Gegen das Weltgesetz (Science-Fiction-Roman) - Kurd Laßwitz - E-Book

Gegen das Weltgesetz (Science-Fiction-Roman) E-Book

Kurd Laßwitz

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Beschreibung

Dieses eBook: "Gegen das Weltgesetz (Science-Fiction-Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Der Science-Fiction Roman spielt sich im Jahr 3877 ab. Der Science-Fiction Roman beginnt in Erziehunganstalt wo man den zukünftigen Weg seiner Kinder festlegen kann indem man das Gehirn der Kinder entsprechend erzieht. Kurd Laßwitz (1848-1910) gilt als einer der Väter der modernen Science Fiction.

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Kurd Laßwitz

Gegen das Weltgesetz

(Science-Fiction-Roman)

Eine Erziehungsanstalt im Jahre 3877
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-6910-8

Inhaltsverzeichnis

I. Eine Erziehungsanstalt im Jahre 3877
II. Das vierte Jahrtausend. Ein Stückchen Kulturgeschichte
III. Unter dem Meeresspiegel. Die Gehirnorgel. Der letzte Botaniker
IV. Neue Körper. Lyrika. Die Weltformel
V. Ein Mittagbrot. Der Heiratsantrag. Was man im 39. Jahrhundert von der Zukunft dachte
VI. Lyrikas Kampf
VII. Eine gespenstische Braut
VIII. Tunnelbauten. Die Saphirgrotte. Die Jagd über den Ozean
IX. Die geheimnisvolle Kiste
X. Eine Hochzeitsreise. Atoms Vulkan

I. Eine Erziehungsanstalt im Jahre 3877

Inhaltsverzeichnis

»Von der Rindenschicht im Gehirn Ihres Sohnes steht Ihnen gesetzlich die Bestimmung über ein Drittel zu; in Bezug auf dieses können Sie eine Gewöhnung der Zellen zu speziellen Vorgängen der Spannung, Leitung und Bewegung nach Ihren Wünschen vornehmen lassen. Ein Drittel bleibt, wie Sie wissen, zur späteren eigenen Verfügung Ihres Sohnes behufs Ausbildung seiner Gehirnfunktionen reserviert, während das letzte Drittel nach § 111 des Unterrichtsgesetzes vom 22. Januar 3854 in einer öffentlichen Anstalt für allgemeine Bildung zu präparieren ist. Wollen Sie mir nun gütigst angeben, für welche Disziplinen Sie die Präparierung des Großhirns wünschen?«

So sprach der Direktor des Pädagogiums und Professor der Geschichte, Herr Strudel-Prudel, zu einem Herrn, welcher seinen hoffnungsvollen Sprössling im Alter von drei Jahren eben als Zögling des Pädagogiums angemeldet hatte.

»Ich würde dann bitten«, antwortete der Vater, »ihn für Physik und Chemie zu präparieren und zugleich etwas Talent für Musik hervorzurufen.«

Der Direktor notierte das Gewünschte, indem er sagte: »Ihr Sohn... Wie heißt er?«

»Selen.«

»Selen Propion – schön. Ihr Sohn wird demnach zur Klasse C, Abteilung I der naturwissenschaftlichen Sektion unserer Vorbereitungsanstalt gehören. Behandlung und Unterricht daselbst sind unentgeltlich; für die Erzeugung des musikalischen Talents haben Sie jedoch behufs Verfeinerung der Mechanik des Ohres ein monatliches Honorar von hundert Goldgramm zu zahlen. Der Unterricht beginnt morgen. So, das wäre das Geschäftliche. Und nun, Herr Propion, wenn es Ihnen Vergnügen macht, zeige ich Ihnen einmal unsere Anstalt.«

Typus Propion nahm gern den Vorschlag an. Er war Besitzer einer chemischen Fabrik für Lebensmittel und von früher her mit dem Direktor Strudel-Prudel bekannt, obgleich die Männer im Drange der Geschäfte einander selten sahen. Da Propion von der inneren Organisation einer großen Erziehungsanstalt sehr wenig wusste, war es ihm umso angenehmer, von einem Fachmanne von solchem Rufe, wie Strudel, darüber belehrt zu werden und namentlich die mechanischen Einrichtungen kennen zu lernen.

