Gespenster-Krimi 144 - Brian Elliot - E-Book

Gespenster-Krimi 144 E-Book

Brian Elliot

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Beschreibung

Alain Decousse ist bester Laune, als er auf der Nationalstraße 13 in Richtung Saint Germain fährt. Paris liegt hinter, das Wochenende vor ihm. Ein herrliches Liebeswochenende mit der bezaubernden Madeleine Fleury in der alten Mühle im Forst von Saint Germain.
Es dämmert bereits, als Alain mit seinem Roadster von der Hauptstraße abbiegt. Über die Chaussee sind es nur noch wenige Minuten bis zur Mühle.
Da schreit Madeleine plötzlich auf. Aus dem Asphalt wächst sie urplötzlich auf, die riesige Hand, bedrohlich und erdrückend!

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Inhalt

Cover

Die Geisterhand

Vorschau

Impressum

Die Geisterhand

Von Brian Elliot

Alain Decousse war bester Laune, als er an diesem Freitag auf der Nationalstraße 13 in Richtung Saint Germain fuhr. Paris lag hinter, das Wochenende vor ihm. Ein herrliches Wochenende mit der bezaubernden Madeleine Fleury allein in der alten Mühle im Forst von Saint Germain.

Alain und seine Freunde hatten die Mühle modern hergerichtet und zu einem perfekten Liebesnest umgebaut.

Der schwarzhaarige Alain bog nun mit seinem Roadster von der Hauptstraße ab. Es dämmerte schon; er hatte das Licht eingeschaltet. Über die Chaussee waren es nur noch wenige Minuten bis zur Mühle.

Da schrie Madeleine plötzlich auf. Aus dem Asphalt wuchs sie urplötzlich auf, die riesige Hand, bedrohlich und erdrückend. Das Scheinwerferlicht beleuchtete sie. Bleich erschien die Hand, wie die eines Toten!

Jäh trat Alain auf die Bremse. Die Reifen quietschten, und zwei Meter vor der unheimlichen Hand brachte er den gelben Roadster zum Stehen. Alains und Madeleines Augen waren entsetzt aufgerissen.

Das durfte, konnte es nicht geben. Eine riesige Hand, groß genug, um den ganzen Wagen zerdrücken zu können, die urplötzlich von unten durch die Asphaltdecke der Straße gestoßen war. Außer den beiden jungen Leuten im Wagen war kein Mensch in der Nähe.

»Was ist das?«, fragte das blonde Mädchen. »Alain, siehst du, was ich sehe?«

»Und ob«, antwortete der junge Mann. »Wenn mir das einer erzählte, würde ich sagen, er spinnt. Das ist einmal eine Überraschung, dieses Händchen.«

Das Spotten verging ihm, als die unheimliche Hand näher rückte. Eine Eiseskälte ging von ihr aus. Sie schwebte dicht über der Erde. Jetzt hatte die Hand den Wagen erreicht, schloss sich mit stählernem Griff um die Kühlerhaube und rüttelte den Roadster hin und her.

Alain musste sich am Steuerrad festhalten. Madeleine fiel mit einem letzten Seufzer vor Entsetzen in Ohnmacht. Die grausige Hand schüttelte den Wagen nun so gewaltig, dass sie herausgeschleudert wurde.

Madeleine flog in den Straßengraben, wo sie ohnmächtig liegen blieb. Dann hielt die Hand inne, öffnete sich wieder, lauerte gleichsam. Der Kühler des gelben Roadsters war eingedrückt und verformt, der Motor längst abgewürgt.

Alains Gedanken jagten sich. Was sollte er nur machen? Wenn er den Wagen verließ, gab er den geringen Schutz auf, den der offene Roadster ihm bot. Andererseits, wenn er sitzen blieb, was mochte diese fürchterliche Hand noch alles anstellen?

