Gespenster-Krimi 10 - Brian Elliot - E-Book

Gespenster-Krimi 10 E-Book

Brian Elliot

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Beschreibung

Die Geiseln des Zucco
von Brian Elliot

Die Schreie des Mädchens wurden vom Peitschen des Regens übertönt, erstickt vom Heulen des Sturms, der mit Urgewalt aus den Klüften der Anden herunterfegte. Die kleine Stadt Riobambe erzitterte unter den Schlägen des Donners. Die Menschen in der Stadt und in den umliegenden Dörfern kauerten mit angstgeweiteten Augen auf ihren Betten, wickelten sich enger in ihre Decken, und ihre Lippen bebten in tödlicher Angst.
Keiner wagte den Namen des Dämons auszusprechen, der alle Tore und Schleusen der Hölle über ihnen geöffnet hatte. Sie wussten, dass jeder sterben musste, der den Namen des Geistes über seine Lippen kommen ließ. Jenes Geistes, der mächtiger war als Sturm und Donner zusammen. Sie fürchteten ihn wie Pest und Tod, den Dämon Zucco. Sie wussten von ihm, dass er auf Blitzen daherreiten konnte, dass er in Gestalt einer Wolke tausend Kilometer über die Kordilleren heranflog. Bis in ihr Land, das nach dem Äquator benannt war - Ecuador ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Geiseln des Zucco

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati/BLITZ-Verlag

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7671-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Geiseln des Zucco

von Brian Elliot

Die ersten Schreie des Mädchens wurden vom Peitschen des Regens übertönt, erstickt vom Heulen des Sturms, der mit Urgewalt aus den Klüften der Anden herunterfegte. Die kleine Stadt Riobamba erzitterte unter den Schlägen des Donners, der dem Zucken der grellen Blitze folgte.

Die Menschen in der Stadt und in den umliegenden Dörfern erschauerten bei jedem Blitz, bei jedem neuen Donnerschlag. Sie kauerten mit angstgeweiteten Augen auf ihren Betten, wickelten sich enger in ihre Decken, und ihre Lippen bebten in tödlicher Angst.

Keiner wagte den Namen des Dämons auszusprechen, der alle Tore und Schleusen der Hölle über ihnen geöffnet hatte. Sie wussten, dass jeder sterben musste, der den Namen des Geistes über seine Lippen kommen ließ. Jenes Geistes, der mächtiger war als Sturm und Donner zusammen.

Sie fürchteten ihn wie Pest und Tod, den Dämon Zucco. Sie wussten von ihm, dass er auf Blitzen daherreiten konnte. Wie die Vaqueros auf den wilden Stieren. Sie wussten, dass er in Gestalt einer Wolke tausend Kilometer über die Kordilleren heranflog. Bis in ihr Land, das nach dem Äquator benannt war – Ecuador …

Lange Zeit schon hatte der dämonische Zucco geschwiegen.

Aber jetzt brüllte er ihnen in Donner und Blitz entgegen.

Zucco, der große Rächer, war wieder unter ihnen!

Die Furcht vor ihm saß in allen Leibern. Wenn Zucco sich aufmachte, war Tod und Verderben zu fürchten. Erst in der letzten Woche hatten Sturm und Regengüsse das neue Straßenstück hinauf nach Quito weggeschwemmt wie eine Pappschachtel. Und die Brücke über den Fluss war eingestürzt und in den reißenden Fluten verschwunden.

Das alles wussten die Einheimischen. Aber das schreiende Mädchen hatte keine Ahnung davon.

Sheila Wesling wusste nicht, wovon sie erwacht war. Sie spürte nur, dass sie aus dem Schlaf hochgeschreckt war. Und sie wusste, was sie beim Aufleuchten der Blitze da vor sich sah.

Über dem Bett. An einem Strick befestigt. Ein rundes Ding mit dichten schwarzen Haaren.

Das Mädchen sah seinen eigenen Kopf vor sich hängen!

Sheila Weslings Schreie gellten durch das ganze Hotel. Aber niemand konnte sie hören. Der Sturm rüttelte an den Fensterläden, packte wild nach Türen und nach den Tischen und Stühlen im Garten und wirbelte sie durcheinander. Holz krachte und barst. Eine Regentonne kippte um und ergoss ihr Wasser auf den schmalen Gartenweg, der inzwischen zu einem brausenden kleinen Fluss geworden war.

