Gelassene Eltern - zufriedene Kinder - Laura Markham - E-Book

Gelassene Eltern - zufriedene Kinder E-Book

Laura Markham

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Wer Machtkämpfe, Trotzanfälle und die Suche nach der passenden Konsequenz satthat, ist hier genau richtig. Laura Markham vermittelt auf einfühlsame Art die praktischen Werkzeuge, die wir benötigen, um unser Elternsein auf positive und erprobte Weise zu verändern. Beruhend auf der neusten Forschung zur Gehirnentwicklung und klinischer Erfahrung mit Eltern ist Laura Markhams ­Ansatz so einfach wie wirksam: Emotionale Verbindung zum Kind schafft echte und andauernde Veränderung. Wer diese ­lebenswichtige Verbindung zueinander hat, muss nicht ­drohen, nörgeln, betteln, bestechen - noch nicht einmal strafen. Eine bahnbrechende Hilfestellung, um verantwortungsvolle, kompetente und zufriedene Kinder ins Leben zu begleiten. Stimmen zum Buch: "Laura Markhams Buch ist ein Schatz an Ideen, Wissen und - was ich vor allem schätze - konkreten Ansagen. Laura hat nicht nur Ideen, was wir tun können, sie lehrt uns auch, wie wir sein müssen, damit es klappt. Nicola Schmidt, Gründerin und Geschäftsführerin des artgerecht-Projekts

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LAURA MARKHAM

Wie Sie liebevoll bleiben,statt zu schreien,zu schimpfen oder zu drohen

Aus dem amerikanischen Englischen

übersetzt von Annette Seifert

Für Daniel, Eli und Alice, die mich das Lieben gelehrt haben.

Und für Eltern in aller Welt, deren Liebe die nächste Generation formt und somit die Menschheit verwandelt: unsere Zukunft ruht auf euren Schultern.

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel: Peaceful Parent, HAPPY KIDS, bei TarcherPerigee – Penguin Publishing Group, New York, NY 10014, USA.

Copyright © 2012 by Laura Markham, PhD

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with TarcherPerigee, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Deutsche Erstausgabe

© 2019 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Lektorat: Christina Raftery

Titelfoto: ©ASIFE / photocase.de

Hergestellt von mediengenossen.de

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Alle Rechte vorbehalten E-Book 2020

www.arbor-verlag.de

ISBN 978-3-86781-287-0

Eine Generation tief liebender Eltern würde das Gehirn der nächsten Generation verändern und damit die Welt.

CHARLES RAISON

INHALT

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort

Einführung: Geheimnisse gelassener Eltern

Was das Besondere an diesem Buch ist

Du kannst zu einer gelasseneren Mutter, einem gelasseneren Vater werden

Die Umarmung großer Liebe

TEIL EINS: SELBSTREGULATION

1. Bei gelassenen Eltern wachsen zufriedene Kinder heran

Deine erste Elternpflicht

Den Kreislauf durchbrechen: Unsere eigenen Wunden heilen

Wie du deinen Ärger bewältigst

Wie du damit aufhörst, dein Kind anzuschreien

Dein Kind hat einen Gefühlsausbruch: Wie du dabei die Fassung bewahrst

Natürlich kannst du auch mit dir fürsorglich umgehen, während du dein Kind ins Leben begleitest

Zehn Regeln, wie du das Heranwachsen wunderbarer Kinder begleitest

TEIL ZWEI: FÖRDERUNG VON VERBINDUNG

2. Die wesentliche Voraussetzung für gelassene Eltern und zufriedene Kinder

Weshalb Verbindung das Geheimnis zufriedener Eltern ist

Verbindung, während dein Kind heranwächst

Grundlagen für Verbindung

Handlungsleitfaden

TEIL DREI: COACHING STATT KONTROLLE

3. Ein Kind so ins Leben begleiten, dass es sich selbst regulieren kann: Emotionscoaching

Weshalb Emotionen coachen?

Emotionale Intelligenz, während dein Kind heranwächst

Grundlagen für Emotionscoaching

Handlungsleitfaden

4. Was ist zu tun, damit ein Kind heranwächst, das sich freiwillig kooperativ verhält?Es wagen, auf Disziplin zu verzichten

Das schmutzige kleine Geheimnis über Disziplin und Bestrafung

Dein Kind anleiten, während es heranwächst

Empathisches Zeigen von Grenzen: Die Grundlagen

Handlungsleitfaden

5. Wie wächst ein Kind heran, das mit Freude und gutem Selbstwertgefühl Leistungen erbringt? Coaching meistern

Was ist Meisterschafts-Coaching?

Bei deinem Kind Meisterschaft aufbauen, während es heranwächst

Grundlagen der Meisterschaft

Handlungsleitfaden

Nachwort

Wann man professionelle Hilfe braucht

Die Zukunft liegt in deinen Händen

Danksagungen

Literaturhinweise

Anmerkungen

Über die Autorin

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

»Manchmal sind die Kinder einfach schrecklich!Wenn sie nicht so anstrengend wären, wäre alles viel einfacher!«

Wie oft habe ich das gedacht? Wie oft habe ich das gesagt? Wie oft habe ich mich gefragt, warum Kinder genau dann aufdrehen, wenn wir Eltern es am wenigsten gebrauchen können?

Als ich Laura Markham las, bekam ich endlich die Antwort: Es liegt im System. Diese neue und doch ganz einfache Sichtweise veränderte mein Leben vollkommen. Erstens versicherte Laura mir, was ich ohnehin ahnte: Es liegt nicht an den Kindern.

Aber zweitens bekam ich erstmals Werkzeuge, um das Wunderbare in mir und meinen Kindern wirklich ins Leben zu bringen. Ihr Buch hilft Eltern zu erkennen, dass Kinder immer großartig sind, dass sie immer kooperieren – und dass das für uns nicht immer angenehm ist. Gleichzeitig ist ihre Erfahrung als Familienberaterin und Psychologin so tiefgehend, dass sie alltagstaugliche Werkzeuge und Ideen hat, wie wir das auch im Stress zwischen Kindergeburtstag, U-Untersuchung und Karate-Prüfung umsetzen können!

Laura Markhams Buch ist ein Schatz an Ideen, Wissen und – was ich vor allem schätze – konkreten Ansagen. Denn es ist ja schön, dass ich ein kompetentes Kind habe, das sich noch entwickeln muss. Aber wie kriege ich es dann dazu, sich jetzt den Schneeanzug anzuziehen? Laura hat nicht nur Ideen, was wir hier tun können, sie lehrt uns auch, wie wir sein müssen, damit es klappt.

Und so kommen wir Eltern auch an unsere eigenen Themen, die uns im Familienleben oft im Leben stehen. All das sanft, unfassbar menschenfreundlich und positiv und gleichzeitig pragmatisch für den Familienalltag. Kurz: Dieses Buch sollte in keiner Familie fehlen!

Manchmal sind die Kinder einfach schrecklich? Ja, vielleicht. Aber mit diesem Buch werden wir immer einen Weg finden, sie und uns so sanft abzufangen, dass das nicht heißt, dass jetzt der Tag auch schrecklich wird ☺.

NICOLA SCHMIDT

VORWORT

Eine meiner großartigsten Lektionen lernte ich von meinen Nachbarn. Eines Morgens beobachtete ich, wie David seinem siebenjährigen Sohn zeigte, wie man den gasbetriebenen Rasenmäher durch den Garten schob. Während er ihm das Umdrehen des Mähers an der Rasenkante vorführte, rief ihm seine Frau Jane eine Frage zu. Als sich David zu ihr umdrehte, schob Kelly den Mäher geradewegs durch das Blumenbeet am Rasenrand: Zurück blieb eine breit abgemähte Schneise!

