Gaston de Blondeville - Deutsche Ausgabe - Ann Radcliffe - E-Book

Gaston de Blondeville - Deutsche Ausgabe E-Book

Ann Radcliffe

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Beschreibung

DEUTSCHE AUSGABE Band 6 der ersten deutschsprachigen Ann-Radcliffe-Gesamtausgabe, herausgegeben von Maria Weber. "Dieser spannende historische Kriminalroman spielt im 13. Jahrhundert zur Zeit des englischen Königs Henry III. Die Handlung beginnt mit dem feierlichen Einzug des Königs in Kenilworth, den ausgelassenen Vorbereitungen zur Hochzeit des jungen Ritters Gaston de Blondeville und eines anstehenden Ritterturniers. Doch die festliche Stimmung wird jäh von einem reisenden Kaufmann unterbrochen, der vor den König tritt und Ungeheuerliches behauptet: Sir Gaston habe ihm großes Unrecht angetan, indem dieser seine Reisegruppe überfallen und ausgeraubt, und dabei seinen Verwandten, einen Johanniterritter auf der Heimreise, ermordet habe. Der Hof ist empört über diese dreiste Anschuldigung gegen den jungen Günstling des Königs, König Henry sieht sich jedoch gezwungen, einen Prozess zu veranstalten, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Ist der junge Ritter tatsächlich der angeklagten Verbrechen schuldig, oder treibt der fremde Kaufmann ein teuflisches Spiel? Schon bald mehren sich die Zeichen, dass eine übernatürliche Macht ihre Finger im Spiel hat - doch handelt es sich dabei wirklich um den unruhigen Geist des ermordeten Ritters, oder sind es, wie die Freunde Sir Gastons vermuten, vielmehr vom boshaften Kaufmann ausgeübte schwarzmagische Künste? Erst im Verlaufe des Turnieres kommt die Wahrheit schließlich ans Licht ..." Gaston de Blondeville ist der letzte, posthum erschienene, Roman der englischen 'Queen of Gothic Romance', Ann Radcliffe.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Erster Tag

Der erste Tag

Der erste Tag

Der zweite Tag

Der zweite Tag

Der dritte Tag

Der dritte Tag

Der dritte Tag

Der dritte Tag

Der vierte Tag

Der vierte Tag

Der fünfte Tag und seine Nacht

Der fünfte Tag und die fünfte Nacht

Der sechste Tag

Der sechste Tag

Der siebente Tag

Der siebente Tag

Die siebente Nacht

Die siebente Nacht

Der achte Tag

Der achte Tag

Schluß

Einleitung.

„NUN sind wir im Walde zu Arden!“, sagte ein englischer Reisender zu seinem Gefährten, als sie zwischen Coventry und Warwick durch die Gegend kamen, die sein lieber Shakespeare zu Klassikern gewandelt hatte. Indem er diese Worte Rosalinds ausrief, sah er halb verwundert, halb neugierig umher, wie diese auch ungefähr gefühlt haben mag, und er betrachtete die ganze Szene, auf welche ihn die Phantasie des Dichters so oft mit einem schwachen Widerschein seines eigenen Feuers geführt hatte, mit einem ihm eigenen Enthusiasmus. Er war offenbar keiner von den Kritikern, die glauben, daß das Arden Shakespeares in Frankreich liege. Aber er suchte umsonst den dichten finsteren Wald, der in einer früheren Zeit die Heimat des bangen Flüchtlings und der Schrecken des Reisenden gewesen war. Der letztere fand einst in so hohem Grade statt, daß man den Wald hier sechs Morgen breit auf jeder Seite aushauen mußte, um die auf Reisen begriffenen treuen Untertanen des Königs zu schützen.

Zwar zeigte sich auch jetzt die Landschaft noch waldig und belaubt, aber doch konnte der Reisende nirgends einen Wald sehen, der seiner Phantasie den verwiesenen Herzog und seinen Hof bei seinen Jagdfreuden unter dem Zwielicht der Buchen vorzuzaubern vermocht hätte. Hier gab es nicht eine Buche, unter deren weitem Schatten der schwermütige Jacques die schleichenden Stunden der Zeit hätte verlieren und vergessen können, während er mit dem armen Hirsch wehklagte, der, den Verfolgern entronnen, nun die Tränen in den murmelnden Bach fallen ließ und dort in Ruhe sterben wollte. Nicht einmal ein Wäldchen war da, in dessen dunklen Gängen die Einbildungskraft des Reisenden, wo es lichter war, einen Schimmer von der traurig wandernden Rosalind und ihrem Gefährten bekommen konnte: der betrübten Prinzessin, dem buntscheckigen Narren, oder von Orlando, wie er an einer Eiche lehnte und ihrem Gesang lauschte. Nicht den leisesten Widerhall desselben konnte er spüren. Die Gegend war von der, wie er sich den Wald von Arden gemalt hatte, gar zu verschieden.

„Ei“, rief er, „von diesem bezaubernde Bild ist nicht mehr zu sehen, als mitten in einer bevölkerten Stadt. Aber nicht beim dämmernden Morgen oder beim düsteren Abend, sondern beim dürftigen Lichte der Theaterlampen! Ja, im Theater, mitten in der lärmenden Menge, deren Gesumme statt der Amsel im Walde tönt, werde ich oft in die wildesten Gegenden der Dichtkunst und Einsamkeit versetzt. Und hier, gerade auf dem Orte, den Shakespeare zeichnete, bin ich mit einem Male aus dem vollen Ergusse meiner Feiertagsgefühle in die gemeine Wirklichkeit unserer Alltagswelt gekommen.“

Es entspann sich nun ein Gespräch über die Täuschungen der Phantasie und die verschiedenen Mittel sie rege zu machen, wie die Dichter Shakespeare und Milton dies taten, welches an dieser Stelle unnötig zu wiederholen wäre. Dies dauerte so lange, daß Mr. Simpson immer mehr das Feuer dabei verlor, während Willoughton mehr und mehr Ernst zeigte und, wie sehr die Einwürfe dagegen abnahmen, immer weniger und weniger bemerkte. Endlich fragte er den Freund geradeheraus, ob er sich denn nicht des schönen Eindrucks erinnerte, den die Türme des Schlosses Windsor auf die Phantasie machten? Mr. Simpson wollte aber gern verbergen, wie nahe er daran war, einzunicken und antwortete daher sehr rasch: „Nein, nein! Ich erinnere mich an nichts von dem, was Sie da sagen, aber Sie sprachen vor einer kleinen Weile von Hamlet und Türmen. Nun, wenn Sie Türme sehen wollen, die Hamlet Ehre machen, so gehen Sie zum Warwick Castle. Wir werden hoffentlich noch vor Einbruch der Nacht hinkommen. Während im Gasthofe das Mahl bereitet wird, können Sie auf der Höhe vor dem Tore die Türme sehen, die wahrlich majestätisch und trutzig genug sind. Steht der Mond am Himmel, so können Sie sie am besten wahrnehmen und haben Sie Geister gern, so kann es Ihnen kaum fehlen, mit einem bekannt zu werden.“

„Ich werde davon Gebrauch machen!“, versetzte Willoughton lachend. „Indessen bin ich nicht so ein Freund von Geistern, wie Sie zu denken scheinen, bloß gegen ein paar habe ich freundschaftliche Neigung. Sie sind mir besonders lieb und ihnen möchte ich schon meine Zuneigung beweisen.“

Willoughton bekam aber keine Antwort und bemerkte, daß sein Freund wieder eingenickt war. Er beschäftigte sich also wieder mit den Gedanken, welche die Ardener Gegend, Shakespeares Wald, bei ihm erweckt hatte. Seine Träume wandelten nicht mehr in der Gegenwart; sie flohen über selbstgeschaffene Welten hin, bis ein Stoß des Wagens seinen Gefährten aufweckte. Dieser schüttelte den Kopf und sah zum Fenster hinaus, so eilig, wie ein Mann, der die Zeit verschlafen zu haben und nun genötigt zu sein glaubte, seine Gedanken zu sammeln, um mit seinem Freunde zu reden. Willoughton hätte ihm nun allerdings lieber eine solche Unterbrechung erspart. Doch eine Bemerkung Simpsons berührte gerade die Saite, die ihn in diese Gegend zurückrief.

