Geschichten, Märchen Etüden - Wolfgang Büttner - E-Book

Geschichten, Märchen Etüden E-Book

Wolfgang Büttner

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Beschreibung

Wir begegnen einer dreiköpfigen Mannschaft, die mit dem Heißluftballon einen Ausflug unternimmt. Dank gewisser Anstrengungen übersteht die Mehrheit diese Ballonfahrt. Als Kenner der Materie hat Büttner sich in seinem Büchlein auch über das Rasenmähen geäußert und darüber spekuliert, welche Gedanken einem im Wartezimmer eines Arztes durch den Kopf schießen und was passiert, wenn sich die Küchengeräte gegen den Hausherren verschwören. Des Weiteren erfahren wir, warum die Hälfte der Menschheit auf den Mars umgesiedelt werden muss. Zudem begegnen wir einer vornehmen Dame auf einem anderen Planeten, dessen Bewohner in gereimter Form sprechen. Philosophisch wird es, wenn von einem Bildhauer die Rede ist, der nebenbei auf dem Klavier spielt und seinen Gedanken freien Lauf lässt. Dass im Buch von Frauen ferngelenkte Roboter an die Stelle der Menschheit getreten sind, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Zu guter letzt hat der Autor sich dem Kunstmärchen zugewandt.

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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Andere Welten, andere Zeiten

Die Pauseneinlage

Saurierrennen

Astra

Geburtstag der Königin

König Pertinaxus’ Bestimmung

Der Übergang

Bevor der Raumzeit-Transformer erfunden wurde

Als ich zum zweiten Mal 22 wurde

Die Hälfte muss weg

Wenn der Abend sich neigt

Über die Raumfahrt, die es so nicht geben wird

Zu Lande, im Wasser und in der Luft

Hubert Humboldt

Spazierfahrt im Heißluftballon

Kieselsteine

Samstag

Arche Erde

Studienreise ans Meer

Kein Licht

Rita

Margot

Auf der Rolltreppe

Der Schwanenteich

Der Frauenpfuhl

Schneelindchen und Jogoj

Immerschön

Dormirana und ihre Tiere

Die weiße Kachel

Lichter in der Ferne

Die Künste

Ein Künstlerportrait

Das rote Haus

Die Ansage

Variationen

Das Märchen von Tausendschön

Wie der Diener Graf wurde

Urlaub an der See

Vorwort

Dieses Büchlein ist ein Gemeinschaftswerk, daher geht ein besonderer Dank an die begnadeten Lektorinnen Elke Staamann und Gabrielle Zähler-Mielke, die freundlicherweise dem Ganzen zum Durchbruch verholfen haben. Für den computermäßigen Support bedanke ich mich bei Hartmut Köster. Vom Redakteur und Ballonfahrer Helge Treichel konnte ich inhaltlich profitieren. Ganz grundsätzliche, wegweisende Inspirationen für zahlreiche der 34 Geschichten verdanke ich dem 2016 von uns gegangenen Lyriker und Erzähler Frank Kminkowski, der mich zum Verfassen literarischer Texte bestärkt hatte.

Bis auf „Die Ansage“ stammen sämtliche Stoffe aus den Jahren 2015 bis 2018. Manch eine Passage mag das eigene Erleben durchschimmern lassen.

Am Kapitel Variationen lässt sich erkennen, wie sich Themen interpretieren lassen – manch einen Leser, der gern zur Feder greift, wird es zu eigenen Versuchen ermuntern.

Birkenwerder, Dezember 2018

Andere Welten, andere Zeiten

Die Pauseneinlag

– aus den unvollständigen Aufzeichnungen eines Wissenschaftlers –

Ich, Ralf Rufer, bin Naturforscher. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz habe ich eine Zeitmaschine1 nach meinen Entwürfen bauen lassen. Das Projekt finanzierte ich aus eigener Tasche.

* * *

Mit meiner Zeitmaschine war ich im Jahre 4181 gelandet. Bei meiner Ankunft hatten sich die Ortskoordinaten wie folgt verändert: Der Längengrad blieb konstant, nur setzte die Maschine zehn Breitengrade weiter südlich auf, und zwar in Rom oder das, was nach dem 3. Weltkrieg davon übrig geblieben war – nämlich außer dem Colosseum nicht allzu viel. Um ein Haar wäre auf unserer Erde das geschehen, was vor vielen Millionen Jahren auf dem Mars passiert war.

