Geduld bringt Rosen - Veza Canetti - E-Book

Geduld bringt Rosen E-Book

Veza Canetti

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Beschreibung

Wie in ihrem ersten Buch Die Gelbe Straße sind es die namenlosen und übersehenen Menschen, denen Veza Canettis Aufmerksamkeit gilt. In ihren knappen und genauen Erzählungen schildert sie einfühlsam und witzig, unsentimental und ohne Herablassung das Schicksal dieser Menschen im Wien der frühen dreißiger Jahre. »Prosa von bester Qualität.« FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

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Über das Buch

Wie in ihrem ersten Buch Die Gelbe Straße sind es die namenlosen und übersehenen Menschen, denen Veza Canettis Aufmerksamkeit gilt. In ihren knappen und genauen Erzählungen schildert sie einfühlsam und witzig, unsentimental und ohne Herablassung das Schicksal dieser Menschen im Wien der frühen 1930er Jahre.

Veza Canetti

Geduld bringt Rosen

Erzählungen

Carl Hanser Verlag

Geduld bringt Rosen

Als die Prokops Rußland verließen, versteckten sie ihren Schmuck auf folgende Art und Weise. Bobby, der Sohn, hielt in der Hand einen ausgehöhlten Stock, dick wie er selbst. In die Höhlung kamen Smaragde, Rubine und fleckenreine Diamanten. Frau Prokops Schirmgriff war ein Mops mit einer Krause. In seinem Kopf ruhten zwei Paar Ohrgehänge. Tamara, die Tochter, trug einen Herrenschirm. Im Griff schlängelte sich eine Riviere. Die Messerklinge zum Schneiden des Fleisches klappte in ein breites Gehäuse. Es barg ein Vermögen. Nur Ljubka, die Waise, hatte nichts bei sich. Neben ihr lagen die Lebensmittel, und Frau Prokop gab ihr auch noch die Weißbrötchen in Verwahrung.

Die Kommission fand nichts Nennenswertes vor. Nach der Untersuchung fiel es den Mitreisenden plötzlich auf, was für eine schöne Frau Frau Prokop trotz ihren Jahren noch war, so sehr belebte sie sich plötzlich. Ihre hohe volle Gestalt bebte. Sie sah gepflegt aus. Aber ihre Gepflegtheit erinnerte nicht etwa daran, daß sie täglich ihr Bad nahm und auf duftige Wäsche Wert legte, ihre runden Wangen wie Milch und Blut zeigten vielmehr nur, daß sie jeden Tag ihres Lebens den süßen Schlaf bis zu Ende schlief, daß sie sich nie den Magen füllen mußte, sondern sich planmäßig ernähren konnte.

Noch keine Gehstunde von der russischen Grenze entfernt, nahm Frau Prokop ihrer Nichte den großen Sack mit Weißgebäck weg. Hastig brach sie ein Brötchen auf und zog mit lüstern bebenden Nasenflügeln einen Ring aus dem Teig, einen Ring mit haselnußgroßem Diamanten. Verblüfft sahen alle auf den Ring. Ljubka erbleichte. »Aber Tantchen, darauf steht doch Todesstrafe!«

»Die Unschuldigen schützt Gott«, sagte Frau Prokop, zeigte auf Gott, der offenbar ober dem Gepäcknetz thronte, und gab ihr ein abgebrochenes Stück von der Semmel. Dann öffnete sie der Reihe nach jedes einzelne Stück und füllte die Taschen mit Geschmeide.

Ljubka sagte nichts weiter, stand auf und versteckte sich auf dem Gang. Hier weinte sie noch nachträglich vor Schreck, und vielleicht weinte sie auch, weil sie keine Eltern hatte und überhaupt niemanden, der sie beschützte, denn die einzigen Menschen, in deren Schutz sie stand, hatten sie soeben ohne viel Federlesens in Todesgefahr gebracht.

