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Gesammelte Werke Josef Ruederers E-Book

Josef Ruederer

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Beschreibung

Diese Sammlung der Werke von Josef Ruederer, des berühmten deutschen Schriftstellers enthält: Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara Der strohblonde Augustin, der brennrote Kilian und die sittliche Weltordnung Münchener Satiren Auf drehbarer Bühne Festspiel zur Einweihung des Münchener Prinzregenten-Theaters Der Hohe Schein Ein prähistorischer Epilog aus alten Urkunden gesammelt Wagalaweia Eine musikalische Studie mit unmusikalischen Glossen Das Erwachen Peppi Großvater und Großmutter Die Gaigls. Der Gankoffen Das 'e' Das 'y' Prangerl Das Quartett Der schwarze Ritter Gedankenfreiheit Zum Neunzigsten Fasching und Völkerlenz Das Grab des Herrn Schefbeck Eine Münchner Geschichte Die Fahnenweihe Die Morgenröte Prinz Dschem

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhaltsverzeichnis
Gesammelte Werke Josef Ruederers
Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten
Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara
Sein Verstand
Der strohblonde Augustin, der brennrote Kilian und die sittliche Weltordnung.
Josef Ruederer
Münchener Satiren
(1907)
Inhalt:
Auf drehbarer Bühne
Festspiel zur Einweihung des Münchener Prinzregenten-Theaters
Mitwirkende:
Beginn der Komödie:
Erstes Bild
Zweites Bild
Drittes Bild
Viertes Bild
Fünftes Bild
Sechstes Bild
Siebentes und letztes Bild
Der Hohe Schein
Ein prähistorischer Epilog aus alten Urkunden gesammelt
Wagalaweia
Eine musikalische Studie mit unmusikalischen Glossen
Das Erwachen
Ein Münchner Roman bis zum Jahre 1848
Erstes Kapitel.
Peppi.
Zweites Kapitel.
Großvater und Großmutter.
Drittes Kapitel.
Die Gaigls.
Viertes Kapitel.
Der Gankoffen.
Fünftes Kapitel.
Das »e«.
Sechstes Kapitel.
Das »y«.
Siebentes Kapitel.
Prangerl.
Achtes Kapitel.
Das Quartett.
Neuntes Kapitel.
Der schwarze Ritter.
Zehntes Kapitel.
Gedankenfreiheit.
Elftes Kapitel.
Zum Neunzigsten.
Zwölftes Kapitel.
Fasching und Völkerlenz.
Josef Ruederer
Das Grab des Herrn Schefbeck
Eine Münchner Geschichte
Die Fahnenweihe
Eine Komödie in drei Akten
Verzeichnis der handelnden Personen:
Beschreibung der handelnden Personen:
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Josef Ruederer
Die Morgenröte
Eine Komödie aus dem Jahre 1848
Personen:
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
Prinz Dschem
Tragikomödie

Josef Ruederer

Gesammelte Werke Josef Ruederers

Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten

AdolfundElse Thammin herzlicher Freundschaft

München, Neujahr 1899

Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara

Der Pfarrer von Sankt Leonhard trat jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche der heiligen Barbara hinüber, und der Pfarrer von Sankt Barbara trat gleichfalls jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche des heiligen Leonhard hinüber.

Dabei rauchte der Pfarrer von Sankt Leonhard gewöhnlich eine Pfeife und sah ganz behaglich vor sich hin, der von Sankt Barbara aber rauchte keine Pfeife und sah ganz giftig vor sich hin. Und da die beiden großen Ortschaften mit ihren blitzblanken Häusern und Gärten so dicht ineinander gebaut waren, daß kein Fremder wußte, wo Sankt Leonhard aufhörte und Sankt Barbara anfing, konnten sich die hochwürdigen Herren zur selben Stunde jedesmal ganz gut erblicken. Ihre Pfarrhöfe ragten auf leichten Anhöhen mit den großen Kirchen über alle Häuser hinweg und lagen sich fast auf Rufweite gegenüber.

Aber weder dem einen noch dem andern fiel es ein, sich je einen Gruß zuzusenden.

Sie blieben eine Weile stumm am Fenster stehen und schauten über die beiden Gemeinden hin, die den blauen Rauch ihrer Herde einträchtig zusammenbliesen; dann verschwanden sie wieder, der Pfarrer von Sankt Leonhard mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, der Pfarrer von Sankt Barbara mit zusammengezogenen Augenbrauen und einigen Flüchen, die aber so leise gemurmelt wurden, daß sie der etwas vorlaute Kanarienvogel auf dem Studiertische nicht einmal vernehmen konnte.

Das ging nun schon eine ganz geraume Zeit, und die beiden Schutzheiligen der ehrenwerten Dörfer mochten wissen, wie's gekommen war und wann's wieder enden werde.

»Meinetwegen kann's ruhig so weiter dauern,« sagte der Pfarrer von Sankt Leonhard, wenn er wieder durch sein Zimmer schritt, der von Sankt Barbara aber ließ die knochige Fäuste aneinanderkrachen und dachte in seinem faltigen Lehnstuhl jener schönen, einträglichen Zeiten, wo Barbarer und Leonharder mit ihren Schutzheiligen noch gemeinsam die Wallfahrt bestellten.

Ein bittres Lächeln zog um seine Lippen, als er sich sagte, daß es nun damit für immer vorbei war.

»Diese abergläubische Masse, diese Esel, die sich so an der Nase herumführen lassen!«

Die Esel waren in seinen Augen die Einwohner von Sankt Leonhard, und der sie an der Nase herumführte, das sollte ihr rotbackiger Pfarrer sein, der alle Tage so spöttisch herübergrinste.

Hätte der behäbige Herr mit dem doppelten Kinn und den pfiffigen Augen die bösen Worte seines Nachbarn hören können, er wäre schwerlich aus seiner Ruhe herausgegangen, sondern hätte höchstens die Achseln gezuckt:

»Abergläubisch! Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Möchte wissen, wieso die in Sankt Barbara gescheidter sind als die meinigen. Und was das betrifft mit dem Herumführen an der Nase – mein Gott und Vater, da soll mir doch der Herr Kollege weiter nichts vorwerfen, er weiß schließlich auch, wie's gemacht wird.«

Dann wäre er wieder durchs Zimmer geschritten und hätte einen tüchtigen Zug aus seiner Pfeife gethan.

Der hagere Pfarrer von Sankt Barbara aber, der eine gründliche Aussprache schon lange vergeblich herbeisehnte, wäre vom Stuhle gesprungen und hätte auf den Tisch geschlagen, daß der gelbe Kanarienvogel von einem Käfiggitter zum andern geflattert wäre:

»Ich muß mich verwahren gegen eine solche Beschuldigung! Wir wirken da herüben keine so merkwürdigen Wunder mit Ketten und Hirtenstäben, wie Sie da drüben beim heiligen Leonhard.«

Sein Amtsgenosse, immer ruhig und gemütlich, hätte ihn wohlwollend auf die heilige Barbara verwiesen, die einmal in grauer Vorzeit dem armen Geigerlein ihren Schuh zugeworfen habe.

»Bitte sehr, das ist historisch erwiesene Thatsache,« hätte der Pfarrer von Sankt Barbara voll heiligem Eifer geschrieen.

»Ach, was ist denn historisch erwiesen? die Leute von Sankt Kümmernis behaupten von ihrer Schutzheiligen, sie sei es gewesen.«

»Und die Leute von Kühzackel behaupten, daß ihr heiliger Leonhard einen noch kräftigeren Wunderstab besitze, als der eure.«

Unwillkürlich wäre dem dicken Pfarrer das Lachen gekommen.

»Na, so lassen Sie's schwatzen,« hätte er gesagt. »Jedenfalls zieht unser heiliger Leonhard besser als der von Kühzackel und . . . auch besser als die heilige Barbara. Er heilt nicht nur das liebe Hornvieh, nein, er beschwört den Unglauben und alle Verstocktheit, ja, in letzter Zeit hat sich sogar herausgestellt, daß er gegen die Unfruchtbarkeit der Frauenzimmer ausgiebig zu helfen weiß. Mehr kann man doch wahrhaftig nicht verlangen.«

Der Pfarrer von Sankt Barbara hätte zu jedem Worte mit dem Kopf genickt:

»Nein, mehr kann man nicht verlangen in Ihrem heiligen Leonhard! Aber Sie werden mir zugestehen müssen, daß er diese Wunderkraft erst dann an sich entdeckte, als er sich von unserer Barbara in unverantwortlicher Weise getrennt hat.«

Ein listiges Augenzwinkern wäre die Antwort gewesen:

»Pfeift der Wind aus dem Loch? Na, da nehmen Sie sich gefällig selber bei der Nase, und fragen Sie sich, warum sich der heilige Leonhard nicht mehr mit der heiligen Barbara einlassen will.«

Wie ein Geier wäre der Diener der schwerbeleidigten Heiligen auf seinen Gegner losgegangen:

»Sie haben das Band zerrissen, das unsere Heiligen verknüpfte. Sie haben den Unfrieden gestiftet, ja, leugnen Sie's nur nicht. Jahrhundertelang hielten unsere Gemeinden im besten Glauben zusammen, jahrhundertelang gingen sie Hand in Hand auf die Wallfahrt, das einemal mit der heiligen Barbara zum heiligen Leonhard hinüber, das andremal mit dem heiligen Leonhard zur heiligen Barbara herüber – und jetzt? Jetzt schaut kein Hund mehr den andern an, jetzt werden die Häuser angezündet, jetzt wird gerauft an allen Sonntagen, daß die Haare davon fliegen, jetzt wächst die Zahl der unehelichen Kinder ins Maßlose . . .«

Weiter wäre er in seiner übersprudelnden Rede nicht mehr gekommen, denn der gemütliche Pfarrer von Sankt Leonhard hätte ihn hier mit unbändigem Gelächter unterbrochen:

