Gewittergäste - Dirk Petersdorff - E-Book

Gewittergäste E-Book

Dirk Petersdorff

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

WEST-ÖSTLICHE SEELENLAGEN

Was ein harmonisches Abendessen werden sollte, läuft völlig aus dem Ruder: Jenny und Friedrich, aus dem Westen stammend, im Osten lebend, haben Bekannte aus Brandenburg eingeladen. Mit einer überraschend explosiven Mischung aus schwülem Wetter, kratzbürstigen Gästen und lärmenden NATO-Hubschraubern hinterlässt dieser Abend bei jedem seine Spuren.
Es soll ein anregender, harmonischer Abend werden. Jenny und Friedrich, ein Ehepaar mittleren Alters aus Westdeutschland, das seit einem Jahrzehnt mit den beiden Söhnen in Ostdeutschland lebt, haben Arbeitskollegen Jennys, Rolf und Beate aus Brandenburg, zum Essen eingeladen. Außerdem hat sich Tine, eine ehemalige Freundin Friedrichs, angekündigt. Aber nicht nur das Wetter - ein schweres Gewitter zieht auf - sorgt für erhebliche Unruhe. In der Nähe findet eine NATO-Übung statt und ein ehemaliger Sowjetsoldat, der einem Kameraden nachtrauert, soll sich hier herumtreiben. Vom ersten Moment an bringen Rolf und Beate insbesondere Jenny aus der Fasson und Friedrich in Verlegenheit, sarkastisch, gekränkt, angriffslustig. Noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen brechen sich Bahn, die attraktive Tine, plötzliche Besucher und das tobende Gewitter sorgen für zusätzliche Spannung, und dann gerät auch noch ein Kampfhubschrauber ins Trudeln …

  • Kurzweilig, amüsant, fesselnd und unterhaltsam – die neue Novelle von Dirk von Petersdorff ist so abgründig wie aktuell.
  • Ein Abendessen voller Spannungen und ein abstürzender Kampfhubschrauber
  • Komisch, fesselnd, unterhaltsam – Dirk von Petersdorffs Novelle

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dirk von Petersdorff

Gewittergäste

Novelle

C.H.Beck

Zum Buch

Es soll ein anregender, harmonischer Abend werden. Jenny und Friedrich, ein Ehepaar mittleren Alters aus Westdeutschland, das seit einem Jahrzehnt mit den beiden Söhnen in Ostdeutschland lebt, haben Jennys Arbeitskollegen, Rolf und Beate aus Brandenburg, zum Essen eingeladen. Außerdem hat sich Tine, eine ehemalige Freundin Friedrichs, angekündigt. Aber nicht nur die explosive Mischung der Gäste und das Wetter – ein schweres Gewitter zieht auf – sorgen für Unruhe: In der Nähe findet eine NATO-Übung statt, ein ehemaliger Sowjetsoldat, der einem Kameraden nachtrauert, soll sich hier herumtreiben. Vom ersten Moment an bringen Rolf und Beate insbesondere Jenny aus der Fasson und Friedrich in Verlegenheit, sarkastisch, gekränkt, angriffslustig. Noch immer unverstandene west-östliche Seelenlagen brechen sich Bahn, die attraktive Tine, plötzliche Besucher, das tobende Gewitter sorgen für zusätzliche Spannung und dann gerät auch noch ein Kampfhubschrauber ins Trudeln … Kurzweilig, amüsant, fesselnd und unterhaltsam – die neue Novelle von Dirk von Petersdorff ist so abgründig wie aktuell.

Dirk von Petersdorff, geboren 1966, lebt in Jena, wo er an der Friedrich-Schiller-Universität lehrt. Er veröffentlichte u.a. Essays, die Erzählung «Lebensanfang» (2007), den Roman «Wie bin ich denn hierhergekommen» (2018) und mehrere Gedichtbände, zuletzt «Sirenenpop» (2014) und «Unsere Spiele enden nicht» (2021). Er erhielt u.a. den Kleist-Preis und den Preis der LiteraTour Nord. Er ist auch Herausgeber des «C.H.Beck Gedichtekalenders».

Inhalt

Gewittergäste

Gewittergäste

Besorgt blickte Jenny auf die Risse im bräunlichen Rasenstück. Dahinter wucherten und blühten die weißen Rosen, die sie jeden Abend wässerte. Sie stand vor der Haustür, um Paul zu verabschieden, der noch im Flur heruntergebeugt in seinem Schulrucksack wühlte.

«Hast du die Trinkflasche, Pauli?»

Auch die Bäume im Hof ihrer Wohnanlage litten unter der wochenlangen Trockenheit. Die oberen Äste kahl und mit abgeschabter Rinde herausstehend, die Blätter am Anfang des Sommers schon dünn und gelblich. Die Nachbarin setzte vor und hinterm Haus Rasensprenger ein, deren Wedeln Jenny vergeblich vorkam, das Wasser schien schon in der Luft zu verdunsten.

