Gespenster-Krimi 40 - Rafael Marques - E-Book

Gespenster-Krimi 40 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Wie der Bote einer jenseitigen Welt kroch der graue Nebel in die dunkle Grabkammer. Er gab dabei ein schwaches Leuchten ab, das die Wände des Raumes zum Leben zu erwecken schien. Das glatte Gestein war übersät mit mysteriösen Mustern und Schriften. Sigille eines Dämons, der einst von diesem Ort aus geherrscht hatte. Durch den dichten, wabernden Nebel wurden sie wieder aktiviert und strahlten in einem matten Glanz.
Die Zeichen auf der Grabplatte - das umgedrehte Kreuz und die Glocke - waren längst verschwunden. Die Macht des Dämons hatte die Magie gebrochen, durch die er fast vierhundert Jahre lang an diesen Ort gebannt worden war.
Er war erwacht ...

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EPUB
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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Paladin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati/BLITZ-Verlag

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9631-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Paladin

(Teil 2 von 2)

von Rafael Marques

Wie der Bote einer jenseitigen Welt kroch der graue Nebel in die dunkle Grabkammer. Er gab dabei ein schwaches Leuchten ab, das die Wände des Raumes zum Leben zu erwecken schien. Das glatte Gestein war übersät mit mysteriösen Mustern und Schriften. Sigille eines Dämons, der einst von diesem Ort aus geherrscht hatte. Durch den dichten, wabernden Nebel wurden sie wieder aktiviert und strahlten in einem matten Glanz.

Die Zeichen auf der Grabplatte – das umgedrehte Kreuz und die Glocke – waren längst verschwunden. Die Macht des Dämons hatte die Magie gebrochen, durch die er fast vierhundert Jahre lang an diesen Ort gebannt worden war.

Er war erwacht …

Seine Diener waren bereits aktiv geworden und bereiteten ihm den Weg. Der Dämon selbst hingegen sammelte noch seine Macht, bevor er endgültig auferstehen konnte. Noch lag er unter der schweren Steinplatte verborgen, doch sie erhielt bereits Risse, wurde körnig und spröde. Schließlich brach sie in sich zusammen.

Das Grab stand offen. Das wenige Licht, das aus den Wänden drang, reichte nicht aus, um das Innere auszuleuchten. Doch der Nebel, der durch seine Ausstrahlung entstanden war, kroch auch in den steinernen Sarg hinein, streichelte über seinen Körper und gab ihm einen Teil seiner Energie zurück.

Zunächst war es nur eine gewaltige, dunkelbraune Kralle mit langen Nägeln, die sich aus dem Sarg schob. Fest klammerten sich die Finger an das alte Gestein. Eine zweite Kralle folgte, und schließlich stemmten sie den gesamten Körper des Dämons in die Höhe.

Für einige Momente genoss Paladin seine neu gewonnene Freiheit. Er wusste, dass die Welt eine andere geworden war und nur noch wenige Menschen ahnten, welche Macht er einst besessen hatte. Allerdings waren auch die Mächte, durch die er einst in dieses Grab gebannt worden war, schwächer geworden.

Er wusste, dass er beobachtet wurde. Er war da. Nach all den Jahrhunderten gab es ihn immer noch. Paladin hatte nicht vergessen, dass er zwei Mal gegen ihn verloren hatte. Beim dritten Aufeinandertreffen würde er der Sieger bleiben, denn an einem erneuten Duell führte kein Weg vorbei.

Schließlich öffnete er die Augen. Ein unheilvolles gelbes Leuchten drang aus den tiefen Augenhöhlen hervor, das Erbe einer uralten Magie, die in ihm weiterlebte. Endlich spürte er wieder seine alte Macht. Schweigend trat er in den schmalen Gang, der nur von dem grauen Nebel erleuchtet wurde.

