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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. In dem Hotelzimmer, das Sigrid Gordon für sich und ihren Sohn gemietet hatte, herrschte bedrückende Stille. Nur das Rascheln der Zeitung war manchmal zu hören. Sigrid hatte sich mit einigen Tageszeitungen an den kleinen Couchtisch gesetzt und prüfte sehr sorgfältig die Inserate. Sie war eine immer noch sehr attraktive Frau Mitte der Dreißig. Ihr braunes Haar fiel von einem Seitenscheitel in einer großzügigen Welle bis zum Kinn, auf ihrer frechen Stupsnase saß eine moderne Brille. »Mami?« Das war Gary, Sigrids fast zwölfjähriger Sohn, der in diesem fragenden, langgezogenen Ton nach ihr rief. Er saß am Fenster und starrte lustlos auf die belebte Straße der großen Stadt. »Ja, Gary?« Sigrid ließ die Zeitung sinken. Sie trug den gleichen knallroten Pullover wie ihr Sohn mit den gleichen schwarzen Einsätzen an der Schulter. Nur das Sportabzeichen auf dem Ärmel fehlte bei ihr. »Warum kaufst du mir keine Hockey-Schlager?« Die junge Frau seufzte. »Erstens heißt es der Hockey-Schläger, und zweitens hast du einen. Er ist bei dem Gepäck, das wir erst dann auspacken können, wenn wir eine Wohnung haben.« »Aber du könntest mir trotzdem eine Hockey-Schläger kaufen, Mami. Dann könnte ich ein wenig trainieren.« »Gary!« Sigrid sagte das so vorwurfsvoll, dass der Junge sich erstaunt zu ihr umdrehte.
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2023
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In dem Hotelzimmer, das Sigrid Gordon für sich und ihren Sohn gemietet hatte, herrschte bedrückende Stille. Nur das Rascheln der Zeitung war manchmal zu hören.
Sigrid hatte sich mit einigen Tageszeitungen an den kleinen Couchtisch gesetzt und prüfte sehr sorgfältig die Inserate. Sie war eine immer noch sehr attraktive Frau Mitte der Dreißig. Ihr braunes Haar fiel von einem Seitenscheitel in einer großzügigen Welle bis zum Kinn, auf ihrer frechen Stupsnase saß eine moderne Brille.
»Mami?«
Das war Gary, Sigrids fast zwölfjähriger Sohn, der in diesem fragenden, langgezogenen Ton nach ihr rief. Er saß am Fenster und starrte lustlos auf die belebte Straße der großen Stadt.
»Ja, Gary?« Sigrid ließ die Zeitung sinken. Sie trug den gleichen knallroten Pullover wie ihr Sohn mit den gleichen schwarzen Einsätzen an der Schulter. Nur das Sportabzeichen auf dem Ärmel fehlte bei ihr.
»Warum kaufst du mir keine Hockey-Schlager?«
Die junge Frau seufzte. »Erstens heißt es der Hockey-Schläger, und zweitens hast du einen. Er ist bei dem Gepäck, das wir erst dann auspacken können, wenn wir eine Wohnung haben.«
»Aber du könntest mir trotzdem eine Hockey-Schläger kaufen, Mami. Dann könnte ich ein wenig trainieren.«
»Gary!« Sigrid sagte das so vorwurfsvoll, dass der Junge sich erstaunt zu ihr umdrehte. Sein Gesichtsschnitt war dem seiner Mutter so ähnlich, dass es fast komisch wirkte. Aber seine Haare waren kurz geschnitten, und seine Augen waren um einiges dunkler als die seiner Mutter.
»Bitte, bemühe dich, etwas besser Deutsch zu sprechen. Wir sind nun einmal nicht mehr in Amerika. Und das mit dem Hockey-Schläger kannst du vergessen. Hier in der Stadt gibt es doch gar keine Möglichkeit, Hockey zu spielen. Sobald ich Nachricht aus Sophienlust bekomme, werde ich anrufen und fragen, ob du dort spielen kannst. Dann nimmst du deinen Schläger dorthin mit.«
»Ph!«, machte Gary. »Ich will ja nicht in diese Lust, diese Sophien … Diese Sophienlust. Dort soll ich nur lernen, immer nur lernen.«
Während Gary sich mit tragischem Gesichtsausdruck über sein zukünftiges Schicksal ausließ, schlug er mit der Faust auf die Fensterbank.
