Gespenster-Krimi 184 - Anton Serkalow - E-Book

Gespenster-Krimi 184 E-Book

Anton Serkalow

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Beschreibung

Drei Jahre ist es her, dass Lenas zwölfjährige Tochter Mira auf der Nordseeinsel Vallöe spurlos verschwand. Jetzt erhält sie auf einmal mitten in der Nacht einen Anruf und hört ihre Tochter sagen: "Mama, ich bin noch hier!" Ihr neuer Lebensgefährte Paul ist sich sicher, dass Lena die Stimme nur im Halbschlaf geträumt hat. Trotzdem begleitet er sie nach Vallöe - und nach Südstrand, jener Ortschaft, wo Lena und Mira damals ihren Urlaub verbrachten. Außerhalb der Saison ist Südstrand nicht mehr als eine gespenstische Kulisse. Leer. Verlassen. Tot. Und doch scheint etwas in den Schatten zu lauern. Etwas, das auf Lena gewartet hat ...

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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Wellen, die vom Tode flüstern

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Wellen, dievom Tode flüstern

von Anton Serkalow

Vor drei Jahren verschwand Lenas Tochter Mira spurlos auf der Nordseeinsel Vallöe, woran ihre Ehe zerbrach. Jetzt erhält Lena eine Nachricht: »Mama, ich bin noch hier.« Mit ihrem neuen Lebensgefährten Paul kehrt sie nach Südstrand zurück. Was sie vorfinden, ist nichts weiter als eine verwitterte Theaterkulisse. Ein Ort, der nur im Sommer wirklich lebt. Jetzt wirkt er tot. Doch unter der Oberfläche lauert etwas. Lena ist entschlossen, ihre Tochter zu finden – auch wenn es sie selbst in die Dunkelheit zieht. Und Paul beginnt zu ahnen, dass dieser Ort längst Besitz von Lena ergriffen hat. Denn was auch immer hier vorgeht, schickt sich an, auch sei‍nen Verstand zu brechen.

»Mama, können wir Eis essen?« Miras Stimme drang durch den Trubel von Südstrand an Lenas Ohren. Die Zwölfjährige rannte mit der Geschicklichkeit einer gut gespielten Flipperkugel quer über die Kreuzung, ohne auf mögliche Hindernisse zu achten. Es war ein Wunder, dass sie dabei nicht mit irgendwem oder irgendetwas kollidierte. Das Lachen des Mädchens wehte mit dem Sommerwind durch die Gassen des kleinen Ortes.

»Mira, warte auf mich!«, rief Lena ihrer Tochter hinterher. Vor der Backsteinfassade des Café Cappuccino schlängelte sich eine Reihe von Menschen mit erwartungsvollen Gesichtern zwischen den Blumenkübeln und Sonnenschirmen. Während jene, die an den Tischen im Schatten der Ulmen saßen, über ihrem bereits ergatterten Eis hockten, als wären sie willens, dies mit ihrem Leben zu verteidigen.

Es roch nach Meerwasser und Mandellotion, Kaffee und Rosen. Die Sonne ließ das Grün abseits des sandfarbenen Kopfsteinpflasters in unzähligen Abstufungen satt erstrahlen. Hinter üppig blühenden Hortensienbüschen weiß schimmernde Fassaden, von blau gestrichenen Fenstern und Türen aufgelockert, zeichneten die perfekte Postkartenidylle.

Lena wich mit einem entschuldigenden Lächeln einer Gruppe von Seniorinnen aus, die mit ihren E-Bikes auf der Kreuzung standen und darüber beratschlagten, in welche Richtung sie jetzt weiterfahren sollten. Zum Strand? Zur Fasssauna? Zum Frischemarkt, zum Minigolfplatz oder doch erst mal zur alten, auf Granitquadern errichteten Backsteinkirche? Auf dem Platz davor quietschten Kinder mit einem kleinen Karussell um die Wette, das von einigen Vätern gedreht wurde.

»Mama, können wir Eis essen?«

Lena stoppte. Moment mal? Kam das nicht gerade hinter den Rosenbüschen hervor, die über die flache Mauer aus Felssteinen blinzelten?

