Gelassene Eltern – glückliche Geschwister - Laura Markham - E-Book

Gelassene Eltern – glückliche Geschwister E-Book

Laura Markham

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Laura Markham hat durch ihre Klassiker "Gelassene Eltern – Zufriedene Kinder" weltweit Anerkennung und Zuspruch dankbarer und begeisterter Eltern bekommen. Hier wendet sie sich dem Verhältnis zwischen Geschwistern zu. Alle Eltern mehrerer Kinder wissen, welche Herausforderung es ist, zwischen Geschwistern Ausgleich, Gemeinschaftlichkeit und Harmonie zu wahren und zu fördern: Jede hinzukommende kleine Persönlichkeit kann den Alltag von Geschwistern erneut in ein Getümmel aus Konkurrenz, Konflikt, Missverständnissen und Befindlichkeiten verwandeln. Doch Frieden stiften, erhalten und Konflikten vorbeugen ist möglich. Laura Markham gelingt es mit ihrem direkten, einfühlsamen und fundierten Ansatz überzeugend, Familien Wege hin zu tiefer menschlicher Verbindung zwischen Eltern, ihren Kindern und den Geschwistern untereinander aufzuzeigen. Stimmen zum Buch: "Öffnen Sie dieses Buch und Sie finden klare Aussagen, klugen Rat, nützliche Hinweise und eine riesige Extraportion Respekt gegenüber Eltern und Kindern." Patty Wipfler, Gründerin von Hand in Hand Parenting

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Seitenzahl: 513

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Laura Markham

Gelassene Eltern – glückliche Geschwister

Wie man das Streiten beendet und Geschwister Freunde fürs Leben werden

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Nicole Celik

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel: PEACEFUL PARENT, HAPPY SIBLINGS bei Perigee, einem Imprint von Penguin Random House LLC, New York, USA.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2021

Copyright der deutschen Ausgabe © 2021 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Copyright der Originalausgabe © 2015 by Dr. Laura Markham

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Perigee, an imprint of Penguin Publish­ing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Lektorat: Georg Grässlin

Titelfoto: © Patty Brito/unsplash.com

Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen.de

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-325-9

Wenn Sie ein Kind haben, sind Sie Eltern. Wenn Sie zwei Kinder haben, sind Sie der Schiedsrichter.

David Frost

Bevor Sie Ihren Kindern beibringen können, wie man zuhört, Probleme erkennt, Gefühle ausdrückt, Lösungen findet und eine gemeinsame Ebene erarbeitet, müssen Sie diese Fähigkeiten zur Bewältigung von Problemen erst selbst erlernen.

Laura Davis und Janis Keyser, Becoming the Parent you want to be

Du meinst, das Baby könnte ein Junge werden? Aber ich bin dein Junge. Ich glaube, es ist okay … Wir können ihn immer wieder zurückgeben, richtig?

Sohn der Autorin, 3 Jahre alt

Inhalt

Einleitung

TEIL I Grundlagen der gelassenen Elternschaft

1 Wie man zu entspannten Eltern wird

2 Wie gelassene Disziplin die Geschwisterbeziehung unterstützt

3 Ursachen von Geschwisterrivalität – und wie Eltern es besser machen können

Teil II Frieden lehren

4 Kinder so coachen, dass sie Gefühle ausdrücken und lösen können

5 Wenn Probleme nicht gelöst werden können: Anleiten, wie man Konflikte beilegt

6 Warum können sie nicht einfach teilen? Warum Kinder sich um Besitz streiten

7 Den Wettbewerb erleichtern

8 Mittel, um Rivalität vorzubeugen und Bindung zu fördern

Teil III Bevor das neue Baby kommt und im ersten Jahr

9 Bevor das Baby zur Welt kommt: eine herzliche Begrüßung möglich machen

10 Einen guten Start erwischen: Die Geburt und die ersten Monate danach

11 Eine sichere Basis schaffen, wenn das Kind zu krabbeln beginnt

Schlussbemerkung: Entscheiden Sie sich für die Liebe

Danksagungen

Literaturhinweise

Über die Autorin

Einleitung

Auf die Reaktion meines Sohnes, als seine kleine Schwester zur Welt kam, war ich in keiner Weise vorbereitet. Er war damals vier und hatte bis dato nur ein paar wenige Wutanfälle in seinem Leben gehabt. Doch als das Baby da war, geriet er in Panik. Er war anhänglich, wütend, verängstigt. Ich bin zwar eine ausgebildete Psychologin, aber ich wusste mir nicht zu helfen.

Wie auch ich freuen sich viele Eltern auf das Staunen im Gesicht des älteren Kindes, wenn er oder sie zum ersten Mal das Neugeborene zu Gesicht bekommt. Wir stellen uns vor, wie der große Bruder lustige Grimassen schneidet und das Baby dabei lacht. Verletzt sich ein Kind, eilt das andere herbei und lässt ihm die gleiche Zuwendung zuteil werden, die es von uns bekommen hat, und gibt dem Geschwisterchen eine Umarmung oder ein Deckchen. Mit der Zeit weicht das Spielen mit dem Wassersprenger dem Fahrradfahren und Zelten, danach folgen Diskussionen darüber, wer das Auto am Samstagabend bekommt, und man tröstet sich gegenseitig bei verlorenen Spielen und gebrochenen Herzen. Nach der Schule sind die Geschwister vielleicht unterschiedliche Wege gegangen, doch dieses Band begleitet sie durch die Höhen und Tiefen des Erwachsenenlebens. Wir möchten glauben, dass wir unseren Kindern ein unbezahlbares Geschenk geben: einen Freund fürs Leben.

Aber irgendwann im Laufe des ersten Jahres – vielleicht schon bevor das Kind zur Welt gekommen ist – erkennen die meisten Eltern, dass vieles nicht so einfach sein wird, wie mir zum Beispiel Familien erzählen, die ich berate:

»Sie liebt ihren Bruder … Ehrlich gesagt umarmt sie ihn so fest, dass es uns Angst macht … Ihre Hände scheinen am Ende irgendwie immer am Hals zu landen.«»Ich kann noch nicht mal sicher Auto fahren, weil sie einfach nicht die Hände voneinander lassen können.«»Als ich aus der Dusche kam und sah, dass er auf seinen neun Monate alten Bruder gepinkelt hat, stieß ich an meine Grenzen.«

Es führt kein Weg dran vorbei, Geschwisterrivalität gibt es auf der ganzen Welt. Denn letzten Endes ist jeder Mensch genetisch so programmiert, dass er die Ressourcen verteidigt, die ihm das Überleben sichern. Ihre Kinder sind darauf angewiesen und kämpfen um das, was in der Tat wertvolle Ressourcen sind: Ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Auch wenn genügend Liebe vorhanden ist, die Impulskontrolle ist bei jungen Menschen noch nicht sehr weit entwickelt, sodass sie gezwungen sind, in Konflikte zu geraten. Schließlich färbt das Temperament jede Beziehung. Kinder, die dazu neigen, schwierig zu sein, werden noch schwieriger, wenn sie einen Bruder oder eine Schwester bekommen – und einige Geschwister rasseln einfach aneinander.

Bedauerlicherweise wissen viele Eltern nicht, wie sie den Kindern helfen können, mit diesen starken Emotionen umzugehen. Somit können verletzte Gefühle zu Aggressionen führen und wie beim Domino­effekt negative Verhaltensmuster in Bezug auf den Umgang mit anderen ­Menschen zur Folge haben. Diese starken Gefühle können in einer Beziehung unter Geschwistern in der Teenagerzeit bestimmend sein und sogar während eines ganzen Lebens in schwierigen Momenten der Familie immer wieder auftauchen.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. In der Geschwisterbeziehung werden die rauen Kanten unserer frühen Selbstbezogenheit geglättet und wir lernen, unsere schwierigsten Emotionen zu bewältigen. Geschwister werden oftmals gute FreundInnen, und da sie sich so gut kennen, sind sie in der Lage, sich gegenseitig ein tiefes Gefühl von Geborgenheit zu geben. Auch Geschwister, die sich viel streiten, entwickeln für gewöhnlich tatsächlich Respekt füreinander und kommen schlussendlich miteinander aus. Wenn sie erwachsen sind, fühlen viele Geschwister eine tiefe Verbundenheit zu den einzigen Menschen, die verstehen können, wie es war, in ihrem Zuhause aufzuwachsen.

Und jetzt kommt die Beste aller Nachrichten: Eltern können bei der Gestaltung der Geschwisterbeziehung enorm viel bewegen. Eifersucht unter Geschwistern lässt sich nicht vermeiden, aber es ist fast immer möglich, den Kindern dabei zu helfen, eine starke, positive Bindung zu entwickeln, die die natürliche Eifersucht übertrumpft. Es ist nicht immer leicht, Geschwister so zu erziehen, dass sie sich gegenseitig schätzen und Freunde fürs Leben werden – aber engagierte Eltern können den Unterschied ausmachen. Um Ihnen zu zeigen, wie das geht, habe ich dieses Buch geschrieben.

Nach der Geburt meines zweiten Kindes hatte ich viel Mühe, und das einzige Buch über Geschwisterkinder, das ich finden konnte, war Hilfe, meine Kinder streiten: Ratschläge für erschöpfte Eltern von Adele Faber und Elaine Mazlish. Es lag jahrelang auf meinem Nachttisch. Eltern von schulpflichtigen Kindern, die Schwierigkeiten miteinander haben, empfehle ich zuerst noch immer dieses Buch. Doch als Mutter mit einem Säugling und einem Kleinkind sah ich mich tagtäglich mit Herausforderungen konfrontiert, nämlich wie z. B. beschäftige ich meinen Sohn, während ich seine Schwester stille, wie helfe ich ihm dabei, zu lernen, behutsam mit seiner Schwester umzugehen, wenn er sie übereifrig umarmt. Oder wie gehe ich damit um, wenn sie anfängt zu krabbeln und hinter seinen Spielsachen her ist. Zu Beginn unserer jungen Familie gab es permanent Herausforderungen. Ich wünschte mir konkrete Strategien, um diese Herausforderungen in Nähe zwischen meinen Kindern umzuwandeln. Ich hatte genügend Studien gelesen, um zu wissen, dass die Grundlage der Beziehung meiner Kinder in den ersten ein bis zwei Jahren geschaffen wurde. Aber ich fand keine Anleitung hierfür.

