Geheimnis am Weihnachtsabend - Gladys Mitchell - E-Book

Geheimnis am Weihnachtsabend E-Book

Gladys Mitchell

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  • Herausgeber: Klett-Cotta
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

»Eine Amateurdetektivin, die Miss Marple Konkurrenz macht ... ein Lektüregenuss!« Guardian Weihnachten steht vor der Tür, und Amateurdetektivin Mrs. Bradley folgt der Einladung ihres Neffen ins beschauliche Oxfordshire. Doch die lockere Stimmung der Gäste kippt, als an Heiligabend der Anwalt des Dorfes tot aufgefunden wird. Zunächst vermutet niemand einen Mord, doch eine alte Spuklegende entfacht den Spürsinn der patenten Ermittlerin ... Beatrice Adela Bradley, die sich in London einen Namen als Amateurdetektivin gemacht hat, beschließt, ihrer Heimatstadt über die Weihnachtsfeiertage den Rücken zu kehren und lässt sich kurzerhand aufs Land kutschieren. Im hügeligen Oxfordshire lebt ihr Neffe Carey Lestrange, der über Weihnachten mehrere Gäste in seinem Gutshaus versammelt hat. Die Stimmung unter den Besuchern der Farm ist entspannt, doch eine lokale Spuklegende sorgt für Aufregung. Vor allem, weil ein mysteriöser Brief dazu verlockt, dem kopflosen Geist um Mitternacht im benachbarten Städtchen aufzulauern. Das kaputte Auto von Mrs Bradley macht dem Vorhaben zunächst einen Strich durch die Rechnung. Doch dann wird der Anwalt des Dorfes, der ebenfalls ein Schreiben des mysteriösen Briefeschreibers erhalten hat, tot am Fluss aufgefunden. Und Mrs. Bradley ist nicht die Einzige, die einen Mord wittert.

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Seitenzahl: 506

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Geheimnis am Weihnachtsabend

Eine weihnachtliche Kriminalgeschichte

Aus dem Englischen von Dorothee Merkel

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Dead Men’s Morris« im Verlag Michael Joseph Ltd, London

© The Estate of Gladys Mitchell, 1936

Für die deutsche Ausgabe

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: ANZINGER UND RASP Kommunikation GmbH, München

unter Verwendung einer Illustration von Dieter Braun Illustration, Hamburg

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-608-98673-0

E-Book ISBN 978-3-608-11941-1

Inhalt

Erste Figur

Fossders Torheit

Erstes Kapitel

Ausfallschritt ohne Tanzpartner in Stanton St John

Zweites Kapitel

Hoch das Bein auf dem Alten Hof

Drittes Kapitel

Wechselschritt in Sandford

Viertes Kapitel

Eckenformation und Schlag auf Schlag in Iffley

Fünftes Kapitel

Kreuz und quer auf dem Alten Hof

Sechstes Kapitel

Pirouetten am Flussufer

Zweite Figur

Simith auf dem Shotover Hill

Siebtes Kapitel

Sprung und Hieb auf dem Shotover Hill

Achtes Kapitel

Reigen im Halbkreis auf einer Schweinefarm

Neuntes Kapitel

Rücken an Rücken in Kensington

Zehntes Kapitel

Formationswechsel in Stanton St John

Elftes Kapitel

Munterer Reigen von Horsepath über Iffley nach Stanton St John

Zwölftes Kapitel

Sprung und Hieb auf Roman Ending

Dritte Figur

Narrentanz

Dreizehntes Kapitel

Stockklopfen auf dem Alten Hof

Vierzehntes Kapitel

Eckenformation und Kapriolenin Stanton St John

Fünfzehntes Kapitel

Eckenformation und Gleichschritt in Garsington

Sechzehntes Kapitel

Munterer Reigen auf Roman Ending

Siebzehntes Kapitel

Karten auf den Tisch in Stanton St John

Erste Figur

Fossders Torheit

Er beabsichtigt, seinen Anwalt aufzusuchen.

Va a ver su abogado.

Ich rate Ihnen, nichts über diese Sache verlauten zu lassen.

Le aconsejo a Vd. que no diga nada de ello.

Charles Hugo, Spanisches Konversationslexikon für Anfänger

Erstes Kapitel

Ausfallschritt ohne Tanzpartner in Stanton St John

»Schön vorsichtig, guter Mann!«, sagte Sir Selby Villiers.

»Lassen Sie ihn an Ihrem Ende ein wenig herab, George«, sagte Mrs. Bradley.

»Halt, nicht so flott, Kumpel!«, sagte der Fahrer des Lieferwagens.

»Nur noch ein paar Zentimeter«, sagte George. Sie ließen den sorgfältig verpackten Eberkopf auf den Gepäckträger von Mrs. Bradleys Automobil herab und schnallten ihn fest. Dann überprüften George und der Fahrer des Lieferwagens die Gurte, während Sir Selby Mrs. Bradley beim Einsteigen half.

»Frohe Weihnachten«, sagte er.

»Frohe Weihnachten«, sagte Mrs. Bradley.

»Frohe Weihnachten, George«, sagte Sir Selby und gab dem Chauffeur zehn Schilling.

»Vielen Dank, Sir. Ihnen auch frohe Weihnachten«, sagte George, salutierte kurz und nahm seinen Platz hinter dem Steuer ein.

»Das hätten wir, gnädige Frau«, sagte der Fahrer des Lieferwagens.

»Frohe Weihnachten«, sagte Mrs. Bradley, gab ihm ein Trinkgeld und verabschiedete sich inmitten dieser Atmosphäre allgemeinen Wohlwollens, um zusammen mit George der Great West Road entgegenzufahren.

Das zwar nicht mehr ganz neue, aber einwandfrei funktionierende Automobil glitt durch Hammersmith und Chiswick und kletterte bei Gunnersbury die leichte Steigung zur Great West Road hinauf, die es jedoch alsbald wieder verließ, um bei Hounslow auf die Bath Road zu wechseln. George fuhr langsam durch Colnbrook und Maidenhead, kroch im Schneckentempo durch Henley und behielt dann für den größten Teil der restlichen Strecke eine moderate Geschwindigkeit von achtundzwanzig Meilen die Stunde bei. Auf der Höhe von Headington Quarry bog er nach rechts auf eine Nebenstraße ab, die zum nördlichen Ende von Stanton St John führte. Es war halb vier Uhr nachmittags. Zwar herrschte immer noch Tageslicht, aber die Dämmerung begann sich bereits anzukündigen.

George hielt an der ersten Gaststätte, an der sie vorbeikamen, und klopfte an die Tür, um den Wirt nach dem Weg zu fragen. Als niemand antwortete, da man offenbar bereits geschlossen hatte, ging er um das Haus herum in den Garten, wo er den Wirt zusammen mit seiner Frau damit beschäftigt fand, ein paar Hühner zu rupfen und mit Küchengarn zusammenzubinden.

»Guten Tag«, sagte George. »Wären Sie wohl so freundlich, mir zu sagen, wo ich das Gehöft von Mr. Lestrange finde?«

»Aber gerne doch«, sagte der Wirt. Er tauchte seine übel riechenden Hände in einen Eimer mit Regenwasser und trocknete sie an der Schürze ab, die er sich umgebunden hatte.

»Da wird einem ziemlich kalt, bei dieser Arbeit, was?«, sagte George, während sie zusammen zur Straße gingen. Der Wirt lachte.

»Na ja, dieses Weihnachten ist es nicht so schlimm wie in manch anderem Jahr, das kann ich Ihnen sagen! Wir haben hier in der Gegend kein fließend Wasser im Haus, wissen Sie. Also, Mr. Lestrange? Sie meinen wohl den Burschen, der Schweine züchtet und Bilder malt. Da müssen Sie nach dem Alten Hof fragen, so nennen wir den hier. Drehen Sie um, an der Kirche links und hinunter zum Postamt, dort kennt man den Weg sicher. Das würde Sie ja doch nur verwirren, wenn ich versuche, es Ihnen von hier aus zu erklären.« Er lächelte Mrs. Bradley zu. »Einen schönen Tag, gnädige Frau! Herrliches Wetter, nicht wahr? Wenn auch nicht grad der Jahreszeit entsprechend.«

George wendete den Wagen, fuhr vorsichtig durch die schmale Gasse, die an der langen, grauen Friedhofsmauer entlangführte und bog an einem kleinen Bauernhof links ab. Dahinter säumte eine Reihe von Cottages die Straße. Das Postamt, das sich durch einen deutlich lesbaren Schriftzug über dem schlichten Schiebefenster zu erkennen gab, war in einem recht kleinen Haus untergebracht, dessen Ziegelfassade sich grob und hässlich von den anderen Gebäuden aus freundlichem grauen Stein abhob.

Die Postmeisterin trat auf die Straße hinaus, um ihnen den Weg zu zeigen.

»Geradeaus, über den kleinen Bach, der da so lustig vor sich hin plätschert – den werden Sie die ganze Nacht hören, also gewöhnen Sie sich besser gleich daran, Ma’am, das kann ich Ihnen nur raten. Dahinter sehen Sie dann schon den alten Feldweg, der rechts abgeht. Der wird Ägypterweg genannt, fragen Sie mich nicht, warum. Da biegen Sie ein, und dann sind Sie auch schon am Ziel.«

Sie fuhren etwa zweieinhalb Meilen in recht gemächlichem Tempo die leicht abfallende Straße hinab und trafen schließlich auf einen grasüberwachsenen, schmalen Feldweg, der im rechten Winkel von der Straße abging und von tiefen Wagenfurchen durchzogen war. Er schien an einem Haus vorbeizuführen, das sie hinter einer Reihe von Ulmen erkennen konnten, und dann in einen kleinen Wald zu münden.

George hielt den Wagen an und stieg aus.

