Der Sohn des Banditen - G.F. Barner - E-Book

Der Sohn des Banditen E-Book

G. F. Barner

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Beschreibung

Begleiten Sie die Helden bei ihrem rauen Kampf gegen Outlaws und Revolverhelden oder auf staubigen Rindertrails. G. F. Barner ist legendär wie kaum ein anderer. Seine Vita zeichnet einen imposanten Erfolgsweg, wie er nur selten beschritten wurde. Als Western-Autor wurde er eine Institution. G. F. Barner wurde als Naturtalent entdeckt und dann als Schriftsteller berühmt. Seine Leser schwärmen von Romanen wie "Torlans letzter Ritt", "Sturm über Montana" und ganz besonders "Revolver-Jane". Der Western war für ihn ein Lebenselixier, und doch besitzt er auch in anderen Genres bemerkenswerte Popularität. Die Nacht hatte tausend Schatten und nur wenige Lichter, aber Augen hatte sie. Und eines davon war das Zielfernrohr über dem langen Lauf der kleinkalibrigen Pox-Special. Das Todesauge lauerte, starrte wachsam über das Schuppendach von Bensons Stellmacherei hinweg, wartete auf den Mann, der die Leiter angestellt hatte und jeden Moment auf dem Dach erscheinen musste. Die Hand tauchte aus dem Nichts auf, griff nach der Dachkante. Siehst du, gleich bist du tot, dachte der kleine Mann, gleich, Spitzel! Du merkst das gar nicht. Brad Stevens hat auch nichts gemerkt. Der kleine Mann hatte sich so auf das Ziel konzentriert, dass er die Schritte zu spät hörte. Er vernahm sie erst, als sie dicht vor seiner Zimmertür waren. Im nächsten Moment riss der kleine Mann das Gewehr an sich und warf sich auf sein Bett, hielt das Gewehr in den Händen und sah, wie die Tür aufging. Vom Flur aus fiel Licht in den dunklen Raum unter dem Dach. An der Tür stand ein Mann. »Du verdammter Narr!«, zischelte der kleine Bursche. »Tür zu, schnell!« Aus, dachte der Kleine, aus! Dieser Narr, was muss er denn ausgerechnet jetzt kommen! Die Dunkelheit lag wieder im Raum. Der Besucher keuchte laut. »Mensch, was ist?«

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G.F. Barner – 171 –

Der Sohn des Banditen

G.F. Barner

Die Nacht hatte tausend Schatten und nur wenige Lichter, aber Augen hatte sie. Und eines davon war das Zielfernrohr über dem langen Lauf der kleinkalibrigen Pox-Special. Das Todesauge lauerte, starrte wachsam über das Schuppendach von Bensons Stellmacherei hinweg, wartete auf den Mann, der die Leiter angestellt hatte und jeden Moment auf dem Dach erscheinen musste.

Die Hand tauchte aus dem Nichts auf, griff nach der Dachkante.

Siehst du, gleich bist du tot, dachte der kleine Mann, gleich, Spitzel! Du merkst das gar nicht. Brad Stevens hat auch nichts gemerkt.

Der kleine Mann hatte sich so auf das Ziel konzentriert, dass er die Schritte zu spät hörte. Er vernahm sie erst, als sie dicht vor seiner Zimmertür waren.

Im nächsten Moment riss der kleine Mann das Gewehr an sich und warf sich auf sein Bett, hielt das Gewehr in den Händen und sah, wie die Tür aufging. Vom Flur aus fiel Licht in den dunklen Raum unter dem Dach.

An der Tür stand ein Mann.

»Du verdammter Narr!«, zischelte der kleine Bursche. »Tür zu, schnell!«

Aus, dachte der Kleine, aus! Dieser Narr, was muss er denn ausgerechnet jetzt kommen!

Die Dunkelheit lag wieder im Raum. Der Besucher keuchte laut.

»Mensch, was ist?«

»Bleib bloß an der Tür! Draußen kriecht eine verdammte Ratte herum!«

»Waas?«

Der kleine Mann war schon wieder hoch und huschte ans Fenster.

