Meine Geschichten - Josef Ruederer - E-Book

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Josef Ruederer

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Beschreibung

In den Romanen und Komödien vor dem Ersten Weltkrieg prangerte Ruederer den sittlichen Verfall in der Stadt München, die Korruption, Heuchelei, das "Schnackerlhafte" der Oberbayern an. Er ging somit auf Konfrontation mit Ludwig Thoma, der ihn als "allem Ländlichen fernstehenden Städter" beschrieb, der schon die einfachsten Dinge falsch und unvollkommen wiedergibt. Dieser Sammelband beinhaltet seine Erzählungen: Das Grab des Herrn Schefbeck Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara Sein Verstand Der strohblonde Augustin, der brennrote Kilian und die sittliche Weltordnung.

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Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Meine Geschichten

Josef Ruederer

Inhalt:

Josef Ruederer – Biografie und Bibliografie

Das Grab des Herrn Schefbeck

Die wundervolle Legende vom heiligen Leonhard und der heiligen Barbara

Sein Verstand

Der strohblonde Augustin, der brennrote Kilian und die sittliche Weltordnung.

Meine Geschichten, Josef Ruederer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634421

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Josef Ruederer – Biografie und Bibliografie

Deutscher Schriftsteller, geboren am 15. Oktober 1861 in München, verstorben am 20. Oktober 1915 ebenda. Aufgewachsenen in einer Bankiersfamilie des Großbürgertums studierte R. nach seiner Gymnasialzeit in Berlin Geschichte und promovierte 1888 zum Dr.phil. Nach einer für ihn sehr teuren gescheiterten Patentsache zieht er fast mittellos in die Nähe von Garmisch-Partenkirchen und beginnt dort zu schreiben. Unter anderem schrieb er für die damals maßgebende Zeitschrift Simplicissimus.

Wichtige Werke:

· Geopfert! Eine Episode aus dem Leben eines Offiziers, 1892

· Ein Verrückter. Kampf und Ende eines Lehrers (Roman), 1894

· Die Fahnenweihe (Komödie), 1895

· Wallfahrer-, Maler- und Mördergeschichten (Erzählungen), 1899

· Die Morgenröte (Komödie), 1904

· Münchener Satiren, 1907

· Wolkenkuckucksheim (Komödie), 1909

· Das Grab des Herrn Schafbeck (Novelle), 1912

Das Grab des Herrn Schefbeck

Eine Münchner Geschichte

Frau Hanna Rüdinger geb. Vogl zu eigen

Der Herr Michael Karl Borromäus Schefbeck war gerade dreiundfünfzig Jahre, vier Monate und einen Tag alt, als ihn an einem schönen Oktobernachmittag ein Schlaganfall aus diesem Leben abrief. Mitten in voller Kraft und bei segensreicher Tätigkeit ereilte es ihn. Im Kaffeehaus, in Gesellschaft seiner drei besten Freunde, beim Tarock. Er hatte eine Zigarre im Munde, das schönste Herzsolo in der Hand, da plötzlich sah er, wie seine Spielgenossen leichenblaß wurden, wie sie ihn anstarrten, und wie sie die Karten wegwarfen. Er wollte noch schimpfen, weil ihn das schöne Spiel reute, da fiel ihm die Zigarre aus dem Munde, er wollte noch die Aß trumpfen, da machte er eine Bewegung nach rückwärts, er wollte sich noch dagegen stemmen, da fiel er unter den Tisch.

"Au weh! Sakra! Den hat's!" So tönte es aufgeregt an sein Ohr. Und in das unverfälschte Münchnerisch der Freunde und Kaffeehausbesucher mischte sich aus den höheren Sphären das tadellose Hochdeutsch der singenden Engel und Cherubime.

Herumgeschleudert zwischen uferlosem Schrecken und schweißtreibender Angst, glaubte Herr Schefbeck jeden Augenblick sein Urteil zu vernehmen. Er sah sein ungeheures Schuldbuch aufgeschlagen, alles sauber notiert, jede Lüge, jede Völlerei, jede Unkeuschheit, vom ersten Tage bis heute. Doch auch von unten, tief aus der Erde, kamen sonderbare Geräusche. Der eben Entschlafene meinte in angemessenen Zwischenpausen das Fegefeuer prasseln zu hören, ja, einmal war's ihm sogar, als schlüge der Teufel mit einem Schürhakl vielsagend auf die eisernen Bratkessel der Hölle. Dazwischen, und das war das Tollste, hörte er dann wieder die Stimmen der Gäste, des Wirtes und der eilig herbeigeholten Mannschaft der Sanitätskolonne. Er merkte deutlich, wie man künstliche Atmungsversuche mit ihm anstellte, wie man ihn zur Ader ließ, und wie man ihn, als schließlich auch noch ein Arzt im Namen der Wissenschaft mit Achselzucken den sicheren Tod konstatiert hatte, in den höchst simplen Leichenwagen für Unglücksfälle lud.