Im Laufe der Jahre machte ich meinen Doktor in Klinischer Psychologie an der Columbia University (USA) und rief die Webseite Aha­Parenting.com ins Leben. Bei meiner Arbeit als Coach für Kindererziehung erhielt ich Einblick in Zehntausende Familien und konnte so direkt erleben, was Familien bei ihren Schwierigkeiten half und was nicht. Ich baute auf dem von Faber und Mazlish und ihrem Mentor, Haim Ginott, einer der Urväter der heutigen Positive-Parenting-Bewegung, geförderten empathischen Modell auf, um neue Erkenntnisse aus der Forschung zu Emotionen, Bindung und Gehirnentwicklung zu integrieren (siehe Danksagungen).

Durch die Beobachtung der Dynamik in den Familien, mit denen ich arbeitete, und die Kombination mit meiner eigenen Achtsamkeitspraxis verstand ich, wie Eltern die Führung übernehmen können, um die Strukturen in ihren Familien zu ändern, indem sie nämlich nicht ihre Kinder kontrollieren, sondern ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungen ändern. Mir ist klar geworden, dass Kindererziehung sehr viel leichter wird, wenn wir als Eltern drei sehr schwierige Dinge leisten können:

Die eigenen Emotionen regulierenIn Kontakt mit unserem Kind bleiben, auch wenn wir Grenzen setzen oder das Kind verärgert ist.Coachen statt Kontrollieren, indem emotionale Intelligenz gefördert wird, empathische Grenzen gesetzt werden, anstatt zu bestrafen, und Beherrschung unterstützt wird.

Diese drei Konzepte werden die Beziehung zu Ihren Kindern dahingehend verändern, dass sie glücklicher, emotional glücklicher und kooperativer sind – und Sie werden ruhiger und erfüllter als Eltern sein. Die Konzepte sind in meinem ersten Buch Gelassene Eltern – zufriedene Kinder: Wie Sie liebevoll bleiben, statt zu schreien, zu schimpfen oder zu drohen umfassend erklärt. Für mich sind diese Konzepte der Schlüssel glücklicher Elternschaft. Da sie die Grundlage sind, um glückliche Kinder zu erziehen, sind sie auch für eine glückliche Geschwisterbeziehung essenziell, wie es eine Leserin von mir beschreibt:

Seitdem ich Ihre drei wesentlichen Konzepte (Selbstregulierung, Verbindung, Coaching) anwende, verstehen sich meine Kinder im Alter von sechs, fünf und drei Jahren nun viel besser. Da sich jeder von ihnen stärker mit mir verbunden fühlt, scheinen sie weniger Angst in sich zu tragen und haben somit nicht mehr das Bedürfnis, dieses Gefühl auszuleben und sich mit ihren Geschwistern zu streiten.

Anna

Auch wenn diese Konzepte Veränderungen in der Familie bewirken können, stellen mir viele Eltern noch genau die Fragen, mit denen ich zu kämpfen hatte, als meine Kinder klein waren. Wie können sie:

kleinen Kindern dabei helfen, die Fähigkeiten zu entwickeln, um ihre Bedürfnisse ausdrücken und für sich einstehen zu können – und auch ihren Geschwistern zuzuhören?zwei oder sogar drei kleinen Kindern gleichzeitig dabei helfen, starke Emotionen zu verarbeiten?eine Familienkultur gestalten, die auf Kooperation und Unterstützung basiert und Geschwisterliebe die Chance gibt, letztlich über Geschwisterrivalität zu siegen?

Glücklicherweise gibt es Lösungen, die wirklich helfen. Jede Familie hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. Aber es gibt belegte, forschungsgestützte Methoden, wie Sie dafür sorgen können, dass Ihre Kinder von Beginn eine gute Beziehung zueinander aufbauen und auf dem Weg zu einer erfüllenden Beziehung sind. Auch wenn Kinder vom Temperament her nicht gut zusammenpassen oder extrem konkurrenzfähig sind, gibt es Strategien, wie man Geschwisterrivalität minimieren und eine positive Bindung maximieren kann. Nicht alle Geschwister können beste Freunde sein, aber sie können alle lernen, sich zu respektieren und ihre Gegensätze zu würdigen. Dieses Buch beschreibt diese Strategien im Detail und gibt Ihnen Schritt-für-Schritt-Anleitungen, mit denen Sie die Beziehung Ihrer Kinder untereinander verändern können.

Wie Sie mit Sicherheit bereits festgestellt haben werden, lernen Kinder nicht, mit ihren Gefühlen umzugehen, ihre Bedürfnisse zu kommunizieren oder ihre Streitigkeiten zu lösen, wenn man ihnen einfach befiehlt, »sich zu vertragen«. Ein friedliches Miteinander entsteht nicht dadurch, dass man Konflikte unter den Teppich kehrt. Sie tauchen unweigerlich und unvermittelt wieder auf, und das meistens, wenn Sie im Auto sitzen, den Einkaufswagen schieben oder gerade bei den Großeltern zu Abend essen. Wenn Sie allerdings Ihren Kindern Fertigkeiten an die Hand geben, um sich in diesem komplexen Terrain der menschlichen Emotionen und Beziehungen zurechtzufinden, werden Sie Kinder großziehen, die Streitigkeiten unter sich ausmachen können. Sie werden in der Lage sein, sich für ihre eigenen Bedürfnisse einzusetzen und dabei die Bedürfnisse anderer zu respektieren. Darüber hinaus werden sie lernen, nach Win-win-­Lösungen Ausschau zu halten, anstatt eine Opferrolle einzunehmen oder andere zu tyrannisieren. Kurz gesagt, Sie werden Kinder großziehen, die tiefe Liebe empfinden, ihre Emotionen regulieren und gesunde Beziehungen haben. Ihre Kinder werden nicht nur eine enge und lebenslange Bindung zu den Geschwistern aufbauen, sondern auch gut gedeihende Beziehungen mit FreundInnen, ArbeitskollegInnen und letztlich ihrer Lebensgefährtin bzw. Lebensgefährten erleben. Sie werden die Art Menschen sein, von denen wir noch mehr auf dieser Welt brauchen.

Familien sind die Schmelztiegel, die Säuglinge in reife Menschen verwandeln. Ganz gleich, wie schwer es gerade in Ihrer Familie ist, es ist möglich, ein Zuhause zu schaffen, in dem Streitigkeiten friedlich gelöst werden und in dem Kinder aufwachsen, die Freunde fürs Leben werden.

Wenn Sie ein Kind erwarten

Falls Sie dieses Buch vor der Geburt Ihres Kindes oder im ersten Lebensjahr des Kindes lesen, richtet sich Teil 3 vor allem an Sie. Ist Ihre Familie in einer anderen Phase, schlage ich vor, dass Sie Teil 3 überspringen und sich den Anregungen in Teil 1 und 2 widmen.

Wenn Ihre Kinder permanent streiten

Bei uns hat es sich bewährt, dass ich an anstrengenden Tagen da bin, um einzuschreiten, zu coachen, Vorbild zu sein, Zusammenbrüche und Raufereien zu verhindern. Für mich hat sich dadurch immens viel bewegt. Nicht viele meiner befreundeten Mütter machen das genauso … nicht einmal die richtig tollen Mütter. Und ich denke, sie machen das nicht, weil es ihnen egal ist, nein, sondern weil wir alle so beschäftigt sind! Es fühlt sich so an, als wenn uns jemand einmal die Erlaubnis geben muss, dass wir alles andere stehen und liegen lassen und uns auf die Beziehungen konzentrieren.

Beth

Wenn Ihre Kinder viel streiten, fühlen Sie sich wahrscheinlich entmutigt. Es kann helfen, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass ganz gleich wie Sie sich als Eltern verhalten, alle Kinder sich manchmal streiten – genauso wie Paare sich manchmal streiten, egal wie stabil ihre Beziehung ist. Sich zu streiten bedeutet nicht, dass jemand ein schlechter Mensch ist – weder Sie, noch Ihre Kinder.

Vielleicht fragen Sie sich, warum Ihr Kind immer dasjenige zu sein scheint, das das Neugeborene schlägt, während die anderen Kinder anscheinend immer ihre neuen Geschwister lieben. Denken Sie jedoch daran, dass man in keine Familie reinschauen kann. Alle Kinder sind einmal eifersüchtig, ganz gleich wie liebevoll sie sich in der Öffentlichkeit benehmen.

Vielleicht möchten Sie am liebsten losschreien, weil Ihr kleines Kind einfach nicht aufhört zu hauen, ganz gleich wie oft Sie ihm mit Engelsgeduld erklärt haben, dass Hauen wehtut. Geben Sie nicht auf. Studien belegen, dass kleine Kinder oftmals hauen, ganz gleich, was die Eltern tun. Dies liegt vermutlich daran, dass sich ihr präfrontaler Cortex noch entwickelt, der ihnen mehr Eigenkontrolle verleiht. Wenn die Eltern jedoch den Kindern eine friedvollere Vorgehensweise vorleben und vermitteln, zeigen sich diese ihren Geschwistern gegenüber freundlicher und eher in der Lage, ihre Emotionen zu regulieren als Kinder, die mit herkömmlicher Disziplin erzogen wurden.1 Ihre Geduld verändert tatsächlich etwas, auch wenn Sie es jetzt noch nicht sehen können.

