Geld ist nicht genug - Wallace Stroby - E-Book

Geld ist nicht genug E-Book

Wallace Stroby

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Beschreibung

Metallteile und Plastik schlittern über den Asphalt. Volltreffer. Crissa Stone hebelt den Geldautomaten mit der Schaufel eines Frontladers aus der Verankerung und balanciert die Beute auf die Ladefläche ihres Pick-ups. Sie liebt saubere Lösungen. Crissa hat das System des Bankraubs perfektioniert, aber ihre Partner verlieren die Nerven. Gangster, die sich gegenseitig umbringen - wie unprofessionell. Zum Glück wartet schon ein neuer Job: Ein verstorbener Mafiaboss soll die Millionen eines Raubs jahrelang versteckt haben. Leider ist Crissa nicht die Einzige, die es auf das Geld abgesehen hat. Sie gerät zwischen die Fronten und muss fliehen: Vor dem Gesetz und einer Mafia-Gang aus New York.

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Wallace Stroby · Geld ist nicht genug

Wallace Stroby

Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Alf Mayer

PENDRAGON

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel „Kings of Midnight“ bei Martin’s Press, New York.

In der Crissa-Stone-Reihe ist bereits erschienen:

Band 1: „Kalter Schuss ins Herz“ (2015)

Pendragon Verlag

gegründet 1981

www.pendragon.de

Deutsche Erstausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Pendragon 2017

© by Wallace Stroby 2012

© für die deutsche Übersetzung

by Pendragon Verlag Bielefeld 2017

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Eva Weigl, Fiona Dummann

Umschlag und Herstellung: Uta Zeißler, Bielefeld

Umschlagfoto: cw-design / photocase.de

Satz: Pendragon Verlag auf Macintosh

Gesetzt aus der Adobe Garamond

ISBN 978-3-86532-581-5

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Die einen verlieren ihr Leben, weil sie es zu bewahren nicht den Verstand, die andern, weil sie nicht den Willen haben. Wie Tugend ihr eigner Lohn, ist Laster seine eigne Strafe. Wer eifrig dem Laster frönt, endigt bald.

„Handorakel und Kunst der Weltklugheit“, Baltasar Gracian

1

Crissa zog sich die Skimaske über das Gesicht, trat auf die Kupplung des Schaufelladers und schaute über den Asphalt zum Geldautomaten hinüber und dem rotgeziegelten Bankgebäude dahinter. Am Horizont zuckten Blitze eines Wärmegewitters.

Der Frontlader tuckerte und rüttelte, vibrierte durch ihre Stiefel hindurch. Ihre Hände steckten in Handschuhen, sie wischte die Scheibe frei. Hollis ließ nahe den Bäumen am entgegengesetzten Ende des Parkplatzes die Scheinwerfer des gestohlenen Pick-ups aufleuchten.

Den Hebel für die große Schaufel bediente Crissa mit ihrer rechten Hand, hörte das Getriebe einrasten. Die Schaufel hob sich langsam. Sie hatten den Frontlader von einer Baustelle eine halbe Meile weiter gestohlen und ihn ohne Licht über die Seitenstraßen hierhergefahren. Die Bank hatten sie sich wegen ihrer Lage ausgesucht. Wald auf drei Seiten, vorne ein Highway. Nachts um drei waren nur wenige Autos unterwegs und die fuhren schnell.

Sie trat auf die Bremse, schaltete in den ersten Gang und stieg auf das Gaspedal. Der Schaufellader preschte vorwärts. Sie versuchte, um einen Randstein zu lenken, erwischte aber die Kante. Die großen Räder rollten darüber hinweg, die Kabine hob und senkte sich.

Der Geldautomat stand auf einer Betoninsel neben der äußersten der drei Durchfahrtsspuren. Sie bog im falschen Winkel ein, musste bremsen und zurückstoßen. Der Rückwärtssensor piepste, war über dem Motor kaum zu hören. Als sie zurücksetzte und sich richtig positionierte, konnte sie Hollis sehen, wie er sie zunehmend nervös durch die Windschutzscheibe des Pick-ups beobachtete.

Sie fuhr wieder vorwärts, hatte dieses Mal die Schaufel auf den Automaten ausgerichtet, und bremste. Auf seinem Monitor sah sie Werbung flackern, ein Spot ging in den nächsten über, der Bildschirm niemals dunkel. Wenn sie sich verschätzte und den Automaten mehr zerquetschte als ihn umzustürzen, könnte sie einen neuen Anlauf nehmen, aber das würde noch mal Zeit brauchen und das Risiko erhöhen.

Jetzt war sie im Bereich der Überwachungskameras, es gab kein Zurück mehr. In den Handschuhen wurden ihre Hände klamm. Hollis fuhr mit dem Pick-up auf sie zu, wartete auf sie. Langsam stieß sie ihren Atem aus, ließ den Sicherheitshebel der Schaufel einrasten und arretierte sie in der gewünschten Position. Dann gab sie Gas.

Als das Schaufelende den Sockel des Geldautomaten traf und in Plastik und Metall fuhr, erbebte der Frontlader. Es war, als ob der Geldkasten stöhnte und sich nach vorne in die Schaufel lehnte. Sein Monitor erlosch. Drinnen in der Bank schrillte ein Alarm.

Sie bremste und zog am Hebel für die Schaufel. Mit einem knirschenden Geräusch kam der Automat vom Sockel frei. Er neigte sich weiter in die Schaufel, hing dort, immer noch an Kabeln und Rahmenteilen mit der Betoninsel verbunden.

Hollis war ausgestiegen, hatte eine Skimaske auf und ein Brecheisen in der Hand. Crissa hob die Schaufel ein kleines Stück an, aus der Automatenbasis stieben Funken. Dies war der riskante Teil. Wenn sich der Automat losriss, bevor er vollständig in der Schaufel lag, würde er zurückkippen. Es würde zu lange dauern, es noch mal zu versuchen. Sie würden aufgeben müssen.

Sie schaltete in den Leerlauf, trat auf die Notbremse. Hollis hatte sein Eisen in den Automatensockel gestemmt, hebelte es hin und her. Der Automat kippte ein paar Zentimeter mehr, genug für Hollis, um auf seine Rückseite zu steigen und ihn nun mit seinem Gewicht hinunterzudrücken. Dann sprang er ab, trat außer Reichweite. Sie hob die Schaufel noch einmal an. Zuerst gab es Widerstand und kreischendes Metall, aber plötzlich war der Automat frei, plumpste tief in die Schaufel, zog Drähte und zerborstenes Mauerwerk hinter sich her. Sie hörte, wie Glas platzte und brach.

