»Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.« Briefe aus dem Himalaja - Reinhold Messner - E-Book

»Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.« Briefe aus dem Himalaja E-Book

Reinhold Messner

0,0
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

An den höchsten Bergen der Welt konzentrieren sich viele Erfolgs- und Leidensgeschichten. Mit eigenen Briefen aus 50 Jahren und ausgewählten Dokumenten berühmter Bergsteiger wie Mummery, Weltzenbach, Hillary oder Buhl beleuchtet Reinhold Messner Haltung und Antrieb großer Alpinisten. Briefe über Glücksmomente und Triumphe; Nachrichten, die postum zu Abschiedsbriefen wurden: Sie alle gewähren bewegende Einblicke. Sie zeugen vom Mut der frühen Grenzgänger und einfachst ausgerüsteten Expeditionen bis hin zum Hightech-Bergtourismus unserer Zeit. Sie erzählen von Abenteuerlust, Ehrgeiz und Romantik, aber auch von Verlusten, Frust und Enttäuschung; zeigen Schlüsselmomente in der Geschichte des Himalaja-Bergsteigens in berührender Ehrlichkeit und gewähren sehr persönliche Einblicke in Messners Biografie, in Schlüsselmomente seiner Laufbahn und in seine Haltung als Bergsteiger.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.malik.de

 

Je weiter weg, desto größer die Sehnsucht nach zu Hause

 

Mit dreizehn Abbildungen

Die historischen Briefe wurden behutsam der heutigen Orthografie angepasst. Editorische Auszeichnungen und Eigenheiten z. B. der Interpunktion wurden weitgehend beibehalten und nur im Sinne der Lesbarkeit angeglichen.

 

© Piper Verlag GmbH, München 2020

Abbildungen: Archiv Reinhold Messner, bis auf Seite 14: akg-images/SPL/COLLECTION ABECASIS und Seite 60: akg-images/IMAGNO/Votava

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

 

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Brief

Brief 1

Geteilte Sehnsucht

Das Glück der frühen Geburt

Marco Polo bringt schon im 13. Jahrhundert Kunde von den höchsten Höhen der Welt nach Europa:

I Pionierzeit

1850–1924

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Darjeeling,

Robert von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Leh in Ladakh,

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Rawalpindi iM Punjab,

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Kathmandu in Nepal,

Albert Frederick Mummery, Woola-Lake,

Albert Frederick Mummery,

Albert Frederick Mummery, Tashing,

Albert Frederick Mummery,

Albert Frederick Mummery, Brief an seine Frau, Basislager, Nanga Parbat,

Albert Frederick Mummery,

Aleister Crowley, K2,

Aleister Crowley, Kangchendzönga,

Aleister Crowley, Kangchendzönga,

Jules Jacot-Guillarmod, Kangchendzönga,

König von Nepal, an General Bruce, anlässlich des Lawinentods von sieben Sherpas am Mount Everest

George L. Mallory, Im Anmarsch zum Mount Everest

George L. Mallory, Rongbuk-Standlager,

George L. Mallory, Mount Everest,

George L. Mallory, Mount Everest, Base Camp,

Noel Odell, Mount Everest,

II Heldenzeit

1931–1961

Karl Wiens Tagebuch, Kangchendzönga,

Karl Wiens Tagebuch, Kangchendzönga,

Karl Wiens Tagebuch, Kangchendzönga,

Paul Bauer, Kangchendzönga,

Willy Merkl,

Willy Merkl, Nanga Parbat, Buldar-Camp,

Willy Merkl, Nanga Parbat, Vorläufiges Hauptlager,

Willy Merkl, Nanga Parbat, Hauptlager,

Willy Merkl, Nanga Parbat, Hauptlager,

Willo Welzenbach, Nanga Parbat, Hauptlager,

Willo Welzenbach, Nanga Parbat, Lager VII,

Hanns Hieronimus, Nanga Parbat, Hauptlager,

Hans Hartmann, Nanga Parbat,

Maurice Herzog, Annapurna, Manangboth,

Maurice Herzog, Tukucha,

Maurice Herzog, Ausgangslager,

Maurice Herzog, Ausgangslager,

Herbert Tichy,

Hermann Buhl, Broad Peak,

Hermann Buhl, Basislager am Broad Peak,

Michael Ward, Ama Dablam,

Michael Ward, Ama Dablam,

Michael Ward, Silver Hut, Ama Dablam,

III Hochzeit

1970–1990

Reinhold Messner, Nanga Parbat, Rupalwand – Lager III: Eisdom,

Günther und Reinhold Messner, Rupaltal, Tap-Alpe,

Reinhold Messner, Tilicho Lake,

Reinhold Messner, Im Hauptlager am Manaslu (8163 m),

Reinhold Messner, Manaslu, Lager I,

Reinhold Messner, Manaslu, Basislager,

Reinhold Messner, Manaslu, Basislager,

Reinhold Messner, Nanga Solo, Anreise zum Nanga Parbat,

Reinhold Messner, Makalu, Basislager,

Reinhold Messner, Makalu, Lager 2,

Reinhold Messner, Makalu, Basislager,

Reinhold Messner, Makalu,

Reinhold Messner, Makalu, Basislager,

Reinhold Messner, Lhotse,

Reinhold Messner, Lhotse-Basislager,

Reinhold Messner, Gasherbrum I, Basislager,

Reinhold Messner, Machapuchare, Base Camp, 3700 m,

Reinhold Messner, Dhaulagiri-Südwand, Basislager,

Reinhold Messner, Mount Everest, Lager II,

Reinhold Messner, Nanga Parbat, Basislager,

Reinhold Messner, K2, Basislager,

Reinhold Messner, Peking,

Reinhold Messner, Shisha Pangma, Basislager,

Reinhold Messner, Ghorepani, auf dem Weg zum Kantsch,

Reinhold Messner, Pang Pema,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Karakorum, Urdokas,