»Die unehelichen Kinder! Ich bitte Sie! Die hat's doch immer bei uns gegeben.«

»Nicht in dieser erschreckenden Weise, wie seit dem Tage der gewaltsamen Trennung des heiligen Leonhard von der heiligen Barbara.«

»Ah bah! Schauen Sie doch die sechs Töchter vom Lebzelter Zachen an! Jede hat ihr Kind, keine hat einen Mann.«

»Diese sauberen Mädchen gehören auch zu Ihrer Gemeinde, Hochwürden.«

»Und ihre sämtlichen Liebhaber zu der Ihrigen, Herr Pfarrer von Sankt Barbara. Kommt also alles auf eines heraus.«

»Oho – oho!«

»Aber natürlich! die Hauptsache bleibt immer, daß die Leute an etwas glauben und fleißig in die Kirche gehen.«

»Wenn die Leute keine Moral mehr haben, dann gehen sie auch nicht mehr in die Kirche.«

»Doch wohl nur in Sankt Barbara?« hätte der dicke Pfarrer spöttisch entgegnet. »Bei mir wenigstens kann ich durchaus nicht klagen, und es wird ja auch Ihnen bekannt sein, daß unser vielgeliebter, heiliger Leonhard die Trennung von der heiligen Barbara im allgemeinen recht gut überstanden hat.«

Dagegen konnte der andere nichts vorbringen, denn daß der heilige Leonhard in der ganzen Umgegend ebenso an Ansehen stieg, als die heilige Barbara an Kredit verlor, bildete ja seinen eigentlichen Grimm gegen den aufblühenden Nachbarort.

»Stimmt, stimmt auffallend,« hätte er verbissen zur Antwort gegeben, »aber bedenken Sie das eine, daß dieser gewaltsame Bruch des Seelenbundes der beiden Heiligen einen ungeheuren Frevel an Gott bedeutet, den Sie auf dem Gewissen haben, Sie ganz allein.«

Jetzt wäre der dicke Pfarrer zum Schlusse fast noch tüchtig grob geworden.

»Ich bedank' mich für Ihre hirnverbrannten Zumutungen! Wissen Sie, wer schuld ist an dem zerrissenen Seelenbund der heiligen Barbara und des heiligen Leonhard? Euer miserables Bier und gar nichts anderes! Wir können uns das schon mal eingestehen, da wir gerade so gemütlich beisammen sind. Hätte dieser Gauner, der Katzenbräu, einen besseren Tropfen für die Wallfahrer gebraut – der heilige Leonhard käme nach wie vor zu seiner Barbara herüber. Statt dessen hat der Kerl einen Sudel verzapft, den der Teufel saufen mochte, aber kein ehrsamer Bittbruder von uns herüber.«

Und mit einem sehr entschiedenen: »So, jetzt wissen Sie's wenigstens,« hätte er dem immer noch kampfbereiten Gegner das breite Hinterteil zugekehrt.

Möglich, daß er sich an der Thüre noch einmal umgedreht hätte, um in spöttischem Tone zu bemerken, daß es der heiligen Barbara im übrigen ja vollkommen freistehe, mit ihrem goldenen Schuh gerade so viele Wunder zu wirken, wie der heilige Leonhard.

Dann aber wäre er sicher gegangen und hätte den Kollegen mit seinen Gedanken allein gelassen, die gerade nicht die rosigsten waren.

Das verdammte Bier des elenden Katzenbräu!

Zähneknirschend mußte sich Sankt Barbaras Seelenhirte eingestehen, daß es bei der letzten Wallfahrt das einzige, dafür aber um so durchschlagendere Wunder gewirkt hatte. Die Leonharder, die sich sonst in aller Demut bei den frommen Übungen die Kniee wund drückten, liegen die ganze Nacht mit abscheulichem Bauchgrimmen herum, um andern Morgen aber packten sie voll tiefer Entrüstung ihren Schutzpatron wieder zusammen und zogen von dannen, indem sie sich hoch und theuer verschworen, in ihrem ganzen Leben nie wieder die heilige Barbara mit ihrem Wunderschuh und ihrem elenden Bier zu besuchen.

Eine so bitterböse Drohung hatte man zuerst allenthalben für eine höchst bedenkliche Gotteslästerung, aber keineswegs für bare Münze genommen.

Vor allem war es der Katzenbräu selbst, der einige besorgte Gemüter durch die tröstliche Versicherung beruhigte, daß die dummen Leonharder das nächstemal ja doch wiederkämen. Hätten sie das Bier bis jetzt geduldig getrunken, würden sie's auch in Zukunft trinken.

Allein diesmal vertraute er seinem zweifelhaften Stoffe und der Langmut der frommen Pilger doch etwas zu viel; die Leonharder hielten Wort und kamen wirklich nicht wieder.

Zwar duldeten sie stillschweigend, daß die verhaßten Nachbarn mit ihrer Schutzpatronin noch einmal den üblichen Gegenbesuch abstatteten und sich's im Dorfe bequem machten. Übler vermerkten sie's schon, als die heilige Barbara zum heiligen Leonhard in die Kirche gebracht wurde, denn dort durfte sie der frommen Sitte gemäß immer eine ganze, lange Nacht bleiben.

Und diese Nacht kam den Leonhardern diesmal wie eine Ewigkeit vor. Sie waren eifersüchtig auf ihren Heiligen und wollten vor allem der Barbara nicht mehr recht trauen.

Ununterbrochen gingen sie vor der Kirche spazieren, und als endlich der Tag graute, rissen sie mit herausfordernden Mienen die Thüren auf, um sich zu überzeugen, daß ihm wirklich nichts zugestoßen war.

Aber auch sonst entbehrte diese letzte Wallfahrt des innigen Zuges, der dies bedeutsame Fest der gegenseitigen Vereinigung in früheren Tagen ebenso erhebend als erfolgreich gestaltet hatte.

In der Kirche, bei den Prozessionen, bei den Opferungen wurden die Barbarer von allen Einheimischen gemieden, und im heiligen Walde, wo sonst immer Männlein und Weiblein einträchtig kampiert hatten, ließ sich, trotz einer köstlichen Sommernacht, außer einigen Eidechsen kein lebendes Wesen aus Sankt Leonhard erblicken.

Sankt Barbaras Pilger mußten die traurige Entdeckung machen, daß die Zeit des trefflichen Einvernehmens ihrem Ende nahe. Sie wurden schon am zweiten Tage mit feindseligen Redensarten verfolgt und bekamen in manchen Wirtschaften den stärkenden Gerstensaft nur mit bissigen Vergleichen vorgesetzt. Ja, der Lebzelter Zachen, der den köstlichsten Meth und die bestgeweihten Kerzen in großen Holzbuden vor der Kirche feilhielt, verbot seinen Töchtern sogar, von seiner weitberühmten Ware nur das geringste zu verkaufen, wenn so ein Barbarer davon verlangen sollte.

Diesem Verbote fügte er noch eine ausgiebige Maulschelle bei, als seine jüngste Tochter eben dem einzigen Sohne des verrufenen Katzenbräu den heiligen Leonhard in Gestalt eines buntgefärbten Lebkuchens heimlich zustecken wollte.

»Aber, es ist doch sein Namenspatron,« schluchzte das Mädchen.

»Alles wurscht,« knurrte der Alte. »Deine Namenspatronin ist auch die heilige Barbara, und du kommst doch so wenig mit dem saubern Katzenbräu-Leonhard im Leben wieder zusammen, als die Barbara mit unserm heiligen Leonhard je wieder zusammen kommt.«

»Ist das Euer letztes Wort?« fragte der Bursche, der kleinlaut daneben stand.

»Mein letztes Wort!« sagte der Zachen. »Und nun habt ihr höchste Zeit, daß ihr eure Heilige mit dem goldenen Wunderschuh dahin tragt, wohin sie gehört.«

Der Bursche merkte, daß jeder Widerspruch vom Übel gewesen wäre. Er gab der Barbara zum letztenmal die Hand und trocknete sich mit der andern die hervorquellenden Thränen. Dann warf er einen scheuen Blick auf den Alten, einen wehmütigen auf das weinende Mädchen und schlich mit offenem Munde zur Kirche.

Da stand die heilige Barbara noch immer auf dem blumengeschmückten Hochaltare neben dem heiligen Leonhard. Sie hatte offenbar keine Ahnung von der bevorstehenden Trennung, sondern schaute mit ihren gläsernen Puppenaugen ohne jede Erregung zu ihrem bartlosen Wundergenossen hinüber.

Dem schien die Sache diesmal nicht mehr recht geheuer. Er hatte seinen Hirtenstab an die linke Schulter gelehnt und zog die Augenbrauen so hoch, als kenne er sich vor lauter Staunen gar nicht mehr aus. Beide Hände aber streckte er mit den Flächen etwas nach auswärts wie einer, der nicht recht weiß, was er sagen soll und deshalb sehr verlegen ist.

Vielleicht wunderte er sich auch über die eisernen Ketten, die ihm um die Handgelenke geschlungen waren, denn diese waren ihm bei früheren Besuchen der heiligen Barbara jedesmal abgenommen worden.

Bei der jetzigen Wallfahrt hatten es seine Schutzbefohlenen nach reiflicher Überlegung indessen für vorteilhafter befunden, sie an jener Stelle zu lassen, wo sie der heilige Leonhard jahraus, jahrein mit der Geduld frommer Hirten und christlicher Märtyrer zu tragen pflegte.

Das ganze Dorf setzte zwar in die Charakterstärke seines Schutzpatrons das größte Zutrauen, aber sicher ist sicher, sagten die Leonharder ohne Erbarmen – schließlich hatten sogar Heilige schon ihre schwachen Stunden gehabt.