Hollis rannte zum Pick-up zurück, warf das Stemmeisen auf die Pritsche. Sie setzte von der Verkehrsinsel zurück. Glas und Plastikteile lagen auf dem Asphalt. Gute drei Meter zurück stoppte sie und bremste.

Hollis fuhr den Pick-up vor den Frontlader. Es war ein großer Dodge Ram mit extrastarken Stoßdämpfern und übergroßer Ladefläche. In diesem Teil von South Carolina war so etwas leicht zu finden gewesen. Er hatte ihn vor einer Stunde aus einer Hausauffahrt gestohlen.

Er stieg aus, um sie zu dirigieren, gab ihr erst eine Richtung, danach eine andere an. Als er den Daumen hochhielt, kippte sie die Schaufel nach unten. Der Automat krachte auf die Ladefläche und wie gewollt auf den Rücken, der Dodge schaukelte auf den Stoßdämpfern. Sie stieß wieder zurück und schaute dabei in den Rückspiegel, um nicht wieder den Randstein zu erwischen, fuhr zu den Bäumen an die Stelle, an der man den Schaufellader nicht vom Highway aus sehen konnte. Sie zog den Schlüssel ab. Es war ein Universalschlüssel für alle John-Deere-Lader. Sie hatte ihn gerade zum sechsten Mal benutzt.

Sie öffnete die Tür, stieg in die Hitze hinab. Hollis hatte die Plane über den Automaten gezogen, saß schon wieder am Steuer. Schnell ging sie zum Truck, schaute zu den gläsernen Augen der zwei Kameras an der Gebäudewand hoch, stieg auf der Beifahrerseite ein. In der Ferne waren Sirenen zu hören.

Sie fuhren los, der Truck träge vom Gewicht, die Stoßdämpfer jammerten. Hollis fuhr verkehrt aus der Einfahrt heraus, holperte auf den Highway.

„Der ging leichter als die anderen“, sagte sie. Sie nahm ihre Maske ab, schob sie in die Seitentasche ihrer Windjacke. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß.

„Hätte ich nicht gedacht.“ Er hielt im Rückspiegel nach Lichtern Ausschau. Die Sirenen wurden lauter.

„Maske“, sagte sie.

„Oh, Mist.“

Sie hielt das Lenkrad, während er seine Maske abnahm.

„Da vorne rechts“, sagte sie. Sie hatten die Route ausprobiert, aber die Abzweigung war im Dunkeln leicht zu übersehen. Er lenkte in eine Seitenstraße, die in den Wald führte.

„Du kannst jetzt das Licht einschalten“, sagte sie. „Und fahr langsamer.“

Er schaltete die Scheinwerfer an, ging vom Gas. Sein dunkles Gesicht war ebenfalls schweißnass.

„Vergiss nicht die Maske, wenn wir fertig sind“, sagte sie. „DNA.“

„Das werde ich nicht.“ Die Windschutzscheibe beschlug. Er beugte sich vor, wischte mit seinen Handschuhen über das Glas.

„Brauchst du nicht“, sagte sie. Sie fummelte am Armaturenbrett herum, machte die Klimaanlage an. Der Ventilator summte, die Scheibe wurde frei. Im harten Licht der Scheinwerfer sah es aus, als ob sich die Äste der Bäume auf beiden Seiten der Straße nach ihnen ausstreckten.

„Diese Karre ist für schwere Ladungen gebaut“, sagte er. „Fährt sich gut, sogar mit all dem Gewicht. Vielleicht sollten wir sie behalten und nächstes Mal wieder einsetzen.“

„Auf keinen Fall.“ Sie hatten jedes Mal einen anderen Pick-up gestohlen und zurückgelassen. „Das Letzte, was du tun willst, ist, mit einer heißen Karre herumzufahren.“

„Wir können die Nummernschilder wechseln.“

„Vergiss es. Abgesehen davon wird es kein nächstes Mal geben. Nicht mit mir.“

Er sah sie an. „Wie meinst du das?“

„Wir haben das jetzt sechs Mal gemacht, jedes Mal auf die gleiche Art. Wie lange wird es dauern, bis sie die Baustellen in der Nähe von Banken beobachten? Oder Schaufellader richtig absperren?“

„Aber wir haben uns bewegt. Drei verschiedene Bundesstaaten …“

„Das heißt nichts“, sagte sie. „Ist nur eine Frage der Zeit. Es war eine gute Sache, aber wir haben es ausgereizt. Es ist Zeit, wegzugehen.“

„Ich hasse es, das von dir zu hören.“

Sie waren jetzt auf einem Hügel. Der Geldautomat rutschte auf der Ladefläche, stieß gegen eine der Wände. Er schaltete in einen niedrigeren Gang. Von fern hörten sie leichtes Donnergrollen.

Sie sagte: „Wenn du mit Rorey weitermachen willst, zeige ich euch, wie man einen Schaufellader fährt. Es ist nicht schwer, und du hast diesen Schlüssel. Aber mein Rat ist, hört auf damit. Wir haben eh genug damit gemacht.“

„Rorey …“, sagte er. „Der einzige Grund, warum ich mit diesem Verrückten arbeite, bist du.“

Sie hatte Rorey ins Spiel gebracht. Hollis hatte die Sache angeleiert, aber die zwei Männer, mit denen er arbeitete – einer ein arbeitsloser Baumaschinenfahrer –, saßen beide wegen Drogenbesitzes ein. So war sie an Bord gekommen, auf die Empfehlung eines Kontaktmannes aus Georgia hin, und hatte Hollis beim Feintuning des Plans geholfen. Nur Freitag- und Samstagnacht zuschlagen, wenn die Automaten fürs Wochenende gefüllt waren. Leider aber hatte die Chemie zwischen Hollis und Rorey von Anfang an nicht gestimmt.

„Werd ihn los“, sagte sie. „Finde jemand anderen. Rorey ist erwachsen, er wird es überstehen.“

„Wenn er mit seinem Machogeschwätz loslegt, könnte ich ihm das Brecheisen über die Birne ziehen. Auf keinen Fall arbeite ich ohne dich mit ihm.“

„Dann hast du deine Antwort.“ Sie sah aus dem Fenster auf die vorbeihuschenden Bäume. Die Straße war jetzt planiert, bald konnten sie dunkle Farmhäuser, Felder und Getreidesilos sehen.

