Geschwistermörder Band 2 - Lisa Richter - E-Book

Geschwistermörder Band 2 E-Book

Lisa Richter

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Beschreibung

Zehn Jahre sind vergangen, seit David und Lorena sich aus den Händen der Geschwistermörder befreit haben und knapp dem Tod entgangen sind. Aber David fühlt sich immer noch von seiner Vergangenheit verfolgt. Die Vorkommnisse von damals lassen ihn nicht los. Noch nicht einmal in seinen Träumen. Als er eines Tages eine orangene Lilie vor seiner Haustür findet, steht eines fest: Die düstere Geschichte ist noch nicht vorbei. Für David ist das eindeutig eine Drohung von den Geschwistermördern, denn sie hatten diese Blumen in dem Keller aufgestellt, in dem David einst gefangen gehalten wurde. Die Lilien dienten als Symbol der Rache. Und nur die Geschwistermörder hatten von diesen Blumen gewusst. Aber David und Lorena hatten doch mit eigenen Augen gesehen, wie sie zu Tode gekommen waren … Gemeinsam wollen David und Lorena herausfinden, wer hinter alledem steckt. Währenddessen gerät David in eine Mischung aus Albträumen, Angstzuständen und Realität. Denn mit der Zeit wird den Geschwistern eines klar: Ihre schreckliche Vergangenheit könnte sich wiederholen.

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Geschwistermörder

Band 2

Lisa Richter

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.herzsprung-verlag.de

© 2022 – Herszprung-Verlag

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Lektorat: CAT creativ - www.cat-creativ.at

Cover: gestaltet mit Bilder von © Jan H. Andersen + rudall30 - lizenziert Adobe Stock

ISBN: 978-3-96074-577-8 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-595-2 - E-Book

*

Inhalt

Prolog

Teil 1

Kapitel 1: Blumensprache

Kapitel 2: Training

Kapitel 3: Finsternis

Kapitel 4: Erschossen

Kapitel 5: Betäubt

Teil 2

Kapitel 1: Die Jagd

Kapitel 2: Der Spiegel

Kapitel 3: Gefangenschaft

Kapitel 4: Das Spiel beginnt

Kapitel 5: Finale

Kapitel 6: Schuldig

Epilog

Playlist

Danksagung

Die Autorin

Unser Buchtipp

*

Für Isabel und Sam.

Ewig geliebt und hiermit unvergessen.

*

Prolog

Dunkelheit.

Ich blicke in die Dunkelheit. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich kann diese Dunkelheit nicht ertragen.

In meinem Kopf breitet sich ein dumpfer Schmerz aus. Und mir ist übel. Alles dreht sich. Ich bin unfähig, mich zu bewegen. Dafür ist mir zu schwindelig. Meine Gliedmaßen fühlen sich schwer an. Da fällt es mir auf: Ich liege in einer stabilen Seitenlage. Jetzt schlägt mir das Herz bis zum Hals. Plötzlich kann ich wieder ganz klar denken. Adrenalin durchströmt meinen Körper. Da bemerke ich noch etwas anderes. Ein Gegenstand liegt in meiner Hand. Langsam versuche ich, mich aufzusetzen. Aber es geht kaum.

Dann spüre ich die Fesseln ... an einem Hand- und einem Fußgelenk. Mein Herz donnert nun so schnell gegen meinen Brustkorb, dass es wehtut. Ein unangenehmes Druckgefühl breitet sich aus. Meine Atmung wird schneller. Mit zitternden Fingern berühre ich das gefesselte Handgelenk. Dicke Ketten, ein kleines Schloss. Dann taste ich alles um mich herum ab. Meine Hände treffen ins Leere. Eine Hand berührt den Balken unter mir. Ein Tisch. Ich liege halb gefesselt in einer stabilen Seitenlage auf einem Tisch im Dunkeln. Ich schreie los. Wie bin ich überhaupt hierhingekommen? Was ist vorher passiert? Wie konnte ich in diese Situation geraten? Ich kann mich nicht erinnern, alles scheint verschleiert.

Panisch versuche ich, meine Gedanken zu ordnen, meine Erinnerungen wieder wachzurufen. Erst jetzt führe ich den Gegenstand zu der anderen gefesselten Hand, um ihn abzutasten. Da spüre ich den Abzug. Ich finde ich heraus, dass ich eine Pistole in den Händen halte. Ich nehme das Magazin heraus und ertaste eine Patrone. Jetzt weiß ich, dass ich mindestens einen Schuss zur Verfügung habe. Nun setze ich das Magazin wieder rein und lade die Waffe durch.

Mein Herz schlägt nun so schnell, dass ich glaube, es wird gleich stehen bleiben. Es schlägt unnatürlich schnell. Und meine Atmung wird auch immer schneller. Ich kann nichts dagegen tun. Und nichts denken. Irgendwann ist der Punkt gekommen. Ich hyperventiliere. In kurzen Stößen atme ich schnell ein und aus. Dadurch verkrampft sich mein gesamter Brustkorb. Starke, drückende Schmerzen breiten sich aus. Sie nehmen mir die Luft. Ich hyperventiliere so lange, bis mir die Luft ausgeht. Und ich kann das nicht stoppen.

Ich warte darauf, dass ich aufwache. Dies ist nur wieder eine Panikattacke im Schlaf und gleich werde ich aufwachen, versuche ich mir einzureden.

Doch ich wache nicht auf. Ich träume nicht.

Mir wird immer schwindliger. Ich drohe, ohnmächtig zu werden. Die Panik ist zu groß. Ich ersticke vor Panik und kann nichts dagegen tun. Immer wieder geht es mir durch den Kopf: Ich liege halb gefesselt auf einem Tisch im Dunklen.

Alles so wie früher. Wie vor zehn Jahren.

Aber warum?

Und ich habe gedacht, die Geschwistermörder wären tot!

Ich brauche nicht länger zu überlegen. Ohne zu zögern, setze ich die Pistole an meinen Kopf und berühre den Abzug.

*

Teil 1

Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe.

Franz Kafka

*

Kapitel 1: Blumensprache

Alles begann in diesem einen Augenblick. Ich würde ihn nie vergessen können. Diesen Moment, als ich sie in den Händen hielt. In meinen zittrigen Händen: eine orangene Lilie.

Für mich war es wie ein Schlag. Plötzlich spürte ich ein Kribbeln in meiner Brust. Und in den Händen. So ging es immer los. Mein Herz war sofort auf Hochtouren. Es schlug nicht einfach langsam schneller, bis es raste. Es war sofort auf Hochtouren. Scheinbar von einer Sekunde auf die andere. So schlagartig wie das kam, wurde auch meine Atmung schneller. Immer schneller. Mir wurde schwindelig. Mein Brustkorb verspannte sich beinahe so stark, dass es wehtat. Ich konnte nichts dagegen tun, obwohl ich mich bemühte, ruhig durchzuatmen.

Doch dann packte mich die Wut. Eine Wut, die diese Panik zu mindern schien. Ich dachte nicht nach, sondern rannte einfach los. Rannte das Treppenhaus unseres Wohnhauses hinunter, lief auf die Straße und sah mich um.

„Hey!“, rief ich aus. „Ich weiß, dass du hier bist.“

Zum Glück hatten mich die Nachbarn nicht gesehen. Es war noch früh. Sie hätten mich für verrückt gehalten. Ich weiß nicht, ob diese sich anbahnende Panikattacke mich dazu veranlasste, aber ich schrie einfach weiter. Wie ein Irrer. „Komm endlich raus!“, rief ich. Ich stand schreiend um sechs Uhr morgens auf einer ruhigen Spielstraße. Und hielt eine Lilie in der Hand. Eine harmlose, kleine Blume hatte mich in den Wahnsinn getrieben.

„David!“ Franziska eilte zu mir. Als sie dann vor mir stand, als diese wunderschöne Frau vor mir stand und ihre blauen Augen mich besorgt – fast wütend – ansahen, erst da bekam ich mit, was ich gerade eigentlich tat.

Doch anstatt mich zu fragen, was los war oder ob ich nun völlig gestört sei, umarmte sie mich einfach. Das liebe ich an Franziska: Ich muss ihr nichts erklären! Sie versteht einfach, was ich brauche. Mein rasendes Herz donnerte gegen meinen Brustkorb. Sie spürte das bestimmt, als wir uns umarmten. Langsam ließ das Zittern nach und mein Herz kam zur Ruhe, meine Atmung verlangsamte sich.

Als ich fünfzehn war, hatte ich gedacht, es hätte alles ein Ende. Aber in diesem Moment, als Franziska sich von mir löste und sie diese Lilie betrachtete, da wusste ich, dass es erst der Anfang war.

Ich hatte den Kopf in die Hände gestützt und bemühte mich, ruhig zu atmen. Der Schwindel, der die Panikattacke bei mir verursacht hatte, ließ langsam nach.

„David, was ist eigentlich los?“ Franziska nahm eine meiner Hände, sodass ich sie von meinem Gesicht lösen musste. Die Wärme ihrer Hand beruhigte mich. Meine war eiskalt.

Als ich Franziska ansah, kam die Lilie, die vor uns auf dem Tisch lag, wieder in mein Blickfeld. Immer wieder ging mir durch den Kopf, was ich früher im Krankenhaus nach dem Vorfall gegoogelt hatte:

Orangene Lilien stehen laut der japanischen Blumensprache für Hass und Rache.