„Das ist mal eine Eiche“, bemerkte dieser, „sie mag wohl schon zur Zeit Elizabeths gestanden haben, wenn man so nach ihren großen Ästen und ihrem hohlen Stamme geht!“

„Ach, die ist älter!“, rief Willoughton. „Vielleicht ruhte schon Shakespeares Auge auf ihr. Vielleicht lagerte er unter ihrem Schatten! – O, jetzt kommen wir doch in eine Art Ardener Wald! Sehen Sie nur, wie das Gehölz in der Ferne aufsteigt und wie die Abendsonne es so herrlich beleuchtet, jenseits jener herabhängenden Äste zu unserer Linken.“

In der Tat nahm die Gegend, je mehr sie nach der Kenilworther Gegend kamen, einen waldiges Aussehen an, und in Willoughton erwachte eine ganz neue Reihe von Gedanken, als sie sich nun den ehrwürdigen Ruinen der einst so prächtigen Burg näherten, die in früherer Zeit mal das Gefängnis und ein andermal das Lustschloß des Königreichs war, wo Edward II. unter Mortimers hochverräterischer Macht seufzte und der listige Leicester Elizabeth mit fürstlichen Aufwand bewirtete.

Der Umkreis der Burg betrug wohl zwei Stunden, Park und Forst dazu gerechnet. Als unter Jakob dem Ersten ein Anschlag davon gemacht wurde, da Sir Robert Dudley, der Sohn Leicesters und seiner ersten Gemahlin, Lady Sheffield, freiwillig das Land geräumt und den Ruf zur Rückkehr verachtet hatte, schätzte man die Waldungen allein auf zwanzigtausend Pfund. Dugdale bemerkte von der Burg und ihrer Gegend, daß an Stärke und Schönheit und Freuden Seinesgleichen in ganz England nicht gefunden werde.

Erinnerungen an die vielen und mancherlei Schicksale diese Burg füllten Willoughtons ganze Seele, und er blickte mit Ungeduld aus dem Wagen, um die stattlichen Türme in der Ferne und die verfallenen Tore im Sonnenschein im Walde zu erspähen, der nun mit majestätischen Schatten emporstieg. Hier gab es doch noch einen Überfluß an Blattwerk, wie es den edlen Ruinen und dem Angedenken an den Ardener Wald würdig war, und als er nun zuerst die grauen Mauern und Türme über den Wald, von der Abendsonne beleuchtet sich erheben sah; als die langen Strahlen derselben in den Zweigen hingleitend, mit ihrem goldenen Feuer manchen alten Baumstamm tief im Gebüsch erhellten, da machte er seiner Bewunderung und Begeisterung durch einen Ausruf Luft, worauf Mr. Simpson sehr erschrak und dem Postillion gleich den Weg zum nächsten Tor einzuschlagen befahl.

Bald darauf kamen sie in ein Tal, dessen bewaldete Hänge jede Aussicht in die Ferne hinderten und ihre Aufmerksamkeit allein auf die ehrwürdige Ruine lenkte, welche der Landschaft ringsumher ihren Ausdruck der Ruhe zu verleihen schienen. Sie sahen die mancherlei schönen und einzelnen Teile der Burg, die sich auf einem freistehenden Felsen mitten in dem einsamen, abgesonderten Tale erhob. Wie sie nach dem einzigen Tore hinfuhren, das allein in den Raum der verlassenen Höfe führte, und nahe bei dem viereckigen Turmtor waren, welches Leicester als Haupteinlaß für die Burg erbaute, mischte sich Willoughtons Ungeduld mit einer süßen und wohltuenden Schwermut. Er vergaß sogar Shakespeare, während ihn etwas von dessen poetischen Gefühl ergriff.

Indessen wurde auch diese feierliche Szene zum Teil von einem Auftritte des gewöhnlichen Lebens unterbrochen und es gehörte in der Tat einige Geduld des Philosophen dazu, mitten in solchem Anfluge der Phantasie das Lärmen und Schreien von müßigen Kindern zu ertragen, die, wie das erste Rad sich hören ließ, aus jeder Hütte der nahen Hügel herbeiliefen, um die Fremden anzubetteln. In einem Augenblick waren nun die Bilder der Einsamkeit, des ehrwürdigen Altertums dahin. Der Wagen wurde ringsum belagert. Die Reisenden stiegen aus und bahnten sich mit Mühe den Weg zu der kleinen Pforte, welche durch einen Garten nahe an Leicesters verfallenen Turme auf den freien Platz führte, der einst der untere Burghof war. Eine lärmende Truppe folgte nach und einige Zeit konnte sie weder Geld noch Aufforderungen zerstreuen.

Der Turm – das Tor desselben war nun geöffnet – war nicht mehr der Neugierde zugänglich, aber er zeigte auch keine Spur von der Sitte älterer Zeit. Kein Burgwart schaute mehr ins Abenddunkel und keine Zugbrücke hing noch im Bogen. Das Gemach für die, welche durch Kriegerpflicht verbunden waren, zu gewissen Zeiten des Jahres die Nachtwache zu halten, hatte sich in ein gefälliges Zimmer und das ganze Gebäude in eine moderne Wohnung verwandelt. Von dem Rasenplatze, der einst der untere Hof gewesen war, schauten die Reisenden nach der ehrwürdigen Masse von Trümmern, die, noch stolz auf dem Felsen stehend, drei unregelmäßige Seiten des ehemaligen großen Innenhofes bilden.

Von der vierten Seite, welche den oberen Hof vom Vorhof trennte, sind jetzt keine Spuren mehr, den unebenen Boden abgerechnet, wo das Mauerwerk stand, und wo das Gestein unter Rasen und Gesträuche herumliegt, mit dem jetzt alles bewachsen ist.

Links steigen die verfallenen Mauern der hohen Steinmasse empor, welche Leicester erbauen ließ und die noch immer seinen Namen führt. Sie erhebt sich bis zu dem Rand der Höhe, welche den Vorhof beherrscht und mit einem reichen Efeuteppich geschmückt ist. Rechts sieht man den starken viereckigen, nach Cäsar benannten Turm, den ältesten der Burg und doch dem Ansehen nach jünger und besser erhalten, als alle Teile, welche in späteren Zeiten erbaut wurden. Es war der Hauptpunkt, die Hauptfeste der Burg, und die ungeheuer dicken Mauern zeigen sich in den drei Bogen auf der Vorderseite, welche denen in den Wasserleitungen bei Rom in Form und Durchmesser gleichkommen. Sie haben wohl fünfzehn bis sechzehn Fuß Durchmesser.

Der Stein, aus welchem dieser ehrwürdige Turm erbaut ist, zeigt festere Bestandteile, grauere Farbe, als man in den übrigen Gebäuden wahrnimmt, und diese Farbe stimmt trefflich mit dem Efeu überein, welcher die Bogen und Türrahmen beschattet; mit dem Eschen und Fliedergesträuche, das die obere Bergspitze bekrönt, die über jede Ruine dieses einst prächtigen Wohnsitzes von Fürsten emporsteigt.

„Man sollte meinen“, äußerte Willoughton, „daß keine menschliche Macht solche starken Mauern niederwerfen könne. Da aber doch die eine Seite des Turmes zerstört und die andere fast noch unversehrt ist, so muß sie von einer Kraft bestürmt worden sein, die schneller und auf einzelne Teile mehr einwirkte als der Zahn der Zeit.“

„Ja, Herr, ja“, sprach hier ein Mann, der seitwärts gestanden und die Fremden mit aufmerksamer Neugier beobachtet hatte, „der Teil der Mauer hier wurde von Cromwells Soldaten niedergerissen und wenn sie mehr Zeit gehabt hätten, so wäre alles zerstört worden. So aber ging die Sache schief!“

Willoughton sah sich nach dem Berichtiger um und erblickte einen langen, hageren Mann, der ein Dorfbewohner zu sein schien und der, ohne auf eine Ermutigung zu warten, gleich fortfuhr:

„Wie ich mir habe sagen lassen, zerstörten sie alles, was zwischen Cäsars und John O’Gaunts Turme hier am Ende der großen Halle stand, und einen Teil auf der anderen Seite des Hofes, zwischen dem Festsaal und Lord Leicesters Anbau.“

„Sind denn die Mauern hier die Überreste des großen Saales?“, fragte Mr. Simpson und zeigte auf ein malerisches Trümmerfeld, das, auf der dritten Seite des oberen Hofes stehend, zwischen den beiden anderen lag.