Ein ganz verrückter Zustand. Und doch nicht mehr so neu. Herr Schefbeck hatte früher manchmal recht lebhaft geträumt. Vom Tode, vom Nimmererwachen, vom Starrkrampf und Lebendig-begraben-werden. Trotzdem hatte er dabei alles beobachtet, was um ihn vorging. Jetzt war er mit seinen Empfindungen genau so festgelegt und so gebunden, nur gab es diesmal nicht das große, befreiende Erwachen aus dem drückenden Schlafe, nicht den tiefen, erquickenden Atemzug, der am Morgen alles Blendwerk von dannen scheucht. Diesmal war er tot, wirklich tot. Und die liebe Menschheit hielt ihm vom Kaffeehaus weg über den Bürgersteig die herrlichste Leichenrede.

An der Spitze die drei Tarockbrüder mit erschütterten Mienen.

"Was wird sei' Frau sag'n?" flüsterte der eine.

"Die tröst' sich scho' wieder," sagte der andere.

"Hat sich so wie so scho' manchmal tröst'," meinte der dritte.

Und sie nickten alle drei mit den Köpfen, ja, es war Herrn Schefbeck in seinem Verschlage, als lachten sie dabei so laut, wie es der feierliche Ernst solch tragischer Situation und die angesammelte Menschenmenge erlaubte.

Darüber empfand er eine fürchterliche Wut. Er hatte niemals Philosophie studiert, aber so viel Erkenntnistheoretiker war er doch, daß er sich fragte, was dieses Erdenleben wert sei. Kaum war er kalt, da warfen die Leute, die sich immer seine Freunde genannt hatten, den ersten Stein auf seine wehrlose Gattin. Mit Grund? Nimmermehr. Zwar hatte Herr Schefbeck im Laufe seiner fünfjährigen Ehe so manchen Verdacht gehegt; eifersüchtig war er schon öfter gewesen, sogar erst vor kurzem. Auf einen ungarischen Grafen, einen bildsauberen Burschen. Aber da war nichts dahinter. Der junge Mensch verkehrte bei ihm, allerdings. Er war auch mit ihm und Frau Schefbeck einen Winter in Monte Carlo gewesen, in Monte Carlo, wohin Herr Schefbeck immer so gerne ging. Hatte sie Beide spielen gelehrt und in München auf zwei bis drei Bal parés begleitet. Aber es verkehrten doch auch andere Herrschaften im Hause, es machten doch auch dritte Frau Olly den Hof. Hohe Adlige aus Rumänien und Serbien. Ja, auch Münchner, erbeingesessene, erste Münchner Herren aus tadellosen Familien.

Herr Schefbeck zählte sie der Reihe nach auf, während der Wagen im langsamen Tempo dahinrollte. Ueber den Marienplatz weg, die Kaufinger-, die Neuhauserstraße, dann über den Karlsplatz, die Sonnenstraße geradewegs zum alten, südlichen Friedhof, zur Säulenhalle des sogenannten Camposanto. Dort lag neben vielen Anderen in Ehren und Würden der Senatspräsident und Reichsrat Dr. Ritter von Firneusel. Unter einem großen Marmorbaldachin lag er, den der König eigens gestiftet hatte. Denn der Verstorbene war sein Erzieher gewesen; er galt als einer der ersten Männer des Landes, als großer Jurist, als großer Verwaltungsbeamter. Und sein Sohn, der Hofrat Dr. Firneusel, war langjähriger Hausarzt bei Herrn Schefbeck. Staatskonkurs: Note Eins, Schwiegersohn eines Universitätsprofessors, alle drei Wochen zur Königlichen Tafel gezogen, jeden Spätsommer im Allerhöchsten Jagdgefolge. Der ging bei ihm aus und ein, der machte Frau Olly so anmutige Komplimente, so recht zuckersüße, münchnerische, daß Herr Schefbeck seine helle Freude dran hatte. Leider konnte man ihn nie dazu bewegen, seine Frau mitzubringen. Aber das hatte seinen besonderen, wohlberechtigten Grund. Der Herr Hofrat war nämlich selber einmal mit Frau Schefbeck verlobt gewesen als junger, unbedeutender Doktor. Zwei bis drei Jahre, ohne Aussicht auf die materielle Möglichkeit einer Verehelichung, ohne Aussicht auf spätere Praxis.

