Ghost Station - Dan Wells - E-Book
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Ghost Station E-Book

Dan Wells

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Beschreibung

Auf den Spuren eines Verräters in den Zeiten des Kalten Krieges.

Oktober 1961: Als leitender Kryptograph einer Abhörstation der CIA in Berlin ist Wallace Reed dafür zuständig, die Nachrichten ihres wichtigsten Doppelagenten zu decodieren. Doch eines Tages schickt dieser eine Nachricht, die keinen Sinn ergibt – hat es die Stasi geschafft, einen eigenen Agenten innerhalb der CIA zu platzieren? Reed folgt der Spur nach Ostberlin – aber die größte Gefahr droht ihm von den Menschen, die ihm am nächsten stehen. 

Ein atemberaubender Spionage-Roman in der spannungsgeladenen Zeit kurz nach dem Mauerbau.

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Über das Buch

Auf den Spuren eines Verräters im Berlin des Kalten Krieges

Oktober 1961: Als leitender Kryptograph einer Abhorchstation der CIA in Berlin ist Wallace Reed dafür zuständig, die Nachrichten ihres wichtigsten Doppelagenten zu decodieren. Doch eines Tages schickt dieser eine Nachricht, die keinen Sinn ergibt – hat es die Stasi geschafft, einen eigenen Agenten innerhalb der CIA zu platzieren? Reed folgt der Spur nach Ostberlin – aber die größte Gefahr droht ihm von den Menschen, die ihm am nächsten stehen …

Ein atemberaubender Spionage-Roman in der spannungsgeladenen Zeit kurz nach dem Mauerbau

Über Dan Wells

Dan Wells studierte Englisch an der Brigham Young University in Utah. Seinen ersten Roman schrieb er noch zu seiner Studienzeit, seine Werke wurden erfolgreich verfilmt sowie für zahlreiche Preise nominiert. Mehrere Jahre verbrachte er in Deutschland, vor allem zu Berlin fühlt er eine starke Verbindung. Derzeit lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern in North Salt Lake, Utah.

Matthias Frings, 1953 in Aachen geboren, war Journalist und Fernsehmoderator und lebt als Schriftsteller in Berlin. Er studierte Anglistik, Germanistik und Linguistik. In den 80er Jahren veröffentlichte er mehrere erfolgreiche Sachbücher, darunter »Liebesdinge. Bemerkungen zur Sexualität des Mannes.« Ab 1986 arbeitete er als Radiomoderator beim SFB. Von 1993 an war er Redaktionsleiter und Fernsehproduzent. Bekannt wurde er als Moderator der Sendung »Liebe Sünde«.

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Dan Wells

Ghost Station

Ein Spionage-Roman

Aus dem Amerikanischen von Matthias Frings

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Donnerstag, 19. Oktober 1961, 7:00 Uhr, Berlin-West

Donnerstag, 19. Oktober 1961, 11:30 Uhr, Berlin-West

Donnerstag, 19. Oktober 1961, 15:32 Uhr, Berlin-West

Donnerstag, 19. Oktober 1961, 19:24 Uhr, Berlin-West

Freitag, 20. Oktober 1961, 5:33 Uhr, Berlin-West

Freitag, 20. Oktober 1961, 10:15 Uhr, Berlin-West

Freitag, 20. Oktober 1961, 14:42 Uhr, Berlin-West

Samstag, 21. Oktober 1961, 9:24 Uhr, Berlin-West

Samstag, 21. Oktober 1961, 17:58 Uhr , Berlin-West

Sonntag, 22. Oktober 1961, 8:04 Uhr, Berlin-West

Sonntag, 22. Oktober 1961, 13:07 Uhr, Berlin-West

Sonntag, 22. Oktober 1961, 17:22 Uhr, Berlin West

Montag, 23. Oktober 1961, 7:00 Uhr, Berlin-Ost

Montag, 23. Oktober 1961, 14:07 Uhr, Berlin-West

Montag, 23. Oktober 1961, 18:12 Uhr, Berlin-West

Dienstag, 24. Oktober 1961, 7:45 Uhr, Berlin-West

Dienstag, 24. Oktober 1961, 21:28 Uhr, Berlin-West

Mittwoch, 25. Oktober 1961, 10:42 Uhr, Berlin-West

Donnerstag, 26. Oktober 1961, 9:38 Uhr, Berlin-West

Donnerstag, 26. Oktober 1961, 23:15 Uhr, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 00:03, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 02:21 Uhr, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 10:27 Uhr, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 12:13 Uhr, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 14:42 Uhr, Berlin-Ost

Freitag, 27. Oktober 1961, 15:30 Uhr, Berlin-West

Samstag, 28. Oktober 1961, 11:02 Uhr, Berlin-West

Nachwort

Impressum

Donnerstag, 19. Oktober 19617:00 Uhr Berlin-West Zwei Monate nach dem Mauerbau

Der Zug schien den Atem anzuhalten.