»Es tut mir sehr leid, Madam, aber ich fürchte, ich habe die richtige Abzweigung verpasst. Ich glaube, wir sind zu weit gefahren.«

»So ein Pech«, sagte Mrs. Bradley teilnahmsvoll. Sie kurbelte das Fenster noch ein Stück weiter hinunter und steckte den Kopf hinaus. George trat höflich zur Seite. »Dieser Ort stimmt nicht mit der Beschreibung überein, die man uns gegeben hat, so viel steht fest«, sagte sie, »und … George, sehen Sie nur, dort drüben ist ein Kampf im Gange! Kommen Sie, lassen Sie uns mitmachen!«

»Davon würde ich wirklich abraten, Madam«, sagte George alarmiert. »Denken Sie nur an damals in Spanien, als …«

»Unsinn«, sagte Mrs. Bradley. Doch da ihr Chauffeur nicht gewillt zu sein schien, ihr behilflich zu sein, öffnete sie selbst die Tür und rannte mit forschen, kurzen Schritten quer über die Felder. George warf seine Mütze ins Auto und trottete ihr wie ein treuer Hund hinterher, bewahrte dabei jedoch immer einen respektvollen Abstand, nicht zuletzt deshalb, weil ihn seine Gamaschen beim Laufen behinderten.

Es wurde bereits dunkel, doch Mrs. Bradleys weitsichtige Augen hatten sie nicht getäuscht. Vor einem Schweinestall, in einem Feld, das unmittelbar an das Haus angrenzte, trugen ein alter und ein junger Mann einen grimmigen Kampf aus. Der Alte war mit einem Gehstock bewaffnet, einem schweren hässlichen Ding aus Schwarzdorn. Der Jüngere hielt einen Eimer in der Hand, den er als Schutzschild benutzte, während er gleichzeitig laut und ärgerlich auf seinen Kontrahenten einredete. Es war offensichtlich, wer von den beiden der Angreifer war.

Mrs. Bradley, die etwa zehn Meter entfernt stand, konnte gar nicht genug bewundern, mit welch geradezu wissenschaftlichem Geschick der junge Mann den Eimer gegen den schweren Stock zur Verteidigung ins Feld führte. Schlag auf Schlag klatschte mit lautem Scheppern auf den Eimer, während der junge Mann mit großer Gewandtheit jedem der mordlustigen Angriffe auswich. Plötzlich bemerkte der Alte Mrs. Bradley und George und drehte sich mit einem bitterbösen Blick zu ihnen um.

»Das ist unbefugtes Betreten!«, rief er und ließ den Schwarzdornstock sinken. »Was wollt ihr Halunken auf meinem Land?«

»Friede, Friede«, sagte Mrs. Bradley mit sonorer Stimme.

»Sie haben ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank«, sagte der alte Mann und hob den Stock wieder in die Höhe. »Scheren Sie sich fort, bevor ich Ihnen eine verpasse!«

George stellte sich vor seine Dienstherrin, aber Mrs. Bradley schob ihn zur Seite.

»Ich suche meinen Neffen, Carey Lestrange«, sagte sie und betrachtete den vor Wut schäumenden Alten mit dem nüchternen Interesse eines wohlgesättigten Alligators, der sich in der Sonne aalt. Der Mann hatte seinen Stock so fest gepackt, dass seine Knöchel weiß waren.

»Carey Lestrange?«, fragte der Jüngere und trat vor, ohne sich im Geringsten darum zu kümmern, dass er sich dadurch in eine gefährliche Nähe zu dem Schwarzdornstock begab. Er stellte den Eimer auf die Erde und wies mit dem Daumen nach Westen. »Der wohnt nicht hier, sondern auf dem Alten Hof. Dieses Gehöft hier heißt Roman Ending.«

Der junge Mann war kräftig gebaut und machte einen ungehobelten Eindruck, doch irgendetwas an seiner Erscheinung wirkte vertraut auf Mrs. Bradley.

Aber ich habe ihn bestimmt noch nie gesehen, dachte sie bei sich, während sie ihn begutachtete. »George …«, sagte sie.

»Das Holbein-Porträt seiner Hoheit, König Heinrich VIII., Madam«, antwortete George zuvorkommend.

»Du liebe Güte, George!«, sagte Mrs. Bradley beeindruckt. Vor dem Hintergrund dieser neuen Erkenntnis nahm sie ihre eingehende Betrachtung wieder auf. Kein Zweifel, in den massigen, breiten Wangen und den kleinen Schweinsäuglein, die sie da vor sich hatte, lag weit mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit zu dem von George genannten Porträt.

Der alte Mann hingegen erinnerte eher an einen Holzapfel. Er trat einen Schritt vor, begegnete Mrs. Bradleys Blick mit einem hasserfüllten Glotzen und sagte: »Ihr habt die Abzweigung verpasst! Wart ihr etwa zu blöd, um nach dem Weg zu fragen?«

»Gewiss«, sagte George, pflanzte seine gamaschenbestückten Beine breit auseinander und musterte den Alten mit einem kalten Blick.

»Bist wohl ein Trottel, was?«, verlangte der Holzapfel zu wissen, wobei er ihm mit dem Schwarzdornstock vor dem Gesicht herumfuchtelte.

»Ja«, sagte George. »Aber immerhin bin ich in der Lage, mich einer höflichen Sprache zu bedienen – etwas, dessen Sie nicht fähig zu sein scheinen. Und«, fügte er hinzu, »wenn dieser junge Bursche hier Hilfe dabei braucht, Sie in den nächsten Graben zu schmeißen, kann er auf mich zählen. Na, was sagen Sie jetzt, Sie verschrumpelte alte Wurstpelle?«

»Aber, aber«, sagte Mrs. Bradley mit einem hämischen Kichern. »Wir wollen doch nicht gleich so kampflüstern werden, George. Das steht diesen Gamaschen gar nicht gut zu Gesicht! Weisen Sie uns den Weg, bitte«, sagte sie zu dem jüngeren Mann.

»Fahren Sie zur Straße zurück, dann ein Stück den Hügel hinunter, bis Sie zu einer Weggabelung kommen, kurz bevor der Bach eine Biegung macht …«

»Ah, ja, der plätschernde Bach«, sagte Mrs. Bradley, an die Frau aus dem Postamt denkend.

»Dann geht’s den Hügel hinauf«, fuhr der junge Mann fort, »und von dort sehen Sie es dann auch schon. Die grauen Mauern des Hauses sind auf der anderen Seite des kleinen Waldes dort drüben deutlich zu erkennen. Sie können es eigentlich gar nicht verpassen. Lestrange ist ein Freund von uns. Sagen Sie ihm, er soll uns bald mal zusammen mit Ihnen besuchen kommen. Es würde mich freuen, Sie wiederzusehen.«

Zu Mrs. Bradleys Überraschung schloss sich der Alte dieser Einladung an, wenn auch auf seine eigene, griesgrämige Weise.

»Ja, schauen Sie vorbei. Dann können Sie mal sehen, wie man das richtig macht, das Schweinezüchten. Der da drüben mit seinen neumodischen Schnapsideen! Skandinavischer Firlefanz! Ich halte es da lieber mit ehrlichem britischen Schinken, sag ich ihm immer. Aber ja, schauen Sie ruhig noch mal vorbei, schadet ja nichts.« Er drehte sich zu dem jüngeren Mann um. »Das hier ist mein Neffe. Er ist nicht grad eine Schönheit, und die Mädels fliegen auch nicht auf ihn, aber er kriegt mein Geld, wenn ich mal nicht mehr bin, und kann dann damit tun und lassen, was er will. Einen schönen Tag noch. Ah, und frohe Weihnachten. Das sollte ich Ihnen wohl auch noch wünschen, also tue ich das hiermit, und nun machen Sie, dass Sie fortkommen, los!«, fügte er am Ende seiner Rede ganz plötzlich mit einer Art zornigem Kreischen hinzu.

»Danke, das wünsche ich Ihnen auch«, sagte Mrs. Bradley. »Ich freue mich darauf, Sie besser kennenzulernen, Mr …?«

»Simith. Und der hier heißt Tombley. George William Tombley.« Er schenkte seinem Neffen ein säuerliches Lächeln.

»Geraint Wilfred Tombley«, korrigierte ihn der junge Mann mürrisch. »Auf diesen Namen bin ich in der Kirche von Cowley getauft worden. Nächsten Februar ist das sechsundzwanzig Jahre her.«

Mrs. Bradley und George gingen langsam zum Auto zurück.

»Es ist kalt, George«, sagte Mrs. Bradley. George schaute zum Himmel hinauf.

»Es wird bald schneien, denke ich, Madam«, sagte er, »und auch sehr dunkel werden.« Er half ihr über den Zauntritt. »Das ist eine recht ansprechende Landschaft hier, aber alt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Nur zu gut, George«, antwortete Mrs. Bradley. »Thor und Odin, und der schlummernde Karl der Große.«

»Nein, Madam, noch älter als das. Sanfter, wenn ich das so ausdrücken darf, und auch ein wenig subtiler, scheint mir. Aber ich bin natürlich in London geboren und werde mich nie an das Landleben gewöhnen können. Und doch ist es eine ansprechende Landschaft. Sehr ansprechend, fürwahr. Aber die Hügel, Madam! Es kommt mir vor, als gliche jeder einzelne von ihnen dem Leviathan aus der Schöpfungsgeschichte. Von gerundeter Gestalt zwar, aber doch auch eine Art Schuppentier, will mir scheinen.«

»Ein allmächtiges, gütiges Schuppentier«, murmelte Mrs. Bradley gedankenverloren. »Sie brauchen einen Drink, George. Den haben Sie sich verdient. Und wenn wir unseren Bestimmungsort gefunden haben, sorge ich dafür, dass Sie ihn auch bekommen.«

»Danke, Madam«, sagte George.