Ging man nun in Gedanken ein paar Gräber noch weiter, vom alten Firneusel weg, dann ruhte im selben Rechteck der gleichen Säulenhalle der Präsident des Städtischen Spitals, der Obermedizinalrat Dr. Ritter von Klemperer. Der Genius des Todes senkte, in Bronze gegossen, einen ungeheuren Kranz über die Marmorgruft hernieder, die zwei Kandelaber flankierten. Das alles hatte die Gemeindeverwaltung gespendet. Denn der Verstorbene war einer der größten Wohltäter der Menschheit, ein Kinderfreund, wie man ihn selten findet. Und sein Enkel, der Justizrat Klemperer, war der Anwalt des Herrn Schefbeck, wie der Firneusel der Doktor war. Schlich ebenfalls um Frau Olly herum, wenn er sich auch noch intensiver an den raffinierten Weinkeller des Hauses hielt. Mit einer Frau gab es da keine Etikettenfragen. Der Herr Justizrat hatte die seine vor Jahren verloren, und auf seine beiden Schwestern, diese alten, verhutzelten Jungfern, die den ganzen Tag in der Kirche herumrutschten, die Gebetbücher in der Hand, die Gummizugstiefel an den Füßen, verzichtete Herr Schefbeck von vornherein.

Schmerzlich aber hatte er immer den Gatten der Frau von Börnerau vermißt, den Generalleutnant und Divisionskommandeur, Exzellenz Freiherrn Karl von Börnerau. Sie, die Generalin, verkehrte bei ihm, das heißt, bei Frau Olly, ihrer Institutsfreundin, nicht bei Herrn Schefbeck, wie sie ausdrücklich betonte. Diese sehr resolute Dame mit der Stimme eines Korporals und dem Schnurrbart eines achtzehnjährigen Studenten, sehr stolz, sehr von oben herab und doch ohne Vorurteile, ließ sich nieder, wo es ihr paßte. Wohnte außerdem seit undenklichen Jahren im Hause des Herrn Schefbeck. Also auch Jugendbeziehungen, mit denen man gelegentlich renommieren konnte, wie bei Firneusel, nur mit dem Unterschiede: der brachte seine Frau, sie ihren Mann nicht mit. Und das Komische, die ganze Geschichte kam heraus wie verabredet zwischen guten Freunden; auch mit dem Fernbleiben der Schwestern des Klemperer. Feste Verbindung seit Jahren, dicke, ergiebige Freundschaft nach innen und außen. Freilich, die Familiengruft der Frau von Börnerau lag nicht im Camposanto selbst, inmitten der guten Bekannten, sondern im offenen Viereck unter freiem Himmel. Auf Rufweite zu erreichen, mit dem schönen Obelisken auch leicht zu erspähen, aber halt doch nicht drinnen, wo die anderen paradierten, wo auch Reichsgrafen, Prälaten, Minister ihre Namen blinken ließen und daneben – Herr Schefbeck.

Jawohl, Herr Schefbeck. Auch er hatte sein Grab dort errichtet. Zu einer Zeit, wo er noch gar nicht ans Sterben dachte, wo er aussah, so frisch, so blühend, wie auf dem Ölgemälde, das im Zimmer der Gattin hing, dicht vor dem seidenen Sofa, in voller Lebensgröße im schwarzen Salonrock, in grauer Weste, mit der breiten, goldenen Uhrkette. Die wasserblauen, gutmütigen Augen lächelten freundlich, die Backen hingen herab, und spiegelglatt glänzte der rundliche Schädel mit der Glatze. Das alles trat plastisch und deutlich hervor. Am deutlichsten der Mund, dieser breite, aufnahmefähige Münchner Mund mit der wulstigen Oberlippe und dem abgezupften Schnurrbärtchen. Er wollte ihn öffnen, den Mund, er wollte reden, denn er fühlte deutlich, daß er bald in dem Leichenwagen, bald in dem Bilde war, daß seine Phantasie herumeilte, vom Friedhof zu seiner Wohnung, daß ihm alles allgegenwärtig schien, was da, was dort passierte, und doch riß es ihn dann immer wieder zu seiner Grabstätte.

Die war weit und breit berühmt ob ihrer Schönheit. Eine ungeheure schwarze Marmorplatte, eingelassen in eines der Felder, gab die Rückwand ab. Darauf ein Engel mit weitentfalteten Flügeln. Oben verkündeten große, goldene Lettern, daß das die Ruhestätte der Familie Schefbeck; unter ihm, wo die wuchtige Granitplatte sich schwer in den Boden senkte, prangte, umgeben von zwei mächtigen Schalen, in noch größeren Buchstaben, dicht über dem schmiedeeisernen Weihwasserkessel das eine vielsagende Wort: "Excelsior".

Was das hieß, wußte der stolze Bauherr heute noch nicht. Er hatte die gutklingende Inschrift ein paar Felder weiter entdeckt auf dem Grab eines Bürgermeisters von München, der vor hundert oder noch mehr sagenhaften Jahren sein Leben für die Entwicklung der Stadt verbraucht haben sollte. Und weil sie ihm gefiel, übernahm er sie ohne allzugroße Gewissensbisse. Auch der Engel war eine getreue Nachbildung, richtiger noch eine Vergrößerung. Er stammte von der Gruft eines jener hochverdienten Männer, die Bayern achtzehnhundertsechsundsechzig zum Kriege geraten hatten. So blieb eigentlich nur noch der Weihwasserkessel mit den Schalen. Doch auch die waren fremden Ideen entlehnt. Die Schalen dem ersten Direktor der Staatsbank, während der Weihwasserkessel vom Grabe eines großen katholischen Gelehrten stammte.

