Gendern - Lena Völkening - E-Book

Gendern E-Book

Lena Völkening

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auch wenn sich fast alle einig sind, dass wir weniger diskriminierend kommunizieren möchten, wird über kaum etwas derzeit so heftig debattiert wie über das Thema Gendern. Denn mit dem Genderstern oder dem Gendergap greifen wir massiv in unsere Sprache ein – egal, ob beim Sprechen oder beim Schreiben. Doch ist es überhaupt notwendig, die Sprache umzugestalten? Und gibt es dabei ein ›richtig‹ oder ›falsch‹? Welche Veränderungen lässt unser Sprachsystem problemlos zu und welche eher nicht? Um souverän entscheiden zu können, ob und, wenn ja, wie wir Gendern wollen, ist es hilfreich, sich klarzumachen, wie Sprache im Allgemeinen funktioniert. Denn die Regeln, die der Sprache zugrunde liegen, sind so komplex wie das Innenleben von uns Menschen – und dabei geht es nicht nur um Rechtschreibregeln oder die richtigen Wortendungen. Jedes noch so kleine Detail – von der Tonlage über die Wortstellung bis hin zu der Wahl der Wörter – erfüllt wichtige Funktionen, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Deshalb ist es nie egal, wie wir etwas sagen. Es sind faszinierende Erkenntnisse aus der Linguistik, anhand derer Lena Völkening erklärt, welchen Einfluss Sprache auf unser Denken hat, wie Bedeutung entsteht und wie Sprachwandel ganz generell vonstattengeht. Dabei erklärt und begründet die Sprachwissenschaftlerin, Übersetzerin und Journalistin, warum einige gendergerechte Formen besser funktionieren als andere.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 239

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Max.

Ohne deine Einwände wäre dieses Buch

vollkommen anders geworden.

Lena Völkening, geboren 1991, hat deutsche und französische Sprachwissenschaft in Bonn, Berlin und Paris studiert und als Journalistin unter anderem für Spiegel Online, Zeit Online und den Tagesspiegel geschrieben. Für den Unrast Verlag hat sie mehrere Bücher aus dem Französischen übersetzt.

Lena Völkening

Gendern

Warum wir die Flexibilitätdes Sprachsystems nutzen sollten

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Lena Völkening:

Gendern

1. Auflage, Mai 2022

eBook UNRAST Verlag, September 2022

ISBN 978-3-95405-123-6

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Felix Hetscher, Münster

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhalt

Vorwort Warum wir zum Gendern die Linguistik brauchen

1. Kapitel Was ist überhaupt das Ziel?

2. Kapitel Wie viel kann ein Genderstern ausrichten?

3. Kapitel Was Frauen und Eulen gemeinsam haben

4. Kapitel Zwei sprachliche Gernegroße

5. Kapitel Die Grammatik ist nicht unschuldig

6. Kapitel Was Sprache über unser Denken verrät

7. Kapitel Make it Make Sense

8. Kapitel Warum Mädchen selten Astronaut werden wollen

9. Kapitel Wie viel Macht hat Sprache?

10. Kapitel Neonschilder für die Wörter

11. Kapitel Sprache, die sich im Kreis bewegt

12. Kapitel Wie man weniger sexistische Wörter baut

13. Kapitel Zwei sehr unterschiedliche Baustellen

14. Kapitel Operation am offenen Herzen

Danksagung

Anmerkungen

VORWORTWarum wir zum Gendern die Linguistik brauchen

Die Verhunzung unserer Muttersprache

entbehrt jeglicher sachlichen Grundlage.

#Gendergaga ist nichts anderes

als #linksgrüner Schwachsinn.

@Irmler3 auf Twitter[1]

Man möchte meinen, es sind harte Zeiten für die deutsche Sprache angebrochen. Sie könnte kaputtgehen! Die Nachsilben könnten verbeulen. Gendergaps könnten die Wörter entzweireißen. Sterne treiben sich herum, wo sie nicht hingehören. Noch dazu sehen diese Sterne gar nicht so aus, wie ein sprachliches Zeichen aussehen sollte. Dieses Buch ist entstanden, weil ich mich in den vergangenen Jahren oft geärgert habe: Warum wird so intensiv über gegenderte Sprache diskutiert, ohne dabei auf die Linguistik zurückzugreifen? Da wird so vieles über Sprache und Sprachstrukturen behauptet, das aus wissenschaftlicher Sicht Unsinn ist. Da wird über das Schicksal von Wörtern geredet, ohne zu berücksichtigen, wie Wörter funktionieren. Als hätten Sprachwissenschaftler*innen nicht schon seit Tausenden von Jahren[2] präzise Baupläne von den Sprachen der Welt gezeichnet und beschrieben, wie sie sich entwickeln, wozu die einzelnen Elemente gut sind und wie wir die Sprache als Werkzeug zur Kommunikation nutzen.