„Ja, Herr“, antwortete der Mann, „das war hier der Saal, wo bankettiert wurde, wo –“ „Leicester die Königin Elizabeth bewirtete“, fiel Willoughton ein. „Wie schön der Efeu da über die schlanken gotischen Fensterbogen herabfällt, und die Torbogen so zart und fein mit Weinlaub geschmückt sind! Die Sonne wirft ihre Strahlen durch den Bogen, als ob sie absichtlich die Schönheit ihrer Proportionen und die Anmut des Weines zeigen wollte, der sich darum rankt.“

„Je nun“, meinte Mr. Simpson, „hier mag mancher Humpen Wein und manche Rindslende unter dem Bogengange von des Königs Lehnsleuten hindurchgetragen worden sein, als Henry III. hier Hof hielt.“

„Ob gerade von Lehnsleuten, bezweifle ich“, antwortete Willoughton, „es kamen freilich Lehnsleute bei der Haushaltung mit vor, in jener Zeit; Lehnsleute auf der Wacht aber, denen nachher zum Teil die Pflicht oblag, manche Gerichte auf die königliche Tafel zu bringen, gab es erst zur Zeit Henrys VII.. Indessen können solche von der Haushaltung freilich auch diesen Dienst bei feierlichen Gelegenheiten versehen haben, und standen vielleicht in der Halle hier in doppelter Reihe mit den Weinkannen in der Hand.

„Das waren lebenswerte Zeiten“, bemerkte Mr. Simpson.

„Jawohl, das waren lustige Zeiten, Herr“, stimmte der Fremde bei. „Jetzt ist es hier einsam und düster genug in dem alten Saal. Nichts sieht man, als Gesträuch und Efeu. Ei, da steht ein Efeubaum an der alten Mauer da, so bejahrt, wie sie selbst beinahe! Sehen Sie, Herr, so grau und ohne Saft ist er, fast so, wie der Stein, auf dem er rankt, obgleich der Stamm solch einen Umfang hat, und doch zeigt er im Frühling und Sommer kaum ein grünes Blatt.“

Die Fremden gingen durch das Gesträuche dahin, um ihn näher zu betrachten; und wenn grünende junge Blumenkränze sie wohl bezaubert hätten, so freute sich Willoughton doch nicht minder über die silberfarbenen Äste, die graue Rinde dieses fast verlorenen alten Baumes, der selbst zur Ruine geworden war, während er eine andere schmückte. Er stieg über Dornen und Unkräuter, welche die Mauern bedeckten, die in diesen Hof herabgestürzt waren und schaute nun durch einer Pforte hindurch in die große Halle, die einst aus derselben durch einen kleinen Hof nach dem Festsaal – von ihm zeigte sich kaum eine Spur – und den Gemächern König Henrys geführt hatte. Hier betrachtete er den hohen Teil des prachtvollen Speisezimmers, den Ort, wo die hohe Tafel stand, an der Könige und Fürsten und Herrn und Gäste speisten, wo Henry III. gesessen, John O’Gaunt gezecht und Elizabeth Leicesters Huldigungen empfangen hatte.

An dem einen Ende dieser Plattform waren noch die Spuren eines großen Erkerfensters, das in den großen Hof sehen ließ, wo der Schrank stand, und das goldene Tafelgeschirr aufgestapelt war. Gegenüber ging ein Erker nach der Gegend hinaus, wo einst ein See war und wo noch immer Bäume grünten. Bei festlichen Gelegenheiten stand hier wohl auch ein Schrank, und an anderen Tagen diente er vielleicht zu einem Lieblingssitze, der die schönsten Aussichten auf den Park gewährte.

Nur die vier Wände zeigten die ehemalige Größe dieses alten Saales an. Nicht ein Überbleibsel von Decke und Boden war geblieben. Der Ort, wo Willoughton eben stand, war ein Raum für die Dienerschaft und die niederen Gäste gewesen, der an den großen Saal grenzte, der sechsundachtzig Fuß Länge und fünfundvierzig in der Breite hatte.

Diese Mauern, wo einst kostbare Tapeten glänzten, zeigten jetzt bloß die Überreste von Türpforten, und von schönen gotischen Fenstern, die sonst dieselbe Sonne hereingelassen hatten, welche jetzt den letzten Strahl eines scheidenden Tages hindurch auf Willoughton warf und diesen erinnerte, daß ihn wieder ein Teil seines Lebens verließ.

Das schwermütige Äußere hier sprach mit aller Einfachheit und Wahrheit aus, wie kurz und nichtig das Leben ist. Die Mauern schienen zu sagen: „Geschlechter der Menschen sahen uns und schwanden dahin, gleichwie ihr uns seht und auch dahinschwindet. Sie gedachten der Geschlechter der Menschen vor ihrer Zeit, gleichwie ihr derselben gedenkt und künftige eurer gedenken werden. Die Stimmen, welche in uns widerhallten, die Macht, der Reichtum, die Schönheit mit ihrer Anmut, die freudige Hoffnung, das Ziel der Leidenschaft stolzer und niedriger Ränge sind aus diesem Schauplatze für immer verschwunden. Wir aber bleiben die Schatten vergangener Jahre und werden, so schwach wir sind, noch bleiben, wenn ihr, die ihr jetzt auf uns schaut, längst in der Welt zu sein aufhörtet!“

„Ei, da ist ja noch eine steinerne Bank in dem alten Fenster“, sagte Mr. Simpson, „und das Fenster ist noch recht hübsch. Das trauliche Plätzchen hat all die Schnörkeleien überlebt, und ward gewiß in der Burg, wie ich zu sagen wage, zu seiner Zeit wenig geschätzt“

„Sehen Sie, Herr“, sagte der alte Mann, „es gehört zu der Mauer selbst. Sonst wäre es längst fortgetragen worden.“

Willoughton wandte sich wieder um, weil der Fremde so sprach. Es gefiel ihm nicht recht, daß der Mann sich so einmischte, doch seine Kenntnis von der Burg konnte nützlich sein, und er schien es bei seinem vorlauten Wesen auch nicht böse zu meinen. Auf die Frage, ob er in der Nähe lebe, antwortete er:

„Gleich hier im Dorfe Kenilworth, Ich sah, daß Sie ein Fremder wären, und dachte: Der will doch wohl was von der Burg wissen. Wenn Sie nicht zufällig auf jemanden träfen, wie ich es bin, so gängen Sie so klug weg, wie Sie kamen, denn Sie würden gar nichts wissen. Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr!“

„Nein, nein! Ganz und gar nicht!“, erwiderte Willoughton. „Und da Ihr so gut mit den Ruinen bekannt seid, so laßt mich doch hören, was Ihr davon wißt!“

„Ja, laß uns hören, was du zu sagen hast!“, stimmte Mr. Simpson bei.

Willoughton sah jetzt, als er sich nach diesem umkehrte, daß sein Freund sich auf die steinerne, vorhin genannte Bank gesetzt hatte. Es waren noch manche schöne steinernen Verzierungen vom Erkerfenster verschont geblieben und man sah durch dasselbe auf den glühenden Himmel im Westen, wo eben die Sonne hinter dem dunklen Wald im Tale unterging.

Auch er näherte sich und schaute auf die Gegend hinaus, von der Stille, dem Feierlichen angezogen, das allmählich in der Natur zu herrschen begann. In einiger Entfernung konnte er unten auf dem steilen Felsen, auf dem die Burg stand, noch Trümmer von den Mauern entdecken, welche sie einst umgaben. Hier und da zeigten sich noch Reste eines Turmes oder eines Bankettgebäudes. Der Boden in der Tiefe schien sumpfig. Doch auf den entgegengesetzten Höhen stieg bessere Weide empor, und mischte sich mit dem Walde, der auf allen Seiten die übrige Welt ausschloß und dies Tal zur Heimat der Ruhe und Schwermut zu machen schien.

