Gesammelte philosophische Werke - John Stuart Mill - E-Book

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John Stuart Mill

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Beschreibung

In "Gesammelte philosophische Werke" entführt John Stuart Mill die Leser in die gediegene Welt der politischen und ethischen Philosophie des 19. Jahrhunderts. Mill, als Vertreter des Utilitarismus und als scharfer Kritiker sozialer Ungerechtigkeiten, verwebt in seinen Essays und Abhandlungen komplexe Ideen über Freiheit, individuelle Rechte und gesellschaftliche Verantwortung. Sein prägnanter und eleganter Schreibstil bringt zeitlose Themen ans Licht und fordert den Leser heraus, über die moralischen Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens nachzudenken. John Stuart Mill, geboren 1806, war nicht nur ein Philosoph, sondern auch ein politischer Aktivist und Ökonom. Durch die Einflüsse seines Vaters, des Philosophen James Mill, und seiner intensiven Bildung im Umfeld der Aufklärung entwickelte sich Mills Gedankenwelt zu einem Schlüsselelement der liberalen Denkweise. Seine Erfahrungen im politischen System, insbesondere sein Einsatz für soziale Reformen und Frauenrechte, prägten seine philosophischen Überlegungen und verliehen seinem Werk bedeutenden moralischen und sozialen Tiefgang. "Gesammelte philosophische Werke" ist ein unverzichtbares Werk für jeden, der sich mit den Grundlagen der modernen Demokratie und den ethischen Prinzipien des sozialen Wandels auseinandersetzen möchte. Mills klare Argumentation und tiefgründige Analysen machen dieses Buch zu einem grundlegenden Referenzwerk für Philosophen, Politikwissenschaftler und interessierte Laien, die sich für die Entwicklung liberaler Ideen und deren Relevanz in der heutigen Welt interessieren. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Die Autorenbiografie hebt persönliche Meilensteine und literarische Einflüsse hervor, die das gesamte Schaffen prägen. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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John Stuart Mill

Gesammelte philosophische Werke

Bereicherte Ausgabe. System der deduktiven und induktiven Logik + Die Hörigkeit der Frau
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547800446

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Autorenbiografie
Historischer Kontext
Synopsis (Auswahl)
Gesammelte philosophische Werke
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Diese Werksammlung mit dem Titel „Gesammelte philosophische Werke“ von John Stuart Mill vereint zwei Schlüsseltexte, die das Spektrum seines Denkens exemplarisch abbilden: „Die Hörigkeit der Frau“ und „System der deduktiven und induktiven Logik“. Der Band verfolgt den Zweck, zentrale Linien von Mills Philosophie in einer konzentrierten Form zugänglich zu machen: zum einen seine sozial- und rechtsphilosophische Argumentation, zum anderen seine Grundlegung methodischen Denkens. Leserinnen und Leser erhalten damit keine vollständige Gesamtausgabe, sondern eine kuratierte Auswahl, die die Tragweite seines Werkes sichtbar macht und die wechselseitige Beleuchtung normativer und erkenntnistheoretischer Fragestellungen ermöglicht.

In der vorliegenden Zusammenstellung stehen zwei unterschiedliche Textsorten nebeneinander. „Die Hörigkeit der Frau“ präsentiert sich als sozialphilosophische Abhandlung mit essayistischen Zügen, die gesellschaftliche Institutionen, rechtliche Ordnungen und moralische Maßstäbe erörtert. „System der deduktiven und induktiven Logik“ ist demgegenüber ein systematisches Grundlagenwerk, das die Verfahren des Schließens und Begründens in den Wissenschaften behandelt. Damit vertritt der Band nicht die Welt der Fiktion, sondern argumentative Prosa: reflektierende, begründende, auf Klarheit und Stringenz verpflichtete Texte, die unterschiedliche, doch miteinander verbundene Felder der Philosophie abdecken.

Der Publikationskontext beider Arbeiten liegt im 19. Jahrhundert, einer Epoche tiefgreifender gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Umbrüche. „System der deduktiven und induktiven Logik“ erschien erstmals 1843 und wurde zu einem Referenzpunkt für Fragen nach Methode, Evidenz und Begründung. „Die Hörigkeit der Frau“ wurde 1869 veröffentlicht und trat in eine lebhafte Debatte über bürgerliche Freiheit und rechtliche Gleichstellung ein. Diese zeitliche Verortung hilft, die Anliegen beider Texte zu verstehen: Sie reagieren auf eine Modernisierung, in der Normen, Institutionen und Wissenspraktiken neu vermessen werden.

Die verbindenden Themen dieser Auswahl lassen sich in drei Stichworte fassen: Freiheit, Gleichheit und Rationalität. Freiheit erscheint als Bedingung selbstbestimmten Lebens und öffentlichen Fortschritts; Gleichheit als Maßstab gerechter Institutionen; Rationalität als Methode, Überzeugungen verantwortbar zu prüfen. In der Kombination zeigen die Texte, wie normative Ansprüche und methodische Strenge einander stützen können: Wer Forderungen an Recht und Gesellschaft erhebt, braucht Gründe; wer Methoden entwickelt, muss ihren Anwendungsbereich und ihre Grenzen kennen. So entsteht eine Einheit aus praktischer Philosophie und Logik, die bis heute orientierend wirkt.

Stilistisch verbindet beide Werke eine klare, didaktisch geschulte Argumentationsführung. Mill arbeitet mit sorgfältigen Unterscheidungen, definiert zentrale Begriffe und entfaltet Thesen in nachvollziehbaren Schritten. Charakteristisch ist die Auseinandersetzung mit Einwänden: Positionen werden nicht nur vorgetragen, sondern in möglichen Gegenpositionen gespiegelt. Beispiele dienen der Anschaulichkeit, ohne den Anspruch allgemeiner Geltung aufzugeben. Der Ton bleibt nüchtern und sachlich, doch er ist nie unbeteiligt: Die Texte zeigen, wie sich intellektuelle Strenge mit ethischer Dringlichkeit verbinden lässt, ohne in Polemik zu verfallen oder Komplexität zu reduzieren.

Die anhaltende Bedeutung dieser Schriften liegt in ihrer Doppelwirkung: Sie schärfen Maßstäbe und klären Verfahren. „Die Hörigkeit der Frau“ bietet Orientierungen für Debatten um rechtliche Gleichstellung, gesellschaftliche Teilhabe und institutionelle Reformen. „System der deduktiven und induktiven Logik“ strukturiert das Nachdenken über Evidenz, Begründung und wissenschaftliche Methode. Zusammen bieten sie ein Instrumentarium, das in Philosophie, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft und politischer Theorie nutzbar bleibt. Ihre Relevanz beruht weniger auf zeitgebundenen Antworten als auf einer Haltung: der Bereitschaft, Urteile an Gründen zu messen und Praktiken an Prinzipien.

„Die Hörigkeit der Frau“ setzt bei einer gesellschaftlichen Ausgangslage an, in der die rechtliche und soziale Stellung von Frauen im 19. Jahrhundert Thema kontroverser Auseinandersetzungen war. Die Abhandlung richtet den Blick auf institutionelle Strukturen und fragt, inwieweit sie Freiheit fördern oder beschränken. Dabei interessiert nicht nur die formale Ordnung, sondern auch die Wirkung von Normen im Alltag. Das Anliegen der Schrift ist, Geltungsansprüche offenzulegen und sie an Maßstäben der Gerechtigkeit zu prüfen. So entsteht ein Beitrag zur politischen Philosophie, der rechtliche, moralische und soziale Erwägungen in ein umfassendes Argument fügt.

„System der deduktiven und induktiven Logik“ verfolgt demgegenüber ein erkenntnistheoretisches und methodologisches Ziel. Im Zentrum stehen die Bedingungen gültigen Schließens, die Rollen von Beobachtung und Verallgemeinerung und das Verhältnis zwischen Theorie und Erfahrung. Die Darstellung ist systematisch angelegt: Sie klärt die Formen deduktiver Begründung, diskutiert die Besonderheiten induktiver Verfahren und fragt nach Kriterien, mit denen wissenschaftliche Aussagen geprüft werden können. Dadurch wird die Logik nicht als rein formales Instrument verstanden, sondern als Leitfaden für verantwortliches Denken, das seine Schritte offenlegt und seine Reichweite bestimmt.

Im Zusammenspiel beider Texte zeigt sich eine charakteristische Bewegung von Mill: Normative Forderungen werden auf methodische Transparenz gestellt, methodische Analysen auf praktische Relevanz geprüft. Wer Gleichheit und Freiheit verteidigt, braucht belastbare Begründungen; wer Begründungen entwirft, muss ihre Folgen für das praktische Leben bedenken. Die vorliegende Auswahl legt nahe, die Abhandlung und das System nicht als getrennte Sphären zu lesen, sondern als zwei Blickrichtungen auf dieselbe Aufgabe: vernünftige Orientierung in Fragen, die sowohl das Zusammenleben als auch die Erkenntnis betreffen.

Diese Ausgabe versammelt damit ausschließlich philosophische Prosa und keine literarische Fiktion. Nicht enthalten sind Romane, Erzählungen, Gedichte, Dramen, Briefe oder Tagebücher. Stattdessen stehen eine sozialphilosophische Abhandlung und ein systematisches Grundlagenwerk im Zentrum. Der Leserblick wird auf Argumente, Begriffe und Verfahren gelenkt, nicht auf narrative Figuren oder poetische Formen. Diese Konzentration schärft die Wahrnehmung für die Mittel, mit denen Philosophie wirkt: präzise Problemstellungen, sorgfältige Unterscheidungen und die methodisch kontrollierte Entwicklung von Gründen.

Zweck der Zusammenstellung ist es, einen kompakten Zugang zu zwei maßgeblichen Texten zu eröffnen und vergleichendes Lesen zu ermöglichen. Wer beide Werke nebeneinander konsultiert, kann verfolgen, wie sich argumentative Strukturen, Begriffspolitik und Begründungsstrategien in unterschiedlichen Kontexten bewähren. Die Ausgabe eignet sich für das Studium ebenso wie für die eigenständige Lektüre. Sie lädt dazu ein, von der Theorie in die Praxis und zurück zu gehen: Problemstellungen zu identifizieren, Annahmen zu prüfen, Alternativen abzuwägen und Konsequenzen zu bedenken.