Vielleicht schaffen es Ihre Kinder aber auch nicht, sich mal einen Tag nicht zu beschimpfen, und Sie fragen sich, ob Sie was falsch gemacht haben. Die Antwort ist: Nein. Sie haben das getan, was Sie in der Lage waren, zu tun. Schließlich werden Ihre Kinder mit bestimmten Charakteren geboren. Sie haben lediglich versucht, das Abendessen zu kochen, ohne dabei einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Weder Sie sind perfekt, noch irgendjemand anderes. Höchstwahrscheinlich haben Sie einfach anstrengendere Kinder. Eltern, die einfachere Kinder haben, können das vielleicht nicht verstehen, aber ich spreche mit Tausenden von Eltern und es ist offensichtlich, dass einige Kinder anstrengender sind als andere.

Die Wahrheit ist, dass es immer schwer ist, die besten Eltern zu sein, die wir sein können. Es ist wahrlich die größte Herausforderung, der sich jede und jeder von uns je gestellt hat. Es zehrt körperlich und emotional an den Kräften. Allzu oft müssen wir unsere eigenen Bedürfnisse zurück- oder sogar ganz hintenanstellen. Wenn wir Kinder großziehen, werden wir dazu aufgefordert, über unsere natürlichen menschlichen Gefühle von Bedürfnis und Wollen hinauszuwachsen und einen anderen Menschen, der zu klein ist, um sich dankbar zu zeigen, permanent zu versorgen.

Somit beinhaltet ein Leben mit Kindern immer Herausforderungen, auch unter den bestmöglichen Umständen – und die meisten von uns leben nicht unter den bestmöglichen Umständen. Die meisten von uns sehen sich mit mehreren Stressfaktoren in ihrem Leben konfrontiert und sind so sehr damit beschäftigt, Schritt zu halten, dass der Eindruck entsteht, man erziehe seine Kinder letztlich in der Freizeit. Wie jeder ganz normale Mensch sind wir manchmal gestresst und emotional »nicht in Balance«. In solchen Momenten verlieren wir die leichte, angenehme Verbindung zu unseren Kindern. Da unsere Kinder diese Verbindung zu uns brauchen, um ihre Gefühle regulieren zu können, geraten auch sie emotional aus dem Gleichgewicht und leben dies uns und anderen gegenüber aus.

Ein Ausweg hierfür liegt darin, sich daran zu erinnern, dass unsere Kinder in Wirklichkeit unsere wichtigste Aufgabe sind. Wir erziehen Menschen. Wir gestalten nicht nur ihre Beziehungen miteinander, sondern auch ihre Gehirne. Indem Sie Ihre Kinder dahingehend unterstützen, emotionale Intelligenz zu entwickeln, wird sich ihre Beziehung untereinander verändern. Wen interessiert es, wenn Sie Ihren Kindern wieder einmal Nudeln mit Tomatensauce zum Abendessen servieren? Wichtig ist doch, zu welchen Menschen Ihre Kinder werden. Die Beziehung, die sie miteinander entwickeln, macht ihren Alltag als Kinder aus. Die Gene spielen dabei mit Sicherheit eine Rolle, aber die Interaktion dieser Gene mit der Umwelt ist es, die Ihre Kinder formt.

Dieses Buch zeigt Ihnen Möglichkeiten auf, mit denen Sie Ihr Leben als Familie neu gestalten können. Ich wünsche mir, dass Sie einige Aha-Momente beim Lesen erleben. Außerdem weiß ich, dass Sie feststellen werden, dass es Zeit und Engagement kostet, diese wirkungsvollen Methoden einzusetzen. Also erlaube ich Ihnen hiermit ausdrücklich, Ihre Kinder und ihre Beziehung miteinander an erste Stelle zu stellen. Es wird Tage geben, an denen Sie keine Zeit haben werden, sich um das Geschirr, die Wäsche oder die E-mails zu kümmern. Sie können die Kinder nur davon abhalten, sich zu streiten, indem Sie sich mit ihnen auf den Boden setzen und erklären, wie sie ihre Gefühle ausdrücken können, ohne jemanden anzugreifen, und indem Sie Wege finden, Anspannung in Nähe umzuwandeln, sei es durch Lachen oder Weinen. Hierbei handelt es sich um heldenhafte Arbeit, vor allem weil es im Privaten geschieht: Niemand ist da und sieht, welche Kraft es Sie kostet. Aber ganz so unsichtbar, wie diese Arbeit zu sein scheint, ist sie nicht. Genauso wie anhand der Baumringe gespeichert wird, wie die Umweltbedingungen Jahr für Jahr sind, so beeinflussen die jetzigen Erfahrungen Ihrer Kinder die Menschen, die sie einmal sein werden. Tagtäglich formen Sie buchstäblich Ihre Kinder zu den Menschen, die sie ihr Leben lang sein werden. Und machen Sie sich keine Sorgen, Sie erhalten unmittelbar Lohn für Ihre Arbeit, den Sie in dem ansteigenden positiven Umgang Ihrer Kinder miteinander erkennen werden.

Ich sage dies auch in dem Wissen, dass es immer noch Tage geben wird, an denen sich Ihre Kinder alle fünf Minuten in den Haaren liegen. Das heißt nicht, dass Sie Ihre Sache nicht gut machen. Es bedeutet ganz einfach, dass es harte Arbeit ist. Wenn die Beziehungen in Ihrer Familie dauerhaft an erster Stelle stehen und alles andere, was Sie tun »sollten« hinten ansteht, wenn Sie tief in sich Ihre eigene emotionale Großzügigkeit erkennen, werden Sie beobachten, wie Ihre Kinder im Umgang miteinander weicher werden. Vielleicht fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Ihre Kinder beste FreundInnen werden. Aber der Grundstein emotionaler Intelligenz, den Sie legen, wird zumindest eine respektvolle Beziehung fördern – und vielleicht noch mehr als das.

Ist es leicht? Nein. Selbstregulierung ist das Schwierigste, das wir jemals tun werden, aber sie ist der wichtigste Baustein, um Kinder sanft zu erziehen. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie müssen das nicht perfekt beherrschen. Es ist ein stetiger Prozess. Perfekte Eltern gibt es nicht, denn es gibt keine perfekte Menschen. Was zählt, ist, dass wir erkennen, wenn wir vom Weg abkommen und uns dann zurück ins Gleichgewicht bringen und wieder eine Verbindung mit unseren Kindern herstellen. Zum Glück lernen unsere Kinder aus den Momenten, in denen wir am Ziel vorbeischießen, denn sie werden auch mal am Ziel vorbeischießen. Eines der größten Geschenke, die wir den Kindern und ihren Geschwistern geben können, ist vorzuleben, wie man die Untiefen der menschlichen Schwächen mit Würde durchquert – denn es lehrt sie, sich selber und anderen zu vergeben.

Also, bringen Sie all Ihr Mitgefühl auf und vergeben Sie sich selbst genau jetzt dafür, dass Sie ein Mensch sind. Entscheiden Sie sich genau jetzt dafür, dass Sie besonders gut für sich sorgen, anstatt sich zu kritisieren, wenn Sie nicht in der Lage sind, das Bestmögliche zu tun – und das widerfährt allen Eltern regelmäßig. Wirklich: Tun Sie dieses, ganz gleich, was passiert ist. Es ist egal, was Sie getan haben, als Sie erschöpft oder wütend waren. Sie sind ein Mensch, was bedeutet, dass Sie Fehler machen und dass Sie daraus lernen können. Sie müssen keine perfekten Eltern sein, nicht jetzt und nicht in der Zukunft. Wie auch immer die Situation bei Ihnen in der Familie gerade ist, mit der fangen Sie an.

Finden Sie heraus, welche Unterstützung Sie brauchen. Für sich selber sorgen? Informationen? Beratung? Eine schriftliche Vereinbarung mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin darüber, wie Sie mit gewissen Problemen umgehen? Oder vielleicht einfach nur Strategien für den Umgang mit Situationen, die Sie aus der Fassung bringen? (Dieses Buch wird Ihnen davon viele liefern.) Sobald Sie sich diese Unterstützung holen, können Sie bei Ihren Kindern etwas bewegen.

Ganz gleich, ob Ihre Kinder ganz klein, Vorschulkinder oder ältere Kinder sind, Sie können ihnen beibringen, wie sie es schaffen, sich zu verstehen. Sie können eine Familienkultur schaffen, die geprägt ist von gegenseitiger Unterstützung und Respekt. Viel wichtiger noch, Sie sind in der Lage, jedem Kind bei den Gefühlen zu helfen, die Feindseligkeit gegenüber dem Geschwisterkind hervorrufen. Und Sie können die Verbundenheit mit jedem Kind festigen, damit es sich sicher genug fühlt, um diese Emotionen zu verarbeiten und so niemals das Gefühl bekommt, dass Sie das Geschwisterkind mehr lieben. All dies beginnt mit Ihrer Fähigkeit, Ihre eigenen Gefühle zu regulieren und Wege zu finden, wie Sie mit jedem Kind in Kontakt kommen.