Die Anstalt zerfiel nach Maßgabe des neuen Unterrichtsgesetzes in zwei Teile, eine Vorbereitungsanstalt und eine Lehranstalt oder, wie man sie auch nannte, in die »Hirnschule« und die »Akademie«. In der »Hirnschule« wurde überhaupt kein Lehrstoff benützt, diese Abteilung diente nur dazu, das Gehirn der Kinder zur späteren Aufnahme desselben geeignet zu machen. Dies geschah auf rein mechanischem, das heißt physiologischem Wege.

Wir müssen hier um Entschuldigung bitten, wenn der Ausdruck mitunter den realen Vorgang nicht genau trifft. Die Sprache des 19. Jahrhunderts, in der wir doch reden müssen, ist eben nicht immer fähig, den neugewonnenen Einsichten der Zukunft zu folgen. So gäbe es ein schiefes Bild, wenn man sich vorstellen wollte, das Gehirn nähme etwa den Lehrstoff auf wie das Glas den Wein. Es handelt sich um die Ausbildung einer Art von Schematismus, der gewissen Bewusstseinvorgängen entspricht; auch der Schwimmer, der Tänzer machen Vorübungen, denen sich dann die entsprechenden Muskelbewegungen leichter anschließen. Vielleicht wird das aus folgendem klarer.

Fast schon seit zweitausend Jahren war die Psychophysik, die Lehre von den Gesetzen des Bewusstseins, ein selbstständiger Zweig der Psychologie geworden, und das Studium der Gehirnfunktionen hatte zu einer vollständigen Theorie derselben geführt. Die Folgen, welche diese Entdeckungen für das Gebiet der Künste und Wissenschaften hatten, werden später zur Erörterung kommen; hier soll uns zunächst die Anwendung auf die Pädagogik interessieren.

Man kannte jetzt bis ins Kleinste hinein die Bewegungs- und Spannungsvorgänge in den Nerven und den Zellen der grauen Gehirnsubstanz, welche die Vorgänge des Bewusstseins, die Reihe der Vorstellungen und die logische Schlussbildung begleiten; man wusste, welche Zellen bei der Leitung bestimmter Wahrnehmungen und der Bildung bestimmter Gedankenfolgen tätig sind und in welcher Weise sie tätig sind; man konnte daher umgekehrt durch künstliche Reizung, namentlich durch den galvanischen Strom, auch die einzelnen Partien und Provinzen des Gehirns zu Bewegungen veranlassen, welche der Bildung bestimmter Vorstellungen entsprechen, und schließlich – worauf es ankam – sie so gewöhnen, dass gewisse Arten des Denkens mit besonderer Leichtigkeit vollzogen werden konnten. Denn wenn es auch ohne Vorstellungsinhalt keine allgemeinen Formen des reinen Denkens gibt (es sei denn in unserer Abstraktion), so gibt es doch einen Schematismus und mit ihm einen dauernden Apparat und Mechanismus des Denkens, welcher in dem Wechsel des Vorstellungsinhalts in seinem Wesen beharrt; daher lässt dieser Denkapparat eine Veränderung und Ausbildung in dem einen oder anderen Sinne zu und macht so gewissermaßen den formalen Charakter des Denkens aus. Diesen Mechanismus des Denkens zu bilden war die Aufgabe, welche die Vorbereitungsanstalt oder »Hirnschule« auf physikalischem Wege löste.

Strudel und Propion traten in die Säle der Hirnschule. Laboratorien wäre ein richtiger Ausdruck. Die ganze Behandlung der Kinder bestand darin, dass dieselben anfänglich zwei, später drei Stunden täglich in eigentümlich konstruierten Apparaten der Einwirkung galvanischer Ströme, welche nach den ausbildungsbedürftigen Gehirnpartien führten, ausgesetzt wurden und dass auch im Übrigen mit den feinen und ausgedehnten Mitteln, welche die Chemie des Gehirns im vierten Jahrtausend entdeckt hatte, das Wachstum und die Bewegung der Zellen in der Rindenschicht überwacht und gehütet wurde. War man in früheren Jahrtausenden zu der Einsicht gekommen, dass die Muskeln und Sehnen des Körpers besonderer Übung und Pflege bedurften, wenn im kräftigen Menschen ein heiteres Gemüt sich wohl befinden sollte, so sah man jetzt ein, um wie viel wichtiger noch es sei, den Sitz der Vernunft in seiner Ausbildung sorgsam zu hüten und zu pflegen, um später dadurch eine kräftige Gedankenentwicklung zu erzielen. Dadurch wurden denn überraschende Resultate erreicht.

