Gespenster-Krimi 79 - Katharina Hadinger - E-Book

Gespenster-Krimi 79 E-Book

Katharina Hadinger

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Beschreibung

Pauls Bein war eingeschlafen. Er versuchte, seine Position zu verändern.
"Sch!", zischte Mikaeli ihm unter vorgehaltenem Zeigefinger zu, als er es wagte, sich zu bewegen.
Sie waren hinter ein paar Büschen in Deckung gegangen und warteten darauf, dass das Begräbnis vorbei war.
Als sich Grabträger und Trauergäste endlich auf den Heimweg machten, stach eine Mücke Paul in den Oberarm. Er fuhr hoch und erschlug das Insekt.
Und dann begann ihr Job. Paul folgte Mikaeli, der jetzt in die Grube deutete, ihn beflissen heranwinkte und zufrieden die Hände in die Seiten stemmte, als sich Paul über die Grube beugte und hineinspähte.
"Dann mal los, oder?"


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Inhalt

Cover

Leichenschmaus

Special

Vorschau

Impressum

Leichenschmaus

von Katharina Hadinger

Weyer, August 2016

Pauls Bein war eingeschlafen. Er versuchte, seine Position zu verändern.

»Scht!«, zischte Mikaeli ihm unter vorgehaltenem Zeigefinger zu, als er es wagte, sich zu bewegen.

Sie waren hinter ein paar Büschen in Deckung gegangen. Zuerst war sich Paul lächerlich dabei vorgekommen. Aber bald hatte er begriffen, dass Mikaeli recht hatte, wenn er sagte: »Ist nix gut, wenn Trauergäste den mit der Schaufel warten sehen.«

Natürlich hätten sie auch hinter der Kirche warten können, bis das Begräbnis vorbei war. Aber es war auch »nix gut«, wenn das Grab zu lange offen war. Paul wollte gerne an einen plausiblen Grund für das Versteckspiel glauben. Es war jedoch offensichtlich, dass Mikaeli einfach Spaß daran hatte. Und Spaß war in seinem Beruf rar. Deshalb gönnte es ihm Paul.

Um sich abzulenken, begann er jetzt, Hüte zu zählen. Erst alle Hüte. Dann nur die schwarzen, dann die mit Federn, dann die Damenhüte. Als sich Grabträger und Trauergäste endlich auf den Heimweg machten, stach ihn eine Mücke in den Oberarm. Paul fuhr hoch und erschlug das Insekt.

»Mach jetzt, Jung«, sagte Mikaeli leise, »jetzt beginnt Job.«

Paul folgte dem Älteren zu der offenen Grabstelle.

»Seil muss rauf!« Mikaeli meinte die zwei Seile, mit denen der Sarg hinuntergelassen wurde. Er deutete in die Grube, winkte Paul beflissen heran und stemmte zufrieden die Hände in die Seiten, als sich dieser über die Grube beugte und hineinspähte.

»Okay«, sagte Paul, nachdem er glaubte, genug Interesse für die zwei Seile aufgebracht zu haben.

»Dann mal los, oder?« Mikaeli zeigte ihm, wie und wo die Seile handzuhaben waren. Auf sein Kommando zogen sie.

Doch Paul spürte sofort, dass es irgendwo klemmte. Sie zogen kräftiger. Der Sarg wackelte bedenklich.

»Stopp, Jung!«, befahl Mikaeli atemlos. »Muss hinunter.« Paul ließ das Seil los, doch Mikaeli rührte sich nicht. »Hinunter!«, wiederholte er ungeduldig und wedelte mit den Händen in Pauls Richtung.

Paul stöhnte. Ungefähr hatte er eine Vorstellung davon gehabt, was ihn bei dem Job erwarten würde. Trauernde, Gräber, Särge, Erde. Keine Leichen. Das war die Hauptsache gewesen. Paul hatte kein Problem mit dem Tod. Aber mit dem, was er hinterließ. Körper. Hüllen. Das war etwas, das er nicht bereit war zu sehen oder gar zu berühren.