Befürchten Sie, dass der Schaden bereits angerichtet ist? Es ist niemals zu spät. Was zählt ist, dass Sie sich eingestehen, dass Sie mit der Situation nicht zufrieden sind und dass Sie sich vornehmen einzuschreiten, um die Dinge zu verbessern. Ihr Kind zu maßregeln, damit es sich der Schwester oder dem Bruder gegenüber besser verhält, wird nicht funktionieren. Auch Scham, Schuld oder Bestrafung führen nicht zum Ziel – weder beim Kind noch bei Ihnen. Wenn Sie allerdings Ihre eigenen Handlungen ändern, um die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und ihm mit seinen Emotionen helfen, haben Sie Erfolg. Ist das viel Arbeit? Ja, es ist enorm viel Arbeit. Ist es das wert? Lesen Sie, was diese Mutter zu berichten hat:

Als Gerald geboren wurde, war es sehr schwer mit Daniel – es ging so weit, dass ich ihm nicht einmal den Rücken zukehren konnte, ohne dass er den kleinen Bruder schlug. Zu der Zeit halfen wir uns mit Auszeiten etc., wobei wir ihn oftmals in ein anderes Zimmer trugen und er dabei um sich schlug und schrie – ich fühle mich heute so schuldig dafür! Ich habe mich oft aufgeregt und ihn angeschrien, wenn er seinen Bruder schlug und Wutanfälle hatte. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass dieses eine Jahr, in dem ich mich so über ihn aufgeregt habe, einen bleibenden Schaden hinterlassen hat.

Die gleiche Mutter, zwei Jahre später:

Ich habe sehr, sehr hart daran gearbeitet, dass wir uns gegenseitig respektvoll und anständig behandeln – so, wie wir selber behandelt werden möchten. Ich lobe sie regelmäßig dafür, dass sie nett zueinander sind, und ermutige sie, kleine Gefälligkeiten füreinander zu tun. Zum Beispiel beschließt der drei Jahre alte Gerald, dass er seinen Lkw mitnehmen möchte, als wir schon fast aus der Haustür sind. Der fünf Jahre alte Daniel rennt nach oben ins Zimmer, um ihn zu holen. Ich singe ein Loblied für Daniel und tanze einen »Bester-großer-Bruder«-Tanz. Wir ermutigen sie, sich zu umarmen und zu küssen und rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Grundsätzlich lenken wir die Aufmerksamkeit einfach darauf, wie toll es ist, einen Bruder und Spielgefährten zu haben … und dass wir alle Teil dieser Familie sind.

Gerald und Daniel können sich glücklich schätzen, so eine Mutter zu haben, die nie aufgegeben oder ihrer Frustration und Hoffnungslosigkeit nachgegeben hat. Stattdessen hat sie sich an die Arbeit gemacht, jeden einzelnen Tag. Sie hat es geschafft, ihre Gefühle zu regulieren. Sie hat ihren Jungs mit ihren starken Emotionen geholfen. Sie hat die individuellen Bedürfnisse der beiden erfüllt. Sie hat eine Familienkultur der Wertschätzung und Unterstützung etabliert. Und sie zieht Söhne groß, die ein Leben lang Freunde sein werden.

Und das können Sie auch.

Mein erstes Buch, Gelassene Eltern – zufriedene Kinder: Wie Sie liebevoll bleiben, statt zu schreien, zu schimpfen oder zu drohen beschreibt, wie man die starken Emotionen, die über einen kommen, bemerkt, wie man sich wieder beruhigt, mit seinem Kind in Kontakt kommt und sein Kind emotional so unterstützt, dass es Selbstdisziplin entwickelt und kooperieren will, ohne dass es bestraft werden muss. In dem vorliegenden Buch erfahren Sie, wie Sie diese Methoden bei der Erziehung von ­Geschwisterkindern anwenden. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich hier die Grundlagen der Erziehung, die in Gelassene Eltern – zufriedene Kinder im Detail beschrieben sind, erneut erläutere. Ich hoffe, dass Sie das Buch bereits gelesen haben oder noch lesen werden. Dieses Buch erklärt ausführlich die Hilfsmittel, die Sie dabei unterstützen sollen, eine glückliche Beziehung zwischen Ihren Kindern zu fördern. Sie werden feststellen, dass das Buch seine ganze Wirkung entfalten kann, wenn Sie diese Hilfsmittel mit Selbstregulierung, Verbindung und Coaching kombinieren, die detailliert in Gelassene Eltern – zufriedene Kinder beschrieben sind.

1 Stormshak, Elizabeth; Bullock, Bernadette und Falkenstein, Corrina: Harnessing the Power of Sibling Relationships as a Tool for Optimizing Social-Emotional Development. In: Kramer, Laurie und Conger, Katherine (Hg.): Siblings As Agents of Socialization. New Directions for Child and Adolescent Development. 126, 2009, S. 61–77. San Francisco, CA: Jossey-Bass, 2009.

Teil 1

Grundlagen der gelassenen Elternschaft

Alle Geschwister streiten in einem gewissen Maße, ganz gleich, was ihre Eltern tun. Konflikte sind Teil jeder menschlichen Beziehung, und Sie können Ihre Kinder nicht davon abhalten, Bedürfnisse und Wünsche zu haben, die manchmal miteinander kollidieren. Was Sie aber tun können ist, ihnen solide Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie sich durch diese Streitigkeiten durcharbeiten können. Werkzeuge, die sie den Rest ihres Lebens benutzen werden.

Jedes Kind ist einzigartig und manche Geschwister haben es schwerer miteinander als andere. Somit mag es für Sie vielleicht überraschend sein zu erfahren, dass der Schlüssel für eine gesunde, unbeschwerte, zufriedenstellende Dynamik zwischen Ihren Kindern nicht deren Verhalten oder Temperament ist. Diese Faktoren spielen auch eine große Rolle, ohne Frage. Aber der Schlüssel sind Sie.

Jahrzehntelange Studien über Geschwister und Familien ergaben faszinierende Erkenntnisse. Viele von ihnen werde ich in diesem Buch erläutern. Hier eine der wichtigsten Erkenntnisse, die durch zahlreiche Studien untermauert wurde:

Haben Eltern bessere Beziehungen zu ihren Kindern, dann haben diese Kinder glücklichere Beziehungen untereinander. Haben die Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern einen negativen oder strafenden Charakter, so zeigen die Kinder ein aggressiveres und egoistischeres Verhalten untereinander.

Während Sie also Ihre Kinder nicht kontrollieren können, so könnenSie jedoch jemanden kontrollieren, der einen enormen Einfluss darauf hat, was für eine Beziehung die Kinder zueinander haben: sich selbst.

Ja, Ihre Kinder werden zwangsläufig eine gewisse Rivalität untereinander spüren. In jeder Familie wird es Phasen geben, in denen sich Geschwister scheinbar wegen jeder Kleinigkeit streiten oder sagen, dass sie sich hassen. Für gewöhnlich ist es aber möglich, dass die Liebe über die Rivalität siegt, indem man ein Erziehungskonzept anwendet, das ich Gelassene Elternschaftnenne.

1

Wie man zu entspannten Eltern wird

Wenn ich präsent sein kann und atme, zeigt sich oftmals die Liebe. Wenn ich in der Vergangenheit und in der Angst bin, dann verursache ich eine Eskalation, die sich vielleicht noch nicht einmal in der Realität zusammengebraut hätte.

Staci

Gelassen bedeutet nicht, dass es bei Ihnen zu Hause nicht auch mal wild oder lebhaft oder lustig zugeht. Es bedeutet einfach, dass Sie darauf hinarbeiten, innerlich gelassener und weniger reaktionsfreudig zu werden. Dadurch sind Sie Ihren Kindern ein besseres Vorbild und helfen ihnen dabei, ein Gehirn inklusive Nervensystem zu kreieren, das sich selbst regulieren kann.

Kein Vater und keine Mutter ist immer gelassen. Doch Eltern, die sich mehr Frieden in ihren Familien und in ihren eigenen Herzen wünschen, betrachten diese drei Prinzipien als unverzichtbar:

Ein gelassener Vater reguliert seine eigenen Emotionen, auch angesichts starker Gefühle und Fehlverhalten seitens des Kindes.Dadurch sind wir in der Lage, eine positive Beziehung zu unserem Kind herzustellen, auch in Situationen, in denen die Gefühle überkochen. Wir können davon ausgehen, dass sich Kinder von Zeit zu Zeit kindisch verhalten. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, dass wir uns wie Erwachsene verhalten, was bedeutet, dass wir der Versuchung nicht nachgeben, selber einen Wutanfall zu bekommen. Als Eltern haben wir immer die Möglichkeit, die kindliche Aufruhr mit unserer eigenen Reaktion zu besänftigen – oder sie zu verschlimmern.

Wie wirkt sich die Verpflichtung der Eltern, ihre Emotionen zu regulieren, auf die Beziehung der Geschwister aus? Da Eltern als Vorbild fungieren, werden Sie hören, wie Ihr Kind mit seinem Bruder oder seiner Schwester in der Art und Weise und in dem Tonfall spricht, wie Sie es tun. Kinder, deren Eltern ihre Emotionen regulieren, lernen ihre eigenen Emotionen zu steuern und somit auch ihr Verhalten – sowie das gegenüber ihren Geschwistern.

Sie können sich leichter selbst beruhigen, sprich, sie streiten weniger. Sie werden zwar noch eifersüchtig, aber sie verfügen über eigene Ressourcen, um ihre gemischten Gefühle auf gesunde Art und Weise zu bewältigen. Und dann kann die Zuneigung die Rivalität besiegen.

Für gelassene Eltern hat die herzliche Verbindung zu ihrem Kind oberste Priorität. Jedes Kind braucht das Gefühl, gehört, verstanden und wertgeschätzt zu werden, einfach für sein So-sein. Ansonsten fühlt es sich nicht sicher und bringt seinen Unmut zum Ausdruck.