Vielleicht liegt es daran, dass wir alle denken, wir wüssten, wie Sprache funktioniert und wie sie aufgebaut ist. Wir sprechen schließlich alle mindestens eine. Aber die Strukturen von Sprachen sind viel feiner und schwerer erkennbar; da liegt viel mehr in den unteren Schichten, das uns, wenn wir sprechen und schreiben, gar nicht bewusst ist. Der Sprachwissenschaftler Winfried Thielmann hat deshalb einmal geschrieben: »Eine Sprache zu sprechen und zugleich etwas über sie zu wissen sind zwei verschiedene Dinge.«[3] Wir tragen das Wissen über unsere Sprache tief in uns, aber es ist meistens ein unbewusstes Wissen. Die Sprachwissenschaft legt dieses Wissen erst offen. Deshalb brauchen wir sie in der Debatte über gegenderte Sprache.

Oft wird diese Debatte unsachlich und emotional geführt. Wie sollte sie auch nicht emotional sein: Sie betrifft uns sehr direkt, es geht immerhin um unsere Sprache, darum, wie wir jeden Tag reden und schreiben. Es geht außerdem um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, um Identität, um unser Denken – sehr essenzielle Dinge. Einer meiner Freunde, die die ersten Entwürfe dieses Buchs für mich probegelesen haben, sagte mir hinterher: Es hätte ihn etliche Nerven gekostet. Weil ihn das Genderthema stresst. So geht es mir auch. Wenn ich Texte in der Zeitung dazu lese – egal, ob pro oder contra Gendern – werde ich ganz hibbelig.

Dabei wäre es eigentlich möglich, das Problem sachlich, objektiv und wissenschaftlich anzugehen. Die Linguistik ist eine sehr rationale Wissenschaft. Es geht – anders als beispielsweise in der Literaturwissenschaft – wenig um Interpretationen, Sprachgefühl und Kunst. Es geht um harte, bisweilen physische Fakten. Um Schallwellen und Betonungsmuster. Um Logik und innere Strukturen, die einen Zweck erfüllen. Einzelne Wörter sind zum Beispiel nicht einfach irgendwie aufgebaut. Sie bestehen aus Silben, die wiederum aus Lauten bestehen. Dass Wörter in verschiedenen Sprachen unterschiedlich strukturiert sind, ist kein Zufall, sondern hat System.[4] In Sätzen werden Wörter nicht willkürlich platziert, sondern in einer bestimmten Reihenfolge, die etwas Bestimmtes bedeutet.[5] Dass wir anders sprechen, als wir schreiben, hat Gründe.[6] Und so weiter.

Die Sprache ist ein großes, komplexes System, das man bis ins kleinste Detail – bis hin zu den Buchstaben, Lauten, Bestandteilen von Lauten sogar – auseinandernehmen und analysieren kann. Warum macht man sich dieses Detailwissen über die Strukturen der deutschen Sprache nicht zunutze, wenn es ums Gendern geht? »Sieht hässlich aus« oder »Mag ich nicht« sind in dieser Angelegenheit doch wirklich keine guten Argumente. Mit diesem Buch möchte ich zu einer Objektivierung der Genderdebatte beitragen. Die Frage, ob unsere Sprache in Bezug auf Gender ungerecht ist, lässt sich nicht nur aus einem Gefühl heraus beantworten. Man kann das Sprachsystem sehr genau untersuchen und so eine differenzierte, klare Antwort finden. Was konkret ungerecht ist, kann ebenso objektiv beschrieben werden. Und auch, wie wir unsere Sprache ändern und gerechter machen können, müssen wir nicht allein durch blindes Ausprobieren herausfinden. Das wäre wahnsinnig ineffektiv! Wir können uns ansehen, wie Sprache derzeit aufgebaut ist, und die neuen, gegenderten Wörter nach diesem Vorbild zusammenbauen.

Zugegeben: Die Linguistik kann die Frage, ob und wie wir gendern sollten, nicht abschließend beantworten. Das ist auch gar nicht ihr Ziel. Sie ist eine Wissenschaft, die beobachtet, beschreibt und analysiert, aber nicht vorschreibt, was zu tun ist. Sie bewertet auch nicht. Sprachwissenschaftler*innen würden sich fast nie in Sprachwandelprozesse einmischen, weil man davon ausgeht, dass sich Sprache von selbst und durch die, die sprechen und schreiben, so entwickelt, wie es am besten ist. Deshalb arbeitet die Linguistik auch nicht daran, geeignete Lösungsvorschläge für eine gegenderte Sprache zu entwickeln.[7] Das ist nicht ihre Aufgabe und nicht ihr Ziel.[8] Sprachwissenschaftler*innen wachen normalerweise nicht über den Erhalt oder die Restauration der Sprache. Sie fragen sich zum Beispiel nicht, ob das Deutsche durch ›schlechte‹ gegenderte Sprache kaputtgehen könnte. Eine Sprache ist ein robustes, biegsames, komplexes System. Wenn etwas in der Sprache – ein Wort oder ein Satz zum Beispiel – komisch und schief aussieht, dann ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nichts defekt, sondern dann haben wir einfach noch nicht verstanden, warum es so komisch und schief ist.