Seine Mutter tat so, als bemerke sie es nicht. Sie wusste, es war alles schwer genug für ihn, und zuweilen kam sie sich richtig schlecht vor, weil sie mit ihren Plänen die Wünsche ihres Sohnes so durchkreuzt hätte. Aber sie hoffte, dass es zu seinem Besten sein würde. Sie hatte von Sophienlust gehört und sich sofort darum bemüht, Gary dort unterzubringen. Aber noch hatte sie keine Zusage bekommen.
Sigrid sah, dass Gary sich mit einem bockigen Gesicht wieder auf das Geschehen auf der Straße konzentrierte und musste lächeln. Gary hatte noch nie eine Großstadt kennengelernt. Er war auf der unendlich weiten Farm seines Vaters aufgewachsen und dort sehr glücklich gewesen. Genauso glücklich wie sie. Für den Jungen war jedoch die Umstellung nach dem Tod seines Vaters doppelt schwer. Er hatte seine Umgebung und seine Freunde verloren und würde sich hier nun auf eine ganz andere Art bewähren müssen.
»O Mami«, begann er nun wieder zu jammern, »warum sind wir hierhergeflogen? Es ist ganz scheußlich, entsetzlich …«
Sigrid legte die Zeitung beiseite, erhob sich und trat zu ihrem Sohn. Mit einer tröstenden Geste legte sie den Arm auf seine Schulter.
»Wenn du das Leben hier erst einmal kennengelernt hast, Gary, wirst du es bestimmt sehr schön finden. Auch hier gibt es viele Jungen in deinem Alter. Einige von ihnen quälen sich ebenfalls mit der Schule herum. Und sie spielen Fußball statt Hockey. Aber sonstige Unterschiede zwischen dir und ihnen gibt es kaum.«
»Doch, Mami«, widersprach Gary leise. »Die haben bestimmt einen Vater. Und ich nicht.«
Seine Worte taten ihr weh. Behutsam strich ihre Hand über seinen Kopf. Sagen konnte sie nichts.
»Manchmal denke ich«, begann Gary wieder mit seinem ulkigen Akzent, »manchmal denke ich, du hast Daddy nicht richtig lieb gehabt. Warum sonst hast du die Farm verkauft?« Er drehte sich jetzt um. Unerbittlich blickten seine Augen sie jetzt an.
»Doch, Gary«, antwortete sie bewegt. »Ich habe Daddy sehr, sehr lieb gehabt. Sonst wäre ich ihm doch damals nicht nach Amerika gefolgt. Aber ein richtiger Landmensch war ich nie. Und nun …« Sie machte eine Pause und holte tief Luft, als habe sie in diesem Moment den schweren Entschluss noch einmal gefasst. »Und nun ist Daddy schon achtzehn Monate tot. Du darfst nicht vergessen, dass wir ganz allein dastehen. Drüben haben mich die Freunde deines Vaters nie so richtig akzeptiert. Wäre ich allein mit der großen Farm geblieben, wäre sie unweigerlich in die roten Zahlen gerutscht. Dein Daddy hat mir, als er noch lebte, selbst den Rat gegeben, alles zu verkaufen, wenn ich nicht den Mut hätte, die Farm weiterzuführen.«
»Ich hätte es ja tun können«, murrte Gary. »Ich ganz allein. Ich hätte dann nicht mehr jeden Tag so weit zur Schule fahren müssen und hätte den ganzen Tag auf dem Traktor gesessen. Du hättest keinen Finger, keinen Finger …«
»Keinen Finger krümmen müssen, Gary«, half Sigrid aus. Dann neigte sie sich zu ihm und legte ihr Gesicht an seine glühenden Wangen. »Trotzdem, lieber Junge, wir hätten es nicht geschafft. Ich habe einen anderen Beruf erlernt, den ich sehr liebe. Und ich liebe auch meine Heimat. Verstehst du das nicht?«
»No«, antwortete Gary trocken und ehrlich. »No. Das verstehe ich wirklich nicht.«
Sigrid musste lächeln. Es war ein trüber Frühlingstag.