Ich wusste nicht, was ich Franziska sagen sollte. Ich schüttelte nur den Kopf.

„David, was hat diese Blume zu bedeuten? Und wo hast du sie überhaupt her?“

„Sie lag vor unserer Tür ...“, begann ich.

„Direkt vor der Tür zu unserer Wohnung?“

„Ja. Ich gehe heute nicht auf Arbeit.“

„Was?“

Gerade wollte ich ihr sagen, dass sie besser auch zu Hause bleiben solle, da fiel mir ein, dass sie heute die Prüfung für ihr Referendariat hatte. Das hatte ich in der Aufregung beinahe verdrängt. Sofort bemühte ich mich, ruhiger zu wirken, ich durfte sie nicht noch mehr verrückt machen.

Franziska war bestrebt, ruhig zu bleiben, aber ich spürte, dass sie ungeduldig und wütend wurde. Ich wollte ihr nicht sagen, was es mit der Lilie auf sich hatte. Wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Also ließ ich die Erklärung weg und sagte zunächst nur: „Ich muss zur Polizei.“

„Was, warum? David, sprich jetzt mit mir“, erwiderte sie. „Ich will wissen, was los ist. War da jemand vor unserem Haus oder wen hast du gesucht?“

„Nein, da war niemand.“

„Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“

Ich zog Luft ein. „Diese Lilie, das hat etwas mit damals zu tun.“ Sie wusste, was ich mit damals meinte, sah mich aber weiterhin fragend an.

„Die Mörder hatten orangene und rote Lilien in dem Keller aufgestellt, in dem ich gefangen gehalten wurde. Orangene Lilien waren die Lieblingsblumen ihrer Schwester. Sie stehen aber auch für Rache.“ Ich hatte ihr das nie erzählt. Eigentlich hatte ich ihr nie Details über diese Zeit – diese 33 Stunden – bei den Geschwistermördern verraten. Nur das, was sie hatte wissen müssen.

Franziska machte ein nachdenkliches Gesicht. „Aber die Täter sind tot. Wovor hast du Angst?“

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als sie das sagte. Weil ich selbst nicht wusste, wovor ich Angst hatte. Und gerade das beunruhigte mich, obwohl es keinen Sinn machte. „Da stimmt irgendetwas nicht. Auf jeden Fall war ein Fremder in unserem Wohnhaus.“

„Und wenn es ein Nachbar war? Vielleicht ein Kind, das sich gar nichts dabei gedacht hat.“

„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachbarskinder gerade eine orangene Lilie vor unsere Haustür legen?“

Franziska nickte. „Gleich Null vermutlich. Okay, du hast recht.“ Franziska schüttelte verwirrt den Kopf. „Vielleicht wollte sich auch bloß jemand einen schlechten Scherz erlauben.“

„Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber die Einzigen, die von den Lilien wussten, sind die Mörder selbst … und meine Schwester.“ Jetzt wusste ich es. Dieser Gedanke, diese Tatsache, die ich soeben ausgesprochen hatte, machte mir eine scheiß Angst.

„Die Polizisten und Sanitäter haben sie auch gesehen“, fügte Franziska hinzu.

„Aber sie können nicht dafür verantwortlich sein. Polizisten und Sanitäter legen keine Drohung vor die Tür. Und Lorena schon gar nicht.“

Franziska nickte. „Wie soll der Täter denn überhaupt hier reingekommen sein?“

Ich überlegte. „Na ja, du weißt ja, dass die Nachbarn öfter mal die Eingangstür offenstehen lassen, um Einkäufe hochzutragen oder Sonstiges. So schwer ist das nicht, wenn man den richtigen Zeitpunkt erwischt.“

Franziska nickte. Sie dachte weiter nach. „Was ist eigentlich mit den Medien?“

Ich konnte ihr sofort antworten. „Als damals über den Vorfall in den Zeitungen berichtet wurde, wurde nie etwas von den Lilien erwähnt. Ich habe die Berichte alle gesehen. Die Leute kennen mein Gesicht und meinen Namen von den Vermissten-Anzeigen, aber kein Fremder weiß, wo ich wohne oder dass diese Lilien eine Rolle gespielt haben.“ Je länger ich über all das nachdachte, desto nervöser wurde ich. „Ich muss Lorena anrufen … oder am besten fahre ich gleich persönlich zu ihr.“

„Okay ...“ Franziska schaute auf die Uhr. „Aber ich muss jetzt los.“ Sie zögerte. „Bleibst du wirklich zu Hause?“

„Ja“, antwortete ich entschlossen. „Ich fahre dann vermutlich zur Polizei. Vielleicht können sie Fingerabdrücke an der Lilie feststellen.“

„Melde dich, wenn du mehr weißt.“

Ich nickte. „Pass auf dich auf. Und viel Erfolg.“ Ich hoffte einfach, dass ich sie jetzt nicht mit all dem durcheinandergebracht hatte. Sie sollte sich auf ihre Prüfung konzentrieren. Ich stand auf, um sie zu umarmen. „Du schaffst das.“

„Danke“, flüsterte sie. Dann legte sie eine Hand in meinen Nacken und zog sich an mir hoch. Franziska war sehr viel kleiner als ich, also stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um meinen Lippen näher zu kommen. Ich legte eine Hand um ihre Taille. Dann berührten sich unsere Lippen. Immer wieder presste ich meine Lippen auf ihre. Ich wollte nicht, dass dieser Moment vorbeiging, wollte sie nicht loslassen. Denn ich hatte Angst, dass ihr irgendetwas zustoßen könnte. Hatte Angst, sie zu verlieren. Schmerzende Leere breitete sich in mir aus, als sie sich schließlich von mir löste. Ich versuchte dennoch, zu lächeln. „Ruf mich an, nachdem du bestanden hast.“

„Okay.“ Sie schüttelte grinsend den Kopf, erfreut darüber, dass ich ihr Bestehen für selbstverständlich hielt. „Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

Dann trat Franziska aus der Wohnung und schloss die Tür.

Eine Weile stand ich einfach reglos im Flur. Meine Gedanken kreisten, ließen sich nicht ordnen. Meine Hände zitterten noch immer. Ich ging auf den Balkon, um mir eine Zigarette anzuzünden. Aber auch das Rauchen konnte mich kein bisschen runterholen. Unruhig lief ich in der Wohnung auf und ab und schaute dabei aus jedem Fenster. Ich fühlte mich beobachtet. Ich weiß nicht, wie viel Zeit dabei verstrich. Irgendwann rief ich dann auf der Arbeit an, um mich krankzumelden. Dann wollte ich die Nummer meiner Schwester wählen, ließ aber davon ab, weil ich nicht wusste, ob sie überhaupt zu Hause war oder noch schlief. Ich hatte nicht im Kopf, welche Schicht sie heute im Krankenhaus hatte. Also durchforstete ich die Galerie in meinem Handy, um ihren Dienstplan herauszusuchen. Lorena fotografierte ihn jeden Monat für mich ab und schickte ihn mir, damit ich wusste, wann sie erreichbar war. Sie hatte Nachtdienst, das hieß, dass sie erst vor ein paar Stunden nach Hause gekommen war und jetzt schlief. Ich nahm den Ersatzschlüssel zu Tims und Lorenas Wohnung aus der Schublade unserer Flurkommode. Ich würde schauen, ob bei den beiden alles in Ordnung war. Falls ja, brauchte ich meine Schwester nicht zu wecken. Ich wollte sie nicht grundlos in Sorge versetzen. Lorena und ich hatten uns gegenseitig die Ersatzschlüssel unserer Wohnungen gegeben. Für die üblichen Gründe: Falls sich mal jemand aussperrte oder einer von uns im Urlaub war.

Lorena arbeitete als Oberärztin auf der Intensivstation. Immer wieder fragte ich mich, ob sie diesen Berufsweg auch eingeschlagen hätte, wenn all das damals nicht passiert wäre. Ich bin eigentlich überzeugt davon, dass es ihr am Herzen lag, anderen Menschen das Leben zu retten, weil sie ihren eigenen Bruder hatte sterben sehen. Weil sie mich hatte sterben sehen. Sehr wahrscheinlich würde ich nicht mehr leben, wenn sie damals nicht so gute Erste-Hilfe geleistet hätte.

Ich wusste zunächst nicht, was ich mit der Lilie anstellen sollte, die immer noch auf dem Küchentisch lag. Schließlich entschloss ich mich, sie in eine Plastiktüte zu stecken. Ich legte sie auf dem Beifahrersitz ab, als ich ins Auto stieg. Vielleicht würde die Plastiktüte helfen, Spuren nicht zu verwischen, aber vielleicht wäre es ohne sie genauso effektiv. Ich hatte keine Ahnung von solchen kriminalistischen Dingen.