Sobald das David bemerkt hatte, verlor er die Beherrschung. Hatte er doch so viel mühevolle Arbeit in die Blumenbeete gesteckt, damit die Nachbarn vor Neid erblassten. In dem Augenblick, als sich sein Tonfall dem armen Kelly gegenüber in immer größere Wut steigerte, eilte Jane zu David, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »David, bitte vergiss nicht … wir begleiten Kinder beim Heranwachsen, keine Blumen.«

In mehr als vierzig Jahren habe ich bereits Hunderttausende von Menschen dazu inspiriert und befähigt, ihre beruflichen und persönlichen Ziele zu erreichen. Meist geht es um das Begleiten eines Kindes, das zu einem rücksichtsvollen, leistungsfähigen und mitfühlenden Menschen heranwachsen soll. Die Beziehung mit ihm soll bis ins Erwachsenenalter authentisch, vertraut und freudvoll bleiben. Das sind ohne Zweifel herausfordernde Ziele.

In meinen Workshops erlebe ich täglich, wie sich Erwachsene um innere Heilung bemühen und die einschränkenden Auswirkungen ihrer Kindheitswunden zu überwinden suchen. Hatten diese Menschen schlechte Eltern? Ihre Eltern waren, wie die meisten von uns, gute Menschen, denen die eigene Erziehung Grenzen auferlegt hatte und die oft vergaßen, dass da Kinder und keine Blumen heranwuchsen – oder einfach nie gelernt hatten, wie man zu »guten« Eltern wird.

Diejenigen, die ich unterrichte und coache, bemühen sich oft darum, diesen Kreislauf zu durchbrechen, damit sie bei ihren Kindern ganz neu anfangen können. Aber zur Heilung alter Wunden reichen gute Absichten oft nicht aus. Wir wollen gern begeisterte und gelassene Eltern sein, aber die überdrehte Gesellschaft und unsere anstrengende heutige Zeit erleichtern das nicht gerade. Manchmal sind wir so sehr in unsere eigenen Emotionen verstrickt und stehen so unter Druck, dass wir beim kleinsten Missgeschick eines unserer Kinder ausrasten. Und noch mittendrin könnten wir herunterbeten, was wir tun müssten, um bessere Eltern zu werden: geduldiger sein, weniger gestresst, mit dem Schreien aufhören, uns ermutigender und unterstützender verhalten. Und doch hört sich das alles leichter an, als es in der Praxis ist.

»Erfolgreiche« Eltern scheinen ein Geheimnis zu kennen. Sie sind gelassener, ruhiger, bleiben aber auch mit ihren Kindern und ihrer eigenen inneren Weisheit stärker verbunden. Sie sind nicht einfach bloß geduldiger; sie scheinen im Umgang mit ihren Kindern stärker präsent und fröhlicher zu sein. Natürlich benehmen sich die Kinder dann auch besser – also scheint es nicht mehr so oft nötig, mit zusammengebissenen Zähnen an der eigenen Geduld zu arbeiten. Sollte ihr Kind versehentlich die Blumen ummähen, dann erinnern sie sich bereits daran, dass es am wichtigsten ist, wie sie das Heranwachsen ihrer Kinder begleiten und nicht wie schön und beeindruckend ihr Blumengarten ist.

Gelassene Eltern – zufriedene Kinder ist ein Buch, das uns in dieses Geheimnis erfolgreicher Elternschaft einweihen möchte. Lies einfach in irgendeines der umfassenden, praktischen und inspirierenden Kapitel hinein und Laura Markham zeigt uns, wie wir neue Kraft schöpfen, um den Kindern unser Bestes zu geben und nicht nur den Bodensatz. Kapitel wie »Bei gelassenen Eltern wachsen zufriedene Kinder heran« erinnern uns an diese tief gehende und dennoch oft vernachlässigte Wahrheit. Die Eltern, die ich kenne, haben nicht viel Zeit zum Lesen. Zu den Stärken dieses Buches gehören daher die integrierten Handlungsleitfäden. Jede dieser Weisheiten ist so kurz gefasst, dass man sie schnell zwischendurch lesen kann, ob vor dem Schlafengehen, beim Warten im Auto oder während du versuchst dich zu beruhigen, bevor du dich wieder mit deinem Kind verbindest. Schritt-für-Schritt-Anleitungen wie »Dein Kind hat einen Gefühlsausbruch: Wie du dabei die Fassung bewahrst« und »Verbindung am Abend« sind so verständlich, dass sie auch während einer angeheizten Auseinandersetzung aufgenommen und umgesetzt werden können.

Natürlich findet dieser Kampf nicht wirklich zwischen Elternteil und Kind statt. Das ist nur das nachfolgende Symptom eines Kampfes, der sich im Elternteil selbst abspielt. Damit wir den Kindern unser Bestes geben können, müssen wir einiges an innerer Arbeit leisten und dort die Konflikte lösen, was nie einfach ist. Doch gibt es eine bessere Motivation für diese Arbeit als die Liebe zu unseren Kindern? Laura Markham bietet uns Eltern ein Repertoire an Strategien zur Heilung unserer eigenen Wunden und zur Stärkung der inneren Verbindung zu unserem wahren Selbst. Dies erleichtert uns die ersehnte tiefere Verbindung zu unseren Kindern. Und sie hat recht, uns daran zu erinnern, dass es für eine glückliche Kindheit nie zu spät ist.

Wenn bei dir Laura Markhams Buch auf dem Nachtkästchen liegt, ist das so, als flüstert dir ein Engel auf der Schulter nützliche Geheimnisse ins Ohr. Das sind die Geheimnisse, die jede Mutter und jeder Vater wissen muss, um als Eltern gelassener und erfolgreicher zu werden – und infolgedessen ein zufriedener Mensch zu sein.

JACK CANFIELDCo-Autor von Hühnersuppe für die Seele

EINFÜHRUNG

Geheimnisse gelassener Eltern

Das Wachsen mit Kindern gehört zu unseren schwierigsten Aufgaben. Bei vielen Eltern hinterlassen die Alltagsbelastungen ein schlechtes Gewissen; uns plagt der Gedanke, wenn wir nur ein wenig mehr Zeit hätten, weniger müde wären oder überhaupt wüssten, wo wir anfangen sollten, würden wir unsere Aufgabe besser erfüllen. Die Menschen wurden nicht für den vielen Stress erschaffen, den uns das moderne Leben auferlegt. Er macht es uns umso schwerer, unsere angeborenen Elterninstinkte überhaupt wahrzunehmen.

Wir sind schon beinahe gezwungen, unsere Elternarbeit in der Freizeit zu leisten, nachdem wir die beruflichen Anforderungen erfüllt haben, nach Hause gependelt sind und Haushaltspflichten erledigt haben. Noch schlimmer ist, dass in unserer Kultur die Beziehung zu unseren Kindern leicht wegzubrechen droht und sie bereits früh ein großes Pensum von Betreuung und Terminen leisten müssen.

Aber es gibt Eltern, die ohne viel Drama wunderbare Kinder ins Leben begleiten. Sie scheinen mit ihrer Elternrolle im Reinen. Offenbar gedeihen ihre Kinder mühelos. Wie schaffen sie das? Was genau lässt ihre Kinder zu großartigen Teenagern und Erwachsenen aufblühen? Wäre es nicht toll, wenn du erfährst, wie sie es machen und es bei deinen eigenen Kindern in die Tat umsetzt? Die gute Nachricht: Es ist machbar. Diese Eltern haben ein Geheimnis. Sie haben in ihrem Kopf sogar ein geheimes Innenleben. Sie sprechen anders mit ihren Kindern, auch mit sich selbst. Sie nähern sich der Erfahrung des Elternseins von einer ganz neuen Perspektive. Vielleicht könnte man von einigen wichtigen Aha-Momenten sprechen, die die Art und Weise verändert haben, wie sie Kinder ins Leben begleiten. Dieser Perspektivenwechsel verwandelt ganz und gar, wie wir unsere Kinder wahrnehmen und auf sie eingehen, aber wir können ihn auf drei Hauptprinzipien verdichten. Große Ideen, aber für alle Eltern einfach und nachvollziehbar.