Und wieder die Blitze und wieder der erbarmungslose Donner, der das ganze Tal füllte und sprengen wollte. Dazwischen Sheilas markerschütternde Schreie, hinausgerufen in Todesangst und doch unhörbar, zerrissen von Sturm wie dünnes Papier.

Sheila Wesling hatte sich im Bett halb aufgerichtet. Sie traute ihren Augen nicht. Sie presste die Hände vor die Brust. Ihr Herz jagte. Und wenn die Donnerschläge wie mit Riesenfäusten ihren Weg durch die Stadt fanden, erzitterten die morschen, alten Häuser. Auch das kleine spanische Hotel erzitterte in allen Fugen. Und jede Bewegung der Erschütterung übertrug sich auf das gespenstische Bündel vor Sheila Weslings Augen.

Ihr eigener Kopf bewegte sich in ungleichmäßigem Rhythmus vor ihr!

Wie in Gottes und Teufels Namen kam ihr zweiter eigener Kopf dorthin! Mit fahrigen Händen fuhr sie sich übers Haar. Kein Zweifel – ihr richtiger Kopf saß genau dort, wo er nach allen Regeln des Lebens und der Anatomie hingehörte!

Das Mädchen spürte, wie der Wahnsinn sich ihrer bemächtigte. Es durfte nicht wahr sein!

Aber der zweite Kopf vor ihr war so echt und tatsächlich vorhanden wie Sheila selbst! Und er war eine getreue Nachbildung ihres richtigen Kopfes. Die Haare stimmten, der Gesichtsausdruck! Jeder der Gesichtszüge war Sheila vertraut. Wie in ihrem Spiegel. Sie glaubte, den Verstand zu verlieren.

Das Mädchen krallte die Fingernägel in den Handballen. Es schmerzte.

Es schmerzt, sagte sie zu sich, also lebst du.Du bist Sheila Wesling. Dreiundzwanzig Jahre alt. Du wohnst zurzeit im Hotel Semira. In Riobamba, Ecuador. Du stammst aus Philadelphia. In Mexico City hast du dich einer amerikanischen Reisegesellschaft angeschlossen. Du träumst doch nicht, Sheila.

Sie zwang sich, den vor ihr hängenden Kopf nicht anzusehen. Führte ein Zwiegespräch mit sich selbst. Versuchte, sich Rechenschaft abzulegen über die Tatsache ihres Lebens. Über ihre Todesangst. Über ihren Geisteszustand.

Was ist geschehen?, fragte sie sich, zitternd und fast einer Ohnmacht nahe.

Sie antwortete sich selbst. Wir sind seit vier Tagen unterwegs. Im Bus. Es ist eine Reisegesellschaft. Der Reiseleiter heißt – Moment mal – ja, Marc Kessel. So hat er sich vorgestellt. Das Reiseunternehmen heißt Solo Tourist South. Es gehört dem Touristikunternehmer Mike Hollander … Siehst du, du weißt das alles. Ganz klar, ganz übersichtlich. Und weiter?

Es war eine lustige Fahrt gewesen. Mexiko, Honduras, Kolumbien. Die Gruppe wollte eine vierzehntätige Reise machen. In die alten Indio-Gebiete von Ecuador und Kolumbien.

Das erste Ziel war Bogotá gewesen. Aber man hatte die Stadt nicht erreichen können. Das Unwetter hatte sie überrascht. Überall sagte man, dass es zu gefährlich sei, die Brücken über die großen Ströme zu benutzen. Der Cauca und der Magdalenenstrom waren weit über ihre Ufer getreten. Sie rissen alles mit sich, was sich ihnen in den Weg stellte. Ihre Sturzfluten knickten Brücken wie Streichhölzer. So hatte man sich entschlossen, die Reiseroute zu ändern. Erst Ecuador, und später, wenn das Unwetter vorbei wäre, die östlichen Gebiete von Kolumbien. Sie waren nach dem Süden gefahren. Carga, Popayán. Hinter Pasto hatten sie die Grenze von Ecuador erreicht. In Quito hatte man gestern übernachtet. Und heute war die Gruppe nach Riobamba gefahren.

