Gebrauchsanweisung für Bordeaux und die Atlantikküste - Alexander Oetker - E-Book

Gebrauchsanweisung für Bordeaux und die Atlantikküste E-Book

Alexander Oetker

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Beschreibung

Das Aquitaine und Bordeaux hautnah erleben. Mit Anekdoten und Insidertipps träumen Sie sich an die französische Atlantikküste und in dessen traditionelles Hinterland: auf die kurvigen Küstenstraßen und in die Thermalbäder von Biarritz genauso wie in Bordeaux' hippes Szeneviertel Bacalan.  Wie wurde ein Rotwein durch einen Comic zur Legende? Was haben Saufen und Laufen miteinander zu tun? Und weshalb sind die Bordelais im Vergleich zu anderen Franzosen so lässig? Diese und andere Fragen beantwortet Bestsellerautor und Frankreich-Korrespondent Alexander Oetker in seinem etwas anderen Reiseführer.   Den Leser erwartet eine unterhaltsame Reise entlang der Südwestküste Frankreichs. Vom UNESCO-Weltkulturerbe Saint-Émilion bis zum Bassin d'Arcachon, von den Surfspots des Baskenlands bis zum fruchtbaren Flussdelta der Gironde. Dank der vielen Geheimtipps und Anekdoten fühlt sich die Lektüre an wie die Erinnerung an einen eigenen Kurztrip.  Insidertipps und Highlights halten sich die Balance  Klar, die Düne von Pilat ist kein Geheimtipp mehr. Auch nicht, dass die Atlantikküste zum Surfen optimale Bedingungen bietet. Aber wenn Sie vom Wellenreiten hungrig sind, verrät Alexander Oetker Ihnen, wo Sie die frischesten Austern und die besten Rotweine finden. Denn der Autor ist nicht nur Liebhaber und Kenner der Region, sondern auch ein echter Feinschmecker.  Ein Guide wie eine glühende Liebeserklärung  Was die »Gebrauchsanweisung für Bordeaux und die Atlantikküste« so besonders macht, ist, dass man die Liebe des Autors zu dieser Region in jeder Zeile spüren kann. Hier beschreibt jemand Bordeaux und Aquitanien mit Leidenschaft und Lebensfreude. Diese Begeisterung lässt die französische Atlantikküste so lebendig erscheinen, dass man nur noch eines will: sofort hinfahren und so schnell nicht mehr abreisen. 

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Pour Maman

 

© Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: Birgit KohlhaasCovermotiv: Cavan Images/PlainpictureKarte: cartomedia, KarlsruheLitho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Amoureux de l’Aquitaine

Ankunft im Sud-Ouest

Die Capitale des Savoir-vivre

Auf altem Pflaster

Das beste Steak der Welt

Promenade nocturne

Vom kleinen Gugelhupf, der Abfall ist

Das Ei und die Pille

Der Anruf bei Alain Juppé, der nie stattfand

Von Trauben und Träumen

Die Halbinsel der edlen Tropfen

Saufen und laufen

Disneyland du vin

Vom Comic, in dem Winzerträume stecken

Le blanc bordelais – besser als sein Ruf

La plage 24/24

Der Leuchtturm im Meer

Alte Orte, leichtes Leben

Der Coach vom Cap

Monument aus Sand

Eine Frage der Auster

Austern unter Polizeischutz

Hängende Paprika und heilendes Wasser

Drei Sterne für die Ewigkeit

Tradition oder Tortur

Auf mondänem Stein gebaut

Escapade en Pays basque

Atemlos durch die Nacht

La vie douce

Die Liebe eines Commissaires

Amoureux de l’Aquitaine

Die folgenden Seiten können nicht von einer kühlen Beschreibung leben, nicht von einer objektiven Ansicht oder von einer losen Leidenschaft. Es ist mir schlichtweg nicht möglich, Ihnen diese Region im Südwesten meines geliebten Frankreichs vorzustellen, wie es ein Reisejournalist tun würde. Ich möchte Ihnen vielmehr darüber berichten, was meine Liebe für diesen Landstrich bedeutet und woher sie rührt.

Warum nicht von Liebe schreiben? Denn das ist es, was ich empfinde, auch wenn der Kitschverdacht dies eigentlich verbieten sollte. Schließlich weiß ich noch genau, wie diese Liebe begann.