Ich riss mich zusammen, um nicht zu rasen. Widerwillig nahm ich den Fuß vom Gaspedal. Die Fahrt zu meiner Schwester kam mir unendlich lange vor. War sie aber nicht. Sie dauerte dreißig Minuten. Franziska und ich wohnten in Potsdam. Lorena und Tim in Oranienburg. Niemand von uns war dahin gezogen, wo der Mörder gewohnt hatte: Berlin. Ich weiß nicht, ob Lorena ihren Wohnort davon abhängig gemacht hatte, aber ich auf jeden Fall. Ich wollte nicht in der Stadt wohnen, in der ich ermordet worden war. Und Lorena hatte keine Wohnung in der Stadt haben wollen, in der sie beinahe vergewaltigt worden war. Außerdem waren Wohnungen in Berlin unbezahlbar. Zufällig hatten Franziska und ich beide Arbeit in Potsdam gefunden. Sie würde ihr Lehramtsstudium und Referendariat bald abschließen und dann als Deutsch- und Kunstlehrerin an einem Gymnasium unterrichten. Ich arbeitete als Informatiker. Ich brauchte einen Job, bei dem ich mich zurückziehen konnte. Seitdem ich bei den Mördern gewesen war, hatte meine Teamfähigkeit nachgelassen. Ich konnte nicht mehr gut mit anderen umgehen, besonders nicht mit Fremden. Ich war viel zu schüchtern. Das genaue Gegenteil meines alten Ichs, das Gegenteil von dem Jungen, der damals mit dem BMX-Rad von zu Hause abgehauen war.

Als ich vor der Haustür des Wohnhauses meiner Schwester aus dem Auto stieg, fühlte ich mich schon wieder irgendwie beobachtet. Aber diesmal war es intensiver. Ich spürte, was meine Schwester damals auf unserem Nachhauseweg von der Schule gefühlt haben musste. Ich spürte die Blicke in meinem Rücken, spürte mein rasendes Herz. Ich riss mich zusammen, nicht schon wieder herumzuschreien wie vorhin vor meiner Haustür. Stattdessen drehte ich mit weichen Knien eine Runde um das Wohnhaus. Aber wen suchte ich denn eigentlich? In meinen Gedanken tauchten zuerst diese dunklen, hasserfüllten Augen auf – die Augen meiner Mörder. Aber das war völlig absurd. Sie waren tot. Eigentlich sollte ich nach Personen suchen, die bei dem Vorfall damals beteiligt gewesen waren. Aber wem sollte ich das zutrauen? Wem sollte ich zutrauen, Lilien vor meine Haustür zu legen, um mir damit Angst einzujagen? Etwa den Leuten, die mir das Leben gerettet hatten? Den Sanitätern? Oder den Leuten, die mich aus dem Folterkeller befreit hatten? Den Polizisten?

Auf keinen Fall.

Nun ging ich zur Haustür, schloss sie auf und ging ich zügig die wenigen Treppen zu Lorenas Wohnung hinauf. Eigentlich hätte ich es mir denken können: Vor Lorenas Tür lag eine weitere orangene Lilie. Panik kam wieder in mir auf. Ich war wie gelähmt. Das war die endgültige Bestätigung, dass das alles kein Zufall war. Es musste etwas mit dem Geschwistermörder zu tun haben. Mit zittrigen Händen hob ich die Blume auf. Dann atmete ich tief durch, wollte mein rasendes Herz beruhigen. Doch es ließ sich nicht beruhigen. Ich musste mit meiner Schwester sprechen. Also klingelte ich. Es dauerte etwas, bevor Lorena sie öffnete. Sie sah extrem müde aus.

„David?“ Ihre Stimme klang leise.

„Ja“, brachte ich nur hervor.

„Was ist denn los? Ich hatte Nachtschicht.“ Sie klang genervt.

„Sorry. Es ist wichtig“, begann ich, wusste aber nicht, wie ich den Satz weiterführen sollte. Stattdessen ließ ich die Lilien zum Vorschein kommen, die ich bisher hinter meinem Rücken versteckt hatte.

Lorena schien nun sofort hellwach. Sie sah sehr erschrocken aus und schaute mich fragend an.

„Lag hier vor eurer Tür. Und vor unserer lag auch eine, deshalb bin ich hergefahren. Sorry, dass ich einfach ins Haus gegangen bin, aber ich wollte nach dem Rechten sehen und dachte, wenn alles okay ist, bräuchte ich dich nicht zu wecken.“

Lorena schien immer noch wie erstarrt. Das machte mich nervös. Ich dachte, sie würde mich für verrückt halten oder sauer sein, warum auch immer. Aber dann machte sie ganz plötzlich einen Schritt auf mich zu, um mich fest in ihre Arme zu schließen. Ich erwiderte die Umarmung und streichelte ihren Rücken. Ich wollte sie beruhigen. Ich hatte nicht vermutet, dass sie genauso aufgebracht sein würde wie ich.

„Wie kann das sein?“, flüsterte sie.

Ich schüttelte überfragt den Kopf.

Schließlich löste sich meine Schwester von mir und wir gingen ins Wohnzimmer, um uns zu setzen. Lorena blieb dicht neben mir auf dem Sofa, immer noch geschockt.

„Ich werde gleich zur Polizei fahren“, sagte ich nur.

„Ich komme mit“, war sie entschlossen.

„Ruh dich aus, es reicht, wenn einer von uns das macht. Ich habe mich bei der Arbeit schon krankgemeldet.“

„Trotzdem.“

„Lorena … es kann doch niemand von den Lilien wissen. Außer den Tätern und allen, die bei unserer Befreiung beteiligt waren, oder?“ Ich war gespannt auf ihre Antwort. Hatte ich ein Detail übersehen?

Aber sie nickte. „Ich denke, du hast recht.“

„Ist Tim schon auf Arbeit?“

„Ja.“

„Wann hat er das Haus verlassen?“ Ihm wäre die Lilie sicherlich aufgefallen.

„Genau weiß ich es nicht, ich habe fest geschlafen. Aber normalerweise geht er gegen 6 Uhr 30 raus.“

Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war 7 Uhr 15. „Dann kann sie noch nicht lange vor deiner Tür liegen …“ Mein Kopf fühlte sich immer schwerer an. Zufällig schaute ich auf den Kalender an der Wand: Heute war der 18. September 2022. Sofort beschleunigte sich mein Herz. „Heute ist der 18. und ein Mittwoch“, stieß ich hervor.

Lorena schüttelte entsetzt den Kopf. Auch sie wusste, was das zu bedeuten hatte. An diesem Tag war ich gestorben. Und wieder aufgewacht. An diesem Tag hatte sich Lorena den Mördern ausgeliefert, um mich zu retten.

Es regnete, als ich vor der Polizeistation aus dem Auto stieg. Wie passend. Wer auch immer die Lilien vor unsere Türen gelegt hatte, bis auf den richtigen Tag hatte er alles andere verfehlt. Nicht der richtige Monat. Und noch nicht mal die richtige Jahreszeit. Als ich verschwunden war, war Mai gewesen, jetzt hatten wir September.

Es sah sicherlich merkwürdig aus, als ich mit der durchsichtigen Plastiktüte, in der sich die Lilien befanden, schließlich die Polizeistation betrat. „Verdammt, David, musste es eine durchsichtige Tüte sein?“, ging es mir durch den Kopf. Mit einer blickdichten hätte ich nicht ganz so irre ausgesehen.

Ich trat an den Empfang – oder wie man das auch immer bei der Polizei nannte. Ich hatte Lorena überreden können, mich nicht zu begleiten, aber jetzt vermisste ich sie doch. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so hilflos und allein gefühlt wie jetzt.

Eine dickliche, schlecht gelaunte Frau schaute mir entgegen. Ich wurde nervös. Das lag jedoch nicht an ihrem Blick, sondern einfach daran, dass ich sie nicht kannte. So war das immer bei Fremden.

„Hallo,“, begann ich. „Ist Herr Köhler vielleicht zu sprechen?“

In einem abwertenden Ton platzte sie heraus: „Was wollen Sie?“

Das machte es mir nicht gerade einfacher. Meine Handflächen wurden feucht, mein Herz schneller. „Na gut“, dachte ich mir. Wenn sie es so genau wissen wollte. „Ich bin David Winkler. Ich war damals eines der Opfer der Serienmörder. Ich habe heute Morgen eine … eine Art Nachricht erhalten und vermute, dass sie von einem Komplizen des Mörders stammt.“

Erst jetzt sah sie mich richtig an. Sie schaute nun über den Rand ihrer Brille und musterte mich ausgiebig. Ich hatte meinen von Brandnarben übersäten Arm extra nicht auf den Tresen gelegt. Kurz war ich nun in der Versuchung, es zu tun. Ein erschrockenes Gesicht würde ihr besser stehen als ein genervtes.

Doch da reagierte sie. „Setzen Sie sich.“ Aber ohne auf die nicht vorhandenen Stühle zu zeigen. Ich drehte mich vom Tresen weg und sah mich um. „Links“, grölte sie dann.

Ich zuckte leicht zusammen, bevor ich um die Ecke bog. Schließlich entdeckte ich eine Reihe Stühle und nahm Platz. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich daran dachte, dass meine Mutter und Lorena damals auch hier gesessen haben mussten. Vor zehn Jahren, als ich verschwunden war. Als ich mich diesen Mördern auslieferte, um mir von ihnen das Leben zerstören zu lassen. Und nicht nur meins, auch Lorenas und das unserer Eltern. Ich merkte es besonders Mama bis heute noch an, dass sie sich nicht daran gewöhnen konnte, dass ich noch immer mit den Folgen dieses Vorfalls leben musste. Meine Hände begannen zu zittern, als ich mir vorstellte, wie meine Schwester auf diesem Stuhl vor Anspannung hin und her gerutscht war – genauso wie ich jetzt. Irgendwie ertrug ich es nicht, diese Plastiktüte mit der Lilie weiterhin in den Händen zu halten, also legte ich sie auf den Stuhl neben mir.