DREI HAUPTPRINZIPIEN

1. Selbstregulation

Die meisten Eltern glauben Folgendes: Wenn sich unser Kind einfach »ordentlich benimmt«, dann könnten wir als Eltern auch unsere Fassung wahren. In Wahrheit ermöglicht uns erst die Regulation der eigenen Emotionen und Handlungen, in der Elternrolle Gelassenheit zu entwickeln. Letztlich können wir unsere Kinder nicht steuern und ebenso wenig bestimmen, wie das Schicksal die Karten mischt – aber unsere eigenen Handlungen können wir sehr wohl steuern. Beim Elternsein geht es nicht darum, was unser Kind tut, sondern, wie wir darauf antworten. Eigentlich spielt sich das meiste, was wir unter Erziehung verstehen, nicht zwischen Eltern und Kind, sondern im Inneren des Elternteils ab. Braut sich ein Sturm zusammen, wird die elterliche Reaktion diesen entweder stillen oder in einen ausgewachsenen Tsunami verwandeln. Um so ruhig zu bleiben, dass wir mit all dem kindlichen Verhalten konstruktiv umgehen – und mit den stürmischen Emotionen, die dahinterstecken – müssen auch wir wachsen. Wenn es uns gelingt, jene Momente, in denen unsere Knöpfe aktiviert werden, zum Reflektieren zu nutzen und nicht einfach reagieren, dann können wir ein Gespür dafür entwickeln, wann wir aus dem Gleichgewicht geraten und uns wieder zurückholen. Diese innere Arbeit ist das Schwierigste überhaupt, aber genau das befähigt dich dazu, schrittweise zu einer gelasseneren Mutter oder einem gelassenerem Vater zu werden.

Hier besteht der Aha-Moment darin, dass die gelassene Präsenz eines Erwachsenen bei einem Kind einen viel tieferen Eindruck hinterlässt, als es das Anschreien je bewirken könnte. Deine emotionale Selbstregulation – ein etwas ausgefallener Begriff für deine Fähigkeit ruhig zu bleiben – erlaubt es dir, alle Menschen in deinem Leben ruhig, respektvoll und verantwortungsbewusst zu behandeln. So wachsen Kinder heran, die emotional reguliert, respektvoll und verantwortungsbewusst sind. Im ersten Teil dieses Buches bekommst du Werkzeuge an die Hand, um deine Emotionen auszugleichen, auch an jenen Tagen, an denen dein Kind alle deine Knöpfe aktiviert.

2. Förderung von Verbindung

Kinder blühen auf, wenn sie sich verbunden und verstanden fühlen. Erfolgreiche Elternschaft hängt vor allem von der Verbindung zu deinem Kind ab. Punkt. Ansonsten bleibt unser Einfluss gering (»Meine Kinder hören einfach nicht!«) und Elternsein wird zu einer erschöpfenden, undankbaren Aufgabe.

Kinder müssen sich mit ihren Eltern eng verbunden erleben, sonst fühlen sie sich nicht völlig geborgen und ihr Gehirn arbeitet nicht gut genug, um Emotionen zu regulieren und die elterliche Führung anzunehmen. Richtet man also das Hauptaugenmerk zuerst auf die Verbindung, dann wachsen Kinder heran, die nicht nur zufriedener, sondern auch umgänglicher sind. Bereit für den Aha-Moment? Genau diese liebevolle, herzerwärmende Verbindung lässt die Freude ins Elterndasein zurückkehren. In Teil zwei dieses Buches wirst du sehen, wie du die Verbindung zu deinem Kind angenehmer und stärker machen kannst.

3. Coaching statt Kontrolle

Junge Menschen rebellieren ebenso wie Erwachsene gegen Gewalt und Kontrolle. Zum Glück sind sie immer für unseren Einfluss offen, solange sie uns achten und sich mit uns verbunden fühlen. Kinder entwickeln sich zu wunderbaren Erwachsenen, wenn wir ihnen vermitteln, wie sie mit Emotionen umgehen, ihr Verhalten regulieren und Meisterschaft entwickeln – anstatt von ihnen durch Kontrolle sofortige Fügsamkeit zu fordern. Fürsorgliche Eltern wissen, dass das, was sie heute tun, ihr Kind in seiner Entwicklung entweder fördern oder bremsen wird. Sie »coachen« Emotionen, damit ihr Kind die notwendige emotionale Intelligenz entwickelt, um seine Gefühle zu regulieren und überlegte Entscheidungen zu treffen. Sie greifen eher zu empathischen Grenzen, anstatt zu Strafen, um bei den Kindern die Entwicklung von Selbstdisziplin zu coachen und nicht einfach Gehorsam zu erzwingen. Sie lassen sich von Grundwerten leiten, machen also auch keine Kompromisse, wenn es um respektvollen Umgang oder Zeit für die Familie geht. Sie regen sich aber auch nicht über Kleinigkeiten auf. Das bringt gelassenere Eltern und zufriedene Kinder hervor. Dieser Ansatz wirkt sowohl lang- als auch mittelfristig. Teil drei dieses Buches wird dir zeigen, weshalb – und was du für solch eine Entwicklung bei deinem Kind tun kannst.

Was das Besondere an diesem Buch ist

Die meisten Elternbücher konzentrieren sich darauf, das Verhalten des Kindes zu verändern. Und ja, dieses Buch wird dir helfen, dein Kind dabei zu unterstützen, sich zu seinem oder ihrem besten Selbst zu entwickeln. Aber wir gehen dies aus der Perspektive unserer drei Hauptprinzipien an:

Selbstregulation, Förderung von Verbindung und Coaching statt Kontrolle. Du wirst merken, dass sich diese drei Hauptprinzipien wie ein roter Faden durch dieses Buch ziehen. Da du mit deinen eigenen Triggern und Emotionen zurechtkommen musst, um dich mit deinem Kind zu verbinden, wirst du im Verlauf des Buches immer wieder auf Erinnerungen zur Selbstregulation stoßen, damit du dich wieder ins Gleichgewicht bringst, bevor du bei deinem Kind eingreifst. Weil die Verbindung zu ihm im Mittelpunkt gelassener Elternschaft steht, liegt der Schwerpunkt des Buches durchgehend darauf, mit deinem Kind eng verbunden zu bleiben, ob du es nun in der Früh aus dem Haus lotsen oder davon abhalten willst, seinen Bruder zu schlagen.

Im dritten und längsten Abschnitt des Buches – Coaching statt Kontrolle – steht dein Kind im Mittelpunkt. Aber anstatt Tipps, um sein Verhalten mithilfe von Strafe und Bestechung zu steuern oder zu manipulieren, bekommst du Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wie du dein Kind so coachen kannst, dass du sowohl seine kurzfristige wie auch langfristige Entwicklung zu einem selbstsicheren, resilienten, selbstbeherrschten und emotional intelligenten Menschen förderst. Wir legen das Hauptaugenmerk auf die täglichen Interaktionen mit deinem Kind, die in drei grundlegende Kategorien fallen, die jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Hier ist eine Vorschau:

• Emotionscoaching. Das Gehirn junger Kinder ist ebenso wie der Körper noch im Wachstum. Also hat das für die Logik zuständige Gehirnzentrum noch nicht gelernt, wie heftige Gefühle gemäßigt werden. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Ständig vermitteln wir unseren Kindern Botschaften über Gefühle und vermitteln damit, dass wir sie entweder für gefährlich oder einfach für einen Teil des Menschseins halten.

• Liebevolles Anleiten. Kinder sind in dieser großen und verwirrenden Welt auf unsere Anleitung angewiesen. Leider wird den Eltern durch eigene Kindheitserlebnisse und kulturelle Prägung vermittelt, dies mithilfe von Strafe, Zwang und Kontrolle zu tun. Anstatt zu drohen (»Ich zähle bis drei …«) oder zu manipulieren, packen wir das Verhalten deines Kindes an der Wurzel, nämlich an den darunterliegenden Gefühlen. Ich möchte dir dabei helfen, diese Gefühle anzugehen und die emotionale Intelligenz deines Kindes zu fördern. So kann es lernen, seine eigenen Emotionen und somit sein Verhalten zu steuern. Dadurch entsteht Selbstdisziplin. Wenn du einen positiveren Ansatz für mehr Disziplin suchst, der Kindern dabei hilft sich kooperativ verhalten zu wollen, dann ist dieses Kapitel für dich.