„Nicht zu schnell“, sagte sie. „Sonst verpasst du es.“

Sie zog den Reißverschluss ihrer Windjackentasche auf, holte ein Wegwerfhandy heraus und schaltete es ein. Sie wählte Roreys Nummer und wartete. Als er sich meldete, fragte sie: „Wie sieht es aus?“

„Alles klar. Alles ruhig. Und bei euch?“ Wenn etwas schiefgegangen wäre, auf welcher Seite auch immer, wäre das Codewort „Null“ gewesen. Das bedeutete, das Ding ist in die Binsen gegangen, auf die eine oder andere Weise, sich aufteilen und nicht unterkriegen lassen.

„Alles gut“, sagte sie. „Wir sind in der Nähe.“

„Ich lasse das Licht an. Bis gleich“, beendete er das Gespräch.

„Also, was wirst du als Nächstes tun?“, fragte Hollis.

„Wie ich gleich am Anfang gesagt habe, hier unten war ich nur, um mir einen Notgroschen zuzulegen. Ich muss wieder in den Norden hoch.“

„Netter Notgroschen“, sagte Hollis.

Jeder der Bankautomaten, die sie gekapert hatten, war mit dreißig- bis hundertfünfzigtausend Dollar gespickt gewesen, Zehner und Zwanziger. Als Hollis ihr das erste Mal davon erzählte, hatte sie ihm nicht geglaubt. Die Zahlen klangen zu hoch. Aber sie hatten beim ersten Automaten hundertfünfundzwanzigtausend Dollar erbeutet, achtzigtausend bei dem zweiten. In ihrem Hotel in Columbia stand ein Kofferpaar mit hundertfünfundsiebzigtausend Dollar Inhalt. Ihr Anteil von dem, was sie bisher an Land gezogen hatten.

„Es hat funktioniert“, sagte sie. „Danke, dass ich mitmachen konnte.“

„Du hast es verbessert. Du hast mein Spiel verfeinert. Jetzt muss ich wieder von vorn anfangen.“

„Wirst du schaffen“, sagte Crissa.

„Wenn ich je nach Norden komme, etwas auf der Pfanne habe, gibt es einen Weg, dich zu erreichen? Jemanden, den du da oben zwischenschaltest?“

„Nein“, sagte sie. „Noch nicht. Nicht mehr.“

Sie dachte an Hector Suarez, tot im Kofferraum seines Autos auf einer Straße von Jersey City. Aufgeschlitzt und erschossen wegen Problemen, die sie ihm gebracht hatte. In den drei Jahren, die sie in New York gelebt hatte, war er ihr Kontakt gewesen. Seitdem hatte sie niemanden mehr gehabt. Es gab nur eine lose Gruppe von Leuten, denen sie unterschiedlich stark vertraute, keinem von ihnen besonders.

Die Probleme da oben hatte sie gelöst, aber der Name, den sie benutzt hatte – Roberta Summersfield –, der war aufgeflogen. Mit nichts als ihren Kleidern am Leib und einem Koffer voller Bargeld hatte sie die Stadt verlassen. Seitdem war sie Linda Hendryx, so der Name auf dem gefälschten Pass und dem Führerschein, die sie beide für Notfälle aufbewahrt hatte. Die einzigen Menschen, die sie als Crissa Stone kannten, lebten unten in Texas. Sie hatte dort die ersten achtzehn Jahre ihres Lebens verbracht und war schon vor langer Zeit abgehauen.

„Da vorne links“, sagte sie. „Siehst du den Briefkasten?“

„Ja.“

Er bremste und bog auf den Kiesweg ein, der durch ein Tabakfeld führte. Als der Truck in die Kurve ging und sie die Straße hochfuhren, rutschte der Geldautomat wieder auf der Ladefläche. Hollis schaltete die Scheinwerfer aus. Am Ende der Straße stand ein großer Traktorschuppen, aus den Türritzen drang Licht. Eine Taschenlampe blinkte ihnen zu, signalisierte „Alles klar“.

„Reg dich nicht auf“, sagte sie zu Hollis. „In einer Stunde sind wir alle draußen, und du musst ihn nie mehr sehen, wenn du nicht willst.“

„Mit diesem Dreckskerl ist selbst das zu lang.“

Rorey schob eines der großen Tore auf. Hollis wartete. Als die Öffnung groß genug war, fuhr er durch und auf den betonierten Boden drinnen. Rorey begann, hinter ihnen das Tor zu schließen.

„Fahr weiter rein“, sagte sie. „Wir brauchen Platz fürs Arbeiten.“

Eine einzelne Lampe hing über einer Werkbank, warf einen Lichtkegel auf den Boden unter ihr. Motten flatterten um die Birne. Crissas gemieteter Ford stand auf einer Seite der Scheune, die Schnauze Richtung Ausgang. Daneben stand Roreys zerbeulter weißer Van. Rorey hatte diesen Ort gefunden, war drei Tage geblieben, um sicher zu sein, dass niemand sonst hierherkam.

Hollis schaltete den Motor aus. Von draußen kam weiteres Donnergrollen.

„Denk an das, was ich dir gesagt habe“, sagte Crissa. „Worüber?“

„Alles.“

Sie stieg aus. Die Scheune roch nach Öl und Stroh, die Luft war schwül und schwer. Rorey kam auf sie zu. Er trug ein weißes T-Shirt, seine muskulösen Unterarme voller verblasster Tattoos.

Er ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die Pritsche des Trucks streichen. „Wie lief es denn?“

„Gut genug“, sagte sie. Sie öffnete die Verriegelung, ließ die Ladeklappe herunter. „Lass uns sehen, was wir haben.“

„Ich habe Sirenen gehört“, sagte Rorey.

„Der Alarm ging los, sobald wir den Automaten berührt haben. Aber sie sind ziemlich weit weg gewesen. Haben sie nicht gesehen.“

Hollis stieg aus. Rorey sprang auf die Ladefläche und zog die Plane weg, enthüllte den zerbrochenen Bildschirm. „Lasst uns das Ding auf den Boden wuchten.“

Sie stieg zu ihm hinauf, ging ans obere Ende des Automaten und schob, setzte ihr Gewicht ein. Aber er rührte sich kaum. Rorey sprang hinab, fand einen Zugriff am unteren Ende und begann zu ziehen. Er sah Hollis an. „Bist du behindert?“

„Was hast du gesagt?“

„Du hast mich gehört“, sagte Rorey und ließ den Automaten los.