Da öffnete sich die Tür der anderen Hälfte des Doppelhauses, und der Sohn eilte heraus. Auch Paul war fertig und durfte als Zehnjähriger am Ende des letzten Grundschuljahres nicht mehr geküsst, doch immerhin umarmt werden.

«Macht’s gut, ihr beiden!»

Die Frauen blieben noch zu einem kurzen Gespräch stehen. Die Nachbarin erkundigte sich nach den Plänen für die Ferien, ob Georg noch mit ihnen verreise. «Wollte er nicht zu einer Summer School in die USA, ihr habt mal so etwas erzählt?» Jenny antwortete schnell, dass nichts feststehe, überhaupt nichts. «Er plant auch eine Radtour mit seinen Freunden an der Elbe oder so. Wenn ich nachfrage, sagt er, ‹Äh, vielleicht›. Was willst du machen?»

Während sie sich rechtfertigte, dachte sie: Muss man mit siebzehn zu einer Summer School? Soll er doch in seinem Zimmer Gitarre spielen und dazu laut singen oder in seinen U-Boot-großen Schuhen Basketball playen, wie er sagt. Laut fügte sie hinzu: «Vielleicht machen wir uns einfach zu viele Gedanken.»

«Natürlich. Aber was auf uns zukommt, auch im Großen, ich weiß nicht.»

Sie wurden von einem herannahenden Geräusch unterbrochen, einem schweren Rotieren. Ihr Haus auf halber Höhe am Hang, unten die kleine Stadt mit dem Fluss, über der drei Hubschrauber erschienen und näher kamen. Nicht die üblichen kleinen, sausenden Rettungshubschrauber, sondern große, dunkle, die mit langen Rotorflügeln die Luft zerflatschten. Das dröhnte. «Ah, habe ich in den Nachrichten gehört, es ziehen Militärhubschrauber zu einem Manöver nach Polen durch. Kann den ganzen Tag so gehen, auch nachts, großes NATO-Manöver», erklärte die Nachbarin gegen den Lärm.

Sie sahen den stählernen Käfern, die scheinbar ganz langsam flogen, hinterher, bis das Beben nachließ.

«Ach ja, wir bekommen heute Abend Besuch», sagte Jenny, «falls es etwas lauter werden sollte.»

«Ich bitte dich. Wieso laut, was soll denn sein. Schönen Tag dir.»

Jenny saß auf dem Küchenhocker und blickte durch die bodentiefen Fenstertüren in die Sonne und die dünner werdende Staubwolke der Hubschrauber überm Tal. Dann musste sie an den Abend denken, der vielleicht problematisch werden könnte. Eigentlich nichts Schlimmes. Sie hatte einen neuen beruflichen Bekannten eingeladen, der sich an ihre Stadt aus DDR-Zeiten erinnerte, «vor Ewigkeiten, das glaubt keiner», wie er am Telefon lebhaft gesagt hatte, und er und seine Frau wären neugierig, wie es heute ausschaue bei ihnen. Bestimmt alles völlig verändert. Jenny hatte, «Ah ja», gesagt, und er nach einer Pause: «Von uns hier in Brandenburg zu euch herüber ist es nicht weit.» Er arbeitete bei einer Krankenkasse und beriet Jennys Firma, die ein Fitnessprogramm für ihre Mitarbeiter aufbauen wollte.

Also hatte man den heutigen Freitag verabredet, alles nett und harmlos, aber im letzten Telefonat hatte dieser Rolf abfällige, geradezu krawallige Bemerkungen über «die Syrer hier überall» gemacht, «Lungervögel» hatte er gerufen, die man wieder loswerden müsse. Erschrocken hatte Jenny, «Aber das kann man doch so nicht sagen», geantwortet, «was meinst du?», worauf Rolf laut geschnauft und das Thema gewechselt hatte. All diese rechten und feindlichen Stimmungen im Land machten sie unglücklich. Neulich in einem Nachrichtenfilm über ein Treffen dieser Gruppe: tausend angespannte Gesichter, die aufflammten unter zornigem Applaus. Sie hatten sich unter einem Kaiserdenkmal getroffen. Aber ob es denen um die Erinnerung an die alten Kaiser ging? Der Vorsitzende mit seinem irrlichternden Blick kam Jenny eher wie vom Führer ferngesteuert vor.

Vor ein paar Wochen war sie nachts aufgewacht und in die Küche gegangen, um etwas zu trinken. Von draußen merkwürdige Laute, zischend und trommelnd zugleich, die sie nicht einordnen konnte. Als sie das Fenster öffnete: Rufe aus einer Kleingartenanlage, die hinter einem Wall lag. Gepresste Stimmen, die immer wieder «Deutschland», «Deutschland» ausstießen. Wie Einpeitscher bei einem Fußballspiel, aber es fand kein Spiel statt, nur die Dunkelheit und darin drohend, lustvoll und wie berauscht: «Deutschland», «Deutschland», «Deutschland». Die riefen sich in Rage. Sie hatte das Fenster geschlossen, war ins Bett zurückgegangen, Decke übers Ohr.