Es gibt einen weiteren enormen Nutzen: Kinder sind motiviert, unserer Führung zu folgen, wenn sie sich mit uns verbunden fühlen. Ohne Anwendung von Gewalt können wir niemanden wirklich dazu bringen, etwas zu tun. Zudem hält dies nur solange an, wie wir einen erheblichen körperlichen Vorteil haben. Unsere Kinder müssen sich frei dafür entscheiden, das zu tun, was wir sagen. Aus diesem Grund erleben viele Eltern den Alltag mit ihren Kindern als eine endlose Abfolge von Bestechungen, Drohungen und Machtkämpfen, damit sie irgendwie den Tag überstehen. Doch wenn die Eltern sich innig mit ihrem Kind verbinden, will das Kind diese Beziehung beschützen und wird eher der Führung der Eltern folgen. Somit sind Kinder, die sich verbunden fühlen, kooperativer. Das macht es natürlich für die Eltern leichter, aber auch für Geschwister, die zur Familie gehören, denn das Kind ist fröhlicher und emotional großzügiger.

Letztendlich wird ein Kind, das sich mit einem Elternteil verbunden fühlt, eher das wertschätzen, was dieser Elternteil wertschätzt, und dessen Vorbild folgen. Dies bedeutet, dass es sich dem Geschwisterkind eher so gegenüber verhält wie es sein Elternteil tut, sprich, es wird sich eher fürsorglich, freundlich und geduldig verhalten.

Ein gelassener Vater coacht, anstatt zu kontrollieren. Was bedeutet es, zu coachen anstatt zu kontrollieren? Ein Coach schult und unterstützt ein Kind dahingehend, dass es sein bestes Ich entfalten kann. Ein Coach bestraft nicht. Er schafft geduldig Gelegenheiten, in denen das Kind wachsen kann, und feiert jeden Schritt in die richtige Richtung. Kinder reagieren auf Coaching in der Weise, dass sie unbedingt ihr Bestes geben wollen und wie der Coach sein möchten. Kontrollierendes Agieren hingegen zwingt ein Kind dazu, sich unter Androhung von Strafe so zu verhalten, wie Sie es gerne hätten.

Dies bedeutet, dass gelassene Eltern ihre Kinder nicht bestrafen. Natürlich setzen sie Grenzen, aber dies beinhaltet keine Bestrafung. Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen der Meinung sind, dass Kinder, die streng erzogen werden, sich besser benehmen. Das ist einfach nicht der Fall. Wissenschaftliche Studien zum Thema Disziplin zeigen übereinstimmend, dass eine strenge oder autoritäre Kindererziehung tatsächlich Kinder hervorbringt, die ein geringeres Selbstwertgefühl haben und sich schlechter als andere Kinder benehmen – und aus diesem Grund noch öfter bestraft werden!2

Das Problem mit Bestrafung besteht darin, dass wenn das Kind sich nicht tatsächlich für das Verhalten entscheidet, dann »besitzt« es dieses nicht. Es ist nicht aus sich heraus motiviert, »das Richtige zu tun«. Als meine Tochter sechzehn Jahre alt war, habe ich sie für einen Blog-Post danach gefragt, wie sie gelernt hat, sich zu benehmen, ohne jemals bestraft worden zu sein. Sie antwortete, »So oder so – ob man nun bestraft oder nicht – das Kind lernt, nicht zu schlagen. Aber wenn man bestraft, um es dem Kind so beizubringen, dann lernt es, nicht zu schlagen, damit ES selbst nicht leidet. Wenn man mithilfe von Empathie versucht, es dem Kind beizubringen, dann lernt es, nicht zu schlagen, weil es die andere Person verletzt. Auf diese Weise wird das Kind zu einem besseren Menschen. Es sorgt sich mehr um andere.«

Sprich: Ja, es wäre bequemer, wenn unsere Kinder uns einfach gehorchen würden! Aber ihr Bedürfnis, selber zu entscheiden, was sie tun wollen, ist in Wahrheit eine gute Sache. Denn dann beginnen sie, Verantwortung für sich selber zu übernehmen. Wenn Sie Ihr Kind coachen, helfen Sie ihm dabei, die Fähigkeiten zu entwickeln sowie den Willen, sein bestes Ich öfter zu zeigen. Sie werden in diesem Buch erfahren, wie Sie Ihrem Kind dahingehend ein Vorbild sein und es coachen können, dass es kooperieren will und Sie es nie wieder bestrafen müssen.

Und wie wirkt es sich auf die Geschwisterbeziehung aus, wenn Eltern coachen statt zu kontrollieren? Studien zeigen, dass Eltern, die strafen und kontrollieren am Ende Kinder großziehen, die einen negativeren Umgang miteinander haben, da sie festgestellt haben, dass durch den Einsatz von Drohungen und Macht andere dazu bewegt werden, das zu tun, was man von ihnen will.3 Letztendlich haben sie ihren Eltern aufmerksam zugehört. Im Gegensatz dazu coachen gelassene Eltern ihre Kinder so, dass sie über die zwischenmenschlichen Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung verfügen. Diese umfassen z.B., wie sie ihre Bedürfnisse erfüllt bekommen und sich gleichzeitig respektvoll der anderen Person gegenüber verhalten. Auf diese Weise gelingt es ihnen besser, Schwierigkeiten im Zusammenleben mit anderen Menschen gekonnt zu meistern.

Sind Eltern immer gelassen? Natürlich nicht! Sie sind Menschen. Wie wir alle ist kein Vater und keine Mutter perfekt. Uns selbst zu regulieren ist die schwierigste emotionale Aufgabe, mit der wir konfrontiert sind. Somit kann es ungeachtet unserer guten Vorsätze ein schwerer Kampf sein. Ein gelassener Vater zeichnet sich dadurch aus, dass er sich der Selbstregulierung, dem In-Verbindung-sein und dem Coachen-statt-Kontrollieren verpflichtet. Eine Handlung nach der anderen ändert diese Selbstverpflichtung unser Verhalten. Da die Eltern-Kind-Beziehung nur eine Reihe von gemeinsamen Augenblicken ist, vermehren sich diese positiven Entscheidungen. Durch zwei Schritte nach vorne und einen Schritt zurück gelangt Ihre Familie dennoch auf einen positiveren Weg, und ehe Sie sich versehen, befinden Sie sich in einer ganz neuen Umgebung.

Diese Fähigkeiten werden Ihnen helfen, entspannte Eltern zu werden

Wenn Sie anstreben, sich zu einer gelasseneren Mutter oder einem gelasseneren Vater weiterzuentwickeln, wo fangen Sie am besten an? Mit zwei für die Erziehung wesentlichen Kompetenzen: sich selbst beruhigen und Emotionscoaching.

Sich selber beruhigen

Ich bin nie laut geworden, bis ich zwei Kinder bekam.

Elaine

Die meisten Eltern wünschen sich, sie könnten »ruhiger bleiben«. Aber niemand bleibt immer ruhig, zumindest dann nicht, wenn man mehr als ein Kind hat. Die Herausforderungen, die ein Leben mit Kindern mit sich bringt, werden uns immer aufrütteln und aus unserer Mitte reißen. Anstatt zu versuchen, »ruhig zu bleiben«, könnten Sie sich das Ziel setzen, aufmerksam zu beobachten, wann Sie beginnen, sich aufzuregen – und eine Reihe von Strategien entwickeln, wie Sie wieder innerlich ruhig werden.

Es ist ein bisschen wie wenn man ein Musikinstrument spielen lernt. Zuerst scheint es unmöglich, eine einfache Melodie zu spielen. Wenn Sie aber regelmäßig üben, können Sie nach einem Jahr eine Sonate spielen. Wie bei jeder Praxis werden Sie niemals perfekt sein, aber jedes Mal, wenn Sie sich beruhigen, wird es einfacher. Sie schaffen die Nervenverbindungen für eine bessere Selbstregulierung und vernetzen so tatsächlich Ihr Gehirn neu.

Wenn Sie genug Schlaf bekommen und Ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind – was oftmals für viele Eltern ein Riesenproblem ist –, dann werden Sie in der Lage sein, sich wieder einzukriegen, bevor Sie in den »unteren Weg« oder »niederen Modus« abdriften, wie es der Co-Autor von Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen, Daniel Siegel, nennt.4 Sie kennen den »unteren Weg«. Es ist der Moment, in dem Sie sich gestresst, erschöpft, verärgert fühlen. Wenn Sie darauf bestehen, dass Sie recht haben oder Ihren Kindern eine Entschuldigung abringen. Wenn Sie sich im Kampf-oder-Flucht-Modus befinden und Ihre Kinder Ihr Feind sind. Wenn Ihr Geduldsfaden so kurz ist, dass Sie sich berechtigt fühlen, Ihren eigenen kleinen Trotzanfall zu haben. Sie kennen aber auch den richtigen Weg. Auf dem befinden Sie sich dann, wenn Sie sich richtig gut fühlen, sodass Sie emotional großzügig sein können. Wenn Sie mit Geduld, Verständnis und Sinn für Humor auf die Streitereien Ihrer Kinder reagieren. Wenn es Ihnen Freude bereitet, Vater zu sein.

Der erste Schritt besteht darin, dass Sie üben zu erkennen, wann Sie sich auf den unteren Weg zubewegen. Im zweiten Schritt tun Sie nichts bis Sie sich wieder in Ihrer Mitte befinden. Dies kann Ihnen schnell gelingen – ein paar tiefe Atemzüge. Oder es dauert zwanzig Minuten, in denen Sie etwas Sport machen oder meditieren. (Klappt beides nicht, wenn Ihre Kinder da sind? Versuchen Sie es mit Musik und tanzen Sie mit Ihren Kindern, um Ihre Gefühlslage zu verändern.)