Meine Eltern sind mit mir stets weiter gen Norden gereist, in die Bretagne und die Vendée. Ich nehme es ihnen nicht übel, haben diese wochenlangen Reisen doch mein Frankreichbild geformt und den Grundstein für mein späteres Leben gelegt. Aber dann, irgendwann in meinen Zwanzigern, war es so weit. Nur wenige Monate, bevor mein Arbeitgeber, ein großer deutscher Fernsehsender, entschied, mich nach Frankreich zu schicken – in Paris sollte ich leben und arbeiten –, noch einmal Urlaub: Surfen lernen, im Süden, eine Stunde nördlich der spanischen Grenze. Ein kleines Dorf, Saint-Girons Plage, in den Wäldern der Landes, eines von diesen Surfer-Örtchen, mitten in den Sand gebaut, hinter einer hohen Düne. Im Sommer das Mekka für Urlauber, die sich nicht an der Côte d’Azur tottrampeln lassen wollen, im Winter verlassen von allen, außer von den paar Seelen, die ganzjährig hier leben, wenn die Gischt es über die Düne schafft, wenn Bäcker, Fleischer, Bistros die Rollläden unten haben und es nicht aussieht, als würden sie je wieder öffnen.

Bei meinem ersten Mal in Aquitanien herrschte allerdings Sommer. Hochsommer gar. Und es reichte dieser eine Augenblick: die Ankunft auf dem Zeltplatz und dann hinauf auf den sandigen Berg, ohne eine Ahnung, was mich da oben erwarten könnte. Der Atem so schwer, weil es steil war und mühsam, barfuß im heißen Sand, und weil sich die kleinen Körnchen, vom Wind getragen, im Gesicht niederließen wie ein unbestelltes Peeling.

Und dann der Blick: nach links und rechts die Weite der Düne, nur bewachsen von ein paar Gräsern. Nach vorn der Ozean, das Blau, der Horizont. Nach hinten unendliches Grün, wobei unendlich hier keine unerträgliche Überhöhung ist, sondern das, was das Auge ans Gehirn meldete. Der Seekiefernwald in den Landes breitete sich hinter diesen Dünen aus, weit hinein ins Land, das Grün vermischte sich mit dem Blau des Himmels – und vielleicht war das nur die Vorbereitung auf das, was auf der anderen Seite lag. Der Ozean nämlich, nie so gesehen wie hier, an diesem menschenleeren Strand. Die Wellen wie weiße Linien, die fein geschnitten heranrauschten, und von meinem hohen Blickpunkt aus ein riesiger Ausschnitt von all dem, ein Panorama, das sich mir eingrub, ohne dass ich etwas hätte dagegen tun können.

Rechts saßen schon ein paar Surfer draußen im Lineup, gegen die Sonne waren sie nur ein paar schemenhafte Gestalten, immer wieder rauschten die Wellen unter ihnen durch, ab und zu stand einer auf und ließ sich mittragen, in der Ferne hörte man den Jubel, doch die Wellen waren lauter. Ansonsten gab es nur die Elemente: Wasser, Himmel, Erde, Wald.

Warum ich mir diesen ersten Moment derart einprägte? Weil er nie wiederkam.

Nein, keine Sorge. Natürlich war es auch danach noch oft so traumhaft dort am Strand – und ist es bis heute. Doch nirgends zeigt das Meer so viele Gesichter wie an den Stränden des Aquitaine, nicht nur jeden Tag, sondern auch morgens und abends. Weil die Gezeiten sich ändern, der Wind, die Sonne, weil es mal regnet und mal stürmt, weil die Wellen mal glatt sind, winzig oder windverweht oder riesig und wütend.

Wenn ich hier bin, gehe ich jeden Morgen und jeden Abend auf die Düne, und meistens auch nach dem déjeuner. Da stehe ich dann und staune und wundere mich, wie das geht, dass es jedes Mal wieder ein völlig neues Bild ist, ein völlig neues Abenteuer, und doch jedes Mal gleich: atemberaubend. Noch nie hat mich dieser Blick enttäuscht, und für immer wird er auf unvergleichliche Weise mit dieser Landschaft verbunden sein.

An diesem Tag vor vielen Jahren wusste ich nicht, was mich noch erwarten würde, hier in dieser Region. Ich wusste nichts vom fruchtbaren Bassin d’Arcachon, nichts von der riesigen Düne von Pilat, nichts vom schroffen Baskenland, nichts von den Weinfeldern des Médoc und von Saint-Émilion, Lagen, die für Genießer und Sammler die ganze Welt bedeuten. Nichts von Bordeaux, der wohl lebenswertesten Stadt in Frankreich.

Da war nur das Meer.

Und schon war ich amoureux de l’Aquitaine.

Ankunft im Sud-Ouest

Jeden Freitag das gleiche Bild, für Reiche oder Faule auch schon am Donnerstag: Abends um halb sieben stehen sie im Gare Montparnasse an der Bahnsteigkante – und dann rollt der TGV los, à l’heure, pünktlich, natürlich, wir sind hier in Frankreich. Und die SNCF, die staatliche Bahngesellschaft, ist wohl das einzige Staatsunternehmen im Nachbarland, auf das die Deutschen wirklich neidisch sein sollten. (Nun gut: auf die Mautbetreiber auch. Die Autobahnen sind zwar teuer, aber dafür kann man auf ihnen fahren, immer geradeaus und ohne Störung, statt im ewigen Baustellenstau zu stehen. Allerdings sind die Mautbetreiber eben keine Staatsunternehmen, sondern privat.)