Die Menschenmenge war von Anfang an nicht gerade ausgelassen gewesen. Es herrschte morgendlicher Berufsverkehr, und die meisten Fahrgäste schienen noch halb zu schlafen, während sie in den U-Bahn-Stationen warteten, Zeitungen in den Händen, die sie sich noch nicht getraut hatten aufzuschlagen. In einem schlafwandlerischen Tran waren sie in die U8 gestiegen, hatten einen Sitz ergattert oder hielten sich an den Haltestangen fest. Doch dann hatte die Bahn sich in Bewegung gesetzt, war in die Dunkelheit gekrochen, und die Beschaffenheit dieser Stille hatte sich abrupt verändert. Sie war nicht mehr schläfrig, sondern ernst. Angespannt.

Verängstigt.

Die Geisterbahnhöfe nahten.

Die U8 begann ihre Fahrt im französischen Sektor von Berlin, am Gesundbrunnen, und fuhr dann weiter zur Voltastraße, wo Wallace Reed zugestiegen war. Nun ging es in den Sowjetischen Sektor, wo vor zwei Monaten die ostdeutsche Polizei und Armee damit begonnen hatten, eine Mauer mitten durchs Herz der Stadt zu ziehen. In den ersten Tagen war es Reed ebenso wie allen anderen gelungen, sich vorzumachen, dass dies nur vorübergehend wäre, dass die Mauer nur eine Machtdemonstration darstelle und die ostdeutsche Regierung erreicht hatte, was auch immer sie damit erreichen wollte. Diese Hoffnung löste sich Tage später in Luft auf, als ostdeutsche Truppen damit begannen, die Fenster in den Wohnhäusern entlang der Grenze zuzumauern.

Der erste der Geisterbahnhöfe war die Bernauer Straße, man hatte dort auch die Eingänge vermauert: Dieser Bahnhof befand sich mitten in der Stadt, wurde aber nur von einem westberliner Zug angefahren. Er war nun also nichts weiter als eine Ruine zur Durchfahrt, ein verlassener Bahnsteig, der in der Dunkelheit kaum auszumachen war. Als der Zug hindurchbrauste, schaute Reed aus dem Fenster und sah nichts weiter als schemenhafte Wände und Säulen. In den nächsten beiden Bahnhöfen wiederholte sich dies: Sie waren geschlossen und verlassen wie vergessene Mausoleen. Reed war nicht der einzige Fahrgast, der nach draußen spähte und hoffte, etwas zu sehen, während sie hindurchrumpelten … Irgendetwas. Menschen vielleicht, oder Licht. Andere Mitreisende jedoch sahen überhaupt nicht auf, sondern saßen zusammengesackt auf ihren Plätzen, schliefen oder gaben es vor, hielten sich die Geister vom Leib und dachten an etwas anderes.

Und dann fuhr der Zug durch den Bahnhof Alexanderplatz, und es gelang ihnen nicht mehr, die Geister zu ignorieren, denn man konnte sie hören: Alexanderplatz und die Haltestelle danach, Jannowitzbrücke, wurden auch von Zügen der DDR genutzt. Sie ratterten durch die oberen Ebenen, was alles, wie Reed fand, noch schlimmer machte. Die westlichen Züge durchquerten die östlichen Bahnhöfe wie Phantome, kein Halt, keine Aktivität, nur zwei Parallelwelten, die sich überlappten, ohne sich zu berühren. Umrisse, Geräusche und Erinnerungen, kurz aufgeblitzt und sofort wieder verschwunden.

Zwei Monate, dachte Reed. Zehn Wochen. Neunundvierzig Werktage hin und zurück, was insgesamt achtundneunzig Zugfahrten ausmachte. Achtundneunzig Gelegenheiten für die DDR, zu sagen: »Nein, diesmal lassen wir dich nicht rein.«