Jetzt sah die junge Frau wieder auf, ihr Mund verzog sich zu einem Schrei, aber die Angst presste ihr die Kehle zu. Kein Laut kam über ihre Lippen.

Der Kopf vor ihr war Wirklichkeit! Grausame, gespenstische Wirklichkeit!

Er war nicht wegzudenken, nicht wegzureden. Beim nächsten Blitz, dessen gelbroter Flammenstrahl durch die Vorhänge sichtbar wurde, erkannte Sheila das Blut am Hals. Der ganze Hals war blutverschmiert.

Ihre Augen wollten aus den Höhlen treten. Sie sah, wie die dicke Flüssigkeit vom Kopf aufs Betttuch tropfte …

Das Unwetter tobte weiter, über der Stadt kochte die grässlichste Tiefe der Hölle. Dunkel und unheimlich. Und dann stachen immer wieder die glühenden Pfeile der Blitze nach der Erde.

Sheila Wesling hörte, wie in Abständen auf der Straße ein Gepolter einsetzte. Sie konnte nicht wissen, dass der peitschende Regen wieder einmal einen Teil des Berghangs ausgewaschen hatte. Das Wasser fraß sich seinen Weg zuerst in kleine Vertiefungen, dehnte sie auseinander und sprengte mit Riesenkraft den ganzen Berghang.

Felsblöcke sprangen wie Ungetüme den Hang hinunter. Manche rollten bis auf die Straße heran, zerbarsten dort und würden für die kommenden Tage, wie schon oft, fast den gesamten Verkehr lahm legen.

Sheila kümmerte sich nicht um Berg und Felsen und Regen und Sturm. Viel wilder war der Sturm in ihrem Inneren. Ihr Herz pochte wie wild. Sie glaubte, eine hochtourige Maschine in sich pumpen zu hören. Jeder Pulsschlag drang lauter an ihr Ohr als die entfesselten Elemente dort draußen.

Und dann erstarrte sie, als sie den dritten Kopf sah. Undeutlich erkannte sie ihn, schemenhaft inmitten des dunklen Zimmers. Sie wollte nach dem Lichtschalter tasten, aber sie wagte es nicht.

Jetzt tauchten rechts und links von diesem Kopf Hände auf. Hände, die sich in der Luft bewegten. Tanzende Hände aus Knochen!

Ein schwebender Kopf und zwei tanzende Knochenhände!

Und vor ihnen ihr zweiter Kopf!

Der Kopf zwischen den tanzenden Händen war ein Totenkopf. Aber das schauerlichste daran war, dass seine Kiefer auf- und zuklappten! Es war, als ob ein Lebender den Mund bewegte. Sheila konnte die Zähne des Totenschädels deutlich erkennen.

Starr vor Schreck sah das Mädchen, wie der Kopf und die Hände sich auf sie zu bewegten.

Fast steif vor Angst, glitt sie bis ans obere Ende des Bettes zurück. So, als ob sie sich damit retten könnte.

Und der Kopf mit den tanzenden Händen kam näher. Sheila sah, wie die Hände mit Knochenfingern nach dem am Strick baumelnden Kopf vor ihr griffen. Sie legten sich auf ihren Mund, drückten zu, gruben sich ins Haar des schaukelnden Kopfes, stießen ihn zur Seite.

Dann kamen Totenkopf und Knochenhände näher. Zentimeter um Zentimeter. Sheila konnte deutlich die bleichen Konturen des Schädels erkennen. Bleich und grauweiß schwebte er auf sie zu.

Und neben ihm die zuckenden Hände.

Sheilas Hände tasteten automatisch nach ihrem Leib. Das Mädchen spürte die Wärme ihrer Kleider am Körper. Das war in dieser gespenstischen Szene wie ein kleiner Trost für sie. Instinktiv sagte sich das Mädchen, dass sie vorerst einmal den gierigen Händen nicht als Fleisch, nicht als Frau ausgesetzt war. Vor Übermüdung nach der Reise war sie eingeschlafen.

