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Corona hat Vieles verändert. Insbesondere hat uns diese Auszeit dazu gebracht, neu über Schule nachzudenken, Wege abseits vom Alltagstrott eingefahrener Lerninstrumente und -methoden zu suchen. Ziel dieser Überlegungen ist nicht mehr, wie kann Schule möglichst reibungslos funktionieren, sondern: Wie muss Schule und Lernen verändert werden, damit unsere Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenmotiviert lernen? Über die theoretische Konzeption hinaus zeigt das Buch auch ganz konkrete Umsetzungen im Schulalltag auf, mit Unterrichtsvorstellungen, dem Umgang mit Schülerinnen und Schülern und der Zusammenarbeit von Schulen untereinander, immer mit der Ausrichtung: "Mehr Chancen für unsere Schülerinnen und Schüler." Ein besonderes Highlight sind die ungeschminkten Rezensionen von Schülerinnen und Schülern zu diesem Konzept, lange nachdem sie ihr Abitur gemacht haben.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2020
Gebt unseren Schulkindern mehr Chancen!
Schule neu denken nach Corona
Heinz-Walter Höltkemeier
© 2020 Heinz-Walter Höltkemeier
Autor: Heinz-Walter Höltkemeier
Lektorat, Umschlaggestaltung: Philomena Höltkemeier
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN: 978-3-347-10330-6 (Paperback)
ISBN: 978-3-347-10331-3 (Hardcover)
ISBN: 978-3-347-10332-0 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Inhalt
I Vorwort
II Selbstständigkeit und Eigenmotivation: Das Unterrichtskonzept „Nachhaltigkeit und Transparenz“
→ Der erste Teil des Unterrichtskonzepts: Nachhaltigkeit
→ Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin
→ Die konkrete Unterrichtsdurchführung
→ Kriterien der Leistungsbewertung
→ Der zweite Teil des Unterrichtskonzepts: Transparenz
→ Zusammenfassung des Unterrichtskonzeptes „Nachhaltigkeit und Transparenz“
→ Das Konzept „Nachhaltigkeit und Transparenz“ am Beispiel eines Leistungskurses Erziehungswissenschaft
→ Das Konzept „Nachhaltigkeit und Transparenz“ in Unter- und Mittelstufe
III Mehr Chancen: Neu denken in der Schule
→ Außerschulisches Umfeld - SchülerIn - LehrerIn - Schule
→ Die Schülerin / der Schüler
→ Lehrerinnen und Lehrer
→ Hilfen für Schülerinnen und Schüler
IV Mehr Chancen: Die Vernetzung von Schulen - Bruchlose Übergänge
→ Der Ist-Zustand
→ Was tun?
→ Aufbau eines Schulforums
→ Forderungen an die Bildungsministerien für mehr Chancen beim Übergang
→ Neue Chancen: nach dem Übergang zur weiterführenden Schule
V Mehr Chancen: Ausblick
→ Was muss erreicht werden?
→ Was muss verändert werden?
VI Anhänge
→ Interview mit einem ehemaligen Schüler
→ Weitere Schülerrückmeldungen
→ Übergangsprotokolle
→ Webseiten der Grund- und Leistungskurse Erziehungswissenschaft
I Vorwort
Liebe Eltern, verehrte Kolleginnen,
Corona hat Vieles verändert. Insbesondere hat uns diese Auszeit dazu gebracht, neu über Schule nachzudenken, Wege abseits vom Alltagstrott eingefahrener Lerninstrumente und -methoden zu suchen. Ziel dieser Überlegungen ist nicht mehr, wie kann Schule möglichst reibungslos funktionieren, sondern: Wie muss Schule und Lernen verändert werden, damit unsere Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenmotiviert lernen? Diese Ziele werden nicht zum ersten Mal proklamiert, aber – zumindest bisher - in der Regelschule nur sehr eingeschränkt umgesetzt. Mit dem Ergebnis, dass bei einem Ausfall der Schule durch Schließung von Schulen z. B. wegen Ansteckungsgefahr auch der Lernstand der SchülerInnen stagniert. Einzelne Schulen, einzelne LehrerInnen haben während der Dauer der Coronakrise versucht durch digitales Lernen, sprich digitale Aufbereitung des Unterrichtsstoffes, ihre SchülerInnen zu erreichen. So positiv dies auch ist, der Lernerfolg war hierbei aber abhängig davon, wie gut die SchülerInnen im Vorfeld darauf vorbereitet wurden, einerseits selbstständig zu lernen, andererseits genügend Eigenmotivation zu besitzen, um dies auch über längere Zeit durchzuhalten.