»Sie sehen hier«, sagte der Direktor zu Propion, »in welcher Weise wir das Turnen des Gehirns betreiben. Da sind unsere Geräte. Im Schlafe, ohne Anstrengung des Kindes, die früher so viel Siechtum verursachte, geben wir hier die Grundlagen der formalen Bildung und schaffen Anlagen, welche der Menschheit die reichsten Früchte tragen. Welche Mühe kostete es früher, einen Menschen nur so weit zu bringen, dass er im Stande war, selbstständig in eine Wissenschaft einzudringen. Vom sechsten bis zum zwanzigsten Jahre musste man sich bemühen, mit Latein und Griechisch, Geschichte und Mathematik das Gehirn so weit in Übung zu bringen, dass es fähig wurde, eine logische Gedankenentwicklung zu verfolgen und einigermaßen den Gang der Ereignisse zu verstehen, und dabei konnte man dem Dummen doch nicht helfen. Wie einfach ist die Sache jetzt! Hier ein Zug am Großhirnlappen, ein dauernder Strom durch den Fuß des Hirnschenkels, eine kräftigende Behandlung des Linsenkerns – und nach zwei Jahren ist der fünfjährige Mensch bereit, unbehindert seiner Körperentwicklung in die großen Probleme der Wissenschaft und des Daseins eingeführt zu werden. Hier haben Sie Abteilung eins für exakte Wissenschaften. Hier werden in der ersten Sektion Mathematiker, Physiker und Chemiker propädeutisch erzeugt, in der zweiten Biologen, also im Besonderen Ethnologen, Zoologen, Botaniker, Ökonomen und so weiter. In der zweiten Abteilung ist die Werkstätte für Logiker, Metaphysiker, Historiker und Archäologen; die Dritte ist für Sprachforscher, Redner und Schriftsteller bestimmt. Die Vierte bildet die Organe für das praktische Lebensgeschick, Umsicht, Tatkraft, Geschäftsgeist. Dass die Hirnschule der Kunst und der Sitte mit ihrer Propädeutik für das ästhetische und ethische Ideal an dem wissenschaftlichen Institut getrennt ist, werden Sie passend finden. Jeder Schüler aber muss die untersten Klassen sämtlicher Abteilungen behufs seiner allgemeinen Bildung durchlaufen; dies geschieht im ersten Jahre, im zweiten findet dann die Ausbildung zu seinem speziellen Fache in den oberen Klassen statt. Ist auch diese vollendet, so treten wir in die Akademie ein, in welcher die Vorlesungen der Lehrer jetzt leicht und willig erfasst, verstanden und behalten werden. Mit dem neunten Jahre ist die Erziehung vollendet – welche Resultate der modernen Pädagogik! Der Geist eines Neunjährigen entspricht heutzutage an Reife und Erfahrung dem eines bejahrten Mannes aus einer früheren Periode. Es gab eine Zeit, wo man sich schaudernd fragte: Bei der ungeheuren Zunahme an Material des Wissens, bei der Häufung des geistigen Inhalts der Zeit – wie soll es dem jungen Menschen, wie dem Einzelnen überhaupt möglich sein, auch nur einen ganz allgemeinen Überblick zu bewahren? Und man schuf Methode auf Methode und Lehrbuch auf Lehrbuch, und jeder fragte zuletzt verzweifelt: Wie soll das werden? Aber wie einst in der Astronomie die Erscheinungen den Anhängern des Ptolemäus über den Kopf wuchsen, die vergebens Epizykel auf Epizykel und Rädchen auf Rädchen in der Himmelsmaschine häuften, ohne zu Stande zu kommen mit der Erklärung, bis Kopernikus mit seinem Machtspruch hervortrat und die Sache umkehrte, die Sonne stillstehen hieß und die Planeten drehte – so erschien auch der Pädagogik ihr Kopernikus in der Stunde der Gefahr! Im Jahre 3781 schrieb Hemisphärion: ›Die Theorie der Gehirnfunktionen ist seit hundert Jahren entwickelt – wohlan denn! Benützen wir sie! Fort mit den Lehrbüchern, mit den Methoden des Unterrichts, mit den mnemotechnischen Kniffen! Wenn sich der Lehrstoff dem Gehirn nicht bequemen will, gut, so bequeme sich das Gehirn dem Lehrstoffe! Lasst uns Laboratorien erbauen, Physiologen mögen unsere Lehrer werden – präpariert die graue Substanz des Kindergehirns, und ihr braucht nicht die Schriftsteller für sie zu präparieren!‹ Es sind goldene Worte! Bekämpft, verlacht, haben sie doch den Sieg errungen, und wir danken Hemisphärion, dem wahren Erfinder des berühmten ›Nürnberger Trichters‹, aus vollem Herzen. Doch verzeihen Sie mir, Herr Propion«, unterbrach sich der Direktor, »ich habe Ihre Geduld in Anspruch genommen und dabei selbst meine Zeit fast versäumt. Ich muss zu meinem Geschichtsvortrage nach Prima – ich gebe heute eine Übersicht über das letzte Jahrtausend. Schon sind wir vor der Türe – ich habe die Ehre.«

