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Die Sammlung unter dem Titel 'Gesammelte Norwegische Volksmärchen' entfaltet ein faszinierendes Panorama der norwegischen Erzähltradition und reicht von magischen Abenteuern bis zu moralischen Fabeln. Mit einer Vielfalt an literarischen Stilen verkörpern die Geschichten sowohl die Rustikalität als auch die Feinheiten der mündlichen Überlieferung. Die Anthologie bietet einen tiefgreifenden Einblick in die kulturellen Wurzeln und symbolischen Traditionen, die zu einem wesentlichen Bestandteil der norwegischen Identität geworden sind. Diese Sammlung ist ein leuchtendes Zeugnis der sorgfältigen Arbeit der Herausgeber und zeigt markante Stücke wie 'Das Aschenputtel' und 'Der dickste Troll'. Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe, als herausragende Sammler und Arrangeure dieser Märchen, spielen eine zentrale Rolle bei der Bewahrung des norwegischen Erbes. Beide Autoren, tief verwurzelt in der norwegischen Romantik, lenkten die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Volkskultur in einer Zeit der Nationalisierungen und kulturellen Wiederentdeckungen. Ihr gemeinsames Werk vereinigt die Stimmen der Vergangenheit und spiegelt die universelle Weisheit und Kreativität ihrer Herkunft wider, wobei sie die Vielfalt und den kulturellen Reichtum des norwegischen Volkes zelebrieren. Diese Anthologie stellt für Leser eine einzigartige Gelegenheit dar, die Fülle und Breite der norwegischen Volksmärchengeschichte in einem einzigen Band zu erforschen. Sie lädt dazu ein, die Erzählungen nicht nur als literarische Werke zu erleben, sondern bietet auch einen unersetzlichen Bildungswert, indem sie Einsichten in die kulturellen und sozialen Zusammenhänge bietet. 'Gesammelte Norwegische Volksmärchen' inspiriert zu einem lebendigen Dialog zwischen alten Erzähltraditionen und modernen Perspektiven und ermuntert den Leser, die Zeitlosigkeit der Geschichten zu entdecken. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Diese Sammlung vereint die beiden klassischen Bände Norwegische Volksmärchen I und II mit drei ergänzenden Einzelstücken und bietet damit ein konzentriertes Panorama des norwegischen Erzählschatzes, wie ihn Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe aufgezeichnet haben. Ziel ist es, eine maßgebliche Auswahl übersichtlich zu bündeln: nicht als Romanwerk oder dramatischer Zyklus, sondern als Fundus erzählter Prosa aus mündlicher Überlieferung. Die Zusammenstellung veranschaulicht Breite und Tiefe des Materials und führt zugleich in jene Erzählweisen ein, die im 19. Jahrhundert gesammelt und für Leserinnen und Leser dauerhaft zugänglich gemacht wurden.
Die Aufnahme von Die Prinzessin, die keiner zum Schweigen bringen konnte, Die Puppe im Gras und Per Gynt neben den umfangreichen Hauptbänden verfolgt eine doppelte Absicht: Sie hebt markante Einzelmärchen hervor und macht typische Motive besonders anschaulich. Zugleich zeigt sie, wie die kürzeren, pointierten Texte mit den vielgestaltigen Stücken der Hauptsammlung korrespondieren. Der Band versteht sich damit als Lesebuch und Überblickswerk gleichermaßen. Er will den Zugang erleichtern, ohne die Eigenart der mündlichen Erzählform zu glätten, und lädt dazu ein, bekannte Stoffe in ihrer originalen Schlichtheit neu zu begegnen.
Im Zentrum stehen Volksmärchen in unterschiedlichen Ausprägungen. Dazu zählen Zaubermärchen mit übernatürlichen Helfern oder Prüfungen, Schwankmärchen mit humoristischer Zuspitzung sowie knappe Ketten- oder Rätselmärchen, die durch Wiederholung und Variation wirken. Längere Erzählungen entfalten episodische Wanderschaften, während kurze Stücke in wenigen Zügen Charakter und Konflikt skizzieren. Die drei zusätzlich aufgenommenen Märchen illustrieren diese Spannbreite: eine beharrliche Prinzessin als Anstoß für listige Bewährung, ein miniaturhaftes Wunderwesen im Gras und eine kraftvolle Gestalt aus der Sagenwelt, die in nordischer Landschaft verankert bleibt, ohne den Realismus des Alltags ganz zu verlassen.
Durchgängig verbinden die Texte Alltagserfahrung mit dem Wunderbaren. Arbeit, Armut, Wegstrecken und Haushalte stehen neben Trollen, Riesen und anderen Gestalten. Wiederkehrende Themen sind Klugheit statt bloßer Kraft, Ausdauer gegen widrige Umstände, das Lösen von Aufgaben sowie die Umkehr sozialer Erwartungen. Figuren gewinnen nicht durch edle Herkunft, sondern durch Einfallsreichtum und die Fähigkeit, Regeln der Welt zu erkennen und zu nutzen. Natur erscheint als Mitspielerin: Berge, Wälder und Gewässer sind Schauplätze und Prüfsteine zugleich. Humor und leiser Spott erden das Fantastische und lassen das Erzählen aus Erfahrung sprechen.
Stilistisch zeichnet sich das Korpus durch Mündlichkeit, klare Handlungslinien und formelhafte Struktur aus. Erzählerische Anläufe, feste Wendungen und rhythmische Wiederholungen stiften Gedächtnis und Spannung. Beschreibungen bleiben ökonomisch; Charaktere werden durch Handlungen und knappe Attribute profiliert. Der Ton wechselt zwischen derben Pointen und schlichten, beinahe sachlichen Beobachtungen. Diese Mischung ist prägend für die norwegische Volksüberlieferung, wie sie Asbjørnsen und Moe aufgezeichnet haben: Sie wahrt Nähe zum gesprochenen Wort, ohne auf literarische Gestaltung zu verzichten, und ermöglicht ein Lesen, das gleichermaßen lustvoll, zupackend und bildkräftig ist.
Als Ensemble behalten diese Märchen ihre Bedeutung, weil sie kollektive Vorstellungen, Werte und Ängste in prägnante Erzählmuster fassen. Sie dokumentieren regionale Stimmen und zugleich eine überregionale Motivgeschichte, die in Europa variantenreich belegt ist. In Norwegen wurden sie zu einem kulturellen Bezugspunkt, der Sprache, Landschaft und Alltagswelt in erzählerische Form brachte. Die Sammlung eröffnet daher nicht nur literarische, sondern auch kulturgeschichtliche Perspektiven: Sie zeigt, wie Erzähltraditionen bewahrt, adaptiert und weitergegeben werden, und warum die Einfachheit des Volksmärchens eine dauerhaft moderne Kraft entfaltet.
