Gaslicht 26 - Susan Hastings - E-Book

Gaslicht 26 E-Book

Susan Hastings

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Auf Ursulas Stirn standen Schweißperlen. Giovanni stellte eine Flasche Wasser auf den Tisch, und Ursula trank gierig. Aber es war weniger die Hitze, die sie so mitnahm, als vielmehr ihr seltsamer Zustand, der irgendwie nicht ganz real zu sein schien. Sie nahm ihre Umgebung wahr, als würde sie einen Film anschauen, sie war mittendrin und doch unbeteiligter Betrachter. Was mache ich eigentlich hier? fragte sie sich wieder. Was will ich hier? Wer war die tote Frau auf dem Friedhof, daß sie das alles auf sich nahm?» Gott sei Dank, die Maschine startet wenigstens pünktlich«, seufzte Hannes Berger und legte den Arm auf die Schulter seiner Schwester Ursula. »Lange kann ich nämlich nicht mehr warten, habe ja noch fast zwei Stunden Autofahrt nach Hause zurück.« Er schaute verstohlen auf seine Armbanduhr. In der Abfertigungshalle des Flughafens herrschte reges Treiben. Die meisten Passagiere schoben große Kofferberge vor sich her. Es war unübersehbar Urlaubszeit. Ursula Berger versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Sie stand ein wenig verloren in dem Getümmel und hielt ihre kleine Reisetasche krampfhaft in der Hand. Es war das erste Mal, daß sie ihren Bruder verließ, seit seine Frau im Krankenhaus lag. Sie fühlte sich für Hannes und seine Familie verantwortlich. Und da sie selbst keine Familie besaß, war es für sie selbstverständlich, ihrem Bruder in der Not beizustehen. Seine Frau war ihr dafür dankbar, sie konnte sich in Ruhe auf ihre Genesung konzentrieren. »Also, Hannes, bitte paß auf die Kinder auf. Vor allem auf Ulrike, damit sie ordentlich ihre Hausaufgaben erledigt. Und für

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Gaslicht – 26 –

Spiegel der Angst

Susan Hastings

Auf Ursulas Stirn standen Schweißperlen. Giovanni stellte eine Flasche Wasser auf den Tisch, und Ursula trank gierig. Aber es war weniger die Hitze, die sie so mitnahm, als vielmehr ihr seltsamer Zustand, der irgendwie nicht ganz real zu sein schien. Sie nahm ihre Umgebung wahr, als würde sie einen Film anschauen, sie war mittendrin und doch unbeteiligter Betrachter. Was mache ich eigentlich hier? fragte sie sich wieder. Was will ich hier? Wer war die tote Frau auf dem Friedhof, daß sie das alles auf sich nahm?»

Gott sei Dank, die Maschine startet wenigstens pünktlich«, seufzte Hannes Berger und legte den Arm auf die Schulter seiner Schwester Ursula. »Lange kann ich nämlich nicht mehr warten, habe ja noch fast zwei Stunden Autofahrt nach Hause zurück.« Er schaute verstohlen auf seine Armbanduhr. In der Abfertigungshalle des Flughafens herrschte reges Treiben. Die meisten Passagiere schoben große Kofferberge vor sich her. Es war unübersehbar Urlaubszeit.

Ursula Berger versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. Sie stand ein wenig verloren in dem Getümmel und hielt ihre kleine Reisetasche krampfhaft in der Hand. Es war das erste Mal, daß sie ihren Bruder verließ, seit seine Frau im Krankenhaus lag. Sie fühlte sich für Hannes und seine Familie verantwortlich. Und da sie selbst keine Familie besaß, war es für sie selbstverständlich, ihrem Bruder in der Not beizustehen. Seine Frau war ihr dafür dankbar, sie konnte sich in Ruhe auf ihre Genesung konzentrieren.