»Mira?«

Nein. Das war unmöglich. Die Kleine war doch eben noch drüben bei dem Hund gewesen. Diesem kleinen schwarz-weißen Kerl mit den Ohren, die so aussahen, wie die drei ineinander verschlungenen Schmetterlinge auf Miras regenbogenfarbenem Shirt. Lena drehte den Kopf in die Richtung des Gekläffs. Doch diesmal bellte der Vierbeiner lediglich ein paar Tauben an, die sich um eine heruntergefallene Eiswaffel stritten.

»Mama, können wir Eis essen?«

Wieder fuhr Lena herum. Eindeutig. Da drüben. Zwischen den Souvenirständen, die die Front des reetgedeckten Kapitänshäuschen fast vollständig verdeckten. Das war doch eindeutig Miras Shirt.

Aber wie?

Ein Kind kam um einen der Ständer herum und hielt ein Plüschschaf in Regenbogenfarben in die Höhe. Ein vielleicht achtjähriger Junge mit einem Shirt, auf dem Vallöer Jung stand.

Nein!

»Mama, können wir Eis essen?«

»Mira?« Lena hörte ihre eigene Stimme wie unter Wasser. »Wo bist du?«

Das letzte Wort floh von Lenas Lippen, flirrte die Kopfsteingassen entlang, zerfaserte in den Büschen und irrlichterte als Echo zurück. Am gleißend blauen Himmel kreischte eine Möwe. Es klang in Lenas Ohren wie ein Hohnlachen.

»Mira?«, japste Lena. Ihre Eingeweide bildeten einen harten Knoten. »Wo bist du?«, wisperte sie. Panisch drehte sie sich auf der Kreuzung hin und her.

Wo? Wo? Mira? Mira?

»Miraaaa!«

Dann kippte die Welt. Von einem Augenblick auf den nächsten verstummten alle Geräusche. Der Himmel sah aus, als hätte jemand eine Plastikfolie über den Ort gespannt. Die Häuser, die Mauern, die Straßen, die Bänke, die Büsche, die Ulmen ... Alles schien die Konsistenz von Styropor zu haben. Die Farben wirkten wie auf einem verblassten Schwarzweißfoto. Die Konturen verschwommen. Menschen in ihren Bewegungen erstarrt. Die Gesichter nur noch Masken von der Farbe einer sanierungsbedürftigen Autobahn. Ihre Augen wie mit ausgekühltem Teer gefüllt. Der Hund mit den Schmetterlingsohren hing ein paar Zentimeter über dem Boden in der Luft an der Leine. Die Schnauze geöffnet. Das Fell bestand nur noch aus einzelnen, räudigen Büscheln, und das Fleisch darunter ließ Lena an eine mit Schimmel überzogene Made denken.

Ihr Atem stockte. Sie wich zurück. Ihr Herzschlag donnerte bis in die Fingerspitzen.

Direkt vor ihr starrten die alten Frauen sie an. Das Schwarz ihrer Augenhöhlen war eine einzige Verhöhnung.

»Mira?« Kalter Schweiß trat auf Lenas Stirn. »Haben Sie meine Tochter gesehen?«, kam es krächzend über Lenas Lippen.

Statt einer Antwort klappten lediglich die Unterkiefer der Alten wie bei Nussknackern herunter. Doch kein Laut drang hervor.

»Bitte, bitte, bitte!« Lena spürte, wie ihre Knie nachgaben und sie zusammensackte wie ein Bündel Lumpen.

Im Schlund hinter den geöffneten Mündern der Rentnerinnen begann sich etwas zu regen. Die Finsternis waberte nach vorn, und dann drängelten sich unzählige Kakerlaken nach draußen.

Lena kreischte! So sehr, dass ihre Stimmbänder schmerzten.

Doch über ihre Lippen kam kein einziger Ton.

Mit einem Röcheln befreite sich Lena aus der Bettwäsche.

»Scht. Lena. Alles gut. Nur ein Traum!«

Paul umarmte Lena, die sich, einen flüchtigen Moment lang noch unter dem Bann des Albtraums, gegen die Berührung wehrte. Dann sackte sie zusammen.

Paul hielt sie einfach nur fest.

Lena zitterte. Ihre Augen brannten, aber es kamen keine Tränen. Nein, rein körperlich, davon war Lena mittlerweile überzeugt, konnte sie überhaupt keine Tränen mehr produzieren. Sie hatte zu viel geweint in den letzten zwei Jahren, seit Mira auf dieser verdammten Insel verschwunden war.