Manche Sterne am Nachthimmel sind erloschen, andere strahlen dafür umso heller; Sternbilder haben ihre Gestalt verloren. Wie es hieß, stünden im einstigen Ägypten Pyramiden. Also hatten auch sie dem Weltenbrand getrotzt.

Die Ruine des Colosseums, das in den gut 4100 Jahren seit der Einweihung durch Kaiser Titus im Jahre 80 ab und an als Steinbruch diente, hatten die Menschen zu neuem Leben erweckt. Schäden, die im Laufe der Jahrtausende aufgetreten waren, sind großenteils beseitigt worden.

Der monumentale Bau glich noch immer einem in sich verschränkten Aquädukt, welcher den Raum umschließt: Er ruhte nach wie vor gleichsam wie ein rundes, ausgehöhltes Felsengebirge, in dem wieder die Leidenschaft, Freude und Wut von heißblütig Schaulustigen aufschäumt, wo das Sterben bejubelt wird.

* * *

Es war ein heißer Tag und das Colosseum bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt. Kaiser Herkulaos feierte seinen dreißigsten Geburtstag. Das Gestirn suchte die Nähe zum Erdenrund, als zur Belustigung der Massen ein zum Tode Verurteilter durch das Wasserbecken schwimmen musste. Man hatte das Becken mit dem Wasser des Tibers gefüllt.

In ihm hatten den ganzen Tag über zahlreiche Schaukämpfe, wie in der römischen Antike stattgefunden, so auch kurz zuvor die Schlacht eines Krokodils gegen einen drei Meter langen Riesensalamander.

Das Krokodil war als Sieger aus dem Duell hervorgegangen und der frenetische Lärm der Volksmenge abgeebbt. Lange noch trieb der tote Riesensalamander mit abgetrenntem Schwanz und dem blass-gelben Bauch nach oben an der Oberfläche. Ich erkannte klaffende Bisswunden an ihm.

Der Verurteilte war in Ungnade gefallen, weil er den Mittelpunkt des Weltalls woanders, statt im Erdball suchte.

Als die Wachen ihn ans Bassin führten, ging ein Raunen durch die Menge. Zunächst musste er sich an den Beckenrand stellen. Dann sollte er hineinspringen.

Das Wasser befand sich in ein Meter Tiefe; stehen konnte man im Wasser nicht. Ich bräuchte für die Distanz quer durchs Becken fünfzehn, sechzehn Kraulzüge.

Seine Chance bestand nun darin, zur 15 Meter entfernten Leiter an der gegenüber liegenden Seite zu schwimmen und das Bassin wieder zu verlassen, falls es ihm gelänge, die Leiter lebend vor dem Krokodil zu erreichen.

Fortan hätte er als freier Mann seiner Wege gehen dürfen.

Sein Alter schätzte ich auf Ende 20. Er hatte gesunde Gliedmaßen – wies auch sonst keinerlei Mutationen auf.

Umstehende meinten, er könne es durchaus schaffen, zuzutrauen wäre es ihm. Man stritt sich nur darüber wie, ob tauchend oder schwimmend oder beides nacheinander.

Bekleidet war er mit einem Lendenschurz. In seiner Hand hielt er ein Messer, das man ihm für seine Verteidigung gegen das Krokodil bewilligt hatte. Durch Schläge auf die Wasserfläche lockte man es weit von der Leiter weg.

Es stellte sich für den Verurteilten die Frage, ob er schwimmen oder die gesamte Strecke tauchen sollte. Beim Tauchen würde das Krokodil ihn nicht sehen.

Ein Zurück gab es nicht. Lanzenträger standen dicht hinter ihm. Gab der Herrscher das Zeichen, hatte der Verurteilte ins Bassin zu springen. Zögert er, würden die Wachposten ihn hineinstoßen.

Er trat an die Kante. Auf dem Schauplatz der Grausamkeiten erstarb das letzte Geräusch. Nun gingen die Blicke zur Kaiserloge. Kaiser Herkulaos gab das Zeichen.