Das hört sich schwierig an, und das ist es auch. Aber Sie können mit ein paar einfachen Übungen klein anfangen. Versuchen Sie es z. B. mit der Übung »Fünf Atemzüge nehmen«, um bei sich anzukommen und zu zentrieren. Atmen Sie einfach fünf tiefe, langsame Atemzüge. Um die Wirkung zu verstärken, nehmen Sie während der Atmung wahr, was in Ihrem Körper los ist. Stellen Sie sich vor, wie Sie Licht in alle angespannten Stellen in Ihrem Körper einatmen und Spannung ausatmen. Diese täuschend einfache Übung hilft Ihnen, sich Ihren Stress bewusst zu machen, damit Sie durch ihn durch atmen und loslassen können. Studien haben ergeben, dass man sich mithilfe bewusstes Atmens, wie die gerade genannte Übung, aus einen Gefühl des Gestresst-seins in nur fünf Atemzügen in einen entspannten Zustand bringen kann. Die Wirkung dieser Atmung wird noch effektiver, je häufiger Sie sie praktizieren.5 Sie können fünf Atemzüge nehmen, während Sie ein weinendes Baby auf dem Arm halten, während Sie Ihre Kinder baden oder wenn Sie an der Ampel stehen.

Am wichtigsten ist es jedoch, dass Sie diese Übung machen können, bevor Sie dazwischen gehen, wenn sich Ihre Kinder streiten. Und das ist notwendig, denn wenn die Emotionen zwischen unseren Kindern hochkochen, befinden sie sich bereits im Zustand von »Kampf, Flucht oder Starre«. Sprich: Sie glauben, es handelt sich um einen Notfall. Für uns Eltern ist es somit ganz normal, so zu reagieren, als wäre es wirklich ein Notfall. Das Problem hierbei ist, dass niemand klar denken kann, wenn das Gehirn mit Biochemikalien überschüttet wird, die uns während eines Notfalls überschwemmen.6

Überlegen Sie, wie dies funktioniert. Ihr Sohn stößt seine kleine Schwester um. Ist das ein Notfall? Genau genommen nicht. Aber es fühlt sich sehr wahrscheinlich wie einer an. Ohne dass es Ihnen überhaupt bewusst ist, befinden Sie sich in einem Zustand von »Kampf, Flucht oder Starre« und Ihr Sohn sieht wie der Feind aus. Bevor Sie sich versehen, schreiten Sie ein mit heulenden Sirenen, um den Feind zu besiegen und Ihr Baby zu retten.

Unglücklicherweise helfen diese heulenden Sirenen nicht, sondern verschlimmern nur den Zustand der Anspannung, in dem sich beide Kinder befinden. Ihre Tochter, die sich zwar erschrocken, aber nicht wehgetan hat, beginnt zu heulen. Ihr Sohn flieht hinter die Couch, wohin Sie ihn unter Schreien und Drohen verfolgen. Es braucht zwanzig Minuten, bis die Ruhe wiederhergestellt ist.

Wiederholt sich diese Situation in unserem Haus häufig, so werden die Amygdalas unserer Kinder – der Teil des Gehirns, der uns vor Gefahren warnt – aktiver und ängstlicher. Sie sind schneller auf 180, wenn sie sich ärgern. Da sie sich leichter bedroht fühlen und aus der Fassung zu bringen sind, streiten sie mehr miteinander.

Eine wichtige Information für Sie ist, dass Kinder mit unfertigen Gehirnen geboren werden, damit das Kind die größte Chance erhält, sich an die Besonderheiten seiner Umwelt anzupassen. Ihre Gehirne formen sich sprichwörtlich in Abhängigkeit von ihren Interaktionen mit uns.7 Und je öfter wir aus der Haut fahren, desto öfter erhalten unsere Kinder die Information, dass das Leben häufig ein Notfall ist. Sie erschaffen ein Gehirn, das auf Selbstschutz ausgerichtet ist, wodurch das Kind noch aggressiver wird.

Natürlich liefert das Leben mit Kindern den Eltern genügend Gründe, um verärgert, überwältigt und wütend zu sein. Der Säugling hört nicht auf zu weinen, das kleine Kind haut den Säugling, das Vorschulkind spült den Teddy der jüngeren Schwester die Toilette hinunter und der Sechsjährige wiederholt jedes Schimpfwort, das er in der Schule hört, um seinen kleinen Bruder zum Weinen zu bringen. Besonders wenn unsere Kinder streiten, ist es für uns selbstverständlich, dass wir verärgert sind. Also stürzen wir uns in den Kampf, wir schreien, ergreifen Partei und sagen Dinge, die wir später bereuen. Wir versuchen nur, das Problem zu lösen, doch wenn wir aus einem Gefühl des Notfalls heraus handeln, verschlimmern sich die Dinge unausweichlich zum einen in der unmittelbaren Situation und zum anderen in der Beziehung unserer Kinder untereinander.

Die Eltern von Camille wuchsen in lauten Haushalten auf, und wenn sie frustriert sind, schreien sie. Wenn die dreijährige Camille aus der Reihe tanzt, schreien sie sie an. Und wenn ihr kleiner Bruder Marco ein Spielzeug von ihr nimmt oder anfängt zu quengeln, schreit Camille ihn an. Genau genommen schreit Camille Marco an, wenn sie einfach nur mürrisch oder nicht gut drauf ist. Marco beginnt nun mit seinen sechzehn Monaten, sie zurück anzuschreien.

Die Eltern von Isabel wuchsen auch in lauten Haushalten auf, doch sie haben hart daran gearbeitet, mit dem Schreien aufzuhören. Natürlich sind sie auch frustriert, gerade wenn die dreijährige ­Isabel ihre Gefühle auslebt. Deshalb haben sie sich ein Repertoire an Möglichkeiten zugelegt, wie sie ihre Emotionen regulieren können, wenn sie verärgert sind, um so ihre Kinder weniger anzuschreien. Wenn Isabels kleiner Bruder Milo eines ihrer Spielzeuge nimmt, versucht sie nun mit ihm Spielzeuge zu tauschen. Wenn Milo anfängt zu quengeln, ahmt sie ihre Eltern nach: »Milo, du traurig? … Ich helfe dir.« Milo bietet mit seinen sechzehn Monaten nun Spielzeuge an und Isabel kann Milo besser aufmuntern als ihre Eltern.

Kinder lernen, was sie in ihrem Leben erfahren. Wenn wir schreien, dann leben wir das Verhalten vor, das unsere Kinder nachahmen werden:

sich gegenseitig und uns anzuschreienauf unausweichliche Konflikte und Frustrationen im Alltag mit Schreien und Vorwürfen zu reagieren anstatt mit dem Gegenüber gemeinsam eine Lösung zu findenihre Wut an anderen auslassen, wenn sie von der Rolle sind.

Es hört sich vielleicht überraschend an, aber indem Sie lernen, sich zu beruhigen, gehen Sie einen der wichtigsten Schritte überhaupt, um die Beziehung Ihrer Kinder untereinander zu stärken. Ist das einfach? Nein. Die eigenen Gefühle zu regulieren ist der schwierigste Teil des Elternseins und für gewöhnlich ein andauernder Prozess / andauernde Baustelle. Eine jede von uns wird die Grenze überschreiten, wenn wir zu weit getrieben werden. Aber aus diesem Grund ist es Ihre Verantwortung als Eltern, dass Sie von der Grenze wegbleiben. Das Regulieren der eigenen Emotionen ist für uns alle eines der schwierigsten Dinge, doch das ist keine Entschuldigung dafür, es nicht in Angriff zu nehmen. Wenn Sie jemand sind, der schreit, dann ist die beste Zeit jetzt, um dies zu ändern. Es ist nicht leicht, aber ich habe erlebt, wie Tausende Väter und Mütter es geschafft haben. (Weitere Unterstützung, wie Sie mit dem Schreien aufhören können, finden Sie in Teil 1 von Gelassene Eltern – zufriedene Kinder: Wie Sie liebevoll bleiben, statt zu schreien, zu schimpfen oder zu drohen.)

Die gute Nachricht ist: Wenn Sie ruhig reagieren können, auch wenn die Emotionen überkochen, lernen Ihre Kinder weitere zielführende Möglichkeiten, ihre Emotionen zu steuern, wenn sie verärgert sind. Sie lernen:

Diese Situation erscheint mir wie ein Notfall, aber tatsächlich ist es keiner.Ich weiß, man hört mir zu, somit kann ich meinen Geschwistern auch zuhören.

Wir können immer eine Lösung finden: Emotionscoaching

Was ist Emotionscoaching? Es hilft Ihren Kindern dabei, emotionale Intelligenz zu entwickeln. Emotionale Intelligenz ermöglicht es uns, unsere Emotionen zu regulieren, gut mit anderen zu arbeiten und zu spielen, und in jeder Beziehung Konflikte durchzuarbeiten, sodass beide Parteien ihre Bedürfnisse auf gesunde Art und Weise erfüllt bekommen. Der Begriff »Emotionscoaching« wurde von John Gottman geprägt, Autor von Kinder brauchen emotionale Intelligenz: Ein Praxisbuch für Eltern.8 Er hat in seinem »Love Lab« in Seattle jahrelang Familien beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen, dass, auch wenn es essenziell ist, es nicht ausreicht, eine liebevolle Mutter zu sein, um ein Kind großzuziehen, das sich selbst regulieren kann. Kinder brauchen unsere Unterstützung im Umgang mit den schwierigen Gefühlen, die für sie herausfordernd sind: Eifersucht, Wut, Angst.

