Sie spürte schon den Todeshauch - Eireen Finch - E-Book

Sie spürte schon den Todeshauch E-Book

Eireen Finch

0,0

Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! In der Nacht hatte ich wieder einen Alptraum. Eine Stimme rief mich. War es die Stimme Tante Claires? Ich mußte nach ihr suchen. Draußen war es so dunkel, daß ich kaum etwas sehen konnte. Hin und wieder funkelte der Mond wie ein grelles Auge aus Neonlicht durch Wolkenfetzen. Ich zitterte im kalten Hauch des Sturms wie ein Blatt im Wind. Das Donnern der Brandung dröhnte mir in den Ohren. Und wieder dieser Schrei: »Meggy, Meggy!« Ich taumelte, stürzte. Brennender Schmerz brachte mich zur Besinnung. Jemand umkrallte meine Schultern und schüttelte mich mit aller Kraft. »Wir haben es bald geschafft!« Rex Bradley, mein Mann, drehte sich flüchtig zu mir um. Er lachte. Eine dunkle Haarsträhne hing ihm verwegen in die Stirn. »Halt dich gut fest, Liebling! Jetzt wird es ein wenig turbulent.« Durch das Fenster erhaschte ich im Vorbeifahren windzerzauste kalte Bäume, die anklagend ihre Äste in den Himmel reckten. Der Wagen schwankte im heftigen Wind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 168

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Gaslicht – 62 –

Sie spürte schon den Todeshauch

Eireen Finch

In der Nacht hatte ich wieder einen Alptraum. Eine Stimme rief mich. War es die Stimme Tante Claires? Ich mußte nach ihr suchen. Draußen war es so dunkel, daß ich kaum etwas sehen konnte. Hin und wieder funkelte der Mond wie ein grelles Auge aus Neonlicht durch Wolkenfetzen. Ich zitterte im kalten Hauch des Sturms wie ein Blatt im Wind. Das Donnern der Brandung dröhnte mir in den Ohren. Und wieder dieser Schrei: »Meggy, Meggy!« Ich taumelte, stürzte. Brennender Schmerz brachte mich zur Besinnung. Jemand umkrallte meine Schultern und schüttelte mich mit aller Kraft. Und plötzlich wußte ich, daß es kein Traum war…

»Wir haben es bald geschafft!« Rex Bradley, mein Mann, drehte sich flüchtig zu mir um. Er lachte. Eine dunkle Haarsträhne hing ihm verwegen in die Stirn. »Halt dich gut fest, Liebling! Jetzt wird es ein wenig turbulent.«

Durch das Fenster erhaschte ich im Vorbeifahren windzerzauste kalte Bäume, die anklagend ihre Äste in den Himmel reckten. Der Wagen schwankte im heftigen Wind. Er holperte über den unebenen Boden wie ein bockendes Pferd. Mit beiden Händen umklammerte ich die Rücklehne und versuchte, so gut wie möglich die unangenehmen Stöße der Räder aufzufangen.

Mir war entsetzlich übel und mein Kopf schmerzte. Was ich durchs Wagenfenster sah, war auch nicht gerade dazu angetan, meine Lebensgeister zu heben. Eine trostlose graue Gegend. Ähnlich hatte ich mir immer das Ende der Welt vorgestellt.

Es dämmerte bereits. Am fahlblauen Himmel jagten schwarze Wolkenfetzen dahin. Trotz des Motorengeräusches hörte ich ein fernes Donnern. In Serpentinen schlängelte sich der ungepflasterte Weg eine Anhöhe hinauf, die seitlich von Gestrüpp und kleinen verkrüppelten Bäumen begrenzt war.

Erschöpft schloß ich die Augen und wünschte mir, diese Höllenfahrt fände doch endlich ihr glückliches Ende. Ich sehnte mich nach heißem Tee und einem warmen Feuer, an dem ich meine vor Kälte erstarrten Glieder wärmen konnte. Sicher würden meine Wünsche bald Erfüllung finden, denn der Weg endete ganz plötzlich und mündete auf einer Art Bauplatz auf dem man vergessen hatte, die dicken Steine wegzuschaffen.