Im Deutschen machen Schreibende zum Beispiel oft ein Komma an einer bestimmten Stelle in Sätzen, wo es eigentlich nach den Regeln der Rechtschreibung überhaupt nicht hingehören würde: Nach einem ausführlichen Frühstück mit zwei Schokocroissants und frischgepresstem Orangensaft, ging sie zur Arbeit. Das Komma nach Orangensaft ist hier nicht korrekt – zumindest nicht nach den aktuellen Regeln, die in Grammatikbüchern festgehalten werden. Das heißt aber noch lange nicht, dass es völlig unsinnig ist, an dieser Stelle ein Komma zu setzen. Man kann sehr genau beschreiben, welche guten Gründe Schreibende haben könnten, dieses ›falsche‹ Komma an diese Stelle im Satz zu setzen. Bastian Sick, der Autor des Buchs Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, hat über diese Art von Kommata einmal in einer Spiegel-Kolumne geschrieben, sie würden Texte regelrecht verunstalten. Er macht sich über Leute lustig, die dieses Komma setzen:

»›Außerhalb der Sommermonate, ist das Café nur bis 16 Uhr geöffnet‹, steht auf einem Schild an einem Ausflugslokal am See. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wie so ein Schild entsteht. Der Erwin malt es und ruft dann seine Roswita ›zum Gucken‹. Roswita kommt und guckt, und weil sie meint, dass sie irgendetwas dazu sagen müsse, sagt sie: ›Da fehlt noch was.‹ – ›Watt denn?‹, fragt Erwin. ›Weiß nich. Aber irgendwas fehlt, das spür ich genau.‹ – ›Also, der Strich über Café kann’s nicht sein, der ist da, wie du siehst.‹ – ›Nee, das mein ich auch nich. Irgendwas anderes. Ein Komma oder so.‹ – ›Ein Komma? Wo denn?‹ – ›Da wo die Stimme beim Lesen hochgeht, da muss ein Komma hin.« [9]

Sick zieht ins Lächerliche, dass Roswita denkt, man müsste nach Sommermonate ein Komma setzen. Dabei ist Roswita nicht dumm. Wer eine Sprache beherrscht (und nicht gerade erst als Fremdsprache lernt), hat ein Gefühl für diese Sprache entwickelt und spürt intuitiv, wo beispielsweise mehrere Wörter gemeinsam eine Einheit bilden. Außerhalb der Sommermonate ist eine solche Einheit, eine Präpositionalphrase. Roswita möchte also nicht einfach irgendwo im Satz ein Komma setzen, sondern dort, wo es nach gewissen Maßstäben sehr sinnvoll ist: Es markiert das Ende der Präpositionalphrase.[10] Nur werden diese Maßstäbe nicht für unsere aktuellen Rechtschreibregeln zugrunde gelegt. Die Rechtschreibregeln sind Regeln, auf die sich eine Sprachgemeinschaft geeinigt hat, aber sie bilden nicht die gesamte Sprachstruktur und alle inneren Logiken der Sprache ab. Etwas kann sprachlich sinnvoll sein und der Struktur der Sprache entsprechen, ohne nach den Rechtschreibregeln korrekt zu sein. In der Linguistik würde deshalb niemand auf die Idee kommen, Roswitas Kommasetzung zu kritisieren. Niemand würde raunzen: »Das ist grammatisch nicht korrekt, das Komma darf man dort nicht setzen!« Linguist*innen würden dieses verirrte Komma vielmehr hochinteressant finden und sich fragen, welche Gründe dahinter stecken könnten.[11]

Eine Biologin würde ja auch nicht in Gummistiefeln durch einen Teich waten und sagen: »Die Kaulquappe da vorne sieht komisch aus, so sehen Kaulquappen normalerweise gar nicht aus, die finde ich nicht gut!« Sie würde stattdessen so aufgeregt werden, dass ihr Wasser in die Stiefel schwappt, und versuchen, die Kaulquappe zu fangen und herauszufinden, ob das Tier zu einer neuen Froschart gehört, die vor ihr noch niemand entdeckt und beschrieben hat. Sprachwissenschaftler*innen machen es ähnlich: Sie versuchen, herauszufinden, welche – vielleicht noch unentdeckten – sprachlichen Strukturen und Mechanismen hinter vermeintlichen Fehlern und sprachlichen Unregelmäßigkeiten liegen, und sie träumen dabei heimlich davon, ein ganz besonderes Phänomen zu entdecken.