Keine Ahnung, warum ich so lange warten musste, aber schließlich wurde ich von der pummeligen Frau aufgerufen und in ein Büro geführt. Als ich eintrat, begrüßte mich nicht Herr Köhler, sondern ein anderer Polizist. „Guten Tag, Herr Winkler, ich bin Herr Vogt.“

Ich nickte nur, wusste nicht recht, wie ich mich verhalten sollte. Und ich fragte mich gerade, ob er mich überhaupt ernst nahm. Er schien meinen Namen und daher bestimmt auch die Umstände meines Besuchs von der unfreundlichen Dame erfahren zu haben.

„Setzen Sie sich doch.“

Ich tat es und umklammerte nervös die Tüte mit den Lilien.

„Also, warum sind Sie hier?“

Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Mit zittrigen Fingern gab ich ihm die Plastiktüte. „Heute Morgen habe ich eine Lilie vor meiner Haustür gefunden, die andere vor der Tür meiner Schwester. Die Täter hatten damals orangene Lilien in dem Keller verteilt, in dem ich gefangen gehalten wurde.“

Er sah mich nachdenklich an. „Die Blumen lagen also direkt vor der Tür zu Ihrer Wohnung.“

„Genau.“

„Haben Sie bemerkt, dass ein Fremder in das Wohnhaus eingedrungen ist?“

„Nein, mir ist nichts Weiteres aufgefallen.“ Wieso hatte ich eigentlich nicht auf so etwas wie Einbruchsspuren geachtet?

„Und wie haben Sie von der zweiten Blume erfahren?“

„Ich bin zu meiner Schwester gefahren und habe sie dort entdeckt. Dann habe ich kurz mit Lorena gesprochen und bin hergekommen.“

„Okay. Es scheint Ihnen jemand einen schlechten Scherz zu spielen. Aber so, wie ich es sehe, ist niemand zu Schaden gekommen.“

Ich nickte zögernd. Mir war klar, was er damit meinte. Es wurde niemand verletzt oder gar getötet, aber ich war nun völlig verängstigt und durcheinander. „Meinen Sie nicht, das könnte eine Drohung sein?“, sprach ich meine Gedanken aus.

„Ausschließen kann ich es nicht, aber es bliebe ungeklärt, von wem diese Drohung stammen könnte.“

Ich schaute ihn zögernd an. Er wollte also nichts dagegen tun? „Ich fühle mich zumindest bedroht. Meine Schwester sicherlich auch. Da muss ein Fremder in unseren Wohnhäusern gewesen sein.“

„Na gut. Wir werden die Blumen auf Fingerabdrücke untersuchen, insofern sie noch nicht verwischt wurden. Wir melden uns telefonisch bei Ihnen, sobald die Ergebnisse vorliegen.“

Ich nickte erleichtert. Zumindest nahm er die Situation jetzt einigermaßen ernst.

„Wurden die Blumen sonst noch von jemandem angefasst? Von Ihrer Schwester vielleicht?“

„Nein, niemand sonst hat sie berührt.“

„Okay, das macht die Sache leichter. So muss ich keine weiteren Fingerabdrücke zum Abgleich aufnehmen. Ihre haben wir noch von damals.“

Sofort muss ich daran zurückdenken: Wenige Tage nach meiner Befreiung, sobald ich wieder einigermaßen ansprechbar gewesen war, kamen Polizisten auf mein Krankenzimmer, um mir Fingerabdrücke abzunehmen. Das mussten sie, um den Tatort untersuchen zu können. Später sprach ich ausführlich mit Ihnen, erzählte ihnen alles, was passiert war. Alles, was meine Mörder mir erzählt hatten. Noch immer war mir in Erinnerung, dass ich auch beim Wiedergeben schrecklicher Details damals äußerst unberührt ausgesehen haben musste. Ich war noch viel zu geschockt gewesen. Hatte noch gar nicht kapiert, was passiert war. Dachte vielleicht, es wäre nur ein grauenhafter, langer Albtraum gewesen.

Als ich nun wieder aus meinen Gedanken auftaucht und Herr Vogt fertig mit seinen Notizen war, fragte ich: „Können Sie mir sagen, ob außer den Tätern und beteiligten Polizisten und Sanitätern jemand von den Lilien hätte wissen können?“

„Dieses Detail wurde nie öffentlich gemacht, soweit ich weiß. Man könnte nur davon ausgehen, dass die Täter damals jemandem davon erzählt haben.“

Daran hatte ich zwar noch gar nicht gedacht, aber ich schloss es sofort wieder aus. Wem sollten diese in sich gekehrten jungen Männer, die zu kaum jemandem Kontakt gehabt hatten, so etwas erzählt haben? Ich runzelte die Stirn und nickte. „Ist noch jemand von den Polizisten hier, die damals den Fall betreut haben?“

„Herr Köhler wurde versetzt.“

„Und Herr Lorenz und Frau Roth?“

„Sie arbeiten auch nicht mehr hier.“

Ich runzelte die Stirn. Irgendwie kam mir das merkwürdig vor.

„Na ja, es sind immerhin zehn Jahre vergangen“, antwortete Herr Vogt auf mein Schweigen. „Ach, bevor ich es vergesse, würden Sie mir die Telefonnummer Ihrer Schwester geben, falls ich Rückfragen an sie habe?“

Ich schaute ihn ein wenig verwirrt an, denn ich fragte mich, was er von ihr wissen wollte. Ich war es, der die Lilie vor ihrer Tür entdeckt hatte und nicht Lorena. Aber dann willigte ich ein und gab ihm ihre Kontaktdaten. Dann wollte er sich auch schon von mir verabschieden und reichte mir die Hand. Ich zögerte, denn ich hatte das Gefühl, noch lange nicht alles geklärt zu haben. Aber in diesem Moment wusste ich einfach nichts mehr zu sagen. Also schüttelte ich seine Hand, schaute in seine dunklen Augen und verließ zitternd das Polizeirevier.

Der Abend war der völlige Kontrast zu alledem. Ich blickte tief in die Augen dieser wunderschönen Frau, die ich über alles liebte. Die Frau, die seit diesem Vorfall bei mir geblieben war und alles mit mir durchgestanden hatte. Die mich immer liebte, egal wie schwierig es mit mir war. Denn besonders die ersten paar Jahre nach dem Vorfall waren schwer für mich gewesen. Schwerer, als ich je vermutet hätte. Die Frau, die schon seit zehn Jahren mit mir zusammen war und der ich deshalb vor zwei Monaten einen Heiratsantrag gemacht hatte. Die Frau, die mich mit ihrem „Ja“ überglücklich gemacht hatte. Jetzt strahlte sie mich wieder fast so an wie an dem Tag, an dem ich ihr erklärt hatte, dass ich sie zur Frau nehmen und mich für immer an sie binden wollte. Aber heute strahlte sie, weil wir etwas anderes zu feiern hatten. Franziska hatte ihre letzte Prüfung bestanden, um als Lehrerin arbeiten zu können. Jetzt würde sie berufstätig werden. Würde den Job ausüben, der ihr Traum war. Es war ein Job, der das genaue Gegenteil von meinem war. Franziska arbeitete mit Kindern oder Jugendlichen, ich meist allein. Ich war seit dem Vorfall vor zehn Jahren unsicher und introvertiert und ich konnte das einfach nicht mehr ablegen. Vielleicht lag es daran, weil meine Mörder mir meine Würde und somit auch mein Selbstbewusstsein genommen hatten. Vielleicht lag es auch daran, weil ich ständig dachte, andere würden mein Gesicht oder meinen Namen aus den Vermissten-Anzeigen kennen, obwohl das schon so lange her war. Aber vielleicht lag es einfach daran, dass ich irgendwie immer die Auffassung hatte, dass mich andere für unnormal oder verrückt hielten. Ich hatte stets das Gefühl, dass ich nur in Franziskas oder Lorenas Gegenwart ich selbst sein konnte – zumindest mein neues Ich – mein altes, wirkliches Ich hatte ich bei meinen Mördern verloren. Sie hatten es mir während der Folter gewaltsam und widerwillig entrissen. Und das, obwohl ich mich selbst die ganze Zeit im Blick gehabt hatte und mich selbst unmöglich hätte vergessen können.

Aber ich hatte es. Und vermutlich war genau das der Fehler gewesen: der Spiegel. Deshalb schaute ich seitdem in keinen Spiegel mehr. Ich konnte mir selbst nicht länger als ein paar Sekunden in die Augen blicken, auch jetzt nicht, nachdem so viel Zeit vergangen war. Natürlich musste ich jeden Tag kurz in den Spiegel schauen, aber ich blickte mir dabei niemals direkt in die Augen. Ich bekam Panik, wenn ich mir in die Augen sah – und das war eigentlich ziemlich armselig und krank. Aber es war so, denn wenn ich mein Spiegelbild sah, blitzte unwillkürlich und schlagartig das Bild des fünfzehnjährigen, blutverschmierten, weinenden Jungen vor meinem inneren Auge auf, das ich einfach nicht ertragen konnte.