Die anhaltende Wirkung dieser Texte liegt darin, dass sie kein abgeschlossenes System vorlegen, das fertige Antworten liefert, sondern Werkzeuge bereitstellen, um Fragen besser zu stellen. In einer Gegenwart, die auf Evidenz, Transparenz und faire Institutionen angewiesen ist, behalten diese Schriften ihren Leitfadencharakter. Sie fordern eine Lektüre, die genau, langsam und prüfend verfährt. Wer ihnen folgt, wird nicht nur über Gleichheit, Freiheit und Begründung nachdenken, sondern auch über die Haltung, mit der wir urteilen. Diese Sammlung möchte diesen Denkprozess eröffnen, stützen und in eine konzise Form bringen.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

John Stuart Mill (1806–1873) gilt als einer der prägenden Denker des 19. Jahrhunderts und als maßgeblicher Vertreter eines liberalen, utilitaristisch geprägten Denkens. Sein Werk verbindet systematische Logik, Sozialtheorie und engagierte Intervention in moralische und politische Fragen. In einer Epoche tiefgreifender Umbrüche – Industrialisierung, Reformgesetzgebung, entstehende Massenöffentlichkeit – suchte er nach tragfähigen Prinzipien rationaler Begründung und gerechter Ordnung. Seine Schriften wurden breit rezipiert, kontrovers diskutiert und nachhaltig wirksam. Zwei zentrale Bezugspunkte seines Denkens bilden das System der deduktiven und induktiven Logik sowie die Streitschrift Die Hörigkeit der Frau. Beide Texte markieren unterschiedliche, doch komplementäre Aspekte seines Programms.

Früh durch strenge Studien geformt, stand Mill in der Tradition britischer Empirie und des utilitaristischen Reformdenkens. Besonders einflussreich waren die Schriften Jeremy Benthams sowie die systematische Philosophie von James Mill, die ihn zu methodischer Klarheit und gesellschaftlicher Nützlichkeit verpflichteten. In intensiver Lektüre klassischer und zeitgenössischer Autorinnen und Autoren entwickelte er ein breites Instrumentarium aus Logik, Ökonomie, Ethik und politischer Theorie. Zugleich suchte er den Austausch mit französischen und deutschen Debatten, um Empirismus, Psychologie der Assoziation und historische Sensibilität produktiv zu verbinden. Diese internationale Orientierung prägte seine spätere Arbeit und schärfte seinen Sinn für vergleichende Analyse.

Beruflich arbeitete Mill lange in Verwaltung und Publizistik, was seine theoretischen Interessen mit praktischen Erfahrungen verband. Jahrzehnte bei der East India Company gaben ihm Einblick in Verwaltungstechniken, Handelspolitik und koloniale Rechtsfragen, die seine Überlegungen zu Institutionen und Normen schärften. Gleichzeitig beteiligte er sich an öffentlichen Debatten, rezensierte, argumentierte und systematisierte. Aus dieser doppelten Perspektive entstand das Bedürfnis nach einer umfassenden Methodik, die Wissenschaft und Urteilskraft auf eine nachvollziehbare Grundlage stellt. Dieses Programm kulminierte im System der deduktiven und induktiven Logik, das Erkenntniswege in Natur- und Sozialforschung ordnen und die Vernünftigkeit politischer Argumente prüfbar machen sollte.

Das System der deduktiven und induktiven Logik zielte auf eine kohärente Darstellung wissenschaftlicher Begründung. Mill verband die Strenge formaler Ableitung mit sorgfältig geregelter Erfahrungsauswertung, um Ursachenwissen und Gesetzesbildung transparent zu machen. Er reflektierte Sprache, Begriffe und Klassifikation, betonte die Rolle von Hypothesen und regelmäßigem Experimentieren und mahnte zugleich intellektuelle Bescheidenheit an, weil Schlussfolgerungen revisibel bleiben. Mit dieser Konzeption stärkte er das Ansehen induktiver Verfahren in den aufkommenden Sozialwissenschaften und bot Werkzeugen der Kausalermittlung einen klaren Rahmen. Das Werk wirkte weit in Methodik, Statistikdebatten und politischer Ökonomie nach, indem es Rationalität als überprüfbare Praxis fassbar machte.

Mit Die Hörigkeit der Frau legte Mill eine pointierte Kritik an rechtlichen und sozialen Strukturen vor, die Frauen in Abhängigkeit hielten. Er argumentierte für gleiche Bildungschancen, berufliche Teilhabe und politische Rechte, weil Ausschluss nicht nur ungerecht sei, sondern auch das gesellschaftliche Potenzial verkleinere. Die Schrift knüpfte an liberale Prinzipien freier Selbstentfaltung an und setzte sie konsequent auf Geschlechterverhältnisse an. Die langjährige intellektuelle Zusammenarbeit mit Harriet Taylor Mill prägte seine Sensibilität für dieses Thema. Reaktionen reichten von scharfer Ablehnung bis zu zustimmender Anerkennung; die Debatte trug zur Sichtbarkeit feministischer Anliegen im öffentlichen Raum bei.

Über die Schriftstellerei hinaus engagierte sich Mill in der Politik und suchte Reformen über parlamentarische Wege. Als Abgeordneter für Westminster setzte er sich in den späten 1860er Jahren unter anderem für eine Erweiterung des Wahlrechts ein, einschließlich eines Vorstoßes zur Einbeziehung von Frauen in das Stimmrecht. Er verteidigte Grundsätze offener Debatte und argumentierte für eine rationale, evidenzorientierte Gesetzgebung. Seine Positionen waren teils umstritten, weil sie tradierte Autoritäten hinterfragten und neue Partizipationsansprüche formulierten. Gleichwohl machte sein nüchterner Stil deutlich, dass soziale Verbesserungen nicht durch Dogma, sondern durch prüfbare Gründe und nachvollziehbare Regeln legitimiert werden sollten.

Seine späteren Jahre verbrachte Mill zurückgezogen, ohne sein Interesse an öffentlicher Aufklärung zu verlieren. Er starb 1873; sein Einfluss blieb jedoch lebendig. In Philosophie, Ökonomie, Soziologie und Rechtswissenschaft werden seine Argumente weiterhin gelehrt und diskutiert. Das System der deduktiven und induktiven Logik gilt als wichtige Station im Verständnis wissenschaftlicher Methode, während Die Hörigkeit der Frau die Gleichheitsdebatte bis heute inspiriert. Viele seiner Einsichten – über Evidenz, kritische Prüfung und die Erweiterung von Teilhabe – fließen in aktuelle Diskussionen zu Forschungsethik, Bildungspolitik und Geschlechtergerechtigkeit ein. Damit wirkt Mill als intellektueller Maßstab, der Vernunft mit Reformbereitschaft verbindet.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

John Stuart Mill lebte von 1806 bis 1873 und schrieb in einer Epoche tiefgreifender Umbrüche, die als frühe bis späte Viktorianische Zeit zusammengefasst wird. Die in der Sammlung versammelten Texte markieren zentrale Stationen dieser Epoche: System der deduktiven und induktiven Logik erschien 1843 im Kontext des wissenschaftlichen Aufbruchs; Die Hörigkeit der Frau wurde 1869 veröffentlicht, als politische Reformen und Frauenrechtsbewegungen an Sichtbarkeit gewannen. Zwischen diesen Daten verdichten sich Debatten über Staat, Wissenschaft, Moral und Geschlechterordnung. Mills Werk reagiert auf diese Spannungen, indem es Rationalität, empirische Prüfung und moralische Gleichheit als tragende Normen liberaler Moderne herausarbeitet.

Die politische Landschaft Großbritanniens war seit den 1820er Jahren von Reformforderungen geprägt. Nach Kriegs- und Krisenjahren gewann die Idee repräsentativerer Institutionen an Gewicht. Die Reformakte von 1832 erweiterte den Kreis der Wahlberechtigten, ohne die Forderungen radikalerer Bewegungen zu erfüllen. Chartistische Kampagnen in den 1830er und 1840er Jahren hielten den Druck aufrecht, eine breitere politische Teilhabe zu sichern. In diesem Umfeld kristallisierte sich ein Liberalismus heraus, der individuelle Rechte, Rechtsstaatlichkeit und parlamentarische Reform verband. Mills Schriften stehen in engem Austausch mit diesen Entwicklungen und liefern argumentatives Rüstzeug für eine reformorientierte Öffentlichkeit.

Parallel dazu transformierte die Industrialisierung Gesellschaft und Alltag. Rasche Urbanisierung, Fabrikarbeit und neue Kommunikationsmittel wie Eisenbahn und Telegraph veränderten die Wahrnehmung von Raum, Zeit und sozialer Ordnung. Die sozialen Folgen – Armut, Arbeitskonflikte, Gesundheitsfragen – verlangten nach verlässlichem Wissen und systematischer Untersuchung. Statistische Erhebungen, Verwaltungspraxis und reformerische Kommissionen etablierten sich. Vor diesem Hintergrund wuchs der Bedarf an einer Philosophie, die empirische Methoden präzise beschreibt und normativ einhegt. Mills logisches Programm knüpft an diese praktische Wissensökonomie an, indem es Regeln für belastbare Inferenz im natur- und sozialwissenschaftlichen Kontext formuliert.

Intellektuell stand Mill in der Tradition des britischen Empirismus. David Hume, die Assoziationspsychologie sowie die Utilitarismen von Jeremy Bentham und James Mill prägten sein Denken. Gleichwohl entfernte er sich von strikt mechanischen Modellen, indem er qualitative Differenzierungen innerhalb der Nutzen- und Freiheitslehre betonte. Seine Rezeption des französischen Positivismus, insbesondere Auguste Comtes, blieb ambivalent: Mill würdigte die wissenschaftliche Programmatik, wies aber autoritäre Tendenzen zurück. Dieses Ringen zwischen empirischer Strenge und liberaler Normativität bildet den Hintergrund, vor dem System der deduktiven und induktiven Logik seine philosophische Ausrichtung gewann.