Tamara blickte indessen bald zum Fenster hinaus, ob die Grenze auch wirklich überschritten sei, bald auf den Korridor, ob dort nicht die Kommission noch lauerte, und zuletzt blickte sie auf den reichen Schmuck, der sich anhäufte, und sagte nervös: »Laß das doch, Mama!«

Bei diesen Worten horchten die Mitreisenden auf, so sehr staunten sie über den Kontrast, den ihre Stimme zu ihrem Gesicht bildete. Noch eben hatten sie sie mit der Schwester der Zarin verglichen, und als Tamara jetzt schwieg, waren sie wieder geneigt, ihre feinen Züge zu bewundern, da wurde die erste Station nach der Grenze ausgerufen.

Hier entnahm Frau Prokop ihrer Tasche einen großen, hellen Brillantring und reichte ihn vielsagend ihrer Tochter hin, und jetzt erschraken die Mitreisenden. Denn Tamara lachte.

Welche Verzerrung in dem feinen Gesicht! Grobe Linien, nacktes Zahnfleisch, Falten bis zu den Schläfen und vor allem die Ohren, die Ohren wurden plötzlich sichtbar wie bei einem Hund, dem man die Lappen zurückstreift, gekrümmte, braune Höhlen waren die Ohren, und dieses ganze Lachen zeigte nichts von Freude, sondern eben eine Kargheit, die es nicht verbergen konnte. Es war nicht leicht zu erraten, womit Tamara kargte.

Das Lachen verschwand sogleich von Tamaras Gesicht, und die Mitreisenden fühlten sich erleichtert. Als sie in der nächsten Station ausstiegen, begann Frau Prokop Bobbys Stock zu entleeren. Der ganze Schmuck kam jetzt in ein bereitgehaltenes Täschchen, das Frau Prokop keine Minute aus der Hand ließ.

Von Karlsbad aus reiste die Familie nach Wien. Hier kauften sie eine Fünfzimmerwohnung und ließen sie von einem modernen Architekten neu adaptieren. Eingebaute Möbel, Etagenheizung, elektrisches Bad, taghelle Beleuchtung mit Abblendscheiben. Tamara liebte es, den Gästen ihren Komfort zu erklären. »Da kann man sich unmöglich die Augen verderben«, sagte sie jedesmal über die Beleuchtung mit Abblendscheiben. Nur über die Tapeten gerieten Mutter und Tochter in Streit. Frau Prokops verstorbener Mann hatte vor dem Umsturz zwei Fabriken (als sie beschlagnahmt wurden, traf ihn der Schlag), und Frau Prokop konnte sich diese zwei Fabriken nicht abgewöhnen. Sie bestellte Salubratapeten, aber da wurde Tamara energisch. Sie bestellte die Salubratapeten ab, denn wenn man auszog, konnte man sie nicht mitnehmen, sie ließ tünchen, Seidenimitation, das kostete auch genug.

Tamara duldete kein Dienstmädchen. Ein Dienstmädchen sei eine große Gefahr für den reichen Schmuck, die Pelze und Valuten in der Wohnung, erklärte sie den verwunderten Gästen. Die schwere Arbeit machte Ljubka, und auch Tamara war nicht faul, sie kochte, scheuerte, stand nicht an, den Boden zu reiben, und pflegte die Mutter, die zeitweise an Hypochondrie litt; sie war zu jung für ihr Alter, das war ihre Krankheit.

Dieselbe Tamara erschien abends in Gesellschaft, von einem Nerzpelz und Kavalieren umschmeichelt (Nerzpelze gibt es nur gezählte), und nur ihre Hände glänzten etwas roh, die Haut erinnerte an Hühnerfüße, die Nägel waren gekrümmt, aber das bemerkte niemand.

Bei solcher Tüchtigkeit und solchen Erfolgen ist es kein Wunder, wenn Tamara zu Hause tonangebend wurde und die Rolle des Vaters übernahm. Und sie erreichte, daß sich Frau Prokop von ihrem Sohn nicht mehr ausplündern ließ. Wenn Bobby mit Spielschulden kam, wies Tamara mit dem langen, knotigen Finger auf die fünf neu adaptierten Zimmer: »Willst du noch mehr herunterkommen?« Frau Prokop wollte nicht noch mehr herunterkommen. Bobby bekam ein für allemal ein Betriebskapital und mußte sich bequemen, etwas zu arbeiten. Seine Arbeit bestand darin, daß er ganz privat, weder an Zeit noch an Steuerpflichten gebunden, Schmuckstücke an Bekannte verkaufte und nicht ohne Glück, denn er galt für einen lieben Kerl.