Dunkle Wolken verdüsterten den Himmel. Sie jagten über die Stadt hinweg, sodass alle Passanten es sehr eilig hatten, nach Hause zu kommen. Wirklich, Deutschland zeigte sich nicht in seinem besten Licht.
»Morgen Früh gehen wir einkaufen, Gary. Wenn das Wetter besser ist, zeige ich dir auch die Stadt.«
»Kaufst du mir doch eine Hockey-Schlager?«
»Nein, Gary. Das ist eine dumme, unnötige Ausgabe, weil du schon einen hast. Wir brauchen ganz andere Sachen. Wenigstens ich. Mit meinem knallroten Pullover und den blauen Hosen finde ich bestimmt keine Stellung.«
Sigrid biss sich auf die Lippen. Sie hatte ganz vergessen, dass man sich in Europa viele Gedanken über Kleidung machte, und hatte sich in diesem Aufzug in einem Ingenieurbüro vorgestellt. Die verwunderten Blicke der technischen Zeichnerinnen würde sie nicht so schnell vergessen.
»Ich will Farmer werden, Mami«, brachte Gary nun wieder seine Wünsche zum Ausdruck. »Ich brauche nichts.«
Sigrid lachte. »Doch, Gary. Du brauchst eine Menge Bildung. Farmer werden kannst du immer noch. Dein Vater war auch auf dem College.«
»College ja, aber Gym … Wie heißt das?«
»Gymnasium, Gary.«
»So eine blöde Wort«, schimpfte er. »So eine blöde Wort in so eine blöde Land!«
Er stand auf, holte sich eines der Micky-Maus-Hefte, die er noch aus Amerika mitgebracht hatte, und lümmelte sich damit aufs Bett.
Sigrid sah ihm schweigend zu. Sie wusste, sie hatte vieles falsch gemacht und ihn sehr enttäuscht. Aber eins stand fest: Gary musste ein wenig geformt werden, sonst würde er es hier unnötig schwer haben. Und das wollte sie nicht. Denn er war ein lieber, herzensguter Junge. Mit jeder Faser ihres Herzens hing sie an ihm. Trotzdem musste sie sich von ihm trennen, wenn sie das Geld, das sie durch den Verkauf der Farm erhalten hatte, für Gary unangetastet lassen wollte.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Gary warf seiner Mutter einen lauernden Blick zu. Er fürchtete den Anruf aus Sophienlust, diesem schrecklichen Internat mit dem unaussprechlichen Namen. Am liebsten hätte er sich unter die Bettdecke verkrochen.
Sigrid ließ sich verbinden und begann zu strahlen. »Sie wollen es wirklich mit mir versuchen, Herr Dr. Pauli?«, fragte sie, wobei eine zarte Röte in ihre Wangen stieg.
Gary atmete auf. Das war nicht das Internat. Das war der Ingenieur, bei dem seine Mutter sich vorgestellt hatte.
»Ja«, hörte er sie sagen, »Englisch spreche ich perfekt. Und auch Französisch. Aber am liebsten arbeite ich am Zeichenbrett.«
Der Junge rümpfte seine Stupsnase und verdrehte die Augen in komischer Verzweiflung. Das war es doch, was alles so schlimm machte. Seine Mutter arbeitete so gern. Damit hatte alles Unglück begonnen. Dabei würde er viel lieber auf dem Traktor über die Weizenfelder fahren. In Amerika, versteht sich.
*
Der nächste Tag war noch immer stürmisch. Auch in Sophienlust. Nur hatten die grauen Wolken inzwischen das Weite gesucht und weißen Platz gemacht. Aber es war kühl. Der andauernde Sturm hatte kalte Luft herbeigetragen.
Denise von Schoenecker parkte ihren Wagen. Aber bevor sie das Herrenhaus von Sophienlust betrat, ging sie noch schnell in den Park. Dort tobten die Kleinen an den Spielgeräten herum. Erleichtert stellte sie fest, dass Heidi Holsten eine Strickjacke und ein wollenes Mützchen trug. Sie hatte gerade eine Mittelohrentzündung überstanden und musste noch vorsichtig sein.
