Gebt die Kinder nie auf - Cordula Heckmann - E-Book

Gebt die Kinder nie auf E-Book

Cordula Heckmann

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Beschreibung

"Hauptschule unter Polizeischutz", "Horror-Schule Rütli". Messer und eingetretene Türen – knallharte Schulrealität mitten in Deutschland. Hilfe von oben ist nicht in Sicht. Lehrer, die kündigen oder die Klasse nur mit Handy betreten, um jederzeit Hilfe zu rufen. 2006 verfassen diese einen Brandbrief. Rütli wird zum Symbol für unsere Bildungskrise. Die neue Direktorin Cordula Heckmann greift beherzt zu und durch, und es entsteht eine der attraktivsten Schulen Berlins – von Bildungsmisere keine Spur mehr. Hier zeichnet sie den Weg des "Wunders" von Berlin-Neukölln, das keines ist, nach. Eine engagierte Lehrerin über ihren Einsatz für gelungene Bildungsarbeit und alles, was Deutschland in Sachen fairer Bildung bisher falsch macht.

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Seitenzahl: 244

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Angela Gsell

Lektorat: Judith Heisig

Covergestaltung: Ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Vicki Braun

ISBN 978-3-8338-8695-9

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Coverabbildung: smartboy10, Getty Images

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

Wichtiger Hinweis

Verwendete Schüler:innennamen sind stets Pseudonyme.

Bubble Trouble –Rütli und kein Ende

Es ist ein eiskalter Morgen an einem der letzten Tage des Jahres 2021. Meine Schritte knistern ein wenig, als ich über den Campus laufe – meinen Campus. Am Eingang steht: Campus Rütli – CR². Ich passiere den Jugendtreff, die Turnhalle, das alte zweiflügelige Gebäude, in dem ich vor mehr als 20 Jahren als Lehrerin ankam, den Neubau, der irgendwann der Grundstufe gehören soll. Bevor ich rechts zum Stadtteilzentrum abbiege, lasse ich meinen Blick über die Werkstätten und das Außengelände schweifen.

Manchmal denke ich in solchen Momenten an den kleinen, behüteten Ort in der Pfalz, wo ich meine ersten Lebensjahre bei meiner Großmutter verbrachte. Dann spüre ich, wie weit der Weg nach Berlin-Neukölln für mich war. Nach Neukölln, diesem bunten, vielfältigen, schwierigen Ort mit seiner bewegten Geschichte und seinem kämpferischen Geist.

Mein Blick fällt auf die im Boden eingelassenen bronzefarbenen Sterne: ein Star Walk, der ganz in der Hand der Kinder und Jugendlichen des Campus Rütli liegt. Ich schmunzele, denn nicht nur die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai wird dort geehrt, sondern auch der Youtuber Julien Bam.

Im Stadtteilzentrum will ich heute weiter an meinem Buch arbeiten. Obwohl ich in den Jahren ab 2006 unzählige Male über die Rütli-Schule, das Campusprojekt und meine Ideen für gute Schule gesprochen habe, weiß ich: Es braucht mehr als den flüchtigen Nachhall eines Interviews, um zu zeigen, wie CR² ein Vorbild für bessere Bildung in Deutschland sein kann. Meine Motivation lässt sich kurz zusammenfassen:Das, was auf dem Campus Rütli getan wird und was ich in die Welt tragen möchte, ist weder naiv noch romantisch – es ist notwendig.

Und deswegen frage ich mich mit Blick auf das deutsche Bildungssystem von Jahr zu Jahr dringlicher: Haben wir denn gar nichts gelernt in den letzten Jahren?

Gewiss, das Wording hat sich geändert. War Gerhard Schröder 2005 noch der Meinung, Deutschlands Lehrer:innen seien »faule Säcke«, rief Angela Merkel 2015 die »Bildungsrepublik« aus, und 2020 wurden Politiker:innen nicht müde zu betonen, Kinder hätten in der Pandemie oberste Priorität. Allein die Realität sah und sieht anders aus.

Bekanntlich ist Einsicht der erste Schritt zur Besserung, und das bedeutet, ehrlich zu fragen: Was läuft schief an deutschen Schulen? Eine erste, kurze Bestandsaufnahme gelingt mit den aktuellen OECD-Daten: Noch immer ist Bildungserfolg in Deutschland maßgeblich abhängig von der sozioökonomischen Herkunft, Schüler:innen mit Migrationshintergrund sind ebenfalls benachteiligt. Die Schulabbrecher:innenquote liegt in Deutschland höher, die Bildungsausgaben hingegen liegen niedriger als im OECD-Durchschnitt. Über die OECD-Statistik hinaus ist klar bewiesen: Es herrscht – mit großen regionalen und schulartspezifischen Unterschieden – ein eklatanter Lehrkräftemangel. Ebenso fehlen Verwaltungskräfte und Sozialarbeiter:innen. Standardisierte Tests sollen Vergleichbarkeit erzeugen und bilden die Wirklichkeit der einzelnen Schule doch nur bedingt ab. Schulen erleben überwiegend wenig Eigenverantwortung. Das Stakkato der beunruhigenden Befunde ließe sich fortsetzen.