Die vorliegende Zusammenstellung lädt zu unterschiedlichen Lektürewegen ein: fortlaufend von den großen Sammlungsbänden in die prägnanten Einzelerzählungen oder thematisch entlang von Motiven wie Prüfungen, Verwandlungen und List. Sie bietet Anknüpfungspunkte für vergleichendes Lesen innerhalb des Bandes und darüber hinaus. Wer sich auf den Ton der Mündlichkeit einlässt, entdeckt hinter scheinbar schlichten Zügen eine reiche Struktur an Mustern und Varianten. So entsteht ein Gesamtbild, in dem Norwegische Volksmärchen I und II das Fundament bilden und die drei Zusatztexte Akzente setzen, die das Panorama weiter differenzieren.
Die norwegischen Volksmärchen, wie sie Peter Christen Asbjørnsen (1812–1885) und Jørgen Moe (1813–1882) gesammelt und geformt haben, entstanden im Umfeld des nationalen Aufbruchs nach der Verfassung von Eidsvoll 1814. In einem Land, das seit 1814 in Personalunion mit Schweden stand, galt die Erhebung der bäuerlichen Erzählkultur zur Grundlage einer eigenen Nationalliteratur. Asbjørnsen und Moe orientierten sich an den Brüdern Grimm (Erstausgabe 1812/1815), entwickelten aber eine eigenständige norwegische Prosatradition. Ihre Zusammenarbeit begann in den 1830er Jahren; erste Hefte der Reihe erschienen in Christiania ab 1841. Die Sammlung sollte nicht nur unterhalten, sondern kulturelle Selbstvergewisserung leisten, indem sie Landschaft, Sprache und Sitten bewahrte.
Die sprachpolitischen Debatten des 19. Jahrhunderts prägten die Rezeption der Märchen entscheidend. Zwischen einem reformierten dänisch-norwegischen Schriftidiom (Riksmål) und Ivar Aasens Landsmål positionierten sich Asbjørnsen und Moe mit einer volkstümlich gefärbten Prosa. Aasen veröffentlichte 1848 seine Grammatik der norwegischen Volkssprache und 1850 das Wörterbuch; Knud Knudsen trieb in den 1850er Jahren orthographische Reformen voran. Die Verankerung in der Bildungslandschaft wurde durch die 1811 gegründete Universität in Christiania erleichtert. Die wachsende Presse und erschwingliche Drucke förderten eine breite Leserschaft, sodass die Märchen zugleich Sprachmodell, Literatur und nationales Symbol wurden.
In den 1830er und 1840er Jahren unternahmen die beiden Sammler weite Reisen durch ländliche Regionen wie Gudbrandsdalen, Valdres, Hallingdal, Telemark und Sogn. Sie hörten Erzählungen auf Höfen, Märkten und bei Fischern an der Küste und notierten Varianten, Sprecherformeln und Dialektwörter. Asbjørnsen, naturwissenschaftlich geschult in Christiania, verband akribische Beobachtung mit literarischer Gestaltung; Moe, theologisch ausgebildet, sorgte für stilistische Verdichtung und moralischen Ton. Beide bearbeiteten ihre Aufzeichnungen redaktionell, ohne den oralen Kern preiszugeben. Das Zusammenspiel von mündlicher Praxis und Druckkultur erklärt die gleichzeitige Authentizität und Kunsthaftigkeit, die die gesamte Sammlung bis heute kennzeichnet.
Ideengeschichtlich steht das Werk im Zeichen der Romantik und des Herder’schen Volksgeist-Konzepts. In Norwegen fiel dies mit dem Kulturstreit zwischen Henrik Wergeland (1808–1845) und Johan Sebastian Welhaven (1807–1873) zusammen, der ästhetische Maßstäbe und nationale Orientierung verhandelte. Die Märchen hielten archetypische Figuren wie den listigen Askeladden, den Bauern, der Obrigkeiten überlistet, sowie Fabelwesen wie Troll, Hulder und Nøkk präsent. Natur und Landschaft erscheinen als handelnde Kräfte; der Fjell, die Wälder und Fjorde geben Handlung und Moral Resonanz. Diese Bildwelt verknüpft vorchristliche Überlieferung mit lutherischer Alltagskultur und macht die Texte für verschiedene Epochen anschlussfähig.
Die Publikationsgeschichte spiegelt den wachsenden Anspruch: Erste Lieferungen der Norske Folkeeventyr erschienen 1841–1844 in Christiania; eine erweiterte Ausgabe folgte 1852. Ergänzend publizierte Asbjørnsen 1845–1848 Huldre-Eventyr og Folkesagn mit Sagenstoffen aus denselben Milieus. Früh setzte die europäische Verbreitung ein: George Webbe Dasent legte 1859 in London Popular Tales from the Norse vor, wodurch die Motive in den anglophonen Raum gelangten. Spätere norwegische Ausgaben mit Illustrationen von Erik Werenskiold (1855–1938) und Theodor Kittelsen (1857–1914) in den späten 1880er und frühen 1890er Jahren prägten das ikonische Bild der Märchenwelt und verstärkten ihre Popularität.
Zeitgeschichtlich begleiteten die Märchen tiefgreifende Umbrüche. Emigration nach Nordamerika setzte mit der Ausfahrt der Restauration 1825 ein und verstärkte die Suche nach kulturellen Wurzeln. In den Künsten entfaltete sich der Nationalromantismus: Adolph Tidemand und Hans Gude malten 1848 die Brudeferd i Hardanger; M. B. Landstad gab 1853 Norske Folkeviser heraus; der Geiger Ole Bull gründete 1850 in Bergen das Det Norske Theater. Diese gleichzeitigen Unternehmungen schufen eine ästhetische Allianz von Bild, Musik, Dichtung und Bühne, in der auch die Märchen als Repertoire nationaler Stoffe fungierten und zwischen Stadt und Land kulturelle Brücken bauten.
Der Einfluss der Sammlung auf die norwegische und europäische Literatur ist beträchtlich. Motive, Figuren und Erzählweisen wanderten in dramatische, lyrische und epische Formen ein. Ein überliefertes Motivbündel um einen Jäger namens Per Gynt inspirierte Henrik Ibsen 1867 zu Peer Gynt; die Bühnenaufführung 1876 im Christiania Theater mit Edvard Griegs Musik machte die Stoffe international präsent. Auch Autoren wie Bjørnstjerne Bjørnson verbanden ländliche Sittenbilder mit märchenhaften Strukturen. In Schulen und Lesebüchern des späten 19. Jahrhunderts wurden die Texte kanonisch, wodurch Generationen von Kindern eine gemeinsame symbolische Landschaft und ein gemeinsames Vokabular von List, Mut und Maß erhielten.