Der Verurteilte klemmt das Messer zwischen seine Zähne. In seiner Hand würde es ihn beim Schwimmen behindern. Kraftvoll springt er ab mit dem Kopf voran und macht drei Armzüge. Das übliche Orgelspiel beginnt. Alles schaute begierig.

Augenblicklich nimmt das Krokodil, dessen Farbe dem Grünschimmer des trüben Wassers gleicht, Kurs auf. Es durchpflügt lautlos das Bassin. Nur seine Augen ragen aus dem Wasser auf.

Die Zuschauer johlen, pfeifen, schreien. Lionel, der Hofnarr, – er ist Publikumsliebling – schlägt Räder am Beckenrand. Das Colosseum gleicht einem Hexenkessel. Der Hofnarr kommt bei seinen Turnübungen dem Rand gefährlich nahe.

Nach dem Auftauchen schwimmt der Verurteilte den Rest der Strecke.

Noch wenige Meter trennen den Schwimmer von der rettenden Leiter.

Das Reptil nähert sich ihm mit schlängelndem Schwanz.

Fünf Meter ist es vom Verurteilten entfernt.

Der erreicht die Leiter, wo er an die Sprossen greift. Als er die nächste Sprosse erklimmt, erfasst ihn die Echse von hinten, zieht ihn hinab. Das Wasser gerät in tosende Bewegung, schäumt, Blasen steigen auf. Jubel erfüllt das Rund.

Wenn auch seine Arme und Beine gesund waren, schwamm der Verurteilte zu langsam. Der Jubel der Menge mündete in Gemurmel, es senkte sich der Abend und das Licht wurde fett wie Blut. Rot färbte sich das Wasser; rot färbten sich die Wolken.

Lionel winkte dem aufgetauchten Krokodil zu.

Das Schicksal des Verurteilten war besiegelt. Wie oft wohl war dies das Geschick derer, die unverstanden blieben?

* * *

Nun sah Lionel seine Stunde gekommen.

Schon lange hatte der Hofnarr auf die Gunst des Augenblicks gewartet, Kaiser und Kaiserin seinen Mut zu zeigen.

Dies war seine Gelegenheit. In der Pause wollte er ins Wasserbecken springen, um geschwind die Leiter wieder hinaufzuklettern, ehe das Krokodil ihn erreicht. Während der vorangegangenen Veranstaltung hatte er sich nur mal, als das Raubtier weit genug entfernt war, vom Rand des Beckens kurz ins Wasser gleiten lassen, ohne die Steinkante loszulassen. Sofort zog er sich hoch.

Der Himmel war in Feuer getaucht. Tiefer, immer tiefer sank die Sonne, färbte den Himmel mit Streifen roten Goldes. Das Gold badete im Wasser, wie Wunderkerzen glitzerte es.

Der kleine Hofnarr forderte das Tier heraus, das einen Riesensalamander besiegt hatte, einen übergroßen Salamander, in dessen Maul 100 Zähne in zwei Doppelreihen aufgereiht sind und dessen Haut von Giftdrüsen übersät ist.

Die meisten Zuschauerreihen lagen bereits im Schatten. Noch immer trieb der verendete Riesensalamander in diesem Meer des Todes, in dem sich dunkelrote Wolken spiegelten.

Lionel näherte sich im Narrenschritt dem Becken. Diesmal stellte er sich direkt neben die Leiter. Sein schwarz-gelb kariertes Wams und das lange Beinkleid behielt er an. Ängstliche Stille, vom Krächzen der Raben auf der Rundmauer und Angstschreien unterbrochen, hielt jeden Atem fest. Würde er so wie letztes Mal ins Wasser gleiten?

Der drahtige Narr schlüpfte aus seinen Galoschen, wähnte das Krokodil in der Ecke des Beckens weit genug und sprang mutig ins Nass. Für wenige Augenblicke tauchte er unter.

* * *

Das Krokodil – immer noch im Blutrausch – setzt sich in Bewegung.