Alain Decousse war von der Höhe angenehmer Liebeserwartung jäh in den Abgrund des Grauens gestürzt. Fast glaubte er, wahnsinnig zu sein.

Die Kälte, die jene fürchterliche Hand ausstrahlte, ließ ihn frieren. Er versuchte, den Motor anzulassen, vielleicht konnte er im Rückwärtsgang wegfahren. Aber nur der Anlasser schnarrte.

Der Motor kam nicht. Irgendetwas war defekt. Die Hand bewegte nun die Finger, als wolle sie Alain ein Zeichen geben. So unheimlich wirkte die bleiche, kalte Geisterhand in der Dämmerung, dass Alain an allen Gliedern zu zittern anfing.

Er musste fort, so schnell wie nur möglich, er hielt diesen Anblick nicht mehr aus. An Madeleine dachte er nicht.

Er sprang aus dem Wagen und wollte davonrennen. Da schnellte die riesige, bleiche Hand auf ihn zu wie eine Raubkatze. Der Mann schrie gellend auf, als er von eiskalten, stahlharten Fingern gepackt wurde.

Er schrie und schrie, und seine Augen traten hervor vor Grauen. Die Geisterhand hob ihn empor und schleuderte ihn in den Wagen. Alain krachte hart auf die Vordersitze und schlug sich den Kopf an der rechten Tür an.

Er war benommen, und er merkte nicht gleich, wie sich ein Schatten über ihn senkte. Die Geisterhand packte den Roadster und quetschte ihn zusammen wie ein Riese eine dünnwandige Blechdose.

Alain Decousse schrie wieder, dann wurden seine Schreie zu einem Stöhnen. Die Riesenhand ballte sich zur Faust und schmetterte ein paarmal auf den Roadster nieder. Der offene Wagen verformte sich, es krachte, reißendes Blech kreischte. Das Stöhnen des Mannes verstummte.

Die Hand wich etwas zurück, und es war, als betrachte sie ihr Werk. Aus den zerrissenen Tankleitungen floss Benzin ins Wageninnere. Alain Decousse lag in dem zerbeulten Blechhaufen eingeklemmt und gab keinen Laut mehr von sich.

Sein Mund war wie zu einem letzten Schrei geöffnet, der Kopf war zur Seite gesunken. Die bleiche Hand wurde blass und blasser, wurde durchscheinend. Dann war sie verschwunden. Keine Spur blieb von ihr, nur das Loch in der Straße und der zertrümmerte Wagen mit dem toten Mann darin. Und das bewusstlose Mädchen im Straßengraben.

Eine Viertelstunde später hielt ein grauer Citroen DS 19 an dem Ort des Schreckens. Der Mann am Steuer kniff die Augen zusammen.

»Ein Verkehrsunfall«, sagte er zu seiner Frau. »Wie der Wagen aussieht, so etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Wir müssen die Polizei und die Ambulanz verständigen.«

Inspektor Pierre Loudin von der Pariser Kriminalpolizei war herzlich sauer darüber, dass er an diesem Wochenende Dienst machen musste. Eigentlich wäre sein Kollege André Schuster an der Reihe gewesen, aber der war krank geworden. Ausgerechnet im August, wo ganz Paris unter der Hitze stöhnte, legte sich André eine Grippe zu.

Sommergrippe nannte sich so etwas. Pierre bezeichnete es mit ganz anderen Ausdrücken, während er die langen Korridore des Polizeipräsidiums entlangging. Er war ein sehr großer junger Mann mit krausem, braunem Haar und grauen Augen.

Eine Narbe auf der linken Wange gab ihm ein etwas abenteuerliches Aussehen. Aber er hatte sie sich nicht im Polizeidienst geholt, sondern als Junge bei einem simplen Sturz vom Fahrrad.

Pierre war so hager, dass er schon fast dürr wirkte. Dennoch machte er einen sehnigen und kräftigen Eindruck. Von einem passionierten Langstreckenläufer und einem der besten Boxer der Polizeistaffel konnte man das auch erwarten.