„Hollis“, rief sie, „hilf mir hier oben.“

Er sah sie an und dann wieder Rorey, stieg auf die Ladefläche.

„Gleiche Anteile, gleiche Arbeit“, sagte Rorey.

„Fang nicht mit dem Scheiß an“, sagte Hollis, ohne ihn anzusehen. Er hockte sich neben Crissa, zusammen stemmten sie sich gegen das obere Ende des Geldautomaten.

„Was für ein Scheiß?“, fragte Rorey.

„Hör auf“, sagte sie. „Lass uns das Ding abladen.“

Sie mühten sich ab, den Automaten über die Pritsche zu schieben, Hollis grunzte vor Anstrengung. Rorey zog, bis sie den schweren Kasten halb auf der Ladeklappe hatten.

„Haltet ihn da fest“, sagte sie. Atmete schwer. Unter der Windjacke klebte ihr das T-Shirt an der Haut.

Sie hüpfte hinab, fand eine Griffmöglichkeit am Unterboden: „Vorsicht jetzt“, sagte sie zu Rorey. „Lass ihn kippen, damit er richtig landet. Pass auf deine Füße auf. Auf mein Kommando.“ Sie sah zu Hollis hinauf. „Bist du bereit?“

Er nickte, gegen den Automaten gestemmt.

„Los geht’s“, sagte sie. „Eins, zwei, drei.“

Hollis stöhnte und drückte, während sie und Rorey zogen. Der Automat hing einen Augenblick fest, widersetzte sich. Und plötzlich rutschte er auf sie zu und kippte.

„Pass auf“, sagte Hollis. Sie sprangen zurück, aus dem Weg. Der ATM-Automat krachte mit der Vorderseite auf den Beton, ringsherum stieg Staub auf.

„Jesus Christus“, sagte Rorey. „Was zur Hölle ist dein Problem?“

„Ich sagte, pass auf “, meinte Hollis.

„Hab mir beinahe den verdammten Fuß gebrochen.“

„Vielleicht musst du dich schneller bewegen.“

„Ich bin schnell genug. Willst du es ausprobieren?“, erwiderte Rorey.

„Genug“, sagte sie. „Wenn ihr eure Schwanzvergleiche für eine Weile einstellen könntet, hätte ich gerne das hier erledigt und wäre hier gerne raus. Rorey, wo ist der Schweißbrenner?“

Rorey starrte Hollis eine Weile an, dann drehte er sich um und ging an die Werkbank. Eine Azetylenflasche war auf eine Handkarre montiert, die Schläuche um die Druckmesser gewickelt, die silberne Schweißdüse hing nach unten. Es war das einzige Stück Ausrüstung, das sie von Job zu Job mitgenommen hatten. Alles andere stahlen sie, wenn sie es brauchten.

„Komm, lass uns ein Stück gehen“, sagte sie zu Hollis.

Als Rorey die Schweißausrüstung herüberrollte, ein paar dicke Handschuhe unter dem Arm, sprang Hollis vom Truck herunter. Ihre Blicke trafen sich, Hollis aber ging weiter. Crissa machte eine Seitentür auf, sah in die Nacht hinaus. Es war schwülwarm, kein Lüftchen regte sich. Über den Horizont huschten Blitze.

Hinter ihr zischte das Gas aus den Düsen, als Rorey die Verschlüsse aufdrehte. Er zog eine zerknitterte Schachtel Marlboro aus der Tasche seines T-Shirts, schüttelt e sich eine Zigarette heraus. Während er den Geldautomaten studierte, pflanzte er sie sich zwischen die Lippen, zog die Handschuhe an und drückte den Anzünder. Flammen sprangen aus der Schweißdüse. Er regelte sie zu einem dünnen Dolch aus Blau und Gelb und setzte die Schweißbrille auf. Mit der Flamme steckte er sich die Kippe an, stieß ein wenig Rauch aus.

Hollis sah ihm zu, schüttelte den Kopf und drehte sich weg. Rorey umkreiste den Geldautomaten, suchte sich seinen Angriffspunkt. Dann lehnte er sich vor, brachte den Schneidbrenner zum Einsatz. Funken begannen, über seine Schultern zu fliegen.

Als Hollis dazukam, schloss sie die Tür hinter ihnen, um das Licht drinnen zu halten. Sie standen in der Nachtluft.

„Dieser verdammte Kerl“, sagte Hollis.

„Eine halbe Stunde und wir sind weg.“

Jenseits des Tabakfelds fiel der Hügel ab in die ungebrochene Dunkelheit der Wälder. Weit in der Ferne konnten sie rings um die Bank ein Muster aus blitzenden roten, gelben und blauen Lichtern sehen.

„Da sind sie“, sagte Hollis, „und suchen nach ihrem Geldautomaten.“

„Sie sind zu spät“, sagte sie. „Der ist weg.“

2

Als sie wieder hineinkamen, war die Luft voll vom beißenden Geruch glühenden Metalls. Rorey war dabei, einen horizontalen Schnitt quer über die Rückseite des Geldautomaten zu machen. Die Flamme spiegelte sich in seiner Brille. Rauch stieg um ihn hoch.

Sie holte den Feuerlöscher von der Werkbank. Wo die Flamme getroffen hatte, war die Stahlplatte des Automaten geschmolzenes Rot.

Rorey richtete sich auf und nahm den Brenner weg, die Zigarette baumelte von seinen Lippen. „Vorsicht“, sagte er.

Sie gab dem Automaten eine Ladung Halon. Weißer Schaum zischte und schäumte, wo er auf heißen Stahl traf. Sie feuerte eine weitere Ladung ab, trat dann zurück. Das rote Glühen des Metalls verblasste. Wie Nebel zogen Dampfschwaden über den Hallenboden.

Roreys Stirn war nass vom Schweiß. Wie ein Billardspieler umrundete er den Geldautomaten. Asche stob von seiner Zigarette.

„Wie sieht’s aus?“, fragte sie.

„Wir rücken ihm auf den Pelz.“

Er beugte sich vor und begann, mit dem Schweißgerät einen senkrechten Schnitt zu machen. Funken flogen hoch, verglühten auf dem Betonboden. Es war ein Job, der eine sichere Hand erforderte. Hollis hatte ihr erzählt, dass der Schweißer seiner alten Crew beim ersten Mal zu tief geschnitten und die Kohle in Brand gesetzt hatte. Sie hatten die Hälfte des Geldes verloren, bevor sie das Feuer ersticken konnten.