Carey Lestrange, ein Neffe von Mrs. Bradleys erstem Ehemann, war ein junger Mann mit grauen Augen, der eine derart dicke Flanellhose trug, dass es beim ersten Blick so aussah, als handelte es sich dabei um Gamaschen aus Bärenfell. Seine übrige Kleidung bestand aus einem leuchtend blauen Pullover und einer sehr alten Tweedjacke mit ausgebeulten Taschen, die den anrüchigen Eindruck erweckte, als habe er darin geschlafen. Er hatte lange, wohlgeformte, nikotinverfärbte Finger und eine elfenartige Haarlocke vor der Stirn, die ihm sehr gut zu Gesicht stand. Mrs. Bradley hegte den Verdacht, dass er sie absichtlich so abgerichtet hatte, dass sie ihm mit künstlerischem Flair ins Auge fiel. Jedenfalls hatte er die Angewohnheit, sich die Locke mit einer malerischen Geste aus dem Gesicht zu streichen – eine Angewohnheit, die, da war sich Mrs. Bradley sicher, in die Kategorie des sogenannten angelernten Verhaltens gehörte. Er legte dabei nämlich keinerlei Ungeduld an den Tag, sondern schien dieser bedeutungsvollen Geste großen Wert beizumessen. Jedes Mal, wenn die Elfenlocke ein wenig verrutschte, hob der junge Mann seine farbbefleckte, schmutzige Hand und schob sie wieder an ihren angestammten Platz.

»Mein lieber Carey«, sagte Mrs. Bradley, nahm seinen Arm und drückte ihn voller Zuneigung. Sie hatte das große Glück, von sich behaupten zu können, dass sie ihre gesamte Verwandtschaft gernhatte. Manche fand sie amüsant, das ließ sich nicht leugnen, aber sie genoss die geistige Anregung, die ihr das verschaffte, und war darüber hinaus mit einer beneidenswert objektiven Beobachtungsgabe und Denkweise gesegnet. Das führte dazu, dass sie nur sehr selten in die Verlegenheit geriet, jemanden nicht leiden zu können oder sich über jemanden zu ärgern. Für ihren Neffen Carey empfand sie nicht nur eine große persönliche Wertschätzung, sondern auch Respekt. Er verfügte über nahezu sämtliche Charaktereigenschaften, die sie an ihrem ersten Ehemann so zu schätzen gewusst hatte. Genau wie sein Onkel war er ein sehr fleißiger Mensch und außerdem – trotz seines nachlässigen Auftretens – ein hervorragender Geschäftsmann. Er leitete nicht nur einen experimentellen Schweinemast-Betrieb, sondern malte auch Plakate und – gelegentlich – Bilder. Tatsächlich hätte er sich sogar als Porträtmaler einen Namen machen können, wenn er hinsichtlich seiner Modelle nicht so wählerisch gewesen wäre. Zum Beispiel ließ er sich nur selten dazu herab, eine Frau zu malen. Er möge keine Frauengesichter, sagte er. Allerdings hatte er ein Porträt von Mrs. Bradley angefertigt, und zwar auf seinen eigenen Wunsch hin und nicht auf den ihren. Das überaus abstoßende Resultat verschaffte ihnen beiden beträchtliches Vergnügen.

Er zog seiner Tante einen Lehnstuhl vor das Kaminfeuer im Wohnzimmer und forderte sie, nachdem er sich selbst auf die Kaminbank gesetzt hatte, auf, seine Möbelsammlung zu bewundern. Es gab eine Bibeltruhe aus dem sechzehnten Jahrhundert, eine Anrichte aus dem jakobinischen Zeitalter und einen Stuhl aus der Epoche Karls II.

»Wenn ich Besuch habe, stelle ich mich immer abwechselnd vor eins dieser Möbelstücke«, sagte er. »Dabei komme ich mir dann vor wie eine Mutter, die versucht, ihre Töchter vor den Vandalen zu beschützen. Stell dir vor, Tante Adela, es kommen tatsächlich Leute her, die sich auf diesen Stuhl da setzen würden, wenn ich das zuließe.«

Mrs. Bradley gab ein meckerndes Lachen von sich.

»O, und übrigens«, fügte er hinzu, während er sich erhob, »was möchtest du, dass wir mit den zehn Zentnern Kohle tun, oder was auch immer das gewesen sein mag, was wir vom Gepäckträger deines Autos heruntergehievt haben? Momentan steht das Ding in der Eingangshalle und wartet auf deine Anweisungen.«

»O ja, der Eberkopf«, sagte Mrs. Bradley. »Wo ist eigentlich dein Freund Hugh? Ich dachte, er würde zu Weihnachten hier sein.«

»Das ist er auch, genau wie der junge Denis. Die zwei sind nach Oxford auf den Markt gefahren. Ach, und noch was, Tante Adela, es tut mir leid, aber wir können George nicht im Haus unterbringen. Ich fürchte, es wird etwas eng werden. Es kommen nämlich ein paar Mädels und dann noch so eine schreckliche Zecke namens Pratt, der Verlobte von einem der Mädchen. Ich denke, sie werden für ein oder zwei Tage bleiben, deshalb haben wir nicht genug Platz. Macht dir das was aus?«

»Ein paar Mädels!«, sagte Mrs. Bradley. »Und ich dachte, du hättest mich allein um meiner selbst willen eingeladen und nicht, um einer Schar Gören als Anstandsdame zu dienen. Die werden mich wahrscheinlich, wenn sie sich in meiner Abwesenheit über mich unterhalten, nur ›diese alte Schabracke‹ nennen, wenn sie mich mögen, oder ›die Cenci‹, wenn sie mich nicht mögen.« Sie stand auf, betrachtete ihren Neffen mit dem Blick einer gut gelaunten Schlange und verpasste ihm einen fröhlichen Stups in die Seite. Dann lachte sie grell und ging abrupt zur Tür.

»Komm, mein Kind, hilf mir, den Eberkopf in die Küche zu tragen, und dann zeig mir mein Zimmer.«

»Dein Zimmer? Ja, natürlich«, sagte Carey. »Die Waschgelegenheiten sind hier leider etwas primitiv, aber die sanitären Einrichtungen – sofern man sie so nennen kann – sind immerhin im Haus und nicht draußen vor der Tür. Mrs. Ditch wird dir alles zeigen. Eine äußerst nützliche Person. Sie führt den Haushalt und ihr Mann und ihr jüngster Sohn kümmern sich um meine Schweine. Sie hat auch noch andere Kinder – ein Mädchen, das nicht viel älter als achtzehn Jahre alt ist und drüben auf dem Hof vom alten Simith arbeitet, und drei weitere Jungs, die alle über zwanzig sind, glaube ich. Nette Leute. Stammen ursprünglich aus Headington. Mrs. Ditch ist wie eine Mutter für mich. Ich rufe sie mal.«

Er hob den Kopf und jodelte. Das Geräusch, das ursprünglich dazu erfunden worden war, um weithin über die Bergtäler zu erschallen, gellte durch das stille Haus wie ein Trompetenstoß. Mrs. Ditch kam hastig herbeigelaufen. Sie hatte kluge Augen, ein ansprechendes Äußeres, graue Haare und kühne Gesichtszüge – ein Frauentypus, wie man ihn in dieser Gegend häufig antraf. Ihre Haut war von den vielen Stunden, die sie bei jedem Wetter draußen verbrachte, faltig und rau geworden und hatte jenen roten Farbton, wie er für eine Bäuerin mittleren Alters typisch ist. Sie hatte quadratische, maskuline Hände, mit zahlreichen Narben an den Fingern, die vom Kartoffelschälen herrührten und die dadurch, dass sie die Wunden dann jedes Mal in heißes Seifenwasser getaucht hatte, noch tiefer geworden waren. Ihr Auftreten entsprach ihrer Erscheinung. Es war nicht das einer Bediensteten, aber dennoch respektvoll.

Sie nahm eine der Kerzen, putzte den Docht, zündete sie an und betrachtete den Jodler voller Zuneigung.

»Hören Sie, Mrs. Ditch, könnten Sie meiner Tante wohl ihr Zimmer zeigen? Ich weiß nicht, welches Sie ihr zugeteilt haben, aber ich nehme mal an, es ist fertig?«, fragte Carey.

»Mrs. Bradley bekomm…en das Zimmer über diesem hier, Ma’am«, sagte Mrs. Ditch, indem sie den Satz höflich zwischen ihren beiden Zuhörern aufteilte. »Das ist ein sehr gutes Zimmer. Die jungen Mädels, die haben weichere Knochen als Sie in Ihrem Alter, würd ich sagen. Wollen Sie mir folgen, Ma’am? Ich leuchte Ihnen, sonst stolpern Sie noch im Dunkeln.«

Sie hielt die Kerze hoch, damit Mrs. Bradley den Weg aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf erkennen konnte. Sorgfältig beleuchtete sie jede einzelne Stufe und ging dann durch den schmalen, steinernen Flur zu Mrs. Bradleys Zimmer voraus.

»Da wären wir«, sagte sie herzlich, während sie die Kerze auf einer alten Kommode abstellte. »Soll ich die Vorhänge zuziehen oder möchten Sie, dass ich sie offen lasse? Von draußen kann Sie niemand sehen, das weiß ich genau, aber ich ziehe sie gerne zu, wenn Sie möchten.«

»Nicht zuziehen«, sagte Mrs. Bradley.

»Essen gibt es um sieben, zusammen mit Master Denis«, sagte Mrs. Ditch, bevor sie das Zimmer verließ. Sie schloss leise die Tür hinter sich, und Mrs. Bradley konnte hören, wie sie mit würdevollen Schritten den Flur entlang verschwand.