Und in diese Blüte des Landes zog Herr Schefbeck jetzt durch das hohe Portal als neuer Bewohner. Der weite Weg vom Kaffeehaus war im ödesten Schritte durchmessen, nun winkte von drüben die ewige Ruhestatt. Zunächst freilich ging's noch nicht direkt in die Gruft, sondern in andere Räume. Zur Erledigung der unerläßlichen Formalitäten, zur Anlegung der letzten Toilette. Doch übermorgen da schwebte er hinüber. Im feierlichen Kondukte erster Klasse, wie er es bestimmt hatte. Voran die Posaunenbläser, dann der Kirchenchor, die gesamte Pfarrei im goldverbrämten Ornat, alles zusammen zwölfhundert Mark Kosten. Ein Musikchor nicht mitgerechnet, das, vierzig Mann stark, den Trauermarsch von Chopin spielen mußte. Auch die Leichenrede nicht inbegriffen. Die sollte sehr eingehend sein, alles aufzählen, alle Lebensdaten, alle Verdienste. Dann vielleicht noch ein Freund, der ein paar Worte sprach, nicht zu lang, nicht zu kurz, ein letzter Scheidegruß, und dann, ja dann war's aus. Wirklich aus?

Nein, dann sollte es erst richtig anfangen! Dann wollte er sich freuen, daß er's erreicht hatte. Einen gottverdammten Stolz wollte er da empfinden. Denn er war da, er wollte dableiben bis zum Tag des Gerichtes. Sein war die Gruft, niemand konnte ihn herausschmeißen. Auch die Frau von Börnerau nicht. Obwohl sie's gedroht hatte. Allen Ernstes. Dem Hofrat Firneusel hatte sie's prophezeit, und der hatte es wieder erzählt. Nicht nur in seiner Clique, nein, Frau Olly mit dürren Worten: Daß der Tag kommen werde, wo sie dem ungebetenen Eindringling die Flügel auf die Schultern klebe, wo sie ihn fortwiese wie der Engel Adam und Eva, kurz und gut, wo sie ihn regelrecht hinausschmisse. Denn die Frau von Börnerau wollte selbst herein in die Säulenhalle: für ihr Töchterchen, das, wie sie immer behauptete, seit zehn Jahren draußen unter Kreti und Pleti zu ruhen verdammt war, verlangte sie die vielumworbene Gruft. Sie tat dies mit dem ihrem Temperament entsprechenden Eifer, ja, mit offener Rücksichtslosigkeit, da sie selber am besten wußte, daß die Gräber im Camposanto sonst völlig besetzt waren. Nur der Zufall, daß eine Familie auf immer die Stadt verließ und ihre Toten mit sich nahm, hatte diesmal was frei gemacht. So rannte denn die scharfe Konkurrentin des Herrn Schefbeck ohne Zögern zum älteren Fräulein von Klemperer, das Fräulein von Klemperer rannte zu ihrem Bruder, dem Justizrat von Klemperer, der Justizrat von Klemperer zum Hofrat Firneusel und der Hofrat Firneusel zum Bürgermeister. Der Bürgermeister aber, der die Gräber da draußen zu vergeben hatte, fragte den einschlägigen Rechtsrat. Und der meinte, das viele Spezltum da draußen habe böses Blut gemacht in der Bürgerschaft, deshalb müsse man schon einmal in so vornehme Überspannung mit dem Kaiblwagen dazwischen fahren.

War diese Bezeichnung auch nicht sehr schmeichelhaft für Herrn Schefbeck, er war doch der Sieger geblieben. Und über alle Kaiblwagen, über Adlige und Halbadlige hinweg wollte er eben einen letzten Sprung machen, als ihm etwas in den Sinn kam, woran er im ersten Trubel der Abreise gar nicht gedacht hatte: das Geschäft. Eine ausgedehnte Wurstfabrikation mit einer Unmasse Filialen in der Stadt. Das heißt, um es richtig zu sagen: Herr Schefbeck hatte diese Goldgrube vor zwanzig Jahren von seinem Vater geerbt. Vor zehn oder noch etwas früher ließ er sie durch ein Konsortium wohlhabender Münchner in eine G.m.b.H. verwandeln. Er selbst tat nicht mehr mit, sondern zog sich mit allem Behagen sowie mit dem Titel Kommerzienrat ins Privatleben zurück. Und mit einem großen Brocken Geld noch dazu. Mit sieben Millionen, sagten die Münchner, mit drei Millionen, sagte Herr Schefbeck. Und er lächelte, wenn er das sagte. Als ob er's selber für mehr hielte. Jetzt aber, auf dieser letzten Fahrt, gab's keine Täuschung mehr. Da wuchsen die Zahlen unverschiebbar aus dem Dunkel der Todesnacht. Vierhundertvierzigtausend Mark dreieinhalbprozentige Eisenbahnanleihe mit Coupons per Januar und Juli. Brauerei- und Stahl-Industrie etwa zweihunderttausend Stammkapital, zweihundertzwanzigtausend zum damaligen Kurse. Dazu noch das schöne Zinshaus in der Briennerstraße, sowie die Anteilscheine am Geschäft, etwa siebzigtausend Mark. Von drei Millionen also gar keine Rede, von sieben nicht die leiseste Spur. Weder zur Zeit der Geschäftsübernahme, noch heute. Heute? Mit Entsetzen fuhr es Herrn Schefbeck durch die absterbenden Knochen. Ein paar Tage noch, dann würde seine Gattin die Depots auf der Bank öffnen. Dann würde sie die großen Mappen hin und her wenden, dann würde sie blättern, wie in der Bibel. Der liebenswürdige Beamte am Schalter aber würde lächeln, immer wieder lächeln, oder verbindlich die Achsel zucken. Neun bis zehntausend Mark – nicht mehr. Die Papiere, die Anteilscheine alle verklopft, auf dem Zinshaus drei Hypotheken, so gewaltig, daß sie den Dachstuhl fast eindrückten, vor dem bronzenen Portale der nahe, unvermeidliche Bankerott. Eine nette Bilanz, eine famose Ueberraschung.

