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In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Michaela hatte die Hände um die Knie geschlungen, den Rücken gegen einen Baum gelehnt, und so saß sie nun schon seit einer Stunde und sah hinab ins Tal. Von der Bergkuppe aus, vom Finkenstein, der sich wie ein abgeplatteter Kegel über die runden Hügel ringsum erhob, konnte man weit ins Land sehen… bis zu dem Silberband des Flusses und dem Berg am anderen Ufer, den die Burg Hohensteyn krönte, die Burg, auf der der letzte Graf Steyn saß, Rupert Graf von Steyn… Rupert. Michaela schloß die Augen. Wenn doch alles nur ein Traum gewesen wäre, ein Traum, der vorbeigehen würde wie jeder andere auch, und aus dem man erwachen könnte, ohne Herzweh, nur mit einer schönen Erinnerung. War sie darum hierhergekommen, um in noch tieferen Zwiespalt gestürzt zu werden? Wäre es nicht genug gewesen, mit dem Wissen in die Ehe zu gehen, daß man dem Mann, den sich der Vater zum Schwiegersohn wünschte, wohl Achtung, aber keine Liebe würde entgegenbringen können? Man hätte wenigstens den Vater glücklich machen können, den einzigen Menschen, der aus dem großen Zusammenbruch geblieben war, der einen unter Einsatz seines eigenen Lebens aus dem brennenden Schloß der Ahnen geholt und auf seinen Armen aus einem Inferno getragen hatte. Das verlorene Schloß der Ahnen. War das der Grund, warum sich der Vater so sehr wieder ein Schloß für sein Kind wünschte? Nein, das wohl nicht allein. Er achtete, ja, er liebte den Sohn seines Freundes, Tassilo Fürst von Waldeneck. Und der alte Herr von Waldeneck hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als die einzige Tochter seines Freundes Arne, des Grafen von Fjöllrup, eines entfernten Verwandten aus dem Baltikum, als seine Tochter begrüßen zu können. Ein Traum der Väter. Und die Träume der Kinder? Hatten sie überhaupt Träume? Sie hatten einander nicht sehr oft gesehen. Tassilo von Waldeneck war in einem Stift erzogen worden, hatte später an der Hochschule studiert, hatte seinen Agraringenieur und dann den Doktor gemacht und war schließlich auf eine Weltreise gegangen, um sich auch fremden Wind um die Ohren wehen zu lassen – wie es hieß. Er war lange ausgeblieben – zu lange für den Vater. Und als der Sohn endlich zurückkam, hatte man so manches Gerücht gehört, aber niemals die volle Wahrheit. Vor drei Wochen war es gewesen, da hatte Arne Fjöllrup seine Tochter zu sich gerufen.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
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Michaela hatte die Hände um die Knie geschlungen, den Rücken gegen einen Baum gelehnt, und so saß sie nun schon seit einer Stunde und sah hinab ins Tal.
Von der Bergkuppe aus, vom Finkenstein, der sich wie ein abgeplatteter Kegel über die runden Hügel ringsum erhob, konnte man weit ins Land sehen… bis zu dem Silberband des Flusses und dem Berg am anderen Ufer, den die Burg Hohensteyn krönte, die Burg, auf der der letzte Graf Steyn saß, Rupert Graf von Steyn… Rupert.
Michaela schloß die Augen. Wenn doch alles nur ein Traum gewesen wäre, ein Traum, der vorbeigehen würde wie jeder andere auch, und aus dem man erwachen könnte, ohne Herzweh, nur mit einer schönen Erinnerung.
War sie darum hierhergekommen, um in noch tieferen Zwiespalt gestürzt zu werden? Wäre es nicht genug gewesen, mit dem Wissen in die Ehe zu gehen, daß man dem Mann, den sich der Vater zum Schwiegersohn wünschte, wohl Achtung, aber keine Liebe würde entgegenbringen können?
Man hätte wenigstens den Vater glücklich machen können, den einzigen Menschen, der aus dem großen Zusammenbruch geblieben war, der einen unter Einsatz seines eigenen Lebens aus dem brennenden Schloß der Ahnen geholt und auf seinen Armen aus einem Inferno getragen hatte.
Das verlorene Schloß der Ahnen. War das der Grund, warum sich der Vater so sehr wieder ein Schloß für sein Kind wünschte?