Mehr als alle diese Faktoren aber wirkt ein deutsches Bildungsprinzip, von dem der Abschied vielen noch immer schwerfällt: das gegliederte Schulsystem. Föderal zerklüftet, fein seziert in angebliche Leistungsstufen und viel zu wenig durchlässig – abgeschlossene Bubbles, die Begegnungen verhindern und es erschweren, voneinander zu lernen. Zum Nachteil all derer, die im Mittelpunkt unserer Bildungsbemühungen stehen sollten: unserer Kinder.

How to read

Vielleicht möchten Sie dieses Buch ganz klassisch lesen: von vorn nach hinten. Machen Sie das. Ich verspreche Ihnen eine Reise von der gegenwärtigen Bildungssituation in Deutschland zurück zur Erinnerung an die Rütli-Schule 2006 und weiter zur Veränderung mit der Entstehung des Campus Rütli. Dann kommen meine Ideen für zukunftsträchtige Schule.

Aber Sie können dieses Buch auch ganz anders lesen. Möglicherweise interessiert Sie vor allem, was ich Deutschland vorschlagen möchte in Sachen Bildung. Dann kommen Sie gut und gerne auch ohne den Vorbau zurecht und können sofort zu den 20 Forderungen “Rütli für alle” kommen. Falls Sie dort nicht wissen, wo Sie anfangen sollen: Die Takeaways ab > ermöglichen einen raschen Überblick.

Egal, wie Sie es machen: Für die Lektüre gilt das Gleiche wie für mein Leben. Erfolg hat drei Buchstaben – TUN.

Deutschland – ein Brennpunkt in Sachen Bildung

Die Pandemie bringt es an den Tag

Die Sonne bringt es an den Tag, so hörte ich es als Kind manchmal in der Nachbarschaft. Mit dem mahnenden Unterton, schlimme Geheimnisse und verborgene Übel kämen definitiv irgendwann heraus. In Deutschland brachte es die Pandemie ab 2020 an den Tag. Sie hat gnadenlos offengelegt, was man vorher schon wissen konnte: Schule ist nicht systemrelevant.

Wer das liest, könnte jetzt einwenden: Stimmt nicht, auf der Liste systemrelevanter Berufe jedes Bundeslandes standen Lehrer:innen. Aber Systemrelevanz bedeutet mehr, als einen Passierschein zu bekommen, um die eigenen Kinder zur Notbetreuung anmelden zu dürfen oder zu müssen beziehungsweise freizügig pendeln zu dürfen. Es geht nicht nur um eine objektiv geleistete oder erwartete Sicherstellung der Grundfunktionen unserer Gesellschaft, sondern um Anerkennung. Damit ist gemeint, dass eine systemrelevante Tätigkeit im gesellschaftlichen Diskurs und bei politischen Maßnahmen berücksichtigt wird, dass die Arbeitsbedingungen der hohen Bedeutung entsprechen, die Bezahlung stimmt und man auch wertgeschätzt wird. Während das Finanzielle nicht das Problem ist, hapert es am Rest. Deshalb bleibe ich dabei: Schule ist nicht systemrelevant. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von Bildungspolitiker:innen, trotz Konferenzschaltungen des zahnlosen Tigers KMK (Kultusministerkonferenz) alle paar Wochen, trotz Schulschließungs- und Schulöffnungsverpflichtungen jeweils mit dem Hinweis auf »das Beste für die Kinder und Jugendlichen« – das bereits angeschlagene Schulsystem ist an Covid-19 schwer erkrankt.

In einer gefühlt unendlichen Mängelliste, die ich im Laufe der Pandemiemonate erstellen konnte, waren meine wichtigsten Aha-Momente die folgenden.

Erste Erkenntnis: Unserer Bildungssenatorin in Berlin und vielen anderen Kultusminister:innen ist es nicht gelungen, tragbare, praxisorientierte und verlässliche Lösungen in dieser Ausnahmesituation vernünftig umzusetzen. Die Bildung blieb in der Pandemie ein Spielball der Politik. Wir konnten uns entscheiden, ob wir die Bälle, die da angeflogen kamen, fangen wollten oder sie fallen ließen. Die Bälle wurden außerdem meist so kurzfristig gespielt, dass wir nur teilweise sinnvoll reagieren konnten. Stellen Sie sich vor, es gab Kolleg:innen, die große Berliner Tageszeitungen im Onlineabo bezogen, weil die Maßnahmen dorthin rascher kommuniziert wurden als an die Schulen direkt. Wenn Sie Freitagnachmittag wissen wollten, was ab Montagmorgen galt, dann zählte jede Stunde – und der Informationsvorsprung der Medien.