Das Schlafzimmer war schlicht und ordentlich eingerichtet. Mehrere dicke, bunte Teppiche bedeckten den kalten Steinboden, das Bett war relativ neu, und es war auch ein ausreichend großer Kleiderschrank vorhanden. Der Nachttisch diente gleichzeitig als drehbares Bücherregal, und im Kamin brannte ein glühend rotes Feuer, sodass es im Zimmer angenehm warm war.

Carey und Mrs. Ditch, das ergibt zusammen eine feine Kombination, dachte Mrs. Bradley. Sie ging zum Fenster und sah hinaus. Vor ihr lag, in der Dämmerung nur schwach zu erkennen, ein Feld, das offenbar als Magerweide diente, und dahinter die Straße, die durch das Dorf und hinauf zur Kirche führte. Sie glaubte, so gerade eben noch den gedrungenen Kirchturm in der Ferne ausmachen zu können. Die gewaltige, blaugrüne Ausdehnung des Stanton Great Wood konnte sie von ihrem Fenster aus dagegen nicht sehen, da dieser hinter dem Haus lag. Irgendwo in der Nähe war inmitten der stillen, einsamen Landschaft der winterliche Gesang des Baches zu hören. Das Gurgeln des rasch dahinfließenden Wassers erfreute ihr Herz, denn es erinnerte sie an die Hochzeitsreise, die sie in den Süden Frankreichs gemacht hatte, als sie jung und verliebt gewesen war.

Unmittelbar unter dem Fenster breitete sich der kiesbedeckte Innenhof aus, auf dem es, seit Carey den Betrieb leitete, weder Misthaufen noch Abfall noch in sich zusammengesunkene, halb verfaulte Heuhaufen oder krächzendes, nach Essensresten suchendes Geflügel gab. Stattdessen konnte sich der Vorplatz sogar eines schmalen Blumenbeets rühmen, das sich an der Hausmauer entlangzog.

Im nächsten Moment wurde an die Tür geklopft, und zwar im Rhythmus der ersten Takte von Händels Largo in G-Dur. Mrs. Bradley ging zum Kaminfeuer hinüber und bat ihren Besuch, einzutreten. Es war Carey, der geklopft hatte, doch er war nicht allein. Unmittelbar hinter ihm trat Hugh Kingston ein, den sie schon früher einmal im Haus von Careys Mutter kennengelernt hatte. Hugh war ein gut aussehender Mann mit schmalem Mund, größer als Carey und in einen grünen Anzug gekleidet, der aus Jacke und Knickerbocker bestand.

»Wie geht es Ihnen, Mrs. Bradley?«, fragte er. »Ich nehme an, wir sind über Weihnachten Leidensgenossen. Seit meiner Ankunft musste ich ununterbrochen schuften. Dieser Mann …«, er zeigte auf Carey, der die Tür hinter sich geschlossen hatte und sich nun mit dem Rücken dagegenlehnte, »hat alle möglichen Arbeiten aufgespart, die über das Jahr angefallen sind, und zwingt mich jetzt, ihm dabei zu helfen.«

»Und was habt ihr mit Denis gemacht?«, fragte Mrs. Bradley. Ihr Großneffe war zwölf Jahre alt, und sie fand ihn nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern hatte ihn auch sehr ins Herz geschlossen.

»Er wird wohl wieder Weihnachtslieder auf seiner Oboe üben«, sagte Hugh. »Das ist ein Musikinstrument, ein sogenanntes«, erklärte er als Antwort auf Careys entsetzten Blick. »Das Ding macht Geräusche wie ein zeitgenössischer Dichter, der unter unerträglichen Schmerzen leidet.«

»Zeitgenössische Dichter haben nie Schmerzen«, sagte Mrs. Bradley vorwurfsvoll. »Und auch keine Hemmungen. Aber wer hat Denis denn beigebracht, Oboe zu spielen?«

»Ich glaube, es war Priest, der Kerl, der sich auf Simiths Farm um die Schweine kümmert.«

»Priest kann Oboe spielen?«, fragte Carey. »Gute Güte! Wenn ich Simith wäre, würde ich diesen Kerl sofort feuern! Wobei ich eigentlich hoffe, dass er das nicht tut, weil ich Priest im Moment nicht leicht entbehren kann. Er sitzt für mich Modell, für eine Reihe von Londoner Plakaten, die als Werbung für Landausflüge gedacht sind.«

»Ich finde, er sieht eher aus wie das Mitglied einer Räuberbande«, sagte Hugh. »Aber wenn er tatsächlich ein Musikus ist, dann kann er dir ja vielleicht ein paar Jodel-Tipps geben. Und wo wir gerade beim Jodeln sind – wann bekommt denn Mrs. Bradley endlich eine Tasse Tee und ein bisschen was zu essen?«

»Der Tee müsste mittlerweile fertig sein«, sagte Carey. »Ich habe Mrs. Ditch gebeten, sich bereitzuhalten. Ich werde sie herbeijodeln.«

Er hatte in der Zwischenzeit auf dem Bett Platz genommen, Mrs. Bradley zu sich herabgezogen und sich über ihren Kopf hinweg freundschaftlich mit Hugh unterhalten. Nun holte er tief Luft und jodelte lange und laut. Gleich darauf erschien Mrs. Ditch mit einem schwer beladenen Tablett.

»Fantastisch, Mrs. Ditch!«, sagte Hugh, der nicht zum ersten Mal in diesem Haus zu Besuch war. »Sie denken wirklich an alles!«

»Das tut Master Carey auch, jawohl!«, sagte Mrs. Ditch so leidenschaftlich, dass es fast komisch wirkte – als müsse sie ihn gegen üble Nachrede in Schutz nehmen. »Er war es ja schließlich, der mir aufgetragen hat, den Tee aufzusetzen.«

»Ah, aber ich bin bei Ihnen in die Lehre gegangen, Mrs. Ditch«, sagte Carey. »Sie sind der Engel, der über mein besseres Ich wacht. Aber was haben Sie mit dem jungen Scab gemacht?«

»Master Denis hat ganz allerliebst zum Tanz aufgespielt, und jetzt jagt er in der Gegend umher und spielt Schmuggler. Ich weiß die halbe Zeit nicht, was er treibt, aber er ist ein lieber kleiner Junge!«, sagte Mrs. Ditch. »Und musiziert so wunderschön.«

»Auf seiner Oboe?«, fragte Mrs. Bradley. Sie war fest entschlossen, Hughs womöglich frei erfundenen Behauptungen zu diesem geheimnisvollen Instrument auf den Grund zu gehen.

»Sie meinen doch nicht etwa seine kleine Trommel«, fragte Mrs. Ditch, »und seine kleine Pfeife?«

»Wohl eher nicht«, sagte Mrs. Bradley. »Was ist eine Oboe?«, fragte sie dann mit unterdrückter Stimme ihren Neffen. Carey zuckte mit den Schultern und grinste.

»Er spielt die Violine«, klärte Hugh sie nun auf. »Und gar nicht mal so schlecht, für einen kleinen Jungen.«

»Das will ich meinen!«, sagte Mrs. Ditch. »Aber die anderen machen sich Sorgen wegen Mr. Tombley. Sie sagen, er hätte das Tanzen aufgegeben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum. Er ist ein großartiger Tänzer und schlägt auch herrliche Kapriolen. Er behauptet, sein Onkel mag es nicht, wenn er tanzt, aber das ist doch bestimmt Unsinn!«

»Also, diese Leute, ehrlich«, sagte Hugh, nachdem Mrs. Ditch sich zurückgezogen hatte. Mrs. Bradley trank Tee und aß eine dünne Scheibe Brot mit Butter. Ihr Neffe kaute geräuschvoll ein paar Kekse. Hugh lehnte sich gegen die Tür.

»Ich denke, wir sollten unsere Gesellschaft besser auf Fay, Jenny und dieses Furunkel von Pratt beschränken«, sagte Carey. »Den müssen wir wohl einladen, fürchte ich, denn Fay hat anscheinend tatsächlich beschlossen, das Aufgebot zu bestellen.«

»Hat sie das? Jetzt schon?«, fragte Hugh. »Ich dachte, sie hätte sich in deinen Schweine züchtenden Nachbarn Tombley verguckt.«

»Der, der das Tanzen aufgegeben hat?«, fragte Mrs. Bradley.

»Wir reden vom Morris-Tanz, musst du wissen. Aber ja, genau der. Vielleicht sollten wir ihn auch einladen. Wobei. Das können wir wohl schlecht machen, wegen Pratt. Auch wenn ich nicht ganz begreife, wie du dir eine Frau zur Gemahlin aussuchen konntest, deren Schwester ein solcher Schafskopf ist, dass sie sich mit einem wie Pratt abgibt«, sagte Carey. Hugh grinste.

»Eigentlich kann man nicht wirklich von Schwestern reden. Jenny ist nämlich ein uneheliches Kind«, erklärte er, an Mrs. Bradley gewandt. »Außerdem fürchte ich, dass meine Hochzeit mit ihr noch in weiter Ferne liegt. Erst muss ich genug Geld verdienen.«

»Ich hoffe, du wirst Jenny mögen, Tante Adela«, sagte Carey.

Mrs. Bradley lächelte und kniff ihn ins Knie. »Wie auch immer«, fuhr Hugh fort und wandte sich wieder an Carey. »Du kannst unmöglich alle mit dem Motorradgespann abholen.«

»Das weiß ich doch. Außerdem ist es deine Aufgabe, diese hübsche Fuhre herzubringen. Leih dir Tante Adelas Automobil. Das Ding ist zwar alt, aber es fährt sich noch ganz gut, sonst hätte es den Weg hierher wohl kaum geschafft.«

»Das ist eine gute Idee. Aber George soll fahren, nicht Hugh«, sagte Mrs. Bradley in einem Tonfall, der keine Widerrede duldete. »Wann treffen die jungen Leute denn ein?«

»An Heiligabend. Also übermorgen«, antwortete Carey. »Aber Hugh holt sie erst nach dem Abendessen ab. Und wo wir gerade vom Abendessen sprechen, Hugh, ziehen wir uns nun was Schickes an oder nicht? Tante, wie wirst du es halten?«

»Wir müssen uns schick machen«, sagte Hugh, bevor Mrs. Bradley antworten konnte. »Mrs. Ditch hat einen entsprechenden Befehl erteilt. Als sie erfuhr, dass deine Tante zu Besuch kommt, hat sie zu mir gesagt: ›Wie schön für Sie. Da können Sie Ihren eleganten schwarzen Anzug mit dem weißen Hemd anziehen. Ich denke immer, die Herren sehen so gut aus, in ihrer Abendgarderobe!‹ Finster, findest du nicht?«

»Apropos finster«, sagte Carey. »Der alte Fossder, dein zukünftiger Schwiegervater …«

»Schwiegeronkel«, berichtigte ihn Hugh.