Die Wissenschaften professionalisierten sich im 19. Jahrhundert rasch. Naturforschende Gesellschaften, die British Association for the Advancement of Science und fächerübergreifende Debatten machten Methodenfragen prominent. John Herschels Abhandlungen über wissenschaftliche Untersuchung (1830) und William Whewells Philosophie der induktiven Wissenschaften (1840) markierten Meilensteine, mit denen sich Mill auseinandersetzte. Die Veröffentlichung von Darwins Origin of Species 1859 verschärfte das Bedürfnis nach methodischer Klärung in Biologie und Geisteswissenschaften. In diesem Klima bot Mills logisches Werk einen systematischen Rahmen, der Induktion, Kausalität und Beweisführung für eine breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit strukturierte.

Veränderungen im Bildungswesen verstärkten die Nachfrage nach systematischen Darstellungen der Logik. Prüfungsordnungen und Curricula an Universitäten wurden im Verlauf des 19. Jahrhunderts reformiert, neue Institutionen entstanden, und säkulare Lehrangebote gewannen an Bedeutung. Logik und wissenschaftliche Methodik wurden in Lehrpläne integriert und dienten als Grundlagendisziplinen für Natur- und Sozialwissenschaften. Lehrbücher und Handbücher verbreiteten sich durch verbesserte Drucktechniken. In dieser Infrastruktur fungierte Mills System der Logik als Referenztext, der Studierenden und Forschenden zugleich einen Kanon von Argumentations- und Untersuchungsregeln anbot.

Die Ausweitung der Öffentlichkeit trug entscheidend zur Verbreitung liberaler und wissenschaftlicher Ideen bei. Die Reduktion und schrittweise Abschaffung der Stempelsteuer bis Mitte der 1850er Jahre verbilligte Zeitungen, Magazine und Broschüren. Politische und literarische Reviews, darunter Foren wie die Westminster Review, verstärkten den Austausch zwischen Reformern, Wissenschaftlern und Politikern. Die Öffentlichkeit reagierte zunehmend auf Argumente, die empirisch untermauert und logisch strukturiert wurden. Mills Fähigkeit, komplexe Debatten in zugängliche, systematische Formen zu bringen, wurde in diesem Kommunikationsraum zu einem wichtigen Faktor seiner Wirkung.

Die 1860er Jahre brachten eine neue Welle parlamentarischer Reformdebatten. Mill, von 1865 bis 1868 Mitglied des Unterhauses für Westminster, bewegte sich im Zentrum dieser Auseinandersetzungen. 1866 überreichte er eine groß angelegte Petition für das Frauenwahlrecht, und 1867 beantragte er im Zuge der Reformgesetzgebung eine sprachliche Öffnung des Wahlrechts von man auf person. Obwohl der Antrag scheiterte, verlieh er der Sache öffentliche Sichtbarkeit. In dieser Konjunktur entstand Die Hörigkeit der Frau, das die zeitgenössische Debatte um rechtliche und politische Gleichstellung argumentativ bündelte und in den Reformdiskurs einspeiste.

Die Frauenrechtsbewegung vernetzte sich seit den 1850er und 1860er Jahren in Großbritannien und darüber hinaus. Kreise um Aktivistinnen wie Barbara Bodichon und Emily Davies organisierten Kampagnen, Petitionen und Bildungsinitiativen. Die Married Women’s Property Acts von 1870 und 1882 veränderten die ökonomische Stellung verheirateter Frauen schrittweise, wenn auch unvollständig. Transatlantische Kontakte – etwa mit US-amerikanischen Suffragistinnen – verbreiteten Argumente und Strategien. In diesem Umfeld bot Mills Schrift eine theoretisch geschulte Begründung für politische Forderungen, die in Komitees, Vereinigungen und Presseorganen aufgegriffen und weiterverarbeitet wurde.

Rechtlich und gesellschaftlich dominierte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Doktrin der coverture, die die Rechtsstellung verheirateter Frauen stark einschränkte. Auch Bildungszugänge und berufliche Chancen waren begrenzt. Gegen diese Ordnung formierte sich eine reformerische Kultur von Essays, Petitionen und öffentlichen Vorträgen. Harriet Taylor Mill, deren intellektueller Austausch mit John Stuart Mill gut belegt ist, veröffentlichte bereits in den frühen 1850er Jahren einschlägige Beiträge zur politischen Gleichberechtigung. Diese dichten Netzwerke aus Partnerschaften, Vereinen und Publizistik schufen die Resonanzräume, in denen Mills interventionsorientierte Argumentation Gehör fand.

Das britische Weltreich bildete einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Kontext. Mill arbeitete von den 1820er bis 1850er Jahren für die East India Company und besaß intime Kenntnis administrativer Verfahren. Nach 1858 ging die Kolonialverwaltung auf die Krone über, was Debatten über Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht schärfte. Fragen guter Regierungsführung, Repräsentation und Rechtsstaatlichkeit gewannen so zusätzliche Dimensionen. Die methodischen Überlegungen zur Begründung politischer Urteile, wie sie sein Logikwerk bereitstellt, stehen in Verbindung mit diesen administrativen Erfahrungen und den breiteren Diskussionen über die Legitimation staatlicher Macht.

Konfessionelle und intellektuelle Spannungen prägten die Zeit. Der Einfluss der anglikanischen Kirche blieb erheblich, doch wuchs die Bedeutung religiöser Dissenter und säkularer Denkströmungen. Öffentliche Kontroversen über Bibelkritik, Naturwissenschaft und Moral – etwa in den 1860er Jahren – verstärkten den Bedarf an Argumentationsweisen, die jenseits theologischer Autorität überzeugen konnten. Mill operierte in einer Kultur, in der rationale Begründung zunehmend als Legitimationsquelle galt. Logik, Verfahrensregeln der Evidenz und die Berufung auf öffentliche Vernunft bildeten eine Basis, auf der auch politische Gleichheitsforderungen argumentativ anschlussfähig wurden.

Ökonomisch verschob der Freihandel nach der Aufhebung der Corn Laws 1846 die Gewichte von Agrar- zu Industrieinteressen. Die entstehende Arbeiterbewegung, frühe Gewerkschaften und Genossenschaftsinitiativen artikulierten soziale Ansprüche. Gesetzliche Rahmenbedingungen wandelten sich allmählich; die Anerkennung von Gewerkschaften schritt gegen Ende des Jahrhunderts voran. Liberale Denker wie Mill suchten eine Balance zwischen Marktprinzipien und sozialer Verantwortung. Die Nachfrage nach belastbaren sozialwissenschaftlichen Methoden stieg, um Politikfolgen zu prüfen und Reformen zu begründen – ein Feld, in dem Mills logische Analysen praktische Anwendung fanden.

Die europäischen Revolutionen von 1848 wirkten auch ohne Umsturz in Großbritannien als Katalysator. Eliten und Öffentlichkeit sahen, wie unzureichende Repräsentation und wirtschaftliche Spannungen politische Explosionen begünstigten. In der Folge gewann der britische Reformkurs an Dringlichkeit, zugleich wuchs das Interesse an nüchterner Analyse politischer Kausalzusammenhänge. Die Kombination aus Krisenerfahrung und wissenschaftlichem Optimismus bereitete den Boden für systematische Darstellungen methodischer Rationalität. So trat Mills Logik in ein Umfeld, das Ordnung durch begründete Regeln der Erkenntnis suchte, anstatt sie allein in Tradition oder Autorität zu verankern.

Die Rezeption im 19. Jahrhundert war kontrovers und lebhaft. System der deduktiven und induktiven Logik erlebte zahlreiche Auflagen und diente als Nachschlagewerk für Studierende und Forschende. Debatten mit Vertretern alternativer Methodologien, darunter Anhänger Whewells, verdeutlichten den Streit um Induktion, Kausalität und wissenschaftliche Erklärung. Die Hörigkeit der Frau rief scharfe Ablehnung konservativer Stimmen hervor, gewann jedoch schnell Einfluss in reformorientierten Kreisen und fand internationale Leserinnen und Leser. Übersetzungen und Diskussionszirkel trugen dazu bei, Mill als Referenzautor für Fragen der Gleichberechtigung und rationalen Gesellschaftsreform zu etablieren.

Im späteren 19. Jahrhundert traten neue philosophische Strömungen auf, die Mills Positionen prüften und herausforderten. Britischer Idealismus und spätere analytische Traditionen setzten eigene Akzente in Erkenntnistheorie, Ethik und Sozialphilosophie. Im 20. Jahrhundert kritisierten Wissenschaftstheoretiker wie Karl Popper induktivistische Programme, ohne die Relevanz methodischer Klarheit zu bestreiten. Zugleich rezipierten Feministinnen die Argumentationslinien zur Gleichberechtigung neu, verbanden sie mit historischer Forschung und erweiterten sie um intersektionale Perspektiven. In Großbritannien erfolgte die gesetzliche Ausweitung des Frauenwahlrechts in Etappen, 1918 und 1928, was rückblickend den historischen Resonanzraum der Mill’schen Interventionen sichtbar macht.

Die Sammlung kommentiert ihre Zeit, indem sie zwei Achsen liberaler Moderne bündelt: die Sicherung rationaler Erkenntnisverfahren und die Ausweitung politischer Gleichheit. Das Logikwerk stellt Regeln bereit, um in Wissenschaft und Politik zwischen besser und schlechter begründeten Ansprüchen zu unterscheiden. Die Schrift zur Frauenfrage zeigt, wie solche Prüfmaßstäbe normative Ordnungen durchleuchten können. Spätere Deutungen sehen darin ein Modell, das empirische Strenge mit menschenrechtlichen Leitideen verbindet. Damit bleibt die Sammlung ein Ausgangspunkt für Diskussionen über die Legitimation von Autorität, die Reichweite von Wissenschaft und die Bedingungen demokratischer Emanzipation.