Zweite Erkenntnis: Deutschland hat ein Problem in Sachen Bildungsgerechtigkeit. Das war schon vor der Pandemie bekannt. Doch nun ließ es sich nicht mehr unter dem Deckel halten. Wo vorher lokale Aufwallungen als unschöne Einzelfälle deklariert und erschreckende Befunde zur gesamtgesellschaftlichen Bildungslage in Studien möglichst unauffällig untergebracht wurden, da wurde jetzt auch dem und der Letzten klar: In Deutschland ist das System der Hilfslehrer:innen aus dem Elternhaus flächendeckend etabliert und eingepreist. Was nach Routine klingt, ist alles, nur nicht das. Vor allem ist es eine Zumutung. Es ist der beschämende Hinweis darauf, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland oft egal sind. Achselzuckend wird hingenommen, dass sich Bildungserfolg an der Herkunft bemisst. Und dabei wird viel zu häufig auf die mit dem Finger gezeigt, die gar nicht zuständig sind dafür: Eltern haben teils weder die Fähigkeiten und grundsätzlich auch keinerlei Verpflichtung, im Zweitjob Schule zu verantworten. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe für ausgebildete Fachkräfte – die entsprechende Rahmenbedingungen brauchen. Und an diesen mangelte es entscheidend, als die Schultür ins Schloss fiel und alle plötzlich in den eigenen vier Wänden saßen.

Dritte Erkenntnis: Das wichtigste – und in den Familien meiner Schule meist das einzige – digitale Medium ist das Handy. Nur dieses Gerät besitzen alle Schüler:innen, und nur dieses können sie sicher bedienen. Schule ist damit bisher abwehrend umgegangen. Handys sind schulisch fast immer Gegenstand der Hausordnung, in der Handyverbote unterschiedlichen Ausmaßes festgelegt sind. Als Mittel fürs Lehren und Lernen spielten sie vor der Pandemie keine Rolle. Allen Bemühungen der Schule, das Handy in der pandemischen Situation aus der Schmuddelecke zu holen, wurden rasch Grenzen gesetzt. Mit WhatsApp hätten wir zwar die meisten Kinder und Jugendlichen erreicht, aber das ließen (und lassen) die Datenschutzvorgaben nicht zu. Der Datenschutz holte uns auch bei vielen anderen marktüblichen Angeboten zur Kommunikation ein. Zusammenfassend kann ich sagen: Was ging, war nicht erlaubt. Die hektisch von den Kultusministerien zusammengestöpselten Kommunikations- und Lernplattformen wiederum waren erlaubt, aber gingen nicht.

Vierte Erkenntnis: Die Probleme der technischen Ausstattung auf allen Seiten sind noch komplexer. Bei Schüler:innen mangelte es an zusätzlicher Ausstattung – einen Drucker hatte fast niemand. Dazu stellten wir fest, dass die meisten von ihnen nicht mit grundlegenden Funktionen der Textverarbeitung vertraut sind. Ein Dokument ausfüllen, abspeichern, versenden? Alles Fehlanzeige. Von der Fähigkeit, Inhalte aus anderen als schulischen Quellen kritisch zu prüfen, spreche ich da noch gar nicht. Und auch nicht von den Wohnverhältnissen vieler Kinder und Jugendlicher. Wer sich zu sechst in einer Pandemie nicht nur 80 Quadratmeter, sondern auch den Internetzugang teilt, der wird keine ideale Lernsituation vorfinden. Für mein Team und mich hieß das: Folgen wir den Anweisungen oder schaffen wir schülergerechte Lösungen? Die Antwort war ganz klar, und sie ist glasklar zu begründen: Im Vordergrund steht das Kindeswohl. Und ob das gegeben ist, kann ich nicht feststellen, wenn ich Schüler:innen über Wochen nicht erreiche. Aber das Instrumentarium war begrenzt. Hier half nur: Ärger runterschlucken und kreativ werden. Am Campus haben wir im ersten Lockdown sehr regelmäßig kleine Gruppen von Schüler:innen einbestellt – um sie kurz zu sehen und im persönlichen Kontakt zu bleiben, um Materialien auszutauschen und Probleme anzusprechen. Viele Kolleg:innen haben ausufernd telefoniert und so oft tägliche Begegnungen ermöglicht. Trotz aller Widrigkeiten rund um die mangelhafte technische Ausstattung haben sie so die Kinder und Jugendlichen durch diese sehr fordernden Zeiten begleitet – sie haben getan, was notwendig war.

