Stupsnasengesichtchen, und leider legte das Prinzeßchen auch keinerlei Wert darauf, sich hübsch anzuziehen. Am liebsten rannte das einzige Töchterchen des Fürsten Manuel in Bluejeans und Rollkragenpulli herum.

Wenigstens heute nachmittag wird sie wie eine kleine Hoheit aussehen, dachte Gräfin Nathaly zufrieden und streifte mit einer graziösen Geste die Asche ihrer Zigarette ab.

Sie warf einen ungeduldigen Blick auf die Uhr.

Gräfin Nathalys Langmut wurde von Prinzeßchen Mirabel des öfteren auf eine harte Probe gestellt, aber an diesem Nachmittag trieb es die kleine Hoheit auf die Spitze, denn sie traf erst mit einer geschlagenen Stunde Verspätung in Schloß Valmon ein.

»Empörend!« murmelte Gräfin Nathaly. Ihr Zorn wurde nur dadurch etwas gemildert, daß auch Fürst Manuel noch nicht zur Kaffeetafel erschienen war.

Gleich darauf ertönt Mamsell Hütchens Stimme aus dem Fenster der ebenerdig gelegenen Schloßküche.

»Es wird höchste Zeit, Prinzeßchen, die Erdbeersahne gefriert zu Eisklumpen!«

»Prima!« rief Ihre kleine Hoheit. »Erdbeereis ist viel besser als Sahne!«

Die Tür flog auf, und Gräfin Nathaly erstarrte.

Sie hatte Grund dazu, denn das Prinzeßchen hatte sich seit der komplizierten Ankleideprozedur erschreckend verwandelt. Nicht nur, daß die von Gräfin Nathaly sorgfältig gekämmten Haare unfrisierter denn je in das drollige Gesichtchen fielen, Mirabel trug statt des Schottenkleid­chens ihre geliebten Bluejeans und darüber ein mit Hawaiimuster bedrucktes Bubenhemd.

Zu allem Überfluß schleppte das Prinzeßchen einen gewaltigen Gartenzwerg in die Wohnhalle.

Sekundenlang verschlug es der Gräfin die Sprache.

»Was soll der Unfug, Mirabel?« fragte sie endlich ungewohnt streng. »Du wirst den entsetzlichen Gartenzwerg doch nicht in die Wohnhalle bringen wollen?«

»Was heißt Gartenzwerg?« entgegnete Prinzeßchen Puck mit unschuldsvoller Miene und kugelrunden Engelsaugen. »Das ist kein Gartenzwerg, das ist König Drosselbart. Er ist mein Freund, und wenn ich Geburtstag habe, dann soll er auch mit an der Kaffeetafel sitzen!«

»Sofort bringst du den entsetzlichen Gartenzwerg zurück!« gebot Gräfin Nathaly. Ihre Selbstbeherrschung drohte sie zu verlassen. »Ich bin außer mir, Mirabel! Wie siehst du denn aus? Und wo hast du dein Schottenkleidchen?«

»Im Schrank!« gab Prinzeßchen Puck großzügig Auskunft. »Ich habe beim Reiten den Saum heruntergerissen.«

Ohne sich um die Empörung ihrer Erzieherin auch nur im mindesten zu kümmern, schleppte das Prinzeßchen den überdimensionalen Gartenzwerg mit seiner roten Zipfelmütze und seiner grünen Schürze zum Kaffeetisch.

»Mirabel!« begann Gräfin Nathaly, und es kostete sie ungeheure Mühe, Haltung zu bewahren. »Du hast heute Geburtstag, du bist neun Jahre alt geworden. Es ist Zeit, daß du endlich mit diesem Unfug aufhörst!«

»Ich will aber Onkel Willi haben!« Die grünlich irisierenden Augen des Kindes begannen bedrohlich zu funkeln. »Onkel Willi ist auch mein Freund.«

»Onkel Willi ist ein alter Schaukelstuhl«, sagte Gräfin Nathaly, »und ein solcher Schaukelstuhl gehört nicht in die Wohnhalle. Hast du dir wenigstens die Hände gewaschen, Mirabel?«

Prinzeßchen Puck überging diese Frage und rief temperamentvoll: »Wenn ich Onkel Willi nicht haben darf, dann will ich überhaupt nicht Geburtstag feiern. Außerdem werde ich Papa sagen, daß du grausam zu mir bist, Tante Nathaly.«