Eine Ueberraschung? Nein. Wenn Frau Schefbeck nur ein bißchen ehrlich gegen sich selbst war, dann wußte sie's jetzt schon, genau so wie er selber. Nie, niemals hatte sie mit ihm darüber gesprochen, ob's auch reichen würde, das Geld, aber sie duldete, ja, sie wollte es, daß er in einem Automobil neuesten Systems in der Stadt herumkutschierte, daß er zehnmal so verschwenderisch lebte, wie einst vor seiner Ehe mit ihr, und daß er – richtig, die Hauptsache hätte er bald vergessen: Das Patent, die große Erfindung! Da lag das Meiste begraben. Zirka zweihunderttausend Mark. Es war ja sicher, totsicher. Ausgedehnte Waldungen unten in Ungarn oder Galizien sollten zu Gummi gepreßt werden. Eine riesige Sache mit den größten Perspektiven. Nur Geduld müßte man haben, viel Geduld, wie der Herr Grellinger fortwährend meinte, Herr Grellinger, der Erfinder, der frühere Offizier, der jetzige Ingenieur und –

Unwillkürlich wollte Herr Schefbeck in diesem Augenblick eine Bewegung machen. Herr Grellinger war ein bedeutender Techniker, ohne Frage. Er war ein Genie, wenn man so wollte. Nebenbei war er aber auch einmal der Liebhaber von Frau Olly gewesen. Das wußte die ganze Stadt, das pfiffen die Spatzen von den Dächern, das hatte Frau Schefbeck ihrem Gatten selber gestanden. Noch vor ihrer Verheiratung in aller Offenheit. Oh, er sah sie heute noch vor sich mit dem feingeschnittenen Gesichte, mit den leichtgeblähten Nüstern und den schmalen, vornehmen Lippen. Aber erst die Augen, diese ausdrucksvollen, braunen Augen! Wie die hervorsprangen unter dem leichtgefärbten Hellblond der Haare. Wie die lachten, als sie's ganz harmlos sagte, wie die natürlichste Sache von der Welt. Selbstverständlich, sie hatte mit Grellinger ein Jahr zusammengelebt, ja, sie hatte ein Kind von ihm gehabt, ein liebes, süßes, herrliches Kind. Vor drei Jahren war es dahingegangen, aber vergessen konnte sie's nicht, wenn sie noch so alt werden sollte. Und lieb behalten würde sie's, unehelich, wie es war. Sie pfiff überhaupt auf die ganze Konvention, sie tat, was sie wollte. Ein Belagerungsspiel, ein Schachbrett, so sah sie die ganze Gesellschaft, so hatte sie's mal in einem Romane gelesen, so stellte sie Bleisoldaten, Bauern, Türme, Könige auf Beine und Schlachtfelder, wie's eben paßte. Und tanzten die etwa nicht nach ihrer Pfeife, wollten sie anders, als sie selbst disponierte, dann warf sie den ganzen Krempel über den Haufen. Der Knecht, der seiner Herrin nicht diente, flog an die Wand wie die ausgepreßte Zitrone. Möglich, daß das sehr hart klang, besser aber, man wußte, wie man mit ihr dran war. Als Schulmädel sah sie freilich noch andere Himmel, vielleicht auch noch als Braut, als der Hofrat aber sich drückte, war's aus damit. Denn Herr Schefbeck sollte es nur wissen: der Firneusel hatte sich wirklich gedrückt, er hatte sie sitzen lassen, in perfider, niederträchtiger Weise. Jahrelang verkehrte er im Hause ihrer Eltern, und eines Tages schrieb er, es sei ihm zu brenzlich.