Jedenfalls sorgte sie sich, ob Rolf heute Abend Bemerkungen machen würde, die zu Streit führen mussten. Und die Struktur seiner Frau, wie die denkt, wer weiß. Sie wünschte sich Freitagabendharmonie, entspanntes Plaudern. Hinzu kam eine andere Situation: Friedrich war auf die Idee gekommen, eine Jugendfreundin, die er Tine nannte und die sich spontan gemeldet hatte, dazuzuladen. Das sei natürlicher und entspannter, als wenn er sich allein mit ihr treffe, auf ihrer kurzfristigen Urlaubstour, hatte er im Vorbeigehen erklärt. Aha. Wieso eigentlich? Sie kannte diese Tine nur als Foto in einem alten Pappkarton. Da lehnte sie in einem sehr sommerlichen Top verzückt an Friedrich. Ein markanter, hochgeschwungener Zopf – das Foto damals gleich wieder in die Kartontiefe zurückgelegt.

Was tun? Sie überlegte, noch jemanden einzuladen. Am Esstisch war der sechste Platz noch frei, Symmetrie war hilfreich, und ein friedlicher Gast könnte als Puffer zwischen Konfliktparteien dienen, oder auch im Fall von Eifersüchteleien, die entstehen könnten wegen dieser Tine? Sie ging einige Namen und Gesichter durch, aber alles zu kurzfristig, unglaubwürdig oder mit neuen Problemen verbunden – sie würde es allein schaffen. Sie schrieb die Zutaten für das Abendessen raus, leichte Quiche Lorraine, zur Hälfte mit, zur anderen Hälfte ohne Speck, ein knackigfrischer Salat dazu und als Nachtisch Eis, besser ohne Sahne, die in der Schwüle abends nicht fest werden würde. Sie legte Wein- und Wasserflaschen in den Kühlschrank, nahm die Gemüseschublade heraus, um lieber noch mehr Wein zu kühlen, man weiß nie. Hatte dieser Rolf sich praktisch selbst eingeladen, und hatte seine Stimme gedröhnt? Ach was. Die wildfremde Tine? Auch ach was.

Friedrich und Georg blieben auf ihrer Autofahrübung länger unterwegs als gedacht. Die beiden wollten die kühle Morgenstunde nutzen und schnell über den Hügel hinterm Haus auf die hohe, weit gestreckte Ebene fahren, damit Georg heimlich auf einem Feldweg Gas geben und schalten lernen konnte. Bevor es mit den richtigen Fahrstunden losging. Sie stellte sich das gut für die beiden vor. Wuschelte ihre helle Bobfrisur durch, Sommerblazer überm T-Shirt, passte, und zog die Haustür hinter sich zu. Viel lag in der Personalabteilung an einem Freitag nicht an, um drei zurück sein. Als sie die Treppe auf den Hof runterging, hatte der Backofen des Tages schon mit dem Aufwärmen begonnen.

Friedrich sah seinen Sohn von der Seite an. Georg saß angespannt auf dem Fahrersitz. Das Lenkrad hielt er fest umklammert und gab Gas. Der Motor heulte stoßartig auf.

«Nicht zu viel. Und jetzt ganz langsam den Fuß von der Kupplung hochbewegen.»

Das Auto tat einen Sprung. Der Motor ruckte aus, sie hingen in den Gurten. Georg schüttelte den Kopf, sah zu den Pedalen hinunter und startete erneut. Beim folgenden Versuch schlichen sie mit Vollgasgeräusch und fast durchgetretener Kupplung den leicht ansteigenden Pfad neben einer Wiese entlang. Georg bremste und nahm den Fuß von der Kupplung. Ein Poffen und Kracken. Sie wurden durchgerüttelt. Gut, dass sie den alten Toyota noch behalten hatten und kein neues Auto leiden musste.

«Was mach ich falsch?»

Georg war ein Kerl, groß, breitschultrig und hell, Friedrich fand ihn imposant. Er konnte sicher und stark wirken, wenn er im Hausflur mit Schulterblick Tschüs sagte und in die Welt hinausging, das hieß, die Haustür knallen ließ. Aber wenn er so seitlich fragend und unglücklich herübersah, war er wieder das kleine, runde Kind mit den weichen, schutzlosen Gesichtszügen. Wie damals auf der Außenwendeltreppe vor ihrer alten Wohnung, wo er mit großen Augen in die Himmelsweite blickte: so hohe Wolken, so viele Fragen.

«Ich hab’s gemacht, wie du gesagt hast.»

«Es dauert. Als mein Vater damals mit mir geübt hat: genauso. Koordination.»