Genau deshalb genoss ich es jetzt auch, als ich in die tiefblauen Augen von Franziska schaute, die mir erzählte, wie ihre Prüfung gelaufen war. Sie hatte mich nach der Prüfung kurz angerufen und ich hatte mich riesig für sie gefreut, ihr gratuliert und sie gefragt, ob wir essen gehen wollten. Ich hatte schon einen Tisch bei Joey’s reserviert, ihrem Lieblingsrestaurant. Aber sie meinte, dass es ihr lieber wäre, den Abend zu Hause zu verbringen. Eigentlich hatte ich ihr das nicht geglaubt, aber ich wollte nicht länger mit ihr diskutieren. Ich hoffte nur, dass ihre Ablehnung nicht an den Lilien oder an mir lag. Franziska konnte gut mit Menschen umgehen und hatte ein wahnsinniges Einfühlungsvermögen – nicht nur bei mir. Sie hatte sich bestimmt gedacht, dass ich noch zu sehr aufgebracht war wegen der Lilien am Morgen und deshalb lieber zu Hause bleiben würde.

Aber das stimmte eigentlich nicht, denn als ich sie über die Kerze hinweg ansah, ihr durch die Flamme erhelltes Gesicht wahrnahm, da wusste ich, dass ich mich auch hier in unserer Wohnung nicht mehr sicher fühlte. Denn wer auch immer diese Lilie vor unsere Tür gelegt hatte, er hatte etwas mit den Mördern zu tun und er wusste, wo wir wohnten. Dieser Gedanke ließ mich erschaudern.

Doch von all diesen Bedenken erzählte ich ihr nichts, ich hatte ihr bisher auch nicht erzählt, wie es bei der Polizei abgelaufen war. Sie hatte es am Telefon wissen wollen, aber ich hatte nur gesagt, dass ich es ihr später erzählen wollte. Ich hatte ihr Lieblingsessen gekocht – Spaghetti Bolognese – und servierte nun Mousse au Chocolat zum Nachtisch.

„Das ist viel besser, als essen gehen.“ Sie grinste breit.

Ich versuchte, auch zu lächeln. „Das hast du dir wirklich verdient nach all der Mühe.“ Na ja, und ich war den ganzen Nachmittag zu Hause gewesen, weil ich mich wegen einer Lilie vor der Haustür krankgemeldet hatte …

„Es ist bestimmt merkwürdig für die Kinder, die ich unterrichte, dass sie mich in einem halben Jahr Frau Winkler nennen müssen.“ Sie lächelte, als sie das sagte, und ich lächelte zurück. Mir wurde so warm ums Herz, wenn sie von unserer Hochzeit sprach. Der Termin stand schon. Ich sah ihr an, dass ich sie mit diesem Antrag zur glücklichsten Frau der Welt gemacht hatte. Vermutlich war das bisher das Einzige in meinem Leben, was ich richtig gemacht hatte.

„Mir gefällt dein Name“, sagte sie grinsend, bevor sie sich den ersten Löffel der Mousse au Chocolat in den Mund schob.

„Mir gefällt mein Name auch an dir.“

Sie lachte. Es war so leicht, sie zum Lachen zu bringen oder glücklich zu machen. Bei mir war das nicht so. Ich dachte lange Zeit, dass ich das Leben durch den Vorfall mehr schätzen gelernt hätte. Das war an manchen Tagen auch so, aber die Zahl der Tage, die ich verabscheut hatte, war im Vergleich dazu viel größer.

Jetzt jedoch wurde Franziskas Miene ernster. „David, ich muss jetzt wissen, wie es bei der Polizei abgelaufen ist. Es tut mir leid, dass ich das so verdrängt habe, aber jetzt haben wir mich genug gefeiert.“ Sie sah mich auffordernd an. „Erzähl.“

Ich zuckte mit den Schultern, denn im Grunde gab es nicht viel zu sagen. „Der Polizist, mit dem ich gesprochen habe, hat keine Ahnung, wer es gewesen sein könnte. Sie versuchen, Fingerabdrücke an den Blumen festzustellen, und melden sich dann.“

„Die Blumen?“, fragte sie entsetzt.

Ach so, das hatte ich ihr ja auch noch nicht erzählt. „Vor Lorenas Tür lag auch eine.“

Sie ließ ihren Löffel vor Schreck in die Schüssel zurückfallen.

Sofort bereute ich, ihr das gesagt zu haben. Ich nahm ihre Hand. „War bestimmt nur ein dummer Scherz. Uns wird nichts passieren.“ Doch ich wusste, dass ich log.

Da klingelte das Telefon. Schnell ging ich in den Flur und nahm ab. Franziska beobachtete mich dabei. Mein Herz raste bereits. „Winkler“, meldete ich mich.

„Herr Vogt von der Kripo Potsdam hier. Wir haben beide Lilien untersucht. Wir konnten keine Fingerabdrücke vorfinden außer Ihren eigenen.“

Ich schaute Franziska an, als er das sagte. Und ich brauchte keinen Spiegel. Der Schock stand mir ins Gesicht geschrieben und übertrug sich auf Franziska. Sie war ein Spiegelbild meiner selbst. Sie schaute mich in diesem Moment genauso erschrocken an wie ich sie. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als die Worte des Polizisten auf mich wirkten. Nicht nur wegen dieser unerklärlichen Tatsache, sondern weil ich den Unterton in seiner Stimme heraushörte. Einen vorwurfsvollen Unterton. So als wäre ich für all das verantwortlich.

*

Kapitel 2: Training

Seitdem ich diese Lilie gefunden hatte, waren mir folgende Dinge klar:

Erstens: Irgendjemand, der die Geschwistermörder kannte, bedrohte mich, wollte mich nun völlig zerstören. Sowohl psychisch als auch körperlich.

Zweitens: Ich musste mich darauf vorbereiten.

Drittens, und das war die Tatsache, die mich am meisten beunruhigte: Es konnte eigentlich nur der Geschwistermörder selbst sein.

Wieder schlug ich zu. Wieder und wieder. Mit jedem Schlag wurde meine Wut stärker. Sie wollte sich nicht bändigen lassen. Ich dachte an das Telefonat mit dem Polizisten von letzter Woche zurück, dem Polizisten, der zunächst einen netten Anschein gemacht hatte und nun dachte, dass ich diese Lilien selbst beschafft hätte. Immer wieder ging mir sein Satz durch den Kopf: „Wir konnten keine Fingerabdrücke vorfinden außer Ihren eigenen.“

Und die Frage, die ich ihm dann gestellt hatte: „Dann wurden die Fingerabdrücke vermutlich wieder verwischt?“

„Sieht nicht danach aus.“

„Dann hat der Täter bestimmt Handschuhe getragen.“

„Kann sein.“

Kann sein.

Noch mal schlug ich zu. Diesmal auch mit Ellenbogen und den Füßen. Meine Hände brannten, aber das war mir egal. Mein Schmerzlimit hatte sich seit dem Vorfall sowieso ins scheinbar Unendliche ausgedehnt. Das hier war gar nichts.

Und dann das Gespräch mit meiner Schwester. Meine Schwester, die gerade das Polster hielt, auf das ich einschlug und die meine Wut sah. Aber das war okay, denn sie war genauso wütend wie ich – und das wusste ich.

Dann kam Lorenas verzweifelte Stimme in meinen Kopf, die mich ein paar Minuten nach dem Telefonat mit der Polizei angerufen hatte: „David, ein Herr Vogt von der Kripo hat gerade bei mir angerufen. Er sagte, es wären nur deine Fingerabdrücke auf den Lilien zu finden, und er fragte mich wortwörtlich, ob du psychisch labil seist.“

„Aha, und was hast du ihm gesagt?“ Ich ballte die Hände zu Fäusten.

„Dass alles in Ordnung ist mit dir.“

„Da hast du ja schön gelogen.“

„Ist doch egal, was ich sage. Er kann nicht wissen, dass du in therapeutischer Behandlung bist. Und selbst wenn, nach so einem Vorfall, wer wäre das nicht?“

„Wer wäre das noch nach zehn Jahren?“

Sie holte Luft. „David …“, brachte sie nur hervor.

„Er glaubt also, ich habe das vorgetäuscht, und will nur Aufmerksamkeit auf mich ziehen?“

„Ich weiß nicht.“

„Na klar wollte er das damit sagen.“

„Er hat mir gesagt, dass keine Gefahr besteht.“

„Und das glaubst du?“

Sie antwortete nicht mehr.

„Lorena …“ Mein Herz raste. „Glaubst du, dass ich das war?“

„Nein.“

Mein Herz beruhigte sich, ich kannte meine Schwester gut und ich hörte in ihrer Stimme, dass sie mir ehrlich geantwortet hatte. „Das einzige Dumme ist nur, dass es niemand beweisen kann. Es gibt keine Beweise, die dagegensprechen, dass du es warst.“

Damit hatte sie recht. Noch einen heftigen Stoß versetzte ich dem Schlagpolster. Warum hatte ich mit zwei Lilien in Lorenas Wohnhaus gestanden? Natürlich musste das verdächtig ausgesehen haben. Warum hatte ich Lorena nicht angerufen, bevor ich zu ihr gefahren war? Dann hätte sie die Lilie selbst entdeckt. Warum hatte nur ich diese Lilien angefasst? Noch einige starke Schläge …

„David!“ Lorena brachte mich zurück in die Realität. „Es reicht“, sagte sie halb lächelnd, halb besorgt. „Jetzt bin ich dran. Ich muss mich auch noch warm machen, es geht gleich los.“

Ich sah in ihren Augen, dass sie meine Wut bemerkte und dass sie auch genau wusste, woher sie kam. Und ich sah in ihren Augen, dass sie das alles sehr beunruhigte.