Fünfte Erkenntnis: Auch an den Schulen lief es technisch bestenfalls unrund und schlimmstenfalls gar nicht. Wie in vielen Schulen hatten wir das Glück, dass eine kleine Gruppe von Lehrkräften rasch unkonventionelle Lösungen entwickelte und uns informierte, worum wir uns kümmern mussten. Die erste Aufgabe lautete, die Schule überhaupt einmal ans Netz zu bringen. Natürlich haben wir vorher schon digital gestützten Unterricht gemacht. Computerraum und einige Smartboards waren vorhanden. Wenige Router versorgten die Räume mehr schlecht als recht. Manchmal schalteten Lehrer:innen ihre eigenen Hotspots frei, damit Schüler:innen etwas recherchieren konnten. Eigentlich undenkbar. Bei dem nun benötigten Maß an Netzabdeckung und -anbindung, an Hard- und Software kamen wir jedoch rasch ans Ende der Fahnenstange. Wir schlossen die Schule zu und fuhren jede:r nach Hause, um mit stabiler Verbindung an den Videokonferenzen teilnehmen zu können. Die irgendwann gelieferten Tablets für jede Lehrkraft trafen nach einer langen Phase der Pandemie auf ein völlig überlastetes System mit erschöpften Lehrkräften. Das Aufspielen eigener Programme war und ist bei den Tablets schwierig, die Kompatibilität zu anderen Geräten unzureichend. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Lehrer:innen die Tablets nicht in dem Umfang nutzen, wie es die Senatsverwaltung erhofft hatte. Enttäuschend, aber nachvollziehbar.

Und die sechste Erkenntnis: Ich habe – und diesen Luxus hat kaum eine andere Schule – eine Verwaltungsleiterin. Trotzdem bedeutete die Pandemie stundenlange Verwaltungstätigkeiten. Ich führte endlose Telefonate mit den verschiedenen Gesundheitsämtern und der Schulverwaltung, ich schrieb Schülerlisten, beantragte Lüfter und weitere Geräte zur besseren digitalen Vernetzung.

Letztlich hat mich – das mag überraschend klingen – die Zeit der Pandemie häufig an das Jahr 2006 erinnert. Die Pandemie als virengetränkter Brandbrief. Und ich befürchte, es ist das Gleiche wie damals passiert: schneller Aktionismus, oberflächliches Kaschieren. Und dann: Vergessen.

Seien wir ehrlich: Schulen sind in herausfordernden Lagen nebensächlich. Kinder und Jugendliche haben keine große Lobby. Weder sie noch ihre Eltern sind ein bedeutsames Wählerpotenzial. Das ist die nüchterne Erkenntnis.

Können wir uns 16 Schulsysteme leisten?

In den 16 deutschen Bundesländern gibt es in der Sekundarstufe I heute 17 Schulformen. Klingt wahnsinnig, ist es auch. Dabei sind gleiche Schulformen nicht einmal gleich benannt – was hier Mittelschule genannt wird, ist woanders die Hauptschule und am anderen Ende Deutschlands in die Sekundarschule integriert. Und es kommt noch schlimmer: Ein Kind, das in Bayern die fünfte Klasse des Gymnasiums besucht und nach Berlin umzieht, findet sich womöglich bis zum Ende der Jahrgangsstufe sechs in der Grundschule wieder. Von den unterschiedlichen Inhalten, Schwerpunktsetzungen und womöglich auch Anforderungen bis zum Abitur gar nicht zu sprechen. Gerade Letztere haben einen wichtigen Einfluss auf die Berufs- und Studienaussichten.

Wenn ich frage »Können wir uns 16 Schulsysteme leisten?«, dann frage ich zugleich nach Grundüberzeugungen. Welche Gesellschaft soll sich in unserem Bildungssystem spiegeln? Wer wollen wir sein?

Aber von vorn: Was meinen Sie, warum wir in Deutschland ein föderales Bildungssystem haben? Wer sich an kürzer zurückliegende Diskussionen insbesondere nach dem PISA-Schock erinnert, dem wird das Wort von der Wettbewerbsfähigkeit im Kopf herumspuken. Wettbewerb macht besser – das klappt schließlich auch in der Wirtschaft. Oder etwa nicht? Wer länger zurückgeht, denkt an die Wurzeln Deutschlands in einem hochgradig zersplitterten Reich, in dem jeder kleine Fürst seine eigenen Vorstellungen hatte. Nicht falsch, aber auch nicht der Grund. Das föderale Bildungssystem haben wir den Folgen des Nationalsozialismus zu verdanken. Eine Konzentration von Macht an der Spitze des Staates sollte nach dem Willen der Alliierten zukünftig vermieden werden. So entstanden die Bundesländer, fast so wie wir sie heute kennen.

Der Föderalismus ist im Grundgesetz festgeschrieben. Er bedeutet, dass der Bund und die Länder unterschiedliche Kompetenzen haben und Entscheidungshoheiten verteilt sind. Wenn es darum geht, warum das gut ist, heißt es immer wieder: Das föderale System sei bürgernäher, gehe mehr auf regionale Spezifika ein. So könne die landestypische Kultur bewahrt bleiben, gleichzeitig seien kleinere Einheiten experimentierfreudiger.