Die Sprachwissenschaftler*innen würden sich anschließend einen Tee kochen, sich in ihre Büros in den hinteren Ecken der Universität zurückziehen, wo die Geisteswissenschaften verstaut werden, und abwarten, ob sich das neue sprachliche Phänomen durchsetzt. Sie würden sich hüten, zu sagen »Das sollte sich nicht durchsetzen!«. Und genau das tun die meisten von ihnen derzeit auch beim Genderthema: Sie warten ab. Sie lassen die Menschen erst einmal machen und beobachten teetrinkend, wie sich die Sache entwickelt. Denn es wäre vorschnell, gegenderte Sprache mit Gendersternen, Gendergaps und dem ›Knacklaut‹ beziehungsweise Glottisverschlusslaut[12] als ›falsch‹ abzustempeln, nur weil sie komisch und seltsam aussieht und weil es so etwas vorher noch nicht gab. Wenn gegenderte Sprache oberflächlich ›falsch‹ aussieht, muss das noch lange nicht heißen, dass sie nicht doch nach den Strukturen unserer Sprache funktionieren und damit ins Sprachsystem passen könnte. Dementsprechend gibt es in der Linguistik keine wissenschaftliche Debatte über die Frage, ob und wie man gendern sollte, von der ich in diesem Buch berichten könnte. Was es aber gibt, sind Beschreibungen des Ist-Zustands und der Entwicklung des Deutschen, die für das Genderthema relevant sind. In diesem Buch trage ich deshalb die wichtigsten Erkenntnisse und Überlegungen aus der Linguistik zusammen, die dabei helfen, zu verstehen, wo und warum Gendern aus linguistischer Perspektive nötig sein kann und wie man es machen könnte, damit es funktioniert. Ich habe die Zutaten zusammengetragen, die man als Argumentations- und Entscheidungsgrundlage verwenden kann. Die deutsche Sprache wird in den folgenden Kapiteln von allen Seiten, in all ihren Aspekten durchleuchtet, sodass ihre sexistischen Stellen sichtbar werden.

Man kann sich die Sprache wie einen gewebten Teppich vorstellen, auf den immer wieder neue Muster aufgestickt werden. Manche Strukturen liegen tief unten im Material und müssen erst einmal offengelegt werden, damit man sie erkennen kann. Das Genderthema betrifft so viele Ebenen und Aspekte der Sprache, dass man anhand dieses Themas noch sehr viel anderes ergründen kann: in welche Kategorien wir die Welt anhand von Sprache einteilen zum Beispiel, warum wir uns immer wieder anders ausdrücken als jeweils die Generationen vor uns und wie sehr wir uns in unserem Denken von der Sprache lösen können. Dieses Buch ist deshalb auch ein Buch über das Deutsche und darüber, was unsere Sprache kann – was sie mit uns macht und wie wir mit ihr Ideen bändigen und in die Köpfe anderer pflanzen können.

Ich will nicht behaupten, dass eine Sprache, in der Menschen nicht mehr ungleich behandelt werden, alle Ungleichheit in der Welt aufheben könnte. Die Sprache ist nur ein Baustein von vielen. Nicht nur sie wirkt auf uns ein, sondern auch die Bilder in den Medien, Menschen, Institutionen, Strukturen, unser Umfeld, unsere Erfahrungen und Gedanken. Aber die Sprache ist ein wichtiger, für uns als Menschen essenzieller Baustein. Wir verständigen uns mit ihr. Sie begleitet uns jeden Tag. Sie legt unserem Denken möglicherweise keine Kandare an, aber sie beeinflusst es, sie ist eine Art Stütze für unsere Gedanken. Wenn Menschen in ihr keinen Platz finden, in problematische Schubladen gezwängt und unterschiedlich wertgeschätzt werden, dann sollten wir etwas daran ändern.

Das wird Sie und mich sicherlich einige Nerven kosten. Das ist unvermeidbar und liegt am Thema selbst. Ob und wie das Problem, dass unsere Sprache aktuell sexistisch ist, mit umfassenden Umbauarbeiten behoben werden sollte, wird wohl auch weiterhin eine hitzig geführte, oft von subjektiven Kriterien wie Ästhetik und Gewohnheit geleitete Debatte bleiben. Das heißt aber nicht, dass man dieser Debatte nicht so viele objektive Kriterien wie möglich zugrunde legen kann. Wenn wir unsere Sprache gerechter machen wollen, dann sollten wir das mithilfe jener Wissenschaft tun, die die Sprache untersucht, seziert und versteht, der Linguistik.

Man sollte für die Umbauarbeiten an der Sprache die Baupläne verwenden, die Sprachwissenschaftler*innen von unseren Wörtern, Sätzen und Texten gezeichnet haben, und nicht einfach irgendwo nach Gutdünken mit etwas billigem Klebeband und viel zu kleinen Schrauben Bauelemente ummontieren oder neue aus Plastik hinzufügen. Sonst wird die Angelegenheit instabil und hält nicht. Welchen Sinn würde es ergeben, die Sprache mühevoll zu ändern, wenn es am Ende immer noch irgendwo im Getriebe quietscht? Wir müssen nicht immer wieder von vorne anfangen mit dem Nachdenken über Sprache. Wir können auf den Erkenntnissen und Theorien aufbauen, die die Linguistik bereits gewonnen und aufgestellt hat.