Längst hatte sie den Versuch zu schreien aufgegeben.

Die scheußliche Erscheinung war stärker als ihr Wille, um Hilfe zu rufen, ihre Todesangst hinauszuschreien. Die drei schwebenden Gespensterteile kamen immer näher.

Da bäumte sich alles in Sheila noch einmal auf. Verzweifelt suchte sie ihre Hilfe in der Flucht. Sie wollte aus dem Bett springen, auf den Korridor hinauslaufen, ihre Todesangst hinausschreien.

Aber sie war nicht fähig, sich zu bewegen. Ihre Glieder versagten jeden Dienst. Ihr Körper war wie gelähmt. Wie mit Stricken an die Bettstatt gebunden.

Sollte das Bett ihr Todeslager werden?

Sheila versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, da sprach der Schädel des Toten.

»Sheila Wesling! Jetzt kommt Zucco, um dich zu holen!«

Er sagte es nicht laut, er zischte die Worte heraus. Es klang wie die plötzlich unter Druck entweichende Luft eines Autoschlauchs.

Dreimal hörte Sheila die zischenden, hastigen Laute des Dämons.

Und jedes Mal kam er einige Zentimeter auf sie zu.

Dann spürte sie die Knochenhände auf ihrem Mund. Sie spürte, wie sie mit eiserner Kraft aus dem Bett gezerrt wurde.

Als Letztes nahm sie wahr, dass eine der Knochenhände einen Zettel auf den Nachtschrank legte.

Dann fiel sie in Ohnmacht.

Die Knochenhände ergriffen das Mädchen wie eine Feder. Sheila fühlte nicht mehr, wie sie auf unsichtbare Schultern gelegt wurde. Sie wusste nicht, dass der Dämon Zucco mit ihr auf den Korridor hinaustrat.

Er sah prüfend um sich. Nirgends regte sich etwas im Hotel. Zucco ging auf eine hölzerne Treppe zu, die am hinteren Teil des Hauses nach unten führte.

Die Stufen ächzten, als seine Füße sich langsam hinabtasteten. Er kümmerte sich nicht darum. Er hätte alle Fenster der Gasträume einschlagen können. Niemand hätte Notiz davon genommen.

Der klatschende Regen und der dröhnende Donner waren Zuccos Gefährten.

Er konnte ganz sicher sein, nicht entdeckt zu werden.

Mit festen Schritten überquerte er die Straße und trug das Mädchen fort, der schwarzen Wand des Waldes zu.

Der Morgen zog herauf, als habe es nie ein solches Unwetter gegeben. Strahlend kam die Sonne über die Andenkämme geklettert. Der rotgelbe Ball schickte wohltuende Wärme herunter in die Stadt, die noch vor Stunden um Leben und Gut gezittert hatte.

Nur die Verwüstung auf den Straßen zeigte, was in der Nacht vorgegangen war. Zersprungene Felsblöcke, aus der Erde gewaschene Bäume, abgeknickte Äste, verbeulte Fahrräder: Das alles lag wild durcheinander auf der Straße umher. Zeugen einer höllischen Nacht.

Der Fluss schien kaum aus Wasser zu bestehen. Jedenfalls war kaum Wasser zu sehen, obwohl er mächtig angeschwollen war; Kisten und Feuerholz, Hühnerställe mit ängstlich gackernden Hühnern, eine tote Ziege – das alles trieb in den Fluten des reißenden Flusses.

Die Bestürzung war allgemein. Nur die Indios in ihrem selbstanerzogenen Gleichmut gingen daran, die Straßen frei zu machen. Geduldig und ohne ein Wort des Grolls machten sie sich an ihre Aufgabe. In wenigen Stunden würde die Straße wieder passierbar sein.

Die Indios jammerten nicht. Nach ihrer Meinung mussten sie dankbar sein. Denn Zucco, der große rächende Dämon, hatte ja ihr Leben verschont!

Hinter einem Fenster des Hotels Semira stand Pep Rocalla, der dicke gemütliche Wirt. Er hieß eigentlich Pepito, aber er wurde von jedermann nur Pep genannt. Das kam daher, dass er etwas fahrig in seinen Bewegungen und äußerst knapp in seinen Anordnungen war.