Rex ließ den Wagen auslaufen. Durch graue Nebelschleier schimmerte tröstlich ein Licht. Ungeduldig wartete ich, bis Rex den hinteren Wagenschlag geöffnet hatte und mir hinaushalf.

»Du bist so blaß, Meggy«, sagte er besorgt. »Wie fühlst du dich?«

»Nicht besonders!« Ich schauderte in dem kalten Wind. Richtig steif fühlte ich mich nach der langen Fahrt. Das tröstliche Licht kam aus dem unteren Stockwerk eines grauen, kastenähnlichen Gebäudes von erschreckender Häßlichkeit. Das Donnern klang jetzt ganz nah. Möwen kreischten und jagten im wilden Sturzflug vom Himmel herab. Bis zum Horizont dehnte sich eine graugrüne Wassermasse. Der heftige Wind trieb das Wasser der See zu haushohen Wellen, bis sie donnernd an der Felsküste zerbarsten.

»Du zitterst ja, Meggy!« Rex legte besorgt den Arm um meine Schultern. »Komm ins Haus. Butler Jim wird sich um unser Gepäck kümmern. Dir wird gleich warm werden. Ich habe Anordnung gegeben, daß man in der Halle Feuer im Kamin macht.«

»Das ist genau das, was ich mir wünsche«, sagte ich dankbar. »Und Unmengen von heißem Tee!«

Nur wenige Stufen führten zu einer Holztür. Rechts und links von der Treppe standen Holzkübel, doch die Blumen darin waren verdorrt. Ein mittelgroßer Mann mit groben Gesichtszügen, die im Widerspruch zu seiner eleganten Livree standen, riß vor uns die Tür auf, als hätte er stundenlang hinter der Tür auf unsere Ankunft gelauert.

Mit gemurmeltem Gruß und übertrieben tiefer Verneigung gab er den Weg frei. Eine große Halle tat sich vor mir auf. Sie war bis zur halben Wandhöhe mit dunklem Holz verkleidet. Die wenigen schlichten Möbelstücke schienen aus Mahagoni zu sein. Seitlich führte eine Treppe mit Mahagonigeländer nach oben zur Galerie. Der Treppenaufgang wurde von einer schwarzen Skulptur bewacht. Der Boden war mit schwarzweißen Kacheln im Schachbrettmuster belegt.

Alles wirkte auf mich kalt und unfreundlich. Ich vermißte weiche Teppiche und hübsche Bilder an den kahlen Wänden. Aber wahrscheinlich lag das nur an meiner schlechten Verfassung. Noch immer litt ich unter den Nachwirkungen des schweren Autounfalls vor acht Wochen. Diese quälenden Kopfschmerzen waren eine Folge der Gehirnerschütterung, die ich mir zugezogen hatte. In dunklen Wellen flutete die Erinnerung an das furchtbare Geschehen auf mich zu. Nicht daran denken, befahl ich mir mühsam. Ich muß versuchen, zu vergessen. Ich muß vergessen, daß meine geliebte Tante Claire durch meine Schuld ums Leben gekommen ist.

Als sich der Butler mir näherte, wahrscheinlich, um mir den Mantel abzunehmen, ließ ich ihn rasch von den Schultern gleiten. Der Gedanke, von seinen kräftigen Händen berührt zu werden, war mir unangenehm. Er fing den pelzgefütterten Trench auf und verschwand. Das Kaminfeuer zog mich magisch an. Ich streckte meine eiskalten Hände der flackernden Glut entgegen.

»Du bekommst auf der Stelle deinen geliebten Tee.« Rex lächelte mir aufmunternd zu und lief schon die Treppe hinauf.