»Also, Hannes, bitte paß auf die Kinder auf. Vor allem auf Ulrike, damit sie ordentlich ihre Hausaufgaben erledigt. Und für Felix habe ich zwei Tage vorgekocht, jeden Tag taust du eine Portion auf, aber vorsichtig, dann erwärmst du sie in der Mikrowelle…«

»Uschi, ich weiß doch Bescheid«, erwiderte Hannes Berger. »Mach dir keine Sorgen um uns, die paar Tage werden wir schon ohne dich überstehen. Es tut mir wirklich leid, daß ich nicht nach Italien fliegen kann, aber du weißt ja, im Moment ist in der Firma Hochdruck. Ich bin dir dankbar, daß du mir diese Geschichte abnimmst. Und hab’ keine Angst, Fliegen ist sicherer als Autofahren.«

Ursula Berger stöhnte leise auf. »Das sagst du mir schon seit Tagen, aber ich habe trotzdem weiche Knie. Ich bin noch nie geflogen. Ich weiß doch gar nicht, ob ich alles richtig mache.«

»Du brauchst gar nichts zu machen. Das machen die Piloten. Grüße Tante Evelyn ganz herzlich und sage ihr, daß es mir leid tut, daß ich nicht selbst kommen konnte, und ich wünsche ihr gute Besserung. Ah, dein Flug wird aufgerufen. Du mußt jetzt in den Transitraum.« Hannes Berger umarmte seine Schwester und schob sie dann sanft von sich. Ursula ging durch die Personenschleuse und ließ mit angehaltenem Atem die Prozedur der Metallsuche über sich ergehen. Mit einem rührend hilflosen Blick wandte sie sich nach ihrem Bruder um. Der winkte kurz und nickte ihr beruhigend zu. Für Ursula war es, als fiele eine schwere Gefängnistür hinter ihr zu.

Die Passagiere zwängten sich durch den Gang des Flugzeuges und suchten nach ihren Plätzen. Immer wieder kam der Menschenstrom zum Stocken, wenn einzelne Fluggäste ihr Gepäck in den Ablagen über den Sitzen verstauten. Auf Ursulas Reihe saß bereits ein schlanker, dunkelblonder Mann und las eine Zeitung. Etwas umständlich nahm sie Platz und hielt ihre Handtasche krampfhaft auf ihrem Schoß fest. Der Mann nickte kurz und vertiefte sich wieder in seine Zeitung. Als die Maschine anrollte und die Stewardeß mit den Sicherheitsbelehrungen begann, faltete er seine Zeitung zusammen und steckte sie vor sich in das Broschürennetz. Etwas irritiert blickte er zu Ursula herüber.

»Sie können Ihre Tasche oben ins Gepäckfach legen«, sagte er zu ihr.

»Ach, es geht schon«, erwiderte Ursula und lächelte gequält.

»Aber dann haben Sie die Hände frei zum Essen«, ließ der Mann nicht locker.

Ursula blickte ihn erstaunt an. »Wieso zum Essen? Ich habe nichts zu essen dabei.«

Der Mann lächelte ein wenig nachsichtig. »Fliegen Sie zum ersten Mal?« fragte er.

Ursula nickte und versteifte ihren Rücken.

»Wenn Sie wollen, lege ich Ihre Tasche hinauf«, bot er an. »Sie können auch gern meinen Platz am Fenster bekommen.«

»Meinen Sie?« sagte Ursula unsicher.

»Aber natürlich. Wenn Sie bitte einmal aufstehen würden.«

»Aber das Flugzeug rollt doch schon.« Ursula schaute ängstlich aus dem Fenster.

»Es dauert noch ein kleines Weilchen«, beruhigte er sie. Ursula erhob sich. Mit einer geschickten Handbewegung schob er Ursulas Tasche ins Gepäckfach. Ursula rückte ans Fenster und suchte nach dem Gurt. Der Mann ließ sich in Ursulas Polster fallen und half ihr beim Anschnallen.

»Ich heiße Martin Drechsler«, sagte er und lächelte Ursula gewinnend an.

»Angenehm, Ursula Berger«, sagte sie und starrte wieder auf die Rücklehne des Vordersitzes. Die Turbinen heulten auf und ein leichtes Zittern ging durch die Maschine.

»Haben Sie Flugangst?« fragte ihr Nachbar.

»Nein, nein.« Ursula schüttelte heftig den Kopf. Martin Drechsler blickte sie von der Seite an. Dann ergriff er ihre Hand. Sie war eiskalt und feucht. Er lächelte.