Synopsis (Auswahl)

Inhaltsverzeichnis

Die Hörigkeit der Frau

Ein sozialphilosophischer Essay, der die rechtliche und gesellschaftliche Unterordnung von Frauen als historisches Relikt kritisiert und Gleichberechtigung als rationale, moralisch gebotene Reform begründet. Mill verbindet normative Überlegungen mit empirischen Beobachtungen zu Erziehung, Ehe und Arbeitsteilung und zeigt, wie institutionelle Strukturen individuelle Entfaltung beschränken. Der Ton ist argumentativ, klar und reformorientiert, mit Blick auf die praktischen Folgen von Prinzipien.

System der deduktiven und induktiven Logik

Eine umfassende Darstellung, wie Wissen durch Schlussfolgerung entsteht, von der Analyse von Begriffen und Urteilen bis zu Formen des Beweisens. Mill entwickelt eine Theorie der Induktion und Kausalität, skizziert Verfahren zur Untersuchung von Zusammenhängen und ordnet Deduktion und Induktion in ein einheitliches Erkenntnismodell ein. Der Ton ist methodisch und didaktisch; Beispiele und präzise Begriffsarbeit sollen die wissenschaftliche Praxis klären.

Übergreifende Themen und Stil

Gemeinsam ist den Werken der Anspruch, klare Argumentationsgänge mit empirischer Begründung zu verbinden und aus Prinzipien praktische Orientierungen zu gewinnen. Die Logik legt die methodische Grundlage für verantwortliche Urteilsbildung, während der sozialphilosophische Text institutionelle Barrieren der Selbstentfaltung analysiert und Reformen als Mittel zu größerem allgemeinen Wohlergehen begründet. Stilistisch dominiert Nüchternheit und didaktische Präzision, die auf Verständlichkeit und argumentative Transparenz zielt.

Gesammelte philosophische Werke

Hauptinhaltsverzeichnis
Die Hörigkeit der Frau
System der deduktiven und induktiven Logik

Die Hörigkeit der Frau

Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Die vorliegende Arbeit hat den Zweck, so klar, wie es mir irgend möglich ist, die Gründe darzulegen, welche mich von der frühesten Zeit an, wo ich mir überhaupt eine Meinung über soziale und politische Verhältnisse zu bilden vermochte, zu einer Ansicht bestimmten, die ich seitdem unverrückt festgehalten habe und die, weit entfernt, schwächer oder schwankender zu werden, sich durch die Erfahrungen und das Nachdenken des reiferen Lebens bei mir nur immer stärker befestigt hat. Diese Ansicht, welche ich begründen will, ist die, daß das Prinzip, nach welchem die jetzt existierenden sozialen Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern geregelt werden – die gesetzliche Unterordnung des einen Geschlechtes unter das andere –, an und für sich ein Unrecht und gegenwärtig eines der wesentlichsten Hindernisse für eine höhere Vervollkommnung der Menschheit sei und daß es deshalb geboten erscheine, an die Stelle dieses Prinzips das der vollkommenen Gleichheit zu setzen, welches von der einen Seite keine Macht und kein Vorrecht zuläßt und von der andern keine Unfähigkeit voraussetzt.

Die Worte, welche ich der von mir unternommenen Arbeit vorauszuschicken für notwendig hielt, beweisen, wie schwierig sie ist. Man wäre jedoch in einem großen Irrtum, wenn man wähnte, die Schwierigkeit des Unternehmens läge in dem Mangel oder der Unklarheit der Vernunftgründe, auf welchen meine Überzeugung beruht. Ich habe mit andern Schwierigkeiten zu kämpfen, und zwar mit solchen, welche immer da entstehen, wo man es mit einer ganzen Masse sich streitend erhebender Gefühle zu tun hat. Solange eine Meinung sehr fest im Gefühl wurzelt, wird sie sich durch ein gegen sie geltend gemachtes Übergewicht von Argumenten nicht erschüttern lassen, sondern weit eher an Stabilität gewinnen. Wäre die Meinung als Resultat eines Argumentes gebildet worden, so dürfte man hoffen, die Widerlegung desselben werde auch die Festigkeit der Überzeugung erschüttern; beruht sie jedoch lediglich auf Gefühlen, so wird man sich, je schlechter man vor dem Angriff der Argumente bestehen kann, um so eifriger daran klammern und sich überreden, die Gefühle müßten einen tieferen Grund haben, einen Grund, den die Argumente gar nicht zu erreichen vermögen. Solange das Gefühl besteht, wird es nicht aufhören, neue Verschanzungen aufzuführen und die in die alten gelegte Bresche wieder auszufüllen. Und es gibt so viele Ursachen, welche dazu dienen, gerade in bezug auf diese Angelegenheit die Gefühle aller, welche an alten Einrichtungen und Gebräuchen hängen und sie beschützen, recht eingewurzelt und intensiv zu machen, daß es uns nicht wundernehmen darf, wenn wir gerade sie von dem Fortschritt der großen modernen geistigen und sozialen Übergangs-Periode noch so wenig gelockert und unterwühlt finden. Ebensowenig darf man annehmen, die Barbarei, welche Menschen am längsten festhalten, sei ein geringerer Grad von Barbarei als jene, welche sie früher abgeschüttelt haben.

Die Aufgabe derer, welche eine beinahe allgemein verbreitete Ansicht angreifen, wird unter allen Umständen eine sehr schwere sein. Sie müssen ungewöhnlich befähigt und überdies noch sehr glücklich sein, wenn es ihnen gelingt, sich überhaupt nur Gehör zu verschaffen. Andere Leute haben lange nicht so viele Schwierigkeiten, einen endgültigen Urteilsspruch zu erlangen, wie es jenen macht, daß ihre Sache nur einer Untersuchung unterzogen werde, und haben sie sich wirklich Gehör verschafft, so unterwirft man sie einer Reihe logischer Formalitäten, die sonst von keinem anderen Menschen gefordert werden. In allen anderen Fällen geht man von der Ansicht aus, derjenige, welcher eine Sache behauptet, habe sie zu beweisen. Wird jemand des Mordes angeklagt, so liegt es seinen Anklägern ob, den Beweis seiner Schuld zu führen, nicht ihm, seine Unschuld darzutun. Walten in betreff geschichtlicher Tatsachen, bei denen im allgemeinen die Gefühle der Menschen nicht sehr in Frage kommen, Meinungsverschiedenheiten ob, wie z.B. über die Belagerung von Troja, so erwartet man, daß diejenigen, welche behaupten, das Ereignis habe wirklich stattgefunden, ihre Beweisgründe dafür beibringen, und erst wenn dies geschehen, verlangt man, daß die, welche die geschichtliche Wahrheit des Ereignisses anzweifeln, etwas darüber sagen, und fordert von ihnen niemals mehr, als daß sie die von der Gegenpartei vorgebrachten Beweisgründe als nicht stichhaltig entkräften. Handelt es sich um praktischere politische oder soziale Dinge, so wird die Beweisführung von denen erwartet, welche sich als Gegner der Freiheit hinstellen und irgendeiner Einschränkung oder einem Verbot das Wort reden, mag es sich dabei um eine Beschränkung der Freiheit für die Menschheit im allgemeinen handeln, oder mag von einer Ungleichheit oder einem Vorrecht einer Person oder einer Klasse von Personen im Vergleich zu andern die Rede sein. Es ist a priori die Annahme immer zugunsten der Freiheit und Unparteilichkeit. Man geht von der Ansicht aus, die Rücksicht auf das allgemeine Wohl erfordere keine Beschränkung, das Gesetz sei ohne Ansehen der Person für alle gleich, ausgenommen da, wo eine ungleiche Behandlung durch ganz bestimmte Gründe der Justiz oder der Staatsklugheit geboten erscheine. Denjenigen, welche sich zu der von mir vertretenen Meinung bekennen, gestattet man jedoch nicht, von einem dieser Gesetze der Beweisführung Vorteil zu ziehen. Es nützt mir nichts, wenn ich sage, daß diejenigen, welche den Satz verfechten: der Mann habe das Recht zu befehlen und die Frau die Pflicht zu gehorchen, oder der Mann sei geeignet, die Frau ungeeignet zur Herrschaft, die Partei sind, welche die Behauptung aufstellen, und daß es deshalb ihre Aufgabe sei, entweder positive Beweise dafür beizubringen oder sich die Verwerfung ihrer Behauptung gefallen zu lassen. Ebensowenig Vorteil wird es mir bringen, wenn ich darauf aufmerksam mache, daß diejenigen, welche den Frauen Freiheiten und Privilegien vorenthalten wollen, die den Männern rechtlich gewährleistet sind, sich dem zwiefachen Verdacht aussetzen, die Freiheit beeinträchtigen und die Parteilichkeit empfehlen zu wollen, daß von ihnen deshalb die strikteste Beweisführung in ihrer Sache zu fordern sei, und wenn dieselbe nicht so geführt werde, daß sie absolut jeden Zweifel ausschließe, der Urteilsspruch gegen sie ausfallen müsse. In gewöhnlichen Fällen würde man diese Einreden als völlig begründet anerkennen, in dieser Angelegenheit ist man weit entfernt davon. Man verlangt nicht nur von mir, daß ich eine Antwort auf alles habe, was je von denen gesagt ist, die in der Frage auf der andern Seite stehen, sondern ich soll mir auch alles vergegenwärtigen, was möglicherweise noch von ihnen gesagt werden könnte – ich soll ihre Gründe auffinden und dafür sogleich die Entgegnung bei der Hand haben; ich soll gleichzeitig alle Argumente für die Bejahung widerlegen und unüberwindliche positive Argumente für die Verneinung beibringen. Vermöchte ich aber selbst allen diesen Anforderungen zu genügen, ließe ich die Gegenpartei auf dem Kampfplatze zurück mit einer ganzen Anzahl von Argumenten, worauf sie mir die Antwort schuldig geblieben, während ich die ihrigen ohne Ausnahme siegreich widerlegt hätte, so würde man doch immer meinen, ich habe nur erst sehr wenig getan. Eine Sache, die unterstützt ist auf der einen Seite vom allgemeinen Herkommen, auf der andern vom populären Gefühl, hat ein zu großes Vorurteil für sich, und dieses wird sich stärker erweisen als jede Überzeugung, welche ein Appell an die gesunde Vernunft in den meisten Köpfen, mit Ausnahme besonders bevorzugter, hervorbringen kann.