• Meisterschaft unterstützen. Kinder sind von Natur aus neugierig, doch untergraben wir allzu oft ihre Lust am Lernen. Auf der Grundlage von Verbindung, Emotionscoaching und positivem Anleiten vermittelt dir das letzte Kapitel Methoden, wie du die angeborene Neugier deines Kindes schützen und seine entstehenden Leidenschaften unterstützen kannst, während du gleichzeitig Selbstvertrauen und Resilienz förderst, die dein Kind für ein erfüllendes Leben benötigt.

Beim Betrachten dieser Themen wenden wir unsere drei Hauptprinzipien an, um jede Interaktion mit deinem Kind zu transformieren. In jedem Kapitel schlage ich dir konkrete, praxisbezogene Umsetzungsmöglichkeiten für den Alltag vor. Beim Durchlesen derselben wird sich für dich herauskristallisieren, weshalb die Art und Weise wie du deinen Säugling beruhigst und mit den Trotzanfällen deines Kleinkindes umgehst, ihm hilft, die nötigen Fähigkeiten zu entwickeln, um im Alter von vier Jahren Enttäuschungen auszuhalten, sich im Alter von sechs mit den Geschwistern zu verstehen oder im Alter von acht Jahren einem gemeinen Angriff von Gleichaltrigen standzuhalten. Jedes Kapitel schließt mit einem konkreten Handlungsleitfaden, der dir hilft, die alltäglichen Herausforderungen im Wachsen mit Kindern zu bewältigen. Hoffentlich experimentierst und spielst du damit und integrierst es in dein Familienleben.

Ebenfalls wirst du in jedem Kapitel sehen, wie du dieselben drei Hauptprinzipien anwenden kannst, um als Eltern mehr Gelassenheit, Selbstvertrauen und Freude zu gewinnen. Das ist harte Arbeit. Aber sie lohnt sich. Sobald du weniger schreist und dich öfter mit deinem Kind verbindest, wird dein Kind tagtäglich kooperativer. Noch wichtiger ist aber, dass du siehst, wie es sich entwickelt und zu einem zufriedenen, selbstsicheren und selbstbeherrschten Menschen heranwächst. Die gute Nachricht lautet, dass dieser Weg mit Kindern zu wachsen, der einfachere ist. Herumschreien, Drohen und Strafen kann allen den Tag vermiesen. Gelassenen Eltern fällt es viel leichter, ruhig und geduldig zu sein. Weshalb? Weil durch diese Art des Wachsens mit Kindern eine bessere Eltern-Kind-Beziehung entsteht. Gelassene Eltern haben tatsächlich einen Weg gefunden, die Freude in das Elterndasein zurückzubringen.

Du kannst zu einer gelasseneren Mutter, einem gelasseneren Vater werden

Für ein liebevolles, mitfühlendes Zuhause ohne Geschrei und Urteile zu sorgen, ist nicht nur ein Geschenk an meine Kinder, sondern auch an mich selbst. Ich bin rasant gewachsen, nicht nur in der Mutterrolle, sondern auch als Mensch.

JENNIFER,Mutter von vier Kindern im Alter von fünfzehn, zwölf, neun und sechs

Dieses Buch ist aus der Arbeit mit Tausenden von Eltern über die Aha! Parenting-Website und privatem Coaching entstanden. Ich bin Klinische Psychologin, spezialisiert auf Kindesentwicklung und Erziehung. Tagtäglich überlege ich, was Kindern beim Aufwachsen hilft und arbeite mit Eltern, um sie dabei zu unterstützen, dass ihre Kinder zu zufriedenen, emotional gesunden und ausgeglichenen Menschen heranwachsen.

Je mehr Eltern ich begegne, umso überzeugter bin ich, dass alle das Beste für ihre Kinder tun. Aber statt hilfreicher Information hören sie viele kontraproduktive und sogar schädliche Ratschläge, die das Elterndasein schließlich zu einem Kampf machen:

»Wie will sie lernen, sich selbst zu beruhigen,wenn du sie nicht schreien lässt?«

»Lobe ihn und sage ihm so oft wie möglich,was für ein braver Junge er ist!«

»Oh, sie regt sich auf, … schnell, lenke sie ab!«

»Wie man am schnellsten einen Trotzanfall im Supermarktbeendet? Sag ihm, du fährst nach Hause und geh einfach.Was glaubst du, wie schnell er dir folgt!«

»Sie manipuliert dich bloß.«

Wie ich noch erklären werde, sorgen viele der heute üblichen Erziehungspraktiken für unnötige Kämpfe zwischen Eltern und Kindern. Man sagt uns, wir sollen das Verhalten unserer Kinder kontrollieren, aber wie? Zwang funktioniert nur bei kleinen Kindern, und wenn wir nicht auf die Bedürfnisse und Emotionen eingehen, die dieses Verhalten antreiben, dann verschlimmern sich die Probleme. Unterdessen sabotieren wir unwillentlich die gesunde emotionale Entwicklung, die wir alle für unsere Kinder wollen. Schlimmer noch, kann das die Empathie für unser Kind untergraben, denn anstatt unserer Intuition zu folgen, die uns instinktiv auf die Bedürfnisse unserer Kleinen eingehen lässt, verhärten wir unser Herz. Ich höre von Eltern immer wieder, dass sie sich wünschen, sie hätten die Prinzipien dieses Buches bereits verinnerlicht, als ihr Kind geboren wurde. Gelassene Eltern, zufriedene Kinder ist dafür gedacht, dir dabei zu helfen, mit deinem Kind eine außergewöhnliche Beziehung aufzubauen und dabei einen zufriedenen, selbstbeherrschten und emotional gesunden Menschen ins Leben zu begleiten.

Die Umarmung großer Liebe

Ob du nach wissenschaftlichen Ergebnissen suchst, um dich bei elterlichen Entscheidungen leiten zu lassen, dich fragst, wie du mit einer bestimmten Herausforderung umgehen sollst, oder dir am liebsten die Haare raufen würdest, hier bist du richtig. Keiner verhält sich die ganze Zeit über friedlich oder wir wären alle schon erleuchtet. Jedes Mal, wenn du dich dafür entscheidest, dich selbst und dein Kind mit mehr Mitgefühl zu behandeln, gehst du einen Schritt in Richtung innerem Frieden und größerem Glück.

Vergiss beim Verinnerlichen dieses Buches nicht, dir jeden kleinen Fortschritt bewusst anzurechnen. Veränderung geschieht Schritt für Schritt. Das Leben besteht einfach aus der allmählichen Ansammlung von Augenblicken, und jeder Augenblick gibt uns eine neue Gelegenheit zum Richtungswechsel. Selbst wenn wir heute nur auf einige wenige Dinge anders reagieren, bewegen wir uns in eine neue Richtung. Ehe wir es uns versehen, befinden wir uns in einer ganz neuen Landschaft.

Wir alle wollen Kinder auf eine Weise ins Leben begleiten, dass sie eng mit uns verbunden bleiben, uns über alles lieben und unser Vermächtnis der Liebe an die nächste Generation weitergeben. Wir wollen, dass unsere erwachsenen Kinder mit den Wurzeln und Flügeln, die wir ihnen verliehen haben, gedeihen, auf eine Kindheit voller Liebe und Lachen zurückschauen und auf Eltern, die ihnen ein so gutes Selbstgefühl vermittelt haben, dass alles möglich scheint. Du erschaffst diese Zukunft an jedem Tag der Kindheit deiner Söhne und Töchter.

Es gibt keine perfekten Eltern und keine perfekten Kinder. Aber es gibt viele Familien, die in der Umarmung großer Liebe leben. Dieses Buch widmet sich Wegen, die eine solche Familie hervorbringen.