»Es kann gar nichts passieren. Ich fliege sehr häufig und bin bisher immer noch heil wieder herunter gekommen. Fliegen Sie in den Urlaub?«

»Nein, es ist privat. Eine alte Tante unserer Familie ist krank. Sie lebt in Italien. Leider kann mein Bruder aus beruflichen und familiären Gründen sie nicht besuchen. Deshalb unternehme ich diese Reise.«

»Na, dann sollten Sie das beste daraus machen. Vielleicht haben Sie auch Zeit, etwas von Italiens Reiz zu bewundern. Sehen Sie, schon sind wir in der Luft. Sie haben den Start gar nicht bemerkt, nicht wahr?«

Ursula schaute ihn verblüfft an. »Nein, ich habe mich auf das Gespräch mit Ihnen konzentriert. War das etwa Absicht?«

Martin Drechsler lachte. »Ein wenig schon. Wenn Sie sich ablenken, vergessen Sie Ihre Angst.«

»Es hat geklappt. Sie sind schon flugerfahren, nicht wahr? Sind Sie beruflich viel unterwegs?«

»Es reicht. Ich besuche einen Ärztekongreß. Der dauert drei Tage. Danach fliege ich wieder zurück.«

»Ach, Sie sind Arzt?« fragte Ursula überrascht.

Martin Drechsler nickte. »Ja, ich bin Chirurg. Ab und zu fliege ich zu einem Kongreß. Mit einer Klinik in Mailand haben wir auch gute Kontakte, habe dort schon zeitweise gearbeitet.«

»Ist sicher interessant, so eine Arbeit. Ich bin nur Fotolaborantin. Das ist überhaupt nicht aufregend. Vor allem komme ich aus meinem Labor gar nicht raus.«

»Aber das ist doch auch eine schöne Arbeit. Wissen Sie, jeder hat im Leben seinen Platz, den er ausfüllt. Und jede Arbeit hat irgendwie ihren Reiz.«

Ursula zuckte mit den Schultern. »Ich kann daran nichts Reizvolles finden. Dagegen Sie als Arzt…«

Martin Drechsler lachte auf. »Nun denken Sie mal nicht an die Krankenhaus-Seifenopern im Fernsehen. Der Alltag in einer Klinik sieht etwas anders aus. Ich stehe den ganzen Tag am OP-Tisch und schneide den Leuten die Bäuche auf. So interessant ist das auf die Dauer auch nicht. Aber vielleicht wechseln wir das Thema. Wenn Sie etwas Zeit haben, dann gehen Sie doch mal in ein zünftiges italienisches Weinlokal und probieren Sie den Wein. Sie werden sehen, Sie fühlen sich gleich wie im Urlaub.«

»Ich weiß nicht, ob ich dazu kommen werde. Zuerst fahre ich in das Hotel, das ich gebucht habe, dann will ich die Tante besuchen. Sie liegt in einem Pflegeheim. Eigentlich kenne ich sie kaum. Sie heiratete einen Italiener und zog zu ihm. Zwei-, dreimal war sie noch bei uns zu Besuch, dann erkrankte sie. Unglücklicherweise starb ihr Mann noch vor ihr und sie mußte in ein Pflegeheim. Alles keine erfreulichen Dinge. Vielleicht erkennt sie mich gar nicht wieder.«

»Das ist aber sehr nett, daß Sie sich trotzdem so um die alte Dame kümmern. Übrigens, schauen Sie mal zum Fenster raus, wir überfliegen gerade die Alpen.«

Ursula beugte sich etwas seitlich und blickte aus dem kleinen Fenster der Maschine. Erschrocken prallte sie zurück.

»Oh, ist Ihnen schlecht geworden?« fragte Dr. Drechsler besorgt.

Ursula schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich bin schwindelfrei. Es war nur… nur so ein plötzliches Gefühl, daß ich…«

»Ja?«

»… daß ich das schon einmal gesehen habe.«

»Sicher. Warum sollten Sie die Alpen nicht schon einmal gesehen haben?«

»Nein, ich meine, so von oben. Es war plötzlich so vertraut, als wenn ich schon häufig geflogen bin. Nur, ich fliege das erste Mal!«

»Nun, auch dieses Bild haben Sie sicher häufig gesehen, im Fernsehen, oder auf Fotos.«

»Sie haben sicher recht.« Ursula lehnte sich wieder in ihren Sitz zurück. Sie war plötzlich beunruhigt. Nicht, daß sie kein Vertrauen in die moderne Technik gehabt hätte. Sie war sich jedoch völlig sicher, diesen Anblick schon einmal erlebt zu haben, aber nicht aus einem Flugzeug heraus, sondern als wenn sie selbst körperlos im Himmel schwebte und auf die Erde herabsah. Sie schluckte krampfhaft. War das eine Art Höhenrausch, der Halluzinationen verursachte, oder war es nur ihre Aufregung, die ihre Wahrnehmungen narrte?