Die Linguistik ist bisweilen sehr kompliziert, deshalb ist vieles in diesem Buch stark vereinfacht dargestellt. In den Fußnoten finden Sie Kommentare und Literaturhinweise, die Sie, wenn Sie ein Thema näher interessiert, zu den Fachtermini und einer präziseren Darstellung führen. Meistens habe ich auf Fachbegriffe verzichtet und sie durch alltäglichere Wörter ersetzt. Weil das Problem so vielschichtig ist, nähern wir ihm uns von verschiedenen Seiten. Wir nehmen die Sprache Stück für Stück auseinander, bis es offen vor uns liegt, und suchen dann nach neuen Bauteilen, mit denen wir das Sprachsystem gerechter machen können.

1. KAPITELWas ist überhaupt das Ziel?

Die deutsche Sprache ist eigentlich besessen von Geschlecht,

indem alles immer in Geschlechter – und zwar in genau zwei Geschlechter –

einsortiert werden muss. […]

Im Prinzip ist der traditionelle Sprachgebrauch

viel merkwürdiger gegendert als das,

was jetzt an neuen Formen entsteht.

Anatol Stefanowitsch (Linguist)[13]

Eines meiner Lieblingslieder handelt davon, wie es ist, nicht mehr eine ›Frau‹ sein zu wollen. Es trägt den Titel iT und ist geschrieben und gesungen von Héloïse Letissier, unter dem Künstler*innennamen Christine and the Queens als Singer-Songwriter*in bekannt. Letissier ist genderqueer, identifiziert sich also weder als ›Frau‹ noch als ›Mann‹. Die Kunstfigur, die Letissier für die Bühne und die Musik geschaffen hat, spielt mit Genderstereotypen und weicht sie auf: eine zierliche, muskulöse Person in fließenden Hemden und Anzügen, die die Haare zu manchen Zeiten kurz trägt und dann wieder schulterlang, die in ihrem Tanz mal hart und kantig wirkt und ein anderes Mal sehr weich, eine androgyne Person. In dem Lied iT aber singt ein ›weibliches‹ Ich davon, dass es ein ›Mann‹ geworden ist:

»I’ve got it

I’m a man now

Yes I’ve got it

I’m a man now

And there’s nothing you can do

To make me change my mind

I’m a man now«

Und eine leisere Stimme antwortet:

»She’s a man now

She’s a man now

And there’s nothing we can do

To make her change her mind«

Wer kann die Person in diesem Lied sprachlich werden, wenn sie das ›Frausein‹, so, wie die Gesellschaft es ihr vorgibt, ablegen möchte? Welche Worte kann sie dann verwenden, um über sich zu sprechen? Wenn das Wort Frau ihr zu eng, zu einschränkend ist? Ist dann die einzige andere Möglichkeit, ein Mann zu sein? Während Letissier als Künstler*in mit Kleidung, im Tanz und im Auftreten Genderkategorien verschwimmen lässt, bleibt das Alter Ego in diesem Lied sprachlich in einer binären Genderlogik gefangen. Entweder, man ist eine ›Frau‹, she. Oder, wenn man keine ›Frau‹ sein will, dann wird man eben ein ›Mann‹, a man. Wie weit können unsere auf zwei Genderkategorien getrimmten Gehirne aus dieser Binarität ausbrechen?

Wer eine Sprache unter die Lupe nimmt, sieht dabei immer auch die Strukturen und Bausteine unseres Denkens vor sich. In welchen Kategorien denken wir Menschen? Wo ziehen wir Grenzen zwischen Dingen, Begebenheiten – und Menschen? Dass wir im Deutschen genauso wie im Englischen Wörter haben, die ›Frauen‹ und ›Männer‹ voneinander unterscheiden, zeugt davon, dass wir diese Unterscheidung auch in unserem Denken machen und dass sie uns wichtig ist. So wichtig, dass wir diesen von uns wahrgenommenen Unterschied zwischen der einen und der anderen Hälfte der Menschheit als tragendes Element in unsere Sprachen eingebaut haben. Wir unterscheiden Männer und Frauen. Er und sie. Mein Freund Tobias und meine Freundin Rebekka. Der Seemann, der sich verabschiedet. Unsere Sprache ist sehr präzise, wenn es um Gender, also soziales Geschlecht, geht. Sie knallt es uns um die Ohren, sodass wir gar nicht anders können, als meinen Freund Tobias als ›Mann‹ und meine Freundin Rebekka als ›Frau‹ wahrzunehmen. Gender ist in unserer Sprache aber nicht etwa ein Kontinuum. Was passiert mit denjenigen, die sich in der sozialen Wirklichkeit auf dem Genderkontinuum eher in der Mitte zwischen den beiden Polen befinden? Die nicht so klar der einen oder der anderen Gruppe zugeteilt werden können und wollen? Für sie hat unsere Sprache wenig übrig.