Wissenschaftlich wirken die Märchen über das 19. Jahrhundert hinaus. Die systematische Typologie von Antti Aarne (1910), später erweitert von Stith Thompson (ab 1928), ordnete zahlreiche Stoffe aus der Sammlung in ein internationales Vergleichsnetz. Institutionell verankerten das Norsk Folkemuseum in Kristiania/Oslo (gegründet 1894) und die Norsk Folkeminnesamling an der Universität Oslo (1914) die Pflege des Materials. Mit der Auflösung der Union und der Unabhängigkeit 1905 gewann das Ensemble der Erzählstoffe zusätzlich symbolisches Gewicht. In Editionen, Aufführungen und neuen Medien bleibt das Korpus ein Referenzpunkt für Identität, Ästhetik und soziale Imagination in Norwegen und darüber hinaus.
Erster Band der klassischen Sammlung: eine Auswahl von Wunder- und Heldenmärchen, Tierfabeln und Schwänken, in denen der unterschätzte Jüngste, listige Bauern und tapfere Mädchen Prüfungen bestehen, Trolle und Naturgeister überlisten und mit magischen Helfern Aufgaben meistern. Leitmotive sind Einfallsreichtum, Ausdauer und der Sieg der Klugheit über rohe Kraft.
Zweiter Band mit erweitertem Spektrum von volkstümlichen Erzählungen, die vom Humor des Dorflebens bis zu dunkleren Sagen reichen. Reisen durch raues Gelände, scheinbar unlösbare Aufgaben, Zaubergegenstände und moralische Bewährungsproben stehen im Mittelpunkt.
Eine redegewandte Prinzessin schlägt jeden Freier in Wortgefechten, bis ein unscheinbarer Bursche mit Einfällen, Inszenierungen und schlagfertigen Bildern versucht, sie aus dem Konzept zu bringen. Der Fokus liegt auf Witz, Erzählkunst und der Überlegenheit kluger Taktik über Status.
Ein winziges Wesen im Gras stellt Bewerbern um seine Gunst Aufgaben, die Klugheit, Geduld und Charakter prüfen. Die Geschichte betont behutsame Hilfe durch Tiere und Dinge sowie die Kraft des aufmerksamen Zuhörens.
Ein prahlerischer Jäger und Draufgänger gerät in Gebirgswildnis und Trollreich an die Grenzen von Mut und Erfindungskraft. Zwischen Übermut, List und Begegnungen mit dem Übernatürlichen verschwimmt die Grenze von Sagenwelt und Alltag.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Vor funfzig Jahren etwa waren bei vielen ernsthaften, selbst gebildeten Leuten die Mährchen, Erzählungen von Feen und seltsamen Erscheinungen von Gespenstern und Geistern in üblem Ruf. Die Geschichten der Tausend und Einen Nacht genossen bei poetischen Gemüthern einige Achtung, sie waren wenigstens von den Leihbibliotheken nicht ausgeschlossen. Die Erzählungen meiner Mutter Gans waren über ganz Europa verbreitet, doch nur in den Händen der Kinder. Einige Jahre früher hatte unser deutscher Musäus seine humoristischen Volksmährchen fast als stärkendes Mittel in die damals überfluthende weichliche Sentimentalität hineingeworfen, und sie fanden allgemeinen Beifall, den sie auch bis jetzt sich erhalten haben, obgleich das poetische Element dieser alten Volks-Sagen und Dichtungen nicht selten durch Anspielungen auf ganz moderne Dinge und zu prosaische Zustände verfinstert ist. Man rechnete aber diese exotischen Pflanzen und Blumen nicht zur eigentlichen Literatur, und als ich um 1796 meine Versuche in dieser Art herausgab und uralte Geschichten in ein andres Gewand kleidete, wurde ich von vielen meiner Freunde und Wohlwollenden sehr ernsthaft getadelt.
Wie hat sich seitdem diese Gegend der Bücherwelt verwandelt! Eine ganze reiche Literatur dieser Mährchen ist entstanden und aus allen Ländern der Erde zusammengetragen.
Viele von diesen Volks- und Kindermährchen sind durch Tradition und viele Jahre verwandelte und verderbte epische Gedichte, und es ist interessant und rührend überraschend, wenn von Zeit zu Zeit im verschütteten Grunde der alte Baum noch grünend wiedergefunden wird, den gedächtnißlose Jahre in ein unkenntliches Sträußchen zusammengetrocknet haben. Ergeht man sich in diesen Forschungen, so wird unser Sinn endlich verwirrt und schwindelnd, weil bei zu genauer Untersuchung Indien und Frankreich, Deutschland und Italien mit Island und dem Nordpol zusammenfließen. Alle Völker, alle Kinder haben sich von je an größeren und kleineren Mährchen ergötzt, Kinder selbst haben manche erfunden, oder die sie hörten auf ihre Art nachgeahmt, andre, alte und junge Frauen haben diese auf ihre Art wieder umgebildet, und so findet der Suchende jetzt in allen Ländern zum Theil dieselben Sagen wieder, mehr oder minder vom Clima, dem Süden oder Norden gefärbt.
Und so nehme man auch diese Sammlung freundlich auf, diesen nordischen Strauß von Spätblumen und einigen seltsamen Pflanzen. Die interessantesten möchten wohl die Erzählungen sein, die von einem leichten, gutmüthigen Humor angefärbt sind. Wenn Aschenbrödel, Blaubart, und manche ganz allgemein verbreitete Legenden oft und unter mancherlei Gestalten vorkommen, so lasse man sich auch die oft nicht bedeutende Variation gefallen, und bei einfachen, natürlichen Kindern müßten die meisten dieser Geschichten Eingang und eine freundliche Aufnahme finden.
Immer in ähnlicher Gestalt mit zwei bis neun Köpfen erscheint der ungeschlachte, boshafte Riesengeist Troll. Um 1790, als W. v. Schlegel noch in Göttingen lebte, und sehr befreundet war mit unserm deutschen Dichter Bürger, ergingen sich Lehrer und Schüler auch oft in den Wäldern nordischer Poesie. Damals war selbst unter Gelehrten in Dänemark und Schweden nicht viel Kunde von dieser Region, und so bildete sich der poetische Bürger ein, unser deutsches Wort drollig sei von diesem schadenfrohen Nordgeiste abgeleitet, und in diesem Glauben bildete Schlegel nachher in seinem Sommernachtstraum den Kobold Droll, statt des englischen alt-nationalen Puck, welcher freilich ein ganz anderer und mehr komischer Gesell ist, als diese Trollgeister sich zeigen. Schon vor vielen Jahren stritt ich mit Schlegel über diesen (vielleicht unbedeutenden) Punkt, bis denn zu Maria Weber's Oberon ein Engländer selbst seinem Puck ungetreu geworden ist, und diesen neu beförderten Geist Droll singen und sprechen läßt.
Meinen Dank dem kundigen Übersetzer, der mich diese Sagen hat kennen lernen, und dessen Wunsch ich gern genügt habe, ein kleines einleitendes Wort dieser Sammlung vorzusehen.