»Was ist denn? Wo ist er?«

»Da, rechts! Vorsichtig! Er liegt genau am Fenster und muss jedes Wort hören können. Mensch, du hast alles verdorben. Ich hätte ihn abknallen können. Jetzt geht das nicht mehr, er fiele ja in die Durchfahrt zur Stellmacherei. Benson wäre aus dem Bett, ehe wir unten wären und den Kerl wegschaffen könnten.«

Der andere Mann zwängte seinen massigen Körper in das schmale Fenster und sah hinaus.

»Wer ist das?«, wisperte er, nachdem er den Schatten ausgemacht und sich wieder ins dunkle Zimmer zurückgezogen hatte.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der kleine Mann. »Pass auf, ich weiß, wie wir ihn erwischen. Du gehst in den Hof und nimmst die große Laterne mit. Dann steigst du auf den Buggy und tust so, als müsstest du das Verdeck abmachen. Dabei hältst du die Laterne hoch. Das Licht muss auf das Dach fallen, dann sehe ich ihn. Raus mit dir, hol die Laterne!«

»Mein Gott, der Boss hat die wichtigsten Leute in dem Zimmer um sich«, sagte der Große. »Wenn der elende Spitzel alles hört, dann weiß er doch Bescheid! Wir müssen den Boss warnen!«

»Bist du irr? Das merkt der Spitzel doch!«

Gleich darauf klappte die Tür leise. Der kleine Mann war wieder allein und dachte an Brad Stevens, den er erschossen hatte, weil Stevens’ Schnüffelei für sie zu gefährlich geworden war. Die Wells Fargo hatte einen anderen Stationsagenten geschickt – Woods! Doch der Mann auf dem Dach war nicht Woods!

Der kleine Mann trat ans Fenster, denn die Hoftür klappte, Licht fiel über Hof und Stall. Eine halbe Minute später zuckte der Lichtschein wie zufällig auch auf das Anbaudach. Der Spitzel sah sich um, kroch blitzschnell hinter den Küchenschornstein. Einen Moment fiel das Licht in sein Gesicht.

Das ist ja Bill Londsdale, der Stallgehilfe, dieser unscheinbare Bursche.

*

Londsdale griff nach der Stalllaterne, zündete sie an und lächelte. Er dachte an Salem Slate, den Chief-Agenten der Wells Fargo. Manchmal war Slate der Mann mit den hundert Gesichtern und Decknamen, grauhaarig, am nächsten Tag konnte er semmelblond oder schwarzbärtig irgendwo auftauchen. Ein Meister der Maske.

Londsdale seufzte, ehe er durch den großen Schuppen ging. Doch dann lächelte er wieder, denn er wusste jetzt genug. Man brachte einen Stationsleiter der Wells Fargo nicht ungestraft um. Jeder Wells-Fargo-Mann wusste, dass er immer Rückendeckung hatte und andere da waren, auf die er sich verlassen konnte.

Armer Stevens, dachte Londsdale, was hast du gewusst? Du musst etwas herausgefunden haben, und darum brachten sie dich um.

Wer immer Brad Stevens getötet hatte, er hätte nach dem Schuss davonlaufen müssen. Über dieses offene Gelände? Sicher, es war Nacht gewesen, wer konnte nachts auf mehr als zehn Schritt schon jemanden treffen?

Das war euer Fehler, dachte Londsdale. Abgeschabte Baumrinde, Freunde! Also jemand mit einem Zielfernrohrgewehr. Von den Dingern gibt es verdammt wenige. Ich musste nur nach einem Mann mit einem Zielfernrohrgewehr suchen. Und ich habe ihn gefunden und beobachtet. Jetzt weiß ich längst Bescheid, ich kenne ihn, ich habe sogar mit ihm gesprochen, blöde getan. Meine beiden ersten Berichte sind hinausgegangen. Man weiß jetzt, wer der kleine Mann ist, der sein Gewehr in einer Lederhülle im Sattel trägt. Morgen geht der dritte Bericht ab, dann haben sie alle Namen. Das wird eine Überraschung.