Zwar hat die Sprachgemeinschaft mittlerweile einige Wörter ge- und erfunden, die diese Menschen sprachlich vorkommen lassen: nicht-binär zum Beispiel, queer, divers, agender und genderfluid. All diese Wörter kann man auch dann, wenn man nicht zum Beispiel mit dem Genderstern gendert, verwenden, um nicht-binäre Genderidentitäten zu beschreiben. Die Kategorien ›Frau‹ und ›Mann‹ können wir außerdem mit Anführungszeichen als soziale Konstrukte markieren oder mit dem Adjektiv cis kenntlich machen, wenn jemand schon bei der Geburt dem Gender zugeordnet wurde, dem er sich heute selbst zuordnet. Dass das nicht bei jeder ›Frau‹ und jedem ›Mann‹ der Fall sein muss, können wir zum Beispiel mit dem Wort transgender deutlich machen. Zudem öffnen sich die Kategorien ›Frau‹ und ›Mann‹: Sprecher*innen des Deutschen definieren ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ im Laufe der Zeit neu und damit auch, für wen und wie sie Wörter wie Mann und Frau verwenden. Die Sprachgemeinschaft hat den Wortschatz des Deutschen bereits erweitert und umsortiert. Gender ist in der Sprache auch dann, wenn nicht extra gegendert wird, nicht mehr immer starr binär.

Und doch ist unsere Sprache, wenn wir nicht gendern, meistens ›Männern‹ und ›Frauen‹ vorbehalten. Wie das Alter Ego in dem Lied sind wir beim Sprechen und Schreiben in einer binären Genderlogik gefangen – nicht immer zwar, aber fast immer. Von den meisten Wörtern für Menschen gibt es genau zwei Versionen: eine für ›Frauen‹ und eine für ›Männer‹. Wenn wir von einer konkreten Person sprechen möchten, dann müssen wir uns also entscheiden: Ist diese Person eine Politikerin oder ein Politiker? Ist sie Schülerin oder Schüler? Meine Nachbarin oder mein Nachbar? Nur wenige Personenbezeichnungen im Wortschatz des Deutschen können den Menschen sprachlich kein Gender zuordnen, wie zum Beispiel Mensch, Person oder Mitglied.[14] Diese Wörter verwenden wir für ›Frauen‹ wie ›Männer‹ gleichermaßen. Von ihnen gibt es keine zwei Versionen, die wie geschlechtergetrennte Toilettenräume jeweils explizit für eines der beiden traditionellen Gender gedacht sind.

Selbst dann, wenn man maskulinen Wörtern wie Nachbarn, Mieter und Freunde zutraut, sich je nach Kontext sowohl nur auf ›Männer‹ als auch auf ›Männer‹, ›Frauen‹ und nicht-binäre Personen beziehen zu können, teilen wir die Menschen sprachlich ständig in zwei Lager. Denn das sogenannte ›generische Maskulinum‹ funktioniert auch in der Theorie nur dann, wenn es sich um eine Gruppe von Menschen mit unterschiedlichem oder unbekanntem Gender handelt (Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Nachbarn), oder um eine Person, die kein bestimmtes Individuum und deren Gender deswegen unbekannt oder irrelevant ist (Ich sollte mal wieder zum Zahnarzt).[15]

Sobald wir über eine konkrete Person sprechen, verwenden wir im Deutschen nicht mehr stets die maskuline Wortform (der Nachbar), sondern teilen die Person sprachlich explizit einer der beiden Kategorien ›Frau‹ und ›Mann‹ zu. Meine Nachbarin, meine Chefin und meine Freundin sind sprachlich eindeutig ›Frauen‹ und ich würde sie nicht als Nachbar, Chef oder Freund bezeichnen. Der Satz Mein Freund Irina ist nach München gezogen klingt genau deshalb seltsam. Wenn ich wiederum davon spreche, dass mein Chef angerufen hat, dann können Sie sich sicher sein, dass ich einen ›Mann‹ meine und nicht eine ›Frau‹.[16] Erst, wenn ich von meinen Chefs, also von mehreren Personen spreche, könnten auch ›Frauen‹ dabei sein. Wenn wir wiederum über mehrere ›Frauen‹ statt über ›Frauen‹ und ›Männer‹ sprechen, drücken wir ihr Gender ebenfalls sprachlich klar erkennbar aus: Rebekka und Nina sind meine Freundinnen, nicht meine Freunde. Wenn es um konkrete Personen und um Gruppen ohne ›Männer‹ geht, ist uns Gender offensichtlich so wichtig, dass wir es sprachlich ausdrücken.