Langsam, als hätte Paul sie gerade mit Mühe und Not vor dem Ertrinken bewahrt, kämpfte Lena sich zurück in die Realität. Er hatte das Licht über dem Bett angeschaltet. Lena holte tief Luft. Zwang sich, ruhig zu atmen, ihren Herzschlag zu normalisieren.

»Soll ich dir was zu trinken holen?«

Lenas Hals fühlte sich immer noch so an, als hätte der Versuch zu schreien ihre Kehle zerfetzt. Sie schniefte und nickte.

Paul küsste sie sanft auf die Stirn und erhob sich dann aus dem Bett. Er schlüpfte in seine Hausschuhe – eine Angewohnheit, die Lena auch nach einem Jahr Zusammensein immer noch belustigte, so wenig passte sie zu ihm – und ging in die Küche. Die Tür zum Schlafzimmer ließ er offen.

Sie konnte hören, wie er durch den Flur ging, die Küche betrat, die Anrichte öffnete, ein Glas entnahm und den Wasserhahn aufdrehte ...

Ein Brummen neben ihr ließ Lena zusammenfahren. Sie wandte sich hektisch um.

Ihr Smartphone wanderte über die Oberfläche des Nachtschränkchens. Ohne ihre Brille aufzusetzen, griff Lena nach dem Gerät und entsperrte es mit dem Daumenabdruck.

»Ja, bitte?« Ihre Stimme klang immer noch etwas belegt.

Zunächst antwortete nur ein Knistern, das die Erinnerung an die Insekten hervorrief, die sich aus den starren Mündern der alten Frauen hervorgewunden hatten.

»Wer ist da?«, fragte Lena mit bebenden Lippen.

»Mama?«, hauchte es am anderen Ende, durch das Kratzen und Rauschen kaum zu vernehmen. »Mama? Ich bin immer noch hier!«

Lenas Schrei zerriss die nächtliche Stille. Ihr Smartphone kam im gleichen Augenblick auf dem Boden auf, wie das Glas, das Paul in der Küche fallen ließ.

»Vielleicht war das einfach nur eine Nachwirkung deines Albtraums?«

Sie saßen in der Küche. Lena war bemüht, nicht auf das Smartphone zu starren, das zwischen ihnen auf dem Tisch lag. Die Hände hatte sie dicht am Rand des Tisches liegen, als hätte sie Angst, das Handy aus Versehen zu berühren.

Paul hatte die Scherben zusammengefegt. Auf der Anrichte röchelte die Kaffeemaschine.

Lenas Hände krampften sich um die noch leere Tasse. »Nein! Du verstehst das nicht. Das war Miras Stimme!«

Es klang nicht halb so entschieden, wie Lena es eigentlich hatte vorbringen wollen.

Paul legte den Kopf schräg. Sein Blick erfasste zuerst Lenas Augen, dann wanderte er zum Smartphone.

Sie beantwortete die unausgesprochene Frage mit einem Nicken.

Er streckte die Hand aus und berührte das Display des Gerätes. Er kannte das Sperrmuster. Dann tippte er auf das grüne Hörersymbol.

Lena hielt die Luft an. Sie hatte das Gefühl, dass sich die Luft in der Küche auf den Schlag um einige Grad absenkte und das Licht irgendwie milchig wurde.

Nach einigen Freizeichen wurde die Verbindung angenommen, doch aus dem Lautsprecher des Smartphones kam lediglich ein statisches Rauschen. Genau wie eben, dachte sie. Nur dass ...

Noch bevor sie es bewusst steuern konnte, brach ein Wimmern über ihre Lippen. »Mira? Ich bin es. Mama!«

Die Antwort bestand nur aus einem andauernden Knistern.

Da war nichts weiter. Nur dieses unterschwellige Kratzen, das die Empfindung von Insektenbeinen in ihren Gehörgängen hervorrief.

Paul tippte auf den roten Hörer. Das Geräusch verstummte. Er langte über den Tisch und ergriff sanft Lenas Hände. Strich über ihre Finger. Löste die verkrampften Muskeln.

»Natürlich verstehe ich nicht, was du durchgemacht hast. Aber überleg doch mal ...« Er ließ den Rest des Satzes in der Luft schweben.