Lionel ist längst neben der Leiter aufgetaucht und zieht sich Sprosse für Sprosse hinauf; das Gewicht des Wassers in seinen Kleidern wirkt dagegen. Sein Fuß rutscht von der Sprosse ab, während das Reptil unaufhaltsam der Leiter zustrebt.

Soeben hebt der Hofnarr sein zweites Bein aus dem Wasser, da bäumt sich das herannahende Krokodil auf und schnappt nach ihm. Es erfasst sein linkes Bein.

Bestürzt steht das Publikum auf; alle bleiben so eine Weile wie versteinert stehen, so auch das Herrscherpaar.

Das Reptil hat sich im Leder des Beinkleides verbissen.

Lionel klammert sich nur noch mit der rechten Hand an die Leiter.

Längst sind Wächter herbeigesprungen, packen Lionel an den Händen, bemühen sich ihn heraufziehen. Andere, die sich neben seine Retter an die Kante des Beckens gelegt haben, stechen mit Lanzen und Speeren in den Kopf der Echse, stechen in ihre Augen, in ihre grünen Augen mit dem starren Blick.

Keinen Zentimeter gibt dieselbe vom Beinkleid preis.

Oben ziehen die Helfer, unten zerrt die Bestie. Dazwischen in der Luft Lionel.

Lionel droht zu zerreißen. Er schreit mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Ich sehe in den hinteren Reihen Frauen in Ohnmacht fallen.

Mit ihrem Schwanz peitscht die zappelnde Bestie aufs Wasser.

Wellen schwappen hoch, laufen durchs Bassin, brechen sich. Die Helfer werden vom Wasser nass gespritzt. Spritzt das Wasser besonders hoch, kann ich einen winzigen Moment den Regenbogen sehen. Über der lauwarmen Wasserfläche liegt der Geruch von Exkrementen und dem Kadaver des Salamanders.

Weitere Männer treten hinzu, wollen helfen: Mit Wucht schleudert einer von ihnen seine Lanze in Richtung Krokodil. Haarscharf fliegt sie an Lionels Fuß vorbei, verfehlt ihr Ziel und saust ins aufgewühlte Wasser. Ein anderer versucht es, trifft. Seine Lanze durchbohrt den Leib der Echse.

Jetzt rotiert das wütende Krokodil ähnlich einer Schraube.

Dabei wird Lionels Bein verdreht. Er schreit auf.

Seine Retter ziehen ihn höher. Einer der Helfer verliert das Gleichgewicht, landet im Bassin. Doch gleich darauf kann er von seinen Leuten herausgezogen werden.

An die unterste Sprosse krallt sich die Echse mit ihrem Vorderfuß.

Wachmänner stechen unentwegt auf den Fuß und ihr Maul ein.

Sollte sie etwa auch diesen Kampf gewinnen?

Rings um das Becken drängen sich die Schaulustigen.

Frauen wehklagen, rufen Lionels Namen. Manch ein Auge füllt sich mit Tränen. Essenreste fliegen ins Wasser; vergeblich versuchte man das Krokodil damit abzulenken. Einer zieht seine Galoschen aus und schleudert sie gegen den Kopf der Echse. Wieder stürzt jemand ins Becken.

Lionels Kopf hängt herunter. Das Reptil krümmt sich, verströmt Ekelgeruch; Blut quillt aus seinen Augen, der Nase, den Einstichlöchern. Die meisten Lanzen prallen an seiner Lederhaut ab.

Schließlich durchsticht eine die Lederhaut, landet im Herz.

Freunde, Bekannte, Frauen, Männer – niemand hält es mehr auf seinem Platz. Sie wollen zu Lionel, weitere Zuschauer drängen nach. Ich gehörte auch zu ihnen. Ein Chirurgius eilt herbei.

Das Krokodil ist tot. Sein blutüberströmter Kadaver baumelt noch an Lionels Beinkleid, denn die Echse hat vom Beißkrampf das Maul noch geschlossen. Endlich wagt sich einer der Männer die Leiter hinab, um das Leder zu zerschneiden. Ein kurzes Platschen und das Krokodil versinkt im Wasser, verschwindet mit Spießen im Körper in der Tiefe.

Nun erst konnte Lionel geborgen werden. Freudenschreie. Die Retter legten seinen vor Nässe triefenden, schlaffen Körper auf den Boden neben das Becken.