Olly trocknete sich die Tränen und redete lange nichts mehr; sie sah ihre Jugend vor sich im grellen Lichte der Wirklichkeit, ohne Schminke, ohne Retouche. Ihr Vater, ein großer Gelehrter, ein Stubenhocker, ein Weltfremder, der Probleme ausarbeitete, verrückter noch als das Perpetuum mobile. Die Mutter, eine Weltdame, eine eitle Frau und ihre Salons ein großer, offener Taubenschlag. Darin ging es zu wie im ewigen Leben. Jeden Abend fast eine Gesellschaft, jeden Nachmittag ein Tee. Was man damit erreichen wollte? Einen vornehmen Freier, einen Grafen, womöglich gar einen Prinzen. Jedenfalls etwas Besonderes. Oh, der gräßliche Zustand, als dann die Enttäuschungen kamen, die entsetzlichen Jahre, die Vorwürfe – na, wie's auch war mit dem Grellinger, was sie in seine Arme getrieben hatte: jetzt war's aus damit, für immer aus. Uebrigens könnte Herr Schefbeck darüber umsoweniger böse sein, als er ja selbst, wie ganz München behaupte, sein redlich Teil auf dem Gewissen habe, sie beide also vollkommen quitt seien.

Worauf sie anspielte, war die Tatsache, daß die erste Gattin des Herrn Kommerzienrats vor fünfzehn Jahren auf einmal ins Wasser ging. Nach einer furchtbaren Szene, vom Mittagessen weg, ohne Adieu zu sagen. Warum? Mein Gott, sie war ein simples Bürgermädel, Tochter des ersten Maschinisten im Geschäft des Herrn Schefbeck, aus Gnade geheiratet. Wie man halt heiratet in der Jugend. Dumm und blöd. Und so war das arme Annerl selber. Beschränkt bis dahinaus, nur fähig, den Strickstrumpf zu halten. Und eifersüchtig! Wollte es absolut nicht verstehen, daß Herr Schefbeck gelegentlich auch Hübscheres suchte. Als es nun gar mit einer rundlichen Ladnerin mal was Junges absetzte, war's aus. Das konnte das unbedeutende Geschöpf, das selbst keine Kinder zur Welt brachte, nicht verwinden. Exaltation, Hysterie, Isarwasser. Böse, böse Geschichte! Man nahm sie Herrn Schefbeck sehr übel. Der Tod wäre ihm vielleicht noch verziehen worden. Aber er ließ die arme Frau in aller Stille niederträchtig bestatten. Draußen auf dem östlichen Friedhof in den gelben, nüchternen Sandreihen der Armenabteilung Serie sieben, Grab Nummer zweihundertundzwanzig. Und das verzieh man ihm nicht.

"Sie sind in München für immer unmöglich", sagte damals der Hofrat Firneusel zu ihm. Und er zog sich am selben Tage zurück. Fiel ihm auch gar nicht ein, ins Haus zu gehen, als Herr Schefbeck telefonierte, er habe die Lungenentzündung. Aus, für immer aus. So stand's in einer Karte zu lesen. Und der Justizrat Klemperer sandte die Prozeßakten nicht minder patzig zurück. Ja, er grüßte Herrn Schefbeck kaum mehr auf der Straße. Am tollsten aber trieb es Frau von Börnerau. Ohne ihren Gatten lange zu fragen, sagte sie einfach die Wohnung im Hause des Herrn Schefbeck auf, ja, nicht einmal bis zum nächsten Ziele wollte sie bleiben, sofort wollte sie wandern, mit außerordentlicher Kündigung.

"Sehen Sie, ich weiß auch was", meinte seine Angebetete. Aber nein, sie kannte ihn noch nicht. Denn jetzt wollte er ihr gestehen, daß er sie schon immer beobachtet hatte, lange, lange, bevor er das dumme Annerl an den Traualtar führte. Auf der Straße und vor allem im Theater. Herrgott, wenn er sich erinnerte, was er damals für Rosinen im Kopfe hatte. So oft es ihn traf, saß er im dritten Rang, Vorderplatz, zweite Abonnementsabteilung und hörte den Tristan, den Holländer und den Lohengrin. Eiskalt lief es ihm dabei über den Rücken. Kam er heim, dann fuchtelte er mit den Armen in der Luft herum wie ein Kapellmeister. Manchmal bis zum frühen Morgen, wo ihn die Dampfpfeife oder ein Schimpfwort des Alten in die Kuttelei rief. Er spielte kein Instrument, er zischte nur Melodien der Reihe nach herunter, er gab Zeichen nach rechts und links wie zum Einsatz, er hielt die Primadonna im Takte, er sah mit seiner lebhaften Phantasie in den Zuschauerraum. Ob man ihn beobachtete, ob man ihm zunickte.