Reinhold Messner, Gasherbrum, Base Camp,

Reinhold Messner, Broad Peak, Basislager,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Auf dem Weg zum Cho Oyu, in Sumna, 4700 m,

Reinhold Messner, Cho Oyu-Basislager, 5200 m,

Reinhold Messner, Thame,

Reinhold Messner, Concordia, Baltoro-Gletscher,

Reinhold Messner, Annapurna, Thulo Bugin,

Reinhold Messner, Annapurna, Base Camp,

Reinhold Messner, Tuktsche,

Reinhold Messner, Kali-Gandaki-Tal,

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner, Lhasa,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Base Camp unter der Lhotse-Südwand,

IV Funkstille

2000–2005

Reinhold Messner, Diamirtal,

Reinhold Messner, Himalaja,

Reinhold Messner, Diamirtal, Base Camp,

V Netzzeitalter

2010–2020

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, NACHTRAG VOM EVEREST-BASISLAGER,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Irgendwo,

Reinhold Messner, Pokhara,

Reinhold Messner, Pokhara,

Reinhold Messner, Lo Manthang,

Reinhold Messner, Lo Manthang,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Everest, Basislager,

Reinhold Messner, Everest, Basislager,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Phoksundo,

Reinhold Messner, Phoksundo,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, 2. Reise – Pakistan, Gilgit,

Reinhold Messner, Skardu,

Reinhold Messner, Skardu,

Reinhold Messner, Skardu,

Reinhold Messner, Skardu,

Reinhold Messner, Tarishing,

Reinhold Messner, Tarishing,

Reinhold Messner, Märchenwiese,

Reinhold Messner, Märchenwiese,

Reinhold Messner, Sost,

Reinhold Messner, Pasu,

Reinhold Messner, New Delhi,

Reinhold Messner, Leh, 3500 m,

Reinhold Messner, Leh,

Reinhold Messner, Leh,

Reinhold Messner, Changtang,

Reinhold Messner, Bei Nomaden,

Reinhold Messner, Leh, Tibetisches Neujahrsfest,

Reinhold Messner, Kardung La, Nubra-Tal,

Reinhold Messner, Siachen Base Camp,

Reinhold Messner, Siachen Base Camp und Leh,

Reinhold Messner, Leh,

Reinhold Messner, Leh und Delhi,

Reinhold Messner,

Reinhold Messner, Brief an den Weggefährten Ralf-Peter Märtin,

Reinhold Messner, 2016/2017 Solo Khumbu, Nepal, Kathmandu,

Reinhold Messner,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Everest Base Camp,

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner, Phakding,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner,

Reinhold Messner, Lukla,

Reinhold Messner,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Kathmandu,

Reinhold Messner, Namche Bazar,

Reinhold Messner, Tarishing am Nanga Parbat,

Reinhold Messner, Rupaltal am Nanga Parbat,

Reinhold Messner, Märchenwiese,

Reinhold Messner, Garol,

Reinhold Messner, Geshot,

Reinhold Messner, Gilgit/Chilas,

Reinhold Messner, SMS,

Jost Kobusch, Mount Everest Base Camp,

Brief2

Quellenverzeichnis

 

 

Geteilte Sehnsucht

Bei den Briefen aus dem Himalaja geht es um Sehnsüchte: die Sehnsucht, die uns beseelt, Monate, oft Jahre vor dem Aufbruch; die Sehnsucht in fernen Ländern nach daheim, der Familie, der Liebsten. Es sind romantische Empfindungen, die mich anfangs in den Himalaja entführten. Sie ließen immer neue, kühnere Herausforderungen in mir wachsen, bis ich, die Sorgen der Eltern, Geschwister und meiner Frauen verdrängend, wieder aufbrechen musste.

Häufig dauerte es Monate, bis Briefe aus einem Hochlager am Makalu ins Basislager und weiter von Postläufern nach Tumlingtar gebracht wurden, mit einer Twin Otter nach Kathmandu und mit der Linienmaschine über mehrere Flughäfen und zuletzt mit der Post ihre Empfänger erreichten. Umgekehrt dauerte es oft ebenso lang.

Nicht selten kamen meine Briefe daheim erst an, als ich schon wieder zurück war. All die Aufregung, mit der sie erwartet worden waren, war dann verflogen.

Mit den Briefen aus dem Himalaja verfolge ich zwei Ziele: Sie erzählen das Höhenbergsteigen meiner Zeit – mit meinen Briefen aus den letzten fünfzig Jahren –, und sie sind, ergänzt um Schlüsselbriefe aus erster Hand aus 200 Jahren Himalaja-Sehnsucht, wohl die authentischste Form der Berichterstattung aus dem Schneeland.

Ich habe mich ein Leben lang in meine Vorläufer, die großen Pioniere, zurückversetzt, um ihren Alpinismus nachempfinden zu können. Dazu hatte ich das Glück, mehr als 50 Expeditionen in den Himalaja zu überleben. Dabei ist mein Blick auf die Veränderungsprozesse beim Höhenbergsteigen immer schärfer geworden. Mit diesen Briefen nun gebe ich diese Geschichte weiter, sie gehört damit nicht mehr nur den Lieben zu Hause.

