Geliebte Stiefschwestern - Gert Rothberg - E-Book

Geliebte Stiefschwestern E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Noch zwanzig Kilometer, dann sind wir in Oldenburg«, kündigte Alexander von Schoenecker vergnügt an. Es war ihm und seiner Frau endlich einmal gelungen, sich für vierzehn Tage von allen Verpflichtungen freizumachen, um an die Nordsee zu fahren. »Vati, vergiss nicht, dass du mir versprochen hast, dass wir das Oldenburger Schloss besichtigen werden«, meinte Nick, der zusammen mit seinem Halbbruder Henrik auf dem Rücksitz des geräumigen Wagens saß. »Nein, ich vergesse es nicht, mein Sohn«, versicherte Alexander leicht amüsiert. »Aber interessieren würde mich doch, warum du plötzlich ein solches Interesse an Schlössern und Burgen zeigst. Ich kann mich erinnern, dass es eine Zeit gab, da hast du jedes Mal ein langes Gesicht gezogen, wenn wir etwas besichtigen wollten.« »Schlösser sind langweilig«, sagte nun Henrik, bevor sein Bruder antworten konnte. Er warf Nick einen Seitenblick zu. »Ich weiß, warum du dich für Schlösser interessierst!« »So?«, erwiderte Nick. »Wegen Pünktchen«, behauptete Henrik. »Pünktchen will auch immer alles über Schlösser wissen. Als wir mit meiner Klasse einen Ausflug nach Schloss Linderhof machten, hat sie mir danach fast ein Loch in den Bauch gefragt, obwohl sie doch selbst schon einmal dort war.« Er fasste nach der Schulter seiner Mutter.

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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sophienlust Extra – 167 –Geliebte Stiefschwestern

Gert Rothberg

»Noch zwanzig Kilometer, dann sind wir in Oldenburg«, kündigte Alexander von Schoenecker vergnügt an. Es war ihm und seiner Frau endlich einmal gelungen, sich für vierzehn Tage von allen Verpflichtungen freizumachen, um an die Nordsee zu fahren.

»Vati, vergiss nicht, dass du mir versprochen hast, dass wir das Oldenburger Schloss besichtigen werden«, meinte Nick, der zusammen mit seinem Halbbruder Henrik auf dem Rücksitz des geräumigen Wagens saß.

»Nein, ich vergesse es nicht, mein Sohn«, versicherte Alexander leicht amüsiert. »Aber interessieren würde mich doch, warum du plötzlich ein solches Interesse an Schlössern und Burgen zeigst. Ich kann mich erinnern, dass es eine Zeit gab, da hast du jedes Mal ein langes Gesicht gezogen, wenn wir etwas besichtigen wollten.«

»Schlösser sind langweilig«, sagte nun Henrik, bevor sein Bruder antworten konnte. Er warf Nick einen Seitenblick zu. »Ich weiß, warum du dich für Schlösser interessierst!«

»So?«, erwiderte Nick.

»Wegen Pünktchen«, behauptete Henrik. »Pünktchen will auch immer alles über Schlösser wissen. Als wir mit meiner Klasse einen Ausflug nach Schloss Linderhof machten, hat sie mir danach fast ein Loch in den Bauch gefragt, obwohl sie doch selbst schon einmal dort war.« Er fasste nach der Schulter seiner Mutter. »Du, Mutti, weißt du, dass Pünktchen ein Album hat, in das sie nur Bilder von Schlössern und Burgen einklebt?«

»Sie hat es mir erst vor einigen Tagen gezeigt, Henrik«, entgegnete Denise von Schoenecker. »Postkarten zu sammeln ist doch ein feines Hobby. Wäre das nicht auch etwas für dich?«

»I wo!« Henrik hopste auf seinem Sitz herum. »Ganz steif wird man vom vielen Fahren!«, klagte er. Verschmitzt lachend wandte er sich wieder an seinen sechzehnjährigen Bruder: »Bestimmt bringst du Pünktchen ganze Berge von Postkarten mit, nachdem du doch so in sie verliebt bist.«

»Henrik!«, rief Dominik von Wellentin-Schoenecker warnend aus. Er fand, manchmal war es eine rechte Plage, einen neunjährigen Bruder zu haben, der in alles seine neugierige Nase hineinsteckte, zumal er tatsächlich in die dreizehnjährige Angelika Dommin verliebt war. Aber das ging nur ihn selbst etwas an.