Damit wir Kindern im Umgang mit Emotionen helfen können, müssen wir zunächst verstehen, dass sobald wir zulassen, die Emotion zu fühlen, beginnt sie sich aufzulösen. Wenn wir andererseits versuchen, die Emotion wegzuschieben, verfrachten wir sie am Ende in unser Unterbewusstsein, wo wir keine Kontrolle mehr über sie haben. Darum wird bei uns der »Knopf gedrückt« und wir explodieren: Diese aufgestauten Gefühle drängen unentwegt, an die Oberfläche zu kommen und geheilt zu werden. Da sie aber nicht bewusst kontrolliert werden können, strömen sie unkontrolliert heraus. Somit ist das Ziel des Emotionscoaching zum einen, Kindern Sicherheit zu geben, damit sie ihre Emotionen fühlen und so Ärger und Verstimmungen geheilt werden können, wenn sie an die Oberfläche kommen, zum anderen, Kindern dabei zu helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Sobald sie mit ihren Emotionen umgehen können, können sie ihr Verhalten steuern.

Warum spielt Emotionscoaching bei der Bindung zwischen Geschwistern eine Rolle? »Sogar in Familien, in denen die Kindern ausreichend Zuneigung von beiden Elternteilen erhalten, kann es vorkommen, dass kleine Kinder nicht in der Lage sind, prosoziale Beziehungen zu ihren Geschwistern zu entwickeln, wenn es ihnen niemand zeigt«, erklärt ­Laurie Kramer, eine Expertin für Geschwisterbeziehungen, die mit ­Gottman zusammengearbeitet hat.9 Emotionscoaching hilft Kindern dabei, zu lernen, wie sie sich beruhigen können, die Sicht des Bruders oder der Schwester zu verstehen und ihre Bedürfnisse in Worten auszudrücken, statt in einem Konflikt mit der Schwester um sich zu schlagen – auf diese Art und Weise können ihnen Win-win-Lösungen einfallen.

Wir sprechen bereits von Fähigkeiten emotionaler Intelligenz, wenn ein Kind in der Lage ist, sich selber zu beruhigen, wenn es verärgert ist. Bei manchen Kindern ist die angeborene Fähigkeit, sich zu regulieren, ausgeprägter als bei anderen. Doch alle Eltern haben eine enorme Einwirkungsmöglichkeit, wenn sie ihren Kindern dabei helfen, die Fähigkeit des Sich-selber-Regulierens zu entwickeln. Da sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren als Reaktion auf die gemachten Erfahrungen formt, legt das Gehirn eines Babys jedes Mal, wenn Sie es trösten, Nervenbahnen an, um seinen Ärger zu beruhigen.10 Indem Sie einfach Ihren Säugling oder Ihr Kleinkind trösten, wenn es traurig ist, bringen Sie dessen Körper dazu, beruhigende Biochemikalien auszuschütten und stärken somit die zukünftige Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen – die grundlegendste Kompetenz emotionaler Intelligenz. (Sie haben vielleicht davon gehört, dass Babys lernen, sich selber zu beruhigen, wenn man sie alleine lässt. Neuere Studien der Hirnforschung haben jedoch diesen veralteten Ratschlag widerlegt.11) Wenn Ihr Kleinkind älter wird, unterstützen Sie es weiterhin dabei zu lernen, sich selber zu beruhigen, indem Sie seinen Schmerz oder Frustration anerkennen. Dadurch kann es seine Emotionen annehmen. Dies ist der erste Schritt im Lernprozess, Emotionen zu bewältigen. Wenn Ihr Kind sich nur schwer selber beruhigen kann, können Sie ihm dabei helfen, diese wichtige Fähigkeit zu erlernen, indem Sie es in den Arm nehmen, während es weint, und tief atmen. Beim Ausatmen geben Sie einen beruhigenden Ton von sich. Wenn es sich dann wieder gefasst hat, können Sie ihm vorschlagen, dass es mit Ihnen zusammen auf diese Art und Weise atmet.

Beim Emotionscoaching besteht die wichtigste Kompetenz für Eltern darin, dass sie sich in die Gefühle des Kindes einfühlen. Dies hat zur Folge, dass sich das Kind beruhigt und gleichzeitig seine Fähigkeit, Empathie zu empfinden, entwickelt. Nahezu alle Kinder sind instinktiv von Geburt an in der Lage, die Emotionen anderer mithilfe der Spiegelneuronen und des limbischen Systems zu verstehen. Erleben die Kinder jedoch nicht, dass sie sich verstanden fühlen, lernen sie nicht, sich sicher im Umgang mit Emotionen zu fühlen. Dann machen ihnen aufgebrachte Gefühle anderer Menschen Angst. Aus diesem Grund ist Ihre Hingabe, sich in Ihr Kind einzufühlen, ein entscheidender Faktor in Bezug auf die Fähigkeit Ihres Kindes, seinem Bruder oder Schwester Verständnis entgegenzubringen.

Ihre Empathie hilft außerdem Ihren Kindern zu lernen, sich selbst zu regulieren. Wenn sich ein Kind verstanden fühlt, erlebt es ein Gefühl der Verbundenheit mit seinen Eltern und wird eher Grenzen akzeptieren und kooperieren. Es lernt, dass Gefühle nicht gefährlich sind und dass es sich entscheiden kann, ob es auf ein Gefühl reagiert oder nicht. Auf diese Weise baut es seine Fähigkeit, sich zu regulieren aus. Dadurch kann es mit Enttäuschungen besser umgehen und wird somit widerstandsfähiger. In Gegensatz dazu – und dies ist wichtig zu wissen – wird ein Kind, das denkt, dass seine Gefühle nicht in Ordnung sind, diese verdrängen. Leider sind unterdrückte Gefühle nicht bewusst kontrollierbar und werden später als »schlechtes« Verhalten an die Oberfläche katapultiert.

Was machen Sie eigentlich genau, wenn Sie empathisch sind? Empathisch sein bedeutet einfach, dass Sie anerkennen – in Ihrem Herzen, nicht nur mit Worten –, was die andere Person gerade fühlt. Der Trick hierbei ist, dass wir unsere eigenen Themen zurücknehmen, damit wir wirklich zuhören und wahrnehmen können, was unser Kind gerade fühlt. Immer, wenn Kinder Schwierigkeiten haben, gilt es, als Erstes empathisch zu sein.

»Es ist schwer, wenn du spielen möchtest, aber dein Bruder lieber alleine sein möchte.«

»Du kannst dich ausgeschlossen fühlen, wenn deine Schwester Geburtstag hat und dein Geburtstag noch Monate entfernt ist.«

»Oh Liebes, es tut mir so leid, dass deine Schwester dein Bild zerrissen hat … du bist so traurig und wütend, dass du schlagen möchtest. Komm, lass uns das deiner Schwester in Worten sagen.«

Emphatisch sein stellt sich für die meisten von uns nicht automatisch ein. Das liegt nicht daran, weil wir unfreundlich sind, sondern weil wir in unserem Alltag die anderen Menschen durch die Brille unserer eigenen Bedürfnisse und Wünsche sehen. Wenn unser Kind traurig ist, nehmen wir dies nicht automatisch aus der Sicht des Kindes wahr. Wir sehen es aus unserer Perspektive. Daher erleben wir die Emotionen unseres Kindes oft als lästig, überzogen und als wenn es unser Leben absichtlich schwer machen würde.

Wenn wir möchten, dass unser Kind dem Bruder oder der Schwester gegenüber Empathie empfindet, dann müssen auch wir Empathie dem Kind gegenüber empfinden. Dies bedeutet, dass egal, was es sagt oder tut, wir zum Ziel haben, seine Perspektive mit Verständnis anzunehmen – auch wenn Sie nicht seine Ansicht teilen.

Was ist, wenn Sie nicht immerzu empathisch sein können? Das ist in Ordnung. Es ist ein Ziel, und wie die meisten erstrebenswerten Ziele erfordert es eine Menge Übung. Manchmal werden Sie zu wütend oder zu abgelenkt oder zu müde sein. Ihr Kind braucht von Ihnen nicht, dass Sie 100 % der Zeit empathisch sind. Arbeiten Sie einfach daran, die Prozentzahl zu erhöhen.

Viele Eltern haben Angst, dass ihr Kind zu einer »Drama Queen« wird, wenn sie die Emotionen des Kindes anerkennen. Doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Wenn Eltern ihr Herz aufrichtig öffnen und einen Raum bieten, sodass ihr Kind alles zum Ausdruck bringen kann, lernt das Kind:

»Meine Emotionen sind normal, nicht gefährlich.« Emotionen können sich überwältigend anfühlen, aber das Kind lernt, dass es o.k. ist, sie zu fühlen. Und wenn das Kind dies tut, verlieren die Emotionen ihre Kraft.»Wenn ich sage, wie ich mich fühle, werde ich nicht so wütend.« Die Emotionen bleiben unter Kontrolle. Somit kann das Kind sein Verhalten besser regulieren, sogar wenn es wütend ist.»Zu merken, was ich fühle, hilft mir dabei, mit Worten auszudrücken, was ich fühle, anstatt meinem Bruder wehzutun.« Es gefällt Ihnen vielleicht nicht, wenn Ihr Kind schreiend zum Ausdruck bringt, wie wütend es ist. Aber es ist ein Riesenschritt vorwärts weg vom Wild-um-sich-schlagen.»Ich habe gedacht, ich bin wütend, und das bin ich. Aber wütend ist kompliziert. Es ist alles eingepackt in Verletzt- und Verängstigt- und Traurig­-sein. Wenn ich diese Dinge bemerke, bin ich nicht mehr so wütend.« Dies ist die Grundlage von Aggressionsbewältigung. Wünschten Sie sich nicht, Sie hätten dies als Kind gelernt?

Diese Herangehensweise an Emotionen ist vielleicht neu für Sie. Denken Sie daran, ich schlage nicht vor, dass Sie die Verhaltensregeln ändern, die Sie bei sich zu Hause befolgen, sondern dass einfach alle Emotionen angenommen werden können. Auf diese Art und Weise kann sich Ihr Kind mit seinen Emotionen »anfreunden«, was ihm wiederum im Prozess hilft zu lernen, diese zu regulieren. Mit der Zeit wird es Ihnen leichtfallen, Emotionen anzunehmen, sogar wenn Sie gestresst sind. Sie werden feststellen, dass Sie nicht so leicht verärgert sind, wenn Ihr Kind verärgert ist, und dass Sie auf eine ganz neue Art und Weise geduldig sein können.

