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Wer das ganze Jahr Rad fährt, sieht seine Welt mit anderen Augen. Claussen ist nicht nur Ganzjahresradfahrer, sondern außerdem evangelischer Pastor. Als solcher radelt er bei Wind und Wetter durch die Hamburger City. Das pustet das Denken durch und bringt den Glauben auf die Straße. Dieser ungewöhnliche (Kirchen)Jahresbegleiter versammelt Texte und Themen, die nicht am Schreibtisch, sondern im Gegenwind ersonnen wurden. Erfrischend und ganzjährig zu lesen.
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Seitenzahl: 209
Johann Hinrich Claussen
Gegenwindgedanken
Mit dem Fahrrad durch das Kirchenjahr
© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012 Alle Rechte vorbehalten www.kreuz-verlag.de Umschlaggestaltung: agentur IDee Umschlagfoto: © Corbis ISBN (E-Book): 978-3-451-34658-3 ISBN (Buch): 978-3-451-61145-2
ANFAHREN
I . FRÜHWINTER – ANFANG DEZEMBER – ADVENT
Das Rad der Zeit
Sanftmütigkeit
Weihnachtsrummel
Dämmerstunde
Wünschen
Schenken
II . RICHTIGER WINTER – 24 . DEZEMBER – WEIHNACHT
Nachtgespräche
Erwachsenes Weihnachten
Die Tage danach
Wegwerfen
III . IMMER NOCH WINTER – SYLVESTER – NEUES JAHR
Innovationen
Orientierung
Zeitmessen
IV. SPÄTWINTER ODER VORFRÜHLING – PASSIONS- UND FASTENZEIT
Anhalten
Auf das Fasten verzichten
Ohne Beichte
Radbuße
Verschämt
Behelmt
Coolness
Freiheitsempfinden
Opfer
Täter
Rache
V. ENDLICH FRÜHLING – KARWOCHE UND OSTERN
Überfluss
Gedichte vom Kreuz
Osterschmuck
Ganz still
Mit Rilke durch die Osternacht
Osterton
Kinder-Oster-Theologie
Gemeinsames Abendmahl
Ostermontagschristentum
VI . FAST SCHON VORSOMMER – IMMER NOCH OSTERZEIT UND DANN PFINGSTEN
Erscheinung
Fago
Singen
Beten
Geistwind
Polyglott
Nicht gleichgültig
VII . DER LIEBE LANGE SOMMER – TRINITATIS UND SEINE VIELEN SONNTAGE – GLÜCKSGEDANKEN
Glückstest
Alle Tage
Glücksrad
Glückstag
Rad-Roman
Rad-Film
Glöcklich
Telefonfreiheit
Im Reinen
Lehrer der Glückseligkeit
Naturerfahrung
Glück im Unglück
Glückskind
Radfahreraugen
Glücksfremd
Freudensucher
Mittelglück
Rad-Glück
VIII . IMMER NOCH SOMMER – FERIEN UND ANDERE REISEN
Helden
Lesereise
Ach, Afrika
Ratten
Freund
Baumeln
Auswendiglernen
Meer oder Berge
Onkels Reise
Reich und arm
Zurückkommen
Die Anderen
Klimasorgen
IX . DER GOLDEN-NASSE HERBST – DANKBARKEIT UND REFORMATION
Die fünfte Jahreszeit
Nichts Besonderes
Ach, Joseph
Wal-Freude
Eigentlich ganz zufrieden
Dank-Glück
Getrennte Ernte
Was eine Harke ist
Reformation feiern
Mein Luther
Mitleiden
Nach Jerusalem
Verzeihen
X . NOVEMBER – DEM DUNKEL ENTGEGEN
Jüdische Nachbarn
Ziemlich letzte Fragen
Brief
Trösten
Träumen
Richtigkeit
Frömmigkeit
AUSROLLEN
LITERATURHINWEISE
Für Brigitte Kehrl und Karin Plange
Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, dauert es nie besonders lange und schon kribbelt es im linken Bein, droht das rechte einzuschlafen, seufzt der Rücken, schweift der Blick aus dem Fenster, schaut den Wolken hinterher, verfolgt die Regentropfen, freut sich an Schneeflocken, sucht die Sonne. Und schon kann ich nichts mehr aufnehmen, komme auf keinen sinnvollen Gedanken, fällt mir kein treffendes Wort ein – schon gar nicht in dieser Dauersitzhaltung.