TEIL EINS

Selbstregulation

  Eines der Puzzleteile, die Sie beigesteuert haben und die anscheinend vorher gefehlt hatten, war, dass ich mir selbst ebenso beistehen und Vergebung und Geduld schenken muss, wie ich es bei meiner Tochter versuchte. Und ich musste lernen, wirklich zu verinnerlichen, dass ihr Verrückt-Spielen nicht ein Spiegelbild meiner Person oder meines Erziehungsstils war (jedenfalls meistens nicht), sondern Ausdruck dessen, wie sie sich gerade fühlte und was sie in diesem Moment brauchte.

ALENE,Mutter zweier Kinder unter vier Jahren

1

Bei gelassenen Eltern wachsen zufriedene Kinder heran

Es gibt ein altes Sprichwort: Kinder ins Leben zu begleiten ist die schwerste Arbeit überhaupt. Aber weshalb ist das so? Stelle ich diese Frage vor Publikum, schlagen die Eltern meistens zwei Gründe vor. Erstens stehe so viel auf dem Spiel. Und zweitens gäbe es keine klaren Antworten, wie man zu »guten« Eltern wird.

Eine Antwort stimmt und eine stimmt nicht so ganz. Natürlich steht viel auf dem Spiel. Aber wir wissen tatsächlich eine ganze Menge darüber, wie man ein zufriedenes, rücksichtsvolles, emotional gesundes und ausgeglichenes Kind ins Leben begleitet. Es gibt zu diesem allerwichtigsten Thema ziemlich viel wertvolle Forschung, und die Eltern werden erfreut sein, zu erfahren, wie praktikabel sie ist. Studien zeigen immer wieder, dass Eltern, die sich auf die spezifischen Bedürfnisse ihres Kindes warm und respektvoll einstimmen, wunderbare Kinder ins Leben begleiten. Wie alle Eltern wissen, besteht der schwierigste Teil darin, unsere eigenen emotionalen Trigger zu regulieren, damit dieses Ideal zumindest manchmal Wirklichkeit wird.

Unabhängig von den besonderen Herausforderungen deines Kindes kannst du also auch an dir selbst arbeiten, wenn du als Elternteil gute Arbeit leisten willst. Ein Kind verursacht nicht den Ärger oder die Angst, die dazu führt, dass wir uns in Machtkämpfe verstricken; diese entstehen aus unseren eigenen Ängsten und Zweifeln. Unsere eigenen Kindheitserfahrungen, unsere frühen Traumata – größere und kleinere – sind ein Teil von uns. Überdies sind sie derjenige Teil, der die Führung übernimmt, sobald wir emotional erregt sind; Kinder haben ein Talent dafür, unglückliche Gefühle aus unserer eigenen Kindheit auszulösen. Daher können wir nur dann zu gelassenen Eltern werden, wenn wir achtsam verhindern, dass alte Gefühle neue Probleme verursachen.

Genau genommen hängt das, was wir für unsere Kinder am meisten wollen, von unserer eigenen inneren Arbeit ab. Wir alle wollen zufriedene Menschen heranwachsen lassen, die von anderen geliebt werden und glückliche Beziehungen haben. Wenn wir unsere eigenen frühen Kindheitsbeziehungen reflektieren und lernen, für uns selbst gut zu sorgen, können wir – du kannst das! – unserem Kind die sichere Verbindung geben, die ihm lebenslang die Basis für liebevolle Beziehungen bietet. Wir haben es nicht in der Hand, was im Leben unseres Kindes geschieht. Aber wir können es wahrscheinlicher machen, dass er oder sie sich mit Menschen umgibt, die ihn oder sie gut behandeln und dabei unterstützen, dem eigenen Leben einen tieferen Sinn zu verleihen.

Auch wollen wir Kinder so ins Leben begleiten, dass sie ihr Verhalten steuern können; einmal, weil es dann einfacher ist, mit ihnen zusammenzuleben, und zum Zweiten, weil das unsere elterliche Aufgabe ist. Wir wissen auch, wie das geht. Wenn wir die eigenen Emotionen regulieren, lernen auch unsere Kinder ihre Emotionen zu regulieren. Das wiederum erlaubt es ihnen, ihr Verhalten zu regulieren, vorausgesetzt, sie sind gut genug mit uns verbunden, um das auch zu wollen.

Letztlich wollen wir, dass unsere Kinder ihren Weg im Leben finden. Nicht unbedingt in dem Sinne, dass sie sich die Belohnungen verdienen, die die Gesellschaft für Leistungen anbietet, sondern in dem Sinn, dass sie lebenslang ihre einzigartigen Gaben entdecken, verfeinern und teilen. Auch hier wissen wir, was wir für unsere Kinder tun können. Es hat viel damit zu tun, wie gut wir unsere eigenen Ängste bewältigen, was wiederum unsere Kinder dazu befreit, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen und Selbstvertrauen und Resilienz zu entwickeln.

Einige Kinder kommen mit einem etwas schwierigeren Temperament auf die Welt und für jene Kinder ist unsere innere Arbeit als Eltern sogar noch wichtiger. Aber unabhängig davon, was dein Kind mitbringt, wie du auf seine Persönlichkeit eingehst, wird seine Fähigkeit prägen, aus seinem Leben das Beste zu machen.

Dein Kind wird dich erfreuen und zur Verzweiflung bringen, dich begeistern und wütend machen. So wird es dich auch unabsichtlich zum Wachsen auffordern. Wenn du das Triggern merkst und noch bevor du handelst, dein Gleichgewicht wiedergewinnst, wenn du deine eigene Angst beruhigen kannst, über deine eigene Erfahrung nachdenken und dich damit versöhnen kannst, dann kannst du zufriedene, emotional gesunde Kinder ins Leben begleiten, die in jeder Hinsicht ihren Weg finden. Du kannst zu einem gelassenen Elternteil werden, der mit zufriedenen Kindern wächst.

Deine erste Elternpflicht

Achtsamkeit: Es einer Emotion erlauben zu kommen und wieder zu gehen, ohne darauf zu reagieren.

BENEDICT CAREY1

Achtsamkeit: Jemandem keins auf die Schnauze hauen.

Ein Elfjähriger,zitiert nach Sharon Salzberg2

Dein Kind wird sich ziemlich sicher wie ein Kind benehmen, was heißt, dass jemand, der noch lernt, andere Prioritäten hat als du und nicht immer seine Gefühle oder Handlungen steuern kann. Garantiert wird dich sein kindliches Verhalten manchmal in Rage bringen, deine Knöpfe aktivieren. Das wird dann zum Problem, wenn wir selbst anfangen, wie Kinder zu handeln. Wenn wir unserem Kind Erwachsensein vermitteln wollen, muss auch jemand erwachsen handeln! Wenn wir stattdessen achtsam bleiben können – das heißt, unsere Emotionen wahrnehmen und sie vorüberziehen lassen, ohne darauf zu reagieren, dann zeigen wir den Kindern, wie emotionale Regulation geht, und sie lernen von uns durch Beobachtung.

Nicht ohne Grund werden wir im Flugzeug dazu angehalten, zuerst unsere eigene Sauerstoffmaske aufzusetzen. Kinder können diese Masken nicht erreichen oder verlässlich anwenden. Wenn wir nicht mehr zurechnungsfähig sind, können die Kinder weder uns noch sich selbst retten. Selbst wenn wir uns für unsere Kinder opfern würden, ist es unsere Verantwortung, zuerst die eigene Sauerstoffmaske anzulegen.

Ebenso wenig können Kinder allein mit ihrer Wut zurechtkommen. Sie finden nicht allein aus dem Gewirr der Eifersucht, das sie dazu drängt, die kleine Schwester zu schlagen. Da benötigen sie unsere Hilfe, um mit der Befürchtung umzugehen, wir liebten sie vielleicht nicht, weil sie irgendwie nicht so ganz genügen. Sie wissen, wären sie wirklich gut genug, dann würden sie die Schwester nicht hauen wollen, oder die Süßigkeit mopsen, oder sich nicht schreiend auf den Boden werfen. Aber sie können nicht anders, so sehr sie sich auch darum bemühen (vergleichbar damit, wenn wir das bewusste eine Stück Kuchen zu viel essen).