Dr. Drechsler beobachtete seine hübsche Nachbarin aus den Augenwinkeln. Sie war klein und zierlich und ihr kastanienrotes Haar fiel sanft bis auf ihre Schultern. Ein wenig hilflos und verstört wirkte sie. Er kannte sich aus. Manche Passagiere bekamen allein schon bei dem Gedanken, zehn Kilometer über der Erdoberfläche zu fliegen, Schweißausbrüche. Je nach Temperament bekamen sie Tobsuchtsanfälle, heftige Beklemmungen, oder sie litten still, wie die junge Frau neben ihm. Da half nur Ablenkung.

»Möchten Sie etwas lesen?« bot er ihr an.

Ursula schüttelte den Kopf und lächelte gequält.

»Fotografieren Sie auch selbst?« versuchte er sie nun in ein Gespräch zu verwickeln.

»Ja, manchmal«, antwortete Ursula.

»In Italien gibt es schöne Motive. Vielleicht können Sie eine kleine italienische Fotoreihe gestalten. Es gibt sicher Galerien, die dafür Verwendung haben, wenn Sie einen Blick fürs Motiv haben.«

»So gut bin ich sicher nicht«, wehrte Ursula bescheiden ab.

»Man muß es nur versuchen«, ermunterte Dr. Drechsler sie. »Zur Zeit sind Schwarz-Weiß-Fotos als Kunst wieder ganz groß im Kommen.«

»Ja, ich weiß. Ich habe erst letztens so eine Ausstellung besucht, allerdings waren das Aktfotos.« Sie kicherte verschämt.

»Wenn sie gut gemacht sind, können sie eine Augenweide sein«, bestätigte er.

»Ich fand sie auch gut«, erwiderte Ursula.

Sie plauderten, und Ursula bemerkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Dieser Dr. Drechsler war ein sehr angenehmer Mensch mit einem offenen Lächeln und wunderschönen braunen Augen. Er hatte die schlanken Hände mit feingliedrigen Fingern, die für sie einfach zu einem Chirurgen gehörten. Als das Zeichen zum Anschnallen über ihren Köpfen aufleuchtete, wurde Ursula wieder bleich.

»Na, na, keine Angst.« Martin Drechsler faßte nach Ursulas Hand und Ursula empfand diese Berührung in der Tat als außerordentlich beruhigend. Tapfer lächelte sie den Arzt neben sich an und wartete drauf, daß die Räder der Maschine die Piste berührten. Erst als das Flugzeug zum Stehen kam, atmete sie erleichtert auf.

»War es wirklich so schlimm?« fragte Martin Drechsler lächelnd.

Verlegen senkte Ursula den Kopf. »Nein, meine Angst hat wohl alles noch schlimmer gemacht. Nun ist es ja vorbei.« Sie erhob sich.

Martin Drechsler nahm Ursulas Handtasche aus dem Gepäckfach und reichte sie ihr. »Ich wünsche Ihnen trotzdem einen angenehmen Aufenthalt. Vielleicht fliegen wir ja wieder einmal gemeinsam.«

»Danke! Man kann ja nie wissen…«

*

Ursula hatte ihre liebe Mühe, ihr Gepäck vom Transportband zu fischen, den Ausgang zu suchen und nach einem Taxi zu winken. Dr. Drechsler hatte sie aus den Augen verloren.

Sie fuchtelte mit einem Zettel dem Taxifahrer vor dem Gesicht herum. »Hotel Caprice«, sagte sie mehrmals.

»Ich habe Sie verstanden, Signorina«, sagte der Taxifahrer auf deutsch und grinste breit. Ursula überlegte, woran der Taxifahrer sah, daß sie Deutsche war. Höflich trug er Ursula das Gepäck zur Rezeption ins Hotel. Ursula stellte sich in die Reihe der ankommenden Gäste, die ihre Schlüssel in Empfang nahmen. Zu ihrer Überraschung gewahrte sie Dr. Drechsler.

»Hallo, da sehen wir uns doch schon wieder«, sagte er lachend, als er Ursula gewahrte.

»Ja, die Welt ist klein«, sagte sie ein wenig verlegen und lächelte. Aus einem unerklärlichen Grund freute sie sich, daß er im gleichen Hotel wohnte wie sie.

Ursula bezog ein hübsches Zimmer. Sie verzichtete darauf, ihre Sachen auszupacken, sondern erfrischte sich nur kurz, um sich dann mit einem Taxi zum Pflegeheim bringen zu lassen.