Glücklicherweise habe ich ein Fahrrad. Mit ihm bewältige ich fast alle meine Wege. Das ist immer schön, egal bei welchem Wetter. Ich bewege mich, die Beine bekommen wieder Blut und Nährstoffe, der Rücken richtet sich auf, die Lungen füllen sich mit frischer Luft, die Augen ruhen aus vom Kleingedruckten. Erfreut stelle ich fest, dass ich ja auch noch diesen Körper habe und dass es mir viel besser geht, wenn er sich wohl fühlt. Erstaunlich, dass er so wenig braucht, um in diesen Zustand gebracht zu werden. Normalerweise tut es schon ein kürzerer Arbeitsweg auf dem Fahrrad.
Nicht selten kommt es dann vor, dass – befördert durch die kreisartigen Beinbewegungen und die damit verbundene Aktivierung des gesamten Kreislaufs – auch mein Gehirn wieder in die Gänge kommt. Ein geordneter Denkvorgang wird damit allerdings nicht eingeleitet. Es ist eher so, dass Gelesenes und Erlebtes, selbst Geschriebenes und von anderen Gehörtes sich freundlich im Kreis dreht. Manches, das ich fast vergessen hatte, macht sich wieder bemerkbar, taucht unvermutet auf, verknüpft sich mit Anderem, Andersartigem und verbindet sich, wenn ich Glück habe, zu neuen Einfällen. Nie sind es ganze Sätze, die ich denke. Es sind nur Bruchstücke, biblische und literarische Splitter, meist nur einzelne Wörter, lose Haupt- und Nebenwörter, aus dem Zusammenhang gerissen, manchmal sogar Missverständnisse, wo ich mich verhört oder verlesen habe. Aber gerade sie werden mir zu Ohr- und Gehirnwürmern. Weil ich sie nicht gleich verstehe, weigern sie sich, von mir vorschnell in zerebrale Schubladen gesteckt zu werden. Also drehen sie sich in meinem Kopf weiter, während ich zur nächsten Verabredung radle. Sie haben sich in mir festgehakt, weil sie einen Widerhaken haben. Dieses Hakelige an ihnen reizt mich, lockt mich, verspricht mir eine Botschaft, die ich so noch nicht gehört habe.
Irgendwann kehre ich damit nach Hause, in meine Stube zurück. Ich hole dann das eine oder andere Buch wieder hervor, blättere in meiner Bibel nach, suche nach der Stelle, die sich in meinen Gedanken verhakt hat, versuche, den Zusammenhang zu verstehen, mir den ganzen Sinn zu erschließen, um schließlich etwas Eigenes daraus zu machen. Und ich setze mich auch wieder an meinen Schreibtisch und tue, was man dort tun sollte: Ich schreibe, Notizen, Predigten, Glossen für die Zeitungen vor Ort, theologische Artikel, Vorträge, lose Sätze. So ist dieses Buch entstanden, und so halten Sie jetzt ein theologisch-bicyklistisches Sammelsurium, eine Art Allwetterjahreslesebuch in den Händen. Für Fahrradfahrer und solche, die es werden wollen. Mit Fahrradgedanken und -gefühlen, mal fragmentarisch, mal fast fertig, mal pastoral, mal ganz profan. Schön wär’s, wenn sie in Ihrem eigenen Kopf, sei es im Sessel oder bei eigenen Radtouren, weiter gedreht würden.
I.
Das Rad und die Zeit verbindet, dass sie keinen Anfang und kein Ende kennen, sondern sich im Kreise drehen. Man gibt dem Rad einen Impuls und schon rollt es dahin, bis ihm die Puste ausgeht. Der Zeit wurde vor fast einer Ewigkeit ein deutlich größerer Schubs gegeben und seither geht sie im Kreis. Natürlich ist das Rad in sich gegliedert. Es hat Speichen. Doch wenn es sich auch nur etwas schneller dreht, sieht man sie nicht mehr. Die Zeit geht langsamer und in unseren Breiten hat sie vier große Speichen, die man gut wahrnehmen kann: die Jahreszeiten. Doch keine von ihnen kann für sich den Anspruch erheben, die erste zu sein. Auf ein Mindestmaß an Orientierung aber bin ich angewiesen. Deshalb halte ich mich gern an die alte kirchliche Tradition, die jährliche Zeitrechnung in der kalten Jahreszeit beginnen zu lassen. Am ersten Advent, der zwar nicht mit dem Winteranfang zusammenfällt, aber doch nah dran ist, beginnt der Zyklus der kirchlichen Feste, der meinem Arbeiten als Pastor den Rhythmus vorgibt. Und da ich zugleich das ganze Jahr hindurch Rad fahre und nicht wie manche Schönwetterbicyklisten feierlich einen Saisonbeginn im Frühsommer begehe, ist es mir recht. So beginnt mein Berufsjahr im Winter, führt über Frühling und Sommer zu seinem Ende am Ewigkeitssonntag im Spätherbst, während mein Fahrradjahr als ewige Wiederkehr des Gleichen im Kreis geht.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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