»Streitet euch nicht, Kinder«, warf Denise von Schoenecker ein. Sie kannte ihre beiden Söhne nur zu genau. Henrik machte sich gern wichtig und prahlte, während Nick in allem, was Pünktchen betraf, sehr empfindlich war.

»Was würdet ihr davon halten, dass wir in Oldenburg übernachten?«, fragte Alexander. »Geplant war es ja eigentlich nicht, aber dann könnten wir uns die Stadt in aller Ruhe ansehen. Oldenburg hat viele Sehenswürdigkeiten, nicht nur das Schloss.«

»Einverstanden«, erwiderte seine Frau. »Etwas Ruhe tut uns sicher gut. Wir haben schließlich eine ziemlich anstrengende Nachtfahrt hinter uns. Zudem konnten wir nicht damit rechnen, dass wir durch den Unfall auf der Autobahn so lange aufgehalten werden würden.«

»Zum Glück hat es bei diesem Unfall nur Blechschäden gegeben«, meinte Nick. »Vati, pass auf, gleich kommt die Ausfahrt nach Oldenburg!«

»Danke, Nick«, sagte Alexander, obwohl er das Ausfahrtsschild auch schon gesehen hatte. Er freute sich stets, wenn seine Söhne ebenfalls auf die Schilder achteten.

»Kennst du ein gutes Hotel in Oldenburg, Alexander?«, fragte Denise.

»Ja, das Hotel ›Zum Schwarzen Ross‹«, erwiderte Alexander.

»Das klingt vielversprechend, Vati«, meinte Nick.

»Ich habe einen Hunger, dass ich einen ganzen Bären aufessen könnte«, bekannte Henrik und knabberte an einem Apfel.

»Wann hast du das nicht?«, bemerkte Nick. Er griff ebenfalls in den Korb, der zwischen den beiden Buben stand, und nahm sich einen Apfel heraus.

Eine halbe Stunde später brachten Nick und Henrik mithilfe eines Hoteldieners das Gepäck auf die beiden Zimmer, die ihre Eltern im Hotel ›Zum Schwarzen Roß‹ gemietet hatten. Die Hilfe ihres Vaters hatten sie sich dabei verbeten.

Denise und Alexander von Schoenecker standen auf dem kleinen Balkon ihres Zimmers und blickten über die Dächer von Oldenburg. In der Ferne ragte der Lappan auf, ein Turm, der bereits im fünfzehnten Jahrhundert erbaut worden war. Mit leiser Stimme erklärte Alexander seiner Frau die Sehenswürdigkeiten der Stadt.

»Gehen wir jetzt essen?«, fragte Henrik hinter den beiden ungeduldig. »Die Koffer sind alle oben.«

»Gut, gehen wir essen«, sagte Denise. Sie wandte sich um. »Aber erst musst du dich noch kämmen. Deine Haare sehen aus, als wären die Motten drin.«

Henrik fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch seine braunen Haare. »Ist es jetzt gut?«

»Nein, mein Sohn!« Alexander von Schoenecker griff in seine Jackentasche und zog einen kleinen Kamm hervor. »Gewöhnlich bedient man sich in unserem Teil der Erde dieses Instruments.« Er legte seinem Sohn den Kamm in die Hand.

»Na gut!« Henrik stellte sich vor den Spiegel und versuchte seine Locken zu bändigen.

Nick kam ins Zimmer seiner Eltern. Er hatte sich inzwischen umgezogen und gewaschen. »Eitel, eitel!«, spöttelte er, als er seinen Bruder vor dem Spiegel sah.

»Na und du?«, fragte Henrik und drehte sich zu ihm um. »Du hast dich umgezogen, obwohl Pünktchen gar nicht in unserer Nähe ist.« Rasch flüchtete er sich danach hinter seinen Vater, weil es so aussah, als würde Nick auf ihn losgehen.

»Seid ihr so weit?«, fragte Nick, ohne sich weiter um Henrik zu kümmern. Er wusste nur zu gut, dass er es diesmal gewesen war, der angefangen hatte.