Als Rorey die Flamme wegnahm, sprühte Crissa einen weiteren Schwall Halon auf die Deckplatte. Hollis war dazugekommen und stand nahe am Pickup, sah ihnen zu.

Rorey wartete, bis sich das Metall abkühlte, dann setzte er einen waagerechten Schnitt über den Automatenboden. Als die Funken in ihre Richtung stoben, trat sie zurück. Er richtete sich auf, als der Schnitt fertig war, sagte: „Jetzt bist du dran“, und drehte die Flamme zu.

Zwei Salven mehr vom Feuerlöscher. Der Schaum knisterte. Noch mal drückte sie auf den Auslöser, besprühte die Rückseite des Automaten, bis sie mit Weiß bedeckt war. „Das sollte reichen.“ Sie setzte den Feuerlöscher ab.

„Gib dem ein paar Minuten“, sagte Rorey. Er streifte Handschuhe und Brille ab, wischte sich mit dem Handgelenk über die Brauen.

Hollis holte zwei Kuhfüße von der Ladefläche, reichte ihr eines der Stemmeisen. Er zog die Plane herunter, breitete sie nahe am Automaten aus.

Rorey verschloss die Gashähne, wickelte Schlauch und Brenner um die Stahlflasche, hängte die Brille an das Ventilrad, legte die Handschuhe darauf, schnippte seine Zigarette weg und stand mit den Händen an den Hüften da. Alle drei sahen sie zu dem sich abkühlenden Automaten hinunter.

„Das reicht“, sagte sie. Sie wollte weg von hier.

Sie trieb die Vorderkante ihres Kuhfußes in den Längsschnitt, drückte und legte ihr Gewicht hinein. Die Stahlplatte begann nachzugeben. Hollis zwängte sein Brecheisen neben ihres. Sie zogen in unterschiedliche Richtungen, schälten die zwei Plattenhälften auf, das Metall kreischte. Jetzt konnte sie das Innenleben des Automaten sehen. Schaltkreise, Drähte und lange Silberrahmen voller Bargeld.

„Da ist das Zeug“, sagte Hollis.

Ein letztes Mal hebelte sie mit ihrem Eisen und vergrößerte das Loch. Dünner Rauch trat aus. Hollis wich zurück.

„Da ist es, Boy“, sagte Rorey. „Los, hol es.“

Hollis starrte ihn an. Er hielt immer noch das Brecheisen in der Hand. Rorey sah ihn an.

„Schluss damit, alle beide!“, sagte sie. „Hollis, zieh die Plane näher.“

Er legte den Kuhfuß ab, zog die Plane zu ihr. Sie kniete jetzt und drückte ihr Eisen in das Aluminiumregal mit dem Bargeld, zerbrach den Rahmen mit einem Ruck. Bargeld rutschte heraus, hinunter in den Automaten. Ein guter Fang, dachte sie. Vielleicht bisher der beste.

Sie setzte ihr Brecheisen ab und begann, Geldscheinstapel aus dem Kasten zu ziehen. Breitete die Scheine auf der Plane aus.

„Holt eure Taschen“, sagte sie. „Lasst uns das erledigen und von hier verschwinden.“

Sie holte mehr Geld aus dem Automaten, zog zwei Zwanziger auseinander, die zusammenklebten, besah sich die Seriennummern. Unterschiedliche Serien, unterschiedliche Jahre. Die meisten Scheine neu, alles Zwanziger und Zehner, keiner von ihnen fortlaufend nummeriert. Sie hatten Glück gehabt. ATM-Automaten waren unkalkulierbar. Du wusstest nie, was drin war, bis du sie aufbrachst. Und dann war es zu spät.

Sie holte die letzten Scheine aus dem Mechanismus. Keiner von ihnen war angebrannt.

„Gute Arbeit“, sagte sie zu Rorey. Er setzte einen olivfarbenen Seesack aus grobem Segeltuch ab, machte den Kordelzug auf. Hollis kam mit zwei Koffern herüber, einer davon war ihrer.

Im Schneidersitz auf der Plane sitzend, zählte sie das Geld, setzte die Bündel neben sich ab, wenn sie mit ihnen fertig war. Hollis nahm die von ihr gezählten Stapel auf, zählte sie erneut. Es war ihr System.

Als sie fertig waren, lag das Geld wie ein Fächer um sie herum, jedes Bündel gute siebeneinhalb Zentimeter hoch.

„Einhundertvierzigtausend“, sagte sie. „Und vierhundertachtzig.“

„Verdammt“, sagte Rorey.

„Hollis, hast du das auch?“

„Oh ja.“ Er lächelte. Mit beinahe Siebenundvierzigtausend pro Nase war das ihr zweitgrößter Raubzug.

Sie teilte das Geld in drei Stapel auf. Hollis hatte recht: Sie hatten da ein gutes Ding am Laufen. Leichte Arbeit, minimales Risiko, hoher Lohn. Keine Waffen, keine Zeugen, niemand wurde verletzt. Aber es war Zeit, weiterzuziehen.

Rorey begann, sein Geld in den Seesack zu packen.

„Ich hab es Hollis schon mitgeteilt“, meinte sie. „Für mich ist jetzt Schluss.“

Rorey sah sie an, als er sein letztes Geld verstaute. „Was sagst du da?“

„Ich bin fertig mit dem hier. Du solltest es auch sein. Wir waren zu oft am Brunnen.“

„Worüber redest du da?“, fragte er. „Das ist ein schönes Ding.“

„Mag sein. Aber ich bin auf jeden Fall weg.“ Sie öffnete ihren Koffer, packte das Geld hinein. Später, im Hotel, würde sie die Scheine bündeln.

Hollis hatte sein Geld verstaut und war dabei, seinen Koffer zu schließen.

„Könnte sein, dass ich nicht fertig bin“, sagte Rorey. „Warum hast du das zu entscheiden?“

„Weil ich es tue“, sagte sie. Sie klappte ihren Koffer zu, schloss ihn ab und stand auf. „Du kannst das auch entscheiden. Wie ich Hollis schon gesagt habe, ihr zwei könnt das weitermachen, wenn ihr wollt. Aber ich denke nicht, dass es das wert ist.“

Rorey sah zu Hollis hinüber. „Ist das nicht toll? Du ziehst ab und überlässt es mir, mit einem Nigger zu arbeiten?“

Hollis richtete sich auf und drehte sich um, der Koffer war vergessen. „Du Schweinehund.“

„Ruhe, ihr beiden“, sagte sie.