„Wo ist denn aber“, fragte Willoughton „der schöne See, welcher zur Zeit Leicesters diese Burg umgab und auf welchem, wie Ihr gehört haben müßt, die Königin Elizabeth mit Aufzügen und so vielen Schmeicheleien begrüßt wurde?“

„Ja, wo ist er?“, hallte Mr. Simpson nach und sah den alten Mann mit einer Art an, als wollte er sagen: „Jetzt können wir dich brauchen und wollen dich auf die Probe stellen!“

Doch Willoughton ließ ihm keine Zeit zu antworten und fuhr gleich fort:

„Ich bin im Ardener Wald zur Enttäuschung verdammt. Erst konnte ich stundenlang keine Spur von einem Walde entdecken, wo ein verbannter Hof oder Günstling Zuflucht gefunden haben soll, und hier ist nicht eine Welle des Sees zu sehen, der einst beim Feste eines solchen eine Rolle spielte, der mir eine schwimmende Insel, nach dem Takte der Musik sich bewegend oder die Muschelhörner der herumspielenden Tritonen und Seejungfern vergegenwärtigen könnte. Ich sehe nicht einmal einen Schimmer von den Fackeln, welche bei solcher Gelegenheit ihr Licht auf die Wälder oder die Türme der Burg warfen und auf den Wassern zitterten, über die sie hinglitten!“

„Nein, Herr“, sagte der alte Mann, „es wäre schwer, jetzt etwas von alldem zu finden. Cromwells Männer würden alles auf den Kopf gehauen haben, wie sie das Wasser abgeleitet hätten, wenn so etwas dagewesen wäre!“

„Cromwells Soldaten! Schon wieder! Es ist gut, daß du mich daran erinnerst! Was hatten die ehrwürdigen Szenen Kenilworths mit der Politik und Freiheit zu tun? Aber so ist es. Wenn auch die Anführer in solchen politischen Stürmen an sich zu guten Geschmack haben, um bloß des Zerstörens wegen zu zerstören, so lassen sie doch den Neid, die Bosheit ihrer Anhänger gegen alles Schöne und Große toben!“

Solcherart sprach Willoughton zu seinem Freund, welcher darüber lächelte. Er wußte nämlich, daß der entrüstete Bewunderer des Altertums von einem Kriege sprach, wo es doch ein Volksaufruhr gewesen war.

„Wo verliefen denn die Grenzen des Sees, guter Mann aus Kenilworth?“, fragte Simpson.

„Ei nun, um zwei Seiten der Burg ging er, wie ich mir habe sagen lassen! Vom Turnierplatz an lief er hier wohl eine halbe Meile im Tale hin und breitete sich hier an den Ufern aus bis an den Wald dort am Berge gegenüber!“

„Eine prächtige Wasserfläche!“, rief Willoughton aus. „Mit Wiesen und Bäumen, die sich über sein Ufer neigen, und sich in seinen Fluten spiegelten!“

„Ja, Herr, der ganze Wald auf der gegenüberliegenden Seite war ein gutes Jagdgebiet, wie ich aus einem alten Buche weiß, außer der tiefer liegenden Wiese dort, welche Weidegrund für das Vieh war.“

„Für Vieh!“, rief Simpson. „Wie hätte das denn auf einem solchen Grund grasen können!“

„Aber ein schönes Gemälde muß es hier aus dem Burgfenster gegeben haben!“, meinte Willoughton. „Wenn die Tiere so des Nachmittags dort im Sommer unter den Bäumen lagen oder im kühlen Wasser des Sees standen!“

„Wohl“, sagte Mr. Simpson, „für Leute, die nicht viel auf Landbau halten!“

„Es war gerade dem Luftschloß dort gegenüber!“, bemerkte der alte Historiker.

„Dem Luftschloß?“

„Ja, Herr; wenn Sie dorthin sehen, so will ich Ihnen sagen, wo es stand. Ein Banketthaus auf dem See war es.“

„O! ein Lustschloß!“

„Es stand auf diesen Mauern dort, unten im Tale, rechts von John O’Gaunts Turme, und nicht weit vom Schwanenturm, aber es ist nun schon so finster, daß Sie kaum sehen werden, wo ich meine.“

Willoughton fragte, wo der Schwanenturm stand.

„Weiter weg! Ein gutes Stück weiter, Herr. Aber jetzt ist nichts mehr davon zu sehen. Er stand an der Ecke der Gartenmauer, gerade wo der See begann. Aber vom Garten sieht man jetzt auch nichts mehr, Herr, wir wissen nur noch, wo der Platz war. Die Königin saß immer recht gern im Banketthaus, wie ich gehört habe.“

„Es war gewiß angenehm, dort zu sitzen“, bemerkte Willoughton.

„Ja, Herr! Aber hier hat es auch seltene Lustbarkeiten und Feste gegeben, glaube ich. Gerade in dem Fenster hat sie auch recht gern gesessen!“

„Woher wißt Ihr denn das alles, mein Freund?“

„Je nun, der Ort wird bis auf diesen Tag Königin Elizabeths Türmchen genannt, weil sie nämlich so eine Vorliebe dafür hatte. Und hübsch war es gewiß auch, denn von hier konnte man den größten Teil des Sees überblicken. Ich wollte darauf wetten, daß damals die Bank hier mit Samt bezogen war.“

„Die Erinnerung an Elizabeth bereitet mir keine Freude“, sagte Willoughton, der sich nach seinem Freund umwandte.

„Nicht? – Die Erinnerung an die weiseste Fürstin, welche je geherrscht hat?“, fragte Mr. Simpson.

„Nein. Ihre Weisheit nahm zu viel von der List und ihre Politik den Anstrich von Verräterei an. Ihre Grausamkeit gegen die arme Mary ist ein blutiger Flecken auf ihrem Wappen, und wird ihr Andenken auf ewig schänden!“

„Sie sind zu leidenschaftlich“, bemerkte Mr. Simpson, „darüber ließe sich viel sagen!“

„Mir flößt sie nur Schrecken und Abscheu ein“, erwiderte Willoughton.

„Sie versetzt auch andere Leute in Schrecken“, sagte der Dorfbewohner.

„Wie meinst du das, Kamerad?“

„Es werden wunderliche Geschichten erzählt, wenn man sie denn glauben könnte, Herr! In unserem Dorfe gibt es alte Männer, die sagen, daß sie sie hier um die Burg herum gesehen hätten, mit einem großen Spitzenkragen um den Hals, gerade wie man sie im Bilde sieht. Daran eben erkannten sie sie.“

Hier brach Simpson – der Willoughton einen Blick zuwarf, der einen spöttischen Glückwunsch bedeuten sollte, daß er nun einen Mann getroffen habe, welcher denselben Geschmack besäße wie er – in so lautes Lachen aus, daß jede der alten Mauern widerhallte. Sein Freund lächelte und der Alte stutzte, aber etwas ernster fuhr dieser dann fort:

„Sie sagen auch, sie hätten sie hier in eben jenem Fenster sitzen sehen, als es gerade noch hell genug war, sie zu erkennen.“

„Ein Geist im Reifrock und Spitzenkragen!“, rief Mr. Simpson ganz außer sich vor Jubel. „Das ist gewiß der Gipfel des Anstands bei einem Geisterkostüm.“ Und aufs neue hallte sein Lachen von jedem Turm der Burg wieder.

„Nun, was kommt Ihnen nun dabei so töricht vor?“, fragte Willoughton. „Es ist hier von einem Geiste die Rede, der das Bild einer Person, wie man sie einst im Leben sah, wieder annimmt. Ist denn die Sache lächerlicher, als wenn ein schottischer Mantel einem übernatürlichen Wesen gegeben wird, das wir eine Hexe nennen? Und wenn Sie mit mir sonst über den Geschmack in Geistererscheinungen sprachen, haben Sie das letztere nie getadelt, sondern gerechtfertigt, weil es zu dem Volksglauben passe.“

„Ja, wenn wir uns aber die Königin Elizabeth im Reifrock und Spitzenkragen denken, so geschieht es, weil wir sie dann als Lebende, aber nicht als Geist annehmen.“

„Und falls Sie noch eine halbe Stunde hier in den Ruinen bleiben, bis Sie kaum noch die Mauern sehen können, so werden Sie gewiß nicht sehr über Elizabeths Geist zu lachen gestimmt sein, wenn er im Reifrocke und Kragen erscheint!“

„Vielleicht wäre es der Fall, hätten Sie mir nicht das Geheimnis verraten, wie solche Dinge zugehen. Allein ich frage Sie nur, ob mir wohl Elizabeths Bild, in solch lächerlicher Kleidung ausstaffiert, etwas anderes, als Lachen abnötigen könnte, wenn es jetzt in der Tat zum Vorschein käme?“

„Die Leute sagen“, unterbrach sie wieder der alte Mann, „daß sie recht feierlich und ernst aussah, wie sie so in dem Fenster saß, gerade wo sie jetzt sitzen; und den Kopf hatte sie in die Hand gelegt, oder es sah doch wenigstens so aus. Sie saß eine Zeitlang ganz still, und der alte Taylor saß auch ganz still und guckte sie nur immer an, denn er konnte kein Glied rühren. Endlich stand sie aber auf und drehte sich und winkte ihm mit der Hand, als wollte sie sagen: Geh an deine Arbeit! Er dachte, es wäre sein letztes und wäre gern geschwind genug gegangen, wenn er nur gekonnt hätte.“

„Ja“, sagte Simpson, „das war ganz in der Ordnung, wie es einer Königin geziemt. Gewiß ist dies eine wahre Geschichte!“

„Nun, Kamerad, was geschah denn weiter?“, fragte Willoughton.