Nachdem alle in der Gaststube gegessen hatten, fuhren sie zum Oldenburger Schloss. Während sein Vater die Eintrittskarten löste, betrachtete Nick interessiert die in einem Schaukasten ausgestellten Andenken. Er hatte sich vorgenommen, Pünktchen etwas mitzubringen, aber er fand, bei dieser Auswahl war es schwer, sich zu entscheiden.

Noch interessanter als das eigentliche Schloss war für die beiden Jungen das darin untergebrachte Landesmuseum. Alexander von Schoenecker hatte am Eingang einen Museumsführer gekauft. Er erklärte anhand des Führers die ausgestellten Stücke aus den verschiedensten Jahrhunderten so geschickt, dass selbst Henrik nicht genug erfahren konnte.

»Seht nur diese herrliche Gürtelschnalle«, sagte Denise. Sie zeigte dabei auf eine bronzene, mit stilisierten Tiergestalten geschmückte Gürtelschnalle aus dem vierten Jahrhundert nach Christi.

»Draußen gibt es eine Nachbildung«, sagte Nick. Plötzlich wusste er, was er Pünktchen mitbringen wollte. Diese Gürtelschnalle! Würde er seine Mutter darum bitten, würde sie einen Gürtel annähen.

Kaum hatten die vier das Museum verlassen, ging Nick noch einmal zu dem Andenkenstand. Die Schnalle war sehr teuer, aber das machte ihm nichts aus. Wenn sich nur Pünktchen darüber freute. Fest umklammerte er das kleine Päckchen, das ihm die Verkäuferin reichte.

Müde von den Besichtigungen kehrten alle am frühen Abend ins Hotel zurück. Beim Abendessen konnte Henrik kaum noch die Augen aufhalten.

»Da ist noch jemand müde«, sagte Nick plötzlich. Er wies mit dem Kopf zum Nebentisch, wo sich ein junges Ehepaar mit einem etwa fünfjährigen Mädchen niedergelassen hatte. Es war ein reizendes Kind mit hellblonden halblangen Haaren und blaugrauen Augen. Immer wieder fielen ihm die Äuglein zu. Die junge Frau konnte das Mädchen kaum noch dazu bewegen, etwas zu essen.

»Anja, noch ein Häppchen«, sagte sie und schob der Kleinen ein Stück Wurstbrot zwischen die Lippen.

Anja kaute lange auf dem Stückchen Brot herum, dann jammerte sie: »Ich bin so müde, Mama. Ich mag nicht mehr!« Energisch schob sie ihren Teller beiseite.

»Ich bringe unseren kleinen Schatz nach oben, Melanie«, bot der junge Mann an und stand auf. Er zog Anjas Stuhl vom Tisch weg und nahm seine Tochter auf die Arme. Die Kleine kuschelte ihr Köpfchen an seine Schulter.

»Soll ich nicht mitgehen, Rainer?«, fragte Melanie.

»Nein, lass nur, wir beide machen das schon ganz allein.« Zärtlich strich Rainer über das Näschen seiner Tochter.

»Ein entzückendes Kind«, meinte Denise von Schoenecker, als sie sah, dass die junge Frau bemerkt hatte, dass sie dem Mann und der Kleinen nachschaute.

»Ja, aber Anja ist auch reichlich anstrengend«, rief Melanie ihr zu. »Mit Kindern auf Reisen hat man so seine Sorgen.« Sie winkte die Kellnerin herbei und bestellte einen Kaffee.

»Kann ich hinaufgehen?«, fragte Henrik und stellte sein Glas auf den Tisch zurück.

»Ja, geh nur«, meinte Alexander von Schoenecker. Es kam selten genug vor, dass Henrik nicht ins Bett geschickt werden musste, sondern von selbst ging.

»Ich gehe auch«, sagte Nick. »Ich fühle mich wie gerädert.«

»Kein Wunder, du hast ja im Gegensatz zu Henrik und mir letzte Nacht kein Auge zugemacht«, meinte Denise.

Nick und Henrik wünschten ihren Eltern eine gute Nacht und gingen dann einträchtig die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Während Henrik so müde war, dass er kaum in den Schlafanzug fand, setzte sich Nick noch an den Tisch und schrieb die erste Karte nach Sophienlust.