Er hatte eine erschreckende Vitalität, die mich früher entzückt hatte. Seit meiner Krankheit ging er mir damit manchmal auf die Nerven. Doch ich durfte ihm gegenüber nicht ungerecht sein. Rex war rührend um mich besorgt. Dieses einsame Haus an der Küste von Cornwall hatte er nur gekauft, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er wußte ja, wie sehr ich noch immer unter dem plötzlichen Tod meiner Tante Claire Stuart litt.

Ich starrte in die Glut der Flammen. Tante Claire, all das Blut… und ihr Gesicht, so bleich und starr…!

Das Klirren von Porzellan riß mich aus meinen Gedanken. Der Diener war in die Halle getreten. Erst jetzt fiel mir auf, daß er beim Gehen stark hinkte. Ich spürte den Blick seiner hervorquellenden, hellen Augen wie eine unangenehme körperliche Berührung.

»Ihr Tee, Madam«, murmelte er unterwürfig.

»Danke, Jim!«

Ich bemühte mich um einen besonders freundlichen Ton. Er konnte doch nichts dafür, daß er mir unsympathisch war. Sicher war der Ärmste heilfroh, überhaupt eine Stellung als Diener bekommen zu haben. Sehr geschickt stellte er sich beim Servieren nicht an. Als ich das Zittern seiner breiten Hände bemerkte, tat er mir leid.

Rex kam die Treppe herunter. »Bring das Gepäck nach oben«, befahl er Jim. »Die Zimmer sind soweit in Ordnung«, sagte er zu mir und nahm mir gegenüber an dem dunkelbraunen Tisch Platz. »Gefällt es dir hier, Meggy? Bestimmt wirst du dich in der frischen Seeluft gut erholen. Wir werden eine schöne Zeit zusammen haben.«

»Gewiß, Rex!« Mir war noch immer kalt. Fröstelnd schloß ich die klammen Finger um die heiße Teetasse. Für meinen Geschmack war der Tee zu dünn, aber wenigstens war er heiß. Mein Blick glitt durch den Raum. Um mich hier wohlfühlen zu können, würde ich eine Menge verändern müssen. Wenn ich da an unsere gemütliche Villa in London dachte! Aber Rex hatte recht. Alles in der Villa erinnerte an Tante Claire. Dort würde ich niemals vergessen können.

*

Rex hatte hastig seinen Tee getrunken. »Ich werde dir jetzt dein Personal vorstellen.« Er läutete nach Jim und befahl ihm, zunächst die Krankenschwester hereinzuführen.

Kurz darauf trat eine junge Frau ein, die etwa in meinem Alter, so um die Vierundzwanzig sein mußte. Selbst das graue, schmucklose Kleid, das Cate Duster trug, verbarg nicht, wie schön sie gewachsen war. Das glatte braune Haar trug sie in der Mitte gescheitelt und am Hinterkopf straff zurückgenommen. In dem sonst grob geschnittenen Gesicht fiel der volle, sinnliche Mund auf. Ihre schmalen, braunen Augen musterten mich mit scheuer Neugierde.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie mit einer überraschend tiefen, rauchigen Stimme, die nicht zu ihrer Jugend passen wollte.

»Ich freue mich auch«, entgegnete ich höflich und ganz gegen meine Überzeugung.

Meiner Ansicht nach brauchte ich keine Krankenschwester. Doch Rex hatte darauf bestanden. Er wollte nichts unversucht lassen, mich wieder auf die Beine zu bringen, wie er sich scherzhaft ausdrückte.

Zum Haushalt gehörten noch die Köchin Bette, der man die Vorliebe für reichliches Essen ansah und das Hausmädchen Sally, das mich mit seinem spitzen Gesicht und den nadelkopfgroßen schwarzen Augen an eine scheue Maus erinnerte.