Ich erwähne diese Schwierigkeiten nicht, um mich über sie zu beklagen, und zwar vor allen Dingen um dessentwillen nicht, weil mir das doch nichts helfen würde. Sie sind untrennbar von jedem Streit, der unternommen wird zwischen dem Verständnis der Leute auf der einen und deren Gefühlen und langgehegten Gewohnheiten auf der anderen Seite, und wahrlich, das Fassungsvermögen der großen Menge müßte anders geschult und entwickelt sein, als dies bisher der Fall gewesen ist, ehe man von ihr fordern könnte, sie solle in ihre eigene Fähigkeit, Beweisgründe zu würdigen, ein solches Vertrauen setzen, um bei dem ersten durch Argumente unterstützten Angriff, dem sie logisch keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag, praktisch geübte Prinzipien aufzugeben, in welchen sie geboren und erzogen ist und welche die Grundlage der meisten gegenwärtig in der Welt zu Recht bestehenden Einrichtungen bilden. Ich mache den Leuten deshalb auch keineswegs einen Vorwurf daraus, daß sie zu wenig Glauben an Beweisgründe haben, sondern daraus, daß sie dem Herkommen und dem allgemeinen Gefühl ein zu großes Vertrauen schenken.

Das reaktionäre neunzehnte Jahrhundert tritt namentlich durch ein Vorurteil in einen sehr charakteristischen Gegensatz zum achtzehnten, es mißt nämlich den außerhalb des Denkvermögens liegenden Elementen der menschlichen Natur dieselbe Unfehlbarkeit bei, welche das achtzehnte Jahrhundert den denkenden und schließenden Elementen eingeräumt haben soll. An die Stelle der Apotheose der Vernunft haben wir die des Instinktes gesetzt, und Instinkt nennen wir alle Regungen in uns, wofür wir keine vernünftigen Beweggründe aufzufinden vermögen. Dieser Götzendienst, der noch weit erniedrigender als der frühere und überdies der verderblichste von allen falschen Kulten der Gegenwart ist, wird sich wahrscheinlich so lange behaupten, bis eine gesunde Psychologie die wahre Wurzel vieler Dinge bloßlegt, welche jetzt für Zwecke der Natur und göttliche Anordnungen ausgegeben werden. Was nun die von mir zu behandelnde Frage anbetrifft, so bin ich bereit, alle die mir durch das Vorurteil gestellten ungünstigen Bedingungen anzunehmen. Ich willige ein, daß die hergebrachte Sitte und das allgemeine Gefühl so lange als gegen mich entscheidend betrachtet werden sollen, bis nachgewiesen ist, daß Sitte und Gefühl von Jahrhundert zu Jahrhundert ganz anderen Ursachen ihre Existenz verdankten als ihrer Gesundheit und daß ihre Macht viel mehr den bösen als den guten Seiten der menschlichen Natur entstammt. Ich lasse mir gefallen, daß das Urteil gegen mich lautet, bis ich nachgewiesen habe, daß der Richter selbst bestochen sei. Die Konzession ist nicht so groß, wie sie scheinen mag, denn diese Beweisführung ist bei weitem der leichteste Teil meiner Aufgabe.

Man geht bei bestehenden Einrichtungen im allgemeinen von der Voraussetzung aus, dieselben seien geeignet, löbliche Zwecke zu erreichen oder hätten sich doch auf alle Fälle früher einmal dazu geeignet erwiesen, und dies verhält sich in der Tat so, wenn eine Einrichtung eingeführt oder aufrechterhalten wird aufgrund der Erfahrung, daß der beabsichtigte Zweck wirklich in dieser Weise am besten und erfolgreichsten erreicht werden könne. Anders würde es sein, wäre nun die Autorität der Männer über die Frauen bei ihrer ersten Einführung das Resultat einer gewissenhaften Vergleichung zwischen verschiedenen Formen der Herrschaft in der Gesellschaft gewesen. Wäre man, nachdem man mehrere andere Formen der gesellschaftlichen Organisation versucht hätte – wie z.B. die Herrschaft der Frauen über die Männer oder Gleichheit zwischen beiden Geschlechtern oder irgendein anderer Modus der zwischen ihnen geteilten Gewalt –, alsdann nach dem Zeugnis der Erfahrung zu der Entscheidung gekommen, die beste Einrichtung und die sicherste für das Glück und Wohlbefinden beider Geschlechter sei die, nach welcher die Frauen gänzlich unter der Herrschaft der Männer stehen, keinen Teil an irgendeiner öffentlichen Angelegenheit haben und jede für sich noch gesetzlich zum Gehorsam gegen den Mann verpflichtet ist, mit dem sie ihr Geschick vereint hat, so könnte man die allgemeine Annahme dieser Einrichtung für den Beweis ansehen, daß sie zu der Zeit, wo man sie einführte, wirklich die beste gewesen sei. Aber selbst dann könnten die Erwägungen, welche damals zu ihren Gunsten sprachen, im Laufe der Zeit gänzlich aufgehört haben, wie dies ja bei andern gesellschaftlichen Einrichtungen aus frühern Jahrhunderten, denen die größte Wichtigkeit beigelegt ward, vielfach der Fall gewesen ist. Die Sachlage ist jedoch in allen Punkten genau das Gegenteil von allen diesen Voraussetzungen. Zuvörderst beruht die günstige Meinung für das gegenwärtige System, welches das schwächere Geschlecht dem stärkern gänzlich unterordnet, nur auf Theorie, denn man hat niemals mit einem andern nur einen Versuch gemacht, so daß also die Erfahrung in diesem Falle durchaus kein Urteil abzugeben vermag. Zweitens war die Einführung dieses Systems der Ungleichheit niemals das Resultat der Überlegung oder des Vordenkens oder irgendwelcher sozialen Ideen oder sonst einer Erwägung dessen, was zum Besten der Menschheit und zu einer guten gesellschaftlichen Ordnung am ersprießlichsten sei. Es verdankt seine Entstehung einfach dem Umstande, daß vom frühesten Kindesalter der Menschheit an jede Frau sich in einem Zustande der Knechtschaft bei irgendeinem Manne befunden hat. Gesetze und politische Systeme beginnen mit Anerkennung derjenigen Beziehungen, welche sie bereits bei den einzelnen Individuen als bestehend vorfinden. Sie verwandeln das, was eine bloße physische Tatsache war, in ein legales Recht, geben ihm die Sanktion der Gesellschaft und sind grundsätzlich bestrebt, diese Rechte durch öffentliche und organisierte Einrichtungen zu sichern und zu schützen und dadurch die unregelmäßigen und ungesetzlichen Konflikte der physischen Kraft unmöglich zu machen. Diejenigen, welche bereits zum Gehorsam gezwungen worden waren, sahen sich auf diese Weise nun auch gesetzlich dazu verurteilt. Die Sklaverei, welche eine bloße Frage der physischen Kraft zwischen dem Herrn und dem Sklaven gewesen war, wurde geregelt und ward ein Punkt des Übereinkommens zwischen den Herren, welche sich miteinander zum gegenseitigen Schutz verbanden und sich durch ihre vereinigte Kraft ihre gesamten Besitztümer und einschließlich auch ihre Sklaven garantierten. In früheren Zeiten war die Mehrzahl des männlichen Geschlechtes ebensogut Sklaven wie das gesamte weibliche Geschlecht. Und es verflossen viele Jahrhunderte, und unter diesen manches Jahrhundert hoher Kultur, ehe ein Denker kühn genug war, das Recht und die absolute Notwendigkeit der einen oder der andern Sklaverei in Frage zu ziehen. Allmählich standen solche Denker auf, welche den allgemeinen Fortschritt der Gesellschaft unterstützten, und so ist denn in allen Landern des christlichen Europas (in einem derselben allerdings erst in den letzten Jahren) die Sklaverei des männlichen Geschlechts gänzlich aufgehoben, die des weiblichen Geschlechts nach und nach in eine mildere Form der Abhängigkeit umgewandelt worden. Diese Abhängigkeit, wie sie gegenwärtig existiert, ist jedoch keine ursprüngliche Institution, welche durch Erwägungen der Gerechtigkeit und der sozialen Wohlanständigkeit einen frischen Impuls erhalten hätte – sie ist der immer noch andauernde primitive Zustand der Sklaverei, nur gelindert und gemäßigt durch dieselben Ursachen, welche im allgemeinen die Sitten gemildert und alle Beziehungen zwischen den Menschen einem größern Einflusse der Gerechtigkeit und Humanität unterworfen haben. Den Flecken ihrer brutalen Abstammung hat die Abhängigkeit der Frauen dadurch aber noch lange nicht verloren, und es kann deshalb aus dem Umstände, daß sie vorhanden ist, durchaus keine günstige Meinung für ihr Dasein hergeleitet werden. Das einzige, was man vielleicht zu ihren Gunsten anführen könnte, müßte darauf begründet werden, daß sie sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, während andere Mißbräuche, deren Ursprung auf dieselbe abscheuliche Quelle zurückzuführen ist, längst abgeschafft sind, und in der Tat ist es dieser Umstand, welcher dazu dient, oberflächlicheren Zuhörern die Versicherung so unglaublich klingen zu lassen, daß die Ungleichheit der Rechte zwischen Mann und Frau keine andere Quelle habe als das Faustrecht – das Recht des Stärksten.