Nein, das wohl nicht allein. Er achtete, ja, er liebte den Sohn seines Freundes, Tassilo Fürst von Waldeneck. Und der alte Herr von Waldeneck hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als die einzige Tochter seines Freundes Arne, des Grafen von Fjöllrup, eines entfernten Verwandten aus dem Baltikum, als seine Tochter begrüßen zu können.
Ein Traum der Väter.
Und die Träume der Kinder? Hatten sie überhaupt Träume?
Sie hatten einander nicht sehr oft gesehen. Tassilo von Waldeneck war in einem Stift erzogen worden, hatte später an der Hochschule studiert, hatte seinen Agraringenieur und dann den Doktor gemacht und war schließlich auf eine Weltreise gegangen, um sich auch fremden Wind um die Ohren wehen zu lassen – wie es hieß.
Er war lange ausgeblieben – zu lange für den Vater. Und als der Sohn endlich zurückkam, hatte man so manches Gerücht gehört, aber niemals die volle Wahrheit.
Vor drei Wochen war es gewesen, da hatte Arne Fjöllrup seine Tochter zu sich gerufen. Michaela erinnerte sich noch genau; jede Kleinigkeit hatte sich ihr eingeprägt.
Sie stand damals gerade im Stall neben dem Tierarzt, der einem prächtigen Fohlen ins Leben verholfen hatte. Sie rieb dem Jungen das nasse Fell mit Stroh ab, bis es seidig zu glänzen begann, da kam der Förster, der bei Arne Fjöllrup zu einer Besprechung gewesen war und zu dem die kleine Michaela »Onkel« zu sagen gelernt hatte, und sagte ihr, ihr Vater lasse sie zu sich bitten.
»Sofort?« hatte sie gefragt, und der Förster hatte dazu genickt.
Michaela hatte sich die Hände in einem Eimer Wasser gereinigt, die derbe blaue Leinenhose und die Stiefel ausgezogen, hatte beides in einer kleinen Kammer neben dem Stall abgelegt und war ins Haus gegangen.
Fjöllrup stand in seinem Zimmer und sah ihr durch die geöffnete hohe Flügeltür entgegen. Er erschien ihr erregt oder zumindest bewegt. Er hielt einen Brief in der Hand, einen großen, engbeschriebenen Bogen, wie sie sah.
»Vati, was ist geschehen? Böse Nachricht von irgendwo?«
»Nein, Michaela, im Gegenteil. Komm, mein Kind, setz dich zu mir und hör mir zu.«
Die Stimme des Vaters war fast feierlich gewesen, ja, ihr war vorgekommen, als ob sie leise geschwankt hätte.
Nichts hatten sie damals retten können als das nackte Leben – zu ihrem großen Glück … eine Handvoll wertvollster Edelsteine.
Michaelas Erinnerungen reichten nicht so weit zurück. Sie begannen erst, als sie bereits wieder in Geborgenheit lebten. Sie empfand es als Geborgenheit, daß sie beim Vater sein konnte, warmes Essen hatte und ein Dach über dem Kopf. Die Edelsteine hatten dazu gedient, Arne von Fjöllrup ein neues Leben zu ermöglichen.
Ein kleines, halb niedergebranntes Gut hatte er erwerben können. In harter Arbeit hatte er daraus eine neue Heimat für sich und sein Kind geschaffen.
Michaela wandte den Blick vom Bild der Mutter ab und sah dem Vater in das geliebte, von Furchen gekerbte Gesicht. Arne von Föllrup war an Jahren noch nicht alt, doch sein Haar war schneeweiß, und seine Züge sprachen von einem schweren Schicksal.
Doch heute waren sie wie durchsonnt. Ein Schein stand in den Augen des Vaters, den Michaela selten zu sehen bekam. Vielleicht hatte sie ihn überhaupt noch nie so glücklich gesehen.
»Vati, du siehst so strahlend aus. Es muß etwas sehr Schönes sein, was du mir zu sagen hast.«
»Ja, mein Kind, etwas sehr Schönes. Das Schönste, das ich mir in diesem Leben überhaupt noch hätte wünschen können.«
»Und was ist das, Vati?«
Als Arne von Fjöllrup die Augen seines Kindes so erwartungsvoll auf sich gerichtet sah, da wollte ihm plötzlich ein wenig bang werden. Was er als größtes Glück für seine Tochter ansah, was er seit vielen Jahren so heiß ersehnt und kaum zu hoffen gewagt hatte – würde es auch wirklich das Glück für sein Kind sein?