Wenn der Zug dann zwanzig Minuten später durch die letzten Ausläufer von Paris rollt, wo die Gebäude grauer und bunter zugleich werden – grau oben, wo die Stadt zu arm oder zu gleichgültig war, um zu sanieren, bunt unten, wo die Sprayer gerade noch hinkamen –, die letzten Gewerbegebiete gequert sind und aus Stein zunehmend Raps wird, passiert immer das Gleiche, jedoch in unterschiedlichen Variationen: Die Krawattenknoten werden gelockert, die Damen verschwinden im Bad, um die Pumps gegen bequemere Ballerinas zu tauschen, und es kehrt eine allgemeine Lässigkeit ein. Statt ernster Blicke werfen sich die Gesprächspartner nun ein Augenzwinkern zu, vielleicht wird sogar geflirtet. Aber alles ist zwanglos – sogar der regionale Akzent kehrt wieder zurück, und wir erkennen, ob die Gesprächspartnerin oder der Mann am Nebentisch nun aus Bordeaux, Angoulême oder Bayonne stammt.

Im Bordbistro werden die ersten Weinflaschen geköpft, das Bier aus dem Hause Kronenbourg fließt die durstigen Kehlen hinab, und ganz Mutige bestellen sogar die lausige Pasta Primavera. Dass das Bordbistro im TGV deutlich schlechter ist als das Bordrestaurant im deutschen ICE ist verwunderlich, aber das ist auch der einzige Wermutstropfen, denn dafür ist der TGV nach zwei Stunden am Ziel. Und dort gibt’s wirklich gutes Essen.

Zwei Stunden und neun Minuten. 580 Kilometer. Das müssen wir Deutschen uns mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich erinnere mich, wie wir Journalisten der Kanzlerin dabei zusehen mussten, als sie die Bahntrasse Berlin – München einweihte, gepriesen als das Bauvorhaben der letzten Jahre … Braucht es für die Strecke immerhin mehr als vier Stunden, und auch nur dreimal am Tag im Sprinter, während der TGV die exakt gleiche Distanz zwischen Paris und Bordeaux schon seit Jahren in der Hälfte der Zeit schafft. Weil er eben nicht noch in Wittenberg, Leipzig, Erfurt und Nürnberg anhält. Sondern gar nicht.

Natürlich gibt es auch in Frankreich Inlandsflüge. Doch von Paris aus lohnt es sich eigentlich nur, nach Nizza zu fliegen – oder nach Korsika. Für alles andere ist der Zug schneller und natürlich viel besser fürs Klima. Und auch von Deutschland aus fahre ich oft mit dem Zug nach Bordeaux. Das Umsteigen in Paris ist viel einfacher, als man denkt.

Und so sitzen wir hinter unseren Fenstern und beobachten, wie draußen das Land vorbeisaust. Wir fliegen vorbei an kleinen Weilern mit Häusern, den sogenannten Hameaus, über gelbe Felder, die endlos strahlen, durch kleine Wälder, die dunkel daliegen wie im Märchen, und über futuristische Brücken, die blaue oder graue Flüsse queren.

Überhaupt die Flüsse: Ist es nicht wunderschön, dass die Grande Nation die meisten ihrer Départements nach Flüssen benannt hat? Da sind Namen herausgekommen, die episch klingen: Ain und Aisne, Ille-et-Vilaine, Vaucluse, Gironde. Alphabetisch geordnet ergeben sie die Kennzahlen der Départements und damit auch die ersten beiden Ziffern der Postleitzahlen: von 01 (Ain) bis 89 (Yonne), wenn man das erst später hinzugekommene Territoire de Belfort (90), die 91 bis 95 für die banlieue parisienne und natürlich die 75 für Paris selbst nicht mitzählt. Sowie die Übersee-Départements, die keine Flussnamen brauchen, weil sie Inseln im Pazifik und damit schon von sich aus paradiesische Orte sind.

Es ist ein schönes Ritual, diese Fahrt im TGV, wenn die Woche vorbei ist. Und es sagt einiges aus über die große Nation: diese Republik, die so auf ihre Hauptstadt zentriert ist, dass jeder, der etwas werden will in Frankreich, nur à Paris arbeiten kann; und das anfangs euphorisch, später zähneknirschend annimmt. Wöchentliches Pendeln inklusive.

Auch ich liebe Paris, weil es die Stadt meiner Träume ist. Weil die Hauptstadt große Versprechungen macht: von Kultur und Architektur über Haute Cuisine bis Haute Amour. Doch die Leichtigkeit? Das Echte? Das bleibt in Paris auf der Strecke. Vielleicht gab es dieses echte Paris einmal, als Maigret noch auf der Place Dauphine zu Mittag aß – oder die alten Markthallen mit ihren schreienden Händlern in der Nähe von Châtelet noch nicht dem scheußlichen Einkaufsbahnhof weichen mussten, der nun gottlob auch schon wieder Geschichte ist.