„Je nun, Herr, da ging sie hier den steilen Berg hinunter, wo Sie jetzt stehen, in den Saal dort, wo man am hellen Tage nicht hätte ohne Halsbrechen hinunterkommen können. Und da verschwand sie und er verlor sie eine Weile aus den Augen, so finster war es. Aber mit einem Male sah er sie wieder dort unter dem Portale stehen. Ich möchte fast denken, daß ich sie selbst dort sehe!“

„Du bist ein dummer alter Mann!“, rief Simpson und sah sogleich nach dem Portal hin.

„Was geschah danach?“, fragte Willoughton.

„Je nun, Herr, da stand sie eine Weile mit düsterem Blick im Bogen, aber was dann mit ihr geschah, habe ich nie recht verstanden. Der alte Taylor sagte, daß sie wie eine Wolke verschwunden wäre. Er wußte aber nicht recht, ob er sie nicht noch ein paar Minuten wieder hier im Fenster gesehen habe oder nicht!“

„Und bist du denn nicht glücklich gewesen, so etwas einmal zu sehen?“, fragte Mr. Simpson.

„Aber nein, Herr, ich denke auch, daß so etwas nicht möglich ist. Aber, wenn ich auf solche Dinge versessen wäre, könnte ich schon glauben, daß ich auch zuweilen solcherlei gesehen hätte. Unten im Turnierhof beim Mortimers-Turm däuchte es mich doch einmal, als sähe ich einen Mann mit einer Maske vor dem Gesicht, in einer mondhellen Nacht, mit einem gezogenen Schwerte in der Hand.“

„Dieser Turm“, bemerkte Willoughton, „wurde zweifellos nach Mortimer, dem schändlichen Anbeter der berüchtigten Isabelle, benannt?“

„Man sagt, Herr, daß dort einst so mancher König eingeschlossen war.“

„Jawohl, Edward II., auf eine kurze Zeit.“

„Und von dem Turme wird erstaunlich viel erzählt, was dort zu sehen war, ehe er eingerissen wurde, und nachher noch, aber ich glaube kein Wort davon. Wenn die Leute nichts zu tun haben, zaubern sie immer solche seltsamen Geschichten hervor. Zu Hause habe ich ein altes Buch ganz voll damit, daß einem die Haare zu Berge stehen müßten, wenn man es nur recht verstehen könnte. Ich zeigte es mal unserem Schulmeister Mr. Timothy; er konnte kaum etwas herausbekommen, sagte aber, daß es sich kaum der Mühe lohne, weil es lauter dummes Zeug sei. Er las mir etwas daraus vor und wahrlich – ich konnte es die ganze Woche nicht aus dem Kopfe bringen!“

„Ja, es ist auf fruchtbaren Boden gefallen“, sagte Mr. Simpson, „es ist gut, daß du das dumme Zeug überhaupt aus deinem Kopf bekommen hast. Wie kam es denn aber, daß du ein Buch in einer Sprache kauftest, die du nicht lesen kannst?“

„Gekauft habe ich es nicht, Herr; und was die Sprache anbelangt, die verstände ich wohl, wenn ich nur die Buchstaben lesen könnte, und selbst Mr. Timothy hatte seine liebe Not beim Entziffern.“

Willoughton fragte, wo er das Buch gefunden habe, und ob man es sehen könne?

„Je nun, Herr, wir haben es ausgegraben, wo einstmals eine alte Kapelle stand, die zu der Priorei nicht weit von hier gehörte.“

„Oh! ich erinnere mich“, sagte Willoughton, „es war hier ehemals ein Kloster der Schwarzen Kanoniker bei Kenilworth, das von Geoffrey de Clinton, dem Kämmerer Henrys I. gegründet worden war, der auch diese Burg gebaut hat. Doch fahrt fort.“

„Dieser Ort wird noch immer als Begräbnisplatz benutzt“, fuhr der alte Dorfbewohner fort; „und es begab sich, als Guy, unser Totengräber, einmal dort ein Grab machen mußte, daß er auf einen Sarg oder eine Kiste oder was es war, stieß, und es befanden sich denn außer dem wunderlichen Buch auch noch anderen Dinge darin.“

„Wirklich?“, fragte Willoughton begierig; „so laß uns mehr davon hören.“

„Heute Abend werden wir wohl nicht nach Warwick kommen!“, bemerkte Simpson voll Verdruß.

„Je nun, Herr, es war eines Tages im letzten Herbst – nein, ich glaube es war schon im November; ich erinnere mich, daß es den ganzen Morgen geregnet hatte, kann mich aber doch nicht besinnen, ob es Oktober oder November war.“

„Das hat, wie ich vermute, nichts zu bedeuten“, sagte Mr. Simpson.

„Lassen Sie ihn doch so umständlich sein, wie er will!“, bat Willoughton.

„Aber gern, gerne doch, vergessen Sie nur nicht, daß wir nicht in Kenilworth schlafen werden.“

„Nun, Herr, mit der Zeit bin ich mir nicht ganz gewiß; ich weiß nur, daß es ein düsterer Tag war, aber der Regen hatte aufgehört, als der alte Guy so voller Schrecken zu mir gelaufen kam, wie ich in meinem Leben nicht gesehen habe und mir sagte, er hätte etwas in der Erde gefunden, doch er wüßte nicht, was es sei. So schwer habe sich aber in seinem ganzen Leben noch nichts angefühlt, er könnte es nicht in die Höhe bringen und wünschte, ich möchte mitgehen und ihm helfen, das Ding heraufzuheben. Und dabei sah er aus, als sei er nicht ganz richtig im Kopfe. Wie ich hörte, daß das Ding so schwer sei, dachte ich bei mir, daß mein Sohn wohl mithelfen könnte, denn der ist ein stämmiger Kerl. Guy gefiel mein Vorschlag nicht, soviel konnte ich sehen, denn er bildete sich stets ein, daß er Schätze finden würde und er hatte immer etwas Heimliches an sich und scharrte Geld zusammen, so viel er konnte. Es war kaum zwei Jahre später, daß er auch Läuten durfte und so doppeltes Geld verdiente; seitdem mag ihn kein Mensch mehr im ganzen Dorfe leiden. Nun, dem mag sein, wie ihm wolle, ich nahm meinen Sohn mit und wir machten uns an die Arbeit, ohne irgendwem etwas zu sagen, und es war so finster, daß uns wohl niemand auf dem einsamen Kirchhof sehen konnte.“

„Wenn es nun aber ein Schatz gewesen wäre, hätte er doch dem Gutsherrn gehört“, sagte Mr. Simpson.

„Ja, Herr, das weiß ich wohl; aber hören Sie nur weiter. Wir brachten es endlich aus der Erde heraus, und was war es anderes als ein alter eichener Kasten. Er war so groß, daß ein Mann sich der Länge nach hätte hineinlegen können. Was ihn aber so schwer machte, waren die eisernen Bänder, die ringsherum verliefen, und die eisernen großen Schlösser, die ihn versperrten. Weil nun der Fleck, wo er vergraben gewesen war, einmal das östliche Ende der Kirche war, setzte es sich Guy in den Kopf, daß der Kasten das Kirchensilber enthielte, das von den Mönchen in unruhigen Zeiten eingegraben worden wäre. Wenn Sie ihn nur gesehen hätten! Er dachte, sein Glück wäre gemacht, warf den Spaten von sich und sprang vor Freude hoch in die Luft. Ich dachte selber, daß etwas darinnen sein müßte, was sich der Mühe verlohnte, doch es war so pechfinster, daß wir kaum sehen konnten, wo wir waren. So schickte ich also meinen Sohn nach einer Laterne fort, und nun machten wir uns mit Guys Brecheisen daran, den Deckel aufzusprengen. Endlich gab er nach, und was denken Sie, Herr, was wir fanden? Je nun, nichts als alte Pergamente; an manchen hingen Siegel, und einige alte Bücher, die von Würmern zerfressen auseinanderfielen, obgleich die Blätter dick genug waren. Unten im Kasten war nichts als ein Haufen Staub.“

„Fandest du denn sonst nichts?“, fragte Mr. Simpson ihn scharf ins Auge fassend.