Paul war Vegetarier. Es passte gut zu seinem Lebensstil. Niemand wunderte sich darüber. Aber der Grund dafür waren nicht das Tierleid oder die Gesundheit, sondern die tief sitzende Abscheu vor toten Hüllen.

Der Job als Totengräber war folglich nicht seine erste Wahl. Aber Paul hatte einen Plan. Er hatte nicht vor, bis in alle Ewigkeit Gräber zuzuschaufeln. Er wollte nach Finnland. Als Meeresbiologe hatte man in Weyer nicht gerade gute Jobaussichten. Totengräber wäre ein Job wie jeder andere, hatte Mikaeli gesagt. Solide. Gestorben wird schließlich immer.

Mit einem mulmigen Gefühl stieg Paul in das offene Grab und auf den Sarg.

»Wirf Klumpert raus!«, kommandierte Mikaeli von oben hinab und zündete sich eine Zigarette an. Folgsam beförderte Paul den Blumenschmuck und die Gedenkschleifen nach oben.

In Liebe, deine Kinder, Enkel und Urenkel.

Dann löste er das Seil. Mikaeli zog es hinauf. Im nächsten Moment hörte Paul bereits den Bagger.

Wieder einmal wunderte er sich über Mikaelis Schnelligkeit. Der korpulente Mitfünfziger legte mitunter ein Tempo an den Tag, dass Paul Hören und Sehen vergingen.

Rasch kletterte er aus dem Grab, bevor die erste Ladung Erde auf den Sarg fiel. Wenige Minuten später war dieser nicht mehr zu sehen. Ein Abschied für immer.

Mikaeli hatte den Ruf, ein recht unangenehmer Zeitgenosse zu sein. Irgendwie schien jede Barschlägerei im Ort etwas mit ihm zu tun zu haben. Aber Pauls Mutter sagte immer, man könnte ihren Bub überall dazusetzen.

Und das bewahrheitete sich einmal mehr. Hinter der Aufbahrungshalle öffnete Mikaeli eine Flasche Bier und reichte sie an Paul weiter, um sich selbst anschließend auch eine zu öffnen. Sie setzten sich auf eine Bank, die im Schatten der Gebäudemauer stand. Mikaeli fing an, von seinen Kindern zu erzählen, und Paul hörte ihm aufmerksam zu.

Vielleicht konnte man ihn deshalb überall dazusetzen. Weil er zuhörte. Optische Gründe konnte es dafür nicht geben. Gedankenverloren strich Paul über seine Lippe, die von einer Hasenscharte entstellt und gemeinsam mit einem unglaublich drahtigen Lockenkopf schon so manches Mädchen in die Flucht geschlagen hatte. Auch wenn er sich nur dazugesetzt hatte.

»Ah, muss nach Hause«, sagte Mikaeli unvermittelt. »Wie spät ist es, Jung?«

Paul hob seinen Arm und fasste an die Stelle, an die seine Uhr immer rutschte. Ein Erbstück seines Großvaters. Das Uhrenband war zu weit für seine schmalen Handgelenke.

Mikaeli lugte interessiert zu ihm hinüber. Aber in diesem Moment entdeckte Paul, dass die Uhr weg war.

»Scheiße!«, entfuhr es ihm.

»Hast du verloren, Jung?«

»Scheiße, ja, die Uhr! Sie muss mir beim Arbeiten hinuntergerutscht sein.«

»Warum trägst du Uhr beim Arbeiten?«, erkundigte sich Mikaeli erstaunt.

An Pauls erstem Tag hatte er einen halbstündigen Vortrag über Wertsachen bei der Arbeit gehalten und damit seinen Standpunkt klargemacht: Alles war wertvoll. Selbst ein Hemdknopf hatte nichts zu suchen bei der Arbeit.

»Sie ist ein Glücksbringer«, verteidigte sich Paul verlegen. »Ich hab sie immer bei mir.«

»Jetzt nicht mehr.«

»Glaubst du, sie ist im Grab?«, fragte Paul entsetzt.

Mikeali zuckte mit den Schultern. Dann leerte er seine Bierflasche und stand auf.