Ich möchte mit diesem Buch versuchen, ein Gesamtkonzept von Unterricht und Schule darzustellen, das Selbstständigkeit und Eigenmotivation so nachhaltig fördert, dass auch bei vorübergehenden Schulschließungen Lernfortschritt gesichert ist. Wir können weder davon ausgehen, dass die Coronakrise einmalig ist noch dass sie kurzfristig überwunden werden kann. Der Lernerfolg soll dabei erhöht, insbesondere aber stabilisiert und nachhaltiger gemacht werden. Er muss unabhängiger werden von einer permanenten Einflussnahme durch den Lehrer/die Lehrerin in der Schule, nur so kann in Zeiten wie der Coronakrise und während Schulschließungen ein unabhängiger Lernfortschritt gewährleistet sein. Ein spezieller, aber eminent wichtiger Aspekt, nämlich bruchlose Übergänge von Grund- zu weiterführenden Schulen trotz massivem Unterrichtsausfall zu schaffen, wird im Kapitel ‚Schulvernetzung‘ angesprochen.
Darüber hinaus möchte ich Konzepte aufzeigen, deren Ziel es ist, in grundlegenden Perspektiven Chancen auf eine bessere schulische Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler zu eröffnen. Jede Schülerin, jeder Schüler muss die Chance haben sich nach ihren/seinen Möglichkeiten bestmöglich zu entwickeln. Das ist eine Idealvorstellung, die in der Realität kaum erreichbar ist, aber dennoch als Ziel unserer schulischen Förderung erhalten bleiben sollte. Wenn man sich mit Richtlinien und Curricula der Institution Schule in Deutschland befasst, kann man durchaus feststellen, dass dies als Anspruch zwar gegeben Ist. Die schulischen Laufbahnen unserer Schülerinnen und Schüler zeigen jedoch ein anderes Bild.
Anstelle einer Vorstellung:
Meine Abschiedsrede vor dem Kollegium
Liebe Kolleginnen und Kollegen, soweit habe ich es geschafft.
Lange Reden sind nicht meine Art, ich habe ja lange genug als Lehrer gelernt, dass man Schüler damit nur zu Tode langweilt. Aber das gilt auch für Lehrerinnen und Lehrer und ich will einen solchen Zustand hier nicht provozieren, sonst haben wir beim Brunch zu viel über.
Fast 42 Jahre Lehrerdasein ist eine lange Zeit. Ich erinnere mich noch an eine Begebenheit vor meinem Abitur. Ich sitze mit der Familie beim Essen und bin ratlos, was denn nun aus mir werden soll. Ich weiß noch, wie ich meinen Vater entgeistert angesehen habe, als er sagte: „Werd‘ doch Lehrer.“ Ich habe damals ziemlich entrüstet geantwortet: Das Einzige, was ich niemals werde, ist Lehrer!“ Soviel zu vorschnellen Prognosen.
Ich möchte unserem werten Direktor nur ungern widersprechen, nachdem er freundlicherweise ein positives Bild meiner schulischen Laufbahn gezeichnet hat, aber ich erinnere mich auch an meinen ersten Schultag am Gymnasium. Es war Februar, es hatte geschneit, und in meiner allerersten Unterrichtsstunde als Lehrer schlugen die Schüler vor, man könnte doch rausgehen und eine Schneeballschlacht machen. „Klar“, habe ich gesagt und dann hatten wir viel Spaß vor der Schule, während die anderen Klassen hinter den Fenstern zusahen. Mir wurde später klargemacht, dass das Einzige, was ganz und gar verboten war, eben eine solche Schneeballschlacht war. Naja, heute weiß ich, weswegen. Mein erster Spitzname war dann allerdings im Direktoriat nicht „Heiwa“, sondern „Enfant Terrible“.
Mit der Zeit habe ich dann aber gelernt, die eine oder andere Vorgabe auch einzuhalten, selbst die, die ich nicht selber vorgeschlagen habe. Und nach so langer Zeit muss ich sagen: Ich liebe diesen Beruf. Vielleicht liegt es daran, dass meine Stunden eigentlich nie gleich waren. Eigene Unterrichtsmaterialien habe ich nach kurzer Zeit entsorgt, Unterrichtsaufzeichnungen habe ich sowieso nie gemacht. Ich habe auch nie begriffen (die Referendare mögen weghören), weswegen ich in meinem Unterricht Methoden aus irgendeiner Vorlage irgendeines renommierten Didaktikers verwenden soll anstatt mir selbst etwas auszudenken.