Genauso wie bei der Sauerstoffmaske ist es unsere Aufgabe, unserem Kind im Umgang mit seinen Emotionen zu helfen, was ihm wiederum hilft, sein Verhalten zu steuern. Wenn du stressgeplagt bist, völlig am Ende deiner Kraft, kannst du leider ebenso wenig konstruktiv für dein Kind da sein, wie wenn du im Flugzeug ohnmächtig wirst.

Deshalb besteht deine erste Elternpflicht darin, achtsam auf deinen inneren Zustand einzugehen. Achtsamkeit ist das Gegenteil davon, die Beherrschung zu verlieren. Versteh mich nicht falsch – Achtsamkeit bedeutet nicht, dass du den Ärger nicht fühlst oder verdrängst. Achtsam zu sein, bedeutet, dass du zwar aufmerksam auf deine Gefühle achtest, aber nicht ihrem Handlungsimpuls nachgibst. Ärger gibt es in allen Beziehungen. Darauf gedankenlos in Worten oder Taten zu reagieren ist es, was unseren elterlichen Bemühungen schadet.

Emotionen sind nützlich, so wie Hinweisleuchten am Armaturenbrett. Wenn in deinem Auto ein rotes Licht blinkt, würdest du es doch nicht zudecken oder die Verkabelung herausreißen, die es verursacht hat? Du würdest die Information beachten und darauf reagieren, etwa indem du das Auto zu einem Öl-Check in die Werkstatt fährst. Bei menschlichen Gefühlen besteht die Herausforderung darin, dass wir oft nicht wissen, was wir tun sollen, während wir sie fühlen. Wir sind so verdrahtet, dass wir für alle »schwierigen« Gefühle (diese roten Blinklichter in unserer Psyche, die im Laufe des Tages aufleuchten) nur drei Reaktionsweisen haben: Kampf, Flucht oder Erstarren.

Diese Strategien funktionieren in den meisten Notfallsituationen. Aber das Elterndasein ist – all unseren Ängsten zum Trotz – normalerweise kein Notfall. Normalerweise ist die beste Antwort auf aufwühlende Emotionen, ob als Eltern wie auch im übrigen Leben, die, erst einmal inne zu halten anstatt spontan zu reagieren. In anderen Worten: Tu erst einmal nichts, wenn du getriggert wirst.

Du kannst dich darauf verlassen, dass du manchmal von Kampf- oder Fluchthormonen vereinnahmt wirst. Wenn du aber lernst, darauf zu achten, wann du allmählich die Beherrschung verlierst, kannst du die Wahl treffen, wieder in den Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Dieser friedvolle, innere Ort sorgt dafür, dass wir gemäß unseren wahren Werten weise und liebevoll handeln.

Aber was geschieht, wenn wir einfach nicht dorthin gelangen? Wenn unser Kind etwas tut, das uns verrückt macht, und all unsere Versuche, uns selbst zu beruhigen, nicht funktionieren?

Den Kreislauf durchbrechen: Unsere eigenen Wunden heilen

Ohne Reflexion wiederholt sich Geschichte oft …die Forschung hat deutlich gezeigt, dass die Verbundenheit unserer Kinder mit uns davon beeinflusst wird, was wir selbst als Kinder erlebt haben; sofern wir diese Erfahrungen nicht verarbeitet und verstanden haben.

DAN SIEGEL3

Von dem berühmten Psychologen Donald Winnicott stammen viele weise Beobachtungen zu Eltern und Kindern. Meine liebste lautet, dass Kinder keine perfekten Eltern brauchen. Wir müssen nur darauf achten, ihnen möglichst keinen Schaden zuzufügen und ihnen das Maß an »gewöhnlicher Hingabe« zu gewähren, das von den Eltern schon immer gefordert wird.

Leider ist das nicht so einfach, wie es sich anhört. Zuerst einmal hat Hingabe nichts »gewöhnliches« an sich. Wie Eltern wissen, bedeutet Hingabe, mit einem schreienden Baby, das eine Mittelohrentzündung hat, um zwei Uhr nachts in der Wohnung auf und ab zu gehen. Hingabe bedeutet, sich nach einem langen Tag dazu zu zwingen, seinen Kindern ein Essen zuzubereiten, wenn man eigentlich nur abschalten und es sich auf dem Sofa gemütlich machen will. Hingabe bedeutet, während einer Autofahrt in einer kalten Nacht, die Jacke auszuziehen und sie über das auf dem Rücksitz schlafende Kind auszubreiten. Diese gewöhnliche Hingabe ist dieselbe intensive Liebe, die Eltern im Lauf der Menschheitsgeschichte immer wieder dazu veranlasst hat, sich zwischen ihr Kind und eine Gefahr zu werfen, ob es sich dabei um fliegende Glasscherben oder feindliche Soldaten handelt.

Aber selbst wenn wir unsere Hingabe so ausdrücken, dass wir unsere Kinder bereitwillig an die erste Stelle setzen, ist es noch immer nicht leicht »hinreichend gute Eltern« zu sein. Sogar eine hingebungsvolle Mutter oder ein hingebungsvoller Vater verletzt unabsichtlich das eigene Kind oder hinterlässt bei ihm Narben. Das schließt auch diejenigen Eltern mit ein, denen ihre Kinder über alles gehen, die sich, wenn nötig, völlig selbstlos verhalten würden. Weshalb diese Kluft zwischen unseren Absichten und unseren Handlungen? Der Grund dafür ist, dass sich, während wir unserem Kind niemals absichtlich wehtun würden, in unserm Elterndasein wie auch in jeder anderen Beziehung, so vieles außerhalb unseres bewussten Gewahrseins abspielt.

Tatsächlich wurden wir praktisch alle in der Kindheit verwundet und wenn wir diese Wunden nicht heilen, hindern sie uns daran, die Eltern für unsere Kinder zu sein, die wir wirklich sein wollen. Wenn es einen Bereich gibt, in dem du als Kind Narben davongetragen hast, dann kannst du damit rechnen, dass dir dieser Bereich als Eltern Kummer bereitet – und du wiederum dein Kind verletzt.

Uns allen fallen dafür Beispiele ein: der Vater, der bei seinem Sohn unabsichtlich das verurteilende Erziehungsverhalten des eigenen Vaters wiederholt. Die Mutter, die dem Verhalten ihrer Kinder keine Grenzen setzen kann, weil sie deren Ärger auf sie nicht ertragen kann und schließlich selbstbezogene, ängstliche Kinder heranzieht. Die Eltern, die beruflich extra Überstunden machen, weil sie die eigene Fähigkeit, sich für ihr Baby zu interessieren (sprich: es zu lieben) anzweifeln. Uns allen gilt die Aufgabe, unsere eigenen Narben – einige eher unbedeutend, andere schmerzhafter – bewusst zu untersuchen, damit wir unseren Kindern keine neuen zufügen.

Die wunderbare Nachricht ist, dass uns das Elternsein eine Landkarte dafür liefert, wo sich diese Narben befinden, und die Chance, in die Tiefe zu gehen und uns zu heilen. Unsere Kinder besitzen ein untrügliches Gespür, uns diese wunden Stellen zu zeigen und Ängste und Ärger herauszulocken. Besser als der beste Zen-Meister oder Therapeut bieten uns unsere Kinder die perfekte Gelegenheit, zu wachsen und zu heilen. Die meisten Eltern sagen, dass sie durch die Liebe zu ihren Kindern verwandelt wurden: Sie wurden geduldiger, mitfühlender, selbstloser. Dicht an den Themen, die unsere frühe Psyche geformt haben, werden wir immer eine erhöhte Sensibilität spüren, aber sobald wir die verbleibenden Verletzungen heilen, wird unser Verhalten nicht länger davon gesteuert, und wir merken, dass uns diese Narben informieren, motivieren und zu besseren Eltern machen.

Wie kannst du also deine eigenen Kindheitsprobleme heilen und zu dem Elternteil werden, den du dir für deine Kinder wünschst?