Dann wurde gewiss, was keiner trockenen Auges zu sagen vermochte: Sein Bein kaputt, der Fuß verwundet, blaugrün mit Purpurschweiß vermischt. Eine Dame schob ihre Stola Lionel behutsam unter den Kopf. Der Chirurgius kämpfte sich durch die Umstehenden.

Lionel kam zu sich, öffnete die Augen. Aufatmen. Er war dem Tod entronnen. Seine Freunde trugen ihn fort. Erst da wurde die Wirkung auf vielerlei Herzen sichtbar, so manch ein wackerer Man kämpfte mit den Tränen.

Einst sagte Schopenhauer: „Alles Leben ist Leiden.“ Wie Recht er hatte.

Als nächste wurden zwei Verbrecher, ein Weinpanscher zusammen mit einem Falschmünzer, nebeneinander ans Becken gestellt. Auch sie waren nur mit Lendenschurzen bekleidet.

Der verurteilte Falschmünzer hatte kurz geschorene Haare; wie bei allen Römern waren sie schwarz. Sein Alter schätzte ich auf 40 Jahre. Ihm fehlte der Mittelfinger an der rechten Hand, aber nicht wegen einer Mutation. An seinem Finger hätte man nach einer früheren Straftat die heiße Zange angesetzt. Sein jetziges Vergehen hätte darin bestanden, Münzen mit dem Kopf des Kaisers geprägt und in Umlauf gebracht zu haben. Das Portrait wäre täuschend echt gewesen, nur hätte der Silbergehalt der Münzen nicht gestimmt, erfuhr ich von meinem Nebenmann.

Den Weinpanscher zierten eine blaurote Knollnase sowie eine Glatze. Er war untersetzt und am gesamten Oberkörper und den Beinen stark behaart.

Seine Strafe hätte er erhalten, weil er Wein mit Wasser vermischt habe, hieß es.

Mir fielen seine krummen Beine auf, während er sich mit unsicheren Schritten dem Wasserbecken näherte.

Auf das Zeichen des Kaisers hin stieß man beide hinein, da sie zögerten; die Lanzen der Posten wiesen ihnen den Weg. Nochmals setzte das Orgelspiel ein.

Nur einer der Verurteilten dürfe das Becken lebend verlassen, doch nicht als freier Mann, sondern bis ans Ende seiner Tage auf der Galeere als Rudersklave.

Wer von den beiden Frevlern es auch immer sei, dies würde sich unten im Wasser erweisen.

Sie schwammen dicht, Seite an Seite. Das Krokodil brauchten sie nicht zu fürchten; es trieb wie der Salamander genauso reglos mit Bauch und Beinen nach oben im Wasser.

Es sah so aus, als ob beide nicht richtig schwimmen können oder sich gegenseitig behindern beim Fortkommen. Jedenfalls dauerte es ein Weilchen, bis sie endlich die gegenüberliegende Beckenseite erreichten.

Nahezu gleichzeitig berührten beide Schwimmer die Leiter. Was folgte, war der unausweichliche Kampf ums Überleben. Über Wasser wird geschlagen, unter Wasser wird getreten – jeder so gut er konnte. Die Flüche, mit denen sie sich gegenseitig bedachten, möchte ich nicht wiedergeben.

Das Colosseum tobte – kaum etwas, das die Massen mehr liebten, als Zweikämpfe. Gekrächze der Raben auf der Stadionmauer und Orgelklänge wurden vom Lärm der Zuschauer übertönt.

Der Gestank über dem Bassin wurde unerträglich. Mit dem Geruch der Exkremente von Mensch und Tier vermischte sich Ammoniakdunst, den die Giftdrüsen des toten Salamanders verströmten.

Jetzt war der Falschmünzer im Vorteil: Schon erklomm er die nächste Sprosse. Doch sein Gegenspieler wollte sich mit der Niederlage nicht abfinden.

Der Weinpanscher krallte sich an den Lendenschurz des anderen. Dieser trat nach hinten, trat auf den Kopf des Panschers, stukte ihn mit dem Bein. Seine Tritte treffen das Gesicht des Gegners.