»Mirabel!« hauchte Gräfin Nathaly, am Ende ihrer Kräfte. »Du übertreibst wieder einmal schamlos. Es gibt keinen Menschen auf der ganzen Welt, der besser und nachsichtiger zu dir ist, als ich es bin. Und wenn du deinem Vater irgend etwas über mich sagst, dann kannst du ihm höchstens sagen, daß ich die geduldigste und liebevollste Erzieherin bin, die du je gehabt hast.«

»Schön, dann will ich Onkel Willi haben!« erklärte das Prinzeßchen ungerührt. »Sonst sage ich dem Papa, daß du grausam zu mir bist!«

Unter halbgesenkten Lidern hervor beobachtete die Kleine ihre Erzieherin scharf. Es war offensichtlich schon wiederholt der Fall gewesen, daß sie mit der Bemerkung, sie werde ihrem Vater sagen, Gräfin Nathaly sei grausam zu ihr, Erfolg gehabt hatte. Auch jetzt lenkte die Gräfin ein.

»Gut, dann sollst du deinen Onkel Willi eben haben. Später.«

»Nein, jetzt!« beharrte Prinzeßchen Puck, lief zur Tür, riß diese wenig mädchenhaft auf und schmetterte in den Flur: »Mamsell Hütchen, Fritz soll sofort Onkel Willi zu mir bringen!«

Die Tür knallte ins Schloß, und Gräfin Nathaly sank vernichtet in ihren Sessel zurück.

»Wo ist der Papa überhaupt?« erkundigte sich das Prinzeßchen. »Er hat mir doch versprochen, zum Kaffee hier zu sein.«

»Dein Vater wird seine Gründe haben, warum er sein Versprechen nicht einhalten konnte«, antwortete Gräfin Nathaly, mühsam nach Fassung ringend. »Wahrscheinlich ist ein dringender Fall dazwischengekommen…«

»Ich bin auch ein dringender Fall!« unterbrach das Prinzeßchen seine Erzieherin, als es vernehmlich an die Tür klopfte und Fritz mit dem Schaukelstuhl erschien. »Stellen Sie Onkel Willi an den Tisch«, gebot das Prinzeßchen dem grinsenden Stallburschen, »und dann können Sie wieder gehen.«

Die Kleine lief zu dem elfenbeinfarbenen Telefonapparat, nahm den Hörer ab und wählte, ehe Gräfin Nathaly sie daran hindern konnte, eifrig eine Nummer.

»Hallo, Paps? Ich bin todunglücklich, daß du nicht zum Kaffee gekommen bist!«

Manuel Fürst von Valmon erwiderte ernst: »Es tut mir sehr leid, Puck, es ließ sich wirklich nicht ändern.«

»Aber ich habe heute Geburtstag!« schmollte das Prinzeßchen. »Man wird nicht jeden Tag neun Jahre alt!«

»Natürlich nicht«, begütigte der Fürst seine Tochter. »Ich werde mich beeilen, um so rasch wie möglich bei dir zu sein. Allerdings möchte ich dir nichts versprechen, denn es kann spät werden. Der Fall ist sehr ernst.«

»Unfall?« fragte die kleine Prinzessin fachkundig und interessiert.

»Ja«, antwortete Fürst Valmon. »Und nun feiere vergnügt Geburtstag und iß mein Stück Torte mit. Hast du mich gehört, Puck?«

»Ja, Paps! Aber ich werde dein Stück Torte nicht essen, ich werde es König Drosselbart geben! Tschüs, Paps!«

Nachdrücklich legte die kleine Hoheit den Hörer auf und marschierte zur Geburtstagstafel.

»Nun wissen wir doch wenigstens, woran wir sind.«

Sie ließ sich mit Behagen in dem wippenden Schaukelstuhl nieder, dem sie den schönen Namen ›Onkel Willi‹ gegeben hatte, und begann, Sanft hin und her zu schaukeln.

Zu allem Überfluß zog sie auch noch den dicken Gartenzwerg König Drosselbart liebevoll zu sich heran und verkündete dann mit spitzbübischer Drollerie: »So, und jetzt darfst du Geburtstag mit mir feiern, Tante Nathaly!«

*

In dem mit moderner Sachlichkeit eingerichteten Chefarztzimmer der Klinik Valmon legte Fürst Manuel langsam den Hörer auf und strich sich mit einer müden Gebärde über die Stirn.