L. Tieck.
Potsdam in den letzten Tagen des October 1846, unmittelbar nach einer schweren Krankheit.
Inhaltsverzeichnis
Es war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne. Als er starb, wollten die beiden ältesten in die Welt reisen, um ihr Glück zu versuchen; aber den jüngsten wollten sie gar nicht mit haben. »Du da,« sagten sie: »taugst zu nichts Anderm, als in der Asche zu wühlen. Du!« – »So muß ich denn allein gehen,« sagte Aschenbrödel. Die beiden gingen und kamen zu einem Königsschloß; da erhielten sie Dienste, der eine beim Stallmeister, und der andre beim Gärtner. Aschenbrödel ging auch fort und nahm einen großen Backtrog mit, das war das Einzige, was die Ältern hinterlassen hatten, wonach aber die andern beiden nichts fragten; der Trog war zwar schwer zu tragen, aber Aschenbrödel wollte ihn doch nicht stehen lassen. Als er eine Zeitlang gewandert war, kam er ebenfalls zu dem Königsschloß, und dort bat er um einen Dienst. Sie antworteten ihm aber, daß sie ihn nicht brauchen könnten; da er indeß so flehentlich bat, sollte er zuletzt die Erlaubniß haben, in der Küche zu sein und der Köchinn Holz und Wasser zuzutragen. Er war fleißig und flink, und es dauerte nicht lange, so hielten Alle viel von ihm; aber die beiden Andern waren faul, und darum bekamen sie oft Schläge und wenig Lohn und wurden nun neidisch auf Aschenbrödel, da sie sahen, daß es ihm besser ging.
Dem Königsschloß grade gegenüber, an der andern Seite eines Wassers, wohnte ein Troll, der hatte sieben silberne Enten, die auf dem Wasser schwammen, so daß man sie von dem Schloß aus sehen konnte; die hatte sich der König oft gewünscht, und deßhalb sagten die zwei Brüder zu dem Stallmeister: »Wenn unser Bruder wollte, so hat er sich gerühmt, dem König die sieben silbernen Enten verschaffen zu können.« Man kann sich wohl denken, es dauerte nicht lange, so sagte der Stallmeister es dem König. Dieser sagte darauf zu Aschenbrödel: »Deine Brüder sagen, Du könntest mir die silbernen Enten verschaffen, und nun verlange ich es von Dir.« – »Das habe ich weder gedacht, noch gesagt,« antwortete der Bursch. »Du hast es gesagt,« sprach der König: »und darum sollst Du sie mir schaffen.« – »Je nun,« sagte der Bursch: »wenn's denn nicht anders sein kann, so gieb mir nur eine Metze Rocken und eine Metze Weizen; dann will ich's versuchen.« Das bekam er denn auch und schüttete es in den Backtrog, den er von Hause mitgenommen hatte, und damit ruderte er über das Wasser. Als er auf die andre Seite gekommen war, ging er am Ufer auf und ab und streu'te und streu'te, und endlich gelang es ihm, die Enten in den Trog zu locken und nun ruderte er, all was er nur konnte, wieder zurück.
Als er auf die Mitte des Wassers gekommen war, kam der Troll an und ward ihn gewahr. »Bist Du mit meinen sieben silbernen Enten davongereis't, Du?« fragte er. »Ja–a!« sagte der Bursch. »Kommst Du noch öfter, Du?« fragte der Troll. »Kann wohl sein,« sagte der Bursch. – Als nun Aschenbrödel mit den sieben silbernen Enten zurück zu dem König kam, wurde er noch beliebter im Schloß, und der König selbst sagte, es wäre gut gemacht. Aber darüber wurden seine Brüder noch aufgebrachter und noch neidischer auf ihn und verfielen nun darauf, zum Stallmeister zu sagen, jetzt hätte ihr Bruder sich auch gerühmt, dem König die Bettdecke des Trollen mit den silbernen und goldnen Rauten verschaffen zu können, wenn er bloß wolle; und der Stallmeister war auch diesmal nicht faul, es dem König zu berichten. Der König sagte darauf zu dem Burschen, daß seine Brüder gesagt hätten, er habe sich gerühmt, ihm die Bettdecke des Trollen mit den silbernen und goldnen Rauten verschaffen zu können, und nun solle er es auch, oder sonst solle er das Leben verlieren. Aschenbrödel antwortete, das hätte er weder gedacht, noch gesagt; da es aber nichts half, bat er um drei Tage Bedenkzeit. Als die nun um waren, ruderte Aschenbrödel wieder hinüber in dem Backtrog und ging am Ufer auf und ab und lauerte. Endlich sah er, daß sie im Berge die Bettdecke heraushängten, um sie auszulüften; und als sie wieder in den Berg zurückgegangen waren, erschnappte Aschenbrödel die Decke und ruderte damit zurück, so schnell er nur konnte. Als er auf die Mitte gekommen war, kam der Troll an und ward ihn gewahr. »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« rief der Troll. »Ja–a!« sagte der Bursch. »Hast Du nun auch meine silberne Bettdecke mit den silbernen und goldnen Rauten genommen?« – »Ja–a!« sagte der Bursch. »Kommst Du noch öfter, Du?« – »Kann wohl sein,« sagte der Bursch. Als er nun zurückkam mit der goldnen und silbernen Decke, hielten Alle noch mehr von ihm, denn zuvor, und er ward Bedienter beim König selbst. Darüber wurden die andern Beiden noch mehr erbittert, und um sich zu rächen, sagten sie zum Stallmeister: »Nun hat unser Bruder sich auch gerühmt, dem König die goldne Harfe verschaffen zu können, die der Troll hat, und die von der Beschaffenheit ist, daß Jeder, wenn er auch noch so traurig ist, froh wird, wenn er darauf spielen hört.« Ja, der Stallmeister, der erzählte es gleich wieder dem König, und dieser sagte zu dem Burschen: »Hast Du es gesagt, so sollst Du es auch. Kannst Du es, so sollst Du die Prinzessinn und das halbe Reich haben; kannst Du es aber nicht, so sollst Du das Leben verlieren.« – »Ich habe es weder gedacht, noch gesagt,« antwortete der Bursch: »aber es ist wohl kein andrer Rath, ich muß es nur versuchen; doch sechs Tage will ich Bedenkzeit haben.« Ja, die sollte er haben; aber als sie um waren, mußte er sich aufmachen. Er nahm nun einen Lattenspiker, einen Birkenpflock und einen Lichtstumpf in der Tasche mit, ruderte wieder über das Wasser und ging dort am Ufer auf und ab und lauerte. Als der Troll herauskam, und ihn gewahr ward, fragte er: »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« – »Ja–a!« antwortete der Bursch. »Du bist es, der mir auch meine Decke mit den goldnen und silbernen Rauten genommen hat?