Unser Sprache zwingt uns in diesen Fällen, Gender zu benennen, aber sie stellt uns gleichzeitig nicht das sprachliche Material zur Verfügung, mit dem wir mehr als zwei Genderkategorien benennen könnten. Wie schlimm ist das? Können wir nicht unser Denken von der Sprache lösen und Gender trotzdem flexibler denken? Muss das wirklich heißen, dass wir Menschen auch gedanklich stumpf in ›Frauen‹ und ›Männer‹ einteilen? In dem Lied singt Letissier zwar davon, dass sie jetzt a man ist, aber wir können doch trotzdem beobachten, wie androgyn die Person, die da in Musikvideos und auf der Bühne singt, sich kleidet, wie sie sich gibt, wer sie ist – oder nicht? Wie sehr lenken die Kategorien, die uns unsere Sprache auftischt, unsere Gedanken? Diese Fragen sind zentral, wenn man entscheiden will, ob, wann und wie man gendert. Das Ziel beim Gendern ist, unser Denken zu beeinflussen – unter der Annahme, dass Sprache unser Denken beeinflusst. Wie genau sie das tut, ist eine sehr komplexe Frage, die ich in den folgenden Kapiteln noch ausführlich beleuchten und beantworten werde.

Unabhängig von der Frage, wie stark der Einfluss unserer Sprache auf unser Denken ist, ist jedoch eine Tatsache unbezweifelbar wahr: Für Genderidentitäten außerhalb der binären Ordnung bietet sie kaum Möglichkeiten. Wenn wir uns vor unser Sprachsystem stellen und nüchtern betrachten, aus welchen Bauteilen es besteht, dann sind da jede Menge ›weibliche‹ und ›männliche‹ Bauteile. Die deutsche Sprache teilt Menschen vornehmlich zwei Genderkategorien zu und schließt damit nicht-binäre Personen aus.

Gendern soll diese Binarität aufbrechen und die Sprache für ein Spektrum an Genderidentitäten öffnen. Es soll neue, nicht-binäre Bauteile ins Sprachsystem einbauen. Das ist jedenfalls das Ziel, das Sprachkritiker*innen der dritten feministischen Welle postulieren. Im Jahr 2003 plädiert zum Beispiel Philosoph*in Steffen Kitty Herrmann in der Zeitschrift arranca! dafür, Unterstriche in Wörter zu setzen. Herrmann schreibt, der Vorstellungshorizont unserer Sprache sei auf eine binäre Struktur eingegrenzt.[17] Dieser Vorstellungshorizont soll erweitert werden, indem der Gendergap in Wörtern (Bauarbeiter_innen) Raum für mehr lässt. Die Idee beim Genderstern ist ähnlich. Er wird wie der Gendergap in den 2000er-Jahren erfunden[18] und soll ebenfalls die Vielfalt der Genderidentitäten einbeziehen.

Das Ziel beim Gendern ist dann: mehr Gender. Die Wörter sollen mit Gender angereichert werden, wo sie bislang nur eine oder höchstens zwei Genderidentitäten einbezogen haben. Wenn das funktioniert, ist das Ergebnis eine geschlechtergerechte oder gendergerechte Sprache, in der alle Genderkategorien gleichberechtigt vorkommen und die uns nicht zwingt, uns in unseren Worten und Sätzen auf eine oder zwei Genderkategorien zu beschränken.

Aber warum muss Gender überhaupt in so vielen Wörtern, mit denen wir Menschen bezeichnen, eine Rolle spielen? Gender ist im Deutschen allgegenwärtig. Wozu soll das gut sein? Könnte man nicht Gender auch weitgehend aus der Sprache entfernen, um eine gerechtere Sprache zu erhalten? Könnten gegenderte Wörter wie die mit Gendergap und Genderstern nicht genderneutral sein, also überhaupt nichts mit Gender am Hut haben? Es macht einen großen Unterschied, ob ein Wort explizit alle Genderidentitäten, die es gibt, beinhaltet, oder ob es nichts mit Gender am Hut hat. Im ersten Fall ist das Wort gendergerecht, weil es ausgewogen alle Gender repräsentiert. Im zweiten Fall ist das Wort genderneutral. Es ist frei von Gender.

Sprachlich exgendernd zu handeln, also genderlos zu sprechen oder schreiben,

macht einen entscheidenden Unterschied:

für sich nicht gendernde Menschen, für andere,

die respektvoll kommunizieren

und die Selbstwahrnehmung anderer respektieren wollen.

Lann Hornscheidt (Linguist*in)[19]

Wäre es nicht schön, wenn man die Sprache mit dem Gendern genderneutral machen könnte? Dann könnten wir zwar mit Wörtern wie queer, Frau oder Mann bei Gelegenheit über das Gender von Personen sprechen. Aber wir müssten es nicht ständig, in fast jedem Satz, den wir formulieren, tun. Warum sollte ich meinen Leser*innen auch derart penetrant unter die Nase reiben, welches Gender die Personen haben, über die ich spreche? Andere Merkmale spielen sprachlich schließlich auch die meiste Zeit über überhaupt keine Rolle: unsere Hautfarbe, unsere Körpergröße und unsere Religion zum Beispiel. Ich kann, wenn ich möchte, über den Beruf oder das Alter einer Person sprechen, aber ich muss das nicht in fast jedem einzelnen Satz tun. Gender müsste sprachlich gar nicht relevant sein.