Oder schlimmer noch: »Wir lassen dich nicht wieder raus.«

Der letzte Geisterbahnhof war Heinrich-Heine-Straße, und dieser machte Reed immer äußerst nervös. Würden sie diesmal die Durchfahrt schaffen? Würde etwas passieren? Wären die westdeutschen Wartungsarbeiter bei einem Problem auf den Gleisen überhaupt in der Lage, sich ihnen zu nähern? Der leere Bahnhof zog im Schatten vorbei, kaum mehr als ein erweiterter Tunnelbereich, und bald waren sie wieder im Licht, wieder im Westen, und hielten im hellen Bahnhof Moritzplatz. Nun ja, dachte Reed, hier war es zwar nicht gerade betriebsam, aber nach den Geisterbahnhöfen fühlte sich alles an wie eine Explosion von Farbe und Leben. Er musste sich immer zurückhalten, nicht gleich dort auszusteigen und den Rest des Weges zur Arbeit zu Fuß zu laufen, aber es waren nur die Nerven. Jetzt waren sie in Sicherheit. Er atmete durch, als hätte er während der Fahrt durch alle sechs Bahnhöfe die Luft angehalten, und legte noch drei Haltestellen bis Hermannplatz zurück. Dann stieg er in die U7 um, fuhr noch eine weitere Station, stieg am Rathaus Neukölln aus und ging die letzten paar Blocks zu Fuß, ironischerweise wieder in der Nähe der Mauer. Sie wand sich durch die Stadt wie eine Schlange, schwenkte hierhin und dorthin und machte wieder kehrt.

Reeds Büro – von denen, die dort arbeiteten, »Cabin D« genannt – stand genau an der Grenze, so nah, dass Reed, einem plötzlichen Impuls nachgebend, heute noch ein paar Schritte weiter lief und geradewegs vor der Mauer stand. Brusthohe Betonziegel, darauf ein zusätzlicher knapper Meter Stacheldraht. Auf der anderen Seite befanden sich weitere Gebäude, eines davon ein identischer Zwilling seines eigenen. Sie standen sich über die Mauer hinweg wie Spiegelbilder gegenüber: sechs Geschosse mit Fensterbändern, die so nah waren, dass man von einer Seite zur anderen winken konnte. Außerdem gab es dort drüben einen kleinen Park. Reed legte seine Hand an die Mauer – fast irritierend in ihrer Normalität –, während ihn ein paar Meter entfernt ein ostdeutscher Polizist beobachtete. Er gehörte zu den Grenztruppen, umgangssprachlich wenig respektvoll »Grenzer« genannt, die überall waren. Sogar vor dem Mauerbau hatte diese Straße den Übergang vom amerikanischen zum sowjetischen Sektor markiert. Nun war sie sichtbarer und bedrohlicher. Einen halben Block entfernt schwatzten zwei Frauen miteinander, eine auf jeder Seite – lebenslange Nachbarn vielleicht, nun von unterschiedlichen Ländern umgeben. Sollte eine von ihnen versuchen, die Mauer zu überwinden oder auch nur etwas herüberzureichen, würden die Grenzer in Aktion treten. Erst vor ein paar Tagen hatten sie jemanden erschossen, der versucht hatte, einen der Kanäle zu durchschwimmen.

Reed machte es nervös, so nah an der Mauer zu arbeiten, aber es würde wenig Sinn ergeben, sein Büro zu verlegen: Er war Kryptograph und sein Büro eine Abhörstation, dazu bestimmt, die Sowjets und die DDR auszuspionieren. Er gab der Mauer einen abschließenden Klaps, machte kehrt und betrat das Gebäude.

Es war ein Wohnhaus wie die meisten in dieser Gegend, aber ein komplettes Stockwerk war in Büros umgewandelt worden. Sie wurden von zwei Geheimdiensten genutzt, der amerikanischen CIA und dem deutschen BND. Vor Reeds Zeit hatte jemand die beiden Akronyme zusammengerührt und den Ort »CABIN D« getauft. Reed fand das abgedroschen, aber der Name hatte sich gehalten.

Er nahm den Aufzug in den vierten Stock und zeigte dem Wärter seinen Ausweis. Der Mann winkte ihn durch, und Reed betrat das Büro.

»Wer kommt denn da?«, rief Frank Schwarz, der dünn lächelnd von seinem Schreibtisch aufsah. »Schön, dass du auch mal auftauchst.«

»Lass ihn zufrieden«, schnaubte Chuck DeMille. »Er ist nur zwei Minuten zu spät. Wo sind wir hier, Ostdeutschland?«

»Nicht lustig«, murmelte Harald Wagner, der Neue in ihrer Dienststelle. Reed wusste noch nicht, was er von ihm halten sollte – er fand es kompliziert genug, überhaupt mit Menschen zu kommunizieren, und Wagner machte es ihm noch schwerer, indem er sich wie die absolute Verkörperung des humorlosen deutschen Pragmatikers gab.