Das mag theoretisch alles richtig sein. Doch in der Realität geht die Politik nicht landesweit auf Spezifika ein, sondern Passgenauigkeit wird bestenfalls an der konkreten Schule erzeugt. Das ist ja auch klar: Ein Zehlendorfer Gymnasium und die Neuköllner Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli haben ebenso viel oder wenig gemeinsam wie eine zwergenkleine nordfriesische Halligschule und ein Münchner Riesengymnasium.

Sicher sind manche Anforderungen nicht zentral lösbar. Andere werden jedoch auch föderal nicht besser angepackt. In der Frage geht es, ausgehend vom Istzustand, also um die Tücken des Föderalismus. Doch föderal gegen zentral zu setzen kann nur ein Teil der Diskussion sein. Mehr noch geht es um die Fallstricke der Bildungspolitik.

Den wichtigsten Fallstrick kennen Sie aus den Nachrichten, insbesondere in den Zeiten der Pandemie. Dort konnten wir hören, wie Kinder gebetsmühlenartig als das Wichtigste bezeichnet wurden und Schulen als gesellschaftlich unverzichtbare Integrations- und Sozialisationsorte, ohne die ein gesundes Aufwachsen praktisch nicht möglich ist. Doch zwischen Reden und Tun lagen, wie so oft, Welten. Am Politiker:innensprech irritiert mich am meisten, dass bei (fast) jeder Wahl die Bedeutung der Bildung mit den immer gleichen Schlagworten betont wird. Da hören wir dann kurzzeitig von der Bedeutung der Wissensgesellschaft in einem Land ohne entscheidende Rohstoffvorkommen, von der Wichtigkeit des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Notwendigkeit von mehr Chancengerechtigkeit. Politiker:innen betonen, die Kinder seien unsere Zukunft. Nur um dann (fast) nichts für diese Zukunft zu tun.

Nach der Wahl gehen die großen Worte nämlich meist im Klein-Klein der Koalitionsverhandlungen unter. Bildung hat in Koalitionsverhandlungen keine große Bedeutung – sie hat keine Lobby. Wer an einer Schule arbeitet, kann angesichts der komplexen gesellschaftlichen Aufgaben, die in den Klassenzimmern anlanden, nur den Kopf schütteln. Ohne Medien- und Gesundheitserziehung, Umgang mit Mehrsprachigkeit, kultureller und religiöser Vielfalt sowie Inklusion wird es schwer mit einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Doch das alles sollen die Schulen bitte schön allein leisten. Und werden damit überfrachtet. Insbesondere auch deshalb, weil die Politik für all diese Herausforderungen nur unzureichende Antworten findet.

Für die Politik ist Schule nicht der Ort der Erfüllung, sondern die Resterampe. Bei allem, was noch kommen müsste, wird reflexartig auf die Schulen verwiesen. Deutschland ist noch nicht fit für die digitale Zukunft? Kein Problem, der Digitalpakt wird’s richten. Aber: Es wird erwartet, dass die einzelnen Schulen individuelle Konzepte entwickeln, im besten Fall solche, die sich als Best Practice eignen. Neben der Tatsache, dass dafür Zeit und Kompetenz in multiprofessionellen Teams vorhanden sein müsste, liegen die Probleme tiefer. Die Politik lebt selbst nicht das, was sie fordert. Und überfordert die Schulen mit ihrem hingeworfenen »Ihr werdet’s schon machen«.

Seien wir ehrlich: Das Bildungsministerium ist kein Gewinner:innenressort. Im Bund führt das fragmentierte Bildungssystem zu geringen Einflussmöglichkeiten der Bildungsministerin (seit 1998 wird das Bildungsministerium stets von Frauen geführt, zuvor waren es mit Ausnahme von Dorothee Wilms allein Männer). Da muss die Amtsinhaberin schon einiges mitbringen, um sich zwischen den anderen Ressorts Gehör zu verschaffen. Sie muss Generalistin sein, um sich zu vielen Themen zu äußern, die Bildung direkt und indirekt betreffen. Sie muss eine harte Verhandlerin sein, um Bildung als Angelegenheit einer untergeordneten Wähler:innengruppe auf die Tagesordnung zu setzen. Und sie muss um Ressourcen kämpfen können. Das alles gelingt am besten mit einer von einer breiten politischen Mehrheit getragenen zukunftsorientierten Bildungsvision.

Die gibt es aber schon deshalb nicht, weil die Bildungspolitik ein Spielball der Parteien ist – auf Bundes- und auf Länderebene. Politische Parteien müssen sich in ihren Programmen unterscheiden, um unterschiedliche Wähler:innengruppen anzusprechen. Für Schule ist das fatal. In jeder Legislatur neue Bildungsvorstellungen umsetzen zu wollen, stört den Schulfrieden. Dass es anders geht, zeigt Finnland. Dort hat sich der Staat zu einer Bildungspolitik verpflichtet, die Schulen viel Eigenverantwortung gibt. Schulen sollen dort in der Größe überschaubar sein, multiprofessionelle Teams haben und sich an einem schlanken, an Kompetenzen und nicht an Inhalten ausgerichteten Lehrplan orientieren. Das Land verdeutlicht so: Wir wissen um die positive Wirkung von Klarheit, Ordnung und Stabilität.