Es gibt dem Fortschritt der Zivilisation und der Veredlung des moralischen Gefühls der Menschheit in gewisser Hinsicht ein günstiges Zeugnis, daß die aufgestellte Behauptung den Eindruck des Paradoxen macht. Wir leben jetzt – d.h. eine oder einige der am weitesten vorgeschrittenen Nationen leben jetzt in einem Zustande, in welchem das Gesetz des Stärksten als leitender Grundsatz in den weltlichen Angelegenheiten gänzlich verworfen zu sein scheint; niemand bekennt sich mehr offen dazu, und in den meisten Beziehungen zwischen den Menschen ist auch niemandem mehr dessen Anwendung gestattet. Gelingt es jemandem dennoch, das Recht des Stärkeren zur Ausführung zu bringen, so geschieht dies nur unter irgendeinem Verwande, welcher seiner Handlung den Anschein gibt, als werde durch dieselbe ein allgemeines soziales Interesse gewahrt. Weil dies die augenfällige Lage der Verhältnisse ist, schmeichelt sich das Publikum aber, das Gesetz des Stärkern habe wirklich aufgehört und könne unmöglich den Grund für die Existenz einer Einrichtung bilden, welche bis auf den heutigen Tag in vollster Kraft besteht. Man denkt, eine unserer gegenwärtigen Institutionen, möge sie begonnen haben, wie sie wolle, könnte sich unmöglich bis zu unserer jetzigen Periode vorgeschrittener Zivilisation erhalten haben, wenn sie nicht gestützt würde durch ein wohlbegründetes Gefühl ihrer Paßlichkeit für die menschliche Natur und ihrer Ersprießlichkeit für das allgemeine Beste. Die Leute übersehen dabei nur die große Lebensfähigkeit und Dauerhaftigkeit solcher Institutionen, welche der Macht das Recht an die Seite setzen; sie überlegen nicht, wie fest und zähe man an diesen hängt, wie sehr die guten wie die bösen Neigungen derer, welche die Macht in Händen haben, sich vereinigen, um sie festzuhalten; wie langsam schlechte Institutionen zu Fall gebracht werden können, wie sie nur sehr vereinzelt schwinden und zuerst immer die, welche am wenigsten mit den Gewohnheiten des täglichen Lebens verwachsen sind. Man bedenkt nicht, daß diejenigen, welche gesetzliche Macht erlangten, weil sie zuerst physische besaßen, jener sich selten eher entäußert haben, als bis diese physische Macht auf die bis dahin Unterdrückten übergegangen war. Da nun ein solcher Wechsel der physischen Kraft in der Sache der Frauen niemals zu erwarten steht und da sich zu diesem Umstande noch einige andere gesellen, welche den Fall ganz besonders eigentümlich und charakteristisch machen, so ist es wohl als gewiß anzunehmen, daß dieser Zweig des Systems des auf Macht begründeten Rechtes, obwohl er gegen früher in seinen rohesten Zügen sehr und in einem höheren Grade als verschiedene andere gemildert worden ist, doch derjenige sein wird, den wir am allerletzten verschwinden sehen werden.

Es war unvermeidlich, daß von allen auf Macht begründeten gesellschaftlichen Beziehungen gerade diese eine Einrichtung alle andern überdauern und durch Generationen, in welchen man Institutionen besitzt, die auf dem Prinzip gleicher Gerechtigkeit begründet sind, eine beinahe einzige Ausnahme von dem allgemeinen Charakter der Zeit, ihren Gesetzen und Sitten bilden mußte. Solange diese Einrichtung nicht selbst ihren Ursprung verkündete und solange ihr wahrer Charakter nicht durch Diskussionen an die Öffentlichkeit gebracht ward, ließ man sich nicht einfallen, in einem wie schneidenden Gegensatze sie zur modernen Zivilisation stehe – in einem ebenso großen Gegensatz, wie die häusliche Sklaverei bei den Griechen zu der Ansicht stand, welche sie von sich als von einem freien Volke hatten.

Die jetzt lebende Generation und die zwei oder drei ihr zuletzt vorangegangenen haben in Wahrheit jedes praktische Verständnis für die primitiven Bestimmungen der Menschheit verloren, und nur diejenigen, welche die Geschichte zu einem besonderen Studium gemacht, und diejenigen, welche die noch jetzt von den lebenden Repräsentanten längst vergangener Zeiten bewohnten Teile der Erde öfter besucht haben, können sich ein Bild von dem früheren Zustande der Gesellschaft machen. Die Leute begreifen es gar nicht, wie absolut in früheren Jahrhunderten das Gesetz der überlegenen Kraft zugleich Gesetz des Lebens war und wie offen und unumwunden man sich dazu bekannte; ich sage offen und unumwunden, hüte mich aber wohl, Ausdrücke wie zynisch oder schamlos zu gebrauchen, denn dadurch würde angedeutet werden, daß man sich doch des Beschämenden dieser Einrichtung bewußt gewesen wäre, und damit verleitete man zu einem Irrtum. Ein solches Bewußtsein konnte in jenen Jahrhunderten in keinem Kopfe auftauchen, es müßte denn der eines Philosophen oder Heiligen gewesen sein. Die Geschichte gibt uns einen recht traurigen Einblick in die menschliche Natur, indem sie uns schildert, wie genau die Rücksicht, welche man dem Leben, dem Eigentum, der ganzen irdischen Glückseligkeit einer Klasse von Personen schuldig zu sein glaubte, abgemessen ward nach ihrer Macht, etwas zu verteidigen oder zu erobern; wie alle, welche sich der bewaffneten Autorität widersetzten, mochte die Veranlassung dazu auch eine noch so furchtbare gewesen sein, nicht allein das Gesetz des Stärkeren, sondern alle anderen Gesetze und alle Ansichten über ihre Verpflichtungen gegen die Gesellschaft gegen sich hatten und in den Augen derer, denen sie Widerstand geleistet, nicht nur für Verbrecher galten, sondern für Verbrecher der allerschlimmsten Art, gegen die man die grausamsten Strafen, die ein Mensch nur für den andern ersinnen konnte, zur Ausführung bringen mußte. Der erste schwache Schimmer eines Gefühls der Verpflichtung eines Höhergestellten, die Rechte Untergebener anzuerkennen, begann erst dann, wenn er durch irgendwelche Umstände genötigt worden war, ihnen irgendein Versprechen zu leisten; und obschon auch diese Versprechen, selbst wenn sie durch die feierlichsten Eide bekräftigt waren, jahrhundertelang bei den nichtigsten Anlässen gebrochen oder verletzt wurden, so liegt doch die Wahrscheinlichkeit vor, daß dies, ausgenommen Personen, welche tiefer als auf der damaligen Durchschnittsstufe der Moralität standen, immer nicht ohne einige Gewissensskrupel geschah. Die alten Republiken, von Anfang an meistens auf einer Art von gegenseitigem Vertrag gegründet oder wenigstens durch die Vereinigung von Personen von nicht sehr ungleicher Stärke gebildet, lieferten demzufolge das erste Beispiel einer gesellschaftlichen Verbindung, welche durch ein anderes Gesetz als das des Stärkern zusammengefügt und beherrscht ward. Bleibt auch das ursprüngliche Gesetz der Stärke in voller Kraft zwischen den Republikanern und ihren Sklaven und ebenso (wo es nicht durch ausdrücklichen Vertrag beschränkt war) zwischen einer Republik und ihren Untertanen oder andern unabhängigen Republiken, so datiert doch von der Aufhebung desselben für einen, wenn auch nur sehr engen Kreis die Regeneration der menschlichen Natur, denn es entstanden dadurch neue Anschauungen, welche man bald durch die Erfahrung als außerordentlich wertvoll für das materielle Interesse erkannte und die von da an nur erweitert, nicht mehr hervorgerufen zu werden brauchten. Obgleich die Sklaven nicht als ein Teil der Republik betrachtet wurden, erkannte man doch in den Freistaaten zuerst an, daß sie als menschliche Wesen Rechte besäßen.

Die Stoiker waren, glaube ich, die ersten (abgesehen von der durch das jüdische Gesetz gebotenen Ausnahme), welche als einen Teil ihres Sittengesetzes den Satz aufstellten: der Mensch habe gegen seine Sklaven moralische Verpflichtungen zu erfüllen. Seit dem Auftreten des Christentums konnte niemand dieser Lehre in der Theorie mehr fremd bleiben, und solange die katholische Kirche besteht, haben sich zu allen Zeiten eifrige Verteidiger derselben gefunden. Dennoch war ihre Durchführung eine der schwersten Aufgaben, welche das Christentum zu erfüllen hatte. Länger als tausend Jahre führte die Kirche den Kampf ohne einen irgend nennenswerten Erfolg. Das Mißlingen hatte seinen Grund nicht in ihrem Mangel an Macht über die Gemüter der Menschen. Die Macht der Kirche war unbegrenzt. Sie konnte Könige und Fürsten vermögen, sich ihrer kostbaren Schätze zum Besten der Kirche zu entäußern. Sie konnte Tausende bestimmen, in der Blüte des Lebens, im Besitz aller Erdengüter und Ehren, auf alles zu verzichten und sich in Klöstern einzuschließen, um durch Armut, Beten und Kasteien den Himmel zu erwerben. Sie konnte Hunderttausende über Land und Meer, durch Europa und Asien senden, um für die Befreiung des Heiligen Grabes ihr Leben zu opfern. Sie konnte Könige dazu bringen, sich von Frauen, die sie mit der leidenschaftlichsten Zärtlichkeit liebten, zu scheiden, weil die Kirche erklärte, daß sie im siebenten (nach unserer Berechnung im vierzehnten) Grade mit ihnen verwandt waren. Alles dieses konnte die Kirche; was sie aber nicht konnte, war, die Menschen dahin zu bringen, daß sie einander weniger bekämpften oder ihre Leibeigenen und, wenn sie es imstande waren, auch ihre Bürger weniger grausam tyrannisierten. Sie konnte sie nicht dazu bringen, auf die Anwendung der Gewalt zu verzichten, mochte sich diese nun fechtend oder triumphierend äußern. Dazu vermochten die Machthaber nur eins zu bestimmen, eine andere, der ihrigen überlegene Gewalt. Nur die wachsende Macht der Könige setzte den bis dahin zwischen den einzelnen Rittern und Herren geführten Kämpfen ein Ziel und beschränkte den Krieg auf Könige oder Kronprätendenten gegeneinander; nur durch das Erstarken eines reichen und waffentüchtigen Bürgerstandes in den befestigten Städten und durch städtisches Fußvolk, das sich im Felde mächtiger erwies als die undisziplinierte Reiterei, gelang es, die unverschämte Tyrannei der Adeligen gegen den Bürger- und Bauernstand in gewisse Grenzen zu bannen. Der Hang und die Versuche zur Unterdrückung der andern Stände seitens des Adels blieb nicht nur bis, sondern lange nachdem die Unterdrückten zu einer Macht gelangt waren, welche sie in den Stand setzte, eine sehr empfindliche Rache zu üben, und dieser Zustand herrschte auf dem Kontinent noch vielfach zur Zeit der Französischen Revolution, während ihm in England die frühere und bessere Organisation der demokratischen Klassen durch Einführung gleicher Gesetze für alle und freie nationale Institutionen ein schnelleres Ende gemacht hatte.