»Die Operation ist ja glücklich überstanden, Herr Professor«, wagte Schwester Edeltraut, seine persönliche Assistentin, zu bemerken. »Vielleicht könnten Sie jetzt doch nach Hause fahren!«

»Nein«, wehrte Fürst Manuel rasch ab. »Ich bleibe hier. Es ist nur ein Glück, daß der Unfall kurz vor der Klinik geschah, denn ich glaube nicht, daß die Verletzte einen längeren Transport überlebt hätte.«

»Wahrscheinlich nicht«, bemerkte Schwester Edeltraut. »Ob es tatsächlich stimmt, was in dem Unfallbericht steht?«

»Ich weiß es nicht«, murmelte Fürst Manuel und überlas kopfschüttelnd den Polizeibericht, in dem geschrieben stand, daß der Fahrer schuldlos sei, da die Verletzte nach glaubhaften Zeugenaussagen offenbar mit der Absicht, sich das Leben zu nehmen, in den schweren Lastwagen gelaufen sei.

»Dabei ist sie noch so jung«, seufzte Schwester Edeltraut. »Man sollte es nicht glauben, daß ein so junges Menschenkind nicht genügend Gottvertrauen besitzt, um…«

»Wir wissen nie, was in der Seele eines anderen Menschen vorgeht, Schwester Edeltraut«, unterbrach Fürst Manuel sie ernst und erhob sich rasch. »Ich werde gleich einmal nach der Patientin sehen.«

Mit einem freundlichen Kopfnicken zu der Schwester verließ er seinen Arbeitsraum.

Der hochgeschlossene, weiße Arztmantel kleidete Manuel Fürst von Valmon vortrefflich. Er war hochgewachsen, schlank und besaß eine sportliche Gestalt. Sein dunkles Haar fiel genauso unordentlich in die Stirn wie bei seiner Tochter Mirabel. Aber seine Augen waren nicht grünlich wie die des Prinzeßchens, sondern von stählernem Blau. Sein Gesicht war scharf geschnitten, die Nase sprang kühn vor, das Kinn verriet Energie, aber um seinen Mund lag ein Zug großer Herzensgüte.

Langsam schritt er über die spiegelblanken Korridore der Klinik zu dem Einzelzimmer, in das man die namenlose Unbekannte gebettet hatte.

Leise öffnete er die Tür. Sein Gesicht wirkte sonderbar verstört. Er trat zum Bett der Verunglückten und beugte sich über sie. Ihr Antlitz war von dicken Bandagen verhüllt, eine blonde Haarsträhne fiel über den Verband. Die schönen, schmalen Hände ruhten leblos auf der weißen Decke.

Elisabeth, dachte Fürst Manuel, und für entsetzliche, lähmende Sekunden hatte er wieder das quälende Empfinden, das ihn schon überfallen hatte, als man die Verunglückte in den Operationssaal trug.

Er glaubte, seine verstorbene Gattin vor sich zu sehen.

Mechanisch ergriff er die Hand der Verunglückten und fühlte den Puls. Das Herz arbeitete regelmäßig, wenn auch schwach.

Wenn sie die Augen öffnet, wird alles vorbei sein, dachte Fürst Manuel. Sie hat gewiß nicht die Augen von Eli­sa­beth.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verging. Von der Kapelle der Klinik läutete es das Ave. Auf Gummirädern wurden wenig später die Speisewagen durch die Korridore gerollt. Schwestern unterhielten sich flüsternd.

Die Dämmerung eines milden Frühlingsabends senkte sich herab und umhüllte die Bäume des Klinikgartens mit ihren silbergrauen Schleiern. Funkelnd erwachten am Himmel die ersten Sterne.

Ohne daß es Fürst Manuel bewußt wurde, flüsterte er sehnsuchtsvoll den Namen seiner geliebten, für immer verlorenen Frau: »Elisabeth!«

Die Kranke wurde unruhig. Ihre Hände bewegten sich über die Decke. Sie versuchte, den Kopf zur Seite zu wenden, stöhnte, und schlug schließlich langsam die Augen auf: grünlich irisierende, zauberhafte Nixenaugen.

Elisabeths Augen, dachte Fürst Manuel, und sein Herzschlag drohte vor Erregung zu stocken.

»Ich heiße nicht Elisabeth«, flüsterte die Verletzten mühsam. »Ich heiße Nina. Wo bin ich überhaupt?«

»Sie sind in guter Hut«, antwortete Fürst Manuel ernst. »Es kann Ihnen nichts geschehen. Sie sollen ruhig werden und schlafen.«

»Schlafen«, murmelte die Verunglückte.