Das Ungesagte hing über ihnen unter der Deckenlampe und schien die Atmosphäre mit einem Schatten zu überziehen.

»Sie war es, Paul! Ich weiß es!« Lena entzog ihm ihre Hand und legte sie auf die linke Brust. »Ich spüre es! Hier drinnen! Es fühlt sich immer noch so an, als wäre sie da. Als wäre Mira niemals wirklich weggewesen. Und jetzt ... jetzt spüre ich sie noch viel mehr.«

»Okay«, antwortete Paul. Er holte tief Luft. »Die Nummer wird nicht angezeigt. Wir haben zurückgerufen, aber niemand ist rangegangen. Ist es dann nicht viel wahrscheinlicher, dass sich jemand verwählt hat oder dass es einer dieser Spambots war?«

»Mitten in der Nacht?«

»Es ist ja zurzeit nicht in jedem Land auf der Welt Nacht. Ich meine, ist das nicht wahrscheinlicher, als dass deine ...«

Die Pause war so verräterisch, dass sie Lena wie ein Faustschlag traf und ihr beinahe die Luft wegblieb.

»... Tochter nach drei Jahren anruft und ...«

»Ich muss da hin!«

»Was?«

»Ich fahre nach Vallöe!«

»Du ... du glaubst, dass ...«

»Sie hat gesagt, dass sie noch da ist.«

»Lena«, hob Paul an. »Das ist ...«

»Du musst nicht mitkommen, Paul. Ich bin dir sehr dankbar. Für alles, was du getan hast. Du ... du hast mir so viel Halt gegeben und ... Ich verstehe, dass das für dich nicht nachvollziehbar ist. Das ist es für niemanden, der nicht etwas Vergleichbares erlebt hat.« Lena schob den Stuhl zurück und erhob sich. »Aber ich muss da einfach hin! Es war Miras Stimme!«

Sie drehte sich um und ging aus der Küche, mit der festen Absicht, die Dinge zusammenzupacken, die sie für einen Aufenthalt auf Vallöe benötigte. Sie wollte keine Minute weiter verschwenden.

Lena hörte, wie Paul ebenfalls aufstand. »Natürlich begleite ich dich, Lena. Ich werde schon irgendwie ein paar Tage freibekommen.«

Er kam hinter ihr her in den Flur. Lena hielt inne.

»Aber lass uns das wenigstens nicht überstürzen«, sagte er. »Komm zurück in die Küche. Wir schauen nach, wo wir eine Unterkunft buchen können und wann die Fähren fahren. Okay?«

Es war Miras Stimme, dachte Lena.

Was sie nicht laut aussprach, war, dass ihre Tochter genauso geklungen hatte wie vor drei Jahren, als sie sie das letzte Mal gesehen hatte.

Mama, essen wir ein Eis?

Keinen Tag älter.

Kräftige Böen peitschten die Wogen des Meeres so hoch, dass das Salzwasser weit über die Mole spritzte. Die Fähre schaukelte am Anleger. Sie ächzte und knarzte wie ein alter Mann, der sich weigert, aus dem Sessel zu erheben, obwohl sein Haus von Erdbebenstößen durchgeschüttelt wird.

Die Frau im Glashäuschen schob die Scheibe einen Spalt auf und musterte das Kennzeichen ihres Autos.

»Zwei Erwachsene«, verkündete Paul. »Hin- und Rückfahrt. Letztere aber offen.«

Die Frau verzog keine Miene.

Zurück sind wir zu dritt, dachte Lena.

Sie schaute durch die Frontscheibe auf das Meer. Der Himmel trug dasselbe Grau wie die aufgewühlten Wogen.

Irgendwo dort hinten, eigentlich gar nicht mal so weit weg, sollten eigentlich die Umrisse der Insel am Horizont auszumachen sein. Doch sie blieben im Dunst verborgen.

Lena versuchte, in ihrem Innern nachzuspüren, was sie jetzt gerade empfand. Niemals hätte sie gedacht, dass sie noch einmal dorthin zurückkehren würde.

»Was um die Jahreszeit ja wohl kein Problem sein dürfte«, hörte sie Paul sagen.

Die Frau im Schalterhäuschen tippte etwas in ein Display, dann zog sie eine Karte heraus und reichte sie durch den Spalt.