»Soll ich suchen helfen?«

»Du musst doch nach Hause. Nicht, dass deine Frau dir die Hölle heißmacht. Ich werde die Uhr schon finden.«

Pauls Worte klangen lässig. In ihm aber brodelte es. Kaum war Mikaeli weg, rannte er wie ein Irrwisch zurück auf den Friedhof.

Es war unerträglich heiß. Der weiße Kies auf den Wegen reflektierte das Sonnenlicht.

Pauls Augen schmerzten. Er hob den Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hier nach der Uhr zu suchen war ohnehin unnötig. Sie würde ihm nicht so mir nichts dir nichts mitten auf dem Weg vom Handgelenk gerutscht sein. Es musste beim Arbeiten passiert sein.

Paul beschleunigte seine Gangart. Der Anblick der kleinen Gräber zu seiner Rechten ließ ihn unwillkürlich erschaudern. Er hielt nicht viel von der vielgerühmten Ruhe der Toten. Gräber waren für ihn nicht mehr als ein Haufen hübsch dekorierter Erde. Vielleicht, weil er noch niemanden an den Tod verloren hatte. Doch die Kindergräber weckten in ihm jäh den Gedanken an deren Eltern, und die peinigende Trauer, die sie verspürt haben mussten, als diese Gräber geschlossen worden waren, versetzte seinem Herz einen Stich.

Paul seufzte tief. Plötzlich fragte er sich, ob Mikaelis Arbeit dessen Verhältnis zum Tod beeinflusst hatte. Wenn man wie er seit dreißig Jahren Gräber aushob und zuschaufelte ...

Beinahe schämte Paul sich ein wenig dafür, ihn noch nicht danach gefragt zu haben. Mikaeli war kein Baggerfahrer, kein Bauarbeiter und auch kein Gärtner. Seine Arbeit war so ... feinstofflich.

Als ihm dieses Wort durch den Kopf schoss, blieb Paul unvermittelt stehen. In der flimmernden Hitze sah er die Umrisse des frischen Grabes zwischen Holzkreuzen und Granitsteinen aufragen. Der schwere Duft des gewaltigen Rosengestecks wehte ihm in die Nase und wirkte gleichermaßen betäubend wie stimulierend. Doch Pauls Aufmerksamkeit galt nicht diesem von der Hitze verstärkten Geruch und nicht der Fata Morgana des frischen Grabes.

Dort zwischen den Grabsteinen und einer Gruppe Koniferen stand jemand. Unbeweglich wie einer der Steinengel.

Paul kniff die Augen zusammen. Nein, kein Steinengel. Dort stand eine junge Frau oder ein Mädchen, vielleicht auch ein Kind. Sie sah ihn direkt an.

Paul schluckte hart. Sicher war es jemand aus der Trauergemeinde, der sich zu einem letzten stillen Abschied noch einmal ans Grab begeben wollte. Mikaeli würde ihn jetzt wahrscheinlich am Oberarm schnappen und zum Rückzug zwingen. Trauernde wollten keinen Totengräber sehen.

Aber irgendetwas hinderte Paul daran, zu gehen. Seine Glieder waren wie mit Beton ausgegossen. Alles, was er tun konnte, war dastehen und zusehen, wie die junge Frau auf ihn zukam. Dass sie kein Mädchen war, konnte er nun genau erkennen. Ein leichter Wind presste ihr dunkles Gewand gegen ihren Leib, sodass sich ihre weiblichen Rundungen darunter zeigten. Nein, sie war kein Kind. Auch wenn sie nicht größer als eine Zwölfjährige war.

Unmittelbar vor Paul blieb sie stehen. Sie war so nahe, dass er den Duft ihres Haares riechen konnte. Duft? Es war mehr ein Geruch. Eine Mischung aus Erde und feuchtem Stein. Ihr Kleid war aus einem fadenscheinigen Stoff nicht definierbarer Farbe und kompliziert um ihren Körper gewickelt, mal in mehreren Lagen, mal nur einfach, sodass ihre weiße Haut durchschimmerte.