„Wie hast du mich genannt?“, fragte Rorey.

„Du hast mich gehört, Schlampe.“

Sie versuchte, zwischen beide zu treten, aber plötzlich kam Roreys Hand aus dem Seesack, und er hielt eine Pistole, eine. 45er Automatik. Instinktiv trat sie zurück. Er richtete die Waffe auf Hollis’ Brust.

„Komm her, Nigger. Du bist so tough? Ich bin hier.“

„Steck das weg“, sagte sie, aber Rorey ignorierte sie, starrte auf Hollis, die Pistole ruhig in der Hand.

Hollis lächelte, machte einen Schritt zurück, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie starrten einander an. Von draußen kam das leise Echo von Donnergrollen.

„Sei nicht dumm“, sagte sie zu Rorey. „Lass uns unser Geld nehmen und von hier verschwinden.“

„Ich will zuerst hören, was der Nigger sonst noch zu sagen hat.“

„Hör auf. Lasst uns gehen“, sagte Crissa.

„Okay“, sagte Hollis. „Wenn es so laufen soll …“

Sie sah nicht, wie er zog. In einer Sekunde war seine Hand leer, in der nächsten nicht mehr. Es war ein kurzschnäuziger .38er. Er richtete ihn auf Rorey. „Da hast du’s, Weißarsch. Das hab ich dir zu sagen!“

Sie trat einen weiteren Schritt zurück. Die zwei Männer standen sich nun gegenüber, keine drei Meter Raum zwischen ihnen.

„Holt mal Luft“, sagte sie. „Jeder von uns hat fast fünfzig Riesen hier liegen. Alles, was wir tun müssen, ist, hier rauszugehen. Macht das nicht kaputt. Nehmt die Waffen runter.“

„Er zuerst“, sagte Hollis. Er lächelte nicht mehr.

Sie sah von einem zum anderen. Wenn sie die Situation entschärfen könnte, wäre es überstanden.

„Was seid ihr, ein paar Halbstarke?“, sagte sie. „Er zuerst? Ihr solltet Profis sein. Hört auf mit dem Scheiß. Wir verlieren Zeit.“

Rorey nickte, aber er senkte seine Waffe nicht. Hollis hob seine Kurzschnäuzige so, dass sie auf Roreys Gesicht gerichtet war.

„Okay“, sagte sie, „jetzt lasst uns …“

Sie konnte nicht sagen, wer zuerst schoss. Die große .45er fuhr hoch, Rorey war schon im Wegdrehen. Hollis feuerte weiter, fiel selbst nach hinten. Er landete hart seitlich auf dem Beton, Rorey fiel über seinen Seesack. Das Echo der Schüsse jagte sich selbst durch die Scheune.

„Verschissener Hurensohn“, keuchte Hollis.

Zuerst ging sie zu Rorey, kickte den Revolver weg. Er lag auf seinem Bauch, rührte sich nicht. Sie drehte ihn um, sah das schwarze Loch unter seinem rechten Wangenknochen. Blut rann aus der Wunde. Seine Augen waren halb offen. Er war tot.

Hollis hustete röchelnd. Sie ging zu ihm hinüber. Er lag jetzt auf seinem Rücken, schaute mit feuchten Augen an die Decke.

„Hab ich ihn erwischt?“ Er hustete wieder.

Behutsam wand sie ihm den .38er aus den Fingern. „Ja, hast du.“

„Gut.“

Sie spürte Wut in sich hochsteigen. „Wir waren beinahe weg von hier.“

„Wie schlimm ist es?“

Sie schob seine Windjacke beiseite. Die Kugel war links in seinen Brustkorb eingedrungen, das Hemd schon voller Blut. Mit jedem Atemzug flatterte das zerfetzte Material rund um das Eintrittsloch. Saugende Brustwunde, dachte sie, sicher ein Lungentreffer.

„Es sieht schlecht aus“, sagte sie. Sie legte den .38er beiseite. Er atmete jetzt in kurzen, rauen Stößen. Seine Lungenflügel füllten sich wohl gerade mit Blut.

Er sah zu ihr hoch. „Tut mir leid“, stieß er hervor, und dann sagte er nichts mehr.

Sie stand auf, sah auf die beiden Männer hinunter, beide jetzt reglos und still. Nichts, was sie jetzt noch für sie tun könnte, und keine Ahnung, wie weit der Hall der Schüsse getragen hatte. Es war Zeit zu verschwinden.

Sie zog Roreys Seesack unter ihm weg, es war ein einzelner Blutfleck darauf. Sie trug den Sack zu ihrem Mietwagen, lud ihn in ihren Kofferraum und kam noch mal wegen der Koffer zurück. Sie stellte sie Seite an Seite, schloss den Deckel.

Ein letztes Mal sah sie sich in der Scheune nach etwas um, das man mit ihr hätte in Verbindung bringen können. Es gab nichts. Die Polizei würde die Leichen finden, die Waffen, den aufgestemmten Geldautomaten, und würde zwei und zwei zusammenzählen. Das Einzige, was fehlte, würde das Geld sein.

Sie schaltete die Lampe aus, ging zu dem großen Tor, lehnte die Schulter dagegen, drückte es auf. Wie von innen erleuchtet, glühte eine Wolke für einen Moment am Horizont auf, wurde wieder dunkel.

Sie setzte sich hinter das Steuer, startete den Ford und merkte erst jetzt, dass ihre Hände zitterten. Sie fasste das Lenkrad fester und fuhr in die Dunkelheit hinaus.

3

Benny spülte gerade Töpfe und schrubbte die letzten harten Reste der Spaghettisoße mit einer Wurzelbürste ab, als die beiden Männer das Restaurant betraten.

Die Küchentür stand halb offen und er hatte eine gute Sicht auf den Gastraum. Zehn Tische mit karierten Tischdecken, die Schaufensterscheiben beschlagen, das Neonschild CAFÉ MILAN schon abgeschaltet. Rick, der Manager, saß an einem Tisch und sortierte Kassenbelege. Die anderen Tische waren leer. Der Abend war lahm gewesen, und Rick hatte Pablo, den Küchenjungen, und Lila, die Kellnerin, früh nach Hause gehen lassen.

Rick sah von den Belegen hoch. „Tut mir leid, die Herren. Wir haben zu. Ich wollte gerade abschließen.“

Die Männer sahen sich um, sagten nichts.

