Gaslicht 14 - Mia Arrow - E-Book

Gaslicht 14 E-Book

Mia Arrow

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! In dem Salon war es angenehm warm. Im offenen Kamin brannte ein Feuer. Kerzen warfen Licht und Schatten auf dunkelgetäfelte Wände. Ein antiker Teppich bedeckte die breiten Dielen des Fußbodens. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers stand eine große Schale aus schwarzem glänzendem Onyx, in der Rosenblätter schwammen. Das Wasser war mit Essenzen aus Myrrthe und Zimt gemischt. Sanuhe öffnete eine Tür und dann noch eine. Er spielte den Gastgeber. »Komm, Kleopatra, sieh es dir an«, forderte er Mary auf. Sie folgte ihm. »Ein Schlafzimmer.« »Das Kleid über dem Bett ist für dich. Es ist aus Wolle. Du wirst es brauchen. Ich will nicht, daß du dich erkältest.« »Warum diese Fürsorge für eine Gefangene?« spottete sie. Er sah sie lange an mit seinen toten grauen Augen. »Ich will, daß du lebst, wenn ich mit dir in den Tod gehe«, antwortete er. Es war heiß in der Künstlergarderobe. Der gußeiserne Ofen glühte. Schminke rann wie eine große, schmutzige Träne über Marys Gesicht. Sie wandte sich an Paul. »Was ist nur los mit mir heute abend? Ich schwitze so sehr, daß mir das ganze Make-up runterläuft. Gleichzeitig ist mir eisig kalt.« Paul setzte sich einen Lorbeerkranz auf den Kopf und machte danach die Tür auf, um kühlere Luft reinzulassen. »Es ist die alte Geschichte, liebste Mary. Du hast wahrscheinlich wieder einmal Lampenfieber.« »Nein, dieses Mal hat das nichts mit Lampenfieber zu tun. Ich habe Angst.« »Die vergeht, sobald du auf der Bühne stehst.« »Du verstehst mich nicht, Paul. Das ist keine Angst vor dem Auftritt. Ich

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Ähnliche


Gaslicht – 14 –

Im Schatten des Mondes

Mia Arrow

In dem Salon war es angenehm warm. Im offenen Kamin brannte ein Feuer. Kerzen warfen Licht und Schatten auf dunkelgetäfelte Wände. Ein antiker Teppich bedeckte die breiten Dielen des Fußbodens. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers stand eine große Schale aus schwarzem glänzendem Onyx, in der Rosenblätter schwammen. Das Wasser war mit Essenzen aus Myrrthe und Zimt gemischt. Sanuhe öffnete eine Tür und dann noch eine. Er spielte den Gastgeber. »Komm, Kleopatra, sieh es dir an«, forderte er Mary auf. Sie folgte ihm. »Ein Schlafzimmer.« »Das Kleid über dem Bett ist für dich. Es ist aus Wolle. Du wirst es brauchen. Ich will nicht, daß du dich erkältest.« »Warum diese Fürsorge für eine Gefangene?« spottete sie. Er sah sie lange an mit seinen toten grauen Augen. »Ich will, daß du lebst, wenn ich mit dir in den Tod gehe«, antwortete er.

Es war heiß in der Künstlergarderobe. Der gußeiserne Ofen glühte.

Schminke rann wie eine große, schmutzige Träne über Marys Gesicht. Sie wandte sich an Paul. »Was ist nur los mit mir heute abend? Ich schwitze so sehr, daß mir das ganze Make-up runterläuft. Gleichzeitig ist mir eisig kalt.«

Paul setzte sich einen Lorbeerkranz auf den Kopf und machte danach die Tür auf, um kühlere Luft reinzulassen. »Es ist die alte Geschichte, liebste Mary. Du hast wahrscheinlich wieder einmal Lampenfieber.«