Während Sie diese empathische Herangehensweise ausprobieren, werden Sie einen sofortigen Wandel in Ihrem Kind feststellen. Vielleicht bietet es Ihnen sogar an, Sie zu umarmen, wenn Sie traurig sind. Ein Kind, das von Eltern großgezogen wird, die es im Umgang mit seinen Emotionen coachen, wird die Gefühle verstehen, die andere Menschen antreiben, und sich gekonnt in der komplexen emotionalen Welt der Beziehungen mit FreundInnen, MitschülerInnen und LehrerInnen zurechtfinden. Und – Halleluja! – Geschwistern.

2 Kohn, Alfie: Liebe und Eigenständigkeit: Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung. Freiburg: Arbor Verlag, 2010 (orig. ders., Unconditional Parenting: moving from rewards and punishments to love and reason. New York, NY: Atria Books, 2005).

3 Brody, Gene: Sibling Relationship Quality: Its Causes and Consequences. In: Annual Review of Psychology, 49, 1998, S. 1–24 (doi: 10.1146/annurev.psych.49.1.1).

4 Siegel, Daniel und Hartzell, Mary: Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen: Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Kinder einfühlsam ins Leben begleiten können. Freiamt: Arbor Verlag, 2003, 2. Aufl. 2009, Seite 193ff (orig. dies., Parenting from the inside out: How a deeper self-understanding can help you raise children who thrive. New York, NY: Tarcher / Penguin, 2003). Siegel, Daniel: The Low Road. In: ­PsychAlive, 3. März 2011. Auf: www.youtube.com/watch?v=WkEcpBU3TpE.

5 Benson, Herbert und Klipper, Miriam: Gesund im Stress: eine Anleitung zur Entspannungsreaktion. Berlin u. a.: Ullstein Verlag, 1978 (orig. dies.: The relaxation response. New York, NY: Avon Press, 1976; Kindle edition: New York, NY: HarperCollins, 2009).

6 Restak, Richard: Geist, Gehirn und Psyche: Psychobiologie: die letzte Herausforderung. Frankfurt a.M.: Umschau-Verlag, 1981 (orig. ders.: The Brain: The Last Frontier. New York, NY: Warner Books, 1980).

7 Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

8 Gottman, John Mordechai und Declaire, Joan, Kinder brauchen emotionale Intelligenz: Ein Praxisbuch für Eltern. München: Heyne Verlag, 1998 (orig. dies., The Heart of Parenting: Raising an Emotionally Intelligent Child. New York, NY: Simon and Schuster, 1997).

9 Bronson, Po und Merryman, Ashley: 10 schockierende Wahrheiten über Erziehung: was eine Stunde Schlaf mit ADS zu tun hat, warum Sie Ihr Kind besser nicht loben sollten und warum besonders gut gemeinte Erziehung keine »Engel« produziert. München: Rieman Verlag, 2010 (orig. dies.: NurtureShock: new thinking about children. New York, NY: Twelve Books, 2011).

10 Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

11 Sunderland, Margot: Die neue Elternschule: Kinder richtig verstehen und liebevoll erziehen. München: Dorsey-Kindersley, 2006 (orig. dies., The science of parenting: How today’s brain research can help you raise happy, emotionally balanced children. New York: DK Publishing, 2006). Schore, Allan (2003). Affect Regulation and Repair of the Self. New York: WW Norton & Company. Schore, Allan: Affect Regulation and Repair of the Self. New York, NY: W.W. Norton & Co., 2003.

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Wie gelassene Disziplin die Geschwisterbeziehung unterstützt

Eine beeindruckende Anzahl an Forschungsarbeiten hat nachgewiesen, dass die Beziehung eines Elternteils mit jedem einzelnen Kind – inbegriffen die Art und Weise, wie der Elternteil bestraft – eine große Auswirkung auf die Qualität der Beziehungen zwischen den Kindern untereinander hat.12

Gene Brody, einer der angesehensten und erfolgreichsten Wissenschaftler in Bezug auf Geschwister, hat immer wieder festgestellt, dass wenn Eltern bei der Führung ihrer Kinder konsequent auf Strafen verzichten, ihre Kinder weniger streiten und netter zueinander sind. Wie ich bereits in der Einführung erwähnt habe, neigen jüngere Kinder dazu, miteinander zu streiten, auch wenn die Eltern nicht strafen. Das liegt vermutlich daran, weil es kleinen Kindern schwerfällt, sich zu regulieren. Aber wenn die Kinder von coachenden Eltern älter werden, sind sie eher in der Lage, ihre Emotionen zu regulieren und nett zu ihren Geschwistern zu sein als Kinder, die mit konventioneller Disziplin erzogen wurden.13

Eine Studie zu Geschwisterbeziehungen fand heraus, dass die Geschwister in der Studie, die »mitfühlend und fürsorglich zueinander waren« (etwa ein Drittel der Kinder), Eltern hatten, die warmherzig waren und ihre Kinder unterstützten, um ihre Erwartungen zu erfüllen. Weitere 30 Prozent der Geschwister wurden als »in hohem Maße konkurrierend« und »manchmal aggressiv« eingestuft, obwohl auch »manchmal warmherzig« – im Grunde genommen so wie wir oft über Geschwisterbeziehungen denken. Diese Kinder kamen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil entweder streng, alles erlaubend oder gleichgültig war. Weitere 22 Prozent der Geschwister wurden als äußerst aggressiv und kalt im Umgang miteinander eingestuft; diese Kinder hatten Eltern, die beide entweder streng oder gleichgültig waren. Und die übrigen 10 Prozent? Sie kamen aus zerrütteten Familien, in denen die Eltern den Kindern emotional nicht zur Verfügung standen. Diese Kinder waren verstrickt, sprich, ihre Beziehungen waren gestört.14 Sie kümmerten sich umeinander, da ihre Eltern nicht für sie da sein konnten, aber Geschwister sollten sich nicht gegenseitig erziehen.

Das bedeutet also, dass Eltern, die angemessene Erwartungen stellen und ihre Kinder darin unterstützen, diese Erwartungen zu erfüllen, Kinder erziehen, die wahrscheinlich eher miteinander auskommen. Strenge und nachgiebige Eltern andererseits erziehen Kinder, die häufiger streiten.

Warum Bestrafung und Nachgiebigkeit dazu führt, dass sich Geschwister noch mehr streiten

Die Meisten von uns wissen instinktiv, warum Nachgiebigkeit unseren Kindern nicht dabei hilft, sich zu verstehen. Wenn wir wollen, dass sie sich gut behandeln, müssen wir eine klare Erwartungshaltung darüber festlegen, wie wir zu Hause miteinander umgehen, und unsere Kinder darin unterstützen, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Aus diesem Grund kann der Ratschlag, dass Eltern die meisten Streitigkeiten unter Geschwistern ignorieren sollten, kontraproduktiv sein. Dies wird in Teil 2 eingehender erklärt.

Für Eltern ist es dennoch oftmals schwer zu verstehen, warum Bestrafung dazu führt, dass Geschwister mehr streiten. Schließlich bestrafen wir, um für die Einhaltung unserer Grenzen zu sorgen und wichtige Lektionen zu lehren. Warum sollte das dazu führen, dass unsere Kinder weniger nett zueinander sind?

Betrachten wir dieses Thema durch die Augen des Kindes, so erhalten wir einige überraschende Einblicke. Aus der Sicht Ihres Kindes ist Disziplin kein Mittel, um ihm angemessenes Verhalten beizubringen. Vielmehr versteht Ihr Kind ganz richtig Disziplin als eine Möglichkeit, wie Sie mit Konflikten umgehen, wenn Familienmitglieder wütend sind oder kollidierende Wünsche haben. Mit anderen Worten, die Art und Weise, wie Sie Ihr Kind maßregeln, nimmt sich Ihr Kind als Vorbild für den Umgang mit zwischenmenschlichen Problemen. Somit lehrt Bestrafung, bei der Gewalt angewendet wird, immer dann Gewalt gegenüber dem Bruder oder der Schwester anzuwenden, wenn ein Problem gelöst werden muss.

Möchten Sie noch ein paar weitere Einblicke darüber erhalten, wie Ihr Kind Bestrafung empfindet und wie diese Ihr Kind und seine Beziehungen zu seinen Geschwistern prägt?

Bestrafung hat zur Folge, dass Kinder versuchen, weitere Bestrafungen zu vermeiden. Dies ist nicht das Gleiche, wie wenn einem andere am Herzen liegen. Sie lernen vielleicht, nicht ihren Bruder oder Schwester zu schlagen, unterlassen dies aber nur, weil sie nicht noch mehr Ärger bekommen wollen, und nicht, weil sie damit ihrem Bruder oder ihrer Schwester wehtun. Bestrafung verzögert die Entwicklung von Empathie. Dadurch ist es für Kinder schwieriger, die Perspektive des Bruders oder der Schwester wahrzunehmen.15Setzt man Grenzen ohne empathisches Einfühlen, so nimmt man den Kindern die Möglichkeit, Selbstdisziplin zu verinnerlichen.16 Niemand mag kontrolliert werden, somit überrascht es nicht, dass Kinder ­Grenzen ablehnen, die nicht empathisch sind. Wenn Kinder sich unseren Grenzen widersetzen, nehmen sie die »Kontrolle« außerhalb von sich wahr. So verrückt es auch klingen mag, dies bedeutet, dass