« fragte der Troll. »Ja–a!« sagte der Bursch. Da ergriff ihn der Troll und nahm ihn mit sich in den Berg. »Nun, meine Tochter,« sagte er: »nun hab' ich ihn, der mir meine silbernen Enten und meine Bettdecke mit den silbernen und goldnen Rauten gestohlen hat; setz' ihn jetzt in den Maststall, dann wollen wir ihn schlachten und unsre Freunde bitten.« Dazu war die Tochter sogleich bereit, und sie setzte ihn in den Maststall, und da blieb er nun acht Tage lang und bekam das beste Essen und Trinken, das er sich wünschen konnte, und so viel er nur wollte. »Geh nun hin,« sagte der Troll zu seiner Tochter, als die acht Tage um waren: »und schneide ihn in den kleinen Finger, dann werden wir sehen, ob er schon fett ist.« Die Tochter ging sogleich hin. »Halt mal Deinen kleinen Finger her!« sagte sie; aber Aschenbrödel steckte den Lattenspiker heraus, und in den schnitt sie. »Ach nein, er ist noch hart wie Eisen,« sagte die Trolltochter, als sie wieder zu ihrem Vater kam: »noch können wir ihn nicht schlachten.« Nach acht Tagen ging es wieder eben so, nur daß Aschenbrödel jetzt den Birkenpflock heraussteckte. »Ein wenig besser ist er,« sagte die Tochter, als sie wieder zu dem Trollen kam: »aber noch war er hart zu kauen, wie Holz.« Acht Tage darnach sagte der Troll wieder, die Tochter solle hingehen und zusehen, ob er jetzt nicht fett genug wäre. »Halt mal Deinen kleinen Finger her!« sagte die Tochter, als sie zum Maststall gekommen war. Nun hielt Aschenbrödel den Lichtstumpf hin. »Jetzt geht's an,« sagte sie. »Haha!« sagte der Troll: »so reise ich fort, um Gäste zu bitten; inmittlerweile sollst Du ihn schlachten und die eine Hälfte braten und die andre Hälfte kochen.« Als der Troll nun gereis't war, fing die Tochter an, ein großes langes Messer zu schleifen. »Sollst Du mich damit schlachten?« fragte der Bursch. »Ja, Du,« sagte die Trolltochter. »Aber es ist nicht scharf,« sagte der Bursch: »ich muß es Dir nur schleifen, damit Du mich desto leichter ums Leben bringen kannst.« Sie gab ihm nun das Messer, und er fing an zu schleifen und zu wetzen. »Laß es mich jetzt an Deiner Haarflechte probiren,« sagte der Bursch: »ich glaube, es wird nun gut sein.« Das erlaubte sie ihm denn auch; aber sowie Aschenbrödel die Haarflechte ergriff, bog er ihr den Kopf zurück und schnitt ihr den Hals ab – und kochte dann die eine Hälfte und bratete die andere und trug es auf den Tisch. Darauf zog er die Kleider der Trolldirne an und setzte sich in die Ecke hin. Als der Troll mit den Gästen nach Hause kam, bat er die Tochter – denn er glaubte, daß sie es wäre – sie möchte doch auch kommen und mitessen. »Nein,« antwortete der Bursch: »ich will kein Essen haben, ich bin so betrübt.« – »Du weißt ja Rath dafür,« sagte der Troll: »nimm die goldne Harfe und spiele darauf.« – »Ja, wo ist die nun?« sagte der Bursch wieder. »Du weißt es ja wohl, Du hast sie ja zuletzt gebraucht; dort hangt sie ja über der Thür,« sagte der Troll. Der Bursch ließ sich das nicht zweimal sagen; er nahm die Harfe und ging damit aus und ein und spielte; aber wie er so im besten Spielen war, schob er plötzlich den Backtrog hinaus ins Wasser und ruderte damit fort, daß es nur so saus'te. Nach einer Weile däuchte es dem Trollen, die Tochter bliebe gar zu lange draußen, und er ging hin, sich nach ihr umzusehen; da sah er aber den Burschen in dem Trog weit weg auf dem Wasser. »Bist Du es, der mir meine sieben silbernen Enten genommen hat?« rief der Troll. »Ja!« sagte der Bursch. »Du bist es, der mir auch meine Decke mit den silbernen und goldnen Rauten genommen hat?« – »Ja!« sagte der Bursch. »Hast Du mir nun auch meine goldne Harfe genommen, Du?« schrie der Troll. »Ja, das hab' ich,« sagte der Bursch. »Hab' ich Dich denn nicht gleichwohl verzehrt?« – »Nein, das war Deine Tochter, die Du verzehrtest,« antwortete der Bursch. Als der Troll das hörte, ward er so arg, daß er barst. Da ruderte Aschenbrödel zurück und nahm einen ganzen Haufen Gold und Silber mit, so viel der Trog nur tragen konnte, und als er nun damit zurückkehrte, und auch die goldne Harfe mitbrachte, bekam er die Prinzessinn und das halbe Reich, so wie der König es ihm versprochen hatte. Seinen Brüdern aber that er immer wohl; denn er glaubte, sie hätten nur sein Bestes gewollt mit Dem, was sie gesagt hatten.
Inhaltsverzeichnis
Als unser Herr Christus und St. Petrus noch auf Erden einherwandelten, kamen sie einmal zu einer Frau, die bei ihrem Backtrog stand und den Teig knetete. Sie hieß Gertrud und hatte eine rothe Mütze auf. Da beide den Tag über schon weit gegangen und daher sehr hungrig waren, bat der Herr Christus die Frau um ein Stückchen Brod. Ja, das sollte er haben, sagte sie und nahm ein Stückchen Teig und knetete es aus; aber da ward es so groß, daß es den ganzen Backtrog anfüllte. Nein, das war allzu groß, das konnte er nicht bekommen. Sie nahm nun ein kleineres Stück; aber als sie es ausgeknetet hatte, war es ebenfalls zu groß geworden; das konnte er auch nicht bekommen. Das dritte Mal nahm sie ein ganz ganz kleines Stück; aber auch das Mal ward es wieder zu groß. »Ja, so kann ich Euch Nichts geben,« sagte Gertrud: »Ihr müsst daher ohne Mundschmack wieder fortgehen; denn das Brod wird ja immer zu groß.« Da ereiferte sich der Herr Christus und sprach: »Weil Du ein so schlechtes Herz hast und mir nicht einmal ein Stückchen Brod gönnst, so sollst Du zur Strafe dafür in einen Vogel verwandelt werden und Deine Nahrung zwischen Holz und Rinde suchen, und nicht öfter zu trinken sollst Du haben, als wenn es regnet.« Und kaum hatte er die Worte gesprochen, so war sie zum Gertrudsvogel verwandelt und flog oben zum Schornstein hinaus; und noch den heutigen Tag sieht man sie herumfliegen mit einer rothen Mütze auf dem Kopf und schwarz über dem ganzen Leib; denn der Ruß im Schornstin hatte sie geschwärzt. Sie hackt und bickt beständig in den Bäumen nach Essen und piept immer, wenn es regnen will; denn sie ist beständig durstig.