Immer noch Verwünschungen murmelnd, betrat er sein Büro im fünften Stock. Der Ausdruck Büro war etwas übertrieben. Pierre behauptete immer, das Räumchen sei ein Vorläufer der Einbauschränke, die lange nach dem Bau des Polizeipräsidiums auf der Ile de la Cité Mode geworden waren.

Immerhin hatte Pierre ein eigenes Büro, und das war schon etwas für den jüngsten Inspektor im Departement für Kapitalverbrechen, Bezirk Paris West. Vier Kollegen saßen im großen Büroraum nebenan. Das Schreibzimmer befand sich auf der anderen Seite des Flures, und der Kommissar, der Leiter des Departements, hatte sein Büro am Ende des Hauptkorridors.

Pierre zog seine helle Jacke aus. Es war jetzt schon warm in dem kleinen Raum, und er konnte sich vorstellen, wie es um die Mittagszeit sein würde. Draußen herrschte der strahlendste Sonnenschein, den man sich vorstellen konnte.

Durchs Fenster schaute Pierre über den Parkplatz und den Place du Parvis-Notre Dame auf die berühmte Kirche von Notre Dame. Er hatte sie schon so oft gesehen, dass der Anblick ihm nicht mehr viel gab. Besonders dann nicht, wenn er an einem solchen Tag Dienst machen musste.

Er war mit Anette Bernier verabredet gewesen, seiner hübschen Braut. Sie hatten aufs Land fahren wollen. Aber damit war es jetzt Essig.

Mit seinem Schicksal hadernd, setzte Pierre sich hinter seinen Schreibtisch und wandte sich den Schriftstücken im Eingangskorb zu. Berichte, dienstliche Papiere.

Pierre seufzte.

Da wurde die Tür geöffnet, und Inspektor Blenard, wegen seiner nicht gerade ranken Gestalt im Präsidium Fettklößchen genannt, streckte den Kopf herein.

»Ah, der Kollege Loudin ist auch schon eingetroffen. Mit nur einer halben Stunde Verspätung. Was sagt man dazu?«

»Erstens könnt ihr froh sein, dass ich überhaupt gekommen bin, zweitens bin ich schon eine Viertelstunde da.«

Das letztere war eine glatte Lüge, und Blenard, der es wusste, kniff ein Auge zu.

»Der Kommissar hat Sehnsucht nach dir, Pierre. Er hat einen heißen Fall für dich.«

Pierre murmelte etwas, das sich verdächtig wie »Merde« anhörte.

»Ich gehe in ein paar Minuten zu ihm.«

»Geh lieber sofort. Er hat schon dreimal angefragt, wo du denn bleibst, und das letzte Mal hörte er sich an, wie der Löwe vor der Fütterung im Zoo.«

»Nun denn«, sagte Pierre lustlos, verließ das Büro und ging zum Kommissar.

Kommissar Cartel war ein stämmiger Bretone, dem man schon an der Nasenspitze ansah, dass er keinerlei Humor hatte. Dafür hatte er ein Magengeschwür, das ihn zu Zeiten sehr cholerisch und reizbar machte.

»Ah, Inspektor Loudin, das Ass des Departements, hat den Weg in die Diensträume gefunden. Haben Sie gut geruht, mein lieber Loudin?«

»Danke, es geht.«

»Vor allem haben Sie lange geruht«, sagte Cartel gallig. »Sie erlauben sich in der letzten Zeit allerhand Extratouren, mein Lieber. Sie handeln eigenmächtig, sind nicht da, wenn man Sie braucht, und kommen ständig zu spät. Hat man Ihnen das auf dem Lyceé beigebracht?«

Kommissar Cartel hatte sich aus dem niederen Polizeidienst emporgedient. Er misstraute jedem, der mit einem höheren Schulabschluss in der Tasche gleich in die gehobene Beamtenlaufbahn eintrat, zudem noch bei der Kriminalpolizei.