Auch die Auswahl von Bildungspolitiker:innen funktioniert nicht qua Qualifikation und Kompetenz. Nein, da muss vielleicht aufgrund der Quote in jedem Fall noch eine Frau, aufgrund des Proporzes unbedingt noch jemand aus dem Bundesland A und aufgrund der Koalition noch eine Person aus der Partei B besetzt werden. Wenn Sie meinen, das sei nur im Bund so, denn die Kultusministerien der Länder hätten ja erhebliche Mitbestimmungsrechte im Bildungsbereich, dann haben Sie sich getäuscht. Die Unlust am Bildungsressort war auch bei der letzten Wahl in Berlin zu besichtigen. Kein etablierter Politiker, keine gestandene Politikerin wollte Bildungssenator:in werden. Jede:r dachte sich offenbar: Das bringt meine Karriere in der Politik nicht voran. Besetzt wurde schließlich Astrid-Sabine Busse, die der taz erzählte, sie habe sich um den Job nicht beworben, solle aber etwas bewegen. Was genau, ist womöglich noch nicht ganz klar. Bisher war für die nächsten fünf Jahre nur von der Verbeamtung der Lehrer:innen die Rede.

Persönlich würde ich mir für die Bildungspolitik wünschen, dass Kompetenz und Führungsstärke zukünftig immer häufiger in einer Person zusammenfinden. Denn es braucht beides: das Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten auf der einen Seite und das Geschick, diese Inhalte zu multiplizieren und in der Fläche wirksam werden zu lassen, auf der anderen. Ansätze kompetenten Handelns gab und gibt es. Beim Campus Rütli habe ich mehrere Jahre mit dem Bildungssenator Jürgen Zöllner zusammengearbeitet. Der Mediziner konnte sich zu vielen Themen äußern und packte etliche Herausforderungen mit innovativen Ideen an. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien hat nach Beratungen mit zahlreichen Schulleiter:innen das Programm »PerspektivSchulen« in ihrem Bundesland aufgelegt und ihr Bildungsministerium als Querschnittsressort aufgestellt.

Solche Einzelerfolge können jedoch nicht über Probleme hinwegtäuschen, die aus fehlender Kompetenz und Kompetenzgerangel entstehen. In der Bildungspolitik gibt es ein ausgesprochenes Bewusstsein für wohllautende Floskeln – und wenig Energie für die Tücken der Umsetzung. So bleibt allzu oft alles beim Alten und wird nur in neuen Politiker:innensprech gekleidet. Rivalitäten zwischen Bund und Ländern führen schlimmstenfalls ins Chaos. An und für sich sind die Kompetenzen von Bund und Ländern klar definiert. Daran wollen insbesondere die Landesfürst:innen auch nicht rütteln.

Man denke nur an die endlosen Diskussionen um den Digitalpakt. Einige Ministerpräsident:innen gingen damals sogar so weit, dass sie lieber auf das Geld aus der Vereinbarung verzichten wollten, als sich vom Bund in irgendeiner Weise in ihre Schulpolitik hineinreden zu lassen. Das müssen Sie sich vorstellen: Da werden fünf Milliarden Euro bewilligt. Erst wird monatelang gestritten, ob dafür das Grundgesetz geändert werden kann, weil der Bund nur auf diese Weise zentraler Geldgeber mit Mitbestimmungsrecht über die Ausgaben sein kann. Im Mai 2019 ist es dann endlich so weit: Er darf. Im März 2020 melden die Medien, noch immer hätten vier Bundesländer gar keine Mittel abgerufen, in weiteren ginge es schleppend voran. Kein Wunder, der jeweilige Schulträger muss ein Medienbildungskonzept vorweisen (eine an die Schulen weitergereichte Aufgabe) und die grundlegende Infrastruktur (Breitband und alles Weitere) bereitstellen. Und natürlich sind es die Schulen in schwierigen Lagen, die die wenigsten personellen und strukturellen Ressourcen haben, um das zu stemmen. Zusammengefasst: Bundesprogramme wie der Digitalpakt klingen beeindruckend, doch bis sie in den Schulen und bei den Kindern ankommen, ist es ein langer und steiniger Weg. Wer tatsächlich die Kinder im Blick hat, müsste sich angesichts dieses Irrsinns fragen, wie Bund und Länder besser zusammenarbeiten können und ob bei dieser und anderen Fragen eine stärkere Beteiligung des Bundes nicht dringend geboten wäre.