Inhaltsverzeichnis
Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, und von denen hielt er so viel, daß er sie nie aus den Augen ließ; aber jeden Mittag, wenn der König schlief, gingen die Prinzessinnen spazieren. Einstmals, da der König wieder seinen Mittagsschlummer hielt, und die Prinzessinnen, wie gewöhnlich, spazieren gegangen waren, geschah es, daß sie nicht zurückkehrten, sondern ausblieben. Da entstand große Sorge und Betrübniß im ganzen Land; aber am betrübtesten von Allen war der König. Er sandte Boten aus durch sein ganzes Reich und in viele fremde Länder und ließ sie nachsuchen und ihnen nachläuten mit allen Glocken über das ganze Land; aber die Prinzessinnen waren fort und blieben fort, so daß Niemand wußte, wo sie gestoben oder geflogen waren[1q]. Da konnte man denn wohl begreifen, daß sie von irgend einem Trollen entführt sein mußten. Das Gerücht hievon verbreitete sich bald von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und endlich gelangte es auch zu einem König, der in einem Lande weit weit weg wohnte und zwölf Söhne hatte. Als die Söhne von den zwölf Königstöchtern erzählen hörten, baten sie ihren Vater um Erlaubniß, reisen zu dürfen, um die Prinzessinnen aufzusuchen. Der alte König aber wollte anfangs Nichts davon wissen; denn er fürchtete, daß er dann die Söhne niemals wiedersehen möchte; aber die Prinzen fielen ihm zu Füßen und baten ihn so lange, bis er endlich nachgab und sie reisen ließ. Er rüstete nun ein Schiff für sie aus und setzte zum Steuermann über dasselbe den Ritter Röd, der zu Wasser wohl erfahren war. Lange Zeit segelten sie nun umher und forschten in allen Ländern, wohin sie kamen, nach den Prinzessinnen; aber sie entdeckten keine Spur von ihnen. Es fehlten jetzt nur noch wenig Tage, so hatten sie schon sieben Jahre gesegelt. Da entstand eines Tages ein heftiger Sturm und ein solches Unwetter, daß sie glaubten, sie würden nimmer wieder an's Land kommen, und Alle mußten in einem fort arbeiten, so daß kein Schlaf in ihre Augen kam, so lange das böse Wetter anhielt. Aber am dritten Tage legte sich der Sturm, und es ward auf einmal ganz still. Alle waren nun von der Arbeit und dem schlimmen Wetter so müde geworden, daß sie sogleich einschliefen; nur der jüngste Prinz hatte keine Ruhe und konnte nicht schlafen. Während er nun auf dem Verdeck hin- und herging, trieb das Schiff an eine Insel, und auf der Insel lief ein Hündchen am Ufer und bellte und winselte gegen das Schiff an, als ob es hinauf wolle. Der Königssohn pfiff und lockte das Hündchen an sich; aber es konnte nicht zu ihm kommen und bellte und winselte nur um so mehr. Dem Prinzen däuchte, es wäre Sünde, das Hündchen dort umkommen zu lassen, das, wie er glaubte, von einem Schiff sei, welches in dem Sturm untergegangen wäre; aber er wußte nicht, wie er ihm helfen sollte, da er sich nicht im Stande glaubte, das Boot allein auszusetzen; denn alle die Andern schliefen, und er wollte sie nicht gern wegen des Hundes aufwecken. Aber das Wetter war so klar und so still; da dachte er denn, du musst es doch versuchen, ob du das Thierchen nicht retten kannst, und er machte sich daran, das Boot auszusetzen, und es ging damit leichter, als er geglaubt hatte. Er ruderte nun ans Land und ging auf das Hündchen zu; aber so oft er es greifen wollte, sprang es zur Seite und lockte so den Prinzen immer weiter fort, bis dieser, eh' er es gewahr ward, sich in einem großen prächtigen Schlosse befand. Da verwandelte sich das Hündchen plötzlich in eine schöne Prinzessinn. Auf der Bank aber saß ein Mann, so groß und so häßlich, daß der Prinz darüber erschrak. »Du brauchst nicht bange zu sein,« sagte der Mann; – aber der Prinz erschrak noch mehr, als er seine Stimme hörte – »ich weiß wohl, Was Du willst: Es sind Eurer zwölf Prinzen, die suchen die zwölf verloren gegangenen Prinzessinnen. Ich weiß aber wohl, wo sie sind: sie sind bei meinem Herrn; da sitzen sie jede auf ihrem Stuhl und läusen ihn, denn er hat zwölf Köpfe. Nun seid Ihr sieben Jahre lang umhergesegelt, aber Ihr werdet noch sieben Jahre dazu segeln müssen, eh' Ihr sie findet. Was Dich betrifft, so könntest Du gern hier bleiben, und meine Tochter bekommen; aber Du musst erst meinen Herrn tödten, denn er ist sehr strenge gegen uns, so daß wir seiner längst überdrüssig sind; und wenn er todt ist, werde ich König an seiner Stelle. Versuche aber nun, ob Du dieses Schwert zu schwingen vermagst,« sagte der Troll. Der Königssohn wollte ein rostiges Schwert ergreifen, das an der Wand hing, aber er konnte es nicht vom Fleck rühren. »So musst Du Dir einen Schluck aus dieser Flasche nehmen,« sagte der Troll. Als der Prinz das gethan hatte, konnte er das Schwert von der Wand nehmen, und als er noch einen Schluck genommen hatte, konnte er es aufheben; und als er endlich noch einen Schluck genommen hatte, konnte er es mit solcher Leichtigkeit schwingen, als wär' es sein eignes gewesen. »Wenn Du nun wieder an Bord kommst,« sagte der Trollprinz: »so musst Du das Schwert in Deine Koje verstecken, damit der Ritter Röd es nicht zu sehen bekommt. Er ist zwar nicht im Stande, es zu schwingen, aber er wird Dich dann hassen und Dir nach dem Leben trachten. Wenn sieben Jahre um sind, bis auf drei Tage,« sagte er weiter: »dann wird es wieder eben so gehen, wie jetzt; es kommt dann wieder ein gewaltiges Unwetter mit Sturm und Hagel über Euch, und wenn das vorüber ist, werden Alle müde sein und sich in ihre Kojen legen; Du aber musst dann das Schwert nehmen und ans Land rudern; alsdann gelangst Du zu einem Schloß, wo lauter Wölfe, Bären und Löwen als Schildwachen stehen; aber Du brauchst Dich nicht vor ihnen zu fürchten, denn sie werden Dir alle zu Füßen kriechen. Sobald Du darauf in das Schloß gekommen bist, siehst Du den Räuber in einem prächtig geschmückten Zimmer sitzen; aber zwölf Köpfe hat er, und die Prinzessinnen sitzen jede auf ihrem Stuhl und läusen ihn, und da kannst Du Dir wohl vorstellen, daß ihnen solche Arbeit nicht gefällt. Darnach musst Du Dich beeilen und ihm den einen Kopf nach dem andern abhauen, eh' er aufwacht; denn geschieht das, so frisst er Dich lebendig auf.