Pierre schaute stur auf einen Fleck an der Wand. Cartel schien sein Magengeschwür wieder einmal böse zu schaffen zu machen.

»Da ist bei St. Germain gestern Abend eine merkwürdige Sache passiert«, brummte der Kommissar etwas versöhnlicher. »Ein Mann namens Alain Decousse kam dabei ums Leben. Er lag tot in seinem völlig zertrümmerten Wagen. Seine Begleiterin wurde aus dem Wagen geschleudert, in den Straßengraben. Sie ist bis auf ein paar Hautabschürfungen körperlich unverletzt, hat aber einen schweren Schock erlitten. Sie wurde in die Klinik von Nanterre eingeliefert.«

»Das hört sich ganz nach einem Verkehrsunfall an«, meinte Pierre.

»Wenn es einer ist, dann ein verdammt merkwürdiger. Es war weit und breit kein anderes Fahrzeug in der Nähe, mit dem Decousse zusammengestoßen sein könnte. Auch keine Spur von einem solchen, keine Glas- oder Lacksplitter, nichts. Aber in der Asphaltdecke der Straße befand sich ein großes Loch, und Decousses Wagen weist, nach den Angaben der Verkehrspolizei, äußerst merkwürdige Schäden auf. Hier haben Sie den ganzen Bericht. Sehen Sie ihn sich einmal an.«

Pierre überflog die Zeilen. Der Wagen sah aus, als sei er zusammengequetscht und von oben wie mit einer schweren Ramme traktiert worden, las er. Pierre las dann den Obduktionsbericht von Alain Decousse.

»Du lieber Gott«, sagte er, »wenn die Ärzte hingeschrieben hätten, was an ihm noch heil war, hätten sie sich eine Menge Arbeit erspart.«

»Fahren Sie hin und sehen Sie sich die Sache an, Loudin«, forderte der Kommissar. »Der Wagen steht auf dem Gelände der Verkehrspolizei an der N 13 bei St. Germain. Decousse liegt im Leichenschauhaus von Nanterre. Das Mädchen ist dort in der Klinik, wie ich schon sagte. Ich weiß nicht, was ich von dieser Sache halten soll. Sie erstatten mir Bericht, sobald Sie zurück sind. Wenn Sie meinen, dass es ein Fall für uns wird, rufen Sie mich von Nanterre aus an.«

»Jawohl, Kommissar Cartel. Soll ich meinen Wagen nehmen?«

»Ja. Und sehen Sie zu, dass Sie nicht den ganzen Tag für die Sache brauchen. Den Bericht können Sie mitnehmen.«

»Auf Wiedersehen«, sagte Pierre höflich und verließ das Büro des Kommissars.

In seinem Büro stand noch immer Inspektor Blenard. Wortlos holte Pierre die Jacke aus dem Schrank und zog sie an. Er nahm auch seine Aktentasche. Die Dienstwaffe ließ er in der verschlossenen Schreibtischschublade. Um einen Verkehrsunfall anzusehen, brauchte er sie nicht.

»Du fährst weg?«, fragte Blenard.

»Allerdings. Ein Verkehrsunfall unter merkwürdigen Umständen.«

»Du hast es gut. Alles ist besser, als bei der Affenhitze hier herumzusitzen. Jetzt ist die Saure-Gurken-Zeit. Jeder Verbrecher, der halbwegs vernünftig ist, ist in Urlaub gefahren, und der Rest ist bei der Hitze zu faul, irgendetwas anzustellen. Sogar auf die Lustmörder wirkt die Hitze abschreckend.«

Die Lustmörder waren Blenards Lieblingsthema, und Pierre verließ das Büro, bevor Blenard sich weiter über dieses Thema ausließ.