Liebe kann man nicht befehlen, Glück nicht erzwingen. Er wußte es aus eigener Erfahrung. Nie hätte er eine andere Frau so lieben können wie das arme Mädchen, das schließlich die Mutter seines Kindes geworden war. Die schöne Prinzessin, die ihm sein Vater, Michaelas Großvater, zugedacht hatte, er hätte sie nie lieben können.
Er hatte eine kleine Baronesse aus einem alten, aber völlig verarmten Adelsgeschlecht geheiratet und mit ihr den Himmel auf Erden gefunden.
Würde auch sein Kind mit Tassilo von Waldeneck den Himmel auf Erden finden? Schwere Bedenken wollten ihn plötzlich bedrängen, doch dann war die Freude über den Brief des Freundes größer als alle anderen Gedanken und Gefühle.
»Waldeneck hat mir geschrieben, Michaela.«
»Ja, Vati? Und was schreibt er?«
Wie schwer war es, vor den großen, fragenden Augen seines Kindes auszusprechen, was sich die beiden Väter so sehr wünschten. Doch war nicht immer volle Wahrheit zwischen ihm und seinem Kind gewesen? Hatten sie nicht über das Verhältnis Vater-Tochter hinaus als Kameraden zueinanderfinden müssen, um schwere Jahre durchzustehen? Die kleine Michaela – als Kind war sie dem Vater schon Kameradin gewesen, weit verständig und reif über ihr Alter hinaus.
»Michaela, Rainmar von Waldeneck und ich haben einen schönen Traum geträumt. Und wir beide wären glücklich, wenn er sich erfüllen könnte. Kannst du dir nicht vorstellen, welcher Traum das ist?«
Michaela sah den Vater an, dann nickte sie.
»Ich kann es mir vorstellen, Vater, du hast zu oft von Tassilo gesprochen; ich weiß, wie du den Sohn deines Freundes liebst.«
»Und Rainmar von Waldeneck würde dich wie eine Tochter lieben, Michaela.«
Michaela sah zu Boden.
»Und Tassilo?« fragte sie leise.
Arne von Fjöllrup schwieg eine Minute. Auch er sah nun zu Boden. Er dachte daran, wie er um die geliebte Frau angehalten hatte. Er war mit einem Herzen voll heißer Liebe gekommen. Tassilo war nicht gekommen. Der Vater hatte geschrieben.
»Warum kam Tassilo nicht, um mit mir zu sprechen?« fragte sie. Sie vermied das Wort »zuerst mit mir zu sprechen«, um den Vater nicht zu kränken. Noch war es in ihrem Kreis Sitte, daß man erst zu den Eltern kam… trotz der neuen, modernen Zeit. Aber die jungen Menschen, die ihren Lebensweg zusammenlegen wollten, die wußten doch vorher schon, ob sie es auch wirklich wünschten, bevor sie mit den Eltern darüber sprachen.
»Michaela«, sagte der Vater, und die ganze Liebe zu seinem Kind lag in seiner Stimme. »Ich sagte dir schon: Es war ein Traum – oder, ich möchte es aufrichtig zugeben: Es ist ein Traum der Väter. Aber dieser Traum ist kein Zwang, mein Kind. Und darum schrieb Rainmar zuerst mir. Jeder Vater sollte mit seinem Kind darüber sprechen…«
Er brach ab. Je mehr Worte er machte, desto klarer wurde er sich der Tatsache bewußt, daß sie beide, Waldeneck und er, doch nicht richtig handelten.
Michaela und Tassilo mußten miteinander leben können. Keiner von ihnen wollte doch, daß sein Kind unglücklich werden sollte. Nur war in beiden Vätern der Stolz so groß, daß sie sich gar nicht vorstellen konnten, daß man mit seinem Kind nicht glücklich werden könnte.
»Und was sagt Tassilo?« fragte Michaela, und dabei sah sie den Vater voll an.