Nein, wer Frankreich unter Franzosen erleben will, der muss hinaus. La France profonde sagen die Franzosen abfällig. Das einfache Frankreich – so könnte ich es übersetzen. Ich schreibe aber lieber: en campagne, aufs Land. Die Sehnsucht nach Echtheit, nach Natur und nach Tradition ist groß in Paris – die Sehnsucht nach dem französischen Traum. So saßen meine Kollegen und ich stets in unserem wunderschönen Büro auf der Avenue Marceau im noblen 8. Arrondissement, blickten aus den Fenstern auf den Eiffelturm hinter uns und auf den Triumphbogen neben uns. Und hatten ein simples Ziel: genau dort hinzugelangen – aufs Land.

Jeden Morgen durchsuchten wir die lokalen Zeitungen aus dem Süden, aus Nizza, Marseille und eben immer öfter auch aus Bordeaux und Biarritz, nach Geschichten, die auch für deutsche Zuschauer interessant sein könnten. Dann riefen wir mit glitzernden Augen und hektischen Fingern im Stammhaus an und boten unseren Redaktionen diese Reportageideen an. Oft gelang es: Unsere Hibbeligkeit übertrug sich per Telefon – und die Zugtickets waren innerhalb von Minuten gebucht.

Damals ging es noch nicht in zwei Stunden nach Bordeaux, es dauerte drei. Auch das ein Katzensprung. Aber dass der Südwesten nun mit der Zwei-Stunden-Zugtrasse noch einmal deutlich näher an die Hauptstadt herangerückt ist – so nah, dass für manchen Franzosen sogar tägliches Pendeln möglich geworden ist –, hat Bordeaux verändert. Und verändert es weiterhin Tag für Tag.

Weil die Pariser die Stadt an der Garonne für sich entdeckt haben und dort im großen Stil Immobilien kaufen. Weil die Mietpreise steigen und die Restaurants noch voller sind als ohnehin schon. Natürlich hat mittlerweile eine Gegenbewegung eingesetzt, die alten Bordelais wehren sich gegen die Gentrifizierung à la parisienne. Doch die Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein. Zu schön ist, was im Südwesten wartet.

Das ist so sicher wie die Tatsache, dass der TGV nach zwei Stunden und neun Minuten überpünktlich im Gare Saint-Jean in Bordeaux einfährt, unter dem großen Hallendach hält und die Tür sich mit lautem Druckausgleich öffnet, um gleich darauf gut gelaunte Reisende auszuspucken, ins große Abenteuer, das Bordeaux heißt.

Die Capitale des Savoir-vivre

Dass sich eine Stadt zum Wasser hin öffnen muss, um attraktiv zu sein, ist eine alte Binsenweisheit. Doch immer noch muss sie vielen Bürgermeistern in Deutschland und Frankreich vorgetragen werden, die ihre Flüsse irgendwo verstecken, verbauen, dem Leben entziehen.

Bordeaux aber lebt. Schon vor Jahrhunderten war das so. Davon zeugen die prachtvollen Gebäude entlang der Quais der Garonne, die ihren Höhepunkt am Börsenplatz finden, der Place de la Bourse. Eine derart gut erhaltene klassizistische Stadtanlage ist in Europa kaum noch zu finden, schon Victor Hugo schwärmte seinerzeit davon, dass Bordeaux in einem Atemzug mit Antwerpen und Versailles zu nennen sei. 2007 wurde die Altstadt zum Weltkulturerbe der UNESCO – und zwar hochverdient.

Es stehen also wahre Paläste entlang der Uferstraße. Bescheidene Politiker hätten sich damit zufriedengegeben, hätten sich gewissermaßen auf ihren Lorbeeren ausgeruht und das Erbe der Vorväter verwaltet. Doch Alain Juppé war kein solcher Politiker. Der ehemalige Außenminister, Verteidigungsminister, Premierminister und Finanzminister regierte Bordeaux seit 1995 für mehr als zwanzig Jahre – mit einer kurzen Unterbrechung wegen einer Verurteilung in einer unschönen Parteispendenaffäre. Ihm und seinem Stadtrat ist es zu verdanken, dass Bordeaux sich eben nicht ausgeruht, sondern inmitten all der Geschichte auf die Moderne eingelassen hat – nicht, um etwas zu zerstören, sondern um die Lebensqualität zu verbessern.