»Nein, dieses Mal hat das nichts mit Lampenfieber zu tun. Ich habe Angst.«

»Die vergeht, sobald du auf der Bühne stehst.«

»Du verstehst mich nicht, Paul. Das ist keine Angst vor dem Auftritt. Ich habe das Gefühl, als sei ich von einer Gefahr umgeben. Als wollte jemand etwas Dunkles über mich stülpen.«

Paul lachte. »Seit wann siehst du Gespenster?«

»Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist.«

»Denk einfach nicht mehr daran. Bald ist es soweit. Hörst du das Publikum?«

Mary nickte. »Dem Lärm nach zu urteilen scheinen eine Menge Leute ins Theater gekommen zu sein.«

Paul strahlte. »Du siehst, meine Methode hat gewirkt. Und du hast gemeint, so etwas kann man nicht machen.«

»Kann man auch nicht.«

»Der Erfolg heiligt in diesem Fall die Mittel. Ohne Publicity ist man als Schauspieler verloren.«

Mary mußte zugeben, daß ihr Mann recht hatte. Seit drei Jahren, seit ihrer Hochzeit, tingelten sie und Paul gemeinsam von Bühne zu Bühne. Ständig waren sie unterwegs. Von Südengland nach Schottland, durch Wales und Cornwall.

Sie traten in Dörfern und kleinen Städten auf. Mal war ihr Theater eine Scheune. Wenn sie Pech hatten, tropfte der Regen durch das Dach. Wenn sie Glück hatten, stellte man ihnen eine Bühne zur Verfügung.

Paul war sehr begabt und hatte viel Fantasie. Er schrieb die Stücke selbst. Die Personen, die darin vorkamen, entnahm er der Geschichte.

An diesem Abend stand Pauls Version von ›Kleopatra und Cäsar‹ auf dem Programm. Es handelte von der Leidenschaft zwischen der ägyptischen Königin und dem edlen Römer und spielte am Hof der Kleopatra in Alexandrien.

Wilde Spukgestalten der Hölle, bösartige Wesen, Furien und Rachegöttinnen sowie ein Diener, der vor nichts zurückschreckt, traten ebenfalls auf.

Mary und Paul hatten das Stück schon an verschiedenen Orten Englands aufgeführt, ohne daß es ihnen viel eingebracht hätte. Seit längerem lebten sie nur noch von der Hand in den Mund. Von dem Geld, das Paul von seinem wohlhabenden Vater geerbt hatte, war kein Penny mehr übrig.

Einfallsreich, wie Paul war, hatte er sich etwas ausgedacht, um die Leute ins Theater zu treiben. Er hatte dem Vertreter der örtlichen Presse erzählt, daß er in einem früheren Leben tatsächlich der römische Imperator Cäsar und Mary tatsächlich die ägyptische Kleopatra gewesen seien.

Das war dann auch ganz ohne ironischen Kommentar gedruckt worden. Als würde es sich um eine Tatsache handeln. »Cäsar und Kleopatra, die großen Liebenden des Altertums, sind wieder auferstanden«, hatte in der Lokalpresse gestanden. Und es hatte gewirkt. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung waren fast alle Karten ausverkauft gewesen.

Der Lärm aus dem Zuschauerraum wurde lauter und lauter. Brüllendes Lachen war zu hören. Einige junge Leute verlangten in Sprechchören, daß das Stück endlich begann. Jemand stieß auf einer Trompete eine Art Fanfarenstoß aus.

»Bist du so weit, Mary?«

»Ja.«

»Oh, Mary, wie dein Gesicht glänzt.«

Mary warf einen Blick in den Spiegel. »So kann ich unmöglich auf die Bühne. Ich muß mich neu schminken, Paul.«

»Dafür ist jetzt keine Zeit mehr.«

Mary betupfte hastig ihr Gesicht mit einem Papiertuch. Danach strich sie bronzene Schminke über die Stelle, wo Schweißtropfen auf ihrem Gesicht Spuren hinterlassen hatte. Ihre schönen Lippen waren so rot, als wären sie lackiert. Um die Augen herum schimmerte es gold- und silberfarben.

»Geht es so?« fragte sie ihren Mann.