»Rainmar schrieb mir, daß Tassilo erst wissen wolle, ob du seinem Wunsch nicht ganz abgeneigt gegenüberstehen würdest.«
»Seinem Wunsch oder dem Wunsch seines Vaters?« forschte Michaela weiter.
Der Vater tastete in seine Rocktasche, zog ein Tuch heraus und wischte sich damit über die Stirn. Und diese kleine, hilflose Geste rührte Michaela so sehr, daß sie nicht anders konnte, als auf den Vater zuzutreten und sich eng an seine Brust zu schmiegen.
Da atmete Arne von Fjöllrup auf; ein Arm hielt sein Kind ganz dicht an sich gedrückt; seine Hand streichelte über das braune, seidige Haar, das die Farbe reifer Kastanien hatte.
»Michaela, du sollst nicht unglücklich werden, weil dein Vater einen schönen Traum verwirklicht sehen wollte. Du sollst ganz frei entscheiden können. Ich weiß, daß dein Herz noch nie für einen Mann geschlagen hat, und ich weiß, daß Tassilo ein Ehrenmann ist. Ich weiß auch, daß ich dich bei ihm geborgen wüßte, und – ich sage es aufrichtig – ich wäre glücklich, wenn ich dich in dem Rahmen wüßte, in dem einmal deine schöne Mutter gelebt hat.«
»Vati, sag’ mir bitte genau, was Rainmar von Waldeneck dir schrieb. Natürlich nur, wenn du es mir sagen kannst und willst.«
»Das kann ich, Michaela, ich habe keine Geheimnisse vor dir. Er schrieb mir, wie glücklich er wäre, eine Tochter wie dich zu bekommen. Und er schrieb mir aufrichtig, daß Tassilo durch eine schwere Enttäuschung gegangen sei. Aber…«
»Aber, Vati? Sprich nur ruhig weiter. Ich will dich doch verstehen, dich und deinen Freund und – auch Tassilo. Ich kann mir denken, daß es sehr bitter ist, zu lieben und dann enttäuscht zu werden. Mir hat ein gütiges Schicksal bisher ein solches Los erspart. Berichte ruhig, was dein Freund Waldeneck geschrieben hat.«
»Er feiert bald seinen 70. Geburtstag. Er bittet uns, mit ihm zu feiern und einige Wochen seine Gäste zu sein. Tassilo und du, ihr hättest dann Zeit, euch näher kennenzulernen. Und solltet ihr dann beide glauben, daß ihr…, daß ihr miteinander glücklich werden könntet, dann würde Tassilo im Herbst heiraten wollen.«
»Im Herbst? Heuer?«
»Ja.«
»So schnell, so überstürzt? Ja, warum denn nur? Es wäre doch besser, wenn wir uns erst einige Zeit, längere Zeit, meine ich, kennenlernen könnten. Eine Ehe ist doch eine große Verantwortung; da muß man doch vorher einiges voneinander wissen.«
Es war nicht leicht, den Blicken seines Kindes standzuhalten, aber Arne von Fjöllrup tat es doch. Er wußte, daß er Michaela viel zumutete.
Wenn er ihr jetzt den Grund sagte, warum Tassilo von Waldeneck so überstürzt heiraten wollte, dann konnte er damit alles zerstören – in Michaela zerstören. Denn mußte sie sich dann nicht bloß wie ein Mittel zum Zweck vorkommen? Aber nie würde er Michaelas Vertrauen aufs Spiel setzen, indem er in irgendeiner Sache den wahren Grund verschleierte.
Sie sollte die volle Wahrheit wissen. Er vertraute auf den, der alle Geschicke lenkt. Wenn es sein Wille war, dann würde Michaela Tassilo von Waldenecks Frau werden und mit ihm auch glücklich werden.