Ob es sich um den Digitalpakt, die Beschaffung von Luftreinigungsgeräten oder um die Implementierung des Ganztagsschulprogramms (noch aus der Amtszeit von Edelgard Bulmahn) handelt, es stellen sich immer die gleichen Probleme. Das Geld wird vom Bund zur Verfügung gestellt, verbunden mit Vorgaben. Das Abrufen der Gelder und die Umsetzung der Vorgaben liegen überwiegend beim Schulträger, also bei den Kommunen. Die Abstimmungsprozesse zwischen der Kultusbehörde und den verschiedenen Schulträgern sind oft ein schwieriger Bürokratieakt. Es gibt zu wenig oder zu wenig qualifiziertes Personal, dazu häufige Personalwechsel, die mit Wissensverlust und allen anderen Problemen der Diskontinuität einhergehen. Bisweilen geht das so weit, dass die Gelder nicht rechtzeitig abgerufen werden und dann verloren gehen. Das alles lässt uns Schulen verzweifeln. Zuallererst aus Frust, unserer Berufung nicht nachgehen zu können. Darüber hinaus verschlingt der Dienstweg vom Bund über die Länder in die Kommunen bis zur jeweiligen Schule Unmengen an Geld und Zeit. Und auf der untersten Ebene verschlingt er Lehrer:innenstunden, die sowieso schon fehlen.

So ist es nicht möglich, an der einzelnen Schule umzusetzen, was geboten wäre. Bildungspolitik gehört am besten unter ein – meinetwegen auch föderales – Dach, in dem gilt: E pluribus unum – aus vielen eines. Dieses Eine ist eine Bildungspolitik, die Bildungsgerechtigkeit für jede:n Einzelne:n in den Mittelpunkt stellt.

Der Fisch stinkt vom Kopf

Wenn Sie wirklich Aufmerksamkeit und Begleitung wollen, müssen Sie es schlecht machen. Stellen Sie sich diesen Satz einmal in einem Wirtschaftsunternehmen vor. Undenkbar, oder? Genau so aber funktioniert Schulverwaltung auf der obersten politischen Ebene. Denn das wichtigste Ziel auf der politischen und damit auf Verwaltungsebene ist Ruhe und Konfliktvermeidung.

Bei der Schulverwaltung auf der Senats- oder Ministeriumsebene handelt es sich um eine Behörde, in der sich Politik und Administration begegnen. Es gibt strategische Überlegungen und operatives Handeln. Wie im Eisenhower-Prinzip eindrücklich beschrieben, überlagern dringende Aufgaben oft die wichtigen. In der Schulverwaltung wird Dringlichkeit durch Presseverlautbarungen ausgelöst.

Denken wir uns einen beliebigen Tag in der Verwaltung. Morgens geht noch alles seinen gewohnten Gang, am Nachmittag melden erste Zeitungen einen antisemitischen Vorfall: Ein jüdischer Junge wurde von Mitschüler:innen antisemitisch beschimpft. Nun muss schnell gehandelt werden. Die Presse wird eine Stellungnahme erwarten. Da geht es darum, aufzuzählen, was man bereits alles gegen diese Missstände tut, am besten ergänzt durch konkrete Maßnahmen für die akut betroffene Schule. Das System ist in seinem Element: Ein Problem taucht auf, die Verwaltung hat umgehend reagiert und eine runde Antwort gegeben. Jeder kann sehen: Es wird sich gekümmert.

Diese reaktive Logik lässt aber außer Acht, dass gute Lösungen üblicherweise weder im Akutfall noch fragmentarisch entstehen. Singuläre Probleme zu lösen mag an der einen oder anderen Stelle unvermeidlich sein, sinnvoller ist aber: weg vom Aktionismus, hin zu strategischer Arbeit an den wirklichen Problemen.

Auf der obersten Ebene der Bildungsverwaltung fehlt es nicht an der Identifikation von Schlüsselproblemen: abgehängte Schulen, viele Schulabbrecher:innen, unbefriedigender Umgang mit sozialer, kultureller und religiöser Vielfalt, Abhängigkeit des Bildungserfolgs von sozialer Herkunft. Wohl aber fehlt es an klugen, kohärenten, gut kommunizierten und auf Längerfristigkeit angelegten Strategien, diese Herausforderungen anzugehen. Diese Themen werden uns auf den nächsten Seiten aus dem einen oder anderen Blickwinkel ständig begegnen. Es sind eben jene Schwierigkeiten, die immer wieder aufploppen. Aufploppen bedeutet hier: Aus dem permanenten Schwelbrand wird ein loderndes Feuer. Und das muss natürlich gelöscht werden. Zielführender wäre allerdings eine Brandschneise, die das Schwelen verhindert.

Dafür wäre es von zentraler Bedeutung, die Schlüsselprobleme intensiv anzuschauen. Das gelingt aber nur schlecht an einem Ort, an dem die Devise gilt: Wo Probleme auftauchen, macht jemand seinen Job schlecht. Denn das Ziel, Ruhe zu bewahren, verhindert einen gepflegten Diskurs über eine gut überlegte und abgestimmte Prozessplanung, die die strategischen Überlegungen zügig umsetzt.