Eigentlich hatte ich bis heute so viel Spaß in den Stunden und mit den Schülern, dass ich mich oft glücklich schätzte, auch noch dafür bezahlt zu werden. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch schlechte Unterrichtsstunden hatte. Wenigstens habe ich das Glück, dass ich mir meiner Unzulänglichkeiten durchaus bewusst bin.
Dass ich mich in der Schule so wohl gefühlt habe, liegt aber zum größten Teil an Euch! Ich möchte mich für die langjährige Unterstützung in der gemeinsamen Erprobungsstufenarbeit bedanken, auch für so manche hoffentlich überdauernde Freundschaft und für die Freundlichkeit, die mir von Euch all die Jahre entgegengebracht wurde. Vielen Dank an Euch alle.
(Minden 2015)
Hinweise zum Buch
Es stellt sich die Frage: Warum schreibe ich dieses Buch erst jetzt, wo ich in Pension gegangen bin. Ausschlaggebend ist die besondere Situation, was Coronavirus und Schulschließungen anbelangt. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass sich solche Ausnahmezeiten nicht wiederholen. Dies habe ich nicht vorhergesehen, aber mir wurde schnell klar, dass die Unterrichtskonzepte, die ich während meiner aktiven Zeit als Lehrer zur Steigerung der Lernleistung entwickelt habe, genau in diesen Zeiten effektiv wären, wenn sie großflächig angewandt würden.
Es gibt natürlich noch einen weiteren Grund, weswegen ich erst jetzt dieses Buch geschrieben habe. Ich denke, da geht es mir wie allen anderen LehrerInnen auch. Das alltägliche schulische Gewusel, die Termine, die Vorbereitungen und Nachbereitungen, Zensuren, Korrekturen, sie verstellen den Blick. Es braucht auch etwas Zeit, die Erfahrungen aus einer so langen Zeit auf Wesentliches zu reduzieren, zu ordnen und zu hinterfragen. Dieses Buch spiegelt persönliche Erfahrungen wider, es verzichtet auf Zitate aus der Sekundärliteratur und stellt keine Bezüge her zu wissenschaftlichen Untersuchungen hinsichtlich Unterricht und Schulorganisation.
Ich war Erprobungsstufenkoordinator an einem Gymnasium in Minden, NRW, und habe 42 Jahre lang die Fächer Englisch und Erziehungswissenschaft unterrichtet. Mag sein, dass das zweitgenannte Fach mich etwas zu kritisch hat werden lassen gegenüber wissenschaftlichen‘ Erkenntnissen. Trotz eines kaum bezähmbaren Wunsches, eine Vielzahl von Hinweisen zu geben auf widersprüchliche Trends von alten Bildungskonzepten in jeweils neuer Terminologie: keine Zitate und kein “Wissenschaftler haben entdeckt, dass …“ in diesem Buch.
Das Buch sollte anfangs den Titel ‚Lehrende und Lernende‘ tragen. Man sollte eben als Lehrer gleichzeitig Lernender sein. Man sollte nicht nur Unterricht planen und die komplexen Aufgaben eines Lehrers/einer Lehrerin nach Vorschrift wahrnehmen. Viel wichtiger ist es, die Reaktionen der SchülerInnen wahrzunehmen und diese für Unterrichtsorganisation und Herangehensweise an Unterrichtsgeschehen zu nutzen. Den Begriff ‚Untemchtsführung‘ vermeide ich bewusst. Erfahrungen, die man als negativ bewertet, und schlechte Unterrichtsergebnisse sollte man selbstkritisch analysieren und bereit sein, neue Wege zu entwerfen und zu gehen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Es fällt schwer den eigenen Unterricht und noch viel mehr sich selbst als Lehrerpersönlichkeit in Frage zu stellen. Aber nur so ist eine Veränderung zum Positiven möglich. Das betrifft Lernerfolge der SchülerInnen, den Umgang miteinander, die Atmosphäre im Klassenraum und in der Schule. Es betrifft zu guter Letzt die Schule als integrierenden Lebensraum.