»Es hat seinen Grund, warum Tassilo bis zum Herbst verheiratet sein will – besser gesagt: sein muß.«
»Muß?«
»Ja, mein Kind. Waldeneck ist ein uralter Besitz, der selbst heute noch an ziemlich strenge Gesetze gebunden ist. Wenn der direkte Erbe nicht bis zu seinem 30. Lebensjahr vermählt ist und dadurch Aussicht besteht, daß die Nachfolge gesichert wird, fällt der Hauptbesitz dem nächsten in Betracht kommenden Erben zu.«
»Aber – aber das ginge doch gar nicht. Tassilo hat keine Geschwister.«
»Aber einen entfernten Vetter. Und dieser Vetter genießt nicht den besten Ruf. In seinen Händen würde niemand Waldeneck sehen wollen – von allen materiellen Erwägungen abgesehen. Rein ideell schon wäre es für Rainmar und Tassilo undenkbar, ihren Besitz in solchen Händen zu wissen.«
»So ist das«, sagte Michaela leise und war sehr blaß geworden. »So ist das, weil er heiraten muß.«
»Michaela, er will selbst mit dir darüber sprechen. Er will, daß zwischen dir und ihm nicht der leiseste Schatten von Mißtrauen steht. Und wenn er seinen Vater bat, mir zu schreiben, so geschah es, um dich aus allem herauszuhalten, solange er nicht weiß, ob du auch nur geneigt bist, ihn hier als Besuch sehen zu wollen.«
Die blassen Wangen färbten sich wieder, die Augen verloren den Schein von Trauer. Das war eine Sprache, die sie verstand, die sie liebte.
»Es ist doch dein Haus, Vati, nur du hast zu bestimmen, wen du als Gast empfangen willst.«
»Es ist mein Haus, aber du bist die Herrin. Und es geht um dich, nur um dich. Darf ich dir noch sagen, was Rainmar weiter schrieb?«
»Bitte, Vati.«
»Er schrieb mir ganz offen von der Unterredung, die er mit seinem Sohn hatte. Rainmar und Tassilo sind nämlich nicht nur Vater und Sohn, sondern vor allem Freunde, so wie wir beide, mein Kind.«
»Danke, Vati. Das ist schön, daß du das sagst. Schön für dich und mich und für Herrn von Waldeneck und für Tassilo. Das ehrt die beiden.«
»Tassilo ist mit seinem Herzen ganz ungebunden. Er sieht ein, daß er seinem zukünftigen Besitz gegenüber Verpflichtungen hat. Aber wenn er – so sagte er zu seinem Vater – wenn er heiraten müsse, dann würde er nur dich wählen.«
»Und warum gerade mich? Wir kennen einander kaum.«
»Weil du die einzige Frau seist, vor der er Achtung haben könne. Nur so wolle er in eine Ehe gehen: wenn schon nicht aus Liebe, so aus tiefer Achtung und – was er sich sehr wünsche und eigentlich auch erwarte: aus tiefer Sympathie.«
»Aus Achtung und Sympathie – das ist eigentlich sehr viel, Vati.«
»Ja, mein Kind, das ist sehr viel. Es berechtigt zu der Hoffung, daß aus beiden Gefühlen Liebe werden könne. Und aus dieser Hoffnung heraus wagte ich überhaupt, zu dir darüber zu sprechen.«
»Vati…«
»Ja, mein Kind?«
»Darf ich es mir überlegen? Würdest du mir vielleicht erlauben, auf ein paar Wochen zu Daniela zu fahren? Sie hat mich ohnehin eingeladen, das Fest ihrer Großjährigkeit mit ihr zu feiern. Wenn du so lieb wärst, Herrn von Waldeneck zu schreiben, daß wir Tassilo in einigen Wochen bei uns erwarten, dann können Tassilo und ich miteinander offen sprechen. Wir werden nicht lange brauchen, um zu wissen, ob wir den Wunsch unserer Väter erfüllen können. Ich werde mir dann ganz klargeworden sein. Wenn du mir nur ein bißchen Zeit läßt, Vati. Für ein Mädchen, das zu Hause glücklich war und sich gar nicht vorstellen kann, vom Vater einmal weggehen zu müssen, ist es nicht so leicht. Man überwindet die Trennung vielleicht überhaupt nur, wenn man den Mann, mit dem man gehen soll, sehr liebt. Wenn du mich verstehen wolltest, Vati…«
»Ich verstehe dich sehr gut, Michaela. Und ich bin glücklich, daß du nicht von vornherein ein Nein hast.«
»Wenn es doch dein Traum wäre, Vati…«
»Kind, nein! So ist das nicht! Nur um meinen Traum zu erfüllen, sollst du nicht unglücklich werden. Eine solche Gewissensangst darfst du mir nicht auf die Seele legen, Michaela. Wenn du nicht glaubst…«
»Wenn ich nicht glaube, mit Tassilo einmal sehr glücklich sein zu können, dann sage ich nein. Recht so, Vati?«
»Ja, mein Kind. Genau so ist es recht. Dann bleiben wir eben weiterhin auf unserem Weidenhöh beisammen und warten, ob einer kommt, der dein kleines Herz erobern könnte. Wir haben es ja sehr schön zusammen, gelt?«
»Ja, Vati. So schön, daß ich gar nie daran gedacht habe, es könnte einmal anders werden.«
»Gar nie, Michaela? Haben denn nicht alle jungen Mädchen Träume von Liebe und Glück? Sehnsucht nach mehr, als auch die geliebtesten Eltern geben können?«
»Ich weiß nicht recht, Vati. Wir hatten eine so schwere Zeit, und ich war so froh, daß wir uns eine richtige Heimat schaffen konnten. Für Träume blieb da wenig Raum. Oder sie waren nur so ganz, ganz vage – uneingestanden.«
Arne von Fjöllrup sagte nichts mehr. Aber in diesem Augenblick wurde eine Angst riesengroß in ihm: daß seinem Kind eines Tages die große Liebe begegnen könnte, wenn es schon an einen anderen gebunden war.