»Na klar.« Paul strich Mary das blonde Haar zurück und setzte ihr die schwarze Perücke auf den Kopf. Sie besaß jetzt den dunklen Teint, die schwarzen Haare und die lichtumrandeten Augen der Königin vom Nil.

Paul küßte sie auf die Schulter. »Ich liebe dich, Mary.«

»Ich dich auch, Paul.«

Die Freude und das Glück strahlten ihm aus dem Auge. Er hatte einen stattlichen Körper, das Gesicht war edel gerundet und die Haltung voller Majestät. Kein Mann eignete sich besser für die Rolle des Julius Cäsar als er.

Freude an seinem Beruf war der Grundzug seines Lebens. Er war mutig, hochherzig und edel. Wo er hinkam, hellten sich die Gesichter auf. Die Menschen liebten ihn, und er liebte sie.

Als Cäsar trug Paul eine silbrig schimmernde Rüstung aus Leichtmetall, die ihn bis zu den Hüften umhüllte und über und über mit roten, blauen und gelben Steinen besetzt war, die wie echte Edelsteine blitzten.

Mary trug unter einem schilfgrünen glattfließenden Gewand aus leichter Gaze einen naturfarbenen Body. Eine Kette aus Saphieren in Form einer geschuppten Schlange wand sich von ihrem Hals bis zum Arm.

»Kleopatra, die ägyptische Königin, die schwarze Dame«, sagte Paul. Nicht nur in dem Stück, auch in der Wirklichkeit fühlte er sich Mary leidenschaftlich verbunden. Er küßte sie noch einmal vorsichtig am Hals, an einer Stelle, wo sie nicht geschminkt war.

In diesem Moment dröhnte ein Faustschlag gegen die Tür, die durch den starken Luftzug, der über den Künstlergang fegte, wieder zugefallen war.

Mary fuhr erschrocken zusammen. Ihr dröhnten von dem brutalen Schlag die Ohren. Paul machte die Tür auf. Vor ihnen stand der Bühnenmeister, der in ihrem Ensemble Dekorateur, Zimmermann und Techniker in einer Person war. Nur als Schauspieler war er nicht zu gebrauchen.

»Was ist los mit euch? Wo bleibt ihr denn nur? Ihr seid gleich dran«, schimpfte er.

»Immer mit der Ruhe«, antwortete Paul. Er nahm Marys Hand und führte sie zum Bühnengang. Dort war es eisig kalt. Aus anderen Türen kamen braunhäutige ägyptische Sklavinnen in grellen Flattergewändern, spärlich bekleidete Eunuchen, Gaukler und Zeichendeuter. Alle froren. Trotzdem waren Gelächter und frivole Scherze zu hören.

Mary zitterte nicht nur vor Kälte, sondern besonders vor einer ihr selbst unerklärlichen Angst. Sie spürte noch deutlicher als in der Garderobe, daß etwas Dunkles, Bedrohliches in der Luft lag. Tod und Verderben. Nicht als Bühnenspiel, sondern greifbar nahe.

Als sie eine schmale Eisentreppe hinuntergegangen waren, die bis zur hinteren Bühne führte, umhüllte sie eine stickige und staubige Wärme.

Von der anderen Seite her ertönte ein dunkler nachhallender Gong. Der Lärm aus dem Zuschauerraum war jetzt geradezu ohrenbetäubend.

Der Bühnenmeister hob den rechten Arm. Das war das Zeichen für die Schauspieler, daß der Vorhang in einer Minute aufgehen würde.

Mary drückte ihr Auge an das Guckloch des staubigen blutroten Vorhangs.

Sie sah die erwartungsvollen und lachenden Gesichter von Bergleuten, Arbeitern und Handwerkern mit ihren Frauen und Freundinnen. Außer Kleinkindern waren alle Altersgruppen vertreten. Ein Mann in der hinteren Reihe tutete unentwegt auf einer Trompete.