Und das war's, was die Leute von Sankt Barbara von allen Schändlichkeiten am tiefsten beleidigte: die Ketten verziehen sie nicht.

»Die heilige Barbara hat gar keine Angst gehabt,« sagten sie spöttisch, und mit dem frevelhaften Wagemute jener Leute, denen alles gleich ist, weil sie schon alles verloren haben, verstiegen sie sich sogar zu der Behauptung, daß da schon ein ganz andrer kommen müßte, als dieser dünnbeinige Leonhard, wenn er der Heiligen ein bischen gefallen sollte.

Unter solchen Reden luden sie ihre Schutzpatronin wieder auf die kleine Tragbahre und zogen ins Dorf hinüber, zwei rote Fahnen und den langgestreckten Pfarrer an der Spitze.

Der geistliche Herr blickte wütend um sich und leierte in sehr gereiztem Tone ein Vaterunser nach dem andern ab, während der Chor mit noch zornigerem Geschrei beim Ave Maria pünktlich einfiel.

Am giftigsten betete der alte Katzenbräu, gleich hinter der Tragbahre, denn daß die Leonharder von jetzt an nie mehr ihren Heiligen auch nur auf eine Stunde der Barbara überlassen würden, das war wohl allmählich dem dümmsten klar geworden.

»Das Techtel Mechtel mit des Zachen Tochter hat jetzt ein Ende,« sagte er zu seinem Sohne, der neben ihm schritt.

»Aber, Vater . . . .«

»Nichts da, die soll mit ihrem Bankert elend in Schimpf und Schande sitzen bleiben. Das gönn' ich dem weißhaarigen Spitzbuben.«

Und drüben in Sankt Leonhard rief am selben Abend der Lebzelter Zachen seine sämtlichen Töchter zusammen und erklärte mit greulichen Flüchen, lieber sechs uneheliche Enkel von Zigeunern und böhmischen Musikanten bekommen zu wollen, als einen rechtmäßigen vom Sohne des Katzenbräu.

Damit war die Feindschaft zwischen den Dörfern für immer besiegelt. Was der Zachen und der Katzenbräu thaten, thaten auch andere, und wer weder Söhne noch Töchter hatte, der warf Fenster in Scherben oder stellte dem Nachbarn ein Bein, daß er sich die Nase auf der Erde breitschlug. Konnte man aber einmal den Thäter nicht finden, dann schrieen beide Dörfer wie aus einem Munde:

»Das hat natürlich wieder so ein elender Kerl von da drüben gethan.«

So verbissen sie sich immer fester, wie zwei Raubtiere, die sich tüchtig gepackt haben und nicht mehr loslassen wollen.

Die beiden Schutzheiligen aber sahen unbeweglich auf den Spektakel herunter und rührten sich nicht.

Da – eines Sonntags wurde es dem heiligen Leonhard doch zu dumm. Er warf seine Ketten samt dem Hirtenstab auf die Altarstufen, wo sie der alte Meßner am frühen Morgen fand.

Das hatte gerade noch gefehlt.

»Ein Wunder, ein himmlisches Wunder!« schrieen die Leonharder ganz begeistert und warfen sich auf die Erde.

»Ein Schwindel, ein heilloser Schwindel!« antworteten die Barbarer und warfen die Fenster ein.

Aber es half ihnen nichts. Die Leonharder ließen Stab und Ketten vier Wochen lang auf der gleichen Stelle liegen, sie beteten die Wunderdinge an, sie setzten sie unter einen Glassturz und zeigten sie jedem, der sie sehen wollte.

Das waren nicht wenige. Aus der ganzen Umgegend kamen die Bauern herbeigezogen, schwere Stöcke in der Rechten, schwere Geldbeutel in der Tasche. Alles, was einst mit den beiden Dörfern zur Wallfahrt gegangen war, ging jetzt nur noch zum heiligen Leonhard, der so herrliche Wunder vollbringen konnte.

Als guter Geschäftsmann konnte der Katzenbräu einen kleinen Überschlag machen, was da verdient wurde, und die Barbarer zählten vor ihrer Heiligen an sämtlichen Knöpfen ihrer Rosenkränze wie Schulkinder auf der Rechentafel mit, indem sie die unbescheidene Frage stellten, ob sich ihre verlassene Schutzpatronin nicht auch mal zu einem kleinen Wunder entschließen könne.

Der bleiche Pfarrer hingegen sah jeden Morgen immer ungeduldiger zum Fenster hinaus, ob denn diese Stätte frivolen Aberglaubens noch nicht von der Erde getilgt sei. Statt dessen erblickte er fortwährend das rundliche Gesicht seines Kollegen und die stattliche Kirche, die die Leonharder funkelnagelneu angestrichen hatten, um sie den zahllosen Fremden in vollstem Glanz zu zeigen.

Solch blendenden Wohlstand konnte er nicht mehr vertragen, und deshalb erklärte er eines Tages mit donnernder Stimme von der Kanzel herunter, daß der heilige Leonhard seine Ketten nur deshalb abgeworfen habe, um seiner sündigen Gemeinde ein sichtbares Zeichen zu geben, wie sehr es ihn nach der heiligen Barbara verlange, von der man ihn freventlich getrennt hätte.

»Meinen Sie wirklich?« hätte der Pfarrer von Sankt Leonhard mit spöttischem Aufblicke zur Kanzel gefragt, wenn er diese schöne Predigt gehört hätte.

Die Barbarer aber fragten nicht lange, sondern stimmten mit frenetischem Jubel in den Ruf ihres Hirten ein:

»Ein Wunder war's, ein himmlisches Wunder!«

»Na, weil ihr's nur selber glaubt,« lachten die Leonharder.

So hatten es die Barbarer freilich nicht gemeint. Als schreckliches Wahrzeichen, als letzte Warnung von oben wollten sie das plötzliche Wunder nehmen. Dem heiligen Leonhard Waren seine Ketten nicht abgenommen worden, deshalb warf er sie selbst herunter, um seinen Schutzbefohlenen zu zeigen, daß man einem Heiligen niemals Gewalt anthun dürfe.

Die undankbaren Leonharder wollten diese Auffassung leider gar nicht verstehen. Nach wir vor strichen sie ganz gelassen das Geld in die Taschen, und es fiel ihnen nicht im Schlafe ein, den heiligen Leonhard noch einmal zur heiligen Barbara herüber zu tragen, nach der es ihn gar so gelüsten sollte.

Als sich nun die Barbarer in ihren besten Absichten so schändlich verkannt sahen, schluckten sie alle zarten Regungen energisch hinunter und erklärten von jetzt an jeden Leonharder kurzweg für vogelfrei.

Die Prügel fielen immer dichter, die Glaser wurden wohlhabende Leute, und auch die Bader verdienten ihr Geld.

An diesem heiligen Kampfe mitzuwirken, war Ehrensache für jeden rechtschaffenen Barbarer geworden. Alle mußten dabei sein, und wer nicht mitthat, der wurde über die Achsel angesehen wie ein pflichtvergessener Soldat.

So ging es bald dem verschlafenen Katzenbräu-Sohne, denn einem Leonharder Mädel nachzujammern, das war schon das dümmste, was sich ein tapferer Barbarer augenblicklich vorstellen konnte. Hatten doch auch die sämtlichen Liebhaber der fünf übrigen Töchter des Zachen ohne große Gewissensbisse eine lange Nase hinübergedreht und die Sorge für die Kinder dem wackern Lebzelter überlassen.

Der Leonhard that das nicht. Er war aus weicherem Holze geschnitzt, und so klagte er denn in der Einsamkeit herum, wobei er nicht wußte, wen er tiefer bedauern sollte, sein armes Mädel oder ihre Schutzpatronin, die heilige Barbara.

»Was macht denn der heilige Leonhard?« fragte er, als er mit Barbara einmal zufällig vor dem Dorfe zusammentraf.

Das Mädchen zog ihr rotes Kopftuch noch tiefer in die Stirne, um ja nicht erkannt zu werden.

»Schlecht geht's ihm,« antwortete sie traurig.

»Nicht wahr?« sagte er mit grausamer Genugthuung. »Ja, ja, der arme Kerl kann's halt nicht mehr aushalten.«

»Und die heilige Barbara?« fragte sie langsam.

»Der geht's genau so,« rief er trotzig. »Ist denn das aber auch anders möglich bei so einer Behandlung? Wenn ich daran denke,« fuhr er fort, »wie das früher schön war bei den Wallfahrten! Der heilige Leonhard war bei der heiligen Barbara, und wir zwei waren auch beisammen. Aber jetzt . . .«

Er sah sich vorsichtig um, ob niemand sie beobachtete. Dann wollte er sie umfassen.

»Hör' auf,« sagte sie. »Wenn das der Vater sieht.«

»Ist er noch grad' so?« fragte er.

»Mein Gott,« sagte sie. »Der läßt die heilige Barbara nie mehr zum heiligen Leonhard.«

»Und der heilige Leonhard?« fragte er wieder. »Läßt der sich das gefallen?«

»Ja, das weiß doch ich nicht,« sagte das Mädchen mit einem Seufzer. »Weißt du's vielleicht,« fragte sie leise, »ob er nicht doch einmal wieder zur heiligen Barbara kommt?«

Der Bursche wußte ihr keine Antwort zu geben, aber er versprach, die Sache bedenken zu wollen.

Zu Hause angelangt legte er den Finger an den Kopf und ging in seiner Stube umher.

Diese ungewohnte Arbeit strengte ihn jedoch außerordentlich an und hatte obendrein gar keinen Zweck. Denn, wie er sein Hirn auf marterte, er fand keinen andern Ausweg, als daß man eben die Heilige hinüber oder den Heiligen herüber tragen müßte, und das war ein Unternehmen, bei dem man die fürchterlichsten Prügel zu riskieren hatte.