*

»Es gibt nichts Schöneres, als aufzuwachen und zu wissen, dass man noch eine Ewigkeit lang nicht zur Schule muss«, erklärte Henrik. Er streckte sich behaglich in seinem Bett, bevor er mit einem Satz aufsprang und zum Fenster des kleinen Zimmers lief, das er mit seinem Halbbruder Nick bewohnte. Sie waren jetzt schon fünf Tage in dem kleinen Dorf bei Norderschweiburg am Jadebusen, wo ihre Eltern einen Bungalow gemietet hatten.

»Ausnahmsweise muss ich dir recht geben, Henrik«, erklärte Nick und stand ebenfalls auf. »Es ist herrlich, einmal keine Pflichten zu haben.«

»Was höre ich hier von keinen Pflichten?«, erkundigte sich Alexander von Schoenecker, der gerade ins Zimmer seiner Söhne kam und Nicks letzte Worte gehört hatte. »Soweit ich mich erinnere, habt ihr Mutti versprochen, heute für das Frühstück zu sorgen.«

»Ist Mutti schon wach?«, fragte Henrik erschrocken.

»Nein, noch nicht«, beruhigte Alexander ihn. »Also, wer von euch hilft mir beim Tischdecken und Kaffeekochen, und wer geht einkaufen?«

»Ich decke den Tisch!«, rief Henrik.

»Gut, dann gehe ich einkaufen«, bot Nick an. »Moment, Vati, ich bin in fünf Minuten fertig.«

Das Lebensmittelgeschäft lag fast am Ende des Dorfes. Es war wunderschön, frühmorgens auf den befestigten Dünen zum Laden zu pilgern. Nick pfiff leise vor sich hin, während er die Einkaufstasche schwenkte. Er war froh, dass seine Eltern sich entschlossen hatten, die Ferien nicht in einem Hotel zu verbringen, sondern einen Bungalow zu mieten. Zwar bedeutete das etwas Arbeit, aber da sich diese Arbeit auf vier verteilte, hatte jeder genug Freizeit.

Nick kam am Strandhotel vorbei. Ein kleines Mädchen stolperte die Eingangsstufen hinab und lief ihm entgegen. Überrascht stellte Nick fest, dass es die Kleine aus dem Oldenburger Hotel war. »Wo willst du denn hin?«, fragte Nick und ging in die Hocke.

»Zum Wasser!« Anja schwenkte ihr Eimerchen. »Ich gehe spielen.«

»Und wo sind deine Eltern?«, fragte Nick.

»Dort!« Anja drehte sich um und zeigte zum Hotel. »Sie essen.«

Es war doch viel zu gefährlich, ein kaum fünfjähriges Mädchen allein zum Wasser gehen zu lassen. Sicherlich war die Kleine ausgerissen. Nick stand auf und nahm sie an die Hand. »Jetzt gehen wir erst einmal ins Hotel zurück«, sagte er bestimmt.

»Nein!« Anja stampfte mit einem Bein auf.

»O doch!« Kurzerhand nahm Nick sie unter die Arme und trug sie in die Hotelhalle. Suchend blickte er sich dort um. Schließlich entdeckte er im Hintergrund der Halle einen Portier.

»Die Kleine wollte allein ans Wasser«, sagte er und setzte Anja in einen Sessel. »Ich nehme an, ihre Eltern wissen gar nicht, dass sie weggelaufen ist.«

»Kann schon sein«, meinte der Mann. »Ich werde mich darum kümmern. Vielen Dank!«

»Nichts zu danken«, erwiderte Nick.

Eine halbe Stunde später kam Nick vom Laden zurück. Er hatte Brötchen, Eier und frische Milch gekauft, außerdem als Überraschung für Henrik dessen Lieblingsbonbons.

Kurz vor dem Strandhotel gab es einen ins Wasser hineinführenden Steg. Nick glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er die kleine Anja ganz allein auf dem Steg herumturnen sah. Mit ausgebreiteten Armen balancierte sie am Rand des Steges entlang. Im Bruchteil einer Sekunde verlor sie kurz darauf das Gleichgewicht und stürzte ins Wasser.

»Anja!«, rief Nick entsetzt. Er ließ die Einkaufstasche fallen, riss sich im Laufen das Hemd von den Schultern, schlüpfte aus den Sandalen und sprang ins Wasser hinein.