Er stieg auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums in seinen roten Renault und fuhr los, über die Pont du Change von der Seineinsel. An diesem Samstagvormittag herrschte nicht viel Verkehr, und Pierre schaffte die Fahrt quer durch halb Paris hinaus nach St. Germain in einer knappen Stunde.

Zunächst wollte er sich die Unfallstelle ansehen. Er hielt am Rand der N 13 und schaute noch einmal in den Bericht. Der Beschreibung nach konnte er sich vorstellen, wo es passiert war. Alain Decousses und Madeleine Fleurys Adressen standen in dem Bericht. Beide wohnten in Paris, Alain im 14. Arrondissement, Madeleine im 9. Oder vielmehr, Alain hatte im 14. gewohnt.

Er war der Sohn eines Mathematikprofessors an der Sorbonne, Student der Rechtswissenschaften. Und Madeleine war Verkäuferin in einem exklusiven Modegeschäft und – Pierre riss die Augen auf – Gelegenheits-Fotomodell.

Was hatten die beiden in der lauen Sommernacht außerhalb von Paris gesucht? Pierre konnte sich nur einen Grund denken. Sie waren auf dem Weg zu einem Schäferstündchen gewesen. Und dann war es passiert. Der junge Mann tot, fast jeder Knochen in seinem Leib gebrochen, das Mädchen unter Schock in der Klinik.

Pierre schüttelte den Kopf. Er fuhr weiter und bog bald auf die Chaussee ab. Schon von Weitem sah er die Absperrung bei der Unfallstelle. Er parkte den Wagen am Straßenrand und stieg aus.

Mitten in der Straßendecke klaffte ein großes Loch, so als sei etwas aus der Tiefe heraufgestoßen. Die Erd- und Asphaltbrocken waren von der Verkehrspolizei und von Arbeitern des Straßendienstes in den Graben geräumt worden. Übers Wochenende wurde das Loch abgesperrt, und im Lauf der nächsten Woche würde man die Straße ausbessern.

Pierre trat an das Loch heran. Das war schon eine merkwürdige Sache. Er fragte sich, was dieses Loch wohl verursacht haben mochte. Es war tiefer, als er geglaubt hatte, gut fünf Meter. Ein ganzer Wagen hätte der Länge nach senkrecht hineingepasst.

Und das Loch sah tatsächlich ganz so aus, als sei etwas Großes mit Urgewalt von unten heraufgestoßen. Pierre verstand nicht, wie das Loch zustande gekommen war. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn angesichts dieses Rätsels.

Er betrachtete nun die Linien, welche die Verkehrspolizisten auf den Asphalt gezeichnet hatten. Davon wurde er auch nicht klüger. Er massierte sich mit Zeige- und Mittelfinger hinterm Ohr, wie er es immer tat, wenn er ratlos war.

Dann stieg er in seinen Renault und fuhr zur Station der Verkehrspolizei an der N 13 bei St. Germain.

Pierre legitimierte sich in der Zentrale, und ein uniformierter Flic führte ihn zu dem zertrümmerten Roadster, der auf einem Seitenhof stand. Pierre betrachtete den Wagen zunächst fassungslos. Er massierte sich wieder hinterm Ohr.

Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Roadster so beschädigt worden war.

»Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«, fragte er den Flic.

»Nein«, gestand der Mann. »Uns allen hier ist die Sache völlig rätselhaft. Der Wagen sieht aus, als sei er von oben ein paarmal von einer Ramme getroffen worden. Der Tote musste herausgeschweißt werden, derart war er eingeklemmt. Die Kollegen, die am Unfallort waren, haben auch keinerlei Erklärung.« Er fügte hinzu: »Deshalb haben wir Sie verständigt.«

»Der Wagen soll einstweilen hierbleiben«, ordnete Pierre an. »Leiten Sie Fotos ans Kriminal-Departement Paris West weiter. Ich will mir den Toten ansehen und versuchen, in der Klinik mit dem Mädchen zu sprechen. Sie hören wieder von uns.« Er wollte schon gehen, da zögerte er und stellte noch eine Frage: »Hat es einen solchen Fall oder einen ähnlichen schon einmal gegeben? Ist Ihnen irgendetwas bekannt?«