Das Glück der frühen Geburt

Mein Bergsteigen ist mehr kultureller Natur als sportliche Lebensäußerung. Ob ich dabei in den Tälern tief drinnen im Gebirge oder auf den beweideten Almflächen, wo im Laufe von Jahrtausenden eine eigenständige Bergkultur entstanden ist, unterwegs bin oder über Kare, Gletscher und Fels auf Gipfel steige, meine Auseinandersetzung mit dem Berg ist mit Zahlen – Zeitmaß, Schwierigkeit, Höhenmetern – allein nicht messbar. Es ist nichts weiter als die Kunst, in eisigen Höhen am Leben zu bleiben. Die Wirklichkeiten, das Glück auch, die mir dabei zuwachsen – eine Vielfalt von Verhaltensweisen, Erfahrungen, Erkenntnissen –, machen das aus, was ich als traditionellen Alpinismus verstehe: Bergsteigen als Spaziergang durch die Erdgeschichte sowie Vertiefung in die Natur des Menschen. Die ständige Begegnung mit den Naturgesetzen im Himalaja und Karakorum und mit allem, was unserer Welt dort oben Sinn verleiht, hielt ich fünfzig Jahre lang in Briefen nach Hause fest. So hielten es auch alle anderen, die jene Leidenschaft mit mir teilten und teilen, die uns antreibt, in die höchsten Höhen unserer Erde vorzustoßen. Diese »Briefe aus dem Himalaja« – ob von Bedeutung oder nicht – sind jedenfalls zeitlose Dokumente eines Lebensgefühls, das unmittelbar geteilt werden wollte. Dabei geht es um erlebte Wirklichkeit und darum, andere Menschen von der Wahrheit dieser Wirklichkeit zu überzeugen.

Die Auswahl der Briefe ist nicht gerecht, so wenig, wie Geschichte gerecht ist, sie spiegeln aber das Lebensgefühl der jeweiligen Zeit lebensnah wider. Ob nun die Hierarchie zwischen möglich und unmöglich oder die Überheblichkeit der Sahibs – »wir weißen Herrn« – als »biologische Tatsache«.

Im Himalaja wurden Vorstellung und Recht einst von den Göttern diktiert. Diese Wirklichkeit aber schwand und verschwand zuletzt mit unseren Geschichten von der Eroberung der Gipfel. Westen und Osten, Stadt- und Bergkultur mischen sich weiter, auch weil Kulturen dauernd im Fluss bleiben. Mit jedem Jahrhundert schrumpft die Vielfalt an Kulturen, die verbliebenen gleichen sich an, sie werden umfangreicher, komplexer und oberflächlicher. Die Abenteuer einst und heute finden in völlig verschiedenen Welten statt: Die Gesetze der Natur – dazu Schwierigkeiten, Gefahren, Exposition –, einst Voraussetzung für Abenteuer, werden mit touristischen Infrastrukturen ausgehebelt und ersetzt durch Wunschvorstellungen. Diesen erfundenen Geschichten stelle ich nun meine Auswahl der »Briefe aus dem Himalaja« gegenüber: In ihrer Unmittelbarkeit erzählen sie von der Verschmelzung von Natur und Kultur, vom Glück auch, frühzeitig da gewesen zu sein.

Die Menschen in Bhutan gelten heute als die glücklichsten auf dieser Erde. Als ob man subjektives Glücksempfinden mithilfe von Fragebögen ermitteln könnte. Das Glück hängt immer noch von der Gabe ab, es im Hier und Jetzt herauszufordern. Und zuletzt will es geteilt werden, auch mit jenen, die daheim auf eine Nachricht aus den letzten wilden Winkeln im Himalaja warten.

Marco Polo bringt schon im 13. Jahrhundert Kunde von den höchsten Höhen der Welt nach Europa:

Und nachdem du Berge und wieder Berge erstiegen hast, so kommst du endlich zu einem Punkt des Weges, wo du glauben kannst, daß die Berge ringsum das höchste Land der Welt sind … Zwölf Tage lang geht der Weg entlang dieser Höhen, welche den Namen Pamer haben. Und während dieser Zeit trifft man keine Bewohner, und deshalb ist es notwendig, sich vorher zu versorgen. So groß ist die Höhe der Berge, daß man keine Vögel mehr in der Höhe ihrer Gipfel sieht. Und so ungewöhnlich es auch klingen mag, konnte doch festgestellt werden, daß durch die Schärfe der Luft die Feuer, die man angezündet hatte, nicht dieselbe Hitze gaben wie in niederen Lagen und auch nicht die gleiche Wirkung auf Lebensmittel, die man kochen wollte.

I Pionierzeit

1850–1924

»Ich werde mein Bestes dransetzen, Dir den Gipfel des Nanga zu Füßen zu legen.«

Albert Frederick Mummery

Die Brüder Schlagintweit, frühe Himalaja-Pioniere aus München (Abbildung von 1892)

 

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Darjeeling,

24.4.1855

Hochverehrteste Excellenz!

Nachdem wir unsere Reise durch Centralindien vollendet, ist es unsere angenehmste Pflicht, Ihnen einige Mittheilungen über dieselbe zu machen; wir müßen dabei vor allem mit dem besten Danke erwähnen, wie wichtig und werthvoll Ihre Briefe uns waren. Überall wurden wir in Folge Ihrer warmen Theilnahme an unseren Bestrebungen mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen und fanden stets alle Hülfe der Behörden, die wir zur Förderung unserer Beobachtungen wünschen konnten. Ihr Name ist hier so verehrt und bekannt wie überall; selbst viele der unterrichteteren Natives in den Städten überraschten uns sehr häufig mit den speciellsten Erkundigungen nach Ihnen, nachdem sie gehört hatten, daß wir aus Deutschland kämen.

Wir haben uns erlaubt, an den König nicht nur einen Bericht über die Reise (vielleicht mit Ausnahme des ersten und letzten Satzes für die geogr. Gesellschaft paßend), sondern auch den officiellen Rapport an die indische Regierung zu übersenden. Aus diesem würden wir Sie bitten, der Academie aus III A. jenen Theil, der sich auf die Abend und Morgenröthe bezieht, und aus Theil IV. vielleicht ebenfalls einiges mitzutheilen. Dr. Rath oder Ewald sind wohl so gütig, die Sachen zu übersetzen; es war uns bei der großen Mannigfaltigkeit der intereßantesten Gegenstände, die uns jeden Tag umgeben, nicht möglich, selbst die Übersetzung zu machen.