So öffnet sich die Stadt vollends zum Fluss, indem die Quais prachtvoll renoviert wurden und eine breite Promenade zum Flanieren einlädt. Der Clou aber kam 2006. Mit dem größten Wasserspiegel der Welt, dem Miroir d’Eau. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass die Stadt seitdem eine neue Sehenswürdigkeit hat, die alle anderen an Beliebtheit überragt. Ganz einfach, weil sie für viele Menschen nutzbar ist und für die anderen, die Zuschauer, pure Freude bringt.

Tagein, tagaus offenbart sich hier ein phänomenales Schauspiel: Auf den Granitplatten mit einer Fläche von fast 3500 Quadratmetern liegt ein Wasserfilm von zwei Zentimetern Höhe, in dem es sich herrlich planschen lässt. Alle zwanzig Minuten wird das Wasser abgesaugt, heruntergekühlt, und dann öffnen sich die 900 Fontänen im Boden, um einen feinen Nebel zu versprühen, der den Platz in Schwaden hüllt. Vor der herrlichen Kulisse der Altstadt ein Paradies für Fotokünstler, ein noch viel größerer Spaß aber für jung gebliebene Eltern und ihre Kinder, die nur noch in Windeln gehüllt über den Wasserspiegel stieben, ausgelassen herumtanzen und sich gegenseitig nass spritzen, oft begleitet von eindrucksvollen Musikeinlagen vom Rande des Miroir d’Eau und historisch anmutenden Eiswagen.

An den Wochenenden flanieren und spielen hier Tausende Bordelaises und Besucher – ein Riesenerfolg, herbeigeführt mit nur einem einzigen Highlight. Dass der Wasserspiegel so einschlagen würde, damit haben wohl selbst die Verantwortlichen nicht gerechnet.

Der Fluss also bildet das Herz der Stadt, und von dort beginnen seine Adern, die tief hinein in die Altstadt führen. Bordeaux ist eine zutiefst konservative und bürgerliche Stadt. Im Viertel Chartrons stehen die großen Bürgerhäuser der alten Weinhandelsfamilien, die sich vor einem Jahrhundert an teuren Flaschen reichverdient haben. Davon zeugen noch heute ihre Villen entlang der Straßen, mit großen schmiedeeisernen Balkonen, die an Paris und Haussmann erinnern. Doch Bordeaux ist im guten Sinne bürgerlich, nicht in diesem spießigen und piefigen, sondern in einem genussvollen und lebensfrohen Sinne.

Jeden Abend zur blauen Stunde lässt sich das beobachten, am liebsten flaniere ich dann die Rue Fernand-Philippart hinunter. Zu jener Stunde, in der sich die Stadt auf die Hochzeit des Abends vorbereitet, kurz vor dem Apéro mit anschließendem Dinner. In dieser Zeit atmet die Stadt noch mal durch, sind die Gassen etwas ruhiger, während das alte Pflaster noch die Hitze des Tages abstrahlt.

Die kleine Straße führt mich direkt auf die Place du Parlement, einen herrlichen kleinen Platz im italienischen Stil, der von wunderbaren Louis-XV-Bauten mit riesigen Sprossenfenstern und französischen Austritten umgeben ist. Seine Mitte schmückt ein Brunnen des Architekten Louis-Michel Garros, der Platz selbst ist nach dem Sitz des alten Parlaments von Bordeaux benannt. Zwei Dinge finden wir hier, die uns immer wieder begegnen werden in Bordeaux und im Aquitaine: Wein und Bücher.

Am südlichen Ende liegt der herrliche Weinladen Cousin et Compagnie, mit seinen blau eingefassten Holzfenstern. Im Laden gibt es einerseits hervorragende Weine zu vernünftigen Preisen, die man nach der Kostprobe kistenweise heraustragen möchte. Genauso kann man hier jedoch hundsteure Flaschen zum Träumen und Trinken aus dem Médoc erstehen – Legenden für Regale oder Kühlräume, die mitunter ein halbes Monatsgehalt kosten. Das Beste aber sind die langen Öffnungszeiten, falls man zum Abendessen eingeladen ist und mal wieder den Tag über vergessen hat, ein Mitbringsel zu besorgen.

Schräg gegenüber in einem Gewölbe liegt die Buchhandlung La Machine à Lire, einer von unzähligen gut sortierten Buchläden in Bordeaux. Die Bordelaises sind allein schon wegen ihrer reichen Geschichte als Handels- und Universitätsstadt Bildungsbürger, immerhin gilt die Metropole als kulturelle und geistige Hauptstadt des gesamten Südens, mehr noch als Marseille, Toulouse oder Nizza. Die Bordelaises leben Kultur und Literatur. Wo sonst kann man beobachten, dass sich auf der proppenvollen Einkaufsstraße Rue de la Porte Dijeaux an einem Samstagnachmittag Zehntausende Menschen mit Einkaufstüten drängeln, während hinter den ausladenden und stets liebevoll dekorierten Schaufenstern der ältesten Buchhandlung Frankreichs drei Dutzend Menschen einer einstündigen Lesung lauschen. 1886 wurde Mollat eben hier gegründet, in dem Haus, das Montesquieu in Bordeaux zuletzt bewohnte. Unglaubliche 300 000 Bücher hält die umsatzstärkste unabhängige Buchhandlung des Landes bereit, seit den Neunzigern ist sie auch ein Verlagshaus.