„Nein Herr, nichts weiter“, erwiderte der Alte, mit einem leichten Stocken; „nichts außer einem alten Stock mit einem großen Knauf. Er war ein bißchen mit Silber beschlagen, und ebenso ein Buch, das ich zu Hause habe!“

Mr. Simpson drang weiter in ihn, was denn den Kasten so schwer gemacht habe?

„Je nun, Herr, er war von festem Eichenholz, sechs Zoll dick, will ich meinen, und hatte eine Menge Eisen um sich. Mir hat das Buch so gut gefallen, obgleich ich es nicht lesen konnte, weil ich die Buchstaben nicht entziffern konnte. Aber es sind hübsche Bilder auf den Blättern und die Farben sind so frisch, als wenn sie heute erst gemalt worden wären; und manche von den großen Buchstaben sind mit Gold ausgelegt, das so leuchtend glänzt wie die Sonne.“

„Ein Manuskript, wahrscheinlich von einem Mönche hier im Kloster ausgemalt“, sagte Willoughton, „kann ich es sehen?“

„Ja, Herr“, antwortete der alte Mann, „ich habe es zu Hause. Was mich aber am meisten wundert, ist, daß es so frisch aussieht, da es doch die ganze Zeit in der Erde gelegen hat. Es war zwar mit Pergament gut eingewickelt, und der Kasten war auch dick genug dafür, aber ein paar andere Bücher fielen doch gleich auseinander, sowie sie an die Luft kamen.“ Willoughton fragte, was denn mit den Pergamenten gemacht worden wäre, und äußerte gegen seinen Reisegefährten, daß es wahrscheinlich Verzeichnisse der Grundstücke und andere Dokumente der Priorei gewesen seien, welche, als die Schreckensregierung Henrys VIII. in den Klöstern zuerst auftrat, verborgen wurden. Späterhin habe man behauptet, sie verloren zu haben, erst aus Hoffnung, die Dinge könnten in Zukunft noch von Nutzen sein, später aus Furcht, das Verstecken einzugestehen.

„Als Guy“, fuhr der alte Mann fort, „begriffen hatte, was für einen Schatz er vor sich hatte, hätte er sich beinahe selbst in den Kasten gelegt und darin in der Erde begraben lassen. Aber ich sagte ihm, daß er dies nicht nötig hätte. Wir nahmen also ein paar der besten Bücher heraus, aber es hat keines der anderen Bilder, und Guy nahm den alten Stab und dann legten wir den Kasten wieder in die Erde.“

Willoughton tat noch manche Frage über die Pergamente mit den Siegeln, die Siegel selbst, und ob sein Erzähler wohl den Ort wiederfinden könnte, wo sie lagen.

„Nun kommen Sie schon“, sagte Mr. Simpson, „lassen Sie uns diesen Ort verlassen; es ist schon beinahe dunkel.“

Der alte Mann meinte, daß er den Fleck wohl finden zu können glaubte; aber von Nutzen würde dies nicht sein, denn es wäre so tief in der Erde gewesen, daß man noch Gräber darüber hatte anlegen können und jetzt sei er also unter diesen.

Willoughton sagte, von solchen Umständen erschrocken, weiter nichts, der alte Mann indessen fuhr fort:

„Unter anderen Dingen in dem Buche ist ein Bild von dem alten Saal hier. Ich hätte das in meinem Leben nicht herausbekommen, denn wie es jetzt hier aussieht, hat es gar keine Ähnlichkeit mehr. Aber unser Schulmeister, Timothy Crabb, erkannte es gleich an dem Fenster hier und er las auch etwas von dem Fenster; und nachher sah er es an der Türe in der Wand dort.“

„Wie sieht es denn in der Zeichnung aus?“, fragte Willoughton.

„Nun, Sie sollen das Buch sehen, wenn Sie wollen. Der Saal hatte eine gewölbte Decke, wie eine Kirche. Und eine Galerie lief hinten ringsherum; und was für ein Kamin dort war!“

„Ja, ganz wie man hier noch die Überreste sieht, vermute ich“, sagte Mr. Simpson.

„Nein, Herr, ganz anders war er.“

„O! vielleicht war es so einer“, wandte er sich an Willoughton, „wie wir in Penhurst sahen; ein in die Höhe gebauter Herd, mit Eisenstäben, um das Holz darauf zu legen, inmitten des Saales.“

„Nein“, entgegnete Willoughton, „diese Bauart ist von späterer Art als die Kamine in englischen Sälen. Sie kam, wie ich es verstehe, mit dem befestigten Gutshaus, von welchem Stile Penhurst, oder zumindest der ältere Teil des Bauwerks, ist. In den Sälen alter Burgen trat der Herd aus der Mauer heraus und ließ den Rauch oben durch ein Loch hindurch. Er sprang also in dem Gemach selbst vor und war zuweilen mit einem steinernen Kranze umgeben, der von Pfeilern getragen wurde. Dadurch bekam er eine Ähnlichkeit mit einem gotischen Portal, wie es zuweilen unsere schönsten Hauptkirchen ziert.“

„Ja, Herr, der in meinem Buche sieht gerade wie ein Kirchenportal aus, aber ohne die Seiten, und die Oberseite fällt zum Herd hin ab. Und dann stehen im ganzen Saale Reihen von Tafeln und daran sitzen Herrn und Damen, und –“

„Ich muß dieses Manuskript sehen“, unterbrach ihn Willoughton. „Es scheint mir sehr merkwürdig!“

„Kommen Sie“, sagte Mr. Simpson, „es ist schon so finster, daß wir kaum den Weg finden. Man sieht fast keinen Lichtstreifen mehr am Horizont!“

„Nein, Herr, aber dort geht der Mond bald auf und es gibt einige Leute, die den Platz gern bei Mondschein sehen.“

„O, wir haben nun genug davon gesehen!“

„Ich empfehle Ihnen“, sagte Willoughton, „in diesem Moment nur ja nicht nach der Türe unten in der Halle zu sehen, damit Sie nicht etwa die stattliche Gestalt der Elizabeth im Kreuzgange erblicken. Ich hatte eben so einen Schein vor Augen und weiß nicht einmal gewiß, ob ich nicht etwa den ernsten Blick Leicesters unter seinem schwarzen Samtbarett mit Federn sah!“

„Nach Warwick werden wir heute Abend nicht mehr kommen“, antwortete Simpson besorgt. „Man spricht immer von der Geduld, die ein Altertumsforscher haben muß. Bedenken Sie also, wie viel einem seiner Freunde vonnöten ist!“

„Ich habe nicht die Ehre, den ersteren Namen zu verdienen“, sagte Willoughton.

„Nun, unter uns; viel fehlt nicht daran! Das Verdrießliche bei der ganzen Sache, werden Sie aber einräumen, fällt mir zur Last!“

„Und zwar, wie das alte Sprichwort sagt: Ohne alles Verdienst. Sie machen sich aber durch Ihre Scherze dafür bezahlt. Ich bin allerdings vollkommen geneigt, den Namen eines Altertumsforschers in der besten Bedeutung zu verdienen. Zum mindesten liebe ich solche Forschungen, die uns mit dem Charakter, den Gewohnheiten unserer Mitmenschen in alten Zeiten bekanntmachen, die sie uns in ihren Sälen, bei ihren Zeremonien, Turnieren, Banketten, häuslichen Gebräuchen und selbst in ihrer klösterlichen Einsamkeit zeigen. Solche malerischen Träume, an denen die Einbildungskraft so viel Wonne findet, und jede noch so fern liegende Entdeckung der Art, erregen besondere Teilnahme, und ein nicht minder wohltuendes Gefühl, so daß unter allen Studien das des Altertums am wenigsten trocken genannt werden kann, so gern auch gleichgültige und ungebildete Menschen ihm diesen Beinamen zu geben pflegen. Die Altertumskunde ist eine der beliebtesten Regionen der Dichtkunst.“

„Nein“, sagte Mr. Simpson, „Ihre Wiesen und Wälder sind der richtige Ort dafür. Wer hat je daran gedacht, eine Muse in einer alten Burg aufzusuchen? Doch kommen Sie nun, und vergessen Sie nicht, daß wir auf dem Weg nach Warwick sind.“

„Bevor wir gehen, muß mir mein Freund hier das alte Manuskript zeigen; und ich muß die schöne Ruine bei Mondlicht sehen.“

„Bei Mondlicht!“, rief Simpson aus; „wollen Sie denn wirklich wegen eines solchen romantischen Einfalls länger bleiben? Wir haben sie doch bereits beim Sonnenlicht und bei fast gar keinem Lichte gesehen?“

„Der Mond geht jetzt auf, Herr“, sprach hier der Alte; „und bis der Herr hier das Buch besehen hat, ist er hoch genug, um Ihnen auf Ihrer Reise Licht zu geben!“

„Indessen werden die Pferde auch nichts gegen ein wenig Hafer sagen, der Postillion wird gern etwas Ale trinken, wenn der gute Mann ihm mitteilen will, wo er es bekommen kann!“, meinte Willoughton.