In Theil III A. finden Sie, wenn auch mit der Unvollständigkeit, die auf Reisen fast unmöglich zu vermeiden ist, verschiedene Beobachtungen über die Abendröthe, die zunächst durch Ihre Anregung uns aufgefallen sind. (Auch das Alpenglühen, die seconde coloration, ist hier ganz ebenso zu und das lang andauernde nächtliche Leuchten des Schnees ist hier ebenso zu Darjeeling-Kichinjinga ebenso zu sehen, wie wir es in den Alpen gefunden; ich werde nächstens wieder einige Zeilen, speciell über diesen Gegenstand Ihnen senden.)

Nachdem diese kleinen Mittheilungen der Academie vorgelegt, würden wir sehr bitten, verzeihen Sie diese rasche Folge fast zu unbescheidener Wünsche, das erstere Prof. Poggendorff für die Annalen, das 2te der geologischen Gesellschaft mitzutheilen.

Wir waren auf das freudigste von dem Beitrage überrascht, den S.M. der König uns zusenden ließ. Wir bitten dem Könige wiederholt unseren tiefgefühlten Dank auszusprechen. Diese Sendung war uns gerade jetzt sehr werthvoll, indem vielleicht von ihr die Möglichkeit, nach Sikkim und dem Kinchinjinga zu kommen, wesentlich abhängt.

Unsere Pläne sind nemlich folgende: Meine beiden Brüder haben vor, während des Sommers zunächst Kamaon und Gurwal zu besuchen und gegen Ende des Sommers wo möglich über die Päße an der Westgrenze Nepals nach Katmandu zu gehen. Der letztere Theil ihrer Reise ist nicht ganz bestimmt festgestellt, doch sind vom indischen Gouvernement bereits sehr specielle Vorschläge an die nepaulesische Regierung gemacht worden.

Ich selbst bin bereits am 5ten April nach Darjeeling abgereist und werde versuchen, von da nach Sikkim zu gehen. Der Raja hat die erste Anfrage der Regierung, wie ich erst hier in Darjeeling erfuhr, entschieden mit Nein beantwortet. Ich schlug jedoch jetzt vor, zunächst durch Dr Campbell, den Residenten in Sikkim Darjeeling, nur direct an den Fuß des Kinchinjunga zu gehen.

 

Zugleich wird es ganz unvermeidlich sein, wie mir bereits angedeutet wurde, den Beamten des Raja oder vielmehr indirect ihm selbst bedeutende Geschenke bis zum {Ich bitte dieses nicht weiter mitzutheilen, bis es glücklichen Erfolg gehabt hat.} Betrage von etwa 2000 Rupien a 20 Sgr. zu machen, um unterwegs nicht aufgehalten zu werden. Dieß wird zunächst von dem vom Könige zu erhaltenden Beitrage zu bezahlen sein. Leider wird uns dieß auch nöthigen, uns in nicht zu ferner Zeit wiederholt um eine Geldsendung nach Berlin zu wenden. Dürften wir hoffen, daß Ihre gütige Vermittlung auch dieses mal uns unterstützen wird.

Unsere Sammlungen war bestehen vorzugsweise in geologischen Hand Gegenstän Felsarten und Versteinerungen und in einer ziemlich vollständigen Reihe aller charakteristischen Fluß- und Quellwaßer, die wir auf unserer Reise durch Indien fanden. Sie sind in Glasflaschen mit eingeriebenen Stöpseln und gut versiegelt, ein recht intereßantes Mat, wie wir glauben, für spätere Analyse ausreichend gesichert. Unter den ethnographischen Gegenständen dürften vielleicht besonders die Photographien und Abgüsse der Gesichter in Gips zu erwähnen sein. Alles bis jetzt gesammelte Material liegt im Surveyar Generals Office (an das wir auch in Calcutta und wird später mit jenem aus dem Himalaya zusammen nach Europa geschickt).

Dürften wir hoffen, daß Sie uns auch [auf] die Ferne das Wohlwollen und die Theilnahme bewahren, die seit dem Beginn er unseren ersten wissenschaftlichen Versuchen unsere wesentliche Stütze war und die uns stets die schönste Erinnerung unseres Lebens bleiben wird. Ich wage kaum hinzuzufügen, wie wer sehr wir durch einige wenn auch noch so kleine Mittheilung von Ihrer Hand erfreut wären.

(Adresse Surveyar Generals office Calcutta).

 

Mit dem Ausdrucke unbegrenzter Verehrung und Hochachtung

Euer Excellenz

ganz dankbarst ergebener H. Schlagintweit

 

Sr Excellenz

Herrn Baron Humboldt

Berlin

Robert von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Leh in Ladakh,

26.9.1856

 

Hochverehrte Exzellenz!

Es gelang uns jüngst, Hermann und mir selbst, unsere Beobachtungen auf einem für uns besonders interessanten Wege quer durch den Kuenluen bis in die Höhe von Elshi, der Hauptstadt von Khotan, fortzusetzen.

Der Umstand, daß, so viel wir wissen, es niemals noch ein Europäer versucht hatte, die Grenze von Ladak und Turkistan zu überschreiten, mag wohl sehr wesentlich vielleicht mehr als unsere eigenen, sehr geheimen Vorbereitungen in Leh dazu beigetragen haben, uns diese Reise möglich zu machen.

Dem Berichte, den wir uns erlaubten S.M. d. Könige vorzulegen, fügten wir auch eine Zusammenstellung einiger Resultate bei; vielleicht dürfte diese Zusammenstellung wenigstens ihrer Form nach nicht ganz unpassend sein, vielleicht durch Ihre gütige Vermittlung den Academieen zu Berlin und Paris mitgetheilt zu werden (der Royal Society werden immer unsere Berichte von Colonel Sykes vorgelegt).

Wir fühlen lebhaft, wie unvollständig dieser Bericht erscheinen muß und wie sehr es für uns nöthig ist, nachsichtige Beurtheilung zu beanspruchen besonders von Eurer Excellenz.