Ich rede hier nicht davon, Gender in der Welt oder in unserem Denken abzuschaffen. Aber aus unserer Sprache könnten wir Gender möglicherweise weitestgehend verbannen, von wenigen Wörtern abgesehen, mit denen wir Gender ausdrücken könnten, wenn wir es gerade wirklich brauchen. Der Begriff Gendern wäre in dem Fall irreführend: Die Sprache würde eigentlich nicht gegendert, sondern entgendert.

Girlfriend, don’t feel like a girlfriend

But lover,

Damn, I’d be your lover.

Christine and the Queens – Girlfriend

Die Italienerinnen schauen mich von meinem Laptop-Bildschirm aus verständnislos an. Ich leite in diesem Corona-Semester an der Universität Bonn einen Online-Deutschkurs. Alle zwei Wochen treffen wir uns über Zoom und diskutieren über ein aktuelles gesellschaftliches Thema, damit die Italienerinnen sicherer im Sprechen werden. Heute will ich mit ihnen übers Gendern im Deutschen diskutieren. »Das Ziel beim Gendern ist, die Sprache genderneutral zu machen«, erkläre ich in die Laptopkamera. »Die Kategorie Gender soll keine Rolle mehr spielen. Alle Menschen sollen sprachlich einfach Menschen sein.« Die Italienerinnen schauen nachdenklich auf die Wörter mit Gendersternen und Gendergaps, die ich auf die virtuelle Tafel geschrieben habe. Schließlich meldet sich eine von ihnen zu Wort: »Ich finde es wichtig«, sagt sie, »dass ich in der Sprache eine Frau bin. Eine Frau zu sein, bedeutet etwas anderes, als ein Mann zu sein. Ich bin eine Studentin und kein Student. Ich möchte als Frau angesprochen werden.«

Als die Sache mit dem Gendern in Deutschland in den 1970er-Jahren mit der zweiten feministischen Welle aufkam, war genau das das Ziel: ›Frauen‹ in der Sprache sichtbarer zu machen. Das Ziel war nicht, Gender aus der Sprache zu verbannen, sondern, ›Frauen‹ explizit anzusprechen und nicht mehr länger nur bei der ›männlichen‹ Wortform mitzumeinen. Unser Sprachsystem war und ist, wenn es um Gender geht, außerordentlich asymmetrisch. In unserer Gesellschaft ist oft das ›Männliche‹ die Norm und das spiegelt sich in der Sprache wider.

Man versuchte also, diese Asymmetrie auszugleichen und die Sprache ›weiblicher‹ zu machen, indem man zum Beispiel nicht mehr nur von Bürgern sprach, sondern von Bürgerinnen und Bürgern, und indem man mit neuen Formen wie dem Pronomen frau (für man) experimentierte. Aus dieser Zeit stammt außerdem das Binnen-I, das Wörter zu hybriden Formen aus ›weiblichen‹ und ›männlichen‹ Bestandteilen machen soll: BürgerInnen. In einer Richtliniensammlung für geschlechtergerechte Sprache fordern zum Beispiel die beiden Linguistinnen Marlis Hellinger und Christine Bierbach 1993 sprachliche Symmetrie, also absolute sprachliche Gleichbehandlung von ›Frauen‹ und ›Männern‹.[20] In unserer Sprache herrschte und herrscht immer noch ein Ungleichgewicht zwischen den Wörtern für ›Frauen‹ und den Wörtern für ›Männer‹, und es ging lange Zeit vor allem darum, diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, indem man das ›Weibliche‹ nachholte.

Die Asymmetrie zeigt sich insbesondere in einer sprachlichen Gewohnheit: Die sprachliche Form, die sowohl ›Frauen‹ als auch ›Männer‹ gleichzeitig benennen soll, ist das generische Maskulinum, nicht das generische Femininum. Selbst, wenn das generische Maskulinum funktioniert und Menschen unter Nachbarn auch ›Frauen‹ verstehen, so ist die Wortform doch dieselbe, die auch dann verwendet wird, wenn nur von ›Männern‹ die Rede ist. ›Frauen‹ werden damit sprachlich in eine Sonderkategorie gedrängt. ›Männer‹ können sich immer sicher sein, dass sie gemeint sind, aber ›Frauen‹ nicht. Wenn ich von meinen beiden Nachbarn spreche, meine ich dann zwei ›Männer‹ oder vielleicht doch einen ›Mann‹ und eine ›Frau‹? Wenn ich hier drei Linguisten