Gleich neben der Place du Parlement lässt sich der Apéro in Form eines Jahrgangs-Champagners wunderbar in der Bar Secret d’Initiés einnehmen. Danach ist es einfach, sich stundenlang zu verlieren, indem man den Spaziergängern, Eilenden und Hungrigen der Stadt zuschaut, die sich durch die große Altstadt treiben lassen. Vielleicht auf die kleine Place Saint-Pierre, wo sich Bar an Bar reiht und wo die Kirche und zwei riesige Kastanien um die größere Gunst der Flaneure wetteifern. Die Bäume ragen mit ihren Ästen über den Platz, in seinem Schatten zu sitzen und zu genießen – mais oui, quelle vie.

Doch, Reisende, aufgepasst: Wer eine simple Maßnahme nicht ergreift, muss bald selbst hungrig durch die Stadt streifen – und das ist genauso unromantisch, wie es klingt.

Eines Tages, es war ein durchaus frischer Tag im Dezember, hatten meine Pariser Freunde und ich genau diese Vorkehrung nicht getroffen – aus nachvollziehbaren Gründen. Schließlich folgt in Paris an einem regnerischen Samstag kurz vor Weihnachten alles dem üblichen Ablauf: den ganzen Tag über unter der Kuppel der Galeries Lafayette Geschenke kaufen, anschließend unter einem Heizpilz in Saint-Germain im Höchstfall einen Café Crème trinken und dann ab nach Hause, irgendetwas vom Traiteur aufwärmen und Netflix schauen. Und so war es für uns selbstverständlich, dass wir gar kein Problem haben würden, an diesem Tag in der Altstadt von Bordeaux einen Tisch zu bekommen – dass wir also freie Wahl haben würden zwischen deftiger Landküche aus dem Aquitaine, scharfer baskischer Küche aus dem Grenzgebiet oder Haute Cuisine, zusammengetragen aus dem ganzen Land.

Um es abzukürzen: Geschlagene drei Stunden später kehrten wir abgekämpft und dem Kannibalismus nahe in die wirklich hinterletzte Spelunke ein und labten uns an Mikrowellenlasagne und Wein aus dem Fünf-Liter-Kanister (der in Frankreich durchaus trinkbar sein kann). Ohne Reservierung war es schlicht aussichtslos, in der Stadt irgendeinen Tisch zu bekommen. Vor den Restaurants – und es gibt wahrlich Hunderte gute in der Altstadt – standen die Menschen Schlange, sogar mit Reservierung. Trotz des Regens und kühler Temperaturen. Drinnen saßen sie dicht gedrängt, genossen Austern, Seespinnen, Entrecôtes und Artischocken, von uns neidvoll beobachtet.

An diesem Abend haben wir drei Dinge gelernt:

Bordeaux ist eine alte Handelsstadt, Bürgerstadt, Hafenstadt. Die Menschen hier sind traditionell wohlhabend und geben ihr Geld in erster Linie eben nicht für Konsumgüter aus, sondern für gutes Leben: beste Küche, beste Weine. Deshalb gibt es hier kaum einen Abend, an dem die Restaurants der

vieille ville

nicht durchreserviert sind.

Seien Sie nicht hungrig zwischen 14:30 Uhr und 19:30 Uhr. Die Restaurants, die dazwischen Speisen anbieten, sind mit überwältigender Wahrscheinlichkeit Touristenfallen. All die guten Bistros und Brasserien, die von den Bordelaises aufgesucht werden, öffnen erst wieder am Abend – also: Gedulden Sie sich.

Die Bordelaises essen langsam. Und gleichen da natürlich den Südländern allgemein. Doch in den Bistros und Restos herrscht so ein spezielles Flirren, ein Klangteppich, der über allem liegt, weil zum guten Essen auch über Geschäfte, Liebschaften und Wein diskutiert wird – und das kann dauern.

Niemals die Reservierung vergessen.

Auf altem Pflaster

Ein guter Morgen in Bordeaux beginnt mit einem leichten petit-déj, natürlich nicht im Hotel, obwohl jenes im Mama Shelter in der Altstadt nicht mal schlecht ist. Aber nein, lieber gehen wir ein Stück hinaus aus der Altstadt, an der Porte Dijeaux vorbei, die Rue Judaïque hinunter. Das dauert keine zehn Minuten, dafür wartet dort der Laden, der 2017 zur besten Bäckerei des ganzen Landes gewählt wurde.