Nur Schwester Cate durfte mit uns zusammen essen. Butler Jim trug hinkend die Suppe auf, eine gelbliche Brühe, auf der Fettaugen schwammen. Mir drehte sich allein schon bei dem Anblick der Magen um. Angewidert schob ich den Teller von mir, obwohl Rex beteuerte, sie würde ausgezeichnet schmecken. Ich war noch nie ein Freund von fetten Suppen gewesen. Dazu hatte ich in der letzten Zeit kaum Appetit und mußte mich regelrecht zum Essen zwingen.

Auch die nächsten Gänge ließen in mir den Verdacht aufkommen, daß Rex mit der Wahl seiner Köchin hereingefallen war. Das Fleisch wurde in einer fettriefenden Soße serviert, das Gemüse war zerkocht und die Kartoffeln hätte ich nicht mal gewagt, Schweinen vorzusetzen.

So begnügte ich mich mit Brot und Käse und nahm mir vor, mich in der nächsten Zeit um die Küche zu kümmern.

Draußen stürmte es noch immer. Selbst die Kerzen auf dem Tisch flackerten unruhig. Irgendwo klapperte monoton ein Fensterladen. Wenn der Wind heulend durch den Schornstein fuhr, jagte er Funken im Kaminfeuer auf. Der starke Harzgeruch des brennenden Holzes legte sich schwer auf meine Lungen. Als ich zu husten begann, goß Rex mir noch etwas Rotwein ein.

»Trink einen Schluck, Liebling!« Er neigte sich zu mir und lächelte.

Das Kerzenlicht spielte über seine regelmäßigen Züge. Rex war der attraktivste Mann, der mir jemals begegnet war. Hals über Kopf hatte ich mich in ihn verliebt und genau so schnell geheiratet, was Tante Claire gar nicht gepaßt hatte. Sie hatte sich damals, vor einem halben Jahr, wie eine törichte Mutter benommen, die ihre einzige Tochter nicht verlieren will.

Dabei hatte Rex sich soviel Mühe mit ihr gegeben. Doch sein Charme war bei ihr verschwendet gewesen. Sie hatte mir sogar einzureden versucht, daß Rex nichts weiter wäre, als ein Mitgiftjäger.

Wäre ich ein häßliches Entlein gewesen, hätte ich ihr vielleicht geglaubt. Doch es hat mir nie an Verehrern gemangelt, die mir beteuerten, wie reizvoll meine dunkelblauen Augen zu meinem kastanienbraunen Haar wirkten, dessen reiche Fülle fast zu schwer für mein schmales Gesicht war.

Meine zierliche Figur mochte in manchen Männern Beschützerinstinkte wecken. Auf jeden Fall hatte ich eine erfolgreiche Saison hinter mir, als mir Rex begegnete. Ihn hatte ich haben wollen und auch bekommen. Bis jetzt hatte ich meine Wahl noch keinen Moment bereut. Rex war der zärtlichste und liebevollste Mann, den man sich nur wünschen konnte. Ohne ihn hätte ich die letzten, grauenvollen Wochen gar nicht überstanden.

»Sei mir nicht böse, Rex, aber ich möchte mich jetzt gern zurückziehen«, sagte ich, seine lebhafte Unterhaltung mit Schwester Cate unterbrechend.

»Das ist vernünftig, Meggy! Du mußt nach der beschwerlichen Fahrt ja vollkommen erledigt sein.« Sogleich erhob sich Rex und führte mich nach oben.

Die hölzernen Treppenstufen knarrten unter unseren Schritten. Auf die Treppe gehörte ein Läufer, das war ja auch klar. In den nächsten Tagen würde ich mich um alles kümmern. Heute nicht mehr. Heute wollte ich nur noch schlafen und an nichts mehr denken müssen.

»Dein Zimmer, Meggy!« Rex öffnete vor mir eine der Türen auf dem Flur. Seine gespannte Miene amüsierte mich. Sicher erwartete er jetzt wie ein kleiner Junge ein Lob dafür, wie liebevoll er das Zimmer eingerichtet hatte.