Einen Augenblick lang, der Paul wie die Ewigkeit vorkam, standen sie sich schweigend gegenüber. Er, gefesselt von ihren hellgrauen, großen Augen und der Fülle ihres schwarzen strähnigen Haares, das ihr über die nackte Schulter fiel. Sie, eingehüllt in eine Aura kühler Überlegenheit.

»Entschuldigen Sie«, stieß Paul schließlich hervor, als er sich nur schwer von ihrem Anblick losreißen konnte. »Ich wollte Sie nicht stören.«

Obwohl sie alles andere als sorgfältig gekleidet war, kam er sich in ihrer Gegenwart wie ein Penner vor. Sie hatte die Ausstrahlung einer Königin.

Verwirrt senkte Paul den Blick. Da entdeckte er, dass sie ihm ihre geöffnete Hand entgegengestreckt hielt. Auf ihrer Handfläche lag seine Uhr.

»Das ist ja meine ... Wie hast du sie ...?« Er nahm die Uhr an sich und streifte sie sich über das Handgelenk. In dem silbernen Uhrband hatten sich feuchte Klümpchen Lehmerde verfangen. »Danke«, sagte Paul.

»Warum danke?« Ihre Stimme war Honig an diesem heißen Sommertag.

»Weil ich sehr daran hänge. Die Uhr hat meinem Großvater gehört. Ich habe mir echt Sorgen gemacht. Wenn ich sie nicht mehr gefunden hätte ... Ich weiß nicht. Sie ist nicht wertvoll.« Paul grinste verlegen und strich über das Ziffernblatt. »Nur für mich.«

»Für dich«, wiederholte sie versonnen und blickte durch Paul hindurch. Dann machte sie unvermittelt einen Schritt auf ihn zu. »Jemand wie du sollte sich keine Sorgen machen müssen. Nie mehr.«

Ihre Worte hüllten ihn ein wie Morgennebel, legten sich wie Tau über sein Gemüt.

»Du bist zu gut«, sprach sie weiter, »zu warm. Zu schön.«

Obgleich wie hypnotisiert vom Klang ihrer Stimme, verzog Paul den Mund zu einem verächtlichen Grinsen.

»Schön?«, stieß er hervor. »Klar!«

»Ja«, flüsterte sie und legte ihre kleine, bleiche Hand auf seine Brust. »Da drinnen.«

Aber Paul schüttelte ihre Hand ab und trat einen Schritt zurück. Der Verlust ihrer unmittelbaren Nähe ließ ihn frösteln. So muss es sein, wenn man seine Haut abstreift, durchzuckte es ihn. Aber es war schon so oft so gewesen. Er war so oft von hübschen Frauen zum Narren gehalten worden. Diese Zeiten waren vorbei. Er war fünfundzwanzig und kein Sklave seiner Triebe mehr.

»Okay, okay«, sagte er, »ich muss jetzt wieder los. Mein Beileid zu deinem Verlust und danke für die Uhr.« Damit wandte er sich um und wollte gehen. Doch im nächsten Moment spürte er ihre Hände auf seinen Schultern, die ihn zwangen, sich wieder umzudrehen.

»Hey, was ...« Ihre Kraft verblüffte ihn derart, dass es ihm die Sprache verschlug.

Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sie einander stumm in die Augen. Dann zog sie ihn an sich. Das gleißend helle Licht des Sommertags versank in einer warmen, morastigen Dunkelheit. Es roch nach Erde, nach feuchtem Stein und ewigem Frieden.

Sie küsst mich, dachte Paul. Sie küsst mich tatsächlich. Mich!

Es war sein letzter Gedanke. Ein Abschied für immer.

Niederösterreich, August 2020

Hannas Zunge fuhr über den Klebestreifen des Zigarettenpapiers. Mit einer blitzschnellen, geübten Bewegung drehte sie die Zigarette zusammen und steckte sie sich zwischen die Lippen. Dort hing sie, während der Beamte ihr gegenüber redete und redete.

»Haben Sie Feuer?«, unterbrach ihn Hanna schließlich.