Und was dann? Dann würde Michaela, wie er sie kannte, zu dem einmal gegebenen Wort stehen und unglücklich sein.
Er schob diesen Gedanken fast gewaltsam von sich. Er wollte auf den vertrauen, der bisher geholfen hatte, daß alles für sein Kind und ihn gut geworden war. Es würde auch weiterhin so sein. Aber er sah trotzdem Tassilos Besuch mit Bangen entgegen.
*
Am anderen Tag ging ein Brief nach Waldeneck, und als die Antwort kam, daß Tassilo in einigen Wochen eintreffen würde, reiste Michaela zu ihrer Freundin Daniela. Als sie auf dem kleinen Bahnhof Arnsfelden eintraf, hatte sie keine Ahnung, daß die Wirtschafterin Bettina vergessen hatte, das Telegramm, das ihre Ankunft hätte anzeigen sollen, aufzugeben.
Michaela stand mit ihren Koffern auf dem Bahnsteig, der Zug war längst weitergefahren, und sah sich verwundert um. Es war ein heißer Tag, die Sonne brannte auf das kleine Bahnhofsgebäude nieder, vor dem die Blumen die Köpfe hängen ließen. Der kleine Rauhhaardackel, den Michaela kannte und der sonst immer auf sie zugeschossen war, wenn er sie nur von weitem erblicken konnte, lag im Schatten und rührte sich nicht von seinem Platz. Selbst die Hühner, die sonst gern auf dem Bahndamm scharrten, suchten den kühlsten Ort und hatten gar keine Freßlust.
Michaela wischte sich über die Stirn. Wenn sie noch lange hier in der Mittagsglut stand, ohne Hut, dann würde sie Kopfweh bekommen. Sie bückte sich ein bißchen seufzend zu den zwei schweren Koffern nieder und nahm sie mit einem kleinen Ruck auf. In diesem Augenblick trat ein Herr aus dem Bahnhofsgebäude und sah zu ihr herüber. Eine Sekunde stutzte er, dann kam er auf sie zu.
»Darf ich vielleicht behilflich sein?«
Zwei lachende blaue Augen blitzten sie an, ein braunes Gesicht beugte sich ein wenig ihr zu – da gab es Michaela einen Schlag gegen das Herz, daß sie glaubte, keinen Atem mehr bekommen zu können. Das Lächeln des Mannes wurde tiefer, plötzlich warf er, ohne Grund, seinen Hut hoch in die Luft und fing ihn mit einem Lachen wieder ein.
Michaela sah ihn verständnislos an. Sie war so verwirrt, daß sie kein Wort herausbrachte; ein Schwindel hatte von ihr Besitz ergriffen – war das von der Sonne, oder was war es sonst? Hilflos hob sich ihre Hand und wurde festgehalten.
»Wollen wir nicht schauen, aus der Sonne zu kommen? Heute brennt sie sehr stark. Wenn es nur ohne Gewitter und Hagelschlag abgeht.«
»Oh, das wäre furchtbar!« konnte Michaela nur mechanisch sagen.