Wie überwältigt blieb ich auf der Stelle stehen, mühsam mein Entsetzen verbergend. Der ganze Raum war ein Alptraum in Rot! Die rote Samtdecke auf dem Baldachinbett war bereits zurückgeschlagen. Im leisen Luftzug wehten rosafarbene Schleier des Baldachins über rosafarbener Bettwäsche. Der dunkelrote Teppichboden biß sich mit dem grellen Rot der Vorhänge an dem schmalen Fenster. Selbst die Kirschbaummöbel hatten einen rötlichen Schimmer und rot war der seidene Lampenschirm der Decken- und Nachttischlampen.

»Dein roter Salon!« sagte Rex voller Stolz. »Psychologen behaupten, die rote Farbe aktiviert Körper und Geist.« Er legte den Arm um mich und schob mich ins Zimmer. Sanft strich er mir übers Haar. »In dein rotes Haar habe ich mich zuerst verliebt«, flüsterte er. »Du bist sprachlos vor Überraschung nicht wahr, mein Liebling?«

»Oh, Rex!« brachte ich nur mühsam heraus.

Anscheinend hielt er es für ein Zeichen meiner sprachlosen Bewunderung, denn er grinste zufrieden. »Du brauchst mir nicht zu danken, Meggy! Du weißt ja, ich tue alles, wenn es dir nur Freude macht. Das Bad ist gleich nebenan. Kommst du allein zurecht oder soll ich dir Sally schicken?«

»Nein, ich schaffe das schon allein.«

»Schwester Cate wird dir später deinen Nachttrunk bringen.« Er küßte mir vorsichtig die Wange. »Schlaf schön, Kleines, und erhol dich gut.Wenn du mich brauchen solltest, mein Zimmer liegt nebenan.« Er deutete auf den Nachttisch neben dem Bett, auf dem ein feuerrotes Telefon stand. »Es war gar nicht so leicht, dieses rote Telefon aufzutreiben. Aber ich habe nicht eher geruht, bis ich es bekam. Schließlich sollte alles zusammenpassen.«

Behutsam schloß er die Tür und ließ mich allein. Ein Stöhnen entrang sich meinen Lippen. Rot war die einzige Farbe, die ich bisher immer vermieden hatte. Sie paßte überhaupt nicht zu meinem kastanienfarbenen Haar.

Doch wie sollte ich das Rex begreiflich machen? Er hatte es ja nur gut gemeint. Auch kannte er mich wirklich zu wenig, um zu wissen, daß Rot nicht meine Farbe war. Wenn ich nicht schon gräßliches Kopfweh gehabt hätte, mit Sicherheit hätte ich es in diesem roten Alptraumzimmer bekommen. Kaum wagte ich es, ins Bad zu gehen. Ich fürchtete, auch hier rote Kacheln vorzufinden.

Doch ich wurde angenehm enttäuscht. Das Bad war ganz in Weiß gehalten. Es war zwar nicht so komfortabel, wie ich es gewohnt war, aber immerhin sauber. Leider wurde das Wasser in der Dusche nur lauwarm. Ich beeilte mich, ins Bett zu kommen. Wenn ich die Augen schloß, würde ich das anstürmende Rot ja nicht mehr zu sehen brauchen.

Nach leisem Klopfen trat Schwester Cate ein. »Ihr Schlaftrunk, gnädige Frau«, sagte sie lächelnd und stellte das Silbertablett auf dem Nachttisch ab. »Heiße Milch mit Honig, das beste Mittel um gut zu schlafen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Mrs. Bradley?«

»Nein, vielen Dank, Schwester Cate!«

Fast lautlos schloß sie die Tür hinter sich. Ihre Schritte verklangen. Endlich war ich allein. Die heiße Milch trank ich in winzigen Schlucken. Auch ich kannte dieses alte Hausmittel, das einen erholsamen Schlaf fördern sollte. Nichts wünschte ich mir mehr, als rasch einzuschlafen.