Los! Ab! Klar! Schnell! Fix! waren seine Lieblingswörter.

Pep Rocalla sah den Indios zu, wie sie ihre Aufräumarbeiten fortsetzten. Sein dicker Bauch wackelte, als aus einem breiten Grinsen in Peps Gesicht ein schallendes Gelächter wurde.

Armes Volk!, dachte Pep. Hast Angst vor Dämonen, was! Räumt auf, dalli, dalli! Weißer Mann muss freie Straße haben!

Er lachte so laut, dass die beiden Mädchen fast erschraken, die gerade in den Schankraum traten.

»He, Luisa, Gonzella!«, rief der Dicke. »Tisch decken, hopp, hopp! Die Norteamericanos sind schnelle Leute! Frühstück muss fertig sein, wenn sie herunterkommen.«

Die beiden Mädchen beeilten sich, Decken auf die Tische zu legen und Geschirr und Bestecke bereitzulegen.

Das Verschwinden Sheila Weslings fiel zunächst gar nicht auf. Übermüdet und übernächtigt zockelten die ersten Mitglieder der Reisegesellschaft in den kleinen, aber pieksauberen Speisesaal. Marc Kessel, der Reiseleiter, wünschte mürrisch einen guten Morgen. Ein paar der Gäste grüßten förmlich und unfreundlich zurück.

In dieser höllischen Nacht hatte kaum jemand ein Auge zugetan. Der munterste und ausgeschlafenste der Gäste war Piet Hensel. Er kam aus Philadelphia, war der Sohn eingewanderter holländischer Eltern und studierte Medizin. Die Reise bei Solo Tourist South hatte er eigentlich nur gebucht, um dem Snobleben mit seinen Freunden einmal zu entgehen. Diese fühlten sich nur in Miami und Acapulco wohl.

Piet Hensel hatte es gelüstet, einmal eigene Erfahrungen in südamerikanischen Staaten zu sammeln. Überdies reizte ihn die Aussicht, einmal Kontakt mit indianischen Medizinmännern zu knüpfen. Wer weiß, vielleicht könnte er ein paar Geheimtipps über Zaubermittel bekommen, von denen sich die amerikanische Schulweisheit nichts träumte?

Er lachte bei dem Gedanken.

Dann sah er aufmerksam in die Runde.

Eine tolle Mischung, so eine Reisegesellschaft von Solo Tourist South. Mike Hollander, der Boss des Unternehmens, hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als er die Idee für seine Charterreisen gehabt hatte.

Amerikanische Touristen unterscheiden sich doch in nichts von den Leuten auf der britischen Insel. Solange die unterwegs sind und nur einen hübschen Berg sehen, einen hübschen See, ein hübsches Reh oder einen hübschen Turm, machen sie den Mund kurz auf und rufen: Oh, how lovely! Für die ist alles lovely. Selbst die Hütten der Indios.

Dieser Mike Hollander hatte geschäftliches Geschick, das musste man ihm lassen! Zog da ein Reiseunternehmen für Typen auf, denen die Brieftasche platzte. Und davon gab es genügend Leute in Uncle Sams Land!

Frustrierte Weibergesellschaft, dachte er. Sieh dir die da drüben an. Nancy Linders. Geht stark auf die Vierzig und schminkt sich wie ne Schulpuppe, die der Mama den Lippenstift geklaut hat.

Und die üppige Mittvierzigerin daneben, diese Ausgabe von Lady erst! Hört auf den Namen Joan Muffelboard. Von der Firma P. and F. Muffelboard wahrscheinlich, Nachtgeschirr in Plastik, Gold und Aluminium. Geld wie Heu, das Weib. Wenn die ihre Brüste nicht so ins Gelände stechen würde, würde vielleicht einer der heiratslustigen Knaben aus unserer illustren Gesellschaft auf sie fliegen. Aber die aufgedonnerten Millisnobs wissen genau, dass sie sich bei der ersten Probenacht mit dieser Prachteva einen Herzinfarkt einhandeln könnten. Und fürs Leben ist so was nichts, das sieht ein Blinder mit nem Krückstock.