Blut schießt aus dessen Nase.

Doch jener gibt noch nicht auf.

Die rechte Hand des Falschmünzers umklammert die Leiter. Dem Gewicht des unten Ziehenden, der sich in sein Bein verbissen hat, hält er nicht stand und fällt auf ihn rauf.

Im Wasser entbrennt ein Boxkampf, bei dem der Weinpanscher der Leiter zwar näher ist, jedoch das meiste Wasser schluckt.

Wiederholt kämpft sich der Falschmünzer zur Leiter vor, indem er förmlich über seinen Kontrahenten hinwegsteigt.

Es gelingt ihm diesmal empor zu klettern, während der Panscher orientierungslos damit beschäftigt ist Wasser zu spucken.

Verwundet und keuchend steigt der Falschmünzer aus dem Becken, wo zwei Lanzenträger auf ihn warten. Er war dem Tod entronnen. Gleichzeitig verstummt die Orgel.

Sogleich wurde er weggeführt. Man gab ihm ein Tuch, mit dem er seine Blöße bedeckte.

Mit dunkelroten Fußabdrücken auf den Steinen markierte seine blutende Wade den Weg in das Dasein als Rudersklave. Er ist froh, das Haupt auf den Schultern tragen zu dürfen.

Zugleich war damit das Schicksal des anderen (im Wasser verbliebenen) besiegelt.

Die Leute begannen sich zu zerstreuen.

An den Ecken und der Leiter des Beckens hielten Posten noch Wache. Am Rand kauerte jemand; die Person streckte nach dem Weinpanscher ihre Hand aus.

Mit blutverschmiertem Gesicht und Platzwunde am Kopf paddelte der zwischen Leichenteilen und den toten Reptilien umher.

Sein rechtes Auge war zugeschwollen und blutunterlaufen, die Lippen blau.

Nacht brach herein, die Zuschauerreihen hatten sich gelichtet. Den weiteren Fortgang kannten viele aus vorangegangenen Veranstaltungen. Besucher von den hinteren Reihen – es handelte sich um niedere Stände – rückten auf die frei gewordenen Plätze vor. Katzen strichen umher, sie witterten ihr Spätmahl. Am Himmel zogen Geier ihre Kreise, den Aasfressern waren diese Schauspiele geläufig.

Wer da wimmernd am Beckenrand kauerte, konnte ich nicht erkennen.

Einer mit Speer in der Hand ließ den Betrüger der Leiter nicht zu nahe kommen.

Die Fönwinde hatte sich lange gelegt, als das Königspaar samt seiner Trabanten von Fackelträgern begleitet die Arena verließ, nicht zuletzt, weil ihnen der Verwesungsgeruch und der Gestank der Ausscheidungen unerträglich geworden waren. Mich zog es deswegen mehrere Reihen nach hinten.

Währenddessen der Lärm verlosch, entzündeten Wächter Fackeln, die an den Pfosten steckten.

Die Rabenvögel hatten die Leiche des Salamanders als Rastplatz erwählt. Sie pickten darauf herum in der Annahme Maden in den Wunden zu finden.

Den Tod vor Augen klammerte der Weinpanscher sich an den dahin treibenden Kadaver der Echse.

Aus den Zuschauerreihen flogen von Schmährufen begleitet Gegenstände in seine Richtung, darunter Flaschen und Steine.

Nach dem zu urteilen, was gerufen wurde, handelte es sich um seine von ihm betrogenen Kunden.

Blasse, dünne Nebelschleier flogen über den Himmel, an dem in zahlloser Schar die Sterne funkelten. Fahles Mondlicht ergoss sich auf die Stätte des Sterbens und der Verwesung, auf die Stätte, wo der Kaiser herrscht und der Tod regiert.

Jetzt machten die Raben dem Weinpanscher den Platz am Krokodil streitig, weil Geier sie vom Salamander vertrieben hatten.

Nur wenige Leute hielt es noch im Colosseum. Auf den Plätzen neben mir hörte ich bloß noch Männerstimmen.