Aber ich ging nicht darauf ein. Also tauschten wir und ich hielt das Schlagpolster. Nun schlug Lorena mehrmals mit Händen, Ellenbogen und Knien darauf ein – ähnlich wie ich zuvor. Lorena und ich gingen jede Woche zusammen zum Kampfsport. Mit 17 hatte ich angefangen. Dann waren meine Verletzungen endlich so gut verheilt, dass ich wieder ernsthaft Sport machen konnte, denn mit meinem Bein hatte ich lange Probleme gehabt – und ich hatte sie auch heute noch. Wenn man davon wusste, sah man, dass ich leicht humpelte, vor allem, wenn ich joggen ging, aber im Alltag fiel es kaum auf. Vielleicht war es ganz normal, dass ich das Bedürfnis verspürt hatte, Kampfsport zu betreiben. Denn ich wollte wissen, wie ich mich am besten verteidigen konnte – etwas, das mir bei den Mördern nie gelungen war – vor allem aber wollte ich stark genug werden. Außerdem war diese Sportart einfach die beste Gelegenheit, sich abzureagieren von all der Wut, von der ich immer viel zu viel in mir trug. Hauptsächlich war ich dabei wütend auf mich selbst. Dass ich von zu Hause abgehauen war, um so eine kranke Story zu erleben, die mich bis heute verfolgte. Wütend darauf, dass ich schlechter damit leben konnte, als ich jemals gedacht hatte. Damals, als ich im Himmel war. Manchmal bin ich sogar wütend darauf, dass ich nicht dortgeblieben war. Dann fragte ich mich, ob ich – wieder einmal – falsch entschieden hatte.

Die ersten Tage im Krankenhaus nach dem Vorfall waren für mich wie ein Schock gewesen. Dann kamen die Schmerzen so stark zurück, dass sie mir Angst machten, ich fühlte mich richtig elendig. Manchmal wollte ich einfach wieder unter der Sonne auf einer Wolke herumhüpfen und mich frei fühlen. Aber dann saßen meine Schwester und Franziska an meinem Bett und überzeugten mich mit ihrer reinen Anwesenheit vom Gegenteil. Dann war ich sicher, dass es richtig war, bei dem Mädchen zu bleiben, in das ich mich verliebt hatte. Und es war richtig, zu meiner Schwester zurückzukehren, bei ihr zu bleiben, mit ihr weiterzuleben. Denn auch sie hatte sich durch diesen Vorfall verändert, und ich wollte für sie da sein.

Nachdem ich anfangs ein paar Mal beim Taekwondo gewesen war, hatte meine Schwester mich gefragt, ob ich einverstanden wäre, wenn sie mitkäme. Ich hatte nichts dagegen gehabt, denn auch ihr tat es gut, zu wissen, wie man sich selbst verteidigen konnte. Und mich beruhigte es zudem, zu wissen, dass sie sich in einer Notsituation selbst helfen konnte. Nachdem wir von zu Hause ausgezogen waren, meldeten wir uns in Potsdam beim Krav-Maga an, einem israelischen Selbstverteidungssystem, bei dem man Bodenkampf, Grifftechniken, aber vor allem auch die Abwehr von Waffen lernte.

Nachdem wir uns aufgewärmt hatten, rief uns der Trainer zu sich. „Heute wollen wir die Messerabwehr weiter vertiefen“, erklärte er, während er ein Holzstück in Form eines Messers in die Höhe hielt. Ein Freiwilliger aus unserer Runde attackierte unseren Trainer nun mit diesem Gegenstand, sodass er uns verschiedene Abwehrmethoden zeigen konnte. Ich versuchte, mir alles gut einzuprägen, und übte schließlich mit Lorena. Jedes Mal, wenn wir so etwas machten – uns zur Übung gegenseitig angriffen – sah ich in ihrem Blick, dass sie sich erinnerte. Besonders an diesem Tag, als es um ein Messer ging, sah ich sie in ihren Augen: die Angst von damals. Die Angst, die wir verspürt hatten, als wir von den Geschwistermördern mit einem Messer angegriffen worden waren.

Aber vielleicht war diese Angst manchmal produktiv, denn Lorena wehrte jeden Angriff von mir ab. Jedes Mal, wenn ich mit dem unechten Messer in der Hand auf sie zu ging, gelang es ihr, meinen Arm wegzudrücken und Abstand zu mir zu bekommen. Vielleicht gerade deshalb, weil sie sich erinnerte. An diesen Schmerz, den wir beide teilten. Der plötzliche, unerträgliche, scharfe Schmerz. Die Luft an den geöffneten Pulsadern …

Mir entging es auch nicht, dass ihr Blick bei den Übungen manchmal auf der Narbe an ihrem rechten Handgelenk hängen blieb. Dieselbe Narbe, die ich auch hatte – und an der ich verblutet war. Vielleicht dachte Lorena, dass wir diese Narben nicht hätten, wenn sie sich damals hätte besser verteidigen können. Machte sie sich wohl Vorwürfe deswegen? Aber dann sah ich auch, wie sie bei den Übungen immer wieder unsere Tattoos ansah. Lorena und ich hatten ein ähnliches Tattoo am linken Handgelenk. Ich weiß noch genau, wie ich an meinem sechzehnten Geburtstag Geschenke ausgepackt hatte. Das war ungefähr ein halbes Jahr nach dem Vorfall gewesen. Die Wunden an meinem Körper waren, so gut es ging, verheilt und ich konnte gerade wieder vernünftig laufen, ohne stark zu humpeln. Aber ich spürte, dass die Narben auf meiner Seele noch lange nicht verheilt waren, und ich war mir damals schon sicher gewesen, dass sie niemals ganz verblassen würden. Beim Auspacken der Geschenke kam mir genau dieser Gedanke. Ich fragte mich einfach, was mich jetzt glücklich machen könnte. Und ob mich überhaupt irgendein materielles Geschenk je wieder glücklich machen könnte. Dabei fiel mir auf, dass dies mein erster Geburtstag war, an dem ich gar nicht so viel Materielles geschenkt bekam, und fragte mich, ob es an dem Vorfall lag. Franziska schenkte mir einen MP3-Player, auf den sie meine Lieblingsmusik geladen hatte, denn sie wusste, dass ich vor dem Einschlafen gerne Musik hörte. Manchmal half mir die Musik beim Einschlafen, manchmal dabei, schlaflose Nächte zu überstehen. Über das Geschenk meiner Schwester war ich überrascht. Sie übergab mir einen Umschlag und ich war irritiert gewesen, als ich wenige Sekunden später einen Gutschein für ein Tattoo-Studio in den Händen hielt. „Was? Ich bin erst sechzehn“, sagte ich sofort. Doch dann gab Mama mir noch einen Umschlag. Ich grinste fassungslos, als ich ihn öffnete und die unterschriebene Einverständniserklärung meiner Eltern sah.

„Nicht euer Ernst.“ Ich sah meine Eltern erstaunt an.

Mama zuckte mit den Schultern. „Lorena hat uns überredet.“

Ich war verblüfft und fragte. „Wie hast du das geschafft?“

„Na ja, eigentlich hatte ich vor, dass wir beide uns zusammen tätowieren lassen.“

„Du auch?“ Damit hätte ich nicht gerechnet.

„Ich habe gedacht, wir könnten uns das hier stechen lassen.“ Meine Schwester gab mir einen Zettel, auf dem stand:

Für David: My sisters protector. Für mich: My brothers keeper.

Ich war sprachlos und wirklich gerührt von ihrem Vorschlag. Denn es passte zu unserem Vorfall. Zu dem Vorfall, der unsere Schicksale für immer verbunden hatte. Und nicht nur das: Es war ein ewiges Versprechen. Ich hatte meinen Mördern keine Hinweise auf Lorena gegeben, weil ich nicht gewollt hatte, dass ihr etwas zustieß. Ich hatte sie beschützen wollen. Und das würde ich auch jetzt sein: der Beschützer meiner Schwester. Meine Schwester war jedoch trotzdem zu den Mördern gegangen, hatte sich einer riesigen Gefahr ausgesetzt, um mir das Leben zu retten. Um über mich zu wachen: die Wächterin meines Bruders. Mit diesem Tattoo versprach sie mir, das auch weiterhin zu tun. Sie würde über mich wachen und ich würde sie beschützen. Bis an unser Lebensende.

„Aber du kannst dir auch gerne was anderes aussuchen. Ich weiß, es ist vielleicht ein bisschen kitschig.“ Lorena sah mich unsicher an.

Ich schüttelte sofort den Kopf. „Nein, es ist perfekt.“ Dankbar fiel ich ihr in die Arme. Vielleicht hatte ich es auch ohne die Tattoos gewusst, aber von dem Tag an, an dem wir das Tattoo-Studio verlassen hatten, hatte ich die feste Gewissheit, dass meine Schwester immer zu mir halten würde.