Denise wollte sich wieder zurückziehen, denn sie hatte viel im Büro zu erledigen. Vor allem aber war sie gekommen, um mit Wolfgang Rennert zu sprechen, dem Sohn der Heimleiterin. Er war ein guter Pädagoge und Kunsterzieher und half den Sophienluster Kindern bei den Hausaufgaben sowie bei allen schulischen Schwierigkeiten.
»Tante Isi!«, rief da eine Kinderstimme.
Denise drehte sich um. Heidi Holsten kam auf sie zugesprungen. »Du, Tante Isi, meine Ohren zwicken gar nicht mehr. Darf ich morgen wieder zu Tante Andrea ins Tierheim?«
Denise zögerte einen Moment. In der letzten Zeit hatte Dr. Hans-Joachim von Lehn, ihr Schwiegersohn und Mann ihrer Stieftochter Andrea, alle Hände voll zu tun. Andrea half ihm dabei, so gut sie konnte.
»Ich werde Andrea anrufen, Heidi. Sie ist jetzt sehr viel mit ihrem Mann unterwegs. Du möchtest doch bestimmt, dass sie auch ein wenig Zeit für dich hat, wenn du kommst.«
»Ja, das möchte ich«, erwiderte Heidi.
»Gut. Dann werde ich Andrea anrufen und dir Bescheid sagen.«
Denise ging auf das Haus zu, aber Heidi wich nicht von ihrer Seite. »Weißt du, Tante Isi«, sagte sie nachdenklich und bemühte sich, mit Denise Schritt zu halten. »Eigentlich ist alles durcheinander. Andrea hat keine Zeit, Nick muss helfen, und Magda kocht keine Süßspeisen mehr. Immer gibt es Kompott oder Früchte zum Nachtisch.« Sie schob ihre Unterlippe vor und schüttelte unzufrieden den Kopf.
Denise musste lachen. »Ja, Heidi, so ist das eben manchmal. Wir haben momentan nur eine Praktikantin, und das ganze Haus ist voller Kinder. Wenn es ihnen gut gehen soll, müssen wir alle auf die kleinen Annehmlichkeiten verzichten. Es gibt manchmal Zeiten, da kommt alles zusammen. Aber warte nur, ich werde heute alle Hebel in Bewegung setzen, um wieder mehr Hilfe zu bekommen. Dann kann Magda auch bald wieder Süßspeisen herstellen. Oder hungerst du sehr?«
»Nein.«
Heidi lachte. Dann hüpfte sie zurück zu ihren Spielkameraden.
Denise schmunzelte noch immer, als sie schon in der Halle stand und ihr Kopftuch losband.
Manchmal war es ganz gut, wenn jeder zupacken musste. Dann lernten alle, auch die Kinder, jedes hilfreiche Wesen im Haus zu schätzen.
»Frau von Schoenecker?« Frau Rennert trat aus ihrem Büro. »Ein Glück, dass Sie da sind. Frau Gordon, die uns geschrieben hat, rief eben an. Sie wollte wissen, ob wir nun ihren Sohn Gary aufnehmen können.«
Denise ordnete mit ein paar mechanischen Handbewegungen ihr volles dunkles Haar und betrat mit der Heimleiterin das Büro. Durch die Fenster schien die helle Frühlingssonne und ließ auf unbarmherzige Weise die feinen Staubkörnchen auf den Schreibtischen sichtbar werden.