»Entschuldige. Dein zukünftiger Schwiegeronkel hat einen sehr seltsamen Brief bekommen, zusammen mit zweihundert Pfund.«

»O mein Gott. So eine anonyme Schmiererei, meinst du?«

»Nein, nicht ganz. Der Brief war zwar anonym, das stimmt, aber im Innern befanden sich zwei mit Bleistift gezeichnete Wappen. Das eine trug ein Kreuz und das andere ein Gittermuster. Das Ganze kam mit der Post, in einem Umschlag, der in Reading frankiert worden war. Pratt hat mir das erzählt, als ich letzten Sonntag rübergefahren bin, um die Einzelheiten für dieses Weihnachtswochenende zu klären. Er fand die Zeichnungen viel beeindruckender als die zweihundert Pfund.«

»War ja klar, dass Pratt das beeindruckend findet. Ist so was nicht eine Art Steckenpferd von ihm? Früher waren es noch Kreuzworträtsel, jetzt sind es merkwürdige archäologische Funde und Folklore und was nicht sonst noch alles. In Wirklichkeit hat er natürlich überhaupt keine Ahnung, aber er schmökert halt rum und sammelt alle möglichen Informationsfetzen, die er dann unbedingt weitererzählen will«, sagte Hugh. »Nicht mir, aber den Mädels. Er weiß, dass ich mir das nicht gefallen lassen würde!«

»Sicher nicht«, meinte Carey mit einem breiten Grinsen, »wo du doch die Fackel der Wissenschaft hochhältst.«

Mrs. Ditch klopfte an der Tür.

»Hallo?«, fragte Carey.

»Ich wollte Ihnen nur sagen, Ma’am, dass das Wasser jetzt heiß ist, für Ihr Bad, falls Sie eins nehmen wollen, nach Ihrer Fahrt im Automobil.«

»Danke«, sagte Mrs. Bradley. Sie stand auf und wies ihre beiden Knappen zur Tür hinaus. Nachdem die jungen Männer verschwunden waren, traf sie die nötigen Vorbereitungen für ihr Bad. Als sie wenig später Mrs. Ditch den steinernen Flur entlang folgte, blieb diese plötzlich stehen.

»Kommen Sie gefälligst dort heraus, Master Denis! Was stellen Sie bloß als Nächstes an! Und dann noch in Ihren besten Kleidern!«

Mrs. Bradleys Großneffe krabbelte aus einem riesigen Schrank, der in die Wand eingelassen war. Er machte einen etwas zerknitterten, aber sehr entschlossenen Eindruck. Er war ein ernstes, aufrichtiges und intelligentes Kind, und diese Eigenschaften hatten Auswirkungen auf alles, was er tat, zum Guten wie zum Schlechten.

»Immerhin habe ich jetzt bewiesen, dass das hier nirgendwo hinführt«, sagte er. »O, hallo Tante Bradley! Wie geht es George?« Er trat zu ihr und schüttelte ihr feierlich die Hand.

Mrs. Bradley kicherte und stieß ihn in die Rippen. »Hallo! Wie geht es dir denn so?«, fragte sie.

»Ich bin auf Diät«, antwortete Denis. »Ich muss Platz schaffen, damit ich mich an Weihnachten so richtig vollstopfen kann.«

Beim Abendessen drehte sich das Gespräch um Verbrechen.

»Ihr könnt hier in der Gegend unmöglich über Verbrechen Bescheid wissen«, sagte Hugh, als die Diskussion ihren Zenit eigentlich schon überschritten hatte. »Die Dorfbewohner können schließlich jederzeit ein Schwein töten, um Dampf abzulassen. Das macht bestimmt einen großen Unterschied.«

»Tante Bradley«, sagte Denis, wobei er sein Glas schief hielt und den Ingwerwein betrachtete, der sich darin befand. »Würdest du sagen, dass du von Morden verfolgt wirst?«

»Ich hoffe nicht«, antwortete Mrs. Bradley. Sie lachte meckernd und ließ sich von Mrs. Ditch eine zweite Portion gekochten Schinken mit Wintergemüse reichen. Begonnen hatte das Mahl mit Schinkenpastete. Der nächste Gang sollte aus gebratener Blutwurst und Kartoffelpüree bestehen.

»In dieser Gegend gibt es meilenweit nichts als Leute, die Schweine züchten, Schweine essen und über Schweine reden«, sagte Carey. Als Mrs. Bradley nach unten gekommen war, hatte er ihr so schonend wie möglich beigebracht, wie das Menü für diesen Abend und das Frühstück am nächsten Morgen aussehen würde. »Aber am ersten Weihnachtsfeiertag gibt es einen Kapaun und sogar Fisch, wenn du möchtest«, sagte er jetzt. »Wir haben uns überlegt, dass wir morgen mit dem Motorradgespann zum Markt nach Oxford fahren und uns dort einen ganzen Heilbutt oder etwas Ähnliches kaufen, und auch ein paar Garnelen. Wenn wir Garnelen und Oliven und ein oder zwei Sardinen haben, können wir so tun, als wären das unsere Horsd’œuvres.«

»Oder wir nehmen Truthahnleber«, sagte Denis hilfsbereit. Er trank ein wenig Ingwerwein. »Wie auch immer, Tante Bradley, du glaubst aber schon, dass es Leute gibt, die von Morden verfolgt werden, nicht wahr? Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt. Im Grunde genommen habe ich das sogar so gut wie bewiesen.«

»An der Theorie könnte was dran sein, weißt du«, sagte Carey. Er jodelte nach Mrs. Ditch, damit diese den dritten Gang brachte und mitnahm, was vom gekochten Schinken und dem Wintergemüse übrig geblieben war. »Wie wär’s mit einer netten, gruseligen Spukgeschichte, Tante Adela?«

»Oder einem Vortrag über die gefährlichen Geisteskranken, die Ihnen so über den Weg gelaufen sind, Mrs. Bradley?«, sagte Hugh mit einem Grinsen.

»Oder beides!«, sagte Denis mit vollem Mund. Er schluckte den Bissen hinunter und wischte sich das Fett von den Lippen. »Aber noch besser fände ich es, wenn es im Dorf einen echten Mord geben würde. So ein richtig toller Mord«, fuhr er voller Enthusiasmus fort, »damit sich das Weihnachtsfest auch lohnt. Was meinen Sie, Mrs. Ditch?«

»Also ich glaube nicht, dass ich den Kapaun und den Plumpudding mehr genießen würde, wenn es einen Mord gäbe, Master Denis«, sagte Mrs. Ditch, die durch die dunkle Türöffnung getreten war und ein Tablett mit Blutwurst und Kartoffelpüree brachte.

»Aber überlegen Sie doch nur mal, wie spannend das wäre«, hakte Denis nach. »Mit all den Polizisten und der gerichtlichen Untersuchung. Und alle hätten Angst, nachts schlafen zu gehen, weil ja vielleicht der Mörder noch draußen herumschleicht. Ich wette, Sie hätten große Angst, Mrs. Ditch. Ich wette, Sie würden sich in der Speisekammer einschließen.«

»Ja, Master Denis, da könnten Sie recht haben«, antwortete Mrs. Ditch, die sich durch diese Verleumdung nicht aus der Ruhe bringen ließ. Sie tischte Denis eine Portion Kartoffelpüree auf und nahm sein leer getrunkenes Glas an sich.

»He«, sagte Denis. »Ich will noch mehr Ingwerwein.«

»Erst wieder am ersten Weihnachtstag«, widersprach Mrs. Ditch gelassen, aber bestimmt. Sie legte ihm ein kleines Stück Blutwurst auf den Teller und zog sich danach mit dem schmutzigen Geschirr zurück. Denis fing Mrs. Bradleys Blick auf und grinste, während er sich Wasser in ein Glas einschenkte.

»Du glaubst also nicht«, sagte er ein wenig wehmütig, »dass es tatsächlich Leute gibt, die von Morden verfolgt werden? Ich meine, nehmen wir dich zum Beispiel. Würdest du dich nicht als so eine Art Tiefdruckgebiet bezeichnen … du verstehst schon …«

Carey lachte, und nach einer kleinen erstaunten Pause stimmte Hugh in sein Lachen ein. Mrs. Bradley grinste.

»Ich verstehe nicht viel von Tiefdruckgebieten, aber ich würde nur ungern glauben wollen, dass ich, nur weil ich ein Mal …«

»Du meinst doch nicht etwa«, sagte Denis mit großen Augen, »dass du mal jemand ermordet hast?«

»Das ist ja geradezu unheimlich«, sagte Mrs. Bradley zu Hugh. Sie trank einen Schluck Wein und machte sich dann entschlossen über die Blutwurst her. Denis trank Wasser und beäugte sie ehrfürchtig über den Rand seines Glases.

»Könntest du … Wäre es eine zu große Zumutung, wenn du …«, platzte es nach einem Moment aus ihm heraus.

»Nein, ich denke nicht, dass ich das tun werde«, sagte Mrs. Bradley forsch.