Schließlich erreichte er den unterirdischen Saal. Er sah den steinernen Sockel, seinen Altar. Seine Krallen schlugen in den Fels. Er brauchte keine Kraft anzuwenden, um sich auf die Plattform zu stemmen. Für einige Momente genoss er den Anblick, den der kochende See vor ihm bot. Dicke Blasen stiegen aus der Tiefe auf und brachten das Öl zum Sieden. Immer mehr Nebel legte sich um seinen Körper. Doch es war kein normaler Dunst, sondern die Seelen seiner Opfer. Jede von ihnen gab ihm ein Stück mehr Macht.

Eine von ihnen fehlte. Der Dämon wusste genau, wem sie gehörte. Theresa MacArthur, jenes Mädchen, das das Schicksal ins Rollen gebracht und schließlich indirekt für seine Gefangenschaft gesorgt hatte. Sie existierte noch immer, genau wie seine größten Feinde. Bald schon würde er dafür sorgen, dass sie für seine vierhundertjährige Gefangenschaft bezahlten.

Paladin lachte. Dann riss er seine Arme empor, entfaltete seine gewaltigen Flügel und stieß ein gewaltiges Brüllen aus, das die Wände des Saals erzittern ließ …

»Wie heißt du?«

Die junge Frau war kaum Herrin ihrer Sinne, während sie die Frage hörte. Der Schock darüber, schon wieder dem Tod ins Auge zu blicken, saß einfach zu tief. Wie im Zeitraffer lief alles, was geschehen war, seit Lanie Cunningham und sie aus dem Schloss geflohen waren, noch einmal in ihrem Kopf ab.

Als sie schon dachten, sie wären dem Schrecken entkommen, mussten sie feststellen, dass die zu Corvingham Castle führende Straße von zwei schweren SUVs versperrt worden war. Man hatte auf sie geschossen, Lanie getötet und sie überwältigt.

Carissa konnte immer noch nicht fassen, dass das alles wirklich geschehen war. Am liebsten hätte sie sich zu Boden fallen lassen und zusammengekrümmt, so schwach fühlte sie sich.

»Carissa …«, antwortete sie mit kratziger Stimme. »Carissa Freeman. Wer … wer sind Sie?«

Ihr Gegenüber ignorierte ihre Frage. »Du arbeitest auf Corvingham Castle?«

Täuschte sie sich oder sprach der Mann mit serbischem Akzent? Sie war mal mit einem Jungen aus Serbien zusammen gewesen. Seine Freunde und er hatten mit genau demselben Akzent gesprochen.

»Hast du gehört, was ich gefragt habe?«, fuhr sie der Mann an.

»Ja«, erwiderte sie schwach.

»Du arbeitest dort?«

»Ja.«

»Wo wolltest du hin, hm?«

Die harten Männerhände hielten sie erbarmungslos fest. Sie war nicht in der Lage, sich zu wehren, und so beantwortete sie auch diese Frage. »Nur weg«, murmelte sie. »Weg von den Schatten …«

»Wer ist noch da? Wer ist noch auf dem Schloss?«

»Weiß nicht …«

»Stimmt es, dass zwei fremde Männer gestern auf das Schloss gekommen sind?«

»Ja …«, antwortete sie ängstlich, da sie fürchtete, nach jedem Wort erschossen zu werden.

»Sind sie tot?«

»Ich weiß es nicht.«

»Gut, gut. Wir nehmen dich mit. Hast du das verstanden? Du hast noch einmal Glück gehabt.«

Carissa nickte. Sie dachte schon, es endlich überstanden zu haben. Dass man ihr nun nichts mehr tun würde, zumindest vorerst. Dann sah sie, wie eine Faust rasend schnell auf sie zuschoss und ihr Bewusstsein auslöschte …

Mit offenem Mund stand Roy Delgado vor der Treppe. Was er da sah, konnte einfach nicht sein. Thomas Carver war alles, nur kein grausamer, blutrünstiger Mörder. Allein der Gesichtsausdruck seines Freundes ließ ihn daran zweifeln, dass das wirklich stimmte. War das wirklich Thomas, der da gerade sein Messer aus dem Bauch von Rose Callahan gezogen hatte? Seine Kleidung hatte sich nicht verändert, seine Statur auch nicht, aber dieses durch ein hässliches Grinsen verzogene Gesicht passte einfach nicht zu ihm. Ebenso wenig wie das mörderische Funkeln in den Augen, während er Roy anstarrte.