« Der Königssohn ging nun mit dem Schwert wieder an Bord und vergaß nicht, Was ihm der Troll gesagt hatte. Die Andern lagen noch alle und schliefen; er aber versteckte das Schwert in seine Koje, so daß weder der Ritter Röd, noch sonst Jemand von ihnen es bemerkte. Nun fing es wieder an zu wehen; da weckte der Prinz die Andern auf und sagte, es könne nicht angehen, daß sie noch länger da lägen und schliefen, da sie jetzt einen so guten Wind bekommen hätten. Niemand von ihnen hatte bemerkt, daß er weg gewesen war. – Die Zeit verstrich allmählich, und der Prinz dachte immer an das Abenteuer, das er bestehen sollte, zweifelte aber an dem glücklichen Ausgang. Als nun die sieben Jahre bis auf drei Tage um waren, geschah es ganz, wie der Trollprinz ihm gesagt hatte. Es entstand ein heftiges Unwetter, das hielt drei Tage lang an, und als das vorüber war, wurden Alle von der anstrengenden Arbeit müde und legten sich in ihren Kojen schlafen. Der jüngste Königssohn aber ruderte ans Land, und die Wachen krochen ihm zu Füßen, und so gelangte er ins Schloß. In einem der Zimmer saß der König und schlief, wie ihm der Trollprinz gesagt hatte, und die zwölf Prinzessinnen saßen jede auf ihrem Stuhl und läus'ten jede ihren Kopf. Der Königssohn winkte den Prinzessinnen, daß sie sich entfernen sollten; sie zeigten aber auf den Trollen und winkten ihm wieder, er solle schnell fortgehen; der Königssohn aber gab ihnen durch Mienen und Geberden zu verstehen, daß er sie befreien wolle; endlich merkten sie denn seine Absicht und entfernten sich leise eine nach der andern. Nun sprang der Prinz schnell hinzu und hieb dem Trollkönig die zwölf Köpfe ab, so daß das Blut wie ein großer Bach strömte. Als der Troll getödtet war, ruderte der Prinz wieder nach dem Schiff zurück und verbarg das Schwert. Es däuchte ihm, daß er jetzt Genug gethan hätte, und da er den Leichnam nicht allein aus dem Schloß schaffen konnte, so wollte er daß die Andern ihm helfen sollten. Er weckte sie daher auf und sagte, es wäre eine Schande, daß sie da liegen sollten und schlafen, während er die Prinzessinnen gefunden und sie von dem Trollen befrei't hätte. Da lachten die Andern über ihn und sagten, er hätte wohl eben so gut geschlafen, als sie alle, und es hätte ihm bloß geträumt, daß er ein solcher Held wäre; denn wenn irgend Jemand die Prinzessinnen sollte befrei't haben, so wäre es doch weit wahrscheinlicher, daß einer von ihnen es gethan hätte, als er. Aber der Königssohn erzählte ihnen, wie sich Alles zugetragen hatte, und als sie ans Land fuhren und zuerst den Blutbach erblickten und darnach das Schloß und den Trollen und die zwölf Köpfe und die Prinzessinnen, da sahen sie wohl, daß er die Wahrheit geredet, und halfen ihm nun die Köpfe und den ganzen Rumpf in die See werfen. Alle waren nun fröhlich und guter Dinge; aber Keiner war froher, als die Prinzessinnen, die nun nicht mehr nöthig hatten, den ganzen Tag über da zu sitzen und den Trollen zu läusen. Von all dem Gold und Silber und dem kostbaren Geräth, das sich im Schlosse vorfand, nahmen sie so viel mit, als das Schiff nur tragen konnte. Darauf gingen Alle an Bord, die Prinzen mit sammt den Prinzessinnen. Als sie aber eine Strecke weit in die See hinausgekommen waren, sagten die Prinzessinnen, daß sie in der Freude ihre goldnen Kronen vergessen hätten, die in einem Schrank auf dem Schlosse lägen, und die wollten sie doch gern mithaben. Da nun Keiner von den Übrigen sie holen wollte, sagte der jüngste Königssohn: »Hab' ich schon so Viel gewagt, so kann ich auch wohl die goldnen Kronen holen, wenn Ihr nur die Segel herablassen und so lange warten wollt, bis ich wiederkomme.« Ja, das wollten sie, sie wollten die Segel herablassen und so lange warten, bis er wiederkäme. Als aber der Prinz so weit von dem Schiff ab war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, sagte der Ritter Röd, der gern selber der Vornehmste sein und die jüngste Prinzessinn haben wollte, es könne nichts nützen, daß sie da still lägen und auf ihn warteten; denn das könnten sie sich wohl denken, daß er doch nicht zurückkehren würde; sie wüßten überdies, sagte er, daß der König ihm (dem Ritter Röd) die Vollmacht gegeben hätte, zu segeln wann und wohin er wolle, und nun sollten sie sagen, er sei es, der die Prinzessinnen befrei't hätte, und wenn Jemand anders sagte, dann solle er das Leben verlieren. Die Prinzen wagten nicht, anders zu thun, als der Ritter Röd ihnen befohlen hatte, und sie segelten nun weiter. Inmittlerweile ruderte der jüngste Königssohn ans Land und ging auf das Schloß, wo er auch sogleich den Schrank mit den goldnen Kronen fand; und er müh'te sich so lange ab, bis es ihm gelang, denselben ins Boot zu schaffen. Als er nun aber in die See hinausgekommen war, konnte er nirgends das Schiff erblicken. Er sah sich um nach allen Seiten; aber von dem Schiff war keine Spur zu sehen; da merkte er denn wohl, wie es zugegangen war. Ihnen nachzurudern konnte nichts helfen, und er mußte daher umkehren und ans Land zurückrudern. Er fürchtete sich zwar, die Nacht allein im Schlosse zuzubringen, aber es war nun einmal kein andrer Rath. Er faßte daher Muth, verschloß alle Thüren und Pforten und legte sich in einem Zimmer, wo ein aufgemachtes Bett stand, schlafen. Aber angst und bange war er, und er ward es noch mehr, als es nach einer Weile anfing, oben im Dach und in den Wänden zu knacken und zu krachen, als ob das ganze Schloß bersten wollte. Auf einmal raschelte es neben sein Bett nieder wie ein ganzes Fuder Heu. Bald darauf aber hörte er eine Stimme, die rief ihm zu, er solle sich nicht fürchten.