Er trug natürlich die Juwelen nicht selbst zu seinen Kunden hin, sondern stieg nur bis zu seinem Hausbesorger hinunter, der auch das besorgen mußte. Dem waren aber mit der Zeit die Aufträge ungelegen, denn in einem Haus mit vierzig Wohnungen (darunter fünfundzwanzig Herrschaftswohnungen) kam es ihm auf einen Doppelschilling nicht an. Er entschuldigte sich daher eines Tages und machte den jungen Herrn auf den unbedingt verläßlichen Kassenboten Mäusle aufmerksam, der ein Hofzimmer bewohnte, Zimmer, Kabinett, Küche. Bobby wunderte sich vorerst, daß es in dem herrschaftlichen Hause auch Hofwohnungen, Zimmer, Kabinett, Küche gab, und befahl Herrn Mäusle zu sich, wobei er mit dem Zeigefinger hinunter deutete, genau auf den Platz vor ihm. Als er den Solitär aus der Tasche zog, den der Kunde bestellt hatte, trug er doch einige Bedenken, es waren sechs Karat. Aber diese Bedenken schwanden sogleich, als Kassenbote Mäusle vor ihm stand. Bobby streifte mit einem Blick den graugewetzten Rock, das zerschlissene Hemd, arm, aber sauber, und übergab ihm dann ohne weiteres den Solitär und die Adresse, ja, er legte nicht einmal Wert auf eine Bestätigung. Kassenbote Mäusle fühlte sich durch dieses Vertrauen so sehr gewürdigt, daß er den Weg am liebsten umsonst gemacht hätte. Als er aber dafür noch einen Doppelschilling bekam und ihm der junge Herr die Bestätigung, die er ordnungshalber gebracht hatte, nachwarf, sah Herr Mäusle eine neue Periode in seinem Leben gekommen.

Und er irrte sich nicht. Er konnte wenigstens dreimal im Monat mit einem ihn so ehrenden Nebenverdienst rechnen, und der junge Herr war nicht geizig. Fand sich ein zerknüllter Fünfer in seiner Tasche, so bekam Herr Mäusle den Fünfer, und das Zerrissene machte gar nichts, es ließ sich mit Markenpapier kleben und ergab fünf blanke Silberstücke. Die Bestätigungen, die er von jedem Gang mitbrachte, häuften sich zu Hause im Schrank, er hob sie unermüdlich auf.

Diese Botengelder ärgerten Tamara nicht wenig. Erstens hatte der Bruder die Wege selbst zu machen, und dann war Ljubka da. Doch ihre Vorstellungen bei der Mutter nützten diesmal nichts. Frau Prokop war noch von früher her für Noblesse, sie verteilte selbst heimlich Trinkgelder und kleine Geschenke (sie protegierte gern), und Bobby fand einen Diener seiner Würde angemessener. Seine Schwester hielt sich für ihren Ärger ein wenig schadlos, indem sie dem Kassenboten, wenn sie ihn zufällig im Stiegenhaus traf, schnell einen Weg auflud, ohne ihn zu entlohnen. Es bereitete ihr freilich nicht die rechte Befriedigung, sie hatte Ljubka zu Hause, aber immerhin wurde Ljubka weniger abgenützt und konnte für anderes verwendet werden. Herr Mäusle aber trug eine Dankesschuld ab, denn in seiner Schuld fühlte er sich, fühlte er sich unaussprechlich.

Die Prokops verstanden es lange Zeit, ein behagliches und auskömmliches Leben zu führen, eines Tages aber entstand arge Mißstimmung. Das üppige, zufriedene Leben der Prokops wurde plötzlich gestört, weil das Pfund fiel. Und nicht nur, daß das Pfund fiel, alle anderen Valuten, in welche die Prokops einen Teil ihres Schmuckes verwandelt hatten, wurden unsicher. Eines Tages stellten sie fest, daß ein Drittel ihres Vermögens verloren war, und gerade an diesem Tage kam Bobby gegen seine sonstige Art aufgeregt nach Hause und gestand, er habe eine Spielschuld, er sei entehrt, wenn er nicht zahle.