*

Eine gewaltige Faust krachte Londsdale in den Rücken, doch der Agent war noch schneller. Immerhin hatte er die Linke frei. Er feuerte sie ab, indem er sich drehte. Dabei sah er den zweiten Mann.

Aus, dachte Bill Londsdale, zwei Mann sind zu viel. Die haben mich beobachtet.

Etwas traf seinen Kopf. Dabei sah Londsdale nichts als Feuer. Seine Knie gaben nach, und er stürzte zu Boden, rührte sich nicht mehr.

»Die Laterne, schnell!«

Der kleine Mann atmete schwer. Er stand breitbeinig neben Londsdale.

Gleich darauf wurde es hell, und der Große lehnte sich ächzend an die Tür.

»Wir müssen ihn binden. Such ein paar Stricke, mach schon, Mann!«

»Ja, ja!«

Der große Bursche lief los. Zwei Minuten später hatten sie Londsdale zu einem Paket verschnürt, ihm die Augen verbunden und einen Knebel in den Mund gestopft.

»Alles durchsuchen, aber gründlich. Dreh alles um!«

Sie taten es, zogen den schäbigen Holzkoffer unter Londsdales Pritsche hervor. Zuerst fanden sie gar nichts, kein Stück Papier, auch keinen Bleistift, geschweige denn Tinte und Feder.

Der Große kramte herum, und der kleine Mann stand jäh still, starrte auf den Koffer. In seinen Augen blitzte es plötzlich auf. Mit zwei Sätzen war er wieder an der Pritsche und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen den Innenboden.

»Hohl! Hör dir das an! Was ist denn? Vier Eckleisten und … Verdammt!«

Die Eckleisten ließen sich herausziehen, und der kleine Kerl kippte den Koffer um. Es klapperte irgendetwas, als der Innenboden herausfiel. Da lag es nun: Schreibzeug, ein kleines Heft, eine Packung Briefumschläge und Schreibpapier.

»Acht Umschläge«, zischelte der Kleine. »Es ist aber eine Zehnerpackung. Mal sehen, was er so in das Heft geschrieben …« Dann wurde er kreidebleich, denn er las seinen Namen. Seine Augen suchten, fanden das Datum. Vor drei Tagen hatte Londsdale diese Eintragungen gemacht.

»Was ist, Ken?«

»Ein Wells-Fargo-Agent!«, flüsterte Ken. »Der muss verschwinden! Ich auch. Sie kennen meinen Namen. Du gehst jetzt, sagst dem Boss Bescheid. Wir müssen einen Wagen haben und den Kerl wegschaffen!«

*

Die Schmerzen zerrissen Londs­dale. Er sah sie vor sich stehen und wusste, dass er verloren war, aber er lächelte rau. Sie hatten ihm die Beine losgebunden und ihn vom Wagen gestoßen. Jemand stand hinter ihm in diesem alten Minenstollen, an dessen Wänden eingesprenkeltes Quarz flimmerte. Auf einem Vorsprung stand die Laterne. Die andere hing rechts von ihm an einem in die Wand getriebenen Stahlhaken.

»Na, Londsdale, du bist ein fleißiger Schreiber, wie?«

»Man tut, was man kann«, erwiderte Londsdale genauso kalt. »Und jetzt? Ihr glaubt doch nicht etwa, dass die Wells Fargo keinen anderen Mann schickt, wenn ich tot bin? Ihr habt verloren, auch wenn euch das nicht aufgehen will.«

Der Mann holte blitzschnell aus, schlug ihm ins Gesicht.

»Halt ihn fest, den Kerl!«

Beim Klang der Stimme fuhr Londsdale zusammen. Es war die Stimme einer Frau, und er hatte nichts von ihr geahnt. Die Frau trat aus dem Hintergrund ins Licht, eine schöne Frau mit mandelförmigen Augen, rostbraunen Haaren und einer Figur, die Londsdale unter anderen Umständen länger betrachtet hätte. Jetzt blieb ihm keine Zeit. Er blickte in ihre Augen und las die Kälte, spürte, dass sie vielleicht gefährlicher als die Männer war.