»Oje«, stöhnte Denise scherzhaft. »Überall werde ich daran erinnert, dass wir im Moment zu wenig Personal haben. Heidi vermisst schon Magdas gute Süßspeisen.«
»Heidi braucht sich am wenigsten zu beklagen«, erwiderte Frau Rennert lachend. »Weil sie der Liebling aller ist, bekommt sie genug Schokolade zugesteckt.«
Denise fiel in das Lachen der Heimleiterin ein. Doch dann wurde sie ernst. »Wegen Frau Gordon wollte ich gern mit Ihrem Sohn sprechen, Frau Rennert. Natürlich kann Gary Gordon sofort kommen. Allerdings weiß ich nicht, ob Ihr Sohn …«
»Ich habe schon mit Wolfgang gesprochen, Frau von Schoenecker. Er will den kleinen Amerikaner gern unterrichten.«
»Frau Gordon wird ihn gut bezahlen, Frau Rennert.«
Die Heimleiterin schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie wissen doch selbst, dass Wolfgang gar nicht an so etwas denkt.«
»Aber ich«, erklärte Denise energisch. »Bestimmt ist es keine leichte Arbeit, so einen Jungen für das Gymnasium vorzubereiten. Sein Deutsch wird nicht grade das beste sein. Wenn Frau Gordon sich einen anderen Nachhilfelehrer nehmen würde, müsste sie ihn auch bezahlen. Das kann sie auch, denn sie hat ihre riesige Farm verkauft und will dem Jungen von einem Teil des Geldes eine erstklassige Bildung zukommen lassen.«
»Aber er soll doch auch glücklich sein«, bemerkte Frau Rennert.
»Glücklich wird er bestimmt bei uns«, erwiderte Denise nachdenklich. »Nick, Fabian und die Mädchen werden schon dafür sorgen, dass er neben der Bildung auch eine Menge Spaß hat.«
»Wollen Sie trotzdem noch mit Wolfgang sprechen?«
»Ja, Frau Rennert. Ich will ganz sichergehen, dass er mit Freude an diese Aufgabe herangeht. In keinem Fall soll der Junge sich bei uns mit Heimweh plagen.« Denise erhob sich. »Wenn alles gut geht, können Sie Frau Gordon in einer halben Stunde anrufen. Bestimmt ist sie schon sehr ungeduldig, nicht wahr?«
Else Rennert nickte. »Ja, sie erzählte mir, dass sie schon nächste Woche eine Stellung antreten könnte. Aber sie kann erst dann endgültig zusagen, wenn sie Gary in guten Händen weiß.«
»Sie ist bestimmt eine gute Mutter«, sagte Denise nachdenklich. Dann verließ sie das Zimmer.
Wolfgang Rennert öffnete ihr persönlich, nachdem sie an seiner Wohnungstür geklingelt hatte. Er strahlte, als er sie sah. Und als sie in seine fröhlichen grauen Augen blickte, wusste sie, dass Gary kommen konnte.
»Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass Sie mit allem einverstanden sind, Herr Rennert«, sagte Denise, nachdem er sie zu der gemütlichen Couchecke geführt hatte, die neben dem Flügel im Wohnzimmer stand.
Wolfgang Rennert war groß und jung und eigentlich genauso, wie sich fröhliche Kinder einen netten Hauslehrer vorstelten. Jetzt setzte er sich Denise gegenüber und sagte: »Ich freue mich auf die Aufgabe, Frau von Schoenecker. Außerdem kann ich dadurch auch mein verrostetes Englisch ein wenig aufpolieren. Nur Latein wird etwas schwierig werden. Denn Gary wird in eine Klasse kommen, die schon zwei Jahre lang Latein hat.«
»Dafür kann er bestimmt andere Dinge, Herr Rennert. Wir müssen ihm nur moralische Unterstützung geben. Und die anderen Kinder dürfen ihn nicht hänseln, wenn er ein schlechtes Deutsch spricht.«
»Aber Frau von Schoenecker!« Wolfgang Rennert sah sie erstaunt an. »Keines unserer Kinder ist so dumm, dass es solche Fehler begehen würde. Im Gegenteil. Alle werden mit ihm nur Englisch sprechen wollen.«
Denise lachte.
»Dann lernt er natürlich nie Deutsch. Ich für meinen Teil werde mich nur in unserer guten Landessprache mit ihm unterhalten.« Sie stand auf und reichte Wolfgang Rennert die Hand.
»Wenn wir weiterhin so wenig Praktikantinnen haben«, erwiderte er lachend, »wird Ihnen nicht viel Zeit für gepflegte Konversation bleiben.«
»Eben«, seufzte Denise. »Ich werde mich jetzt gleich um eine Hilfe kümmern.«
Als Denise ins Büro zurückging, stand Nick in der Halle. Er sah aus wie ein Landarbeiter.