Nachdem das Licht gelöscht war, zog ich die Decke über mich. Noch immer orgelte der Wind und ließ die Bäume ächzen. Es klang wie das Jammern verlorener Seelen. Ich bildete mir ein, über mir huschende Schritte zu hören. All diese fremden, ungewohnten Geräusche beunruhigten mich. Sicher würde ich sie nach wenigen Tagen gar nicht mehr wahrnehmen.

Der Schlaf überkam mich so plötzlich, wie man in einen tiefen Schacht stürzt. Wie so oft in der letzten Zeit quälte mich der gleiche Alptraum. Ich stürzte von einem hohen Berg. Ich fiel und fiel und das gähnende Dunkel verschlang mich.

Wahrscheinlich war ich schon tot, ohne es zu wissen.

*

Grelles Sonnenlicht stach mir in die Augen. Mühsam tauchte ich aus der Dunkelheit des Schlafes empor und spürte aromatischen Teeduft.

»Ihr Frühstück, Mrs. Bradley!«

Undeutlich nahm ich Sallys Mausgesicht wahr. »Soll ich Ihnen ein Bad einlassen?« fragte sie diensteifrig.

»Später, Sally! Du kannst gehen.«

Die kleine Maus verschwand erleichtert. Ich richtete mich auf und rieb mir die Augen. Vor meinen Augen tanzten schwarze Punkte. Wie jeden Morgen lähmte mich eine eigenartige Mattigkeit. Der lange Schlaf schien mich keine Spur erfrischt zu haben. Jetzt erst fiel mir die Stille draußen auf. Das Rauschen der Wellen klang entfernt und beruhigend. Vögel zwitscherten und die Sonne schien. Der Tee war so stark und schwarz, wie ich ihn liebte. Alles andere auf dem Tablett rührte ich nicht an. Ich verpürte nicht den geringsten Appetit.

Durch das Rechteck des Fensters sah ich einen Ausschnitt der Landschaft, wie ein gerahmtes Gemälde, in sanften Farben. Dünen mit blaßgrünem, hohem Gras. Ein windzerzauster Baum, dessen kahle Äste sich in den blaßblauen Himmel zu bohren schienen. Wenn erst der Frühling kam, würde die Landschaft sicher freundlicher wirken, und meine früheren Kräfte würden zurückkehren, das hoffte ich jedenfalls.

Rex kam zu mir. Wie immer wirkte er wie aus dem Ei gepellt. Zum weißen Hemd trug er einen rotblaugestreiften Schlips. Der beigefarbene Straßenanzug schmeichelte seinem gebräunten Teint. Als er sich über mich neigte, um mich zu küssen, spürte ich den intensiven Moschusduft seines Rasierwassers, das ich verabscheute. Wenn ich mich besser fühlte, würde ich ihm ein anderes Rasierwasser besorgen, nahm ich mir vor.

»Meggy, du hast ja wieder nichts gegessen«, sagte er vorwurfsvoll. »Wie fühlst du dich heute?«

»Besser«, log ich. »So früh am Morgen habe ich keinen Appetit. Ich werde später etwas zu mir nehmen.«

»Früh am Morgen?« Rex lachte. »Es ist gleich elf Uhr. Du hast geschlafen wie eine Tote.«

»Sag so etwas nicht!« Fröstelnd zog ich die Schultern zusammen. Wie ein eisiger Hauch hatten seine Worte mein Herz berührt. »Mit dem Tod treibt man keine Scherze!«

»Entschuldige, Liebling!« Sein Lächeln wurde zu einer Grimasse. »Ich bin wirklich ein Idiot. Immer wieder vergesse ich, wie sensibel du bist. Ich weiß ja, wie nah dir Tante Claires Tod gegangen ist, aber du mußt endlich aufhören, dir die Schuld an dem Autounfall zu geben. Es war ein Unglücksfall, Meggy!«

Schweig doch! hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Wie konnte ich vergessen, wenn er immer wieder darüber sprach? Sicher war es ein Unglücksfall gewesen. Doch das Unglück hätte sich vermeiden lassen, wenn ich die Kurve nicht zu schnell genommen hätte. Wenn ich vor der Fahrt die Wagenreifen kontrolliert hätte, wenn, wenn… Von solchen Dingen hing oft ein Leben ab.