Immerhin wäre es eine hohe That gewesen, die die beiden Heiligen gewiß mit wohlgefälligem Lächeln aufgenommen hätten. Sein Namenspatron hatte ja schon ein ermutigendes Zeichen gegeben, indem er die Ketten abwarf, also bekam auch der Bursche etwas mehr Zuversicht. Er ging in das Nachbardorf hinüber, und weil er vom Gesichte des Heiligen eine freudige Zustimmung, ein sehnsüchtiges Verlangen zu lesen glaubte, erteilte er zufriedenen Sinnes eines Tages im Stillen der Barbara die schuldige Antwort auf ihre letzte Frage.

»Ja,« sagte er vor sich hin, »ich weiß es jetzt, vielteure Barbara, der heilige Leonhard kommt wieder zu seiner Herzenskönigin.«

Damit beschloß er trotz aller Gefahren, in der nächsten Nacht bei Barbara einzusteigen.

Er wollte die Sache zunächst am eigenen Leibe probieren. Glückte das, dann wollte er weiter sehen, was sich für die Heiligen thun ließe, damit sie nach so langer Entbehrung auch wieder einmal ein Vergnügen hätten.

Im tiefen Dunkel schlich er auf weiten Umwegen nach Sankt Leonhard, wo er auf einer morschen Leiter ins Zimmer der Barbara stieg.

Seltsamer Weise versagte sein Schutzpatron dem schönen Unternehmen seine wunderthätige Hilfe. Es ging übel aus, trotz aller Rosenkränze, die der tapfere Leonhard vorher zu ihm gebetet hatte.

Der alte Lebzelter litt nämlich in letzter Zeit an sehr schlechtem Schlafe. Der bedeutende Aufschwung seines Geschäftes, sowie der beständige Argwohn gegen die elenden Barbarer ließen ihn schon beim geringsten Geräusche vom Lager emporfahren.

Damit hatte der unbedachte Leonhard, der von früher her an einen recht kräftigen Schlummer des Alten gewöhnt war, garnicht gerechnet, und auch die leichtsinnige Barbara hatte es völlig vergessen.

Ihr Vater aber litt schmerzlich darunter, und als er nun auf einmal sein altes Haus von oben bis unten in schwankender Bewegung fühlte, wie ein Schiff bei hohem Seegang, da packte ihn erst eine schreckliche Angst, dann eilte er, von schlimmen Ahnungen getrieben, zum Zimmer seiner Tochter Barbara.

Dort setzte es einen Skandal, daß die Nachbarn zu Hilfe eilten, weil sie alle meinten, der arme Zachen sei plötzlich verrückt geworden.

Sobald sie aber von dem schwerbeleidigten Vater die Ursache seines Jammers erfuhren, stimmten sie ein Wutgeheul an, daß die Barbarer auch noch aus den Betten sprangen und zu Knüppeln und Sensen griffen.

Glücklicherweise gelang es Leonhard, in diesem allgemeinen Wirrwar den Dreschflegeln der erbitterten Leonharder durch einen Sprung aus dem niederen Heustadel zu entgehen und in sein Heimatdorf hinüber zu stürzen.

Freilich, da kam er vom Regen in die Traufe! Die Barbarer mit ihrer hellen Auffassungsgabe errieten sofort an seiner luftigen Gewandung, woher er so eilig des Weges kam.

»Du hast uns diesen Schimpf angethan,« schrieen sie ihm entgegen und prügelten ihn, daß selbst die Leonharder vollauf zufrieden sein konnten.

Der schöne Plan war gründlich zu Wasser geworden. Wochenlang trug der Katzenbräu-Leonhard die deutlichen Zeichen an sich, daß die beiden Heiligen von einer so gewaltthätigen Wiedervereinigung nichts wissen wollten, und drüben weinte die arme Barbara vor dem Standbild des heiligen Leonhard aus schwergefoltertem Herzen, weil sie so fürwitzig gewesen war zu fragen, wann er wieder zur heiligen Barbara käme. Sie hatte bei dem Handel gleichfalls ihre blauen Wunder erlebt und schämte sich, wieder unter Menschen zu gehen.

»Nur nicht gar so traurig,« sagte einmal der gutherzige Pfarrer zu ihr, als er sie immer des Abends an der gleichen Stelle fand.

Barbara erhob sich schwerfällig:

»Ach, Hochwürden . . .«

Da nickte ihr der Pfarrer befriedigt zu und klopfte ihr beruhigend auf die bloße, runde Schulter.

Er mochte Barbara von jeher gern leiden, denn sie war ein liebes Geschöpf mit hübschen, braunen Augen und gefälligen Manieren. Daß sie dabei auch auffallend stramme Hüften und eine gut entwickelte Büste besaß, mußte der Pfarrer wohl oder übel gleichfalls bemerken, wenn er mit seinen Gemeindekindern überhaupt reden sollte. Übrigens hätte er sich in dem Punkt nicht das geringste einreden lassen, weder von dem knochigen Pfarrer von Sankt Barbara, noch von einem Erzbischof.

Darum sah er sich jetzt des Zachen saubere Tochter von oben bis unten mit aller Gemütsruhe an. So konnte er sich die ganze Schwere der Sünde vor Augen halten, die sie mit dem Leonhard wieder begangen hatte.

Als er so lange nichts redete, fing Barbara unter seiner Hand leise zu zittern an, aber in dem Herzen des Pfarrers regierten ausschließlich Versöhnung und Milde.

»Ja, ja, nur guten Muts,« wiederholte er, »der heilige Leonhard wird's schon machen.«

Wie's der heilige Leonhard machen werde, verschwieg er, weil er's selber nicht gewußt hätte.

Der strenggläubigen Barbara wäre es auch niemals in den Sinn gekommen, danach zu fragen. Sie war schon froh, daß sie der Hochwürden so freundlich angeredet hatte und opferte nun alle Sonntage voll zärtlichen Vertrauens in kleines Herz aus geweihtem Wachs, das sie vorher aus der reichen Vorratskammer ihres Vaters gestohlen hatte.

Je mehr sie opferte, um so freundlicher nickte ihr der gütige Seelsorger zu, und dann drohte er eines Sonntags sämtlichen Weibern seiner Gemeinde in unzweideutiger Weise, sie sollten sich nicht unterstehen, etwa einen Stein zu werfen, sondern reumütig an den eigenen Busen klopfen.

Barbara stieg in den Augen der Leonharder, und als der Pfarrer bei einer Wallfahrt gar noch dem Zachen energisch zusetzte, ihr zu vergeben, da war sie angesehener als jemals zuvor.

Von einer Wiederversöhnung mit dem Katzenbräu-Leonhard hatte der Pfarrer dem Vater freilich kein Sterbenswörtchen gesagt, indessen mußte er als feiner Menschenkenner schließlich selbst wissen, daß dies bei dem alten Starrkopf vergeblich gewesen wäre, ganz vergeblich, na, und überberdies war das eben die Sache, die der gütige Pfarrer dem heiligen Leonhard überlassen wollte, der's schon machen werde.

Aber der heilige Leonhard machte gar nichts, und der seinen Namen trug, des Katzenbräu arg verprügelter Sohn, heulte sich wieder die Augen wund.

Ihn hatte sein Pfarrer mit ewiger Verdammnis bedroht, wenn er noch einmal der schändlichen Sünde verfallen werde, und sein Heimatsdorf wischte ihm eins aus, wo er sich sehen ließ.

Die guten Barbarer brauchten nämliche einen Prügeljungen für ihren unaufhaltsamen Niedergang.

Früher, bei den einträglichen Wallfahrten hatten sie einfach das Maul aufgesperrt, um die gebratenen Tauben hineinfliegen zu lassen; jetzt, wo die freundlichen Tiere ihrem Kirchturm fern blieben, wollten sie nicht wieder die Arbeit aufnehmen.

Nur zu bald sollten sich die Folgen zeigen.

Statt der frommen Pilger wurden die Gerichtsvollzieher die ständigen Gäste, und die ließen kein Geld sitzen, sondern nahmen es, wo sie's fanden. Schon sah man das Vieh aus den Ställen wandern und die Betten aus den Zimmern. Die Häuser verloren ihre Sauberkeit, die Blumen vor den Fenstern verdorrten in den Scherben, und durch das absterbende Nest schlich das lange, graue Elend mit ekler Grimasse.

Da kam denn der Sohn des Katzenbräu gerade recht. Er konnte sich nicht wehren wie die verhaßten Leonharder, die Hieb mit Gegenhieb zu vergelten pflegten, während ihre Häuser immer blanker und ihre Börsen immer voller wurden.

»Wir haben kein Glück mehr,« jammerte das Dorf.

Der Leonhard mußte es büßen, daß sie kein Glück hatten. Alle Tage bekam er seine Prügel, alle Tage wurde er hohnlachend durch die Straßen gezogen.

Und wo ganz Sankt Barbara mitthat, da wollte der eigene Vater doch nicht zurückbleiben, dessen Bier nur noch die Landstreicher tranken – wenn sie's geschenkt bekamen. Auch er hielt sich schadlos an seinem Buben und halste ihm schließlich der Bequemlichkeit halber die ganze Schuld an der allgemeinen Verachtung auf, die ihm sein böses Gebräu eintrug.

Voll tiefster Zerknirschung kauerte der abgehetzte Leonhard zu Füßen der heiligen Barbara, seinem letzten, täglichen Zufluchtsorte.

Hier in der grabesstillen Kirche gab es zwar niemand, der ihn getröstet hätte, aber hier durfte er wenigstens nicht geprügelt werden, hier konnten ihm nicht die Namen sämtlicher Stalltiere der Reihe nach an den Kopf fliegen, hier war er geborgen vor Barbarern und Leonhardern, denn in die Kirche ging zur Wut des Herrn Pfarrers schon bald keine Seele mehr.