»Londsdale, du hast zwei Berichte geschrieben. An wen? Wer ist der Mann?«

»Das möchten Sie wissen, was? Ihr habt Angst, er könnte schon in der Nähe sein. Vielleicht ist er in Silverton, oder in Silverhill, Howardville, irgendwo.«

»Hund, du wirst noch frech?«

Der Mann vor ihm holte aus, schlug zu. Londsdale blieb lallend liegen. Dann machte er sich schwer, denn er wusste, was nun kam. Der große Bursche würde ihn hochziehen, hinstellen, ihm zu nahe kommen und nicht daran denken, dass Londsdale vielleicht gelernt hatte, mit auf dem Rücken gebundenen Händen zu schießen.

Der große Bursche packte ihn am Kragen. Das war sein erster Fehler. Den zweiten machte er auch noch, denn er riss Londsdale so heftig in die Höhe, dass Londsdale gegen ihn prallte.

Die Hände des Wells-Fargo-Agenten glitten zur Seite, schnappten zu. Bill Londsdale bekam den Revolverkolben des großen Mannes zu fassen und schoss.

Der große Bandit stieß einen entsetzten Schrei aus. Seine Hände ließen den Agenten los.

Getroffen, dachte Londsdale, dann wurde es Nacht um ihn.

*

Mose Long, der Storekeeper, blieb wie gelähmt sitzen. Er bekam keine Luft mehr und starrte auf die funkelnde Klinge und die schmutzige Hand.

»Rühr dich nicht, Zwerg!«, zischte Shamlock, der gefürchtete Bandit. »Kein Laut, oder du bist des Todes!«

Long wurde kreidebleich.

»Ich gebe dir jetzt wieder Luft«, sagte Shamlock finster. »Schreist du, Hundesohn, bist du eine Sekunde später tot, verstanden? Mach das Maul auf, dann schneide ich dir die Gurgel durch. Du tust, was ich dir sage, oder der Satan soll dich holen!«

Er lockerte den Würgegriff. Der kleine Mann schnappte gurgelnd nach Luft, sank nach vorn und fiel beinahe in die Messerklinge.

Shamlock band ihm das bereits zusammengedrehte Handtuch um Mund und Nacken zusammen. Nun konnte Long nicht mehr schreien. Shamlock packte die linke Hand, er fesselte sie an die linke Stuhllehne, verfuhr mit der rechten nicht anders und warf dann einen Strick um Longs Beine. In weniger als einer Minute saß der ­Storekeeper festgezurrt auf seinem Drehstuhl. Shamlock trat nun an ihm vorbei an den Geldschrank. Er fand ihn verschlossen, kehrte brummend zu Long zurück und durchsuchte dessen Hosentaschen. Nachdem er die Schlüssel gefunden hatte, setzte er Long den Kneifer wieder auf die Nase. Der kleine Mann nahm sofort den Kopf herum, starrte Shamlock mit einer Mischung aus Angst und Wut an.

»Siehst du, ich bin freundlich zu dir«, sagte Shamlock grinsend. »Du darfst sogar sehen, was ich jetzt anstelle. Was hast du nur für einen alten, schäbigen Geldschrank? Den hätte ich mit einem Dosenöffner aufmachen können!«

Er ließ die Schlüssel vor Longs ­Augen klimpern, ehe er den Schrank aufschloss und einen leisen Pfiff ausstieß.

»Es ist immer gut, wenn man zum Wochenende einen Besuch macht«, kicherte Shamlock. »Du hast wohl morgen zur Bank gehen wollen, he? Siebenhundert Dollar die Woche, nicht schlecht für deinen Store. Und die zweihundert Harten noch dazu … Mann, du wirst es doch verschmerzen können?«

Er stieß Long den dreckigen Zeigefinger vor die Hühnerbrust.

Dann lauschte er, huschte los und verschwand.