Maison Lamour heißt die Boulangerie, und schon das Schaufenster mit der alten Schrift direkt unter den schmiedeeisernen Balkonen ist so typique, dass man sofort anfangen möchte, »La Vie En Rose«zu schmettern. Doch es ist kein alter Bäckermeister, der hier nachts um drei seine filterlose Gitane ausdrückt, um anschließend krosse Baguettes zu produzieren – es ist ein junges Ehepaar: Cyrille und Florian Lamour, die mit lauter jungen Bäckern und Patissièren angetreten sind, um ihre Idee einer idealen französischen Backkunst durchzusetzen, mit Produkten in Bioqualität, mit Zeit und Liebe zur Tradition. So ist nicht nur das Lamour-Baguette in Bordeaux unerreicht, auch für die Tartelette Chocolat-Praliné oder das Vanille-Baba stehen die Bordelaises Schlange, allsonntäglich in jedem Fall.

Und nach diesem Frühstück sowie einem kurzen Spaziergang liegt Bordeaux seinem Besucher sprichwörtlich zu Füßen. Denn als Nächstes möchte ich Sie mitnehmen, auf den Tour Pey-Berland, den frei stehenden Glockenturm der Kathedrale Saint-André, welcher der höchste Aussichtsturm der ganzen Stadt ist (nicht aber der höchste Glockenturm, dieser ist nämlich der Pfeil von Saint-Michel, aber dazu kommen wir später).

Zweihundertdreiunddreißig sehr steile Stufen führen über eine Wendeltreppe, die man mit Platzangst wirklich meiden sollte, hinauf, und hoch oben verstehen wir sofort, weshalb man sagt, die Kathedrale würde über Bordeaux wachen. Die gotischen Türme und Zinnen wirken majestätisch und gleichsam ein wenig düster – sodass das Ambiente der Bauwerke sehr gut in diese konservative und monumentale Stadt passt. Unten rollt der Verkehr über den Innenstadtring, doch die Altstadt liegt zusammengekuschelt und friedlich da, die engen Gassen mäandern durcheinander, ein Architekturensemble, wie es seinesgleichen sucht.

Etwas weiter entfernt lugt das Grand Théâtre hervor, die Place de la Comédie wirkt von hier, als sei sie mit kleinen Spielzeugfiguren überzogen, die wild hin und her laufen. Wenn wir den Blick aber schweifen lassen, über die graue Garonne hinweg, dann fällt auf, wie grün es um diese Stadt herum ist. Wo gar nicht so weit entfernt das flache Land beginnt. Erst langsam begreift man, dass genau dort weltbekannte Winzer ihre atemberaubend teuren Weine herstellen, denn ein paar Kilometer südlich der Altstadt schließt sich quasi nahtlos das Weinanbaugebiet von Pessac-Leógnan an.

Aber halt, ich habe etwas erwähnt, das ich näher ausführen will: Bei meinem ersten Besuch in Bordeaux rollte der TGV über die alte Bahnbrücke, und ich erschrak: darüber, wie grau dieser breite Fluss war, grau und schlickig sah er aus. Doch ich sah keine Industrieanlagen, die diese vermeintliche Verschmutzung erklären konnten. Die Antwort überrascht: Schmutzig ist die Garonne – und weiter nördlich von Bordeaux, nach der Vereinigung mit der Dordogne, die Gironde – überhaupt nicht. Ich habe das einst für meinen ersten Kriminalroman »Retour« recherchiert – es ist erstaunlich: Durch die großen Gezeitenunterschiede, die hier herrschen, wird das Wasser des nahen Ozeans bei Ebbe weit hinein gedrückt in die Mündung der Gironde. Das Salzwasser vermischt sich mit den Tonpartikeln, die der Fluss von seiner Quelle in den katalanischen Pyrenäen mit sich führt. Ton und Salz ergeben diese graue Farbe, obwohl der Fluss einer der saubersten in ganz Frankreich ist.

Wir können also beruhigt wieder herabsteigen vom Tour Pey-Berland und unsere sakrale Besichtigung mit dem Besuch der Kathedrale Saint-André beschließen, dem Sitz des Erzbistums Bordeaux, in dem vor fast zehn Jahrhunderten gekrönte Häupter verheiratet wurden, wie Eleonore von Aquitanien und Ludwig, der VII. Unter den lichten Gewölben fällt besonders die große Orgel auf, die im Sommer bei Konzerten zu vielfältigen Anlässen erklingt.

Anschließend treten wir wieder hinaus unter den hellblauen Himmel, der so oft über der Stadt liegt, dem milden Klima, das schon mediterran genannt werden kann, sei Dank. Direkt hinter der Kathedrale und dem imposanten Rathaus befindet sich das Musée des Beaux Arts. Dort hat man sich einerseits auf die Zeit zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert spezialisiert, andererseits auf Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert: Kokoschka, Matisse, Renoir, auch ein Werk von Picasso gehört zur Sammlung.