Rose Callahan lebte noch. Sie zuckte, gab hin und wieder ein Röcheln von sich. Für einige Augenblicke schien es, als würde es ihr noch gelingen, eine Hand auf ihre Wunde zu pressen. Doch dann erschlaffte ihr Arm und sackte zurück auf die Stufen.

Thomas hatte noch nicht genug. Wortlos streifte er das Blut von der Klinge an der Schürze der Toten ab und stieg langsam, Stufe um Stufe, die Treppe hinab. Dabei strahlte er eine Überlegenheit aus, die Roy erschaudern ließ. Er schien sich sicher zu seinen, dass sein nächstes Opfer ihm ebenfalls nicht entkommen würde.

Während ihm Thomas Schritt für Schritt näher kam, wich Roy stetig zurück. Er wollte etwas sagen, mit seinem Freund reden, ihn zur Vernunft bringen, aber er war nicht in der Lage, auch nur einen Ton herauszubringen. Zu tief saß der Schock, seinen Freund so zu sehen. Und doch gab es in ihm einen Restfunken Hoffnung: War Thomas vielleicht besessen? Er hatte bereits erlebt, zu was die Schatten alles fähig waren. Warum sollten sie dann nicht auch in der Lage sein, Besitz von Menschen zu ergreifen? An diesem Gedanken hielt er sich fest, obwohl das die Situation auch nicht verbessern würde.

Unter Umständen hätte er durch die offen stehende Eingangstür fliehen können, doch das wollte er nicht. Stattdessen wich er weiter an der Wand entlang zurück, bis er die Tür erreichte, durch die er in den Gang treten konnte, der unter anderem zur Bibliothek und zum Ballsaal führte. Bevor er sie öffnete, nahm er noch einmal allen Mut zusammen und sprach seinen Freund an.

»Thomas!«

Wie angewurzelt blieb dieser auf der letzten Treppenstufe stehen und starrte ihn über das Geländer hinweg an. Doch er blieb stumm. Kein Wort drang über seine Lippen, auch nicht, als er den Arm mit dem Messer anhob, ihn ausstreckte und mit der Spitze der Klinge auf Roy wies. Dann setzte er seinen Weg fort, diesmal schneller als zuvor.

Roy wusste, dass eine Konfrontation unausweichlich war, egal was er tat. Und Thomas kam. Mit seiner freien Hand schlug er die halb offen stehende Tür zur Seite, so hart, dass sich die Klinke in die Wand bohrte. Genüsslich strich er mit dem Messer über seine Kleidung.

Roy wich weiter Schritt um Schritt zurück. Eigentlich hatte er geglaubt, dass in seinem Kopf die Gedanken nur so dahinrasen würden. Doch da war nichts. Er fühlte sich so leer. Sein Freund war ein Mörder. Daran führte kein Weg vorbei, und damit musste er ihn auch konfrontieren, ob er nun besessen war oder aus eigenem Antrieb handelte.

Schließlich blieb Roy einfach stehen. Er wollte nicht mehr weiter zurückweichen. Thomas schien das ebenfalls zu spüren. Fünf Meter vor ihm baute er sich auf und lächelte. Im schummrigen Licht des Gangs wirkte es, als würden Teile seines Gesichts im Schatten liegen. War das normal oder ein Zeichen dafür, dass etwas Fremdes im Körper seines besten Freundes steckte?

»Thomas«, sprach er ihn erneut an. »Warum tust du das?«

Sein ehemaliger bester Freund schwieg. Allerdings lächelte er ihn weiter an. Der Arm mit dem Messer hing schlaff herunter, die Spitze der Klinge wies zu Boden.