Benny hatte die Unterarme im heißen Spülwasser. Er trocknete die Hände an einem Geschirrtuch ab, nahm seine Brille vom Regal. Die Gläser waren beschlagen. Mit einer Ecke seiner Schürze wischte er sie frei und zog das Drahtgestell über seine Ohren.

Einer der Männer war in seinen Sechzigern, trug einen teuren Mantel, das volle Silberhaar war zurückgekämmt. Benny brauchte eine Weile, bis ihm klar war, dass er da auf Danny Taliferro aus New York schaute, älter jetzt, und dünner. Unter dem Mantel trug er einen Rollkragenpullover, der seinen Hals verdeckte. Benny dachte: Immer noch eitel mit dieser Narbe, nach all den Jahren.

Der andere Mann war jünger, etwa Ende zwanzig, hüftlanges Lederjackett, kurzgeschnittenes dunkles Haar. Benny kannte ihn nicht, nur den Typ, den der Junge verkörperte.

Rick stand auf, versuchte, höflich zu sein. „Sorry, die Küche ist zu und der Grill schon kalt. Wir könnten Ihnen nichts machen, selbst wenn wir wollten.“

Taliferro sah an ihm vorbei. Benny wich zurück, blieb im Schatten der Tür.

„Da ist ein 24-Stunden-Denny’s draußen am Highway“, sagte Rick. „Nur ein paar Meilen weiter. Ich kann Ihnen den Weg erklären. Ist vermutlich der einzige offene Laden um diese Zeit.“

Taliferro wandte sich zu dem anderen Mann um. „Was habe ich dir gesagt? Scheißkaff, USA.“ Und dann sah er Rick an: „Wir sind nicht zum Essen hier.“ Eine Spur Rauheit lag in seiner Stimme, unverwechselbar. Danny Taliferro, ganz sicher.

Das war es also, nach all der Zeit. Benny sah sich um. Da hing ein Hackmesser über dem Schneidbrett. Er legte es auf die Theke, bedeckte es mit dem Geschirrtuch. Und beinahe sofort fühlte er sich lächerlich. Was sollte er machen? Das Ding schwingend aus der Küche stürzen?

„Wir sind auf der Suche nach Benny Roth“, sagte Taliferro. „Er arbeitet hier, oder?“

“Wer?“ Ricks Stimme klang verwirrt. Benny blieb, wo er war, hörte zu.

„Benny Roth“, sagte Taliferro. „Aber vielleicht nennt er sich heute anders. Ist vermutlich so.“

Rick zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was Sie beide wollen. Es gibt hier keinen Benny. Und ich würde es begrüßen, wenn Sie jetzt gehen. Wir haben geschlossen.“

Benny fühlte sich plötzlich schuldig. Rick war dabei, sich Schaden zuzufügen für etwas, das der Junge nicht verstand. Benny warf einen letzten Blick auf das Geschirrtuch, seufzte und ging in den Gastraum. Die drei drehten sich nach ihm um. Taliferro lächelte.

„Benny“, sagte er. „Lange her.“

Rick sah von Benny zu den Männern. „Leonard, kennst du diese Kerle?“

Taliferro lachte. „Leonard?“

„Alles in Ordnung“, sagte Benny. „Ja, ich kenne sie.“ Er nahm seine Schürze ab, faltete sie zusammen. „Da drinnen ist alles fertig. Ich habe die letzten Töpfe gemacht und die Spülmaschine gefüllt. Muss nur noch eingeschaltet werden.“

„Was soll das mit dem ganzen ‚Benny‘-Zeug?“, fragte Rick.

„Was?“, sagte Taliferro. „Du hast nicht gewusst, dass eine Berühmtheit für dich arbeitet?“

Benny legte die Schürze auf den Tisch. „Wie geht es dir, Danny?“

Taliferro nickte, musterte ihn. „Ein Tag nach dem anderen, wie bei allen. Wie lang ist das her? Fünfundzwanzig Jahre?“

„Länger“, sagte Benny.

„Du bist alt geworden.“

„Sind wir alle.“

„Worum geht es hier?“, fragte Rick.

Benny legte ihm die Hand auf den Arm. „Alles in Ordnung.“ Und zu Taliferro: „Wie wäre es, wenn wir draußen reden? Lasst diesen Mann sein Restaurant schließen.“

Taliferro zeigte Richtung Tür. „Nach dir.“

„Leonard …“, sagte Rick.

„Ist okay“, sagte Benny. „Ich sehe dich morgen früh.“ Zu Taliferro sagte er: „Ich brauche nur noch meine Jacke.“

„Ich geh mit“, sagte der Jüngere.

„Kein Grund dafür“, sagte Taliferro. „Ich glaube nicht, dass wir hier Meinungsverschiedenheiten haben.“

Benny ging in die Küche zurück, nahm seine rote Jägerjacke vom Haken, sah hinüber zum Geschirrtuch und zur Hintertür. Er könnte es versuchen, aber mit seinem kaputten Knie würde er nicht weit kommen. Und da draußen konnten noch weitere von ihnen sein. Es würde sie nur anpissen, wenn er abzuhauen versuchte.

Als er zurückkam, hielt der Jüngere schon die Tür auf.

„Vielleicht sollte ich beim Sheriff anrufen“, sagte Rick.

„Nein“, sagte Benny, und schlüpfte in seine Jacke. „Das sind Freunde von früher. Ich hab sie lange nicht gesehen.“

„Von daheim?“, fragte Rick. „Saint Louis?“

„So was ähnliches“, sagte Taliferro. „Komm, mach, lass uns einen trinken gehen.“

Benny zog den Reißverschluss zu, und sie gingen in die Kälte hinaus. Am Randstein, direkt hinter seinem Hyundai, stand ein glänzender Lincoln Town Car mit New Yorker Kennzeichen. Außer der Sunoco-Tankstelle zwei Blocks weiter waren alle Fassaden in der Main Avenue dunkel.

„Ihr zwei seid den ganzen Weg hier rausgekommen?“, fragte Benny.

„Schien das Einfachste zu sein“, erwiderte Taliferro. Er nahm eine Schachtel Marlboro aus seiner Manteltasche, bot ihm eine an. „Nein, danke“, sagte Benny.