Die Barbarer hatten noch immer auf ein Wunder gehofft, das die Thalerstücke wieder ins Dorf würfe, als sich die Heilige aber gar nicht dazu anschickte, gaben sie jede Hoffnung endgültig auf und straften die einst so Gepriesene mit stiller Verachtung.

Ihr letzter Verehrer war der Katzenbräu-Leonhard geworden, der seine zerschlagenen Glieder auf den marmorierten Holzstufen langsam zurechtlegte.

»Dein heiliger Leonhard hat mich elend im Stich gelassen,« sagte er traurig.

Zum Beweise dafür ließ er bittre Seufzer hören und langte mit beiden Händen auf die schmerzenden Stellen.

Die Heilige hörte sehr aufmerksam zu und sah nachdenklich auf den einzigen Bittgänger ihres Dorfes herab.

Eigentlich war er kein schwächlicher Bursche, im Gegenteil, er hatte Arme und Schenkel wie von Eisen, aber er war schwer von Entschluß, er wartete immer bis die andern schlugen, und dann war's natürlich lange zu spät. Seine braunen, verschwommenen Bollaugen, die jetzt andächtig zur heiligen Barbara hinaufgingen, sahen die Gefahr erst, wenn er mitten drinnen war, oder wenn er schon tüchtig zerwalkt auf der Strecke lag. Sonst hätte er doch dem frechen Lebzelter das Lästermaul stopfen müssen, als der alte Hallunke das ganze Dorf zusammenschrie und dabei die verächtlichsten Schimpfworte auf die heilige Barbara losließ.

Oh, dieser Gotteslästerer!

Leonhard erzählte der Heiligen mit weinerlicher Stimme, was der alte Zachen auf seine bewegten Vorstellungen vor Barbaras Bettstatt damals alles erwidert hatte. Er erzählte umständlich, in einem krausen Durcheinander.

Daß sie überhaupt gar keine Heilige sei, daß die Geschichte mit dem Wunderschuh garnicht passiert sei, daß sie auch niemals den Katzenbräu-Leonhard mit seiner Tochter zusammen bringen werde, und daß es zu bedauern sei, daß sich der heilige Leonhard früher mit ihr eingelassen habe.

Ob das der Zachen in der flughaften Eile jener schwülen Liebesnacht wirklich alles gesagt hatte, was er heute der Heiligen stundenlang vorrechnete, das hätte der Leonhard wohl selbst nicht beeidigen können. Er besann sich nur noch, daß er mitten in dem niedersausenden Prügelregen von dem wütenden Lebzelter den ersprießlichen Rat bekam, sich vom Wunderschuh der heiligen Barbara helfen zu lassen. Das andre dichtete er dazu, um zu sticheln und aufzuhetzen, auch vergaß er nicht, dazwischen den treulosen, heiligen Leonhard ein bischen anzuschwärzen, der zum Zachen gehalten hatte.

Die Heilige hörte sehr aufmerksam zu, aber sie gab kein Zeichen von sich.

Kerzengerade schwebte sie in einer blaugestrichenen Himmelswolke ein wenig über dem reichgestickten Meßtuch des Hochaltars. Auf ihrem Haupte trug sie eine schwere Krone, mit der hochgehobenen Linken hielt sie ein Sträußchen ganz verstaubter Blumen umspannt, und dorten unter dem fadenscheinigen Purpurmäntelchen lugte der goldgestickte Wunderschuh hervor, dessen Spitze ein grüner Edelstein von unermeßlichem Werte zierte.

Leonhard sah nichts mehr auf der ganzen Welt als diesen Schuh. Seine Augen wuchsen langsam aus den Höhlen heraus wie aufgehende Seifenblasen, und seine Hände begannen zu zittern. Wer den Schuh besaß, konnte den Leonhardern tausendfach heimzahlen.

Und so betete denn der fromme Leonhard ganz laut, daß es durch die Kirche hallte: »O, heilige Barbara, wirf mir deinen Schuh herunter, wie du das damals gethan hast, als der arme Geiger in Not war. Schau, heilige Barbara, ich bin auch in Not, ich darf nicht mehr zu meinem Mädel gehen, wie du nicht mehr zu deinem Leonhard darfst, aber ich gelobe dir auf Ehre und Seligkeit, du sollst statt dessen an mir zeitlebens einen treuen Verehrer haben, wenn du mir jetzt die hohe Gnade erweisen willst, ein Wunder zu wirken. Dann wird auch der heilige Leonhard einsehen, daß so etwas auch noch andere fertig bringen und wird sich gefügiger zeigen.«

Die Heilige hörte wieder sehr aufmerksam zu und rührte sich immer noch nicht.

Traurig schüttelte der Leonhard den Kopf. Es war doch auch manchmal mit den Heiligen eine eigene Sache. Wenn sie nicht wollten, dann konnte man tagelang betteln, sie blieben hartherzig und erhörten einen nicht.

Schon zuckte es wieder um seine Mundwinkel, schon würgte er die aufsteigenden Thränen hinunter, als ihm plötzlich die kleine Puppe zu Füßen der Heiligen ins Auge fiel.

Das graugekleidete Männchen mit dem Fiedelbogen war der Geiger, an dem sie das vielbezweifelte Wunder gewirkt hatte. Er kniete natürlich schon immer an der gleichen Stelle, aber noch niemals hatte ihn der Leonhard so mit den Augen verschlungen wie heute.

Ein breites Grinsen teilte des Burschen rundes Gesicht mit klaffendem Risse.

Jetzt hatte er's endlich gefunden! Auch er mußte sich vorher ein bischen plagen, wie der Geiger es gethan hatte, denn umsonst wirken die Heiligen keine Wunder auf Erden.

Hastig griff er seine Taschen ab und suchte und suchte. Endlich verklärten sich seine Züge, er hielt eine Stelle an der Joppe fest und zog gleich darauf mit triumphierendem Gesichte seine Mundharmonika hervor.

Ohne Zaudern spielte er nun der himmlischen Musikfreundin einen wiegenden Ländler auf, erst ein bischen langsam, dann immer wärmer, immer gefühlvoller, wie früher, wenn beim Katzenbräu getanzt wurde.

Und jetzt geschah es wirklich, was der Bursche ersehnt hatte: Die Heilige konnte nicht widerstehen, als sie die Töne vernahm. Sie erhörte ihren gepeinigten Schützling und warf ihm mit holdseligem Lächeln ihren Goldschuh herunter, dem Zachen und allen Leonhardern zum Trotz!

Ah, denen wollte der Leonhard den Wunderschuh unter die Nase halten!

Nicht gleich auf das erstemal hatte er ihn erhalten. Die Heilige hatte noch nicht genug und verlangte mehrere Zugaben. So spielte er denn noch einen Walzer, einen Schuhplattler, aber da – als er sich die Lippen schon blutig gehobelt hatte und immer ärgerlicher mit dem Kopfe wackelte, wollte er auf einmal deutlich bemerkt haben, daß die Heilige den Wunderschuh ein ganz klein wenig bewegt habe.

Zitternd war er näher getreten. Der Schuh saß zwar noch unbeweglich an der gleichen Stelle, aber jetzt wußte der Leonhard schon ganz bestimmt, daß er sich nicht geirrt hatte. Darum wollte er sich wenigstens gründlich überzeugen und der Heiligen bei ihrer löblichen Absicht etwas behilflich sein. Er zupfte ein bischen an dem faserigen Gewebe, dann wieder ein bischen, dann etwas ungeduldiger, und nun geschah es auf einmal, das große, gewaltige Wunder.

Der Goldschuh fiel endlich herab, und mit ihm plumpste der gottbegnadete Leonhard vor freudigem Schreck wie ein vollgepfropfter Mehlsack auf die Altarstufen nieder.

Der Pfarrer von Sankt Leonhard trat jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fenster seines Studierzimmers und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche der heiligen Barbara hinüber, und der Pfarrer von Sankt Barbara trat gleichfalls jeden Morgen, wenn er die heilige Messe gelesen hatte, an das offene Fester seines Studierzimmers, und schaute, ob Regen, ob Sonnenschein war, zur Kirche des heiligen Leonhard hinüber.

Dabei rauchte der Pfarrer von Sankt Leonhard gewöhnlich eine Pfeife und sah ganz verdrießlich vor sich hin, der von Sankt Barbara aber rauchte keine Pfeife und sah ganz zufrieden vor sich hin.

Und da sich die beiden Pfarrhöfe auf Rufweite gegenüberlagen, hätten die hochwürdigen Herren wieder einmal gute Gelegenheit gehabt, die schönste Unterhaltung zu beginnen.

Diesmal hätte freilich der Pfarrer von Sankt Barbara gelacht, und zwar sehr höhnisch, mit unverhohlener Schadenfreude.

Der von Sankt Leonhard aber hätte sich nicht lange auf solche Auseinandersetzungen eingelassen, sondern höchstens in brummigem Tone erwidert:

»Unterstehen Sie sich, und werfen Sie uns da herüben noch einmal Schwindel und Aberglauben vor, Sie . . . . Sie, Erzgauner da drüben.«

»Die Heilige hat eben ihr Wunder wiederholt,« hätte der Pfarrer von Sankt Barbara mit gläubigem Aufblick erwidert.

»Jawohl, aber mit einer kleinen, nicht unwesentlichen Abänderung, das werden Sie zugeben müssen.«

Und das war auch ganz richtig. Der arme Geiger hatte damals noch einmal spielen müssen, um die Wahrheit seiner Worte zu beweisen. Erst dann schenkte man ihm Glauben und Leben. Dem Katzenbräu-Leonhard war das in Gnaden erlassen worden, die Mundharmonika ein zweitesmal vor der Heiligen in Bewegung zu setzen, seine hochbegeisterten Landsleute glaubten ihm schon auf das erste Wort.