Man berührte sich mit den Spitzen der kleinen Finger, wie es die Sitte der Zeit verlangte; Propion sprach seinen Dank aus und steckte sich ein »Bildtäfelchen« ins Auge, während er auch Strudel ein solches anbot, der ebenso verfuhr. Dann trat Strudel in den Hörsaal.

Die Schüler lagen in Hängematten und richteten, ihr Bildtäfelchen in den Augen, den Blick auf die Decke. Das Bildtäfelchen beschäftigte den Gesichtssinn durch ein mildes und erfrischendes Farbenspiel, wodurch eine größere Sammlung des Geistes erreicht wurde. Prudel setzte sich in seinen erhöhten Schaukelstuhl, machte sich ein Glas Kunstwein zurecht und begann seinen Vortrag, indem er sich der üblichen Universalsprache bediente.

II. Das vierte Jahrtausend. Ein Stückchen Kulturgeschichte

Inhaltsverzeichnis

Die europäische Zivilisation hatte gegen Ende des dritten Jahrtausends ihren Höhepunkt erreicht. Man flog durch die Luft, man beherrschte die Erde bis ins Innere Asiens und Afrikas, wo große Wüsten urbar gemacht, ganze Landstrecken im Klima verändert worden waren; man hatte die wilden Völkerschaften daselbst unterworfen und zivilisiert oder vernichtet; man hatte durch die Vervollkommnung der Technik eine übergewaltige Machtfülle erreicht; aber man hatte auch jeden Genuss aufs Subtilste verfeinert und die Erwerbsquellen bis auf das Maximum ihrer Ertragsfähigkeit ausgebeutet. Noch um die Mitte des dritten Jahrtausends hatte sich der Aufschwung zu so hoher Blüte der Kultur auch in einer idealen Erhebung vom kühnsten Schwunge kundgetan. Solange die Entwicklung fortschritt, durchdrang das Bewusstsein von der großen Aufgabe der Menschheit und die Überzeugung von der eigenen Befähigung, sie zu erfüllen, alle Schichten der Bevölkerung. Man war stolz, zu leben und Mensch unter Menschen zu sein; Wohlstand herrschte überall, und die schlimmen Gegensätze im Volksleben am Ende des zweiten Jahrtausends waren ausgeglichen. Der von Deutschland im neunzehnten Jahrhundert ausgegangene Aufschwung der Schulbildung hatte das meiste beigetragen; neue Lehrer im Ideal waren dem Volke erstanden, und Kants und Schillers unsterbliche Anschauungen waren tief eingedrungen – nicht ohne Kämpfe, aber das Losungswort hatte gesiegt: Ideen und Opfer! Die Ehrfurcht vor dem Ideal hatte die Rohheit gezähmt und den Egoismus gebändigt; das tiefere Verständnis für die Welt hatte die Geistesträgheit der Massen gehoben und die Pleonexie der Reichen beseitigt. Das Urteil der öffentlichen Meinung erhob sich zu einer Macht, welche die Geister regierte und als die Personifikation der Wahrheit und Gerechtigkeit angesehen werden konnte. Es war eine Zeit höchsten Glückes auf Erden um die Mitte des dritten Jahrtausends. Aber je weiter das Jahrtausend seinem Ende zuschritt, umso mehr zeigten sich die Spuren des Verfalls.