»Nein«, antwortete der Flic überzeugt. »Mir nicht und den Kollegen auch nicht. Die ganze Station spricht darüber.«

Pierre dankte ihm für die Auskünfte und kehrte zu seinem Wagen zurück. Während der Fahrt nach Nanterre musste er ständig an das geheimnisvolle Unglück denken. Wie angestrengt er auch überlegte, er fand keine Erklärung, nicht einmal eine Möglichkeit, die auch nur halbwegs vernünftig und wahrscheinlich schien.

Das Leichenschauhaus von Nanterre befand sich in einem Nebengebäude der Klinik, in der Madeleine Fleury lag. Pierre fuhr auf das Klinikgebäude und parkte vor dem Leichenschauhaus. Das Klinikgebäude war weitläufig, die Gebäude weiß getüncht und schon ein paar Jahrzehnte alt.

Doch irgendwie gefielen sie Pierre besser als die hypermodernen Klinikblocks, die in den letzten Jahren hingeklotzt wurden. Es ging auf den Mittag zu und wurde immer wärmer. Im Park zwitscherten Vögel.

Aber für Pierre hatte sich der sonnige Tag verfinstert, seit er das Loch in der Straße und den völlig zertrümmerten Wagen gesehen hatte. Er klingelte an der Tür des Leichenschauhauses. Erst regte sich nichts, aber nach mehrmaligem Klingeln wurde die massive stahlverkleidete Tür geöffnet.

Ein älterer Mann mit einem weißen Kittel stand vor Pierre. Er wies sich aus und sagte, weshalb er hier war.

»Ich führe Sie hin, Inspektor«, sagte der Leichenwärter. »Aber vielleicht wollen Sie etwas warten. Die Eltern sind gerade da.«

»Nein, ich möchte ihn gleich sehen.«

Es war kühl in dem Gebäude. Aggregate summten. Die Wände wirkten sehr kahl, und die Schritte hallten in den Gängen. Der Leichenwärter führte Pierre in einen großen, kalten Raum. Tische standen da, auf denen stumme, starre Gestalten unter Laken lagen.

In der Wand befanden sich nummerierte Kühlfächer. Bei einem der Tische war das Gummilaken zurückgeschlagen. Ein Arzt und ein älterer Mann und eine Frau standen bei dem Pathologietisch. Der Mann hatte ein hageres Gesicht, in dem die Falten jetzt sehr tief eingekerbt wirkten.

Er stützte seine Frau, die selber so blass war wie eine Tote.

»Wie ist das passiert, Doktor?«, fragte der Mann, der Professor Decousse von der Sorbonne sein musste. »Wer oder was hat ihn so zugerichtet?«

Pierre Loudin trat näher. Das Tuch war bis über die Brust des Toten zurückgeschlagen. Alain Decousses Gesicht und Kopf waren anatomisch unversehrt. Aber der Oberkörper sah fürchterlich aus. Und das Gesicht war zu einer fürchterlichen Grimasse des Schmerzes und des Entsetzens verzerrt.

Ein Auge des Toten stand offen.

Pierre lag es auf der Zunge, dem Arzt zu sagen, dass er ein Idiot sei, den Eltern den Leichnam ihres Sohnes in diesem Zustand zu zeigen. Aber er beherrschte sich.

»Inspektor Loudin«, stellte er sich vor. »Ich bin im Fall Decousse hier.«

Professor Decousse wandte sich Pierre zu. Er war einen Augenblick überrascht. Offenbar hatte er einen älteren Kriminalbeamten erwartet als Pierre mit seinen fünfundzwanzig Jahren.

Aber dann sah der Professor in Pierre den Kriminalisten und sonst nichts mehr.