Denn dort saßen die vornehmen Damen, in der ersten Reihe die süße, kleine Olly, dies Prachtmädel von fünfzehn Jahren, dies Gewebe aus Tüll und Duft mit den seidenen Strümpfen und den Lackschuhen einer Kinderpuppe. Die winkte ihm zwar nicht zu; fiel ihr ja gar nicht ein, die kokettierte mit Leutnants und Staatsanwälten. Hätte sich wohl auch schief gelacht, wäre ihr der fast zwanzig Jahre ältere Wurstkramer mit solchen Händen, solchen Backen zu Gesicht gekommen. Ueberhaupt saß sie gar nicht da vorne, sondern tief unter ihm, auf der sogenannten Galerie noble, dem Platze der ganz Gewappelten, der höchst Raffinierten, der Firneusels der Klemperers und der Börneraus. Auf jenem Platze, den ein gewöhnlicher Sterblicher niemals erreichen konnte. Allerdings, man brauchte ihn ja nur an der Kasse zu kaufen. Er war feil wie ein Grab im Camposanto. Acht Mark so ein Fauteuil, zehntausend so eine Gruft. Fragte sich nur, ob man hineinpaßte. In die Galerie noble ging es schlecht; man saß da auf dem Präsentierteller. Schlürfte man eine Tasse Eis und goß die rote Sauce über das gestärkte Brusthemd, dann fiel das auf, ebenso wenn man frisch verzehrtes Konfekt in voller Vergeßlichkeit mit den Fingern aus den Zähnen herausholte. Da konnte man aus dem Camposanto draußen schon besser aufdrehen in Bronze und Marmor, ohne daß man gesehen wurde. O, er ging lange und häufig spazieren an stillen Nachmittagen in den ganz verlassenen Säulenhallen. Seine Schritte widerhallten von den großen Platten an den Wänden, seine Augen eilten hinauf zu den steineren Statuen, die starr und unbeweglich standen, wie eine recht fade, vornehme Gesellschaft. Aber er mußte hinein, kostete es, was es wollte, denn er wünschte heimzuzahlen, ins Gesicht springen wollte er all den Puppen und Larven und zwar am liebsten mit jenem Körperteil, den man mit Umschreibung gern als den rundesten bezeichnet. Darum suchte er, der Herr Schefbeck, er suchte, und suchte. Auf die Südseite mochte er nicht; da lagen die Großindustriellen, die Seifensieder, die Bierbrauer, er wollte zum Westen hinüber, mitten hinein in die miserable Bagage, die ihn boykottiert hatte. Grad extra. Und weil's nicht gleich war.

"Mein Gott," sagte Olly, "ich finde das affrös. Wie kann man sich nur bei Lebzeiten sein eigenes Grab kaufen? Und noch dazu neben dieser Gesellschaft! Die darf man doch nicht so tragisch nehmen, die muß man ganz anders fassen, die muß man auslachen. Schauen Sie mich an, lieber Herr Schefbeck; von mir wollte vor ein paar Jahren kein Hund mehr ein Stück Brot annehmen. Und heute? Hab' ich nicht alles schön dirigiert? Hab' ich die Herren nicht alle am Bandl, und wenn's nottut die Weiber dazu? Geduld und Ruhe, das braucht man in unserer lieben Stadt. Erst schreit man wie besessen, man führt sich auf, wie auf dem Theater, man möchte meinen, der Himmel fällt ein, – plötzlich ist alles wieder beim Alten, die Herrschaften verkehren in gewohnter Gemütlichkeit. Warten Sie nur, den Firneusel, den Klemperer und auch die Börnerau, wenn Ihnen gar so viel daran liegt, die bring' ich Ihnen zurück, alle miteinander: auf dem Teebrett will ich sie Ihnen servieren. Darum war es wirklich überflüssig und nebenbei auch eine recht unnötige Ausgabe, daß Sie da draußen auf dem Friedhof so viel Trara gemacht haben."

Und um schnell von dem Thema hinwegzukommen, stellte sie einige recht geschäftsmäßige Fragen. Nach Vermögen und Einkünften, nach der Höhe seiner Bezüge. Denn jetzt wollte sie klar sehen. Sie war kein Kind mehr, sie war dreiunddreißig Jahre alt; nun sollte das Leben sie entschädigen für alles, was sie durchgemacht hatte. Auch ein Testament verlangte sie. Herr Schefbeck könnte ja morgen sterben – ein häßlicher Gedanke, gewiß, und sie war die erste, die ihm ein langes Leben wünschte, schon deshalb, weil er sie aus dem Elend zog. Immerhin, er war so und so viel älter; es war also möglich, und sie durfte nicht wieder auf die Mutter angewiesen sein, wie nach dem Fall mit dem Grellinger. Sicher mußte sie dastehen, und weil ihr Herr Schefbeck dazu die Hand bot, erlaubte sie ihm jetzt einen ersten, schüchternen Kuß auf die Stirne.