Als die Mondscheibe zu Mitternacht starken, silbernen Glanz verbreitete, bot der dem Tode geweihte eine Zielscheibe für die Lanzenträger, bevor auch er den Weg seines Vorgängers nahm, bevor auch er in die Tiefe sank. Mich ließ es bis ins innerste Mark erschauern. Von der Frau – dass es sich um eine weibliche Person handelte, hörte ich an ihrer Stimme – drang lautes Wehklagen durch die Nacht.

Die Posten kamen zusammen, berieten sich und zogen ab. Dafür schwoll im Colosseum die Zahl der Katzen an, deren Fell der Mond versilberte.

Stundenlang noch hallten der Lärm des Publikums und die Klagerufe der Frau in meinen Ohren nach.

* * *

1 Als Schmiermittel der Turbine dient Walrat (Walfischöl), das der Weltraumkälte bis -248 Grad trotzt. Fischöl wurde schon bei den amerikanischen Mondfahrzeugen eingesetzt. Man bewegt sich mit der 7. kosmischen Geschwindigkeit durch Zeit und Raum.

Saurierrennenan

Ich hätte nie gedacht, auf meiner Odyssee durch das grenzenlose Weltall jemals einem Saurierrennen beizuwohnen. Dies geschah auf dem Planeten Adlan.

Das alljährliche Turnier vor den Stadtmauern der Wüstenstadt war gut besucht – Hunderte Einheimische, die ihre Reiter anfeuerten, Zuschauer von auswärts, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten. Bis in die obersten Reihen war die Tribüne besetzt. Als Preis winkten dem Sieger ein Goldklumpen sowie ein Mammutkalb.

Drei Stadionrunden von je 800 Metern waren an diesem Renntag zu absolvieren. Auf halber Strecke galt es, einen knietiefen Wassergraben zu überwinden, bei dem schon so mancher Saurier gescheut hatte.

Jedes Gespann bestand aus einem Mammut und einem gezähmten Saurier, der, was sein Skelett betrifft, dem Triceratops ähnelt. Derselbe lebte auf unserer Erde vor 65 Millionen Jahren und ist ausgestorben.

* * *

Das Gespann aus der Wüstenstadt mit der Nummer eins bestand aus einer Wüstenmammutkuh sowie einem erst dreizehnjährigen Saurier-Bullen. Sie wurden von schwarzhaarigen Brüdern geritten. Der ältere der beiden, er war noch keine 20, ritt das Mammut. Bemerkenswert die Nase des Vorderen – er könnte sie sich bei seinem Rüsseltier abgeschaut haben. Sein Hintermann war ein Glatzkopf, wenn man vom Pferdeschwanz absieht.

Die Starter der Nachbaroase traten mit einem Saurier-Weibchen, dem ein Wüstenmammut voran lief, an. Im Vorjahr hatten sie den zweiten Platz belegt. Beide Reiter waren mit den Brüdern des ersten Zweispänners verwandt. Sie galten diesmal als Favoriten. Folglich wurden auf sie die meisten Wetten abgeschlossen. Wie ihre Verwandten aus der Wüstenstadt waren sie in hellblauer Seide gekleidet.

Aus der Provinz der Meniere nahm ein Gespann mit einem Wollhaarmammut teil, dessen Spitzen der Stoßzähne vergoldet waren. Der Rennsaurier – ein Warmblüter, wie alle anderen Saurier auch – trug vergoldete Scheuklappen und hatte ein Brandzeichen. Die Reiter – beide hatten blaue Augen, was in dieser Gegend äußerst selten anzutreffen ist – trugen weiße, bestickte Trachten aus Leinen.

Als Außenseiter galten die Teilnehmer aus dem Ruinenreich. Seine Reiter waren grauhaarig und ganz in Leder gekleidet. Auf sie wettete niemand. Eins der drei Hörner des alten Sauriers – ihm fehlten die Hoden – war abgebrochen; beim Rennen wäre es ihm sowieso zu nichts nütze. Seinen Reiter zierte eine Knollnase.

Brandzeichen

Vom Mohrenland wurde das fünfte Gespann, dem ein Mammutbulle der temperamentvollen Rasse vorgespannt war, gesandt. Es wurde von Mohren geritten, die Turbane sowie Umhänge aus Brokat trugen. Ihnen droht in der Heimat Kastration, falls sie nicht unter den ersten drei landen würden.