Dieser Diskurs ist in die Behörden-DNA nicht unbedingt eingeschrieben. Bei allen regionalen Unterschieden und dem unvermeidlichen Verweis auf individuelle Ausnahmen lässt sich festhalten: Mitarbeiter:innen der Schulverwaltung werden aus dem Schuldienst rekrutiert. Es gibt darunter Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen den Arbeitsplatz Schule verlassen, weil sie sich (zu Recht) bessere Karrieremöglichkeiten erhoffen oder weil sie den direkten und manchmal herausfordernden Kontakt zu Schüler:innen vermeiden möchten. Wichtigste Voraussetzungen für eine Annahme in der Verwaltung sind eine (mindestens formal) fachliche Expertise und die Bereitschaft, bei der Erledigung zugewiesener Aufgaben verlässlich Vollzug zu vermelden.

Vollzug ist aber oft nicht genug. Ein gutes Beispiel dafür ist die Besetzung von Schulleiter:innenstellen. Diese Stellen müssen oft lange ausgeschrieben werden, weil sich niemand um den Job reißt. Wenn die Leitung einer Schule nicht besetzt ist, gehen Eltern auf die Barrikaden, und die Presse hat ein gefundenes Fressen. Daher hat eine rasche Stellenbesetzung oberste Priorität. Um jede:n Bewerber:in ist man froh und, schwuppdiwupp, Problem gelöst. Genommen wird oft, wer die Hand gehoben hat. Ob die Person fachlich und, noch viel wichtiger, persönlich geeignet ist, spielt dabei nicht immer eine Rolle. Und das ist fatal. Nicht nur für die Verwaltung und die Schule, sondern auch für den Menschen, der vielleicht mit viel Idealismus, womöglich aber auch mit vollkommen falschen Vorstellungen sein Amt antritt und dann im Alltag scheitert.

Selbst die obligatorische Schulleiter:innenausbildung hilft hier kaum weiter. Sie vermittelt teilweise Wissen, das sich ein lernendes Wesen problemlos selbst aneignen kann, aber zu wenige persönliche Kompetenzen, die zum Gelingen von Schule beitragen. Extern gebuchte Koryphäen in der Ausbildung arbeiten oft nicht zielgruppengenau, reden an den Bedürfnissen zukünftiger Schulleiter:innen vorbei. Und Unterstützungssysteme für den Schulleiter:innenalltag sind oft fragmentiert. Die verschiedenen Systeme wissen meist nicht voneinander, bisweilen bestehen Konkurrenzen. So werkelt jedes Unterstützungssystem mehr oder minder erfolgreich vor sich hin. Ein Austausch ist nicht vorgesehen – alle Bemühungen bleiben für sich und gelungene Beispiele ohne die gewünschte Verbreitung.

All das ist hinlänglich bekannt, für Berlin beispielsweise durch den Köller-Bericht, den die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres in Auftrag gegeben hatte. Ausgehend von ihrer Beobachtung, dass das Land mehrere Jahre zusätzliche Ressourcen ins Bildungssystem eingespeist, aber damit keine messbaren Leistungsverbesserungen erzielt hatte, war Anfang 2019 eine wissenschaftliche Expertenkommission eingesetzt worden. Der Abschlussbericht im Oktober 2020 legte den Finger in die Wunde. Es brauche »einen noch stärkeren Fokus auf Verbindlichkeit, die Nutzung leistungsbezogener Daten sowie die passgenaue Fortbildung [der] Lehrkräfte«.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Die ersten Schritte wurden gemacht, jedoch vor allem auf der Ebene des Delegierens. Schulleiter:innen sollen die Lehrqualität engmaschiger kontrollieren und die Ergebnisse regelmäßig in dienstlichen Beurteilungen festhalten. Dass diese Einschätzungen der Schulverwaltung über ein digitales System gemeldet werden sollen, das seit längerer Zeit technisch nicht funktioniert, bleibt dabei unberücksichtigt.

Derlei Beispiele gibt es vielfach. Das Grundproblem lässt sich auf den Punkt bringen: Die hehre Bildungsvision der Schulverwaltung klingt gut. Laut dem auf geduldigem Papier verfassten Rahmenlehrplan kümmern wir uns in den Schulen um Pluralität, Anschlussfähigkeit und Teilhabe. Das sind alles sinnvolle Ziele. Doch diese finden sich nicht in den strategischen Entscheidungen der Behörde wieder, die oft überfordert wirkt und sich auf ein kleinstes gemeinsames Ziel geeinigt hat: nur kein Aufruhr.

Mit der Schulverwaltung haben wir Schulleiter:innen direkt wenig zu tun. Entscheidender ist für uns die Schulaufsicht. Dabei handelt es sich um die Kontrollinstanz, die das operative Handeln von Schulen in einem Sozialraum begleiten und steuern soll. Was bereits auf der übergeordneten Verwaltungsebene problematisch ist, wiederholt sich hier: Oft sind Entscheidungen vom Wunsch nach Konfliktvermeidung getragen.