*

James Long blieb wie vom Donner gerührt stehen. Er füllte mit seiner gewaltigen Gestalt die schmale Officetür vollständig aus.

»Mmppff!«, schnaubte Mose verzweifelt. »Muuhhhmmrn!«

Long riss sein Federmesser heraus, wollte zuerst die Fesseln zerschneiden, ließ es dann bleiben, denn Mose muhte und grunzte abwechselnd, sodass James ihm das Handtuch herabzerrte.

»Du verfluchter Narr!«, gurgelte Mose. »Nicht laut reden! Der Kerl ist noch da, er könnte dich hören! Mach mich los, schnell!«

Während ihn James losschnitt, berichtete er in knappen Worten, was ihm widerfahren war.

»Er ist noch im Hof«, keuchte Mose und sprang auf. »James, der Hundesohn kann noch nicht verschwunden sein! Schnell, wenn er im Stall steckt, haben wir ihn!«

James Long stieß einen Fluch durch die Zähne. Ging es um Geld und Pferde, sah er rot. Er rannte in den Store, stürmte in den Lagerschuppen und sah Charlie dort sitzen, aber der Junge interessierte ihn jetzt nicht.

Während James seine Schrotflinte holte, huschte der kleine Mose zu Charlie und schnitt ihn los.

»Vorn heraus«, zischelte Mose. »Hol Sheriff Jay Morgan her!«

*

Shamlock öffnete vorsichtig die Tür. Er hielt das Pferd, einen hochbeinigen Fuchswallach, am Zaumzeug und in der anderen Hand den Revolver. Der Bandit wartete einige Sekunden, ehe er aus der Tür blickte. Der Hof war leer. Auf der Straße rührte sich nichts.

Er lachte leise vor sich hin. Dann bückte er sich nach dem zugebundenen Sack, wuchtete ihn auf die Schulter und trat an das Pferd. Als er den Sack hochstemmte, um ihn hinter dem Sattel anzuschnallen, hörte er das leise Schurren.

Larry Shamlock fuhr herum, und in derselben Sekunde wusste er, dass er verloren war. Der Mann war schon da. Und er war so groß, dass Shamlock glaubte, einen Riesen aus grauer Vorzeit vor sich zu sehen. Shamlock sah noch das herumsausende Gewehr, duckte sich, kam aber nicht mehr davon. Shamlock sah den Riesen wie vor einer Feuerwand stehen.

Dann gellte die schrille Stimme des kleinen Halunken in Shamlocks Ohren. Er sah den Zwerg nicht, versuchte den Colt zu ziehen, doch er bekam den Arm nicht hoch.

*

»Halt still, Mann!«, sagte der Kerl, der ihn an den Ohren hielt, grimmig. »Er schneidet dir sonst noch den Hals ab. Mach weiter, Al, ich lasse ihn schon nicht los. Der Bart muss runter!«

Shamlock blinzelte. Er sah nur die Weste und den Sheriffstern.

»Schneid ihm nur den Hals durch, Al!«, giftete die meckernde Stimme Mose Longs. »Dasselbe hat er mir angedroht, dieser Strolch und Pferdedieb!«

»Na, auf eine Art hättest du nur sterben können«, sagte der Mann mit dem Orden grinsend. »Mose, immer ruhig, wir haben ihn ja, und gleich ist sein verdammter Bart ab, dann kann man wenigstens sein Gesicht erkennen. He, wie heißt du, Bandit?«

Shamlock stöhnte nicht mehr. Seine alte Frechheit ließ ihn sogar grinsen.

»John Miller.«

»John Miller?«, wiederholte der Sheriff spöttisch. »Ein besserer Name fällt dir wohl nicht ein, he? Wenn das wirklich stimmt, will ich nicht mehr Jay Morgan heißen. Leuchte doch mal, James!«

»Dem würde ich ganz anders leuchten, wenn ich ihn allein für mich hätte!«, grollte James Long. »Warum bist du so schnell gekommen, Jay? Mit dem hätten wir jetzt keinen Ärger mehr. Der lügt, wenn er sein hässliches Maul aufmacht.«

Der mittelgroße Mann wischte sein Rasiermesser ab. Dann reinigte er Shamlocks Gesicht von den letzten Schaumspuren.