An dieser Stelle war das Wasser besonders tief. Vergeblich suchte Nick nach dem kleinen Mädchen. Er blieb so lange unter Wasser, bis ihm die Lungen zu platzen drohten. Kurz tauchte er auf und ging dann gleich wieder nach unten.

Plötzlich sah er vor sich das Kind im trüben Wasser treiben. Mit einigen kraftvollen Stößen war er bei ihm, packte es am Kleid und kam mit ihm an die Oberfläche. Erst jetzt sah er, wie weit sie beide abgetrieben worden waren. Der Steg war mindestens zwanzig Meter entfernt.

Nick legte sich auf den Rücken und fasste die Kleine unter die Achseln. Sicher schwamm er mit ihr an Land.

Ein korpulenter Mann nahm ihm Anja ab. »Gott sei Dank!«, stieß dieser hervor, dann kümmerte er sich nicht weiter um Nick, sondern fasste die Kleine an den Füßen und hielt sie so, dass sie das geschluckte Wasser von sich geben musste. Anja hustete gequält und begann sich mit den Händen zu wehren.

»Ganz ruhig, Kleines, ganz ruhig!«, sprach der Mann auf das kleine Mädchen ein. Er legte es in den Sand. »Jetzt ist ja alles gut!« Sanft strich er dem Kind über das nasse Gesichtchen. Dann wandte er sich zu Nick um. »Ich ging in den Dünen spazieren, als ich die Kleine fallen sah. Sie waren näher als ich, zum Glück, denn bis ich sie erreicht hätte, wäre es vermutlich zu spät gewesen.«

»Anja gehört ins Strandhotel«, sagte Nick, noch völlig benommen. »Seltsam, dass keiner der Gäste den Unfall gesehen hat.«

»Um diese Zeit sitzt alles beim Frühstück«, meinte der Fremde. »Bringen wir das Kind zurück.« Er hob Anja auf und trug sie auf seinen Armen zum Hoteleingang. Er bemerkte nicht, dass Nick ihn nicht begleitete.

Nick suchte seine Sandalen, das Hemd und die Einkaufstasche. Notdürftig strich er seine schwarzen Haare glatt.

Bei jedem Schritt, den er tat, quietschte das Wasser in seinen Schuhen. Er beeilte sich, zu seiner Familie zurückzukommen. Sicherlich wartete man bereits auf ihn.

»Wie siehst du denn aus?«, fragte Henrik, der seinem Bruder ein Stück entgegengelaufen war. »Bist du ins Wasser gefallen?« Hilfsbereit nahm er Nick die Tasche ab.

»Ich dachte, ein kleines Bad vor dem Frühstück würde mir guttun«, ulkte Nick.

»Mit Kleidern?« Henrik rannte mit der Tasche voraus. Er riss die Tür des Bungalows auf und schrie: »Mutti, Vati! Nick ist ins Wasser gefallen!«

»Nick, ist was?« Alexander von Schoenecker steckte seinen Kopf durch die Küchentür.

»Ins Wasser gefallen«, wiederholte Henrik. Er schlüpfte an seinem Vater vorbei in die Küche und stellte die Tasche auf die Anrichte. »Iii, die Eier sind ja alle kaputt!«

Alexander von Schoenecker hörte nicht, was sein jüngster Sohn sagte, denn in diesem Moment kam Nick ins Haus. »Ich dachte, Henrik macht Witze«, meinte er und fasste an Nicks nasse Hose. »Schnell, trockne dich ab, Nick, sonst erkältest du dich noch.«

»Nicht so schlimm, Vati«, erklärte Nick unbekümmert. »Es ist warm. So schnell erkälte ich mich nicht.« Trotzdem ging er ins Badezimmer und griff nach einem Badetuch. In den Bademantel gehüllt, kam er fünf Minuten später zurück.

Denise sah ihm erwartungsvoll entgegen. Sie war bei seiner Rückkehr noch im Schlafzimmer gewesen. »Was ist geschehen, Nick?«, fragte sie. »Henrik will uns weismachen, dass du ins Wasser gefallen bist.« Besorgt schaute sie ihren großen Sohn an.

»Ich habe ein kleines Mädchen aus dem Wasser geholt, Mutti«, sagte Nick leichthin.