Schon reichte der Geist des Einzelnen nicht mehr aus, das Gesamtbild der Gegenwart zu überblicken, und man war genötigt, auf die speziellsten und engsten Gebiete der Wissenschaft sich zu beschränken, um nur auf diesen das Seine zu leisten. So musste es geschehen, dass trotz der großartigen Mittel des geistigen Verkehrs schon im 28. Jahrhundert ein Verständnis in den einzelnen Teilen der Wissenschaft nicht mehr zu erzielen war. Das Material war den Methoden über den Kopf gewachsen. Man suchte nach einem allgemeinen Prinzip, wie nach einem Zauberwort, das die getrennten Teile vereinigte. Aber man fand das Rechte nicht und erkannte nur immermehr die eintretende Zersetzung als notwendig. Fantastische Spekulationen tauchten wieder auf und hatten zerstörenden Skeptizismus als notwendige Reaktion zur Folge. Wieder stand man an den Grenzen der Vernunft. So ging zuerst der Mut verloren unter den Vorkämpfern des Geistes, und es war die natürliche Folge, dass unter dem großen Publikum das Interesse am Idealen mehr und mehr schwand. Damit aber brach sich die Überzeugung des Niederganges der Bildung Bahn; die Menschheit, hieß es, ist angekommen auf dem abwärts führenden Zweige ihrer Lebenskurve.

Und nun erhob sich die Partei der Unzufriedenen, die sich sofort bildet, wo die Gelegenheit sich bietet, mit Untergrabung des allgemeinen Gerechtigkeitssinnes eine Schuld für Geschehenes auf Personen zu werfen. Man erkannte nicht das geheime Naturgesetz der augenblicklichen Entwicklung und sank zurück in die Herrschaft des Affekts. Anfeindungen der Bevölkerung unter sich fanden statt, und wenn auch das Niveau der Zivilisation noch ein zu hohes war, als dass es zu blutigen Bürgerkriegen gekommen wäre, so wurde doch die Macht und Stellung einer Partei immer drohender, welche nichts anderes bezweckte als einen vollständigen Umsturz des Bestehenden; welche, den geschichtlichen Zusammenhang verkennend, glaubte, aus dem Urzustande der Natur heraus die Gesellschaft regenerieren zu können – in der Geschichte kein neuer Gedanke, der auch hier wieder nicht begriff, dass »ursprüngliche Natur« nach dem Vorangegangenen gerade Unnatur geworden sei.

Unter solchen Kämpfen der Geister, bei denen auch die im Laufe der Zeit glücklich überwundenen oder vergessenen Rassenunterschiede wieder zum Vorschein kamen, floss das 29. Jahrhundert dahin. Es brachte keinen neuen Beitrag zur Erhöhung des Kulturzustandes, vielmehr sank die allgemeine Erwerbstätigkeit, und die Gefahr trat nahe, dass die übervölkerte Erde bei einer Erschlaffung der Tatkraft ihrer Bewohner nicht mehr zur Ernährung derselben ausreichen würde. Schon erhob sich das alte Malthussche Gespenst in den Gemütern, und der Schrecken der sozialen Frage, der verstummt war im gewaltigen Aufschwunge aller Verhältnisse, drang mit erneuter Kraft in die europäische Gesellschaft. Schon sah man im Geiste sich gegenseitig zerfleischen, um zu entscheiden, wer untergehen müsse, um dem Überlebenden Platz zu machen.