Da hatten es die Leonharder schon schlimmer mit ihm vor, an ihrer Spitze der rasende Lebzelter, der für dreißig schrie.

Zu ihm war der Leonhard im ersten Fieber gelaufen, denn er sagte sich in seiner Dummheit:

»Wenn der Alte den Schuh sieht, dann stürzt er überwältigt zur Erde und giebt mir heute noch meine vielgeliebte Barbara zum ehelichen Weibe.«

Der Alte aber blieb ganz aufrecht stehen und gab ihm statt der vielgeliebten Barbara eine tüchtige Maulschelle.

Dann rannte er von Haus zu Haus, bis endlich das ganze Dorf auf den Leonhard zustürzte und ihn mit Fäusten und Stöcken zur Kirche der bestohlenen Heiligen hinüberstieß. Dort verlangten die Leonharder mit erhobenen Stimmen von den ganz verblüfften Einwohnern entweder die Probe oder den Tod des Tempelschänders.

Erst nach und nach begriffen die Barbarer, worum es sich handelte. Sie sahen bald auf ihren ganz verzweifelten Sündenbock, bald auf die tobenden Leonharder und wußten nicht recht, was sie sagen sollten.

Endlich aber kam Leben in die versteinerte Masse, und da stürzten sie plötzlich mit lautem Hosiannageschrei vor dem Katzenbräu-Leonhard nieder wie vor einem Heiligen.

»Er hat's vollbracht,« schrieen sie und küßten den Saum seiner Kniehosen.

»Gestohlen hat er, gestohlen . . . .« wetterten die Leonharder.

»Nehmt euch in acht mit euren Worten,« riefen die Barbarer in drohender Haltung.

»He, he, he!« meckerten die Leonharder. »Wer hat's denn gesehen?«

Wer es gesehen hatte? Auch darum waren die Barbarer gar nicht verlegen.

Gleich humpelte ein alter Dorfbettler, ein schlichter Mann mit weißem Silberhaar, herbei, der zur selben Zeit in der Kirche gewesen war, dort wieder kam ein altes Frauchen mit Krücken und gab freudige Zeugenschaft, die Ministrantenbuben hatten es von der Sakristei aus beobachtet, ein Blinder sogar hatte das Wunder schauen dürfen, und schließlich wollte das ganze Dorf dabei gewesen sein.

»Elende Lügenbrut,« schrieen die Leonharder.

Wie eine Alarmtrompete wirkte dies Wort auf die halbverkrachten Barbarer. Aller schwer verhaltener Grimm brach mit einemmale heraus und entlud sich als schreckliches Gewitter auf die hochmütigen Leonharder.

Was im Orte war an Waffen, an landwirtschaftlichen Geräten, am Feuerspritzen, wurde aus den Häusern gerissen, und nun sausten unter dem Geläute der Sturmglocken die Fäuste mit jener hohen Kraft hernieder, die jedes selbsterlebte Wunder gläubigen Seelen zu verleihen pflegt.

Selbst als die Leonharder schon lange in ihr Dorf zurückgetrieben waren, ruhten ihre erbitterten Gegner nicht eher, als bis der letzte Mann in sein Haus geworfen war und nicht mehr muckste. Dann erst trugen sie ihren wunderbegnadeten Leonhard mit wildem Jubel zur heiligen Barbara hinüber.

Ihr Pfarrer erteilte den Segen und ließ das Tedeum singen.

Der Pfarrer von Sankt Leonhard aber ging unruhig im Zimmer des alten Zachen umher, dem der ganze Schädel blutig gehauen war.

»'s ist zu dumm,« sagte er vor sich hin und lachte wie einer, dem gar nicht zum Lachen ist.

»Alle meine Wunden wollt' ich geduldig tragen,« wimmerte der Zachen in seiner Bettstatt, »wenn nur nicht das schöne Geschäft kaput ginge!«

Das war's ja gerade, was auch dem Pfarrer durch den Kopf ging.

Es brauchte nur irgendwo ein neues Wunder zu geschehen – die Leute krochen auf allen Vieren hin wie die Fliegen zum süßen Leim.

»Glauben Hochwürden nicht,« lispelte der Zachen wieder, »daß unser heiliger Leonhard bald auch einmal wieder was recht schönes vollbringt?«

»Albernes Zeug!« brummte der Pfarrer. »Bildest du dir ein, das geht so alle Tage, wie beim Bäcker mit den frischen Semmeln?«

Jahre mußten verstreichen, bis man dem heiligen Leonhard wieder ein bescheidenes Wunder glaubte, vorerst war's mal aus mit ihm.

»O, du, mein Gott!« stöhnte der Lebzelter.

»Ja, da kann man halt nichts machen,« meinte der Pfarrer achselzuckend.

Das Wunder war zu groß, zu deutlich, es sprang so sehr in die Augen, daß alle andern dagegen schwächlich erscheinen mußten. Darüber war sich der erfahrene Seelsorger schon lange im Reinen.

Ächzend hob der Zachen seinen verbundenen Kopf vom Kissen und deutete vorwurfsvoll auf seine Tochter:

»An der ganzen Geschichte ist dein Liebhaber schuld, der elende Katzenbräu-Leonhard. Oh, wenn der Bursche nur noch einmal zum Fenster hereinsteigen wollte – lebendig käm' er mir nicht mehr hinaus.«

Das Mädchen in der dunkeln Ecke gab keine Antwort, der Pfarrer aber war aufmerksam geworden.

Dieser Leonhard, der an Heiligen Diebstahl beging, war auch imstande, trotz aller Gefahren nächtlicherweile wieder einzusteigen, meinte der Pfarrer. Warum er seine Meinung für sich behielt, wußte er eigentlich selbst nicht, jedenfalls aber sah er die gute Barbara auf den künftigen Einbruch ihres Leonhard noch bedeutungsvoller an als sonst und strich ihr beim Weggehen freundlich die Wangen.

»Laß den Alten nur schimpfen,« sagte er. »Der heilige Leonhard wird's doch noch recht machen.«

»Ach was, der heilige Leonhard,« meinte Barbara wegwerfend, »der hilft mir auch nichts mehr.«

»Kann man nicht wissen, ich geb' die Hoffnung für euch noch nicht auf.«

Und zu Hause sann er beim Scheine seiner Lampe noch lange nach. Besonders das saubere Mädel, die Barbara, wollte ihm nicht aus dem Kopf, und je länger er an sie dachte, um so ruhiger und vergnügter wurde er an diesem Unglückstag. Mit dem angenehmen Gedanken an sie legte er sich sogar zu Bette und träumte von ihr in verschwommenen Umrissen, daß sie es sein werde, die den ganzen Schwindel mit dem Wunderschuh wieder ans Licht der Sonne bringe.

Aber Träume bedeuten das Gegenteil.

Das mußte der besorgte Pfarrer von Sankt Leonhard gleich am andern Morgen erfahren, wo ihn die Dankesglocken von Sankt Barbara mit vollen Tönen erweckten.

Laut und wuchtig ließen sie ihre ehernen Stimmen über das ganze Land ertönen, um die ungeheure Wallfahrt gebührend einzuläuten, die jetzt von Osten und Westen, von Norden und Süden einmütig unternommen wurde.

Die Leonharder hatten gar nicht für möglich gehalten, daß es überhaupt so viele Menschen geben könnte, die jetzt in Sankt Barbara täglich zusammenströmten. Unermüdlich kamen die Pilger herbei, denn jeder wollte den Wunderschuh und vor allem den frommen Leonhard sehen, dem er zugeflogen war.

Die ersten Wochen erschienen Landleute zu Fuß und zu Wagen, dann rückten die Mönche und barmherzigen Schwestern an, in langen Prozessionen, und als die Glockentöne immer noch weiter weckten, fuhren hochfeine Herrschaften aus Schlössern und Städten vor, mit vielzackigen Kronen auf den Equipagen und auf den Knöpfen ihrer Lakaien.

Ähnliches war weder in Sankt Leonhard noch in Sankt Barbara jemals erschaut worden.

In Sankt Leonhard sah man's auch jetzt nicht, denn jeder fromme Wallfahrer, kam er barfüßig oder in Lackschuhen, glaubte die ewige Seligkeit zu verlieren, wenn er nicht in dem Orte seine Lebsucht befriedigte, wo das Wunder geschehen war.

Die glücklichen Barbarer mußten Baracken bauen, weil die Häuser nicht mehr genügten, der Katzenbräu aber hüpfte wie besessen in seinen Sudkesseln herum.

Sein Bier tranken die wackern Pilger wieder, als ob's der Pfarrer dreimal geweiht hätte, und in seinem Hause durfte er verlangen, was ihm beliebte, weil die vornehmen Herrschaften alle bei ihm wohnen wollten, um dem wunderbegnadeten Leonhard so nahe wie möglich zu sein. Außerdem waren schon krummnasige Herren mit schweren Uhrketten und blitzenden Ringen bei ihm erschienen, die gegen schwere Bezahlung sein ganzes Besitztum samt dem wunderbegnadeten Leonhard in eine Aktiengesellschaft verwandeln wollten, ja ein frommer Minister hatte ihm sogar für die allernächste Zeit eine Klingelbahn nach dem gesegneten Wallfahrtsorte versprochen.

Drüben die Leonharder schwindelte es. So etwas hatten sie in ihrer schlichten Weise niemals für möglich gehalten, und besiegt durch die Größe der Thatsachen, rafften sie sich nach einigen Monaten auf zu einem heroischen Entschluß.

Sie wollten die Klügeren sein, sie wollten nachgeben. In geheimer Sitzung beschlossen sie, ihren heiligen Leonhard nicht mehr der heiligen Barbara vorzuenthalten.

Ihr Pfarrer war wütend. Er hatte sich im Vertrauen auf de Lebzelters Tochter schon manches zurechtgelegt und schimpfte nun ganz gehörig.