Als Mr. Simpson äußerte, daß auch er gern ein wenig Ale aus Warwickshire trinken würde, erwiderte der alte Mann: „Das Ale, das hier verkauft wird, ist nicht der Rede wert; wenn es aber den Herren gefällt, so bringe ich den Mann und die Pferde unter, wo sie ein bißchen ausruhen können; und wenn Sie mit mir kommen, können Sie bei mir ein Glas selbstgebrautes Ale versuchen, und das Buch dabei besehen.“

Das waren die Reisenden zufrieden, und ihr Führer brachte erst den Postillion in einem Hause unter und führte sie dann in seine Hütte, wo er das gewünschte Manuskript herausholte. Es war auf Pergament geschrieben, reich illuminiert, und wies sich als Erzählung dessen aus, was in Kenilworth geschehen war, als Henry III. das Michaelisfest hier feierte, sowie einiger sonderbare Dinge, die sich dabei ereignet hatten.

„Da ist eine Titelseite, die beinahe in Gestalt eines Dreiecks, und fast so dicht geschrieben ist, als wäre sie gedruckt!“, bemerkte Willoughton. „Die Zeit, die in der Spitze des umgekehrten Dreiecks steht, kann ich nicht ganz entziffern, aber es ist 1200 und da herum.“

Über jedem Kapitel und zuweilen auf dem breiten Rande waren Zeichnungen von einzelnen Teilen der Burg zu Kenilworth, wie sie in den Zeiten Henrys wahrscheinlich ausgesehen hatte, und von einigen Szenen, die damals stattgefunden haben mochten. Zuweilen kamen auch einzelne Portraits von den dabei vorkommenden Hauptpersonen. Die Bilder gaben alle eine lebendige Darstellung der Sitten und Gewohnheiten jener Zeit und waren mit mehr Kenntnissen der Perspektive und mehr Beachtung der Größenverhältnisse gearbeitet, als Willoughton erwartet hatte. Man sah unter ihnen einen Zug von Rittern und Frauen, vorn viele Harfner voraus, die aus dem Turnierhofe nach der großen Halle zurückkehrten, welche ein spitz zulaufendes Dach zeigte, während die Fenster darunter, in bedeutender Höhe über der Erde angebracht, runde Bögen hatten, statt spitzer. Die hineinführende Pforte stimmte mit dem überein, was man noch jetzt sah, nur der Bogen war anders gebaut und statt des nun eingemeißelten eleganten Weinlaubes, welches letzteres Willoughton ohne Bedenken in Leicesters Zeit setzte, sah man Verzierungen aus Wappen und Mustern.

Eine andere Zeichnung gab die innere Ansicht des Saales wieder, wie sie schon der alte Mann erwähnt hatte. Die Decke wölbte sich hoch hinauf, das Dach war zu den Sparren hin offen, und darunter befanden sich zu Bogen geformte, mit hübschen Schnitzereien verzierte Balken. Eine andere Zeichnung gab das Innere einer Kapelle wieder, von der aber keine Spur mehr zu Kenilworth zu finden ist.

Die ursprüngliche Bauart des Gebäudes schien sehr alt zu sein, war aber mit einer leichteren und gefälligeren gemischt, wie es die spitzen Fensterbogen zeigten. Willoughton meinte, daß diese Verschönerung von Henry III. herrühre, von dem man wußte, daß er die Burgkapelle zum eigenen Gebrauche während seiner gelegentlichen Aufenthalte dort einrichten ließ.

Es gab eine Abbildung einer eben am Altare stattfindenden Vermählung dar, wo eine große Menge vornehmer Personen in Staatskleidung aufgereiht stand. Ein König gab die Hand der Braut einem jungen Manne, der mit vielen kriegerischen Ehrenzeichen geschmückt, aber weit entfernt war, die Gabe mit Freuden zu empfangen. Er schien im Gegenteil sehr bestürzt, und die Braut wollte, ihrer Haltung nach zu urteilen, in Ohnmacht sinken.

Am Rande war das Portrait eines Königs, seine Robe und eine goldene Krone tragend. Es schien Henry III. darzustellen, dessen aus Erz gegossene Bildsäule in der Abtei zu Westminster eine bemerkenswerte Ähnlichkeit damit aufwies.

Über einem anderen Kapitel sah man die innere Ansicht eines Turmes, wo ein Mann allein bei einer Lampe saß. Hinten an einem Gitter sah man ein Gesicht. Dasselbe Gemach kam danach noch einmal vor, mit einem Manne darin, der auf einem niedrigen Lager lag, doch ließ das Bild nicht erkennen, ob er schlief oder tot sei. Die Lampe war verlöscht und statt des Gesichts am Gitter leuchtete der Mond durch ein Fenster und warf ein blasses Licht auf die Lagerstätte.

Ein anderes Bild gab eine Ansicht von einer Kapelle oder einer Halle, Willoughton war nicht sicher, welche. Ganz hinten war eine Art von Altar und in der Nähe stand eine Gestalt, ganz allein, das Gesicht hinter einem Visier verborgen; der linke Arm hielt aufgerichtet ein Schild, der rechte eine Lanze, doch die Füße waren in Ruhelage; während eine andere Gestalt an der Türe entwich, als ob sie fürchte, verfolgt zu werden; die Hände waren ausgestreckt und ihr Gesicht über die Schulter zurückgewandt. Auch hier schien der Mond durch ein Fenster und das Licht fiel auf das in die Höhe gehobene Schild.

Während Willoughton über die Bedeutung dieses Bildes nachdachte, sagte der alte Mann, auf das Blatt zeigend: „Timothy Crabb behauptet, Herr, daß dies die Klosterkapelle darstellen soll, das heißt, wie sie sonst aussah. Ich wäre nicht selber darauf gekommen, denn von der Kapelle ist fast nichts geblieben; aber Tim hat alles gut erklärt.“

„Sagte er denn, was die Figur hier bedeuten mag?“

„Nicht, daß ich wüßte; aber das Buch macht es gewiß klar, schätze ich.“

Willoughton wendete mehrere Blätter, die nach der Zeichnung folgten, um. Aber Sprache, Schreibart und Schrift waren so alt, daß er oft stockte. Was er indessen entziffern konnte, fesselte seine Aufmerksamkeit so sehr, daß sein Freund den kleinen Rest seiner Geduld verlor und erklärte, ohne ihn fortreisen zu wollen. Willoughton sagte daher seinem einfachen Wirt, daß, wenn er sich von dem Manuskript trennen wolle, er ihm geben werde, was er fordere.

„Je nun, Herr, ich sehe zuweilen gern die Bilder an, und das Gold glänzt, daß es eine wahre Freude ist, darauf zu gucken, aber so hilft mir das Buch nun freilich nicht viel. Andere Leute können es vielleicht besser brauchen; ich kann es nicht lesen, und wenn ich es könnte, nun, da wär es auch weiter nichts. Denn was Tim vorgelesen hat, machte mich beinahe so närrisch, wie den alten John. Ich fürchtete mich einige Zeitlang, wenn es finster war, der Burg nahezukommen, und die Leute sagten doch immer, daß ich ein bißchen klüger wäre, als manche andere. Aber aus solchen Dingen kommt nichts Gescheites heraus, das sage ich.“

„Du bist ein gescheiter Kerl“, versicherte ihn Mr. Simpson, „und ich wollte, daß mein Freund hier nicht so neugierig und ein bißchen gescheiter wäre, so wie du. Und nun, Harry, kommen Sie und legen Sie das Buch hin.“

„Nein, erst muß ich mich für Ihre Kränkungen entschädigen. Was soll ich Euch für das Buch geben, mein Freund?“

„Ach Herr, das weiß ich wahrlich nicht. Ich weiß nicht, was solche Dinge wert sind. Timothy Crabb sagte, das Buch könnte man mit Gold aufwiegen, so viel er davon verstand. Aber ich überlasse es Ihrer Großzügigkeit.“

„Es ist gut, daß du es nicht der meinigen überläßt! Ich würde es niedrig genug schätzen“, sagte Mr. Simpson.