Wir hatten so oft das Glück, Ihrer unschätzbaren Belehrung uns zu erfreuen, daß die Erinnerung daran uns nur um so ängstlicher macht, so allgemein gehaltene und gedrängte Mittheilungen, von der Zeit hart bedrängt, senden zu müssen.

 

Mit den verbindlichsten Empfehlungen von Herman[n] verbleibe ich mit ausgezeichnetster Verehrung und unbegrenzter Hochachtung

Euer Excellenz dankbarst ergebener

Robert Schlagintweit.

Leh, in Ladak, 26. Sept. 1856.

 

Sr. Excellenz

Hr. Baron von Humboldt etc. etc. etc. etc.

 

P.S. Empfangen Sie [meinen] ganz verbindlichsten Dank [fü]r die ermuthigende Aufnahme, d[ie] unser Bruder Emil bei Ihnen gefunden hat; alles, was er uns darüber schreibt, ist uns um so erfreulicher, da es uns auf das lebhafteste an die für uns so wichtige Zeit erinnert, in der wir das Glück hatten, mit E. Excellenz bekannt zu werden.

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Rawalpindi iM Punjab,

11.12.1856

Hochverehrteste Excellenz!

Es war uns eine grosse Freude, in einem jüngst von unserem Bruder Emil erhaltenen Briefe zu lesen, dass Sie die Berichte, die wir von Zeit zu Zeit über unsere wissenschaftlichen Arbeiten in Indien geben, noch stets wie früher mit reger Theilnahme aufnehmen.

Die Erinnerung an die Belehrungen und die vielfachen Anregungen, die wir Ihnen verdanken, ist uns stets auf das lebhafteste gegenwärtig, und es ist unser eifrigstes Bestreben, Resultate zu erhalten, die vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit nicht ganz unwerth sein möchten[.] Robert und ich haben über unsere Beobachtungen in Kuenluen einen kleinen Bericht von Leh Ende September abgesandt, der jetzt wohl Berlin erreicht hat. Gleichzeitig mit diesem Briefe geht ein Bericht von Adolph ab, der die etwas westlicher gelegenen Theile des Kuenluen untersucht hatte.

Unsere Pläne für diese kalte Jahreszeit sind, dass Adolph nach Peshawur und dann dem Indus folgend nach Kurachee und Bombay, Robert auf einer etwas südlicheren Route über Multan und durch Scind[1] und Guserat[2] nach Bombay reisen. Ich selbst werde nach Lahore und Patna gehen und von dort, was endlich definitiv arangiert zu sein scheint, Katmandu besuchen. Nach kurzem Aufenthalte in Nepal komme ich nach Calcutta.

Wir glauben dann, durch glückliche Umstände begünstigt, die es uns möglich machten, fast immer getrennten Routen zu folgen, unsere Beobachtungen in Indien so weit vervollständigt zu haben, dass wir gegen Anfang der heissen Jahreszeit aus Indien abzureisen beabsichtigen.

Auch unsere Sammlungen, sowohl in Beziehung auf Geologie, geographische Botanik und Zoologie als auch auf Ethnographie sind, glaube ich, ziemlich vollständig. Wir haben während der Monate Merz und April 1856 210 grosse Kisten an das India House abgesandt, jüngst 109, die Sammlungen dieses Jahres enthaltend. Von allem sind stets Douppletten vorhanden, und ich hoffe, dass es uns wohl gelingen wird, vom Court of Directors einen grossen Theil auch für Preussen zu erhalten.

Das einzige, was unsere Abreise etwas verzögern wird, sind die Geschäfte des Rechnungsabschlusses mit dem Gouvernement.

Wir hatten es möglich gemacht durch Privatarrangements mit unseren Agenten in Bombay und Calcutta, dann durch officielle Vorschüsse vom Gouvernement gegen spätere Abrechnung, ohne Zeitverlust alle Theile Indiens bereisen zu können und auch die für Sammlungen nöthigen Ausgaben vorläufig zu decken. Überdiess ist der grösste Theil des Inlandtransportes noch nicht an unseren Agenten in Calcutta bezahlt. Ein sehr bedeutdender Theil unserer Ausgaben sind persönlich für Zelte, Bediente, Pferde und besonders für Träger (Coolies), Ausgaben, die in Indien stets recht gross sind und besonders bei beständigem Reisen sich rasch anhäufen. Auch unsere Expeditionen in die an das indische Reich angrenzenden Theile Tibets und Turkestans waren mit grossen Ausgaben verbunden, die wir dem indischen Gouvernement kaum vorlegen können.

Wir fanden in den Briefen unseres Bruders Emil oft erwähnt, dass Sie unser auch in dieser Beziehung oft gedacht haben und in gewohnter Güte Ihre Bereitwilligkeit, unsere Arbeiten in Indien zu fördern, aussprachen. Wir glaubten nicht, momentan mit den nöthigen Mitteln versehen, dass unsere Gesamtausgaben so sehr bedeutend sich anhäufen würden. Da Sie selbst es gestatten, können wir nicht vermeiden, den Wunsch auszusprechen, dass diess durch Ihre gütige Vermittlung S.M. mitgetheilt würde.

Wir erhielten von S.M., so lange wir in Indien sind, ausser den 80₤ für den Theodolithen noch einmal 100₤, Ende 1854 in Madras, obwohl wir uns durch Sie mitgetheilt wurde, dass der König 3000 Thaler jährlich schon am Anfange unserer Reise bestimmt hatte.

Wir wissen wohl, dass unser stetes Reisen nachsenden von Geld recht erschwert, allein wir würden jetzt sehr glücklich sein, wenn wir jetzt vor unserer Abreise aus Indien Geld in Calcutta bekommen könnten.

Das beste wäre vielleicht, einen Creditbrief an den preussischen Consul zu erhalten, der ihn berechtigt, uns bis zu einem gewissen Betrage unsere Ausgaben in Indien gegen vorgelegte Abrechnung zu bezahlen.