»Tut mir leid«, sagte Denis. »Trink doch noch etwas Ingwerwein.«

Ein weiterer Jodler von Carey brachte Mrs. Ditch herbei, mitsamt einem Tablett voll Tipsy Cake, ein wenig Käse und einem Teller mit Marmeladentörtchen.

»Warum gibt es keine Mince Pies?«, fragte Denis und nahm sich ein Törtchen.

»Weil es noch nicht Weihnachten ist, Master Denis«, antwortete Mrs. Ditch, während sie Tipsy Cake auf seinen Teller häufte und gleichzeitig eine Flasche mit Pilz-Ketchup hervorzauberte, die sie neben die Käseplatte auf den Tisch stellte. Dann ging sie erneut in die Küche und kehrte mit einer Flasche Brandy zurück.

»Das ist Schmuggelware, sagt mein Ditch. Kam über diesen alten Packeselpfad, beim Shotover Hill«, verkündete sie. »Um ehrlich zu sein, die Flasche ist so dreckig, dass sie gut und gern aus der Zeit Napoleons stammen könnte.«

»So alt wie Napoleon«, sagte Carey und starrte verzückt das vollkommen verdreckte Gefäß an. »Napoleon-Brandy, Hugh! Mrs. Ditch, holen Sie noch zwei Gläser und bringen Sie Ihren Ditch mit. Obwohl, wahrscheinlich sollten wir uns diese Köstlichkeit besser für Weihnachten aufsparen.«

Ditch, ein gut aussehender Mann mittleren Alters, mit jener mühelos wirkenden, aufrechten Haltung, wie sie für Morris-Tänzer typisch ist, einem riesigen Schnurrbart und einem nachsichtigen Ausdruck in den graublauen Augen, lächelte über den Beifall, den die versammelte Gesellschaft ihm bei seinem Eintreten spendete.

»Die hab ich gefunden«, war alles, mit dem er auf Careys Nachfragen hin herausrückte. »Denke mal, die wurde übersehen, von den Leuten, die ’74 hier ausgezogen sind, und danach hat nie wieder einer einen Gedanken dran verschwendet. War gut versteckt, die Flasche, aber eines Morgens bin ich draufgestoßen. Auf Ihre Gesundheit, gnädige Frau, werte Herren! Und falls Sie vorhaben, an Heiligabend durch Sandford zu fahren, dann schauen Sie bloß weg, wenn die alte Sandford-Kutsche daherkommt!« Er kicherte und stürzte seinen Brandy hinunter.

»Was hat es denn damit auf sich?«, fragte Mrs. Bradley.

»Das ist eine Legende, die man sich hier in der Gegend erzählt – eine Geistergeschichte!«, antwortete Carey. Er schlug seine Beine übereinander und lehnte sich in seinem bequem gepolsterten, in modernem Design gehaltenen Sessel zurück. Nach dem Ende der Mahlzeit hatten sich alle um den Kamin versammelt. »Anscheinend gab es zur Zeit der elisabethanischen Regentschaft in der hiesigen Gegend einen gewissen katholischen Priester namens George Napper, vom Sandfordschen Zweig dieser Familie, der in Oxford hingerichtet wurde. Nach seinem Tod zerhackte man seinen Körper in vier Teile und stellte seine Gliedmaßen an den vier Toren der Stadt zur Schau. Sein Kopf wurde irgendwo in der Stadtmitte ausgestellt – vor dem Christ Church College, glaube ich. Wie auch immer, in der Nacht kamen heimlich seine Verwandten und nahmen den Leichnam an sich. Weil sie aber den Schädel nicht finden konnten, brachten sie ihn kopflos zurück nach Sandford und begruben ihn dort. Seit dieser Zeit fährt George Napper an jedem Weihnachtsabend in einer Kutsche um die Temple Farm in Sandford herum und sucht nach seinem Kopf. Und wer die Kutsche sieht, stirbt innerhalb eines Jahres, jedenfalls erzählt man sich das. Aber ich kenne ein paar bessere Geistergeschichten, wenn ihr Interesse habt. Wobei mir gerade einfällt: Die zweihundert Pfund, die wir alle so spannend finden, gehören zu einer verrückten Wette, die jemand mit dem alten Fossder abgeschlossen hat. Es geht wohl darum, ob er sich traut, den Geist zu suchen.«

»Erbärmlich«, sagte Denis. »Ich kann aus dem Stegreif eine viel bessere Geschichte erfinden. Dieser Geist wird garantiert nicht auftauchen.«

»Die Geschichte kenne ich natürlich, und jedes Mal frage ich mich: Was soll diese Kutsche?«, warf Hugh ein. »Man sollte doch meinen, ein kopfloser Geist, der zu Fuß durch die Gegend marschiert, wäre viel überzeugender. Der alte Fossder hat übrigens vor, die Herausforderung anzunehmen.«

»Das ist doch mal eine Frage«, kam es von Mrs. Bradley. »Ist ein kopfloser Geist in einer Kutsche Furcht einflößender als ein kopfloser Geist, der sich nicht in einer Kutsche befindet?«

»Tatsächlich«, sagte Carey, »hatte ich letztes Jahr fest vor, mir den Geist einmal anzusehen, aber dann regnete es so heftig, dass ich den Gedanken wieder aufgegeben habe und stattdessen ins Bett gegangen bin. Vielleicht hat ja der alte Fossder Glück. Wenn er den Geist sieht, bekommt er immerhin zweihundert Pfund.«

»Nun«, sagte Mrs. Bradley. »Ich jedenfalls würde mich über einen Augenzeugenbericht freuen.«

»Tja, den hättest du von Carey hier ja ohnehin nicht bekommen, nicht wahr?«, bemerkte Denis. »Denn der wäre jetzt tot, wenn er den Geist gesehen hätte.«

»Möglicherweise ja auch nicht. Das eine Jahr ist erst morgen Abend vorüber«, sagte Hugh. Er legte ein paar Esskastanien auf den Gitterrost über dem Feuer. »Da fällt mir ein – wann sollte ich noch mal die Mädels abholen? Ich weiß, dass es nach dem Essen sein sollte, aber wann genau?«, fragte er.

»Ich habe ihnen gesagt, so gegen halb elf, also brauchst du dich nicht zu beeilen. Es ist ein bisschen lästig, dass wir sie schon am Vorabend abholen müssen, aber schließlich können wir sie ja schlecht erst am Weihnachtsmorgen herbringen, und Mr. Fossder besitzt selbst kein Auto. Ich kann mir nicht erklären, warum nicht! Der Mann hat schließlich genug Geld! Weiß George schon Bescheid, dass wir seinen Schönheitsschlaf unterbrechen werden?«, fragte er Mrs. Bradley unvermittelt. »Wir sollten ihn das spätestens morgen früh wissen lassen, denke ich.«

»George macht das nichts aus«, sagte Mrs. Bradley. »Solange nur die Straßen in einem guten Zustand sind.«

»Sie sind jedenfalls nicht schlecht. Ab der Thornhill Farm ist die ganze Strecke eine Hauptstraße. Am besten fahrt ihr durch Headington nach Oxford und dann über die Iffley Road. Das ist besser, als im Dunkeln quer übers Land zu fahren.«

»Tante Bradley«, durchbrach Denis das Schweigen, das sich über die Gesellschaft gelegt hatte, nachdem alle nötigen Arrangements besprochen worden waren. »Möchtest du hören, wie ich Pfeife und Tabor spiele?«

»Was?«, sagte Mrs. Bradley. »Aber man hat mir doch erzählt, du spielst Oboe!«

»Was ist da eigentlich der Unterschied?«, fragte Carey, an Hugh gewandt.

»Keine Ahnung. Aber ich wette, er hat sie beide ausprobiert und sich dann für dasjenige entschieden, das hässlicher klingt«, antwortete Hugh und wich im nächsten Moment geschickt dem Kissen aus, das Denis nach ihm geworfen hatte.

»Bei Pfeife und Tabor«, sagte Denis, »handelt es sich nicht um ein einzelnes Instrument, du Dummkopf. Es sind zwei verschiedene. Ich gehe sie mal holen, ja?«, fragte er und sah Mrs. Bradley an. »Natürlich bin ich nicht besonders gut. Im Allgemeinen gelingt es mir zwar, die Tabor zu schlagen, aber dann vergesse ich, die Pfeife zu blasen. Und wenn die Melodie ein bisschen knifflig ist, konzentriere ich mich auf die Pfeife und lasse die Trommel weg.«

»Also gut. Dann geh sie mal holen«, sagte Carey.

»Aber ihr müsst alle weggucken oder die Augen zumachen«, sagte Denis. »Ich möchte nicht, dass irgendjemand weiß, wo ich sie aufbewahre.«

In seiner Stimme lag etwas, das Carey dazu veranlasste, ihm einen scharfen Blick zuzuwerfen.

»Ein Geheimversteck in meinem Haus?«, fragte er spöttisch. Denis grinste.

»Ich nehme an, ich sollte es dir wohl zeigen, aber ich habe es ganz allein entdeckt«, sagte er. »Niemand hat mir davon erzählt. Ich wusste nicht mal, dass es hier so etwas überhaupt gibt. In einer Nacht, als alle schon im Bett waren, habe ich hier im Wohnzimmer die gesamte Wandvertäfelung abgeklopft. Ich hatte ganz schön Angst, das kann ich euch sagen, als ich mitten in der Nacht so ganz allein hier unten war. Das war ziemlich unheimlich. Es gab merkwürdige Geräusche, und zwar nicht von Ratten, so Geräusche, die man sich nicht erklären kann. Ich hatte nur eine einzige Kerze, und da waren überall diese dunklen Schatten, und ein scheußlicher Wind hat durch den Kamin gepfiffen. Als ich dann tatsächlich einen Hohlraum gefunden habe, war ich mächtig erleichtert. Hineingeschaut habe ich aber erst am nächsten Morgen. Es ist wahrscheinlich eins von diesen Priesterverstecken. Also gut, ich zeig’s dir«, fuhr er großzügig fort. »Schließlich ist es ja dein Haus.«

Es war durchaus möglich, dass es sich tatsächlich einmal um ein Priesterversteck gehandelt hatte. Auf jeden Fall war es eine Geheimkammer, deren Belüftungsschacht von außen nicht zu sehen war, da er von dicht wucherndem Efeu verdeckt war, wie sie bei ihren Nachforschungen feststellten.