»Was hast du?« Alexander ergriff die Schultern seines Sohnes. »Bitte, lass dir nicht jedes Wort einzeln aus dem Mund ziehen!«

»Ihr könnt euch doch sicher an die Kleine erinnern, die wir in Oldenburg am Abend im Hotel ›Zum Schwarzen Ross‹ gesehen haben. Sie wohnt mit ihren Eltern im Strandhotel.« Mit wenigen Worten erzählte Nick, was passiert war. »Es ist mir unverständlich, dass man ein so kleines Kind ohne jede Aufsicht lassen kann«, schloss er aufgebracht. »Stellt euch nur vor, ich wäre nicht gerade vom Laden gekommen!«

»Dann wäre Anja jetzt tot«, sagte Henrik. »Was haben denn ihre Eltern gesagt, als du sie ihnen brachtest?«

»Ich habe sie gar nicht gesehen«, erklärte Nick. »Als der Fremde Anja ins Hotel trug, habe ich meine sieben Sachen zusammengesucht und bin weitergegangen.«

»Vielleicht hättest du eine Belohnung bekommen.« Mit angewidertem Gesicht zog Henrik ein mit Ei verschmiertes Brötchen aus der Tasche.

»Es handelt sich nicht um eine Belohnung, Henrik«, belehrte Alexander seinen vorwitzigen Sohn, »sondern darum, dass jemand den Eltern gehörig die Meinung sagen sollte. Es ist unverantwortlich, ein kleines Kind allein am Wasser spielen zu lassen.«

»Am liebsten würde ich zu ihnen gehen«, meinte Denise von Schoenecker. »Wer weiß, vielleicht ziehen sie nicht einmal eine Lehre aus diesem Unfall, sondern vernachlässigen ihre Aufsichtspflicht morgen schon wieder.«

»Ich würde vorschlagen, wir baden heute alle in der Nähe des Hotels«, schlug Alexander vor. »Wenn wir dann die Leute mit ihrer kleinen Tochter sehen, können wir beide mit ihnen sprechen, Denise. Kein Mensch kann uns das übel nehmen.«

»Einverstanden.« Denise fuhr ihrem Sohn kurz über die noch immer nassen Haare. »Ich bin stolz auf dich, Nick!«

»Und ich auch«, sagte Alexander.

Nick versuchte seine Verlegenheit zu verbergen, indem er meinte: »Brötchen gibt es heute nicht. Wir müssen das restliche Brot von gestern essen.« Er wies auf die mit Ei verschmierten Brötchen, die Henrik in die Brotschale gelegt hatte.

»Ich werde sehen, was ich für heute Abend daraus machen kann«, überlegte Denise laut. »Heute Mittag gehen wir ja essen, oder habt ihr es euch anders überlegt?«

»Nein, wir gehen essen«, sagte Alexander.

Sie saßen noch beim Frühstück, als es klopfte. Henrik sprang auf und öffnete die Tür. »Oh!«, stieß er erstaunt hervor und vergaß vor Überraschung zu grüßen.

»Guten Tag«, sagte Rainer Weber. »Wir hätten gern deinen Bruder gesprochen.«

»Der, der mich aus dem Wasser geholt hat«, zwitscherte Anja. Ihre dünnen Haare waren bereits getrocknet. Sie trug ein frisches hellblaues Leinenkleidchen und Sandalen.

Henrik entsann sich wieder seiner Manieren. »Bitte, kommen Sie herein!« Er trat beiseite. »Meine Eltern und mein Bruder sind beim Frühstück.«

»Dann stören wir ja!«, rief der Mann erschrocken aus.

»Bestimmt nicht«, versicherte Henrik. Er stieß die Küchentür auf und rief: »Ratet mal, wer da ist!«

»Es tut mir leid, dass ich störe«, sagte Rainer Weber etwas verlegen. Er umklammerte fest die Hand seiner kleinen Tochter. »Ich dachte, es ist besser, wenn ich gleich mit Anja komme und mich bedanke.«

»Sie stören nicht.« Alexander von Schoenecker stand auf. »Darf ich Sie ins Wohnzimmer bitten?«

»Sie trinken doch einen Kaffee mit uns, Herr …« Denise unterbrach sich.

»Entschuldigung, ich hätte mich natürlich vorstellen müssen. Ich bin Rainer Weber, und das ist meine Tochter Anja.« Der junge Mann wies auf die Kleine.

Nun stellte sich die Familie von Schoenecker ebenfalls vor.