Der preussische Consul in Calcutta. Mr. Kilbourn hat seit unserer Ankunft in Indien den lebhaftesten Antheil an unseren Reisen genommen und gethan, was er konnte, um unsere Arbeiten durch Nachsenden von Paketen und Correspondenz etc. zu fördern. Er würde gewiss unsere Angelegenheiten, für die er auch die officielle Behörde ist, bestens besorgen. Unser Vorschlag, den wir Sie bitten S.M. vorzulegen, wäre demnach folgender:

Durch einen Brief des Handelsministeriums oder des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten möchte Herr Kilbourn, k. preussischer Consul in Calcutta, authorisiert werden, bis zu einem Betrage von 18 000 bis 20 000 Thalern (was natürlich die jährlich von S.M. bereits bewilligten 3000 Thaler einschliesst) uns die Ausgaben für unsere Reisen in Indien zu bezahlen. Wir wünschen sehr, dass diese Mittheilung an den preussischen Consul direct von Berlin nach Calcutta und nicht durch den Generalconsul in London und das India house geht. Das indische Gouvernement scheint in diesem Punkte sehr empfindlich, wie wir selbst bei der Übersendung der für Instrumente erhaltenen 80₤ sahen, die durch Herrn Hebelers Vermittlung übersandt wurden. Überdiess ist es schon oft in den Zeitungen stark betont worden, dass wir keine Engländer seien. Erst jüngst war viel Unsinn in diesem Style in allen Zeitungen, über »unsere etwaigen Zusammenkünfte mit russischen Agenten in Turkestan«. Geldsendungen von Preussen durch das indische Gouvernement würden uns besonders jetzt entschiedene Schwierigkeiten machen.

Es bedarf sehr der Entschuldigung, dass die Summe, die wir zu nennen wagten, so gross ist. Aber die Ausgaben waren fast fast [sic] immer über 3 verschiedenen Routen während nahe 3 Jahren vertheilt, und es war uns nur durch Bemühung aller uns zugänglichen Transport- und Communicationsmittel möglich, in der verhältnissmässig nicht langen Zeit die für indische Verhältnisse bedeutenden Distancen zurückzulegen. Wir berechneten dieselben jüngst und fanden, dass die Summe unserer Routen in Indien und im Himalaya, von Bombay nach Madras und Calcutta, von Sudiya an der Umbiegungsstelle des Dihong in Assam bis Trichinopoli in Südindien und von Bengalen bis zu dem nordwestlichsten Punkte in Tibet und Turkestan reichlich über 15 000 engl. Meilen beträgt.

Es dürfte schwer sein, für die Weitläufigkeit und Offenheit dieser Mittheilungen Entschuldigungen zu finden.

Wir können als die einzige nur die lebhafte Theilnahme nennen, die Sie stets unseren Untersuchungen und Reisen in Indien schenkten.

Meine beiden Brüder werden, ebenso wie ich selbst, Rawul Pindee in wenigen Tagen verlassen.

Unsere Adresse ist am besten Calcutta, care of the Prussian Consul A Kilbourne Esq.

Mit wiederholtem Ausdrucke unserer aufrichtigsten Verehrung und Hochachtung

Euer Excellenz

dankbarst ergebener

Hermann Schlagintweit

[1]Sindh [2]Gujrat

Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Kathmandu in Nepal,

7.3.1857

Hochverehrteste Excellenz

Nach ängstlichem Zweifeln, ob meine Reise nach Nepal, die ich fast mit zu grosser Zuversicht in meinem letzten Briefe erwähnte, wirklich zur Ausführung kommen werde, erreichte ich über Lahore Jhelum, Loodiana, Dehli und Agra die Station Patna, wo ich einen Brief vom nepalesischen Gouvernement fand, durch den sowohl mir als meinem Establishment von Beobachtern und Sammlern die Reise nach Nepal gestattet wurde.

Ich habe in einem Briefe a[n] S.M. über einige meiner Beobachtungen berichtet und auch erwähnt, dass es mir gestattet war, sowohl weit mehr in Centralnepal zu reisen und mit Instrumenten zu beobachten, als ich hoffen konnte. Ich werde, da ich gegen Anfang May Indien verlassen werde, in nicht zu ferner Zeit das Glück haben, Ihnen persönlich unsere Beobachtungen vorzulegen.

Ich erhielt in Patna eben vor meiner Abreise nach Nepal den Brief des k. preussischen Consuls mit dem von S.M. bewilligten 3000 Thalern, für welche wir S.M. unseren tiefgefühlten Dank auszusprechen bitten.

Bei Ihrer stets so liebevollen Theilnahme an unseren Arbeiten wage ich kaum zu wiederholen, was ich in meinem letzten Briefe über die Summe schrieb, die uns zur Regelung unserer Ausgaben in Indien nöthig scheint. Adolph, der noch einige Monate länger in Indien bleiben wird, zunächst um jenen Theil des Himalayas zwischen Kangra[3] und Kashmir zu untersuchen, den keiner von uns bereist hatte, wird dann unsere Geldangelegenheiten in Indien, auch nach Roberts und meiner Abreise, arrangieren können.

Mit wiederholtem besten Danke und mit dem Ausdrucke aufrichtigster Verehrung und Hochachtung

Ihr

H. Schlagintweit

Adresse für Adolph A Kilbourn Esq. Prussian Consul Calcutta

[3]Kangra: von Humboldt unterstrichen und mit einem darüber gesetzten Fragezeichen versehen

Albert Frederick Mummery, Woola-Lake,

am 10. Juli 1895

 

Die Reise von Rawalpindi nach Baramula war eine selten schöne Zeit. Wir fuhren auf Tongas, merkwürdigen, kleinen und niedrigen zweiräderigen Wägelchen, die glänzend gefedert sind. Auf der ersten Fünfzig-Meilenstrecke werden alle drei oder vier Meilen die Pferde gewechselt, und man kommt auf diese Weise mit fabelhafter Geschwindigkeit voran. Da legten wir einmal eine oder zwei Meilen auf der Fahrt von Murree ins Jhelum-Tal in drei Minuten zurück, da die Pferde wie wild liefen.