Dann fiel ihm eine Frage ein, die man ihm selbst vor einigen Monaten gestellt hatte. »Wer bist du?«

Die Augen seines Freundes zuckten. Nur für einen Moment, dann waren sie wieder starr auf ihn gerichtet. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Thomas nicht einmal blinzelte. Jetzt war er sich fast sicher, dass er nicht aus eigenem Antrieb handelte. Er war zu einem Opfer dieses Schlosses und damit der Magie des Dämons Paladin geworden.

»Du bist nicht Thomas«, sagte er halblaut. »Nein, du bist jemand anderes. Einer der Schatten ist in dich gefahren und hat dich übernommen. Du bist nicht mehr Herr deiner Sinne. Thomas, wenn du mich hören kannst: Du bist nicht verantwortlich für das, was passiert ist. Aber du kannst jetzt dagegen ankämpfen. Ich weiß, dass du es kannst, mein Freund.«

Wieder zuckten Thomas’ Augen, diesmal noch etwas heftiger. Im nächsten Moment fegte ein Schrei aus seinem Mund, bevor er das Messer anhob und auf ihn zustürmte.

Roy hatte mit dem Angriff gerechnet. Seine Worte waren auch als Provokation gedacht gewesen, und sie hatten gefruchtet. Der fremde Geist in Thomas Carver wollte die Entscheidung.

Roy ließ ihn kommen. Erst im letzten Moment trat er zur Seite, griff nach dem Messerarm und drehte ihn herum. Doch Thomas riss sich sofort los und schlug mit seiner Waffe zu. Das Messer rauschte nur Zentimeter an Roys Gesicht vorbei. Bevor sein Freund zu einem zweiten Angriff ansetzen konnte, schlug er zu. Seine Faust krachte in Thomas’ Gesicht und ließ seinen Kopf zur Seite rucken. Und er setzte sofort nach. Der zweite Faustschlag wühlte sich in seine Magengrube. Es tat ihm in der Seele weh, seinen besten Freund zu verletzen, aber der böse Geist in ihm ließ ihm keine andere Wahl.

Thomas Carver zuckte nicht einmal zusammen. Steif blieb er vor ihm stehen, bis plötzlich seine freie Hand vorschoss und gegen Roys Brust schlug. Der Treffer wirkte wie ein Hammerschlag. Augenblicklich wurde ihm die Luft knapp. Beide Hände presste er gegen seinen Brustkorb, und genau darauf schien Thomas gewartet zu haben. Wieder riss er sein Messer hoch und stürmte auf ihn zu.

Roy gelang es noch, den Waffenarm zu packen, die Angriffswucht schleuderte ihn jedoch zu Boden. Der Aufprall war hart, doch damit gab sich sein Gegner nicht zufrieden. Thomas lag auf ihm und versuchte mit aller Macht, ihm das Messer in die Brust zu rammen. Stöhnend griff er auch mit seiner zweiten Hand nach dem Arm seines Freundes, ohne in der Lage zu sein, der Kraft des Besessenen zu widerstehen. Unerbittlich näherte sich die Spitze der Klinge seiner Brust, durchstach die Kleidung und drang in seine Haut.

Als ein Schmerzensschrei aus seinem Mund fegte, geschah etwas, womit er schon nicht mehr gerechnet hatte. Sein linkes Auge reagierte. Es leuchtete hellrot auf, bevor ein gleißender Strahl aus ihm hervorschoss und sich direkt in das rechte Auge seines Freundes bohrte.

»Nein!«, drang es aus Thomas’ Mund hervor, doch es war nicht seine Stimme, das erkannte Roy sofort.

Im nächsten Moment löste sich eine Gestalt aus dem Körper seines Freundes – niemand anderes als Seamus Corvingham.

Der Dämonendiener schrie weiter und presste seine Hände gegen den Kopf. Im nächsten Augenblick löste er sich einfach auf. Roy wusste nicht, ob er vernichtet oder nur geflohen war.