Einige Besucher hatten sich für den Theaterabend festlich angezogen, andere saßen in ihrer Arbeitskleidung da. Es wurden Tüten mit Popkorn und Schokolade rumgereicht. Ein paar Männer tranken Bier aus der Flasche.

»Es ist so voll, daß ein paar Leute im ersten Rang sogar auf den Treppen sitzen«, berichtete Mary.

Sie wollte sich schon wieder aufrichten, als ihr Blick auf das Gesicht eines Mannes fiel, der in der ersten Reihe saß. Er konnte sie nicht sehen. Dafür war das Guckloch im Vorhang zu klein. Dennoch starrte er wie hypnotisiert auf die Stelle, wo sie stand.

Seine Augen waren wie große Löcher. Sie wirkten wie die eines Toten. Es kam Mary auf einmal so vor, als hätte sie das Gesicht eines Gemordeten vor sich.

Oder eines Mörders.

In diesem Augenblick ertönte zweimal nacheinander wieder der dunkle Gong. Die Schallwellen zogen unsichtbare Kreise, die das Publikum und die Schauspieler zu einer Einheit verbanden.

Der Vorhang hob sich, wie von Geisterhand gezogen.

Im Saal wurde es still.

Das Spiel begann.

*

Ganz Ägypten lag seiner jungen, schönen und kapriziösen Königin Kleopatra zu Füßen.

Als sei das noch nicht genug, küßte Cäsar, der beglückte Liebhaber, der edle Römer, der Herrscher über die halbe Welt, der große Imperator, Kleopatra hingebungsvoll einen Fußzeh nach dem anderen. Seine Hand, die es gewohnt war, das Schwert zu halten oder Verträge zu unterschreiben, umfaßte zärtlich ihre Ferse.

Kleopatras Benehmen war alles andere als königlich. Sie gab sich als pikantes Weib, launenhaft und unbeständig. Gerade hatte sie noch gelacht. Jetzt schalt sie mit Cäsar, sie drohte ihn wegzuschicken, weil er sich nicht sofort mit ihr trauen lassen wollte.

Cäsar war ihr verfallen. Wie so viele vor ihm und nach ihm konnte auch dieser große Mann sich ihrem sündhaften Zauber, ihrer leichten, spielerischen Anmut und ihren durchtriebenen Verführungskünsten nicht entziehen.

Aber noch hatte ihn sein kühler Verstand nicht vollkommen verlassen. Kleopatra war dieses Mal zu weit gegangen. Sie hatte seinen Stolz verletzt. Einen Cäsar schickt man nicht weg. Man droht ihm auch nicht damit.

Er stellte Kleopatras Fuß, den er gerade noch hingebungsvoll geküßt hatte, auf einen goldfarbenen Schemel. Der Nacken, der sich noch nie vor jemandem gebeugt hatte, straffte sich. Er richtete sich auf. Mit stolzem Gesicht, die Lippen fest zusammen, wendete er sich zum Gehen.

Kleopatra spürte sofort, daß sie die Grenze überschritten hat. Sie änderte ihre Taktik, reizte Cäsar mit tausend Zärtlichkeiten, sie küßte ihn, sie versprach ihm unsagbare Wonnen und höchste Seligkeit.

Er zögerte.

Kleopatra wußte ihn wieder einmal zu fesseln. Sie klatschte in die Hände. Sofort belebte sich die Bühne. Schöne Sklavinnen, herrlich gekleidete Eunuchen, Gaukler in Fantasiekostümen traten auf. Es wurde getanzt. Köstliche Speisen wurden gereicht. Der ägyptische Königshof zerfloß im Taumel eines unsagbaren Genusses.

Ein berühmter Wahrsager wurde gerufen. Er sollte dem königlichen Paar die Zukunft voraussagen. Der Mann starrte auf Kleopatra und schüttelte dann stumm den Kopf.

Die Königin drohte ihm: »Sprich. Sag’ die Wahrheit. Ich will sie wissen.«

Er bat, gehen zu dürfen.

»Wenn du nicht sprichst, werde ich dich den Löwen zum Fraß vorwerfen lassen«, rief sie zornig und stampfte dabei mit einem Fuß auf.