• Lebe dein Elternsein bewusst. Wenn wir aufmerksam sind, merken wir es, wenn das Kind unsere inneren Knöpfe aktiviert. Natürlich handeln Kinder wie Kinder, und zwar immer. Das ist altersgemäß. Aber was manche Eltern nervt, wird von anderen mit einer ruhigen, warmen und humorvollen Haltung aufgenommen, die Kinder dabei unterstützt, sich benehmen zu wollen. Jedes Mal, wenn uns etwas »triggert«, sind wir über etwas gestolpert, das der Heilung bedarf. Wann immer dein Kind bei dir die inneren Knöpfe drückt, zeigt es dir eine unerledigte Thematik aus deiner Vergangenheit.

• Unterbreche den Kreislauf. Verwende die innere Pausentaste. Du musst mit deinen Kindern nicht die Vergangenheit wiederholen. Selbst wenn du den falschen Weg bereits ein großes Stück gegangen bist: Stopp. Atme tief ein und drücke die Pausentaste. Schließe den Mund, selbst wenn es mitten im Satz ist. Sei deswegen nicht peinlich berührt; du bist ein Vorbild für gute Aggressionsbewältigung. Spare dir die Verlegenheit für deinen nächsten Tobsuchtsanfall auf.

• Begreife, wie Emotionen funktionieren. Ärger ist eine Botschaft, dass etwas in unserem Leben nicht funktioniert. Dabei ist das Problem, dass er auch ein biologischer Zustand ist, der uns nicht dabei hilft, die beste Lösung zu finden. Wenn uns die hormonellen Reaktionen im Griff haben, die uns »ärgerlich« machen, tun und sagen wir Dinge, die wir sonst niemals sagen oder tun würden. Sind Körper und Emotionen im Kampf-oder-Flucht-Modus, erscheint dir dein Kind immer wie der Feind. Atme tief ein und warte, bis du dich beruhigt hast, bevor du etwas beschließt oder handelst.

• Drücke die Rückstelltaste deiner eigenen »Geschichte«. Wenn deine Kindheit leiderfüllt war, kannst du das nicht ändern. Was du jedoch verändern kannst, ist das, was du aus deiner Kindheit mitnimmst: deine »Geschichte«. Das tust du, indem du darüber nachdenkst, die schmerzhaften Gefühle fühlst, aber auch neue Blickwinkel berücksichtigst. Wenn dein Vater die Familie verlassen hat und du daraus gefolgert hast, dass du nicht gut genug warst, ist es an der Zeit, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und von deinem Standpunkt als Erwachsene zu verstehen, dass du mehr als gut genug warst und sein Weggehen nichts mit dir zu tun hatte. Wenn du von deiner Mutter geschlagen wurdest und daraus gefolgert hast, dass du ein böses Kind warst, wäre eine zutreffendere Erklärung, dass deine Mutter vermutlich voller Angst war und sogar das engelhafteste Kind der Welt geschlagen hätte. Du warst einfach wie jedes Kind: Du hast dich auf die einzige Weise nach Liebe und Zuwendung ausgestreckt, die du kanntest. Deine Geschichte zu bewältigen und neu zu schreiben kann ein schmerzvoller und zugleich befreiender Prozess sein. Außerdem ist es der einzige Weg, um zu dem gelassenen Vater, der gelassenen Mutter zu werden, die du für dein Kind sein willst.

• Baue Stress ab. Uns fällt es schwerer, die Eltern zu sein, die wir gerne wären, wenn wir völlig gestresst sind. Bau dir ein Repertoire an Gewohnheiten auf, die dir beim Entspannen helfen: regelmäßig Sport treiben, Yoga, ein warmes Bad, Meditation. Fehlt dir die Zeit dazu? Dann beziehe die ganze Familie mit ein. Lege Musik auf und tanzt gemeinsam dazu, geht Spazieren, bringe freitagabends alle mit Büchern versorgt früh ins Bett, damit du einen ruhigen, entspannten Abend hast und Schlaf nachholen kannst. Mache dir Entschleunigung zur Priorität und du wirst dafür auch Wege finden.

• Hole dir beim Betrachten alter Probleme Unterstützung. Alle Eltern brauchen Unterstützung und Gelegenheiten, über ihre schwierige Aufgabe zu sprechen. Manchmal können wir das ganz ungezwungen mit Freunden oder Verwandten tun. Manchmal kann eine eher förmlichere »Zuhör-Partnerschaft« mit einem anderen Elternteil, wie sie Patty Wipfler von der Organisation Hand-in-Hand-Parenting empfiehlt, die letzte Rettung sein. Vielleicht willst du in eine Elternselbsthilfegruppe gehen. Wenn du das Gefühl hast, auf der Stelle zu treten, suche dir eine Beraterin oder einen Berater, die dir dabei helfen, in deinem Leben zufriedener weiterzugehen. Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten; eher wäre das der Fall, wenn du deine elterliche Verantwortung nicht einhältst, indem du dein Kind körperlich oder seelisch verletzt. Wenn du denkst, dass du Hilfe brauchst, warte bitte nicht. Ergreife jetzt die Initiative.

Es gibt keine vollkommenen Eltern, weil Menschen laut Definition unvollkommen sind. Doch jedes Mal, wenn du aufmerksam bist, die innere Pausentaste drückst und deinen Stress bewältigst, wirst du ein wenig gelassener. Genau das gibt deinem Kind eine größere Chance, glücklich zu werden. Winnicott hatte recht. Unsere Kinder brauchen von uns keine Vollkommenheit. Dagegen brauchen sie Eltern, die ihr eigenes Wachstum begrüßen, bereit zur Wiedergutmachung sind und ihr Herz öffnen, wenn es sich verhärten will.

Wie du deinen Ärger bewältigst

Dieser Ansatz ist unglaublich wirkungsvoll und hat mein Leben verändert. Das Beste daran ist, dass man nicht perfekt sein muss. Man muss einfach echt sein, ehrlich und dazu fähig, Fehler zuzugeben. Anstatt im Alltag Donnerwetter heraufzubeschwören, schafft man Verbindungen, liebevolle Momente und teilt mit den Kindern seine echten Emotionen. Diese realen Augenblicke lehren unsere Kinder, wie sie selbst ihr bestes Ich sein können, nicht perfekt, einfach echt.

CARRIE,Mutter von zwei Jungen unter vier Jahren

Da du eben ein Mensch bist, wirst du dich immer noch manchmal im Kampf-oder-Flucht-Modus wiederfinden, und dann erscheint dir dein Kind wie der Feind. Wenn dich die Wut überschwemmt, ist dein Körper kampfbereit. Er wird von Hormonen und Neurotransmittern überflutet. Sie sorgen dafür, dass sich die Muskeln anspannen, der Puls rast und die Atmung schneller wird. In solchen Momenten kann man unmöglich ruhig bleiben, aber wir wissen alle, dass körperliche Angriffe auf unsere Kinder – während es vielleicht momentane Erleichterung schafft – nicht dem entspricht, was wir wirklich tun wollen.

Also verpflichtest du dich jetzt, dein Kind nicht zu schlagen, nicht anzuschreien, dein Kind nicht zu beschimpfen und keine Drohungen auszusprechen. Wenn du unbedingt schreien musst, setz dich ins Auto, halte die Fenster geschlossen und schreie da, wo dich niemand hören kann – aber ohne Worte, denn sonst wirst du noch wütender.