Eine bedeutende Verzögerung gabs dadurch, daß der Monsun gerade losbrach, als wir Murree erreichten. Der Regen floß in Strömen, die Straße war von Erdreich und Schlamm überspült, und die Brücke war weggerissen. Aber mithilfe einer großen Zahl von Kulis wurden unsere Tongas heil ans andere Ufer geschleppt. Unser Tempo aber war natürlich unterbrochen.

Wir begegneten Scharen von Engländern. Ich habe tatsächlich auf keiner Alpenstraße derartig viele Reisende gesehen.

In Murree sprach ich beim General vor, der mich sehr freundlich aufnahm. Er wird uns zwei Ghurkas mitgeben und den kommandierenden Offizier in Abottabad und Chilas instruieren, daß er uns voll und ganz zur Verfügung stehen soll. Der Vicekönig hatte, wie wir hörten, den Residenten von unserem Eintreffen in Kenntnis gesetzt. Unsere Weiterreise wird die eines Königs sein!

In der Nähe von Baramula trafen wir mit Major Bruce zusammen. Er hatte den Weg in der Nähe von Abottabad (240 Meilen hin und zurück!) nach Baramula gemacht, um uns Pferde, Diener, Köche und das sonst Benötigte zu verschaffen. Ihm verdanken wir 12 Ponies, einen Koch, einen Aufseher über die Kulis und die nötigen Vorräte an Reis, Mehl u.s.f. Schade, daß er vor unserem Aufbruch zurückreisen mußte, weil er zu seinem Regiment zurückgerufen wurde.

Eben setzen wir in einer Art von Gondel über einen ganz herrlichen See. Die ganze Wasserfläche ist von Seerosen bedeckt und sieht wie eine große, gelb schimmernde Wiese aus. Wundervoll sind die Fernsichten: Über Baumreihen und schön geformten Vorbergen in ganz, ganz weiter Ferne die Schneegipfel. Schwäne und Schwalben fliegen in Scharen unermüdlich auf und nieder. Wir müßten einmal nur hierher reisen und zusammen auf diesem See spazierengondeln. Wenn ich es skizzieren wollte: es übertrifft alles, was ich je gesehen. Ungeheure Entfernungen, blaue Berge, schwarze Massen von Wäldern, und über all dem dieses Meer von Seerosen.

Wir sind aufs bestmögliche ausgerüstet, und wir werden es wirklich schön und gut haben. Wenn man übrigens ein Pferd für 6 Penns pro Tag und einen Mann für 20 Schilling pro Monat mieten kann, so wüßte ich nicht, warum es einem schlecht gehen sollte.

Wir hatten zwei Händler an Bord, die sich in gegenseitiger Rivalität den Rang abliefen, und jetzt können wir bekommen, was wir nur wünschen: Vom Fass Bier an bis zu Huntley und Palmer-Zwieback, vom Büchsenfleisch bis zum feinsten englischen Mehl und das alles geliefert, wie und wo wir es zu haben wünschen.

Einer dieser Händler bestand darauf, mir eine Empfehlung an einen Mann in Astor und eine andere an jemand in Skardu mitzugeben, die mich mit Rupien, soviel ich nur brauchen könnte, mit frischem Gemüse und Obst, kurz mit allem, was mir einfällt, versehen sollten – zahlbar bei Rückkehr.

Jeder schien hier bemüht, uns zu helfen und uns gefällig zu sein. Was die alpintechnischen Schwierigkeiten betrifft, so werden wir wohl kaum auf etliche stoßen. Wohl wird die dünne Luft uns zu schaffen machen, aber schaden kann sie uns auch nicht.

Albert Frederick Mummery,

Brief 2

 

Ich glaube, wir werden etwa 3 Wochen unterwegs sein und die Gegend auskundschaften, ehe wir nach Astor gehen, zumal wir im August zuverlässigeres Wetter zu haben hoffen. Zwar ist es derzeit entschieden besser als das gewöhnliche Schweizer Wetter, aber doch nicht so gut, als ich es mir für den Nanga wünsche.

Albert Frederick Mummery, Tashing,

am 17. Juli 1895

 

Wir stehen am Fuß unseres Berges! Die Reise war lang, aber schwelgerisch bequem. Unsere Zelte und unser ganzes Gepäck ist bis hier heraufgetragen worden. Mit Trägern zu 4 Penns pro Tag braucht man die Bagage nicht zu beschränken! Unser Koch ist eine großartige Nummer, er füttert uns ganz fabelhaft. Die übrigen Leute sind heute damit beschäftigt, unser Zeug zu waschen, aber ich zweifle sehr, ob die Resultate so sein werden, wie man es sich wünscht. Wir trafen den Mann, der die zwei Geschütze über den Skandurpass (Entsatz von Chiteal) schaffen soll. Er bot uns Erfrischungen und Quartier in seinem Lager an und ließ uns zu Ehren die Bergbatterie parademäßig auffahren. Ich denke, er wird in diesen Tagen nach uns ausschauen.

Unsere erste Aufgabe wird es sein, die richtige körperliche Disposition zu bekommen! Wir werden voraussichtlich morgen einen 18–19 000 Fuß hohen Berg angehen. Es gibt davon eine ganze Menge hier herum, aber meist sind es Schneeschinder. Jedenfalls wird’s gut für die Lunge sein.

Ich glaube kaum, daß uns der Nanga mit ernsthaften bergsteigerischen Schwierigkeiten kommen wird. Der Berg zeigt wider Erwarten wenig Hängegletscher. Die Tour wird hauptsächlich eine Frage der Ausdauer sein.

Wir sind in glänzender gesundheitlicher Verfassung, nur die Beine wollten nicht immer so, wie wir wollen, und so werden wohl die Wochen mit Training vergehen. Du kannst daher erst etwa in einem Monat (17. August) oder ein paar Tage später Drahtnachricht erwarten.