»Eine charakterlose Gesellschaft seid ihr,« fuhr er den Alten an.

»Es ist halt ein Versuch,« meinte der Zachen, »man muß alles probieren bei den schlechten Zeiten.«

Und Barbara faltete bittend die Hände. Auch sie hoffte sich etwas Ersprießliches von der Wiedervereinigung der Heiligen, wie ihr plötzlich so versöhnungsfreudiger Vater und die Leonharder.

»Na, so geht zum Teufel!« schrie der Pfarrer.

Zum Teufel wollten die Leonharder nicht, sondern zur heiligen Barbara, um die uralte Sitte der gemeinsamen Wallfahrten endlich wieder zu erneuern.

Gleich am nächsten Sonntag machten sie den längst schuldigen Gegenbesuch.

Aber da kamen sie schön an. Die Barbarer ließen sie überhaupt gar nicht ins Dorf hinein, geschweige denn in die Kirche. Sie hatten von dem wahnsinnigen Vorhaben ihrer Nachbarn noch rechtzeitig Wind bekommen und standen nun wie eine Mauer an der Grenze zusammen. Da winkten sie ab mit Händen und Füßen, und als sie den heiligen Leonhard auf seiner schwankenden Tragbahre erblickten, stimmten sie ein satanisches Gelächter an.

»Tragt ihn nur wieder hinüber,« riefen sie, »wir haben jetzt selbst unsern heiligen Leonhard.«

Und ob sie ihn hatten! Von der heiligen Barbara sprach schon bald keine Seele mehr. Alles galt der neue heilige Leonhard mit seinem Wunderschuh.

Um den vielbegehrten Jüngling saßen jetzt vornehme Damen in seidenen Kleidern, seidenen Unterröcken und seidenen Strümpfen herum, die ihn mit zärtlichen Blicken verfolgten. Jede wollte erst dann an den vollen Erfolg ihrer Wallfahrt glauben, wenn sie mit ihm in Berührung gekommen war und sein täppisches Lachen vernommen hatte, jede wollte die andere überbieten an hoffnungsfroher Hingabe, um so in den Besitz der höchsten Gnaden zu gelangen.

»Leonhard! Leonhard!« tönte es lockend von allen Seiten.

Dem so zärtlich Gerufenen war das anfangs ganz recht. Er wußte zwar nicht, was er sagen sollte, aber er grinste mit dem ganzen Gesichte, wenn die schöngewachsenen Frauen andächtig in seine hochgeschossene Nase wie in einen Feldstecher hineinblinzelten und mit ihren Sammethänden seine mausgraue Joppe ehrfürchtig betasteten.

Als das aber immer so fortging vom Morgen bis zum Abend, da begann er wieder einmal nachzudenken. Er grübelte nach über diese sonderbare Wirkung des Wunders und mußte sich sagen, daß er sich eigentlich etwas ganz anderes erwartet hatte.

Die festen Brüste, die herrlichen Arme, die feinen Gesichter, die kostbaren Brillanten, das prickelte ja wohlig von den Nagelschuhen bis unter die pomadisierten Haare, aber mitten in diesem nie geschmeckten, sinnverwirrenden Duft sehnte er sich plötzlich nach dem kräftigen Stallgeruch seiner Barbara, die er nie vergessen konnte.

Und da fühlte er sich kreuzunglücklich in der Rolle, die er täglich spielen mußte. Er hörte auf zu lachen, er verzog sein Gesicht, und schließlich heulte er.

»Laßt mich 'naus!« schrie er eines Tages, als es ihm gar zu dumm wurde. Dann rannte er einige Stunden über die Felder, verfluchte die ganze Wundergeschichte und verfluchte die parfümierten Weiber.

»Das sind so Wallungen,« sagte der Pfarrer. »Die werden sich geben.«

Der Leonhard wußte nicht, was Wallungen waren.

»Sie sind der Widerstand, den dir der böse Feind entgegensetzt,« erwiderte feierlich der Pfarrer. »Aber sei gewiß, du wirst ihn siegreich überwinden.«

Jetzt war der Bursche so klug wie zuvor.

»Die Leonharder wollten mit ihrem Heiligen herüber zu uns,« sagte er zögernd.

»Ja, aber was geht das uns an?« fragte der Pfarrer verduzt.

Oh, den Burschen ging es sehr viel an. War doch der Zachen mit seiner Tochter wieder dabei gewesen. Da hätte er vielleicht Versöhnung feiern und die liebe Barbara endlich heiraten dürfen.

Ganz entsetzt prallte sein Seelsorger zurück:

»Was fällt dir ein? Daran ist nicht zu denken!«

Der gottbegnadete Leonhard, der Mann mit dem Wunderschuh, der reine Jüngling – heiraten! Und noch dazu die Tochter eines Leonharder Spitzbuben – das wäre ja! Welche von den vornehmen Damen glaubte dann noch an seine himmlische Sendung, an seine ungeschwächte Wunderkraft? Nein, das gab's nicht, das war unmöglich, das war ausgeschlossen für alle Zeiten.

»So? Dann freut mich die ganze Heiligkeit nicht mehr,« sagte patzig der Bursche.

Der Pfarrer zog die faltige Stirn noch dichter zusammen.

»Was soll das heißen?«

Verlegen sah der Bursche auf die Seite.

»Nun ja, wenn mir das ganze Wunder nicht einmal so viel einbringt, daß ich die Barbara kriege, dann . . .«

»Dann?« forschte der Pfarrer.

»Nun ja, dann . . . dann . . .« stotterte der Leonhard und wußte nicht mehr weiter vor diesen stechenden Augen.

»Ich möchte dir's raten,« sagte der Pfarrer mit eisernem Nachdruck. »Jetzt gehst du 'mal sofort zu der heiligen Barbara und betest zehn Rosenkränze zur Buße für deine Versündigung und zwanzig Avemaria noch extra, damit dir deine dummen Heiratsgedanken auf immer vergehen. Marsch!«

Der Bursche that wie ihm befohlen war, aber weil die Gebete nur der Zahl nach und ohne Andacht verrichtet wurden, halfen sie nichts. Die Heiratsgedanken blieben, und der Leonhard versündigte sich weiter gegen das Wunder.

»Es ist überhaupt gar keines gewesen,« sagte er ganz kalt zwei Wochen später am Biertisch. »Nein, es ist kein Wunder gewesen. Ich selber hab' den Schuh langsam heruntergezupft, damit ihr's nur wißt.«

Jetzt wäre er bald wieder geschlagen worden wie damals, als er aus dem liebeswarmen Bette seiner Barbara direkt in die rauhen Arme seiner Landsleute lief.

»Was? Du wagst eine solche Lüge,« hieß es, »wo's das ganze Dorf gesehen hat?«

»Wer hat's denn gesehen?« fragte der Leonhard.

Alle hatten es natürlich gesehen.

»Jawohl,« sagte höhnisch der Leonhard, indem er die blitzenden Zähne fletschte.

»Er ist verrückt geworden,« raunte der Biertisch und klapperte mit den zinnernen Stammkrügeln, damit die andern nichts hören sollten.

Der Leonhard aber gab noch nicht nach.

»Ein Schwindel ist's!« schrie er durch die ganze Stube hin. »Und das sag' ich, so wahr ich nächstens bei dem Zachen seiner Tochter 'mal wieder einsteigen werde.«

Alle sahen sich an.

»Bei der Barbara? Ja, was soll denn das sein?«

»Das sind so Wallungen,« sagte der Pfarrer beschwichtigend. »Sie gehen schon vorüber.«

Draußen aber nahm er seinen neuen Dorfheiligen auf die Seite und drohte ihm mit kräftigen Rippenstößen, daß ihm einstens der böse Feind den ganzen Hintern mit glühenden Zangen zerkratzen werde, und zwar ohne Erbarmen, immerfort, so . . . so . . . so . . .

»Ach, nein, ach, ja nicht,« jammerte der Bursche, der vor der Hölle eine gräßliche Angst hatte.

»Nun gut,« sagte er Pfarrer aussetzend, »dann wirst du endlich diese frevelhaften Reden lassen und nicht mehr an die Barbara denken.«

Es half ihm alles nichts – er mußte der Heilige bleiben.

»In Gottes Namen,« sagte er seufzend. Dann setzte er sich unter die vornehmen Herrschaften und nahm sich vor, niemals wieder in seinem Leben um ein Wunder zu bitten.

Unten der Biertisch steckte noch lange die Köpfe zusammen.

Glücklicherweise hatten die andern Leute nur des Burschen letzte Drohung vernommen, diese aber machte am andern Morgen schon die Runde durch Sankt Leonhard.

»Schau, schau,« schmunzelte der dicke Pfarrer, »schau, schau, schon so bald.«

Besser hatte er's ja gar nicht wünschen können. Seine Schutzbefohlenen waren mit ihrer unsinnigen Wallfahrt gehörig abgeblitzt, und der neue heilige Leonhard drängte mit allen Kräften zur tugendhaften Barbara.

Mit Befriedigung wartete nun der Pfarrer auf das losbrechende Geschrei, das bald genug zum Fenster hereindrang.

Die Leonharder nahmen den Mund gar voll, als sie von den lüsternen Absichten des sogenannten Heiligen Kunde bekamen. Sie hatten die erlittene Demütigung noch nicht vergessen und rieben sich kampfbereit die Hände.

»Der soll uns kommen! Wir warten so schon lange auf ihn,« sagten sie.

Ihre Nachbarn gaben sehr gereizte Antworten auf eine solche Zumutung und erklärten das ganze Gerede für freche Überhebung. Ihrem wunderbegnadeten Leonhard fiele es gar nicht ein, diese häßliche Barbara noch einmal aufzusuchen.