»Der Vogel Dam ist hier, »Wo Du nicht kannst, da hilft er Dir,«
sprach die Stimme, und dann sagte sie: »Wenn Du morgen aufwachst, musst Du sogleich aufs Stabur Ein auf Stollen oder Pfosten über der Erde aufgeführtes Gebäude, das als Speisegewölbe oder Vorrathskammer dient. Anm. d. Übers. gehen und vier Tonnen Rocken für mich zum Frühstück holen; die muß ich erst zu Leibe haben, denn sonst kann ich Nichts für Dich thun.« – Als der Prinz am andern Morgen aufwachte, erblickte er neben seinem Bett einen entsetzlich großen Vogel, der hatte eine Feder im Nacken, die war so groß wie eine halb ausgewachsene Tanne. Der Königssohn ging nun aufs Stabur und holte vier Tonnen Rocken für den Vogel Dam. Als dieser sein Frühstück zu Leibe hatte, sagte er zu dem Königssohn, er solle ihm nun den Schrank mit den goldnen Kronen an der einen Seite um den Hals hängen und so viel Gold und Silber nehmen, daß es den Schrank aufwöge, und es ihm an der andern Seite um den Hals hängen, und dann solle er sich ihm auf den Rücken setzen und sich nur gut an der Nackenfeder fest halten. Als der Prinz das gethan hatte, ging es in einem Sausen fort durch die Luft, und es dauerte nicht lange, so waren sie über dem Schiff. Der Königssohn wollte gern an Bord, um das Schwert zu holen, das, wie der Troll ihm gesagt hatte, die Andern nicht sehen dürften; aber der Vogel Dam sagte zu ihm, das könne nicht angehen; »der Ritter Röd wird es nicht zu sehen bekommen,« sagte er: »kommst Du aber an Bord, so trachtet er Dir nach dem Leben, denn er will gern die jüngste Prinzessinn haben; aber für die kannst Du ganz ruhig sein, denn sie legt jede Nacht ein bloßes Schwert vor sich ins Bett.« – Endlich und zuletzt kamen sie bei dem Trollprinzen an, und da wurde nun der Königssohn so wohl aufgenommen, daß es gar nicht zu sagen ist. Der Trollprinz wußte nicht, Was er ihm all für Gutes erzeigen sollte, weil er seinen Herrn getödtet und ihn zum König gemacht hatte. Er hätte dem Königssohn gern seine Tochter und das halbe Reich dazu gegeben; aber der war nun einmal so in die jüngste von den Prinzessinnen verliebt, daß er nur an sie dachte und durchaus wieder fort wollte. Aber der Troll bat ihn, sich noch eine Zeitlang zu gedulden und sagte, daß die Andern beinahe noch sieben Jahre zu segeln hätten, ehe sie wieder nach Hause kämen. Von der Prinzessinn sagte der Troll Dasselbe, was der Vogel Dam gesagt hatte: »Für die,« sagte er: »kannst Du ganz ruhig sein; denn sie legt immer ein bloßes Schwert vor sich ins Bett. Und wenn Du mir nicht glauben willst, so kannst Du an Bord gehen, wenn sie hier vorüber segeln, und Dich selbst davon überzeugen und mir dann zugleich das Schwert wiederbringen; denn wiederhaben muß ich es durchaus.« – Als nun nach sieben Jahren die Andern dort vorübersegelten, war es vorher wieder ein heftiges Unwetter gewesen; und wie der Königssohn an Bord kam, schliefen sie alle insgesammt, und jede der Prinzessinnen schlief bei ihrem Prinzen, nur die jüngste Prinzessinn schlief allein mit einem bloßen Schwert vor sich im Bette, und auf dem Boden vor dem Bette schlief der Ritter Röd. Der Königssohn nahm nun das Schwert und ruderte wieder ans Land, ohne daß Jemand es bemerkt hatte, daß er an Bord gewesen war. – Der Prinz war indeß beständig unruhig und wollte immer wieder fort; und als endlich die sieben Jahre zu Ende gingen und nur noch drei Wochen fehlten, sagte der Trollkönig zu ihm: »Nun kannst Du Dich zur Reise fertig machen, da Du doch einmal nicht bei uns bleiben willst. Ich will Dir ein eisernes Boot leihen, das geht von selbst auf dem Wasser, wenn Du bloß sagst: »Boot, geh vorwärts!« Im Boote liegt ein eiserner Kloben, und den Kloben sollst Du ein wenig in die Höhe heben, wenn Du das Schiff grade vor Dir siehst; dann bekommen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergessen, sich nach Dir umzusehen. Wenn Du dann neben das Schiff kommst, sollst Du den Kloben noch einmal aufheben; alsdann wird es ein solcher Sturm, daß sie wohl etwas Anders zu thun bekommen, als nach Dir auszugucken. Und wenn Du an ihnen nun vorbei gekommen bist, sollst Du den Kloben zum dritten Mal in die Höhe heben; aber Du musst ihn immer wieder vorsichtig niederlegen, denn sonst wird es ein solches Wetter, daß sowohl Du, als die Andern darin umkommen. Sobald Du nachher ans Land gekommen bist brauchst Du Dich nicht weiter um das Boot zu bekümmern, sondern schieb' es dann nur umgewendet in die See und sprich: »Boot, geh wieder nach Hause!« – Als der Prinz nun abreis'te, bekam er so viel Gold und Silber und andre Kostbarkeiten und Kleider und Leinenzeug mit, das die Prinzessinn während der langen Zeit, die er auf der Insel zugebracht, für ihn genäh't hatte, so daß er viel reicher war, als irgend einer von seinen Brüdern. Kaum hatte er sich nun ins Boot gesetzt und gesagt: »Boot, geh vorwärts!« so ging das Boot fort. Und als er das Schiff grade vor sich erblickte, hob er den Kloben ein wenig in die Höhe; da bekamen sie einen solchen Fahrwind, daß sie vergaßen, sich nach ihm umzusehen. Als er darauf neben das Schiff kam, hob er den Kloben noch einmal in die Höhe, und da ward es ein solcher Sturm und ein solches Wetter, daß der weiße Schaum rund um das Schiff stand, und die Wellen über das Verdeck hinschlugen, so daß sie etwas Anders zu thun bekamen, als nach ihm auszugucken. Und als er ihnen nun vorbeigekommen war, hob er den Kloben zum dritten Mal auf, und da bekamen sie so reichlich zu thun, daß sie gar keine Zeit hatten, sich nach ihm umzusehen. Er kam weit, weit früher ans Land, als das Schiff; und als er all seine Sachen aus dem Boot geschafft hatte, kehrte er es um, schob es hinaus in die See und sprach: »Boot, geh wieder nach Hause!« und da ging das Boot wieder fort.