Sein Freund lag bewusstlos auf ihm. Seine Glieder waren erschlafft. Auch das Messer war ihm aus der Hand gefallen. Mühsam drückte er ihn von sich herunter und schob ihn gegen die Wand. Dann erst griff er unter seine Kleidung und fühlte nach der Wunde in seiner Brust. Sie war glücklicherweise nicht tief, dennoch war Blut aus ihr hervorgedrungen. Eigentlich hätte sie sofort verbunden werden sollen, doch im Moment war sein Freund wichtiger.

Er hatte es geschafft und ihn befreit. Aber was würde das für Thomas bedeuten? Hatte er alles mitbekommen, was geschehen war? Oder war dadurch, dass Seamus Corvinghams Geist aus ihm herausgetrieben worden war auch seine Erinnerung gelöscht worden? Er wünschte es ihm, mehr als alles andere.

Ein Stöhnen war das Erste, was Thomas abgab, als er wieder erwachte. Sehr langsam hob er seinen Kopf an und starrte Roy direkt in die Augen. Der Blick seines Freundes sagte alles. Er war eine Mischung aus Scham, Wut und Trauer. Es schien, als würde er ihn stumm anflehen, ihm zu verzeihen, was er getan hatte.

»Thomas …«, presste Roy hervor.

»Ich habe sie getötet. Ich habe sie getötet. Bradshall, Norton, Rose … meine Rose!«

Roy schüttelte nur den Kopf.

»Ich war es«, brüllte Thomas ihm entgegen. Aus seinen Augen drangen erste Tränen. »Verstehst du? Ich habe gemordet! Ich habe Rose zwei Mal das Messer in den Bauch gerammt. Ich habe gesehen, wie sie mich so verständnislos angestarrt hat.«

Er sah das Blut auf seinen Händen, wollte schreien, doch Roy packte ihn an den Gelenken und drückte sie nach unten. »Das warst nicht du, Thomas. Du bist dafür nicht verantwortlich. Es war Seamus Corvingham. Er hat Besitz von dir ergriffen. Du hättest nichts tun können, gar nichts, glaub mir. Ich habe das schon so oft erlebt. Ich erlebe es jeden Tag, wie Schuldgefühle mich von innen auffressen, aber du darfst ihnen nicht nachgeben. Du bist kein Mörder. Nein, auf keinen Fall.«

Thomas schluchzte. Dann brach es aus ihm hervor. Roy presste ihn an sich und schlug ihm die Arme auf den Rücken. Weinend lehnte sich sein Freund an seine Schulter. Dann berichtete er von dem, was im Arbeitsraum seines Vaters und in der Gruft geschehen war. Irgendwann konnte er nicht mehr, schwieg und schluchzte vor sich hin. Wie lange sie in dieser Haltung auf dem Boden hockten wusste er nicht. Wichtig war nur, dass Thomas alles herausließ.

Schließlich löste sich sein Freund aus der Umklammerung, wischte sich über das Gesicht und richtete sich langsam auf. An seinem Gesicht las Roy ab, dass er das Geschehene noch lange nicht überwunden hatte. Immerhin fand er langsam seinen Lebensmut zurück. Zumindest hoffte Roy das.

»Wie geht es dir?«, fragte er vorsichtig.

»Beschissen«, murmelte Thomas und lehnte sich weiter gegen die Wand. Dabei richtete er seinen Blick zur Decke, fast als würde er in Richtung Himmel um Vergebung flehen. Nur war Thomas kein gläubiger Mensch.

»Ich weiß, das klingt abgedroschen, aber du musst jetzt stark sein.«

Thomas lachte bitter. »Du hast recht, das klingt verdammt abgedroschen, obwohl es irgendwie stimmt. Wie soll es weitergehen? Ich bin jetzt ein Mörder, wie man es dreht und wendet. Der Polizei werde ich wohl kaum erzählen können, dass ein Geist in mich gefahren ist und mich dazu gezwungen hat, drei Menschen zu ermorden. Wenn sie mich nicht ins Gefängnis stecken, dann in die Klapsmühle. Was soll ich tun? Das Messer verschwinden lassen, das Schloss abfackeln und dann hoffen, dass alle Beweise verbrannt sind?«