»Ist eher ein Problem, überhaupt zurückzukommen«, sagte sie.

Paul ergriff das Ticket und legte es hinter die Windschutzscheibe. »Wie meinen Sie das?«

»Fahren nicht mehr viele Fähren um die Zeit. Niemand fährt im Winter auf die Insel.«

»Na ja. Wir dachten, wir schauen uns Südstrand mal außerhalb der Saison an«, versuchte es Paul mit einem Scherz.

Das Gesicht der Frau fror ein. Einen Moment war nur das Jaulen des Windes, vereinzelt unterbrochen von wütenden Möwenschreien und dem Klatschen des Wassers gegen die Steinmauer, zu vernehmen.

»Schon gar nicht nach Südstrand«, sagte die Frau und schloss das Fenster.

»Nordisches Understatement«, gab Paul lachend von sich und wartete, dass die Schranke vor ihnen geöffnet wurde und sie zum Fähranleger durchließ. »Laut Internet fährt in zehn Tagen die letzte Fähre zurück zum Festland.«

Die Entschiedenheit, mit der Paul dies sagte, versetzte Lena einen leichten Stich. Er ist immer noch nicht davon überzeugt, dass das Ganze Sinn macht, dachte sie.

Sei nicht ungerecht!, rief sie sich selbst zur Ordnung. Er ist immerhin hier.

»Ich bleibe so lange auf der Insel, wie ich muss«, sagte Lena leise.

Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es wirklich gesagt hatte, da der Wind gerade wieder eine Welle gegen die Mole klatschte und damit jedes andere Geräusch verschlang.

Ich gehe sowieso erst, wenn ich Mira gefunden habe!

Laut sagte sie: »Du kannst noch umkehren, Paul. Ich weiß, dass du nicht auf unbestimmte Zeit Urlaub nehmen kannst.«

Paul ließ das Lenkrad los und legte die Hand auf Lenas Oberschenkel. »Ich lass dich nicht allein, Lena. Wenn es dir hilft, damit endlich abschließen zu können ... dann ... Ich melde mich zur Not auch telefonisch krank. Oder ...« Er setzte einen vergnügten Ton auf. »Was will mein Chef schon machen, wenn ich sage, dass ich auf einer Insel festsitze, weil keine Fähre fährt?«

Eine Welle von Zärtlichkeit schwemmte durch Lenas Körper. Das war es! Paul war so anders als Mario. Dieser hatte sie viel zu schnell und viel zu energisch dazu drängen wollen, sich damit abzufinden, dass Mira ...

Lena konnte das Wort nicht denken. Der bittere Geschmack des Vorwurfs kratzte in ihrer Kehle. Wie konnte er nur so sein? Sie war doch auch seine Tochter?

Pauls Stimme holte Lena zurück in die Gegenwart. »Es hat zumindest den Vorteil, dass wir uns wohl kaum mit anderen Touristen um eine Unterkunft streiten müssen.«

Eine halbe Stunde später wurden sie auf die Fähre dirigiert.

Während Paul den Anweisungen des Mannes folgte, dachte Lena an damals. Vor drei Jahren war es Sommer gewesen. Auf dem Rücksitz hatte Mira vor Aufregung gequiekt. Mario hatte hinter dem Steuer gesessen. Und sie hatten länger warten müssen.

Zwei Fähren hatten vor ihnen abgelegt, ohne dass sie einen Platz darauf erhalten hatten. Derart überladen mit Fahrzeugen und Menschen, dass es fast schien, als würden die Schiffe deutlich tiefer im Wasser liegen. Der Himmel hatte ein strahlendes Blau gezeigt, die Sonne die Oberfläche des Wassers mit flüssigem Gold überzogen, und Vallöe hatte am Horizont wie das Versprechen des Paradieses gewunken.

Jetzt standen gerade einmal fünf Autos auf der Fähre. Einheimische Kennzeichen. Zwei LKWs von Lieferdiensten, die wahrscheinlich noch etliche wichtige Vorräte auf das Eiland brachten.

Der Mann, der sie dirigiert hatte, trat neben das Auto. Paul ließ die Scheibe hinunter.

»Moin.« Das Gesicht des Mannes war zerfurcht.

»Hallo«, antwortete Paul.

»Habt ihr Freunde oder Verwandte auf der Insel?«

Paul zögerte.