»Woher kommst du denn?«, fragte Denise.
»Kartoffeln ausgelagert«, antwortete Nick etwas brummig. »Wir brauchen Platz für die neuen. Ein ganzer Sack war noch von den Winterkartoffeln übrig. Den habe ich jetzt in die Speisekammer gebracht. Wenn Pünktchen und Irmela helfen, kann es heute Abend Kartoffelpuffer geben.«
Denise fuhr ihrem Sohn zärtlich über das Haar. »Fein, dass du uns so hilfst, Nick. Ich danke dir.«
»Die anderen helfen auch, Mutti.«
»Und die Kleinen vermissen die guten Süßspeisen«, berichtete sie.
Nick blickte in den großen Spiegel, der in der Halle hing, und zog mit seinem staubigen Gesicht eine Grimasse. »Das war bestimmt Heidi, nicht wahr? Sie sollte ganz still sein. Von allen heimst immer sie die meisten Süßigkeiten ein. Sie sollte auf ihre Linie achten.«
Denise lachte hellauf. Sie erinnerte sich an die Worte von Frau Rennert. Heidi Holsten schien ja wirklich in einem ganz besonderen Ruf zu stehen.
»Lachst du über mein Gesicht, Mutti?«, fragte Nick verblüfft. »So ist das nun mal mit den Werktätigen. Arbeit adelt. Und jetzt dusche ich. Dann bin ich wieder ganz schön.«
Er zwinkerte ihr zu und stieg die Treppe hinauf. Stolz lächelnd sah sie ihm nach. Sie wusste, er war ein liebenswerter Bengel. Und mit Gary aus Amerika würde er sich bestimmt gut verstehen.
*
Einige hundert Kilometer von Sophienlust entfernt stand der Bauernhof der Familie Reger. Schon von Weitem war das alte Haus zu sehen, das auf einer Anhöhe stand und an das sich in den letzten Jahren einige neue Gebäude angegliedert hatten.
Nach dem Tod seines Vaters hatte Gunter Reger endlich die tüchtige Gerhild heiraten können. Deren Vater war nicht so reich gewesen wie der alte Reger. Deshalb hatte dieser Verbindung immer der Stolz des reichen Bauern im Wege gestanden.
Mit Feuereifer hatte Gerhild ihrem Mann geholfen, aus dem großen Hof einen Musterbetrieb zu machen. Jetzt war der Regerhof weit und breit für seine Fortschrittlichkeit bekannt. Aber alle wussten auch, dass die kleine Schwester von Gunter Reger unter der strengen Fuchtel ihrer Schwägerin litt. Gerhild hatte, als sie geheiratet hatte, die damals erst Vierzehnjährige gleich tüchtig eingespannt. Katja hatte die Schule verlassen und sich dann um die Kinder ihres Bruders kümmern müssen, damit Gerhild sich dem Betrieb hatte widmen können.
Katja hatte sich darüber nie beklagt. Für sie war es selbstverständlich gewesen, zu ihrem Bruder zu halten. Sie liebte auch ihre beiden Neffen über alles, weil sie selbst nie Mutterliebe kennengelernt hatte.
In der letzten Zeit kam es allerdings immer öfter zu Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrer Schwägerin. Katja hatte begriffen, dass ihre Freundinnen aus dem Dorf viel mehr Freizeit hatten als sie. Nur selten konnte sie mit ihnen tanzen oder ins Kino gehen.
Gerhild sah das nicht gern. Je mehr Katja sich darüber klar wurde, dass ihre Jugend sang- und klanglos vorüberging, desto unwirscher wurde Gerhild. Die junge Bäuerin hatte für Katjas Wünsche nicht das geringste Verständnis.
Eben ging Katja mit einem Korb in die Wirtschaftsräume zur Tiefkühltruhe. Es war Abend, und sie war müde. Sie hatte den vierjährigen Jörg und den zweijährigen Dieter ins Bett gebracht, danach die Küche aufgeräumt, und nun musste sie noch bügeln. Dazu hatte Gerhild ihr eben noch eine Arbeit aufgehalst.
Katja erschrak, als sie plötzlich ihrem Bruder gegenüberstand. Dann mussten beide lachen.