Deshalb hätte ich eigentlich auch jetzt wissen müssen, dass sie mir glaubte. Dass ich das mit den Lilien nicht selbst gewesen war. Meine Schwester würde ihr Versprechen halten – genauso wie ich. Da war ich mir sicher. Nachdem wir die Lilien vor unseren Türen gefunden hatten und die Polizei uns das Ergebnis der Untersuchung dieser Blumen mitgeteilt hatte, war ich am nächsten Tag bei Lorena und Tim gewesen. Ich hatte Tim gleich angesehen, dass ihm die Situation Sorgen bereitete. Dass er sich um Lorena Gedanken machte und es nicht ertragen könnte, wenn ihr noch einmal etwas passieren würde. Tim und ich teilten nun dasselbe Gefühl der Angst. Er war bei der Polizei gewesen und hatte gesagt, dass er diese Angelegenheit nicht so stehen lassen könne. Obwohl er ziemlich eindringlich mit einem Beamten gesprochen haben musste, hatten sie ihm dasselbe gesagt wie uns: „Wir können nichts tun, solange keine direkte Bedrohung vorliegt oder wir Hinweise haben.“ Aber war die Lilie denn nicht schon Beweis genug?

Am Abend nach dem Training setzte ich mich zu Hause an den Laptop und googelte. Seit dem Anruf der Polizei hatte ich das schon mehrmals vergeblich getan, hoffte aber, dass meine Suche Erfolg haben würde, wenn ich genauer und länger suchte oder die richtigen Stichworte in die Suchzeile eingab. Ich schaute mir Zeitungsartikel an, die über den Vorfall berichtet hatten. Ich wollte einfach herausfinden, ob irgendjemand darin verwickelt gewesen war, der von den Lilien wusste, und ob diese Blumen wirklich nie in einer Pressemitteilung erwähnt worden waren. Eigentlich konnte ich solche Schlagzeilen wie Fünfzehnjähriger stundenlang von Serienmördern gequält, Waghalsige Rettungsaktion: Schwester befreit Bruder oder Verschwinden von Geschwisterpaaren in Jüterbog hat ein Ende nicht mehr sehen, aber ich wollte einfach irgendetwas herausfinden – und eine andere Möglichkeit hatte ich nicht. Am liebsten hätte ich mit einem der Polizisten gesprochen, die in den Vorfall involviert gewesen waren. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich Herrn Köhler kontaktieren konnte, denn laut Google arbeitete er schon nicht mehr bei der Polizei und ich konnte ja schließlich keinen anderen Polizisten nach seiner privaten Rufnummer fragen. Dann würde man mich bestimmt erst recht für verrückt halten – und die Nummer dürfte bestimmt sowieso nicht an mich herausgegeben werden.

Ich erinnere mich oft daran, wie Herr Köhler zwei Tage, nachdem ich im Krankenhaus aufgewacht war, an meinem Bett gesessen, mir einige Fragen gestellt und mich dabei mit einem mitfühlenden, fast schuldvollen Blick angesehen hatte, fast so, als wäre er der Meinung gewesen, dass er all mein Leid von mir, das meiner Schwester und der anderen Geschwistern hätte verhindern können, wenn er anders gehandelt oder eher die richtigen Hinweise gesehen hätte. Aber es gab nichts, was ich ihm übel nehmen konnte. Das aktuelle Problem war, dass ich wusste, dass demnächst noch irgendetwas passieren würde und nun niemand von der Polizei etwas dagegen unternahm oder unternehmen wollte. Und dass Herr Vogt vielleicht irgendwann in seinem Sessel sitzen und sich schuldig für alles halten könnte. Aber auch das konnte ich ihm unmöglich erzählen. Er dachte ja sowieso – zumindest meiner Auffassung nach –, dass ich so psychisch labil sei, dass ich selbst die Lilien verteilt hatte, entweder, um Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, oder weil ich mich nicht erinnern konnte, es getan zu haben, weil ich Drogen nahm oder eine Wahrnehmungsstörung hatte. So zumindest meine Interpretation seiner Aussagen am Telefon.

Ich hatte auch mit dem Gedanken gespielt, meine Psychotherapeutin – zu der ich schon Jahre ging – zu bitten, Herrn Vogt ein Protokoll über meine seelische Verfassung auszustellen. Aber das kam nicht mehr infrage. Denn vermutlich würde er auch aus einer Diagnose falsche Schlüsse ziehen – und das würde alles nur noch schlimmer machen. Außerdem wusste ich gar nicht, ob meine Therapeutin meine Daten – auch mit meiner Einwilligung – überhaupt herausgeben durfte oder wollte.

Es war nicht schwierig, zu erinnern, wann ich mich entschieden hatte, zu einem Psychotherapeuten zu gehen. Meine Eltern hatten mir schon am ersten Tag im Krankenhaus – mein erster Lebenstag in meinem zweiten Leben, mein erster Tag nach dem Herzstillstand – gesagt, dass ich mit einem Therapeuten sprechen könne, wenn ich das wollte. Aber ich hatte das zuerst nicht ernst genommen. Hatte gedacht, ich käme alleine klar. Aber eines Tages wusste ich dann, dass ich es nicht allein schaffen konnte, dieses Trauma zu überwinden. Und dass mir meine Eltern, meine Schwester oder Franziska auch nicht mehr zu helfen wussten. Seitdem ich wieder zu Hause gewesen war, litt ich an Panikattacken. Vermutlich, weil ich zur Ruhe kam und die Medikamente mir nicht mehr den Verstand vernebelten. Zuerst hatte ich nur hyperventiliert, hatte grauenvolle Albtäume von meinen Mördern und meist starke Schmerzen. Wenn mich dann jemand weckte – und das war durch die relativ laute Hyperventilation der Normalzustand – war alles wieder gut. Die Schmerzen vergingen, ich konnte wieder durchatmen.

Aber in dieser einen Nacht nicht. Das war ungefähr drei Monate nach dem Vorfall, weil ich meine Schiene am Bein nicht mehr tragen musste, aber immer noch stark humpelte und Krücken brauchte. Mein Traum: Ich lag gefesselt auf dem Tisch. Wie in den meisten Träumen. Meine Mörder starrten mich an. Ich wusste, dass ich träumte. Also stellte ich mich auf Schmerzen ein. Gleichzeitig wusste ich, dass Lorena mich gleich wecken würde, spätestens dann, wenn ich hyperventilierte. Sie schlief seit meiner ersten Panikattacke in meinem Zimmer. Ich dachte im Traum, meine Mörder würden mir Schmerzen zufügen, aber sie schienen auf irgendetwas zu warten. Ich betrachtete mich im Spiegel, wohl wissend, dass ich das nicht tun sollte, weil ich mich dann erschrecken könnte. Weil ich dann sehen könnte, dass ich verletzt war. Aber da war nichts. Ich blutete nicht mal. Doch dann sah ich es: Der Spiegel begann zu zerbrechen. Immer mehr Risse sammelten sich im Glas. Die Scherben fielen auf mich nieder, durchbohrten meine Haut. Ich schrie durch diesen stechenden Schmerz auf. Sofort bereute ich es, in den Spiegel gesehen zu haben, hätte ich es nicht getan, dann wäre das vielleicht nicht passiert. Vielleicht hätte sich mein Gehirn dann etwas weniger Schlimmes ausgedacht. Vielleicht auch nicht.

Eine Flüssigkeit trat hinter dem Spiegel hervor … Wasser. Der Spiegel beschlug. Es war heißes Wasser. Ich zerrte an den Fesseln, aber ich war wehrlos. Ich wusste genau, was passieren würde. Wusste genau, welche Art Schmerz mich erwartete. Meine Mörder auch. Sie lachten. Dann brach der Spiegel komplett ein. Unmengen kochendes Wasser prasselten auf meinen Körper ein. Der Schmerz durchzuckte meinen Körper, ließ mich beben. Ich wand mich. Ich verbrannte. Am ganzen Körper. Der Schmerz war unerträglich. Es war so ein starkes Brennen, dass man denken konnte, einem würde die Haut bei lebendigem Leib abgezogen. Einfach vom Leib gerissen. Oder als würden meine Gliedmaßen platzen. Den Schmerz konnte man keine Sekunde lang ertragen. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Aber dann drang das kochende Wasser in meine Kehle, in meine Luftröhre. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich verbrannte und erstickte gleichzeitig. Und es nahm kein Ende. Ich wachte einfach nicht auf. Ich weinte, bettelte darum, erlöst zu werden. Dann hörte das Wasser auf, zu fließen. Ein Rest des Spiegels war noch übrig. Ich sah mich an. Mein Körper war übersät von Blut, Brandblasen und Narben. Sogar mein Gesicht, meine Augen – völlig entstellt. Mir wurde übel. Ich atmete einmal heftig ein, weil ich mich dermaßen vor mir selbst erschrak – vor meinem entstellten Gesicht. Doch ich atmete nicht wieder normal aus. Nun hyperventilierte ich. Meine Atmung ging in kurzen flachen Stößen. Jetzt musste meine Schwester mich hören. „Bitte wach auf, Lorena“, dachte ich nur. „Bitte weck mich.“

Aber es dauerte noch. Also schloss ich die Augen und wartete.

„David!“ Lorena legte eine Hand auf meine Schulter und rüttelte mich wach. Ich riss die Augen auf. Und schrie sofort auf. Viel zu laut. Ich schrie aus ganzer Kraft, krümmte mich vor Schmerzen. Sie waren immer noch da.

