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Mutige Kinder – Sieben Geschichten über Mut, Freundschaft und Gerechtigkeit
Sieben Kinder, sieben ganz besondere Geschichten – und alle voller Mut! In diesem Buch lernst du Kinder kennen, die sich nicht verstecken, sondern laut und stark für eine bessere Welt einstehen. Sie erzählen unter anderem von Flucht, Rassismus, häuslicher Gewalt, körperlichen Einschränkungen und queerer Feindlichkeit und davon, wie wichtig Zusammenhalt und Respekt sind. Mutig, ehrlich und voller Hoffnung – diese Geschichten zeigen, dass auch Kinder Großes bewegen können. Bist du bereit, mit ihnen auf Entdeckungsreise zu gehen?
Als kleines Extra gibt es nach jeder Geschichte 5 Fragen um sie gemeinsam zu beantworten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Mädchen mit dem roten Regenschirm
Fragen zur Geschichte von dem Mädchen
Mina sagt Nein
Fragen zu Minas Geschichte
Der Junge mit dem Regenbogenrucksack
Fragen zu Milans Geschichte
Lenas Lied gegen den Sturm
Fragen zu Lenas Geschichte
Die Mauer in unseren Köpfen
Fragen zur Geschichte von Rami und Sofia
Leonas Abenteuer im Rollstuhl
Fragen zur Geschichte von Leona
Nikos Brief
Fragen zu Nikos Geschichte
Sahar spricht
Fragen zu Sahars Geschichte
Der Regen hatte das Schulgelände in eine graue Fläche verwandelt. Pfützen glänzten wie zerbrochene Spiegel, in denen sich das fahle Licht des Himmels brach. Die meisten Kinder drängten sich unter den Vordächern, manche rannten in kleinen Gruppen lachend durchs Wasser, als wäre es ein Spiel. Und dann war da sie. Mitten auf dem Schulhof, ganz allein. Der rote Regenschirm über ihrem Kopf leuchtete wie ein Feuer im Nebel.
Ich hatte sie noch nie vorher gesehen. Oder vielleicht hatte ich sie gesehen, aber nie wirklich hingeschaut. Jetzt konnte man nicht wegsehen. Sie stand da, als würde ihr der Regen nichts anhaben können. Als würde der rote Schirm sie nicht nur trocken halten, sondern auch schützen. Vor allem.
„Wer ist das?“, fragte ich Alex, der neben mir stand und an seinem Pausenbrot kaute, als wäre er gezwungen dazu.
„Das ist die Neue“, sagte er und schmatzte. „Sina oder Sila oder so. Keine Ahnung. Komisch, oder?“
Ich nickte nicht. Ich sagte auch nichts. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Der rote Schirm bewegte sich kaum. Ihre Schuhe waren alt. Ihre Jacke war zu dünn für das Wetter. Aber ihre Augen – als sie kurz in unsere Richtung sah – waren wachsam. Als könnte sie Gedanken hören. Ich fühlte mich ertappt, obwohl ich gar nichts getan hatte.
Am nächsten Tag saß sie in meiner Klasse. Die Lehrerin stellte sie vor: „Sila kommt aus einer anderen Stadt. Ich möchte, dass ihr sie freundlich aufnehmt.“
Das sagte Frau Grunwald immer, wenn jemand neu war. Die Klasse murmelte ein schiefes „Hallo“, manche sahen nicht mal hoch. Sila nickte kurz und setzte sich auf den freien Platz neben dem Bücherregal. Von da an war sie da. Und doch nicht wirklich.
Zuerst war es nur das Flüstern. „Hat sie überhaupt Freunde?“ „Hast du gesehen, was sie anhat?“ „Bestimmt kriegt die Hartz IV.“
Ich wollte etwas sagen. Ich wusste, dass es falsch war. Aber ich sagte nichts. Ich dachte, wenn ich nichts sage, bin ich nicht Teil davon. Aber Schweigen kann manchmal lauter sein als Worte.
Eines Tages, beim Mittagessen, saß Sila allein am Tisch. Ich sah, wie sie ein trockenes Brötchen aus ihrer Tasche holte. Es war in ein altes Taschentuch gewickelt. Keine Butter, kein Belag. Nur das Brötchen. Ich hatte mein Tablett vor mir – mit Nudeln und Soße, sogar ein kleiner Schokopudding war dabei. Ich konnte nicht essen.
Ich ging zu ihr rüber. „Willst du was abhaben?“
Sie sah mich an, vorsichtig, misstrauisch. „Nein. Danke.“
Ich stand eine Sekunde zu lang da. Dann setzte ich mich trotzdem zu ihr.
„Ich heiße Emma“, sagte ich.
„Weiß ich“, sagte sie. „Du bist die, die guckt, aber nix sagt.“
Ich wurde rot. Ich wollte protestieren, aber sie hatte recht. Ich schwieg wieder. Diesmal, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.