Jetzt ging der Pfarrer bedächtig zum Zachen.

»Deine Tochter ist nicht mehr sicher bei dir,« sagte er. »Jede Nacht kann der Leonhard anrücken, und du bist ein alter Mann.«

Der Lebzelter hatte schon alle Vorbereitungen für einen möglichst feierlichen Empfang des nächtlichen Besuchers getroffen und behauptete, sich gar nicht zu fürchten.

»Das geht unmöglich,« sagte der Pfarrer. »Nicht du, das ganze Dorf muß Barbara beschützen, und ich selbst will sogar ein besonderes Opfer bringen: Ich will Barbara in mein Haus nehmen.«

Der Lebzelter erstarb vor Ehre und Dankbarkeit, Barbara aber zog am andern Tage in den Pfarrhof, begleitet von den Segenswünschen ihres Vaters und von sämtlichen Leonhardern.

In feierlicher Prozession schritt sie inmitten alles Volkes, und hinter ihr trugen ihre Schwestern den heiligen Leonhard, der noch immer so erstaunt aussah, als wollte er fragen:

»Was ist denn jetzt da wieder los?«

Seine andächtige Gemeinde gab ihm keine Antwort, sondern sang mit frommen Gefühlen die vorgeschriebenen Gebete. Die guten Leute nahmen es bitter ernst mit ihrer Aufgabe und wollten den Barbarern schon zeigen, daß sie entschlossen waren, bis zum äußersten zusammen zu halten, wenn es galt, die Ehre einer unbescholtenen Jungfrau zu verteidigen.

Und Barbara war auf dem besten Wege, in ihren Augen wieder eine zu werden.

»Eine saubere Jungfrau! Ihr sollt euch was schämen,« riefen lachend die Nachbarn drüben.

Mit hoheitsvoller Miene gingen die Leonharder über diese Sticheleien hinweg. Sie beteten immer fleißiger, sie wurden immer frömmer und sahen all ihr Heil und ihre Zukunft in der neu erstehenden Reinheit ihrer arg bedrängten Barbara. Nicht von heute auf morgen vollzog sich dieses Wunder, aber eines Tages war es geschehen, und alle Leonharder glaubten daran wie auf höhere Weisung. Den vorlauten Gegenzeugen versteckten sie stundenweit bei armen, verschwiegenen Leuten, und jener Nacht, wo sie des Zachen Tochter blau geprügelt hatten, wollte sich niemand im Dorfe besinnen.

Da waren die Barbarer schon mit besserem Gedächtnis gesegnet.

»Wenn wir reden wollten!« sagten sie höhnisch.

Und sie redeten nur nicht, weil ihr wunderbegnadeter Jüngling damals sein redlich Teil an der Sache hatte.

Die Leonharder nahmen das zarte Schweigen von der richtigen Seite und handelten um so ungestörter. Alle Wochen zogen sie mit ihrem neuen Wunderkinde durch das Dorf und flehten den Himmel an, daß er's schützen möge vor den unzüchtigen Schandthaten des frechen Leonhard.

Das wurden den Barbarern endlich zu dumm. Sie gaben ihrem Jüngling eine ständige Ehrenwache, und als sie sich nun seiner wie eines schweren Verbrechers versichert hatten, riefen sie, um der Sache ein Ende zu machen:

»So, entweder zeigt ihr uns jetzt sofort den Leonhard bei eurer Barbara drüben, oder ihr seid eine ganz gewöhnliche Schwindelgesellschaft. Punktum!«

»Vielleicht geduldet ihr euch ein bischen,« sagte lächelnd der behäbige Pfarrer und riet seiner Gemeinde, nur fleißig die Prozessionen fortzusetzen, die immer besser besucht wurden.

Schon kamen Landleute aus der Umgegend, schon konnte der Zachen wieder eine seiner Verkaufsbuden eröffnen, einmal erlebten die Leonharder sogar die Freude, einen Pilger bei sich zu sehen, der von dem Wunderschuh so gut wie gar keinen Erfolg gehabt hatte.

Der fromme Mann war äußerst aufgebracht über die Zustände in Sankt Barbara. Das Bier sei noch schlechter als zu Zeiten der gemeinsamen Wallfahrten, in den Wirtshäusern gäbe es kaum einen Platz, die Preise seien unverschämt, und den neuen heiligen Leonhard bekäme nur der zu Gesicht, der dem Katzenbräu die Nase mit Geld stopfe.

Die Leonharder sagten, das sei eine Gemeinheit und bewirteten den wackeren Pilger aufs beste.

Da wurde er gesprächiger und erzählte noch mehr.

Die einfachen Leute hielten sich von Sankt Barbara schon ferner, dagegen kämen immer noblere. Augenblicklich sei sogar eine wirkliche Prinzessin beim Katzenbräu abgestiegen, die für unermeßliches Geld gleich das ganze Haus auf lange gemietet habe und dem wunderbegnadeten Leonhard Tag und Nacht auf dem Kragen sitze.

Wieder schüttelten die Leonharder die Köpfe und meinten, da seien bei ihnen doch gesündere Verhältnisse.

Ihre neuerstandene Jungfrau aber, die alles gehört hatte, erzählte mit thränenden Augen ihrem geistlichen Schutzherrn von der Prinzessin.

»Na, sei nur gut,« beschwichtigte er und klopfte ihr gütig das Mieder. »Die wird auch nicht ewig da drüben bleiben.«

Barbara haßte diese vornehmen Weibsbilder überhaupt alle, ob's die Prinzessin war, oder eine andere.

»Was liegt denn dran?« fragte der Pfarrer mit ganz eigentümlichem Lächeln, »um dich sitzen vielleicht in ganz kurzer Zeit ebenso feine Mannsbilder herum.«

Vor einer solchen Aussicht bekreuzte sich Barbara heimlich. Sie faßte die Sache etwas anders auf als der gemütliche Pfarrer und war von nichts weiter entfernt als von gewöhnlichem Brotneid, denn sie hatte unter ihrer neuen Würde so wie so schon genug zu leiden.

Ohne sie zu fragen hatten ihr die Leonharder diese Jungfräulichkeit aufgezwungen. Jetzt saß sie da mit ihr, und ihre Landsleute liefen des Nachts mit Spießen und Laternen durchs Dorf, um den angekündigten Besuch ihres Burschen zu verhindern.

Die Barbara aber bedankte sich für dieses Wunder. Sie wäre bereit gewesen, die ganze verdammte Jungfernschaft heute noch ohne Gewissensbisse ihrem Herzallerliebsten wie die erste zu schenken, ja, sie hätte dazu sogar noch gelacht und den dummen Leonhardern was ordentliches gepfiffen.

Freilich mußte sie das alles für sich behalten. In ihrer Dachkammer aber weinte sie ganze Nächte lang vor Eifersucht, und sie wäre noch unglücklicher gewesen, hätte sie einen Blick in des Katzenbräu festlich gestimmtes Haus werfen können.

Dort ging es gar flott her seit dem Einzug der Prinzessin.

Der Leonhard mußte Champagner trinken und mit der Mundharmonika aufspielen, wie damals vor der heiligen Barbara.

Bis ins kleinste wollte die hohe Dame womöglich das Wunder in eigener Person erleben. Wenn nun der Leonhard tüchtig herumhobelte, dann schwelgte sie immer in reinstem Entzücken und warf ihm zum Danke ihren zierlichen Lederschuh an den Schädel, bis man die Beulen sah. Gleich darauf zog sie ihn mit ihren weißen Armen wieder an sich, daß dem Burschen die ganze Welt vor Augen tanzte.

Und dabei lachte sie immer so herzlich, die gütige Prinzessin.

Sie war gekommen mit einem Troß von Wagen und Koffern, von Bedienten und Kammerjungfern. Hundert Kleider hatte sie mitgebracht, vierzig Schlafröcke, ein großes Klavier, zwei Papageien, eine Badewanne, in der zwei Platz hatten, vier hellbraune Möpse und auch noch einen sehr gebrechlich aussehenden Herrn mit blendender Glatze und gelber Gesichtsfarbe, ihren Gemahl. Der schlich mit verdrießlichem Gesichte die Hintertreppen auf und nieder. Zu den Wundern des angebeteten Leonhard schien er wenig oder gar kein Vertrauen zu haben. Einmal sagte er sogar zum alten Katzenbräu, er habe schon so viel erlebt, daß er überhaupt nicht mehr imstande sei, zu glauben.

Um so inniger glaubte die Prinzessin selbst, und der schwerfällige Leonhard hätte gar nicht aus Fleisch und Blut sein müssen, wenn er nicht schließlich auch mit voller Inbrunst an die Prinzessin geglaubt hätte.

Er wurde ja mit goldenen Ketten behangen, er wurde gehätschelt, daß es ihm eiskalt über den Rücken lief, und prügelte ihn die Prinzessin in Stunden übler Laune auch mal mit der Reitpeitsche durch, so that das noch lange nicht so wehe, wie die Hiebe der Barbarer und Leonharder. So pfiffig war auch der Leonhard, und darum schlug er sich seine verlassene Barbara allmählich aus dem Sinn.

Was blieb ihm denn auch andres übrig? Er bekam sie ja doch nicht. Halb aus Verzweiflung, halb aus Liebe gab er sich der Prinzessin hin und spielte ihr munter die Harmonika auf.

Mit großer Genugthuung bemerkten die Barbarer diese Wandlung. Sie waren von Haus aus dankbare Menschen, die ein Verdienst zu würdigen wußten. Darum stellten sie die Ehrenwache ein und ließen den gottbegnadeten Jüngling wieder in Freiheit herumlaufen.

Nun war es aber die Prinzessin, die sich nicht lumpen ließ. Aus edler Erkenntlichkeit gab sie den Barbarern ein glänzendes Fest, wie sie ein solches noch niemals gesehen hatten.