Der Blick des unglücklichen Mannes schweifte hinüber zu einer Sphinx auf der anderen Seite der Bühne. Gebannt betrachtete er das erstaunliche Wesen mit dem Körper einer Frau und dem Kopf eines Löwen. Die Sphinx war aus mehr als einem Grunde ungewöhnlich. Sie lag nicht, wie sonst üblich, in vollkommener und unbeweglicher Gelassenheit da.

Bei dieser Sphinx bleckte die Frau, deren Kopf edel geformt war, die Zähne. Der Löwe hatte die rechte Vordertatze erhoben, als wollte er im nächsten Moment zum Angriff übergehen. Das Erschreckendste war jedoch eine grüne Schlange mit geschupptem Körper, die an dem Frauenhals hinaufkroch. Nachdem sie sich an der anderen Seite wieder runtergeschlängelt hatte, bewegte sie sich auf die Brust der Frau zu.

Auf der Bühne wie im Zuschauerraum war es so still wie in einer verlassenen Kirche. In die Stille hinein war der schrille Schrei einer Frau zu hören. Er drang bis in den hintersten Winkel des verstaubten Theaters. Er riß die Zuschauer von den Plätzen hoch, er löste den Bann, der alle minutenlang in Atem gehalten hatte. Die Spannung entlud sich in Gelächter, in Zurufen und Witzen.

Der Bühnenmeister ließ den Vorhang hinunter. Es war Pause. Der nächste Akt würde wilde Furien auf die Bühne bringen und den Untergang der Kleopatra einleiten. Im dritten Akt würde sie, auf einem Lotterbett liegend, den Tod durch den Biß einer giftigen Schlange finden.

Während die Zuschauer ins Foyer des Theaters strömten, um sich zu erfrischen und zu promenieren, beglückwünschten sich die Schauspieler für die gelungene Aufführung. Manche fielen sich vor Begeisterung auch in die Arme.

»Das war einfach großartig. Einmalig. Fantastisch. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Leute hatten völlig vergessen, daß das nur Theater ist, was wir hier machen«, rief eine junge Sklavin.

»Ich muß zugeben, daß mir auch mulmig geworden ist, als die Schlange ganz langsam über den Hals der Sphinx kroch«, ließ sich der Wahrsager vernehmen.

»Es sah wirklich wie echt aus«, rief ein Krieger von der Eisentreppe hinunter. Er strebte, wie die meisten seiner Kollegen, der Garderobe zu, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen und sich umzuziehen.

Alle waren sie erhitzt und aufgeregt. Es war kaum zu vermeiden, daß einer dem anderen auf der schmalen Treppe auf die Füße trat.

Paul folgte ihnen, nachdem er den Bühnenarbeitern noch einige Anweisungen gegeben hatte. Er ging davon aus, daß Mary schon in ihrer gemeinsamen Garderobe war, um sich für den nächsten Akt zu schminken.

»Mary?« rief er vom Flur aus.

»Hier bin ich«, rief ein junges Mädchen und kam als Tänzerin gekleidet aus einer anderen Garderobe.

Paul lachte. »Dich meine ich nicht, Mary Wigwam.«

In ihren Augen blitzte es auf. »Wie schade. Ich hätte nichts gegen dich einzuwenden gehabt, Paul. Aber es ist die ewig alte Geschichte – die besten Männer sind immer schon vergeben.«

»Du wirst schon noch den Richtigen finden«, tröstete Paul sie. Er trat in die Garderobe. Mary war nicht da. Es gab auch keine Anzeichen dafür, daß sie den winzigen Raum während der Pause betreten hatte.

Es herrschte noch immer eine stickige Hitze. Der alte eiserne Ofen gab bullernde Geräusche von sich. Paul machte das Fenster zwischen den beiden Spiegeln über den Schminktischen auf. Danach griff er nach einem Wattebausch und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Er ging davon aus, daß seine Frau in der Toilette war.