Der vor Seligkeit völlig Trunkene nickte in diesem Augenblicke zu allem. Er hatte für das Reale jedes Verständnis verloren, er hörte nur noch das Knistern der seidenen Juponage, er atmete nur noch das feine Heliotrop, das ihrer Robe entströmte. So faselte er das Blaue vom Himmel herunter, von Zahlen und Bildern. Aber bei aller Begeisterung war er ein scharfer Rechner; er wollte ihr ziffermäßige Sicherheit geben, beim Notar, mit Unterschrift, Siegel und Protokoll.

"Kennen Sie den berühmten Nationalökonomen, meinen Freund – ach, er besucht mich fast alle Wochen, den Professor Schwartzkogel?" fragte er mit der Miene eines Menschen, dem plötzlich ein erlösender Gedanke kommt. Dieser bedeutende Mann legte Herrn Schefbeck seit Jahren mit beispielloser Ausdauer nahe, die Mittel für eine segensreiche Einrichtung aufzubringen, die er einmal auf einer seiner umfassenden Studienreisen in Norddeutschland kennen gelernt hatte: für großartige Arbeiterwohnungen. Hübsche, behagliche Häuschen sollten sich auf einem weiten Felde erstrecken, aber nicht militärisch ausgerichtet, eins neben dem andern, nicht kasernenmäßig aus roten Ziegeln erbaut, sondern jedes eine Sache, ein kleines Wunder für sich, jedes im Biedermeierstil mit hohem Dache, mit Springbrunnen und Garten. Und die Innenräume sollten mit Bildern geziert werden, mit Reproduktionen bester, moderner Meister, mit Blumen auf Fenster- und Erkergesimsen, mit einem nach Entwürfen angesehener Künstler gearbeiteten Klavier oder Harmonium, auf daß die Psyche des Mannes mit der schwieligen Faust nach getaner Arbeit, sowie des Sonntags Erholung und innere Sammlung finden könne für neue Mühen und Kämpfe.

Ein Projekt von unerhörter Bedeutung nach der sozialen wie nach der künstlerischen Seite, in jedem Falle würdig der mächtig aufstrebenden Stadt. Wollte der Witwer trotz eifrigstem Zureden des Herrn Professors erst nicht recht heran – der werdende Ehemann nahm es jetzt umso heftiger auf. Beste Grundstücke im Werte von Millionen, die ihm gerade noch zur günstigen Zeit einer seiner Freunde beim Tarockspiel verkauft hatte, wollte er umgehend der Stadt vermachen, und die wieder sollte nach Errichtung der ganzen Anlage als Entschädigung dafür eine dreieinhalbpronzentige Rente aus dem höchst respektablen Restbetrag seiner Gattin auf Lebensdauer alljährlich auszahlen.

Die ewige Verkettung des eigenen Namens mit einer so außerordentlichen Sache, die Rückeroberung des einst verlorenen Ansehens, sowie die dauernde Versorgung der schönsten Witwe zugleich – ob das seiner künftigen Gattin fürs Erste genüge? Ob sie glaube, damit durchzukommen, wo doch außerdem noch ein Barvermögen da war? Auch noch das Patent, von dem sie ja selber sprach? Ei freilich, sie mußte es ja glauben: Geld wie Heu und der Himmel voller Baßgeigen! Aber wäre es auch nicht so gewesen, Herr Schefbeck hätte doch genickt und immer wieder genickt zu Allem, was sie sagte. Denn jetzt, jetzt kam der größte Moment, den er niemals zu hoffen gewagt hatte: sie gab ihm die zarte Liebkosung mit freundlichem Lächeln zurück. Ach, welch eine unerhörte, unvergeßliche Stunde!

"Ollerl", hatte er damals geflüstert, rot wie ein Puter, vom Halskragen bis zum Ende der riesigen Glatze.

"Ollerl", meinte er auch heute wieder zu flüstern draußen auf dem Paradebette, wo er aufgebahrt lag, in derselben Toilette wie in der Stunde der Werbung, im Frack, steifen Hemd und weißer Binde. Denn er fühlte auf einmal, seine Frau kam, sie kam zu ihm. Nach allen Richtungen hatte das Telephon gespielt, der Hofrat war herbeigeholt worden, die Frau von Börnerau hatte man die Treppe heruntergehetzt, und der Justizrat Klemperer wollte auch nicht zurückbleiben. Ein Schreien, ein Hin- und Herrennen, ein Stürzen und Toben. Dann endlich ins Automobil, Frau von Börnerau und Olly. Ein Rasen durch die Stadt und jetzt, jetzt waren sie da, alle beide in der Leichenhalle. Frau von Börnerau in mattem Hellgrau, Frau Olly in schnell zusammengesuchter Trauer. Die erste diskret im Hintergrunde, zwischen den Blattpflanzen und Kerzen, die zweite beim Sarg, das feine Batisttuch krampfhaft um die Finger geschlungen. Immer näher und näher kam Frau Schefbeck, jetzt stand sie dicht bei dem Gatten, und da, nein es war keine Täuschung, da hielt sie das Tuch an die Augen und weinte, weinte wirkliche, bittere Tränen.