II Selbstständigkeit und Eigenmotivation: Das Unterrichtskonzept „Nachhaltigkeit und Transparenz“
Ich schreibe dieses Kapitel mitten in der Coronazeit, während alle Schulen geschlossen sind. Kaum eine Schülerin, kaum ein Schüler ist darauf vorbereitet, dass sie oder er den Unterrichtsstoff eigenständig erarbeitet. Einige LehrerInnen, einige Schulen versuchen, ihren SchülerInnen Materialien zukommen zu lassen, mit denen sie weiterarbeiten können, um wenigstens in Ansätzen einen Lernerfolg generieren zu können. Sehr positiv ist auch, dass viele LehrerInnen ansprechbar sind, um bei Problemen weiterzuhelfen. Das hilft in Einzelfällen, eine umfassende Förderung ohne Unwägbarkeiten ist es nicht. Diese Unwägbarkeiten bestehen darin, dass die SchülerInnen nicht darauf vorbereitet sind, ohne gezielte Anleitung - wie im Klassenraum - zu lernen, ihre Eigenmotivation ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, genauso wie die Hilfen, die sie in ihrem Elternhaus und der privaten Umgebung bekommen.
Das bedeutet: Wir müssen unsere SchülerInnen schon frühzeitig in der Schule darauf vorbereiten, Sachbereiche selbstständig zu erarbeiten, sie müssen gelernt haben, mit ihren MitschülerInnen in Teams neue Themenbereiche zu erarbeiten. Dazu gehört, dass sie selbstständig und kritisch Quellen und Informationen zum Lerngegenstand suchen und analysieren, das Gefundene mit dem vergleichen, was andere gefunden haben, dieses gemeinsam besprechen, dass sie Wesentliches für die Fragestellung filtern lernen und für den Unterricht aufarbeiten und selbst ihren MitschülerInnen näherbringen können.
In Zeiten der Schulschließungen wären genau diese Fähigkeiten besonders wichtig, aber es stellt sich natürlich die Frage, wie dies außerhalb von Schule, ohne direkte Zusammenarbeit mit MitschülerInnen, ohne Bibliothekszugang möglich ist.
Jetzt kommt der gemeinhin überstrapazierte Begriff „Digitalisierung in der Schule“ ins Spiel. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, sogenannten „digitalen Unterricht“ so überzubewerten, wie Medien und Politiker dies so gern tun. Lebendiger Unterricht im sozialen Miteinander ist nur in Teilbereichen durch Arbeit mit dem Tablet oder Laptop zu ersetzen. Aber: diese Medien, sprich Internet und Tablet/Laptop bieten Möglichkeiten, wie sie früher nicht gegeben waren. Informationssuche im Internet, Videokonferenzen per Skype, nicht öffentliche Diskussionsplattformen, eingerichtet für die jeweilige Lerngruppe, eröffnen genau die Möglichkeiten, die für einen Lernfortschritt jeder einzelnen Schülerin, jedes einzelnen Schülers auch in Zeiten von Schulschließungen notwendig und nutzbar sind.
Wenn also so viel Geld für Digitalisierung von Schulen ausgegeben werden soll, dann sind Investitionen in den häuslichen digitalen Zugang für alle SchülerInnen zwingend und vorrangig erforderlich.
Unsere Schülerinne und Schüler müssen aber auch darauf vorbereitet werden, und das erfordert ein Umdenken, was Unterricht anbelangt:
→ Der erste Teil des Unterrichtskonzepts: Nachhaltigkeit
Das Konzept ‚Nachhaltigkeit‘ ist ganz einfach: Die Schülerinnen und Schüler sollen einen Unterrichtsstoff umfassend verstehen lernen und nicht vergessen. Leider entspricht dies nur selten der Realität des täglichen Schulbetriebs. Nur zu häufig wird das, was ein Lehrer oder eine Lehrerin vermittelt, nur bruchstückhaft aufgenommen, eine Einordnung des Stoffes in übergreifende Zusammenhänge bleibt schemenhaft, eine überdauernde Lernleistung ist eingeschränkt. Und das, auch wenn der Lehrer / die Lehrerin guten Unterricht gemacht hat.