»Den lasse ich wegschneiden«, sagte Carey, hocherfreut darüber, dass sein Haus ein Geheimversteck hatte. »Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, Scab. Wenn es mal Stress gibt, kann ich mich dort vor Mrs. Ditch und ihren mütterlichen Instinkten verstecken. Gut gemacht! Das nenne ich mal eine schicke kleine Kammer, und sie entspricht durchaus den Anforderungen, die man üblicherweise an ein solches Versteck stellt.«

»Ich bin fast sicher, dass es noch einen anderen Ausgang gibt. Bisher habe ich ihn aber nicht gefunden«, sagte Denis. Er nahm Pfeife und Tabor zur Hand und begann nach einem kurzen, einleitenden Geplänkel eine kecke kleine Melodie zu spielen.

»Du wirst damit noch Ditch anlocken«, sagte Carey. »Und dann wird er uns einen Morris-Tanz darbieten wollen. Pass bloß auf, dass du nur nette Sachen zu ihm sagst«, fügte er an Mrs. Bradley gewandt hinzu. »Ditch stammt aus Headington und kennt all diese Tänze in- und auswendig. Wir werden es nicht zu einem Sechser bringen, weil Tombley und Bob Ditch nicht hier sind, um uns den Gefallen zu tun, aber er hat mir ein bisschen was beigebracht, und Hugh kennt zwar die Sprünge nicht, aber er kann zumindest die richtigen Schritte gehen. Und da kommt er auch schon! Hab ich’s mir doch gedacht!«

Aber es war Mrs. Ditch, die das Zimmer betrat. Sie hatte einen großen Milchkrug dabei, der mit Glühwein gefüllt war.

»Ein Schluck aus dem Pokal, Ma’am?«, fragte sie. Mrs. Bradley nahm den Krug entgegen, trank und ließ ihn dann die Runde machen. »Und jetzt, falls Sie mögen, wird mein Ditch für Sie tanzen«, sagte Mrs. Ditch. »Wenn Master Denis so nett ist und ihm aufspielt.«

»Ich hole meine Geige, mit der komme ich besser zurecht«, sagte Denis. Er wollte zusammen mit Mrs. Ditch den Raum verlassen, doch als sie bereits die Tür erreicht hatten, fragte Carey plötzlich: »Was war das für eine Melodie, die Denis da gerade gespielt hat?«

»Die? Die heißt Constant Billy, Master Carey. Ich kann das Lied für Sie singen, wenn Sie mögen. Auch wenn ich für das Singen mittlerweile ein bisschen zu alt bin, fürchte ich.«

»Bitte, singen Sie«, sagte Mrs. Bradley. Also legte Mrs. Ditch die Hand auf Denis’ Schulter und begann mit einer dünnen, ungeschulten, aber durchaus melodischen Stimme die in Headington geläufige Variante des Liedes zu singen:

»O mein treuer Billy,

Kann ich mit dir gehen?

O, wann werde ich

Meinen Billy wiedersehen?«

»Das ist ja aus der Bettleroper«, sagte Hugh. »Mit anderem Text natürlich. Ich wusste doch, dass ich das irgendwo schon mal gehört hatte. Singen Sie es noch einmal, bitte, Mrs. Ditch.«

Als die Morris-Tänzer sich wenig später aufstellten, trugen sie nicht ihre üblichen Pfingstkostüme.

»Unsere weißen Sachen sind alle weggepackt, von Mutter Ditch hier«, erklärte Mr. Ditch. Immerhin trugen sie die zum Kostüm gehörenden Gürtel um die Taille und hatten sich zwischen Knien und Fußknöcheln die Manschetten umgebunden, an denen die Schellen angebracht waren. Die Manschetten waren aus weichem Leder gefertigt und in der Mitte von oben bis unten eingeschnitten, damit die Schellen besser hin- und herschwingen konnten. An den Füßen trugen die Männer Kricketschuhe und in den Händen hielten sie ihre Taschentücher und Morris-Stöcke. Denis stellte sich in der Nähe der Tür auf. Doch zunächst legten die Männer ihre Taschentücher und Stöcke auf den Boden und halfen dabei, die Mitte des Zimmers frei zu räumen. Danach nahmen Carey und Hugh die mittlere Position ein, einander gegenüber, und der junge Walt flüsterte Hugh zu: »Folgen Sie nur meinem Vater. Ich schiebe Sie dann schon einfach durch. Sie können auch einfach nur gehen, statt zu springen, dann bringen Sie uns andere nicht raus. Was meinst du, Vater? Wie wär’s mit dem Blue-Eyed Stranger?«, fügte er mit lauter Stimme hinzu. Also hoben sie alle ihre riesigen Taschentücher auf, hielten sie, wie es sich für Männer aus Headington gehörte, an den vier Ecken fest, und Denis begann, die Melodie zu spielen.

»Man darf das Stampfen der Füße eigentlich gar nicht hören, jedenfalls nicht richtig«, flüsterte Mrs. Ditch Mrs. Bradley zu. »Normalerweise tanzt man nämlich auf Gras, wissen Sie, an Pfingsten, und denken Sie immer daran, wenn Sie so einen Tanz sehen, dass Sie eigentlich gar nicht wissen dürfen, wer da tanzt! Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich denke schon«, antwortete Mrs. Bradley, die früher bereits ein paarmal Zeugin derartiger ritueller Tänze gewesen war.

»Wir haben den Eberkopf ausgepackt, wie Sie es uns aufgetragen haben, Ma’am«, sagte Ditch, als der Tanz vorüber war und die Tänzer sich eine Erfrischung gönnten. »Und er sieht wirklich ganz prächtig aus, nicht wahr, Walt?«

»O ja, in der Tat«, antwortete Walt mit einem Nicken.

»Trotzdem habe ich da wohl Eulen nach Athen getragen, fürchte ich«, sagte Mrs. Bradley und erinnerte sich mit Schaudern an die so reichlich kredenzte Blutwurst.

Zweites Kapitel

Hoch das Bein auf dem Alten Hof

»Was meinst du, Tante Adela, könntest du dich für Schweine begeistern?«, fragte Carey am nächsten Morgen. »Was ich damit sagen will – du hast Hugh lauter eklige Geschichten über deine Zeit als Medizinstudentin erzählt, du hast den musikalischen Darbietungen des kleinen Scab auf den verschiedensten Instrumenten gelauscht, du hast Ditch tanzen gesehen und Mrs. Ditch singen gehört. Aber wo bleibe ich?«

»Zeig ihr Sabrina«, sagte Hugh. »Sabrina ist mein Lieblingsschwein«, fügte er an Mrs. Bradley gewandt hinzu. »Sie ist die einzige ihrer Rasse, die mich bei der zweiten Begegnung auf Anhieb wiedererkannt hat. Sie hat zornig losgebrüllt und bei ihren frenetischen Anstrengungen, mich zu zerfleischen, fast die Wände ihres Kobens umgerissen. Ich kann mir nicht erklären, warum sie derart heftig Anstoß an mir nimmt, aber so ist es nun mal. Das einzige andere weibliche Wesen, das jemals auch nur die geringste Abneigung gegen mich empfunden hat, war die selige Gräfin von Serren. Ich habe mich bei einer Preisverleihung in der Schule auf ihren Schuh erbrochen. Das lag zwar einzig und allein an meiner Nervosität, aber es kam dennoch nicht besonders gut an.«

Er begleitete Mrs. Bradley zu den Schweineställen. Carey blieb zurück. Er wollte sich kurz mit Ditch besprechen, der eben ins Haus gekommen war, um sich die Anweisungen für den heutigen Tag zu holen.

»Schauen wir uns doch zuerst mal das Masthaus an«, schlug Hugh vor, während sie den Vorplatz überquerten. »Wir können so tun, als wären wir im Zoo, falls es das irgendwie leichter macht. Ich nehme an, Carey wäre verletzt, wenn Sie nicht alles gründlich besichtigen.«

Das Masthaus unterschied sich tatsächlich nicht wesentlich von den Ställen im Zoologischen Garten. Im Innern des Gebäudes war es warm, und es gab einen großen Mittelgang, von dem zahlreiche Koben abgingen. Die weißen Schweine, die sich darin befanden, drängten sich, als sie das willkommene Geräusch von Schritten hörten – es war fast Fütterungszeit –, schnuppernd und quiekend gegen die vorderen Bretter der Verschläge.

An der Rückseite der Koben verliefen Rinnen, die das Ausmisten erleichtern sollten. In die beiden langgestreckten Außenmauern waren zahlreiche Fenster eingefügt, deren untere Hälften feststehend waren, während die oberen jeweils in ein ellbogenförmiges Belüftungsrohr mündeten. Dadurch war der Zustrom von Frischluft gewährleistet, ohne dass ein Durchzug entstand.

»Sie müssen das alles gebührend bewundern«, sagte Hugh, während er sie langsam den Mittelgang entlangführte. Wann immer sie stehen blieb, um die Schweine zu betrachten, wartete er höflich. »Ich musste da auch durch, und ich werde Sie nicht so leicht davonkommen lassen.«

»Aber ich bewundere das alles doch wirklich!«, protestierte Mrs. Bradley. »Carey hat Freude daran, Schweine zu züchten, und es gibt auf dieser Welt viel zu wenig Menschen, die Freude an dem haben, was sie tun.« Erneut blieb sie stehen und beobachtete mit wohlwollendem, ehrlichem Interesse ein paar halb ausgewachsene Mastschweine, die glaubten, gleich gefüttert zu werden. Als Carey sich schließlich zu ihr gesellte, schlenderte Hugh gemächlich davon, doch kaum hatte er den Schweinestall verlassen, eilte er auf dem direktesten Weg zum Haus zurück. Carey lachte.