Trotzdem, Mike Hollander kommt auf seine Kosten. Der hat schon richtig kalkuliert. Auf so einer vierzehntägigen Fahrt sieht man bisschen Kultur, vor allem fremde Kultur. Oh, how lovely! Aber jeden Tag how lovely ist ja auch langweilig. Also schüttet man sich gegenseitig das überladene und übergeprüfte Herz aus, bitte sehr, die Damen und Herren! Und dann geht man schon am dritten Tag verträumt einher und hält Händchen. Und am vierten Tag gibt’s zwischen Joan Muffelboard und Anthony Craza-Crazy die ersten Küsschen hinter aztekischen Tempelmauern! Alles hochromantisch und noch hochanständiger natürlich.

Und vom fünften Tag an kannst du die Joans und die Anthonys hinter Heckenrosenhecken hecken hören, ganz lovely und hoch anständig, beim heiligen Krösus noch mal!

Blödsinn, dachte Piet Hensel. Ich brauche erst mal nen dicken schwarzen Kaffee. Einen, wo der Löffel drin steht. Hoffentlich gibt’s so was in diesem südländischen Etablissement.

Und zu seiner Verwunderung gab es ihn, den dicken schwarzen Kaffee. Auch von seiner Nachbarin war Piet sehr angenehm überrascht.

Ihr dichtes Haar ist schwarz wie der Kaffee, und sie ist jünger als die Tante Muffelboard. Und außerdem interessiert sie sich für indianische Geschichte. Die hat also einen Grund, sich einer solchen Reisegesellschaft anzuschließen.

Piet wollte sich gerade neben sie setzen, als die schwarzhaarige Nachbarin nach Sheila Wesling fragte.

»Keine Ahnung«, sagte Marc Kessel, der Reiseleiter. »Vielleicht schläft sie noch.«

Piet Hensel lachte auf.

»Schlafen?«, fragte er belustigt. »Und was heißt noch? Als hätte letzte Nacht einer schlafen können! Hand hoch, wer das Kunststück fertiggebracht hat!«

Alle Hände blieben unten.

Lizzy Whinzer, die hübsche Schwarze neben Piet, meldete sich zu Wort. »Man sollte Miss Wesling Bescheid sagen. Schließlich müssen wir gleich nach dem Frühstück weiterfahren.«

»Ich werde mal nachsehen«, meinte Marc Kessel, schob seinen Stuhl zurück, erhob sich zu voller lichter Höhe von einsachtundachtzig und verließ den Saal.

Schon nach einer Minute war er zurück. Er hielt einen Zettel in der Hand.

»Miss Sheila Wesling wird uns nicht weiter begleiten«, sagte er. Sein Mund zeigte ein ganz eigentümliches Lächeln. Die ganze Gesellschaft war plötzlich munter.

»Was ist los?«, schrie alles durcheinander.

»Ich habe diesen Zettel auf ihrem Nachtschrank gefunden«, verkündete der Reiseleiter. »Hören Sie bitte zu, ich verlese die Nachricht.«

Ich hatte einen ganz schrecklichen Traum! Brechen Sie die Reise sofort ab, oder Sie werden alle umkommen! Ich fliege voraus nach Quito und von dort in die Staaten. Fliehen Sie den Dämon Zucco!

Sheila Wesling.

Eine Sekunde lang herrscht bestürztes Schweigen im Saal. Marc Kessel war es selbst, der als erster einen Kommentar abgab.

»Verrücktes Weib«, sagte er verächtlich. »Aber Mike Hollander hat mir ja gleich gesagt, dass das Mädchen ein wenig hysterisch zu sein scheint.«

Frustrierte Weibergesellschaft, dachte Piet Hensel. Hab ich ja gleich gesagt.

Laut sagt er zu Marc Kessel: »Darf ich den Zettel mal sehen?«

Der Reiseleiter reichte ihm das Stück Papier. Piet betrachtete es und schüttelte den Kopf.

»Ziemlich männliche Handschrift, meinen Sie nicht auch?«, fragt er.

Marc Kessel zuckte mit den Schultern und sagte: »Kann sein. Aber wie ein Mannweib sah sie mir gar nicht aus.«