Häufig wird gesagt, der Lehrer sei derjenige, der den Stoff am besten begreift, weil er ihn seinen SchülerInnen beibringen muss. Genau hier setzt das Konzept ‚Nachhaltigkeit‘ an: Die Schülerinnen und Schüler werden zu Lehrerinnen und Lehrern. Wie schon unter dem Begriff ‚Lernen durch Lehren‘ in der Literatur bekannt, geht es darum, dass die SchülerInnen in Gruppen einen Unterrichtsstoff selbstständig erarbeiten und sich darauf vorbereiten, diesen Unterrichtsstoff ihren MitschülerInnen beizubringen. Die Gruppe führt den Unterricht eigenständig durch. ‚Lernen durch Lehren‘ ist nur eine von vielen bekannten Unterrichtsmethoden, während „Nachhaltigkeit und Transparenz“ ein Gesamt-Unterrichtskonzept darstellt. Hierzu gehört nicht nur, dass SchülerInnen Unterricht vorbereiten und durchführen, dazu gehört auch die gezielte Progression, ein bestimmtes LehrerInnenverhalten, die Überprüfung des Lernerfolgs durch die SchülerInnen, die besondere Art der Leistungsbeurteilung durch den Fachlehrer/die Fachlehrerin, die Transparenz des Erarbeiteten in Form von öffentlichen Verschriftlichungen, die Bindung von Klassenarbeiten oder Klausuren an diese Verschriftlichungen.
Ich als Fachlehrer bin natürlich weiterhin verantwortlich für den Unterricht. Aber gerade aus der Perspektive des ‚involvierten Beobachters‘ kann ein Fachlehrer sehr viel besser überprüfen, wie die Schülerinnen und Schüler den Unterrichtsstoff aufnehmen.
→ Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin
Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin gestaltet sich bei diesem Unterrichtskonzept ganz anders als üblich. Zu Beginn ist der Lehrer/die Lehrerin im Unterricht und besonders in der Vorbereitung der Gruppenarbeiten noch relativ präsent. Natürlich müssen zunächst Hilfen gegeben werden, wie Unterricht vorbereitet wird. Die SchülerInnen gehen zunächst aufgrund ihrer früheren Erfahrungen davon aus, dass sie wie üblich in der Gruppe etwas erarbeiten und dann einen Vortrag halten. Es muss dann schnell deutlich werden, dass sie mithilfe ihrer Vorbereitung Unterricht gestalten sollen und dass ihr eigener Unterrichtserfolg und der der anderen davon abhängt, wie gut sie den Unterrichtsstoff vermitteln. Sehr schnell kommt auch hier die Frage auf, wonach denn dann Noten vergeben werden. Zu diesem Zeitpunkt wird den SchülerInnen ein Beurteilungskatalog gegeben (s. „Kriterien der Leistungsbewertung“), der deutlich macht, dass die Beurteilung ihrer Leistung als Lehrende und die der anderen SchülerInnen davon abhängt, wie gut der Lernerfolg aller SchülerInnen des Kurses/der Klasse ist, gemessen an der Qualität des Vermittelten, an der Mitarbeit des Kurses/der Klasse, an der Festigung des Unterrichtsstoffes und dem Lernerfolg, den die lehrenden SchülerInnen selbst ermitteln werden. Für die Lehrenden geht auch mit ein, wie präzise und lernbar die veröffentlichte Verschriftlichung des Unterrichtsstoffes ist.
Dies Unterrichtskonzept bedingt ein besonderes Lehrerverhalten. Bei der ersten Einweisung der SchülerInnen ist der Unterricht noch weitgehend lehrerbezogen, hierzu gehört auch zunächst eine Einführung in die Textanalyse mithilfe geeigneter Materialien. Hier die Rückmeldung einer damaligen Schülerin:
„Neue Unterrichtsthemen wurden in der Gruppe gemeinsam ausgearbeitet. Zunächst mussten hierfür das Material und die Texte gelesen werden. Dafür wurde eine ganz besondere Technik angewandt, die wir zuvor gemeinsam als Kurs festgelegt haben. Es wurde mit drei Textmarkern in unterschiedlichen Farben gearbeitet. Die Farben hatten dabei unterschiedliche Bedeutungen. Dieses Prinzip zog sich durch diegesamten Unterrichtsjahre, sodass der Gebrauch der drei Textmarker Farben bei der Bearbeitung von Texten zum Standard wurde, der sich sehr bewährt hat. Im Übrigen nutze ich diese Technik noch heute.
Zunächst wurde gemeinsam mit allen Kursteilnehmern festgelegt, welche Key Words im Text erheblich sind. Anschließend wurde in vorher eingeteilten Kleingruppen die Erarbeitung des Textinhalts vorgenommen und diese für eine Präsentation aufbereitet.“
[Siehe hierzu die vollständigen Schülerrückmeldungen von Jessica Gerling und Diana Radtke im Anhang.]