»Der arme Hugh hasst diese Schweine, daran besteht kein Zweifel. Da geht er, um sich wieder in sein Buch über den Thunfischfang zu vertiefen. Er hat recht seltsame Hobbys für einen Bibliothekar. Er liebt es zu töten, weißt du. Komm mal hier lang und schau dir Buttercup an. Sie ist nicht meine beste Zuchtsau, sie hat nämlich ärgerlicherweise nur zehn Zitzen, aber wenn man sie so anschaut, ist sie doch ein recht ansehnliches Exemplar. Sie ist das Ergebnis einer Kreuzung eines reinrassigen großen weißen Ebers mit einer Essex-Sau. Sie braucht nie lange, um ihr Futter zu finden, und scheint eine gutmütige, ausgeglichene junge Dame zu sein. Also sollte sie eigentlich trotz ihrer Mängel eine gute Mutter abgeben. Falls sie einen großen Wurf Ferkel bekommt, werde ich wohl das kleinste davon und vielleicht auch noch ein oder zwei weitere von Hand aufziehen. Es macht Spaß, kleine Ferkel zu füttern. Sie sind viel vergnügter als Hundewelpen. Aber auch ziemlich gierige Satansbraten. Kampflustig noch dazu. Simith, mein Nachbar, hat einen großen Weißen mit einer Berkshire-Sau gekreuzt und dabei recht gute Resultate erzielt. Man muss sehr vorsichtig sein, bei der Wahl der Zuchtschweine. Schwarze Schweine sind nicht besonders beliebt als Nahrungsquelle. Ich würde dir Simiths Farm gerne mal zeigen. Er schwört auf ein System, bei dem die Schweine meistens an der frischen Luft sind, aber Tombley, sein Neffe, versucht andauernd, ihn dazu zu bringen, zur skandinavischen Methode zu wechseln, so wie ich das getan habe. Sie streiten sich deswegen wie die Teufel. Das ist so grotesk, dass man da eigentlich nur drüber lachen kann.« Er führte sie nach draußen, und sie gingen zu dem zweiten, etwas größeren Schweinestall hinüber.

»Ich bin den beiden bereits begegnet«, sagte Mrs. Bradley. Sie beschrieb das kleine Abenteuer, das sie auf der Herfahrt erlebt hatten. »Ja, lass sie uns besuchen gehen, Kind. Ich würde sie sehr gern wiedersehen – und natürlich auch ihre Farm besichtigen«, fügte sie hastig hinzu. Carey warf ihr einen schiefen Blick zu.

»Versuch erst gar nicht, dich zu entschuldigen«, sagte er. »Hast du Simith also zu einem deiner Musterexemplare auserkoren, meine Liebe?«

»Nein, eher Tombley, denke ich«, antwortete Mrs. Bradley lachend.

»Der ist ein ziemlicher Flegel«, sagte Carey mit gerunzelter Stirn. »Der alte Simith ist ganz in Ordnung, würde ich sagen. Er ist durch und durch ein Mann vom Land, trotz all seines Geldes, aber Tombley ist eine komische Mischung. Simith stammt aus Bampton, weißt du, vom anderen Ende der Grafschaft, und lebt noch gar nicht so lange hier. Die Leute mögen ihn nicht besonders. Vermutlich aufgrund von Vorurteilen. Andererseits ist mir zu Ohren gekommen, dass der alte Kerl angeblich manchmal eine Art Recht der ersten Nacht bei den Töchtern seiner Pächter geltend macht. So was kommt natürlich gar nicht gut an. Wir sind sehr moralische Leute hier in Stanton St John. Ich habe mich oft gefragt, warum Mrs. Ditch damit einverstanden ist, dass ihre Linda dort arbeitet, aber natürlich kann Linda heimkommen, wann immer sie will, und Mrs. Ditch führt als Mutter eine ziemliche Schreckensherrschaft, auch wenn man das nicht meinen sollte. Die stehen alle unter ihrer Fuchtel, und das nicht zu knapp. Hier, das ist Buttercup.« Er lehnte sich vor und gab der Sau einen Klaps. Mrs. Bradley stand daneben und bemühte sich, eine bewundernde Haltung einzunehmen. »Und das hier ist mein Liebling: Clytie.« Er blieb vor dem Koben einer sehr großen Sau stehen und rief sie zu sich. Sie quiekte vor Freude, kam schwerfällig herbeigelaufen, stemmte die Vorderfüße gegen die Holzbalken ihres Kobens, riss den Rachen auf und schien ihn anzugrinsen. Carey tätschelte ihren Nacken, kitzelte sie an der Schnauze und zog sanft an ihren großen Ohren. Währenddessen redete er die ganze Zeit auf sie ein.

»Aber wie kannst du es denn da ertragen, sie zu töten?«, fragte Mrs. Bradley. Die Sau schien eine so überbordende Liebe zu empfinden, dass ihr der Geifer in großen Schwallen aus der Schnauze tropfte. Es war rührend und eklig zugleich, faszinierend und abstoßend, zu sehen, wie sehr sie an Carey hing, und ihr vorwurfsvolles Quieken zu hören, als er fortging.

»Ich schlachte meine Säue nicht«, sagte Carey. »Es sei denn, sie sind krank. Die Tiere sterben verwöhnt und verzärtelt an Altersschwäche. Das ist natürlich sentimental und außerdem noch äußerst schlecht fürs Geschäft. Bei meinen Schlacht- und Mastschweinen ist das anders, da achte ich sorgfältig darauf, niemals Freundschaft mit ihnen zu schließen. Und jetzt komm und schau dir Tom an.«

»Ich dachte immer, dass Eber und Säue – oder genauer gesagt alle Zuchttiere, inklusive Hunde und Katzen – irgendwelche wohlklingenden, hochtrabenden Namen hätten, so etwas wie Blue China Charles II. of Bloomsbury«, sagte Mrs. Bradley, während sie ihrem Neffen zu dem Koben folgte, in dem der Eber untergebracht war.

»Das tun sie auch. Aber wenn wir unter uns sind, kürzen wir das Ganze ein bisschen ab. Darf ich vorstellen: Christchurch Tom of Stanton. Und die Sau, die du eben kennengelernt hast, heißt Brockenhurst Clytemnestra IV.«

»Und ist Tom sehr wild?«, fragte Mrs. Bradley, während sie den Eber betrachtete.

»O nein, kein bisschen, außer bei Fremden. Sieh nur.« Er öffnete das Gatter und trat ein. Tom wich zurück, stellte sich mit dem Rücken zum Zaun und scharrte mit den Füßen. »Komm schon, du alter Narr«, sagte Carey. Der Eber kam langsam auf ihn zu, mit solch zierlichen Schritten, als wollte er ein Menuett tanzen, doch als er nur noch etwa einen Meter von Carey entfernt war, stürzte er plötzlich wie entfesselt auf ihn los. Carey sprang zur Seite wie ein spanischer Stierkämpfer, gab dem Eber einen klatschenden Schlag auf die Hinterkeulen und stellte sich ihm dann erneut entgegen. Der Vorgang wiederholte sich drei Mal. Dann wurde der Eber friedlich, wandte sich ab und trottete davon. Carey folgte ihm, packte seinen Kopf und zeigte Mrs. Bradley seine Hauer. Anschließend schritt er seelenruhig aus dem Koben hinaus, schloss das Gatter hinter sich und wischte sich die Hände an der Hose ab.

»Ich würde eigentlich nicht unbedingt behaupten wollen, dass er nicht wild ist«, lautete Mrs. Bradleys Kommentar.

»Er spielt nur. Das mag er. Aber er ist natürlich auch ein ziemlicher Grobian. Wenn ich für einen Kampf trainiere, gehe ich jeden Tag für zehn Minuten in seinen Koben. Das schärft die Augen, und man wird flink auf den Beinen – beides sehr nützliche Eigenschaften im Boxring. Aber du musst dir unbedingt noch Hereward anschauen. Er hat seinen eigenen, separaten Stall, draußen im Hof. Wir kommen auf dem Rückweg zum Haus daran vorbei. Er hat mehr Ähnlichkeit mit einem Hund als mit einem Eber. Mit dem kommt wirklich jeder zurecht, meine ich. Er ist noch ziemlich jung. Ich habe ihn selbst großgezogen, seit seiner Geburt. Ein wirklich entzückendes Kerlchen. Erst zwei Jahre alt.«

»Kommt, ihr zwei, es ist schon Viertel vor eins«, sagte Hugh, der auf der Suche nach ihnen in den Schweinestall gekommen war.

Also gingen sie wieder ins Haus, ohne Abstecher zu Herewards Stall, und setzten sich zu den anderen an den Esstisch. Mrs. Ditch trat mit einem Rinderbraten in Erscheinung.

»Du liebe Güte, Mrs. Ditch!«, rief Hugh und betrachtete den Braten voll verzückter Überraschung. »Das ist ja Häresie!«

»Nein, einen Herrn Esi kenne ich nicht«, antwortete Mrs. Ditch. »Aber das mit dem Rinderbraten hier, das war ein großer Zufall: Mr. Dellock kam mit Weihnachtsgrüßen vorbei, und ich habe meinem Ditch gesagt, er soll mit dem Mistkarren rüberfahren und etwas Nettes zum Essen mit zurückbringen. So kam es dazu. Aber was das jetzt mit diesem Herrn Esi zu tun haben soll, das ist mir ein Rätsel.«