Wie konnte ich jemals vergessen, daß Tante Claire durch meine Fahrlässigkeit ums Leben gekommen war?!

»Du bleibst heute am besten im Bett und ruhst dich aus.« Rex blickte mich besorgt an. »Wie blaß du bist! Fühlst du dich auch wirklich besser?«

»Ich brauche Ruhe, weiter nichts«, sagte ich mühsam.

Er verstand den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. »Ich störe dich auch nicht länger. Ich habe vor, in die Stadt zu fahren, um noch einige Dinge zu besorgen. Soll ich dir etwas mitbringen, Meggy? Hast du einen besonderen Wunsch?«

Mir fiel nichts ein. Ich hatte nur den Wunsch, allein zu sein. »Vielleicht ein Mittel gegen mein Kopfweh«, sagte ich matt.

»Schwester Cate wird etwas für dich haben. Ich werde ihr Bescheid sagen. Lange werde ich auch nicht fort bleiben.«

Kurz darauf hörte ich das Geräusch des abfahrenden Wagens. Rex war fort, und ich spürte ein vages Gefühl der Erleichterung. Auch ein geliebter Mensch konnte einem zur Last werden, wenn man sich nicht wohl fühlte. Manchmal ging mir Rex mit seiner übertriebenen Fürsorge auf die Nerven. Ich war wirklich ein undankbares Geschöpf. Auf den Knien hätte ich dem Schicksal für einen so rührenden Gatten danken müssen.

Rex war zu bedauern. Seit dem Tod meiner Tante hatte ich nicht mehr mit ihm geschlafen. Er mußte das vermissen, doch er ließ sich nichts anmerken und war die Rücksicht selber. Irgendwann würde ich ja auch wieder gesund werden, und dann würde ich alles wieder gutmachen, was ich an ihm versäumt habe.

Kurz darauf kam Schwester Cate, maß meinen Blutdruck, steckte mir ein Fieberthermometer zwischen die Lippen, riß weit die Fensterflügel auf und war von nervtötender Geschäftigkeit. Wären die scheußlich roten Gegenstände im Zimmer nicht gewesen, hätte ich mich wie im Krankenhaus fühlen können.

Fieber hätte ich keins, stellte Schwester Cate zufrieden fest. Nur mein Blutdruck wäre zu niedrig. In einem Silberschälchen servierte sie mir Tabletten gegen mein Kopfweh und stellte ein Glas Wasser daneben.

Von jeher hatte ich eine Abneigung gegen Tabletten aller Art gehabt. Zum Glück hatte ich sie auch nie nötig gehabt, sondern war von beneidenswerter Gesundheit gewesen. Doch das hatte sich seit dem Autofunall schlagartig geändert. Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst und erschrak jedesmal, wenn ich in den Spiegel schaute. Frische Luft würde mir sicher besser bekommen als Tabletten, überlegte ich und beschloß, ein wenig spazieren zu gehen.

Es fiel mir unheimlich schwer, mich anzukleiden. Immer wieder kreisten diese unheimlich schwarzen Schatten vor meinen Augen. Meine Glieder wollten mir kaum gehorchen, doch mein Wille überwand diese Schwäche. Mit Pulli, Jeans und pelzgefüttertem Trench bekleidet, stahl ich mich heimlich nach draußen.

*

Ein kühler Wind strich über mein Gesicht. Die Luft schmeckte nach Salz. Das Gekreisch der Möwen übertönte den zarten Gesang der Vögel. Am blaßblauen Himmel schien matt die Sonne. Vorsichtig suchte ich mir einen Weg durch die bizarren, herumliegenden Steinblöcke.