»Erst einmal sollten wir versuchen, diese Nacht zu überleben.«

»Irgendwie fühle ich mich jetzt schon wie tot.«

»Ich denke, genau das wollte Seamus Corvingham erreichen. Erst sollte ich sterben, dann du für den Rest deines Lebens leiden.«

Thomas fuhr sich erneut mit beiden Händen durch sein Gesicht. »Ich weiß noch, was er zu mir gesagt hat, bevor er in mich eingedrungen ist: ›Verräter‹. Vielleicht hat er sich dafür rächen wollen, dass ich die Linie der Corvinghams unterbrochen habe.«

»Du lebst noch, und das ist das Wichtigste.«

»Nein, ist es nicht …«

Roy hätte gerne etwas gesagt, um Thomas’ Schmerz zu lindern, aber er wusste nicht, was. Er kannte sich selbst gut genug, um zu erahnen, was sein Freund gerade durchmachte. Nachdem er den Entführer seines Sohnes erschossen hatte, war es ihm nicht anders gegangen.

Als er für einen kurzen Moment die Augen schloss, spürte er, dass sich etwas um ihn herum veränderte. Es schien einige Grad kälter geworden zu sein, und auch die Atmosphäre in dem Gang verdüsterte sich spürbar. Er öffnete die Augen wieder und blickte sich um. Thomas war so mit sich selbst beschäftigt, dass er gar nicht merkte, wie Roy einige Schritte zurücktrat.

»Der Teufel hat dich geschickt!«

Die grollende Stimme war so plötzlich aufgeklungen, dass Roy regelrecht zusammenfuhr. Zunächst wusste er nicht, von wo sie ihn erreicht hatte. Erst als er so etwas wie einen heißen Atem an seinem Rücken spürte, drehte er sich langsam um.

Was er sah, war unglaublich. Aus der Wand direkt vor ihm schob sich die gewaltige Fratze eines Dämons!

Als Carissa Freeman erwachte, spürte sie sofort den harten Druck auf ihrer linken Schulter. Zunächst war sie nicht einmal in der Lage, ihren Kopf zur Seite zu drücken. Alles wirkte auf sie, als würde es in weiter Entfernung geschehen.

Mühsam versuchte sie, ihren Mund zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Er war zugeklebt worden, zudem waren ihre Hände mit Handschellen gefesselt. Der hämmernde Schmerz in ihrem Kopf rief in ihr die Erinnerung daran zurück, wie sie von dem fremden Mann mit dem serbischen Akzent niedergeschlagen worden war. Und genau dieser Mann saß jetzt neben ihr. Seine kantigen Gesichtszüge hatten sich in ihr Gehirn gebrannt.

»Ah, willkommen zurück unter den Lebenden!« Der Mann genoss sichtlich seine Überlegenheit. »Du fragst dich sicher, was das alles soll, oder?«

Zögerlich nickte Carissa.

»Wir sind unterwegs, um jemanden abzuholen. Dir das zu erklären, wäre allerdings viel zu umständlich. Zumal du die Nacht sowieso nicht überleben wirst. Oder dachtest du, ich würde dich nach unserem Gespräch einfach wieder gehen lassen?«

Zitternd zuckte Carissa zurück. Ja, tief in ihrem Inneren hatte sie noch gehofft, dass man sie gehen lassen würde, aber dieser Hoffnungsschimmer war endgültig erloschen. Sie würde sterben! Sofort schlug ihr Herz schneller. Sie konnte sich von dem Gedanken an ihren eigenen Tod gar nicht mehr lösen. Eine Panikattacke ließ ihre Brust zusammenkrampfen. Schluchzend zog sie ihre Beine an und drückte sich gegen die Seitentür des Wagens

Langsam löste sich der Griff des Mannes von ihrer Schulter. Ohne den Druck der Hand sackte sie noch mehr zusammen, so kraftlos war sie.

Ihr Entführer schien sich dafür wenig zu interessieren. Stattdessen hörte sie, wie sich das Handy des Mannes mit einem Brummton meldete. »Ja?«, fragte der.