Das Pflegeheim war ein grauer Klotz und sah bereits von draußen wenig einladend aus. Es mußte ein uraltes Gemäuer sein, denn die Außenwände waren fast einen Meter stark und ein riesiges, schweres Holztor versperrte den Eingang. Neben dem Tor befand sich ein Messingknopf. Ursula klingelte. Es dauerte eine geraume Weile, bis das Tor geöffnet wurde.

Es mußte die Oberin sein, die ihr öffnete. Ursula Berger nannte ihren Namen und den Namen der Tante. Die Oberin trat zurück und ließ Ursula eintreten. Die italienischen Ordensschwestern mit ihren überdimensionalen Hauben huschten wie groteske Schmetterlinge durch die kalten Gewölbegänge des Heimes. Die Oberin redete in schnellstem Italienisch auf Ursula ein. Diese verstand überhaupt nicht, worum es ging. Sie hob abwehrend die Hände. Die Oberin hielt einen Augenblick in ihrem Wortschwall inne.

»Morte«, sagte sie nur und schlug ein Kreuz.

»Sie meinen, Tante Evelyn ist tot?« fragte Ursula und schluckte.

»Si, si«, sagte die Oberin und bekreuzigte sich wieder. Sie zog einen Zettel unter ihrem Gewand hervor. Darauf entzifferte Ursula die Adresse eines Notars.

Verstört stand sie wieder vor dem gewaltigen Portal. Hinter ihr fiel mit einem dumpfen Knall das schwere Tor zu. Ursula zuckte bei dem Geräusch zusammen. Hilflos knüllte sie den Zettel in der Hand. Sie kam sich einsam vor und sie kämpfte gegen die Tränen. Es war weniger die Trauer um die alte Tante, die sie kaum kannte. Es war ihre Hilflosigkeit, die sie verzweifeln ließ. Sie stand allein in diesem fremden Land, dessen Sprache sie nicht mächtig war und mußte sich mir irgend welchen Erbschaftsformalitäten herumschlagen, die für sie bereits in Deutschland zum Problem geworden wären. Bisher hatte sich ihr Bruder Hannes immer um all die Dinge gekümmert, die mit Behörden zusammenhingen. Und sie hatte sich immer auf ihn verlassen können und sich um diese Dinge nicht gekümmert. Nun aber war Hannes so unerreichbar weit weg und außerdem daheim unabkömmlich. Seine kranke Frau, die Kinder, seine Firma – Ursula mußte hier allein zurechtkommen.

Seufzend hielt sie wieder ein Taxi an und zeigte dem Fahrer die Adresse. Das Taxi quälte sich durch den dichten Verkehr und hielt vor einem hohen Bürogebäude. Neben der Tür hingen unzählige Schilder. Ursula entzifferte mühsam den Namen des Notars.

Mit dem Aufzug fuhr sie in die elfte Etage des Hochhauses. Hinter einer Glastür saß eine Empfangsdame, der Ursula den Zettel reichte. Zum Glück war der Notar zu sprechen. Er bat sie nach kurzer Wartezeit in sein Büro und wies einladend auf den Besuchersessel.

»Tut mir leid, Signorina Berger, daß Ihre Tante ist gestorben. Habe ich, äh, eine Testamente hier.«

Freudestrahlend zog er einen Umschlag aus seinem Schreibtisch. Ursula blickte mit weit aufgerissenen Augen auf das braune Papier. Die Luft in den mit alten, dunklen Möbeln vollgestopften Büro des Notars war zum Schneiden und Ursula traten kleine Schweißperlen auf die Stirn. Der Notar öffnete den Umschlag und faltete umständlich ein Blatt Papier auseinander. Er schaute Ursula wieder freudig an und strich sich über sein schütteres Haar.

»Hat vererbt Hannes Berger und Ursula Berger kleines Häuschen in Brecciola, ist kleine Ort wo hat gewohnt. Und will werden begraben in Brecciola auf Friedhof. Sie müssen kümmern sich, Signorina. Aber gegen kleine Geld ich machen Ihnen kümmern.«

Ursula starrte immer noch auf den Umschlag. »Sie hat uns ein Haus vererbt?« fragte sie ungläubig.

»Si, si, ist Haus in Brecciola. Sie können fahren hin und schauen. Und nehmen tote Tante mit und begraben auf Friedehof.«