Befindet man sich somit darüber in Unwissenheit, daß während der bei weitem größten Zeit der Existenz des Menschengeschlechtes das Recht des Stärkeren das anerkannte Gesetz für das allgemeine Verhalten war, während jedes andere nur als besondere und ausnahmsweise Folge speziell getroffener Übereinkommen betrachtet werden durfte, und daß die Ansprüche, daß die sozialen Angelegenheiten im großen und ganzen nach den Bestimmungen des Sittengesetzes geregelt werden sollen, erst von einer nicht sehr fern liegenden Epoche an datieren, so gibt man sich ebensowenig Mühe, sich zu erinnern oder darüber nachzudenken, daß Einrichtungen und Gebräuche, welche nie einen andern Grund und Ursprung hatten als das Recht der Gewalt, jetzt noch inmitten eines Jahrhunderts fortbestehen, dessen Ansichten und Denkweise ihre Einführung nimmermehr gestattet hätten. Es sind noch nicht vierzig Jahre her, daß es Englandern gesetzlich erlaubt war, menschliche Geschöpfe in Knechtschaft zu halten und als ihr verkaufbares Eigentum zu betrachten; noch in unserm Jahrhundert war es gestattet, Neger mit List oder Gewalt fortzuschleppen, zu verschachern, sie buchstäblich zu Tode zu hetzen. Dieses äußerste Extrem des Gesetzes der Gewalt, das selbst von denen verdammt wird, welche sonst jede andere Form der Gewaltherrschaft gutzuheißen vermögen, diese das Gefühl aller, welche sich auf einen unparteiischen Standpunkt stellen können, empörende Abscheulichkeit war noch so lange Gesetz im zivilisierten, christlichen England, daß viele der unter uns Lebenden sich dessen erinnern können, und in der einen Hälfte des anglosächsischen Amerika existierte vor drei oder vier Jahren nicht nur die Sklaverei, sondern der Sklavenhandel und die »Züchtung« von Sklaven zum Zwecke des Verkaufes gehörte zu den lebhaftesten kommerziellen Beziehungen, welche die Sklavenstaaten miteinander unterhielten. Ein solcher Zustand konnte so lange bestehen, obgleich nicht nur ein sehr starkes Gefühl dagegen vorherrschend war, sondern auch, wenigstens in England, sich eine weit geringere Summe der Vorliebe und des Interesses dafür erhob, als dies sonst bei andern gewohnheitsmäßigen Mißbräuchen der Gewalt der Fall zu sein pflegt, denn hier trat das Motiv – die krasse Habsucht – gar zu nackt und unverhüllt zutage, und diejenigen, welche von dem Mißbrauch Vorteil zogen, waren doch immer numerisch ein nur sehr kleiner Teil des Landes, während das natürliche Gefühl aller, die nicht persönlich dabei interessiert waren, nur der ungeteilteste Abscheu sein konnte. Das Anführen eines so extremen Beispiels macht es eigentlich überflüssig, noch andere herbeizuziehen; betrachten wir aber dennoch auch die lange Dauer der absoluten Monarchie. In England herrscht gegenwärtig fast durchgängig die Überzeugung, daß der Militär-Despotismus nichts als eine Form des Gesetzes der Gewalt sei und keinen andern Ursprung, keine andere Rechtfertigung als dieses habe, wogegen er in anderen europäischen Staaten noch existiert oder soeben erst zu existieren aufgehört hat und es noch in allen Schichten des Volkes und namentlich unter den Personen von Rang und Einfluß eine starke ihm günstig gesinnte Partei gibt. So groß ist die Macht eines bestehenden Systems selbst noch dann, wenn es durchaus nicht mehr universell ist, und obgleich es nicht allein in jeder Periode der Geschichte große und wohlbekannte Beispiele eines gegenteiligen Systems gegeben hat, sondern diejenigen Staaten, welche ein solches bei sich einführten, dadurch unveränderlich zu einem bedeutenden und berühmten Gemeinwesen gelangten. Ferner ist auch in diesem Falle der Inhaber der unbegrenzten Macht – derjenige, welcher direkt an dem System interessiert ist – nur eine Person, während alle übrigen als Untertanen eigentlich darunter zu leiden haben. Das ihnen aufgelegte Joch mußte naturgemäß und notwendigerweise für alle drückend und demütigend sein, mit Ausnahme dessen, der den Thron einnimmt, und dessen, welcher sein Nachfolger zu sein erwartet; und dennoch sahen und sehen wir, daß man dieses System nicht nur ganz natürlich findet, sondern ihm auch den Vorzug vor andern eingeräumt hat und vielleicht noch einräumt.

Wie verschieden sind indes die angeführten Beispiele von der Macht der Männer über die Frauen! Ich will die Frage jetzt noch gar nicht vom rechtlichen Standpunkt aus angreifen. Ich will nur zeigen, wie diese Herrschaft, selbst wenn sie sich durch gar nichts rechtfertigen ließe, doch der Natur der Sache nach eine viel permanentere werden mußte als die andern, welche dessenungeachtet bis zu unsern Zeiten herab gewährt haben. Die Genugtuung, welche die Ausübung der Macht dem Stolze gewährt, das persönliche Interesse, welches damit verbunden ist, beschränkt sich hier nicht auf einen einzelnen oder auf eine begrenzte Anzahl, sondern ist dem gesamten männlichen Geschlecht gemeinsam. Es handelt sich hier nicht um abstrakte Wünsche, nicht, wie bei politischen Bewegungen, um Errungenschaften, welche nur für die Führer eine bedeutendere persönliche Wichtigkeit haben, sondern es betrifft die Person und den häuslichen Herd jedes männlichen Familienhauptes wie jedes, der einmal ein solches zu werden gedenkt. Der niedrigste Tagelöhner übt sein Teil daran ebensogut oder gedenkt es auszuüben wie der Abkömmling des höchsten Adelsgeschlechtes. Der Wunsch nach Macht ist in diesem Falle um so stärker, als jeder, der nach Macht strebt, sie vor allen Dingen über die zu besitzen wünscht, welche ihm am nächsten stehen, mit denen er die meisten gemeinsamen Beziehungen hat, mit denen er sein Leben verbringt und bei denen jede Unabhängigkeit von seiner Autorität seinen Neigungen und Gewohnheiten störend in den Weg treten kann.

Sind schon die andern angeführten Beispiele einer auf Gewalt gegründeten Macht, deren Erhaltung soviel weniger im allgemeinen Interesse lag, nur langsam und mit den größten Schwierigkeiten zu beseitigen gewesen, um wieviel schwieriger muß es in diesem Falle sein, selbst wenn keine bessere Grundlage als für die andern vorhanden ist. Wir müssen dabei noch bedenken, daß die Machthaber in diesem Falle noch ganz andere Handhaben zur Niederhaltung jeder Auflehnung gegen sich besitzen, als in jedem anderen Verhältnis zu Gebote stehen. Die Unterdrückten leben jede unter den Augen und man könnte beinahe sagen in den Händen ihres Herrn, in engerer Gemeinschaft mit ihm als mit irgendeinem ihrer Mitgeschöpfe, ohne jegliches Mittel, sich gegen ihn zu verbünden, ohne die Macht, ihn selbst örtlich zu überwältigen, wohl aber mit den stärksten Motiven, seine Gunst zu gewinnen und alles zu vermeiden, was ihn aufbringen könnte. Es ist genugsam bekannt, wie oft in Kämpfen für politische Emanzipation die Führer durch Bestechung der Sache, welcher sie dienten, abwendig gemacht oder durch Drohungen eingeschüchtert worden sind. In der Frauensache ist jedes Individuum der unterdrückten Partei in einem chronischen Zustande der gleichzeitigen Bestechung und Einschüchterung. Eine große Anzahl der Anführerinnen und eine noch bei weitem größere Zahl derer, welche sich ihnen anschließen, mußten, indem sie die Fahne des Widerstandes entrollten, alle Freuden, alle Annehmlichkeiten, welche ihr individuelles Los ihnen bis dahin gewährt hat, beinahe vollständig zum Opfer bringen. Hat jemals ein System des Privilegiums und der gewaltsamen Niederhaltung sein Joch eng um die Nacken derer, auf welchen es lastet, geschlungen, so ist es dieses. Ich habe noch gar nicht bewiesen, daß es ein ungerechtes System ist; aber jeder, der imstande ist, über den Gegenstand nachzudenken, muß einsehen, daß, selbst wenn es ein solches war, es doch alle andern Formen ungerechter Autorität überdauern mußte. Und da, wie wir gesehen haben, einige der gröbsten Formen dieser ungerechten Autorität noch in mehreren zivilisierten Landern existieren und in andern soeben erst abgeschüttelt worden sind, so müßte es wunderbar zugehen, wenn diese bei weitem am tiefsten eingewurzelte Form irgendwo schon in einer bemerkenswerten Weise erschüttert sein sollte. Ein viel größeres Wunder scheint es im Gegenteil, daß sich dagegen schon so zahlreiche Proteste und Zeugnisse erhoben haben, wie dies in der Tat der Fall ist.