Taliferro zündete sich mit seinem silbernen Feuerzeug eine Zigarette an, drehte seinen Kopf weg und stieß den Rauch aus. Benny sah zu dem jungen Mann hinüber. „Wer ist das?“

„Mein Neffe“, sagte Taliferro. „Frank Longo. Der Junge meiner Schwester. Du hast seinen Vater gekannt. Petey.“

„Stimmt“, log Benny. Der Name sagte ihm nichts. „Wie geht es dir, Junge? Wie geht’s deinem alten Herrn?“

„Tot“, sagte Longo. „Letztes Jahr. Krebs.“

„Tut mir leid, das zu hören.“

Taliferro sagte: „Sal Bruno lässt dich grüßen.“

„Dieser Psycho?“, sagte Benny. „Der lebt immer noch?“

„Lass ihn lieber nicht hören, was du da sagst.“

Rick war am Schaufenster. Benny winkte ihm beruhigend zu.

„Ich hätte mir denken können, dass du in einem Restaurant arbeitest“, sagte Taliferro. „Du warst immer schon ein guter Koch.“

„Es ist etwas, das mir Spaß macht“, Benny sah an ihm vorbei zur Tankstelle und wusste, das würde er nicht schaffen. „Wie hast du mich gefunden?“

„Das war einfach“, sagte Taliferro. „Jeder weiß, dass du hier draußen bist, seit du das Programm verlassen hast. Es ist heutzutage nicht schwer, jemanden aufzuspüren, mit Internet und all dem Zeug. Du bist draußen, nicht? Oder war das nur ein Gerücht?“

Benny zuckte mit den Achseln, steckte seine Hände in die Taschen. „Ich habe ihnen gesagt, sie können mich.“

„Das ist es, was ich gehört habe. Aber du hast von dieser Staatsknete eine ganze Zeit gelebt, oder nicht?“

„Sie haben mich verarscht. Haben Sachen versprochen, die sie nicht gehalten haben.“

„Was hast du von der Regierung erwartet, hm?“ Taliferro blies Tabakrauch in die Luft. „Aber hey, egal. Ist kalt hier draußen, lass uns ein Stück fahren.“

Benny sah zum Town Car. „Auf keinen Fall. Wenn du wo hinwillst, nehme ich mein Auto und fahre dir nach.“

„Jesus Christus“, sagte Taliferro. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Steig bei uns ein. Wir reden im Auto, das spart Zeit. Und wir fahren dich zurück, wenn wir fertig sind.“

„Das glaube ich nicht.“

„Du wirst hören wollen, was ich dir zu sagen habe, das garantiere ich dir.“

„Komm schon“, sagte Longo. „Steig ein.“ Benny sah ihn an, rührte sich nicht.

„Benny, lass mich dir etwas erklären“, sagte Taliferro. „Jeder, der eine Rechnung mit dir offen hatte, ist lange tot. Was denkst du, warum dich all die Zeit niemand belästigt hat? Und du hast dich gegen das FBI behauptet, hast ihnen gesagt, sie sollen sich vom Acker m achen. Damit hast du dir wieder einiges an Respekt verschafft.“

„Ich habe nie gegen dich oder deine Leute ausgesagt“, meinte Benny. „Ich hab das getan, was sein musste, aber nicht mehr.“

„Das weiß ich. Die haben aber trotzdem aus dir rausgeholt, was nur ging, oder nicht? Haben dich herumgereicht.“

„Sie haben mir keine Wahl gelassen. Denkst du, ich war scharf darauf?“

„Keine Ahnung, was du wolltest. Keiner von uns konnte kapieren, was du im Kopf hattest. Nach all dem, was wir für dich getan hatten.“

„Für mich getan? Du meinst, mir an getan?“, sagte Benny. „Mit diesem verrückten Jimmy Burke, der alle umlegte? Ich war der Nächste auf seiner Liste. Die Feds haben mir die Bänder vorgespielt, aus denen das klar hervorgegangen ist.“

„Ich friere mir hier die Eier ab“, sagte Longo. „Können wir das nicht im Auto bereden?“

„Die Feds, die mögen es, dich zu verarschen“, sagte Taliferro. „So kommen sie in deinen Kopf und lassen dich Dinge tun, von denen du weißt, dass sie falsch sind.“

„Mag sein“, sagte Benny.

„Egal, es sind jetzt alle weg, die ganze Mannschaft. Jimmy, Paulie, Tommy. Alle tot. Ein paar andere sind ebenfalls ins Zeugenschutzprogramm. Nach allem, was ich weiß, sind sie auch tot. Wenn dich jemand wollte, Benny, hätten sie dich längst gefunden. Die Welt ist nicht so groß.“

„Was ist mit Joey Dio? Gibt’s ihn noch?“

„Nein“, sagte Taliferro. „Das ist es, worüber ich mit dir reden will. Komm, der Junge hat recht. Es ist scheißkalt hier draußen. Steig ein.“

„Habe ich eine Wahl?“

„Aber klar“, sagte Taliferro. „Du hast immer eine Wahl.“

Longo fuhr, Taliferro saß auf dem Beifahrersitz, Benny hinten, den linken Arm über der Rücklehne. Ein Versuch, locker zu wirken. Er hatte sich geweigert, vorne zu sitzen.

„Also“, sagte Taliferro: „Leonard?“

„Das passt. Ich bin halb jüdisch, weißt du noch? Nicht, dass sie hier draußen einen Italiener von einem Juden unterscheiden könnten.“

Sie waren auf einer langen, geraden Straße, dunkle Felder auf beiden Seiten. Benny erhaschte durch die Wolken einen Blick auf den Mond.

„All diese Weite macht mich nervös“, sagte Taliferro. „Wie hat es dich überhaupt hierher verschlagen?“

„Sie haben mich in einem Haufen von Käffern untergebracht. Als ich das Zeugenschutzprogramm verlassen habe, wollte ich in Indiana bleiben. Ich mag es hier.“

„Kaum zu glauben.“ Taliferro drehte sich zu ihm um. „Mit deiner Frau hat es nicht funktioniert?“

„Das hast du auch gehört?“

„Einen Teil davon.“

„Sie ist weg“, sagte Benny.

„Ich weiß. Tat mir leid, das zu hören. Siehst du je deine Kinder?“

„Warum fragst du?“

„Bin nur neugierig.“

„Schon lange nicht mehr. Sie sind jetzt groß. Auf dem College, denke ich. Hoffe ich.“

Ein Reh kam vor ihnen aus dem Wald, die Augen leuchteten im Scheinwerferlicht auf. Longo bremste hart, und sie wurden ein wenig nach vorn geworfen, dann zurück. Das Reh lief über die Straße und verschwand im Gehölz auf der anderen Seite.