Unverwandt ruhten ihre zauberhaften Augen auf dem Antlitz des Arztes.

»Ich habe Angst«, flüsterte sie.

»Sie dürfen keine Angst haben«, entgegnete Fürst Manuel eindringlich. »Alles wird gut werden.«

Unversehens füllten sich die Augen des Mädchens Nina mit Tränen.

»Nicht weinen!« bat Fürst Manuel erschrocken. »Sie dürfen jetzt nicht weinen! Bitte nicht! Es ist nicht gut, wenn Sie…«

»Weinen«, murmelte das Mädchen wieder, dann schloß es die Lider.

»So ist es recht, schlafen Sie!« bemerkte Fürst Manuel erschüttert. »Alles wird gut werden. Sie dürfen sich keine Sorgen machen. Sie sollen jetzt nur schlafen. Schlafen…«

»Schlafen«, wiederholte die Fremde kaum hörbar.

Dann war es still.

Fürst Manuel saß reglos am Lager des Mädchens Nina, dessen durch den Unfall verwüstetes Antlitz von Bandagen umhüllt war, die sonderbar blaß und weiß im Dämmerlicht schimmerten.

Nein, es ist nicht Elisabeth, dachte Fürst Manuel. Ich weiß ja, daß Elisabeth tot ist. Sieben lange Jahre schon. Und ich weiß nicht einmal, ob diese Nina in Wirklichkeit Elisabeth ähnlich sah. Es ist nur ihre Gestalt, es sind ihre Hände, ihr Haar und ihre Augen.

Professor Manuel Fürst von Valmons Ruf als kosmetischer Chirurg reichte weit über die Grenzen des Landes hinaus.

»Es müßte möglich sein«, murmelte er. »Es mußte möglich sein, dem Mädchen die Züge Elisabeths zu schenken…«

*

Unmerklich wanderte der Frühling in den Sommer hinüber. Das Blau des Himmels vertiefte sich, die Strahlen der Sonne wurden immer wärmer, die ersten Rosen begannen schon zu blühen, und immer später ging der Tag zur Ruhe.

Friedvoll und verträumt lag Schloß Valmon mit seinen giebeligen Ecktürmen und seinen blinkenden Kupferzinnen in dem herrlichen Frühsommerpark.

In diesen Wochen rang Fürst Manuel zäh und hart um das Leben des Mädchens Nina. Nur seinem unermüdlichen Bemühen war es zu verdanken, daß der schwarze, schweigende Engel zu Häupten der Unbekannten sich langsam abwandte.

Dann wagte der begnadete Chirurg die ersten kosmetischen Korrekturen, um dem verwüsteten Antlitz des Mädchens die Züge seiner verstorbenen Gattin zu verleihen.

Noch umhüllten weiße Bandagen das Antlitz Ninas, als Fürst Manuel an einem heißen Frühsommertag am Ende der Nachmittagsvisite in ihr Krankenzimmer trat. Lächelnd fragte er: »Wie geht es Ihnen? Sie waren sehr tapfer.«

»Ich bin gar nicht tapfer«, widersprach Nina. »Ich habe solche Angst. Ich weiß doch nichts mehr von früher. Es ist alles dunkel und verworren, wenn ich versuche zurückzudenken…«

»Sie sollen jetzt nicht zurückdenken und grübeln. Ein ganzes Leben lang werden Sie Zeit haben, sich zu erinnern«, entgegnete der Professor ernst. »Im Augenblick ist es nur wichtig, daß Sie Kraft schöpfen, Vertrauen zu sich selbst gewinnen und den ersten Schritt zurück ins Leben wagen.«

Grenzenlose Hilflosigkeit sprach aus den zauberhaften Nixenaugen Ninas.

Wie jung sie noch ist, dachte Fürst Manuel gerührt. Wieder überströmte eine Woge inniger Zärtlichkeit sein Herz.

»Wohin soll ich gehen, wenn ich aus der Klinik entlassen werde?« fragte Nina bang. »Ich weiß es nicht. Es ist so entsetzlich…«

Sekundenlang war es ganz still.

In dem Kastanienbaum, der bis zum Fenster von Ninas Zimmer emporragte, zwitscherte eine Amsel.

Flüchtig schloß Fürst Manuel die Augen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich noch einmal mein Herz verschenken könnte, nachdem ich Elisabeth verlor, dachte er dunkel. Es stirbt nicht mit dem geliebten Menschen, es lebt weiter, hofft, wünscht, wartet auf ein neues Glück.