Unsere Expedition ist allen lokalen Autoritäten angezeigt, und nach den ergangenen Weisungen unterstützt man uns, wo und wie wir nur immer wollen. Du kannst Dir daher ausmalen, wie fein versorgt und aufgehoben wir sind.

Die englische Bevölkerung ist weit zahlreicher, als ich mir in Astor vorstellte, wo der Stellvertreter des Residenten von Gilgit (Colonel Steward), zwei Postbeamte u.s.w. hausen. Damen reisen unbehelligt hin und her und, wie Du Dir denken kannst, führen sie Karawanengefolge mit sich. Unser Hauptlager haben wir unter Weidenbäumen aufgeschlagen. Nicht weit davon fließt ein kleiner Fluß vorbei; eine ganz flache Wiesenebene zieht sich drei bis vier Meilen lang an den Bachufern dahin. Könntest Du nur hier sein, ohne die Mühseligkeiten der Reise auf Dich nehmen zu müssen. Du wärst immer wieder aufs Neue entzückt.

Ängstige Dich nicht um uns! Wir werden in keine schwierige Lage kommen. Gestern gabs großen Spaß, als wir eine Brücke über den Rupalbach bauten. Unsere braven Kerle in ihrer sonderbaren Kleidung und mit ihren vergnügten Gesichtern boten einen köstlichen Anblick. Einer von ihnen schleppte meinen schweren Koffer immer weiter, die scheußliche Moräne hinauf und quer über das Gletscherende hinüber und schien sich nicht das Geringste dabei zu denken.

Der Kuckuck und die Lerche zeigen sich sogar hier heroben, und das klingt sehr heimatlich.

Albert Frederick Mummery,

am 28. Juli 1895

 

Das Lagerleben hier oben macht wirklich Freude. Man hat jede Bequemlichkeit, und die Leute gehen und kommen und bringen und holen alles, wie und was man will. Bisher haben wir lediglich einen kleinen Felsgipfel bestiegen. Wir überschritten den Mazeno-Pass (einen Übergang der Einheimischen) und stiegen ins Diamir-Tal hinüber – unbewohnt, aber ganz außerordentlich schön: herrliche Bäume (meist Birken und Tannen), dichte Hecken wilder Rosen und eine Unmenge von blühendem Buschwerk.

Nach einem Rasttag kehrten wir über einen sehr langen Pass wieder zurück, der an ein oder zwei Stellen interessante Felskletterei bot. Leider kamen wir auf diese Weise auf die andere Seite unserer Bergkette und mußten schließlich über den Mazeno zurück, weil uns der Proviant ausging.

Wir bewegten uns den ganzen Tag in einer Höhe von 15–18 000 Fuß und blieben so frisch wie Blumen. Ich fürchte nicht, daß uns die dünne Luft allzu sehr zusetzen wird.

Albert Frederick Mummery, Brief an seine Frau, Basislager, Nanga Parbat,

4./9. August 1895

Die Berge sind schon zu mächtig und zu hoch für ausgesprochene Kletterarbeit. Mit der Luft hat es allerdings den Teufel. Sehr wahrscheinlich müssen wir noch einen Monat lang trainieren. Wir haben noch nicht hoch genug kampiert.

Ich bin sicher, daß der Gipfel uns gehören wird, da es nur eine Angelegenheit zielbewußten Trainings und richtiger Atemtechnik ist. Wir genießen wundervolle Zeiten, und sollten wir den Nanga Parbat nicht erreichen, dann werde ich nie bedauern, diese gigantischen Berge erblickt und Ausschau nach dem großen Gebirge hinter Hunza, nahe der russischen Grenze, gehalten zu haben.

(Fünf Tage später) Collie und ich sind tadellos auf dem Damm. Hastings laboriert immer noch an seinem verknaxten Knöchel. Ich hoffe aber, auch er wird in ein paar Tagen wieder in der Reihe sein. Alles in allem ist es wirklich nicht übel hier, aber mit dem Bergsteigen, wie wir es von den Alpen her kennen, damit ist es nichts, oder nicht viel. In dieser Luft kann man pro Tag nicht mehr als 3000 oder 4000 Fuß (also rund 1000 Meter) schaffen, und das nur dort, wo man mit den Trägern durchkommt. Wir hatten einen Teil des Gepäcks zum Nanga bis 16 000 Fuß (4876 Meter) hinaufgeschafft, aber es ist ein schreckliches Stück Arbeit, es nun höher zu transportieren, weil die Träger nicht über die Höhe von 14 500 Fuß (4419 Meter), wo der obere Gletscher anfängt, zu bringen sind.

Aber ich hoffe doch, wir werden es schaffen, da wir bisher alles gut angepackt haben und immer besser in Training kommen. Ich werde mein Bestes dransetzen, Dir den Gipfel des Nanga zu Füßen zu legen, obwohl ich anfange, einige Zweifel über den Enderfolg zu haben. Die Luft ist derart verheerend und die Sonne so schlimm, daß man nach 10 Uhr morgens vollständig erledigt ist. Collie und ich trugen gestern zwölf Pfund Schokolade, sechs Büchsen mit je zwei Pfund Huntley und Palmer-Biskuit, Brand’ Suppen usw. bis zu einer Höhe von 17 000 Fuß (5181,6 Meter) auf den Nanga Parbat hinauf und deponierten alles in wasserdichten Säcken. Wir werden nächste Woche noch einen zweiten Vorstoß machen, um diese Schätze bis zur Höhe eines gleich gangbaren Felsgrates, etwa 20 000 Fuß (6096 Meter), hoch hinaufzubefördern. Dann werden wir auf einer dritten Expedition die Vorräte bis zu dem Ansatz des Hauptgipfels in einer Höhe von 23 000 Fuß (7010,4 Meter) zu bringen trachten. Jedenfalls kennen wir jetzt den Weg. Ach, nur zu gut!

Ende der Leseprobe