Man wählt aus dem Grunde Mammut und Saurier, weil beide gleichermaßen für den Trab geeignet sind. Mammuts besitzen einen massigen Knochenbau, der Trab ist daher ihre Gangart. Als Leittier eignet sich kein anderes Reittier so gut wie das Mammut: Es ist überaus gelehrig und stark genug eine träge Echse zu ziehen. In der Regel brauchen die Echsen ein Zugtier, um in Gang zu kommen oder den Herdentrieb in ihnen zu wecken, damit sie folgen. Vorn, das Mammut bestimmt zudem den Kurs.

Sind beide erstmal im Trab, entfalten sie die Kraft einer Dampflok.

Dem Saurier-Reiter kommt eine völlig andere Aufgabe zu, als dem Hüter des Mammuts: Von selber würden diese Reptilien keine schnellen Schritte machen, außer bei Gefahr, was sie mit den Nashörnern gemeinsam haben. Vom Reiter werden sie darum mit Peitschenknall zum Trab aufgemuntert, weiter nichts. Zur Not wird der Saurier zudem mit der Peitsche oder einer Stachelkeule geschlagen. Im Übrigen halte ich diese Ungetüme für die großen Brüder der Nashörner.

Um aber eins dieser Reptile aufzuwiegen, braucht es sieben Mammuts; das primitivere Hirn des Sauriers reicht allerdings nicht im Geringsten an die Größe des Mammuthirns heran.

* * *

Vor dem Rennen führte man die fünf Gespanne im Führring im Kreis herum. Sie drehten mehrere Runden vor den Augen des staunenden Publikums, das den herausgeputzten Tieren und Reitern dabei nahe sein konnte. Die Teilnehmer erschienen in der Reihenfolge ihrer Startnummern, also zuerst der Zweispänner aus der Wüstenstadt, die das Rennen austrug, dann die Wettkämpfer der Nachbaroase, gefolgt vom Gespann aus der Provinz der Meniere, dahinter die Teilnehmer aus dem Ruinenreich sowie abschließend die Mohrenländer, deren temperamentvolles Mammut übermütig den Rüssel beim Trompeten steil nach oben streckte. Baumstämme stampften an meinen Augen vorüber.

Im Sonnenlicht schimmerten die Schuppen der Saurier wie das Federkleid der Kolibris. Der Dickhäuter aus dem Mohrenland warf mit Sand und als das eine oder andere Geschöpf etwas fallen ließ, trug dies zur allgemeinen Erheiterung bei. Bekam ein Mammut von einem Besucher etwas Fressbares zugesteckt, bedankte es sich mit Ohrenwackeln.

Bei diesem Anlass erfuhr ich die Namen der edlen Renntiere: Da gab es ein Paar, das hieß Bimba und Bamba, andere Tabo und Babo. Der Saurier der Grauhaarigen hörte auf Rexor und der der Mohren auf Titunas.

Sodann führte man die Gespanne von Fanfaren begleitet ins Stadion an den Start.

Die meisten liefen an diesem Tag in Höchstform auf. Wenn man davon absieht, dass die Teilnehmer mit der Startnummer vier etliche Sekunden brauchten, um in Schwung zu kommen, verlief der Start reibungslos.

Die Hufe der Saurier zerfurchten den Boden. Von einer Staubwolke verfolgt jagten sie über den Parcours. Die blanken Hufe blitzten.

Als das Reiterfeld die Holztribüne passierte, war mir, als ob es donnert und zugleich die Erde bebt. Die Luft wurde von den Peitschenschwingern geradezu gehächselt.

Das Reiterfeld trabte gut im Takt; alle Lederriemen, mit denen Mammuts und Saurier jeweils verbunden sind, hingen leicht durch, was die Harmonie im Gespann begünstigt.

Anfangs änderte sich an der Reihenfolge wenig.

Gespann drei und fünf lagen nach der ersten halben Runde gleich auf in Führung, dahinter eins und zwei. Das vierte aus dem Ruinenreich fiel zurück.

Von da ab begannen die Mohren – Startnummer fünf – sich von allen anderen abzusetzen. Der