»Wasch ihm gleich den Dreck richtig ab, Al!«, befahl Sheriff Morgan. »So einen schmutzigen Strolch habe ich noch nie im Jail gehabt. Morgen früh kannst du einen großen Kessel heißes Wasser machen. Dieses Ferkel muss man baden, Clarissa!«

»Selber Dreckferkel!«, sagte Shamlock bissig. »Ich habe bestimmt öfter in einem Badezuber gesteckt als du, Mann!«

Shamlock sah das Mädchen nicken. Sie mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein und stand schlank und blond am Gitter neben der Tür. Es war genauso blond wie Sheriff Morgan, hatte braune Augen und blickte ihn groß an.

Al, der Barbier, fuhrwerkte mit einem triefend nassen Lappen in Shamlocks Gesicht herum, dann trocknete er ihn ab und trat zurück.

»Sieh her!«, sagte Morgan grimmig. »Was denkst du, was ich hier habe, Miller? Na, wie war es denn in Canon City?«

»Du hast ihn! Du hast ihn!«, schrie James Long. »Wie heißt er?«

»Larry Shamlock.«

Al, der Barbier, fuhr zurück und ließ vor Schreck sein Rasiermesser fallen. Es zersprang auf dem Zementboden. Zwei andere Männer und eine Frau brachen in verstörte Rufe aus, die anderen sahen sich verwirrt an.

»Shamlock?«, wiederholte der dicke Mann kurzatmig. »Jay, was ist los? Warum ist Al so erschrocken?«

Der Barbier fluchte wild, ehe er sein zersprungenes Messer aufhob.

»Mann!«, stieß Morgan hervor. »Lest ihr denn keine Zeitung? Es muss vor zwei oder drei Wochen im ›Durango Star‹ gestanden haben. Cliff, erinnerst du dich nicht an das, was du selbst gedruckt hast?«

Der dicke Mann schüttelte den massigen Kopf.

»Wenn ich alles behalten sollte, was ich drucke … Nun sag schon, was ist mit ihm? Wer ist er?«

»Natürlich!«, schrie der Barbier aufgeregt. »Das blaue Zeug, das er trägt! Heiliger Rauch, er hat ihn ja ausgezogen! Jay, er hat noch die Sachen Marshal Calhouns an!«

»Genau!«, sagte Jay Morgan. »Calhoun muss ein Riese sein. Die Hosen sind dir viel zu weit und zu lang, Shamlock! Die Jacke auch, und das Hemd trägst du am Kragen offen, weil dein Hals zweimal hineinpasst! Du großer Gott, ich habe Shamlock erwischt, ich werde verrückt! Komm schnell, Matt, der Kerl muss sich ausziehen!«

»Ausziehen?«, fragte sein Deputy verwirrt. »Jay, warum?«

»So liest du Steckbriefe, was? Dann lies ihn schnell noch einmal durch, damit du schlau wirst. Sie haben ihn zweimal erwischt, und zweimal ist er ihnen auf rätselhafte Weise entkommen. Zuletzt hat er die Atchison Topeka und Santa Fé Railroad beraubt. Man erwischte ihn, als er in Trinidad vor dem geöffneten Geldschrank im Bahnoffice kniete und das Geld einsackte. Der verdammte Bursche hat früher in Kansas Banken und Bahngesellschaften beraubt und immer die Safes geöffnet.«

»Ein Bankräuber!«, sagte der Deputy. »Jay, wem ist er entkommen, einem Marshal?«

»Bahnmarshal Calhoun, ja!«, bestätigte Morgan. »Calhoun sollte ihn in einem verschlossenen Abteil zu einem zweiten Prozess nach Kansas City bringen. Der Zug hielt in La Junta, und der Zugbegleiter wollte dem Marshal Kaffee bringen, als …«