Auch bei der Erarbeitung des Schülerunterrichts ist eine hohe Lehrerpräsenz noch unabdingbar, er/sie muss viele Hilfen geben zur Sichtung des Stoffes, Auswahl der Medien, Durchführung des Unterrichts mit seinen verschiedenen Phasen, Sicherung des Lernerfolgs der MitschülerInnen. Es muss geprüft werden, ob der Stoff durch die vorbereitende Gruppe umfassend erfasst ist und verstanden wurde. Während des Schülerunterrichts muss sich der Lehrer/die Lehrerin immer mehr zurücknehmen und quasi Teil der Lerngruppe werden. Er/sie kann, wenn etwas nicht klar genug vermittelt wurde, natürlich auch weiterführende Fragen stellen, wie es der Aufgabe als LehrerIn entspricht, aber nur wenn es notwendig ist. Wenn der Lehrer/die Lehrerin die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist dies kontrapunktiv für die Zentrierung der MitschülerInnen auf ihre Schüler-LehrerInnen. Und dies ist ausschlaggebend für den Unterrichtserfolg. Je besser die Vorbereitung der Gruppe, und hier liegt die Hauptarbeit des Lehrers/der Lehrerin, umso mehr kann der Lehrer/die Lehrerin in den Hintergrund treten.
→ Die konkrete Unterrichtsdurchführung
Zur Praxis: Die folgenden Punkte beziehen sich auf den Unterricht in der Oberstufe eines Gymnasiums oder einer Gesamtschule. Ich gehe später darauf ein, wie das Unterrichtskonzept in der Mittelstufe und in der Unterstufe umgesetzt werden kann.
Die Umsetzung des Konzepts ‚Nachhaltigkeit und Transparenz‘ beginnt damit, dass drei oder vier Gruppen gebildet werden, die umfangreiche Teilbereiche eines Gesamtthemas auswählen, z. B. zum Thema ‚Alternativschulen‘ müssten Montessorischule, Reggio (Abiturvorgaben) und die Waldorfschule vorbereitet werden. Ich weise jede Gruppe darauf hin, welche Quellen zur Vorbereitung verwendet werden können und dass erwartet wird, dass darüber hinaus weitere Quellen gesucht und genutzt werden. Der erste Teil dieser Gruppenarbeit ist also zunächst einmal die umfassende Vorbereitung auf das Thema. Dann beginnt die für dieses Konzept wichtige Arbeit: die Vorbereitung des Unterrichts. Hier gebe ich zunächst einmal verschiedene Hinweise:
Bei Gruppenarbeiten sind in der Vorbereitung auf den Unterricht folgende Punkte zu beachten:
• Fachliche/inhaltliche Vorbereitung
Die SchülerInnen müssen Medien, speziell Texte zum Themenbereich suchen, auswerten und bestimmen, welche für den eigenen Unterricht genutzt werden. Zu den Bereichen Montessori und Waldorf z. B. können neben den Recherchen eigene Erfahrungen eingehen, wenn die SchülerInnen der Gruppe bereit sind, diese Alternativschulen zu besuchen, sich dort informieren zu lassen und sich ein eigenes Bild zu machen. So haben in zwei Leistungskursen meine SchülerInnen diese Schulen besucht und haben deshalb bei ihrem Unterricht im Kurs eigene Unterlagen und Bilder zur Veranschaulichung verwenden können. Ein anderes
Beispiel, diesmal zum Thema Jugendkriminalität war ein Besuch der Polizeihauptstelle unserer Stadt, um in Erfahrung zu bringen, welche Kriminalitätsstatistiken es für diesen Raum gibt und wie sie zu bewerten sind, welche vorbeugenden Maßnahmen bei uns ergriffen werden usw. (Nur wenn die äußeren Bedingungen es zulassen, siehe CoronaZeiten.)
• Für den Kurs einen Überblick über das Thema bieten, auch noch einmal bei jedem Einzelpunkt
• Folien / Power Point nutzen
Mind. Schriftgröße 16
Nur Überschriften bzw. Stichwörter
• Arbeit mit dem Kurs
Nutzung von Hausaufgaben und Internetrecherche
Mind-Maps (müssen im Weiteren auch genutzt werden)
Gruppenarbeit / Stationenlernen
Diskussion (Sachbearbeitung/ Beurteilung/ Kritik)
Rollenspiele