Wortlos schob er ihr eine Streichholzpackung über den Tisch. Café – Pub WunderBar. In letzter Zeit schossen die wie die Pilze aus dem Erdboden. WunderBars, UnsichtBars, sogar FurchtBars. Warum nicht Unzumutbar oder Bar jeden Verstandes?

»Das wäre wirklich hilfreich, Frau Frey. Frau Frey? Hallo?«

Hanna stieß ihrem Gegenüber den Rauch ins Gesicht und blinzelte, als ob sie eben aus tiefem Schlaf erwacht wäre.

»Ja?«

»Ich sagte, auch wenn Sie wirklich das Gefühl haben, bereits alles gesagt zu haben. Wir müssen wirklich jedem Hinweis nachgehen.«

Hanna verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. »Wirklich?«

»Ja.«

»Aber ich habe nicht das Gefühl, bereits alles gesagt zu haben«, sagte Hanna gereizt, »denn ich habe tatsächlich bereits alles gesagt. Und das an die fünf Mal. Ich kannte Amelie Berger nicht einmal! Was wollen Sie eigentlich noch von mir?« In einem plötzlichen Ansturm von Zorn hieb sie mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Es tat weh. Aber der Schmerz beruhigte sie.

Solche Gefühlsanbahnungen hatte sie in letzter Zeit öfter. Sie überkamen sie wie Flutwellen und zogen sich genauso schnell wieder zurück. Hanna bereute ihren Ausbruch sofort. Auch das war so eine Anbahnung. Auch wenn der Beamte einen überarbeiteten Eindruck machte und anfing, ihr gewaltig auf die Nerven zu gehen, schien er doch ein sympathischer Kerl zu sein. Seine Pedanterie rührte wohl daher, dass er diesmal in Begleitung eines sehr jungen Uniformierten war. Wahrscheinlich ein Auszubildender.

Hanna schenkte ihm wenig Aufmerksamkeit. Doch aus dem Augenwinkel beobachtete sie, dass er sich immer wieder ins kurz geschorene Haar fasste, woraus sie schloss, dass er es vor nicht allzu langer Zeit noch lang getragen hatte. Überhaupt schien er es faustdick hinter den Ohren zu haben. Seine brave Erscheinung wirkte wie eine neue Haut, in der er sich noch nicht recht zu Hause fühlte.

»Sehen Sie«, fing sein älterer Kollege wieder zu sprechen an, »wir haben Grund zur Annahme, dass der Brand absichtlich gelegt wurde. Davon wurden Sie doch bereits in Kenntnis gesetzt, oder?« Er wartete nicht auf eine Antwort, wurde eifrig. »Es wurden Spuren von Brandbeschleuniger gefunden. Blitzschlag kann ausgeschlossen werden. Die Beweislast gegen Ihre ehemalige Mitarbeiterin Amelie Berger ist zudem erdrückend. Sie drohte mehrmals an, Herrn Birkin umzubringen. Ihr genauer Wortlaut damals war ...« Er blätterte in seinem Notizheft. »Die ganze Bude gehört abgefackelt und dieser Bastard gleich dazu. Das war Teil ihrer Aussage, als der Unfalltod von Leopold Frey untersucht wurde. Es wäre also in Ihrem Sinne, Frau Frey, wenn Sie ein wenig kooperativer wären. Der Tierpark wurde vor Kurzem neu eröffnet, oder? Es wäre wirklich in Ihrem Sinne, wenn diese Sache rasch aus der Welt geschafft würde. Der Ruf des Wildparks ist nicht gerade herzerwärmend. Wirklich nicht.«

»Wirklich«, echote Hanna sarkastisch und lehnte sich zurück. »Trotzdem kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«

»Gut.« Der Polizist erhob sich. Entnervt ließ er seine Fingerknöchel knacken. Kurz machte es den Anschein, als würde sein junger Kollege ebenfalls aufstehen. Aber der Ältere legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich geh mal raus«, sagte er. »Du machst hier weiter. Ist eine gute Übung.« Damit verließ er Hannas Büro.