Man könnte den Einwand erheben, daß sich ein Vergleich zwischen der Herrschaft des männlichen Geschlechtes und den von mir angeführten Formen einer ungerechten Macht nicht wohl ziehen lasse, weil diese willkürlich und die Folge bloßer Usurpation waren, jene im Gegenteil natürlich sei. Aber gab es denn jemals eine Herrschaft, welche denen, die im Besitz derselben waren, nicht natürlich erschien? Es gab eine Zeit, wo die Teilung des Menschengeschlechtes in zwei Klassen, eine kleine der Herren und eine zahlreiche der Sklaven, selbst den gebildetsten Geistern ganz natürlich, ja als die einzige natürliche Bedingung für das Menschengeschlecht erschien. Kein Geringerer als der so enorm viel zum Fortschritt der Menschheit beitragende Aristoteles vertrat ohne Zweifel, ohne das geringste Schwanken diese Ansicht und basierte sie auf denselben Voraussetzungen, auf welchen die Behauptung der Notwendigkeit der Herrschaft der Männer über die Frauen gewöhnlich basiert wird, nämlich innerhalb des menschlichen Geschlechtes gäbe es verschiedene Naturen – freie Naturen und Sklaven-Naturen. Die Griechen hätten eine freie Natur, die barbarischen Rassen der Thrakier und Asiaten aber eine Sklaven-Natur. Doch weshalb brauche ich denn bis Aristoteles zurückzugehen? Stellten nicht die Sklavenhalter in den Südstaaten von Amerika ganz dieselbe Behauptung mit dem ganzen Fanatismus auf, mit welchem Menschen Theorien festhalten, die ihre Leidenschaften rechtfertigen und ihrem persönlichen Interesse Legitimität geben? Nahmen sie nicht Himmel und Erde dafür zu Zeugen, daß die Herrschaft des Weißen über den Schwarzen eine Einrichtung der Natur sei, daß die schwarze Rasse von Natur ganz unfähig für die Freiheit sei und das Zeichen der Knechtschaft in sich trage? Einige gingen in ihrem Eifer sogar so weit, zu behaupten, die Freiheit der Handarbeiter sei überhaupt eine naturwidrige Ordnung der Dinge.

Von der andern Seite erklärten auch die Anhänger der absoluten Monarchie dieselbe für die einzige natürliche Staatsform, hervorgegangen aus dem patriarchalen Verhältnis, welches die erste sich ganz freiwillig entwickelnde gesellschaftliche Form gewesen sei, denn sie sei auf der Familie basiert. Da aber die Familie die Grundlage für die Gesellschaft bilde, sei eine Staatsform, die sich auf sie zurückführen lasse, die allein naturgemäße. Ja selbst das Gesetz des Stärkeren hat für diejenigen, welche sich auf kein anderes berufen konnten oder wollten, immer als der natürlichste Grund für die Ausübung der Gewalt gegolten. Erobernde Völkerstämme fanden es stets ganz natürlich, daß die Unterworfenen den Siegern Gehorsam leisten mußten oder, wie sie es wohllautender umschrieben, daß der schwächere, unkriegerische Stamm dem tapferen, männlichen untergeben sei. Die oberflächlichste Bekanntschaft mit den Lebensverhältnissen des Mittelalters lehrt uns, wie außerordentlich natürlich dem feudalen Adel die von ihm über die niederen Stände ausgeübte Herrschaft erschien und wie unnatürlich und unerhört ihm der Gedanke war, eine Person aus diesen unteren Schichten könne Gleichstellung mit ihm beanspruchen oder gar über ihn zur Herrschaft gelangen. Und nicht bloß die herrschenden Klassen huldigten dieser Ansicht, sie war bei den unterdrückten nicht weniger verbreitet. Die sich emanzipierenden Leibeigenen und Bürger erhoben selbst in ihren heftigsten Kämpfen keinen Anspruch darauf, an der Herrschaft teilzunehmen, sondern verlangten nur eine größere oder geringere Einschränkung der sie tyrannisierenden Macht. Aus diesen Beispielen geht hervor, daß man unnatürlich gewöhnlich das nennt, was ungewöhnlich ist, und daß alles, was hergebrachte Gewohnheit ist, auch natürlich erscheint. Die Unterjochung der Frauen durch die Männer ist eine universelle Gewohnheit[1q], jedes Abweichen davon erscheint konsequent unnatürlich. Einer reicheren Erfahrung bleibt es jedoch nicht verborgen, wie selbst in diesem Falle das Gefühl gänzlich abhängig von der Gewohnheit ist. Die Völker, welche in entfernten Teilen der Erde leben, setzt, wenn sie von den Einrichtungen Englands hören, nichts so sehr in Erstaunen, als daß es unter dem Zepter einer Königin steht; die Sache scheint ihnen so unnatürlich, daß sie unglaublich klingt; dem Engländer dagegen erscheint dies nicht im geringsten unnatürlich, weil er daran gewöhnt ist, wohl aber findet er es unnatürlich, daß Frauen Soldaten oder Parlamentsmitglieder sein sollen. In den feudalen Jahrhunderten hielt man im Gegenteil wieder Krieg und Politik gar nicht für so unnatürlich für Frauen, weil es eben nicht ungewöhnlich war, daß sie sich damit beschäftigten. Es schien natürlich, daß die Frauen der bevorzugten Klassen von männlichem Charakter waren und ihren Gatten und Vätern in nichts als in der körperlichen Kraft nachstanden. Den Griechen scheint die Unabhängigkeit der Frauen weniger unnatürlich vorgekommen zu sein als allen andern Völkern; dafür spricht wenigstens die Mythe von den Amazonen, welche sie für historisch hielten, und das Beispiel der Spartanerinnen, welche, obschon sie von dem Gesetz ebensosehr eingeengt waren wie die Frauen der andern griechischen Staaten, doch tatsächlich viel mehr Freiheit besaßen, und die, da sie unter denselben körperlichen Übungen wie die Männer aufwuchsen, den stärksten Beweis lieferten, daß sie von Natur durchaus nicht ungeeignet dafür waren. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß die an Sparta gemachten Erfahrungen Platon bestimmten, unter vielen andern Lehrsätzen auch den von der politischen und sozialen Gleichheit der beiden Geschlechter aufzustellen.

Es wird mir der Einwand gemacht werden, die Herrschaft der Männer über die Frauen unterscheide sich ja von jeder andern eben dadurch, daß sie keine Herrschaft der Gewalt sei, sondern freiwillig angenommen werde; die Frauen beklagen sich nicht darüber, sondern geben vielmehr jede einzeln ihre Zustimmung dazu. Zuvörderst gibt es eine große Anzahl von Frauen, die sie nicht annehmen. Von dem Augenblicke an, wo Frauen sich fähig fühlten, ihre Gefühle und Gedanken durch ihre Schriften zu verkünden (der einzige Weg der Öffentlichkeit, der ihnen von der Gesellschaft gestattet ist), hat eine sich immer vergrößernde Zahl derselben gegen ihre jetzige soziale Stellung Protest erhoben, und ganz kürzlich erst haben viele Tausende von Frauen, und an ihrer Spitze die bedeutendsten, welche die Öffentlichkeit kennt, eine Petition um Gewährung des Stimmrechtes an das Parlament gerichtet. Der Anspruch auf eine ebenso gründliche Ausbildung und in denselben Zweigen des Wissens, wie sie dem Manne zugänglich ist, wird von den Frauen immer nachdrücklicher und mit immer größerer Aussicht auf Erfolg betont, und ebenso wird die Forderung ihrer Zulassung zu ihnen bisher verschlossenen Gewerben und Beschäftigungen von Jahr zu Jahr lauter und dringender. Haben wir in England auch noch nicht wie in den Vereinigten Staaten von Amerika periodische Zusammenkünfte und eine organisierte Partei zum Zwecke der Agitation für die Rechte der Frauen, so gibt es doch einen zahlreichen und rührigen Verein, der von Frauen gebildet und von ihnen geleitet ist, in der eingeschränkteren Absicht, die politische Freiheit zu erlangen. Und nicht bloß in England und Amerika beginnen Frauen mehr und mehr gemeinschaftlich gegen die Übelstände, unter denen sie leiden, zu protestieren. In Frankreich, Italien, Deutschland, der Schweiz, Rußland zeigen sich ganz dieselben Erscheinungen. Wie viele Frauen außerdem dieselben Wünsche hegen, sie aber nicht aussprechen, läßt sich nicht annähernd schätzen; aber es sind Anzeichen genug vorhanden, daß ihre Zahl eine sehr große ist und daß sie sich ins Unendliche vermehren würde, lehrte man die Frauen nicht von Kindheit an, sie als ungeziemend für ihr Geschlecht zu unterdrücken.

Bedenken wir, daß geknechtete Klassen nie mit einem Male vollkommene Freiheit forderten. Als Simon von Montfort die Deputierten der Nichtadligen zum ersten Male berief, damit sie ihre Sitze im Parlament einnähmen, ließ einer von ihnen sich da im Traum einfallen, zu verlangen, daß eine von ihren Vollmachtgebern gewählte Versammlung Ministerien schaffen und zerstören und Königen in Staatsangelegenheiten Vorschriften machen solle? Nicht dem Ehrgeizigsten kam ein solcher Gedanke. Der Adel hatte bereits diese Prätention, die Nichtadeligen beanspruchten nichts, als vor willkürlicher Besteuerung und vor groben persönlichen Bedrückungen seitens der königlichen Beamten gesichert zu sein. Es ist ein politisches Naturgesetz, daß diejenigen, welche sich seit langer Zeit unter irgendeiner Gewalt oder Herrschaft befinden, niemals damit beginnen, daß sie sich über die Herrschaft selbst beklagen, sondern nur über die drückende Ausübung derselben; und es fehlt wahrlich nicht an Frauen, die sich über schlechte Behandlung seitens ihrer Männer beschweren. Es würde dies sicher von einer noch viel größeren Menge geschehen, wenn Beschwerden nicht die größte Provokation zur Wiederholung und Steigerung der schlechten Behandlung wären. Dieser Umstand ist es, an dem alle Versuche scheitern, die Macht zu behalten, aber die Frauen gegen den Mißbrauch derselben zu schützen. In keinem andern Verhältnisse – außer noch dem des Kindes zum Vater – wird die Person, welche erwiesenermaßen ein Unrecht erlitten hat, wieder in die Gewalt dessen gegeben, der ihr dasselbe zugefügt. Es ist daher ganz selbstverständlich, daß Frauen oft lieber die schwersten Mißhandlungen dulden als die Gesetze zu ihrem Schutze anrufen, und daß sie, wenn sie dies in einem Moment der unüberwindlichen Empörung oder auf Zureden der dazwischen getretenen Nachbarn wirklich getan, sich später ängstlich bemühen, soviel wie irgend möglich zu vertuschen und ihre Tyrannen von der verdienten Strafe loszubitten.