Auch deine Kinder werden wütend; wenn du dich also der konstruktiven Aggressionsbewältigung verschreibst, profitieren sie davon doppelt. Du vermeidest nicht nur die Kinder zu verletzen, sondern bist ihnen sogar Vorbild. Sie werden dich ab und zu sicher ärgerlich erleben und wie du mit diesen Situationen umgehst, wird für sie sehr lehrreich sein. Wirst du ihnen vielleicht vermitteln, dass das Recht des Stärkeren gilt? Oder, dass auch Eltern Wutanfälle haben? Oder, dass Wut einfach menschlich ist und der verantwortungsvolle Umgang damit zum Erwachsenwerden gehört? Hier folgt, wie das geht:

• Mach eine 5-Minuten-Pause. Erkenne an, dass du generell im ärgerlichen Zustand nicht gut reagieren kannst. Erlaube dir stattdessen eine Auszeit und komm erst dann wieder zurück, wenn du Ruhe bewahren kannst. Ist dein Kind alt genug, um einen Augenblick allein zu bleiben, geh ins Bad, spritze dir Wasser ins Gesicht und nimm tiefe Atemzüge. Sag dir einfach so ruhig wie möglich: »Gerade bin ich zu wütend, um darüber zu reden. Ich werde mir eine Auszeit nehmen und mich beruhigen.« Dieses Aussteigen macht dein Kind nicht zum Sieger. Es schärft ihm nur ein, wie ernst sein Verstoß ist und ist ein Vorbild für Selbstbeherrschung. Falls dein Kind so jung ist, dass es sich verlassen fühlt, wenn du es allein lässt, dann gehe stattdessen an die Küchenspüle. Setz dich anschließend ein paar Minuten aufs Sofa. Ob du in der Nähe deines Kindes bist oder hinter einer verschlossenen Tür, verwende diese Zeit auf jeden Fall, um dich zu beruhigen und nicht, um dich in eine weitere Raserei hineinzusteigern, wie sehr du recht hast. Atme tief und leise und sage dir ein kurzes Mantra vor, das deine Gelassenheit wiederherstellt. Dein Kind wird zuschauen. Sorge dich nicht darum, dass du deinem Kind eigentlich verdeutlichen müsstest, was es angestellt hat. Es lernt gerade eine der wichtigsten Lektionen überhaupt: wie es starke Emotionen verantwortungsvoll reguliert.

• Hilf deinem Körper, Ärger zu entladen. Wenn du dich so sehr wütend fühlst, brauchst du eine Beruhigungsmethode. Halte inne, atme, erinnere dich daran, dass dies kein Notfall ist. Schüttle die Anspannung aus den Händen. Atme zehn Mal tief durch. Wenn du das Bedürfnis hast, ein Geräusch von dir zu geben, dann summe. Vielleicht möchtest du versuchen zu lachen, wodurch Spannung abgebaut und die Laune verändert wird. Sogar wenn du dir ein Lächeln abringst, sendet das die Botschaft an das Nervensystem, dass kein Notfall besteht und beruhigt dich allmählich. Klopfe beim Atmen auf den Akupunkturpunkt an der Seite jeder Hand (die Stelle, an der du einen Karateschlag ansetzen würdest) und bringe die Absicht zum Ausdruck, dass du dich beruhigen willst. Wenn du das Gefühl hast, deine Wut körperlich entladen zu müssen, lege Musik auf und tanze dazu.

• Verändere deine Gedanken, damit du deine Gefühle verändern kannst. Wenn du denkst, dein Kind sei ein verzogener Bengel, aus dem einmal ein Grobian wird, dann kannst du dich nicht beruhigen. Tatsächlich ist dein Kind ein sehr junger Mensch im Schmerz und das zeigt es dir durch sein Verhalten. Erinnere dich daran: »Es verhält sich wie ein Kind, weil es eben ein Kind ist. Mein Kind braucht meine Liebe am nötigsten, wenn es sie am wenigsten ›verdient‹. Es bittet mich, ihm bei seinen rechtmäßigen Bedürfnissen und Gefühlen zu helfen.«

• Höre deinem Ärger zu, anstatt darauf zu reagieren. Wie auch andere Gefühle gehört Ärger zu uns wie Arme und Beine. Jedoch sind wir dafür verantwortlich, wie wir damit umgehen. Zorn hält oft eine wertvolle Lektion für uns bereit, aber aus dem Ärger heraus zu handeln, ist abgesehen von den seltenen Situationen, in denen Selbstverteidigung vonnöten ist, selten konstruktiv, da wir dann in einer Weise handeln, wie wir es im vernunftgeleiteten Zustand niemals tun würden. Der konstruktive Weg im Umgang mit der Wut bedeutet, sich bei ihrem Ausleben zurückzuhalten, und, sobald wir uns beruhigt haben, damit diagnostisch umzugehen: Was läuft in unserem Leben so verkehrt, dass wir diese Wut fühlen, und was müssen wir tun, um die Situation zu verändern? Manchmal hängt die Antwort ganz klar mit unserem Elternverhalten zusammen: Wir müssen schon, bevor die Dinge aus dem Ruder laufen, anders vorgehen, die Kinder eine halbe Stunde früher ins Bett bringen, oder die Beziehung zu unserer Neunjährigen reparieren, damit sie uns nicht weiterhin so unhöflich behandelt. Ab und zu finden wir überrascht heraus, dass unsere Wut eigentlich mit unserem Ehepartner zusammenhängt, der sich in seiner Elternrolle nicht voll einbringt oder sogar mit unserer Chefin. Gelegentlich ist Wut eine Ermahnung, dass wir mehr Schlaf brauchen oder regelmäßig bei einem Freund oder einer Freundin Dampf ablassen sollten. Und manchmal lautet die Antwort, dass wir Wut mit uns herumtragen, die wir selbst nicht verstehen und an unseren Kindern auslassen. Dann müssen wir uns bei einem Therapeuten, einer Therapeutin oder in einer Eltern-Selbsthilfegruppe Hilfe suchen.

• Denke daran, dass es deine Wut verstärken und zum Eskalieren bringen kann, wenn du sie an einem anderen Menschen »abreagierst«. Entgegen der gängigen Vorstellung, dass wir unseren Ärger »abreagieren« müssen, damit er uns nicht auffrisst, zeigt die Forschung, dass uns das akute Abreagieren von Wut sogar noch wütender macht. Das wiederum verletzt die Andere, sie wird ängstlich oder ärgerlich und die Beziehung bekommt einen Riss. Kauen wir die Situation wiederholt im Geiste durch, beweist uns das immer nur, dass wir recht haben und der Andere unrecht, was uns, während wir so vor uns hin schmoren, umso wütender macht. Dagegen funktioniert es wirklich, wenn wir uns zunächst beruhigen und anschließend versuchen, die Ursache der Wut auf konstruktive Weise anzugehen.

• Warte ab, bevor du dein Kind disziplinierst. Da gibt es nichts, was Sofortmaßnahmen erfordert. Diese werden für die langfristige Entwicklung deines Kindes nie das Beste sein oder noch nicht einmal die beste Lösung zur zukünftigen Vermeidung des Problems. Rede so wenig wie möglich, bis du dich wieder beruhigt hast. Sag nur so etwas wie: »Ich muss mich erst beruhigen, bevor ich darüber reden kann.« Wenn du dir eine zehnminütige Auszeit nimmst und dich hinterher noch immer nicht fähig fühlst, ruhig und konstruktiv auf die Situation einzugehen, kannst du sagen: »Ich will darüber nachdenken, was passiert ist, und wir reden später darüber.«

• Vermeide unter allen Umständen körperliche Gewalt. Wenn du dein Kind schlägst, fühlst du dich vielleicht vorübergehend besser, weil du deine Wut entladen hast. Aber deinem Kind fügst du so dauerhaften Schaden zu und sabotierst schließlich das Positive, das du als Elternteil tust. Prügel und sogar ein Klaps führen sehr schnell zur Eskalation in schädliche und manchmal sogar tödliche Gewalt. Tu, was nötig ist, um dich zu beherrschen und wenn es bedeutet, dass du das Zimmer verlassen musst. Kannst du dich wirklich nicht beherrschen und greifst zu körperlicher Gewalt, dann entschuldige dich bei deinem Kind, sag ihm, dass Schlagen niemals in Ordnung ist und suche dir Hilfe.

• Vermeide Drohungen. Was du im wütenden Zustand androhst, wird nie vernünftig sein. Da Drohungen nur dann wirksam sind, wenn du auch dazu bereit bist, diese in die Tat umzusetzen, untergräbst du deine Autorität und wahrscheinlich wird dein Kind die Regeln auch das nächste Mal nicht befolgen.

• Achte auf Wortwahl und Tonfall.