Nun haben wir die Qual der Wahl: ein weiteres Museum, genussvoll durch die Altstadt streifen, das Viertel Bacalan, das die Stadt neu erfunden hat – oder einfach mit der aktuellen Sud Ouest unterm Arm, der regionalen Zeitung des Aquitaine, bei herrlichem Wetter in den Jardin Public, der schon als Zufluchtsort für die Bordelaises diente, als die Stadt noch grau und düster war. Der elf Hektar große Park, dessen Entstehung 1746 auf Louis-Urbain Aubert de Tourny zurückgeht, liegt ein wenig nordwestlich der Altstadt. Tourny war Bevollmächtigter für das alte Herzogtum Guyenne, das ungefähr die Hälfte des heutigen Nouvelle-Aquitaine umfasste. Er war es auch, der die Quais der Garonne anlegen ließ. Eine bedeutende Achse und ein Platz in der Altstadt tragen ihm zu Ehren seinen Namen.

Der Garten ist nach englischer Tradition angelegt, im Park lässt sich wunderbar am Enten- und Schwanenteich flanieren, auch ein Botanischer Garten und das Orangerie-Restaurant warten auf Besucher. Ein herrliches Kleinod mitten in der Stadt also, bei dem selbst der Außenzaun, der den Park umgibt, sehenswert ist. Siebentausendfünfhundert goldene Spitzen ragen am Cours de Verdun in die Höhe und gewähren dazwischen eine schöne Aussicht ins Grüne.

Ein Blick auf die Uhr – sollte es schon an der Zeit für ein déjeuner sein? Denn das ist wohl das größte Problem in Bordeaux: Unter all den fantastischen Restaurants und Bistros eines herauszusuchen, weil es zugleich bedeutet, in diesem Moment all die anderen nicht besuchen zu können.

Heute entscheiden wir uns, weil es uns wieder in die Altstadt zieht, für das La Cagette direkt an der Place du Palais, das sich nicht nur als Werbegag den Beinamen »die frische Kantine« gegeben hat. Denn in der Tat ist der hinter großen Scheiben gelegene Raum zur Kantine für die Büroangestellten au centre-ville geworden, während für die Frische Chefkoch Théo Saint Martin garantiert, der ausschließlich bei Bauern der Region einkauft ebenso wie bei den Fischern am nahe gelegenen Bassin. Das Rindfleisch kommt aus Bazas, wo eine seltene alte Rindersorte am Leben erhalten wird.

Cagette ist übrigens der Name für die flachen Holzkisten, in denen Frankreichs Markthändler ihre frischen Waren, Obst und Gemüse feilbieten, und die auch im gleichnamigen Bistro eine wichtige Rolle spielen. Natürlich ist das Restaurant auch abends geöffnet.

Wenn die Entfernungen in der Stadt zu lang werden, um zu Fuß zu gehen, empfiehlt sich die Tram, nach Süden die Linie C, nach Norden die Linie B. Fahren wir also fünf Stationen vom Quinconces bis zur Rue Achard und landen im vorhin schon namentlich genannten Stadtteil Bacalan. Glauben Sie mir: Ich bin während meiner Korrespondentenzeit sehr oft in Bordeaux gewesen, und das Viertel am nördlichen Bogen der rocade, Ringstraße, war so heruntergekommen und düster, dass ich so manches Mal abends die Autotür verriegelt habe. Bei meinem ersten Besuch im völlig neugestalteten Viertel fast sechs Jahre später aber blieb mir der Mund offen stehen, so radikal und einschneidend war die Veränderung, so modern war die neue Umgebung. Alain Juppé hatte einst gesagt, die Cité du Vin, mittlerweile das wohl bedeutendste Weinmuseum der Welt, werde sein Guggenheim. Da lachten selbst die von ihm so überzeugten Bordelaises – nun aber staunen auch sie.

Radikal wirken das Museum und das gesamte Viertel deshalb, weil der Betrachter sich gar nicht entscheiden kann, welchen Bau er zuerst ins Auge fassen soll. Auf der einen Seite das moderne Gegenstück zur malerischen Pont de Pierre: die neue Pont Jacques Chaban-Delmas. Eine 433 Meter lange Brücke über die Garonne, die ein absoluter Hingucker ist. Damit Kreuzfahrtschiffe nach Bordeaux hineinfahren können, wurde sie als gigantische Hubbrücke konzipiert, eine der größten weltweit. Sie garantiert 53 Meter lichte Höhe, bei einer Durchfahrtsbreite von 106 Metern – so können auch ganz große und moderne Schiffe passieren. Dabei sind die Pfeiler, an denen das Hubelement emporgezogen wird, der eigentliche Clou: Teils aus Glas tauchen sie die Brücke nachts in ein bläuliches Licht, was auf dem Fluss zu irren Spiegelungen führt.

Ende der Leseprobe