Sie hörte seine Schritte auf der Treppe, die Tür unten ins Schloss fallen. Der junge Mann ihr gegenüber rückte sich seinen Stuhl näher an den Schreibtisch und räusperte sich.

»Bist du noch in der Ausbildung?«, erkundigte sich Hanna spitz.

Er lächelte verlegen, fasste sich zum wiederholten Mal an den Kopf und strich über die Haarstoppel.

»Die Theorie habe ich schon«, erklärte er ausweichend.

Hanna winkte ab. »Geht mich ja auch nichts an. Wie heißt du?«

»Ich ... Also, eigentlich sollte ja ich die Fragen stellen, oder?«

»Schieß los.«

Hanna hatte ihre Zigarette zu Ende geraucht und drückte den Stummel in ihrem Aschenbecher aus. Dann lehnte sie sich behaglich zurück, Wobei sie die Beine seitlich über den Tisch legte. Der junge Polizist schmunzelte leise.

»Okay«, sagte er gedehnt, »dann schieß ich mal los. Ich habe die Bilder der Überwachungskamera gesehen.«

Unbeeindruckt zuckte Hanna mit den Schultern. Es gab nur eine Kamera im Wildpark, und die war im Eingangsbereich. Was sollte man da schon großartig sehen?

»Joachim Moor«, sagte der Polizist, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Äußerlich genauso unnahbar und kühl wie zuvor, fing Hannas Innerstes an zu Kochen bei der Erwähnung dieses Namens. »Er war hier. Kennen Sie ihn?«

Sie tat so, als müsste sie über diese Frage nachdenken und schüttelte dann den Kopf. »Nein.«

»Sie lügen!«

Sein Blick hatte etwas derart Vertrauenserweckendes, dass Hanna sich ihm am liebsten an die Brust geworfen und alles erzählt hätte. All das Schreckliche. All das Unmenschliche, Widernatürliche, Grausige. Aber sie konnte es nicht. Stattdessen erhob sie sich ebenfalls, stützte sich auf die Tischplatte und blickte ihm gerade in die Augen.

»Ich lüge nicht.«

»Ihr Mitarbeiter, Stefan Kramer, hat mit ihm gesprochen. Er wurde von Herrn Moor bedroht. Er sagte, das wäre geschehen, nachdem er aus Ihrem Büro gekommen war, Frau Frey, und nach Ihnen gesucht hatte. Warum sucht jemand nach Ihnen, der Sie gar nicht kennt? Warum kommt jemand aus Ihrem Büro, den Sie gar nicht kennen?«

Hanna ließ seine Fragen im Raum stehen, erhob sich und schritt resolut zur Tür.

»Stefan hat gar nicht erwähnt, dass er verhört wurde«, sagte sie betont unschuldig. »Vielleicht, weil er gar nicht offiziell verhört wurde? Vielleicht, weil du noch gar niemanden verhören darfst?« Sie bedachte ihn mit einem geringschätzenden Blick und öffnete die Tür.

»Joachim Moor«, beharrte der Bursche stur und ignorierte die stumme Aufforderung zu gehen. »Sie kennen ihn. Wo ist er?«

»Dieser – wie heißt er noch – Moor? Der hat mit der Sache nichts zu tun«, sagte Hanna. »Dass er an diesem Tag da war, war reiner Zufall. Er war nur Besucher des Tierparks. Das ist alles. Ich weiß nicht mehr, was er von mir wollte. Er war nicht der Einzige, der an diesem Tag mein Büro aufgesucht hat. Du musst dir eine andere Möglichkeit suchen, um dich hervorzutun. Du bist auf dem Holzweg. Geh jetzt bitte. Ich habe noch zu tun.«

»Wo ist er?«

»Keine Ahnung. Ich kenne ihn nicht, verdammt!«

»Sie ...«

In diesem Moment hörte Hanna die Treppe knarzen. Kurz darauf erschien der ältere Polizist. Erstaunt hob er die Brauen, als er Hanna in der Tür stehen sah.

»Sagen Sie Ihrem Lehrling, dass ich noch zu tun habe«, blaffte sie ihn an.

Daraufhin stand der Bursche endlich auf und ging zur Tür.