„David!“ Jetzt schrie auch Lorena, schrie immer wieder meinen Namen. Wusste nicht, wie sie mir helfen sollte. Doch dann nahm sie einfach meine Hand. Ich drückte sie instinktiv und viel zu doll. Ich schrie weiter, weinte, schluchzte.

„David, du bist wach! Du musst atmen!“, stammelte sie. „Oh Gott, bitte, David, amte!“

Ich hörte ihre Stimme kaum und merkte deshalb auch nicht, dass ich immer noch nicht atmete. Weil die Schmerzen in meinem Brustkorb zu stark waren. Sie machten es unmöglich, ein- oder auszuatmen. Ich verkrampfte mich komplett. Im nächsten Augenblick spürte ich etwas Kaltes, Nasses auf meiner Stirn. Langsam kam ich wieder zu mir. Und holte tief Luft.

„David?“ Diesmal eine andere Stimme. Es war Mama.

„Ich rufe jetzt einen Krankenwagen“, hörte ich Papa sagen.

„Nein“, brachte ich leise hervor. Dann spürte ich die Übelkeit. Ich sah wieder mein verbranntes Gesicht vor mir … und die Gesichter der Mörder. „Ich muss mich übergeben.“ Ich setzte mich hin, so schnell ich konnte, aber alles drehte sich. Mama nahm den Waschlappen von meiner Stirn. Papa rannte wieder weg, vermutlich, um einen Eimer zu holen. Schnell nahm ich eine Krücke und wollte zum Badezimmer stürzen. Lorena stützte mich halb auf der anderen Seite aus Angst, ich könnte umkippen. Irgendwie bekam ich es hin, Abstand von ihr zu bekommen und mich im Bad einzuschließen. Dann kniete ich mich vor die Toilette, darauf bedacht, das verletzte Knie nicht zu sehr zu belasten. Ich wollte mich übergeben, aber es ging nicht. Noch nie hatte ich mich nach meiner Gefangenschaft bei den Mördern so elendig gefühlt. Noch nicht einmal, als ich sofort danach mit wirklich starken Schmerzen im Krankenhaus gelegen hatte. Das hier war viel schlimmer.

Ich versuchte, wieder regelmäßig zu atmen. Doch immer wieder tauchten diese Bilder vor mir auf. Durchzuckten meinen Körper wie schmerzende Stromschläge. Ich verbrannte am ganzen Körper. Einige Scherben des Spiegels steckten in meinem Körper, hatten viel Blut, tiefe Wunden hinterlassen. Ich hörte meine Mörder, die sich über mein Leid lustig machten. Ich krümmte mich vor dem WC, würgte, aber es kam immer noch nichts. Ich konnte die Übelkeit nicht länger ertragen. Irgendwann schaffte ich es, mir den Finger in den Hals zu stecken, obwohl ich dabei ziemlich zitterte. Nun übergab ich mich heftig. Und geräuschvoll. Es ging nicht leiser. Ich versuchte dabei, keuchend weiter zu atmen und nicht vor Schmerzen zu schreien.

Dann war es vorbei. Endlich verging die Übelkeit. Aber dafür wurde mir schwindlig. Ich betätigte die Spülung und legte meine Stirn auf den Rand des WCs – einerseits aus Angst, noch einmal brechen zu müssen, andererseits, um nicht umzukippen. Alles drehte sich. Ich zitterte nun am ganzen Körper.

„David, mach die Tür auf!“, schluchzte meine Schwester. „Bist du noch bei Bewusstsein?“ Sie weinte laut, wimmerte. „Mach auf! Du kannst das nicht immer alles allein durchstehen, verstehst du?“

In dem Moment verstand ich es. Aber nicht, weil ich Angst um mich hatte, sondern um die anderen. In dieser Nacht hatten meine Eltern fast den Verstand verloren und Lorena erst recht. Meine Eltern hatten gar nicht wirklich mitbekommen, was mit mir los gewesen war. Bisher hatte ich nur meiner Schwester von diesen Albträumen erzählt und nur sie wusste auch, dass ich diese Panikattacken bekam. Ich hatte sie gebeten, unseren Eltern nichts zu erzählen, weil ich nicht wollte, dass sie sich sorgten oder mich drängten, zu einem Therapeuten zu gehen. Meine Eltern dachten, Lorena schliefe in meinem Zimmer, damit ich mich nicht so allein fühlte. Sie hatten das auch gar nicht hinterfragt, weil ihnen klar war, dass ich nach diesem Vorfall Unterstützung brauchte und mich Lorena am besten anvertrauen konnte.

Meiner Schwester aber war immer sofort klar gewesen, dass ich nach dem Aufwachen aus einem solchen Traum starke Schmerzen hatte. Unfassbar, wie stark eingebildete Schmerzen sein konnten. Aber meine Therapeutin hatte mir das so erklärt: Es war sogar normal, dass die Schmerzen in Panikattacken stärker waren als in der Realität. Denn all der Schmerz, den ich gespürt hatte, als ich von meinen Mördern gefoltert worden war, hatte sich in meinem Kopf abgespeichert. Immer wenn ich Panik bekam, sammelten sich alle Erinnerungen an den Schmerz und unterbewusst betätigte mein Körper dann alle Schmerzrezeptoren auf einmal. Das war in der Realität gar nicht möglich.

Jedenfalls hatte ich erst verstanden, wie schlimm mein Zustand wirklich war, als ich zur Tür gekrochen war, um sie dann mühevoll zu öffnen. Anschließend ließ ich mich wieder auf den Boden sinken aus Angst, umzukippen. Lorena fiel mir schreiend und weinend um den Hals, weil sie gedacht hatte, ich mache im verschlossenen Badezimmer das Letzte. Papa hatte unterdessen versucht, die Tür aufzubrechen, und Mama hatte vollkommen bewegungslos vor Schock im Flur gestanden. In dieser Nacht hatte ich unendliches Leid auszustehen, aber das machte mir weniger aus, als das Leid der anderen zu sehen – das in den Augen meiner Eltern und meiner Schwester. In dem Moment wusste ich, dass ich so nicht weitermachen konnte.

Als ich aus meinen Erinnerungen auftauchte, starrte ich wieder auf den Bildschirm des Laptops. Voller Wut schloss ich ihn. Es hatte keinen Sinn. Um wirklich etwas herausfinden zu können, müsste ich einen Blick in die Unterlagen der Polizei werfen können. Müsste eine Liste der Personen haben, die den Tatort und somit auch die Lilien gesehen hatten. Aber solche Informationen würde mir niemand geben. Oder ich musste mit jemandem sprechen, der in den Fall verwickelt gewesen war. Aber wer kam infrage? War es vielleicht sogar falsch, dass ich die beteiligten Polizisten und Sanitäter als Verdächtige ausschloss? Wenn sie es nicht waren, wer dann? Sollte ich mich vielleicht nach der Verwandtschaft der Mörder erkundigen? Gab es da überhaupt noch jemanden? Ihre Geschwister waren alle tot und hatten keine Kinder gehabt. Dafür waren sie zu früh gestorben. Herr Köhler hatte mir damals mitgeteilt, dass die Geschichten, die die beiden Mörder mir erzählt hatten, komplett der Wahrheit entsprachen. Was war mit den Eltern? Lebten sie überhaupt noch? Ich hatte keine Ahnung, wie alt sie jetzt sein könnten, aber sicherlich über sechzig.

Ich hörte Franziskas Schritte näherkommen, bis sie schließlich von hinten die Arme um meinen Brustkorb schlang und mich auf die Wange küsste. „Kommst du mit ins Bett?“

Ich zögerte und schaute auf die Uhr. Ich hatte bei meinen Überlegungen völlig die Zeit vergessen. In einer halben Stunde war es Mitternacht. „Natürlich.“

Mitten in der Nacht wurde ich von einem Geräusch geweckt. Zunächst beunruhigte mich das nicht, denn ich dachte, dass die Schritte, die ich vernommen hatte, vom Treppenhaus unseres Wohnhauses oder von der Nachbarin über uns kommen würden. Das kam öfter einmal vor. Vorsichtig setzte ich mich im Bett auf, weil ich selbst keinen Laut von mir geben wollte. Dann schaute ich neben mich und beobachtete für ein paar Sekunden die schlafende Franziska, die nichts gehört zu haben schien. Plötzlich vernahm ich die Schritte wieder. Deutlicher. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als mir klar wurde, dass sie hier in der Wohnung zu hören waren. Und immer näher kamen. Kurz überlegte ich, Franziska zu wecken, aber sie würde Angst bekommen und mit mir sprechen und das würde die Schritte vermutlich in unser Schlafzimmer führen. Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht bewegen. Panisch sah ich mich im Zimmer nach einem Gegenstand um, mit dem ich mich wehren konnte. Aber das Licht im Zimmer, das nur von einem kleinen Nachtlicht an der Steckdose ausging, war nicht hell genug, um potenzielle Waffen auffindbar zu machen. Trotzdem überlegte ich, was hier im Schlafzimmer so herumlag. Die Vase auf der Fensterbank? Der Kugelschreiber auf der Kommode? Alles zu weit weg, nicht in der Nähe des Bettes. Ich traute mich nicht, aufzustehen, denn ich wollte kein Geräusch machen. Und hoffte, die Schritte würden vielleicht von allein verschwinden.