Die Summe, die Willoughton nach seiner Schätzung eines so seltenen antiken Stückes dem Bauern anbot, übertraf dessen Erwartungen bei weiten. Er hörte es mit einem Ausrufe des Dankes, während Mr. Simpson nicht bloß Verwunderung, sondern selbst Tadel äußerte und ein „Idioten und ihr Geld“ war auf seinen Lippen beinahe hörbar.

„Was habt ihr denn sonst noch für Bücher dort gefunden?“, fragte Willoughton.

„Ach Gott segne Sie, Herr! Ich wollte, ich hätte noch zwanzig davon.“

„Das hättest du wohl gern, wenn du sie so bezahlt bekämst“, bemerkte Simpson sogleich.

„Es ist die eigene Großzügigkeit seiner Ehren, Herr, und ich denke, er glaubt, das Buch ist sein Geld wert, sonst hätte er es nicht dafür gegeben.“

„Kommen Sie nun, Harry“, fuhr Simpson fort; „für heute ist des dummen Zeuges genug, laß uns gehen.“

„Noch so ein Buch wie dieses habt ihr also gewiß nicht?“, fragte aber Willoughton aufs neue. „Je nun, es sind noch ein oder auch zwei da, die noch nicht auseinandergefallen sind, glaube ich. Bilder haben sie nicht, aber geschrieben sind sie auch so, daß sie niemand lesen kann!“

Er ging sie holen.

„Sie bringen“, sagte Mr. Simpson, „den Mann noch in Versuchung, daß er die Kirchenbücher stiehlt und Ihnen als ein seltenes Stück aus alter Zeit verkauft. Und wahrhaftig wären diese das Geld eher wert, als das.“

Der alte Mann kam mit einem kleinen Quartbande mit dicken Deckeln und Messingbeschlägen zurück; man sah noch die Überreste von Bändern und von einem Schilde in der Mitte der Deckel.

„Das ist zwar aus späterer Zeit, viel späterer Zeit, als das Manuskript“, sagte Willoughton, „aber ich sehe, es ist eines der ältesten, die aus Englands Pressen hervorgingen. Auch scheint es mir nach seinem Inhalt bestimmt gewesen zu sein, die Absichten der Mönche jener finsteren Zeit zu fördern.“

„Ein Buch über Geister!“, jubelte Simpson laut auf. „Ein Geisterbuch mit den Zeichen, wie man sie erkennen kann, und verschiedenen Regeln, sich vor ihnen zu bewahren, dergleichen hat man nicht vorher gesehen!“

„Herrlich! Herrlich!“, sagte Willoughton, „da ist noch ein Band! Nun, Kamerad, ohne weiter herumblättern, was soll ich dir dafür geben?“

„Nein, das ist zuviel!“, sagte Mr. Simpson, „meine Geduld ist dahin!“

„Ach, Herr, die gebe ich Ihnen in den Kauf hinein!“, entgegnete der Alte lächelnd.

Willoughton nahm dies aber nicht an und zahlte, was sie ihm wertdünkten. Simpson ergriff ihn nun beim Arm und befahl, daß der Alte sie nach dem Wagen brächte.

„Ich muß zuerst die Ruine bei Mondschein sehen“, sagte Willoughton; „aber ich will Sie nur ein paar Minuten aufhalten.“

„Nichts da, Sie werden die Türme von Warwick bei Mondschein sehen; das ist noch viel besser.“

„Mein guter Freund hier“, sagte Willoughton, „wird unseren Wagen an das Tor bringen lassen, wo wir ausstiegen und während der Zeit sollte ich gesehen haben, was ich wünsche.“

„So sei es“, sagte Simpson ergeben. „Eines ist sicher, wenn man eine Reise mit Ihnen beginnt, weiß man nie, wann und wo sie enden wird. Unsere mitternächtlichen Spaziergänge bei Stonehenge habe ich noch immer nicht vergessen! Wir waren wohl die ersten menschlichen Wesen, die seit Jahrhunderten in solcher Stunde daselbst erschienen! Und was mich nachher am meisten erstaunte, war, daß ich mich zu so einer ungehörigen Stunde hatte verzaubern lassen, ich, dessen Gehirn nie nach solchen „hohen und unvorstellbaren Phantasien“ gehascht hat, wie Ihr Poet Gray sie nennt, und was die Köpfe manche seiner Leser verwirrt.“

„Ach ja, diese Schatten bei Vollmonde“, sagte Willoughton lachend, während sie nach den Ruinen gingen und sein Freund immer noch über die unkluge Leidenschaft für Altertümer und seine Leichtgläubigkeit predigte. „Und können Sie denn wirklich glauben, daß die Bücher so gefunden worden sind, wie der Alte sagte, und daß eines davon, besonders das Geisterbuch, je in der Klosterbibliothek gewesen ist?“

„Nun“, erwiderte Willoughton, „wahrscheinlich ist es nicht, daß der alte Mann die Geschichte, wie er sie fand, erdichtet habe. Mag das aber auch sein, wie es will, die Bücher tun ihr wahres Altertum schon selbst dar. Das Manuskript ist mühsam ausgemalt und es ist wohlbekannt, daß solche Arbeiten besonders von den Bewohnern der Klöster betrieben wurden. Sogar das Geisterbuch hat vermutlich den Absichten der Mönche zugesagt. Wir wissen, daß die Klosterbibliotheken eine überaus durchmischte Zusammensetzung enthielten. Ovid, der Roman von Karl dem Großen, Guy of Warwick, die Lieder von Robin Hood wurden mit Homilien auf einem Brette gefunden und diese hätten selbst mit dem Anstrich der Mönchsschule nicht solche Gefährten haben sollen. Sie werden sich erinnern, daß Wharton in seinen anziehenden Skizzen alter Sitten, die er in der Geschichte der englischen Dichtkunst mitteilt, dies geradezu anführt, und daß unter anderen, die Bibliothek von Peterborough Amys und Amdion, Sir Tristram Merlins Prophezeiungen, und die Zerstörung von Troja in ihren Regalen hatte. Bücher solcher Art wurden nicht nur von Mönchen kopiert, sondern selbst zu ihrem Zeitvertreib oder aus anderen noch böseren Absichten verfaßt.“

„Eines der alten Bücher, das Sie haben, bezieht sich auf diese Burg, glaube ich“, sagte Mr. Simpson, die dunklen Massen betrachtend, welche jetzt, vom aufgehenden Monde matt beleuchtet. noch viel majestätischer schienen als zuvor.

„Ja“, fuhr Willoughton fort, „und ich merke, daß auch Sie Neugier empfinden und wissen möchten, was auf dem Flecke, wo wir jetzt stehen, vor so vielen Jahren geschehen ist.“

„Je nun“, gestand Simpson, „wenn man jene Mauern sieht, die jetzt zerbröckeln, wo einst solche Pracht herrschte; sie, die Wesen einschlossen mit Leidenschaften, so heiß wie die unsrigen, Wesen, die nun schon lange von der Erde verschwunden sind: da kann man nicht umhin, ein wenig nach ihrer Geschichte und den Ereignissen zu fragen, von denen sie Zeugen waren. Indessen traue ich Ihrer Legende nun nicht gerade viel.“

„Sie spricht von den Zeiten Henrys III.“, sagte Willoughton; „diese waren barbarisch genug, manche Abenteuer zu gestatten; und wenn Londons Bürger damals am hellen Tage beraubt wurden, was mußten denn da wohl Reisende im Walde zu Arden erwarten? Aber dieses Manuskript scheint von Festen in der Burg zu erzählen, von Abenteuern, die sich ereigneten, als der Hof hier war.“

„Ja, wenn man es nur glauben könnte.“