»Er war an der Mauer«, sagte eine weitere Stimme mit Akzent. Reed wandte sich um und sah Johannes Ostertag, seinen Kryptographenkollegen vom BND, der am offenen Fenster saß und eine Zigarette rauchte. Ostertag lächelte. »Ich habe dich gesehen.«

Reed nahm an seinem Schreibtisch Platz und griff sich den Stapel Papiere, den die Sekretärin für ihn dort abgelegt hatte. »Hätte ich mir denken können«, sagte er. Smalltalk war seine Sache nicht, er redete überhaupt nicht gern, bemühte sich aber, besser darin zu werden. Sollte er noch etwas hinzufügen? Es gab stets nur einen einzigen Grund, warum Ostertag im Fenster saß, und er entschloss sich, danach zu fragen: »Ist sie da?«

»Jeden Morgen«, sagte Ostertag und grinste lüstern. »Meine ostdeutsche Aphrodite.«

»Ich finde das obszön«, sagte Jannick Wohlreich. Er war der Führungsoffizier des Teams, was Reed bei jemandem, der so prüde war, für eine eigenartige Wahl hielt. »All diese Posen, und das in einem öffentlichen Park? Es ist pornographisch.«

»Man nennt es ›Yoga‹«, sagte Frank. »Das ist das neue große Ding in New York.«

»Dann sollen sie das in New York machen«, meinte Wohlreich.

»Ich finde, sie sollte genau da sein, wo sie jetzt ist«, sagte Ostertag und blickte feixend aus dem Fenster, »und genau das tun, was sie gerade tut.«

Wohlreich grummelte, Reed lachte. Dann erklang eine Frauenstimme, und die Stimmung im Zimmer wechselte abrupt von Lüsternheit zu Verlegenheit.

»Sie ist auf der anderen Seite der Mauer«, sagte Lise Kohler. Sie war gerade vom Flur hereingekommen; Reed hätte über Ostertags Scherze nicht gelacht, wenn sie im Raum gewesen wäre. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und nahm Platz. »Ihr könnt es also vergessen.«

»Die Mauer hält mich nicht vom Gucken ab«, sagte Ostertag grinsend.

Lise zog die Augenbrauen in die Höhe. »Warum jemanden anstarren, mit dem man nie reden kann?«

Ostertag lächelte immer noch. »Warum eine gute Beziehung durch Reden aufs Spiel setzen?«

»Das«, sagte Wohlreich, »ist wohl der übelste Kommentar aller Zeiten.«

»Leute, wir sind hier im Büro!«, rief der stoische Wagner. »Ein paar von uns versuchen, zu arbeiten.«

Ostertag nahm noch einen Zug von seiner Zigarette, schnipste sie dann aus dem Fenster und schloss es. »Gibt dieser Tage sowieso nicht viel zu gucken«, sagte er. »Es ist zu kalt. Sie hat Trainingshosen an.«

»Widerlich«, grummelte Wohlreich.

Ostertag grinste und ließ sich am Schreibtisch gegenüber von Reed nieder.

Im Hauptbüro der Cabin standen acht Tische zu Paaren arrangiert: zwei Analysten, DeMille und Lise; zwei Überwachungsleute, Wagner und Frank; zwei Kryptographen, Reed und Ostertag; und ein viertes Paar, zu dem Wohlreich gehörte, der Führungsoffizier, und Gisela Breuer, die Rechercheurin. Gisela und Lise waren die einzigen Frauen in der Gruppe und mit der Sekretärin die einzigen Frauen in der Cabin überhaupt. Wohlreich und Lise kamen vom BND, aber die anderen Paare waren halbe-halbe: BND und CIA. Ähnliche Abhörstationen gab es überall in der Stadt, jede etwas anders strukturiert, aber alle auf dasselbe Ziel ausgerichtet: alles zu erfahren, was die andere Seite vorhatte, bevor es in die Tat umgesetzt wurde. Der Mauerbau hatte sie kalt erwischt. Sie hatten sich geschworen, dass ihnen das nicht noch einmal passieren würde.

Gisela fegte in den Raum und legte einen neuen Bericht auf die jeweiligen Schreibtische der Beamten. »Neue Informationen über Werner Probst«, erklärte sie. »Sieht so aus, als wäre er kriminell gewesen.«

»War es eine Hinrichtung?«, fragte Ostertag.

»Nein«, sagte Gisela und nahm Platz. »Definitiv ein Fluchtversuch. Aber er hatte ein Vorstrafenregister.«

Reed überflog den Bericht. Werner Probst hatte vor fünf Tagen versucht, aus der DDR zu fliehen, indem er einen Kanal durchschwamm. Er war in der Nähe der Schillingbrücke ins Wasser gegangen, wahrscheinlich in der Hoffnung, im Schatten der Brücke weniger aufzufallen, aber die Grenzer hatten ihn gesehen, gewarnt und auf ihn geschossen, als er sich weigerte, umzukehren. Er war am westlichen Ufer gestorben, doch die DDR hatte ihn mit einem Boot abgeholt und zurücktransportiert, bevor jemand aus dem Westen reagieren konnte. Der BND hatte bis vor Kurzem noch nicht einmal seinen Namen feststellen können. Jetzt war Gisela an weitere Informationen gekommen: Probst war fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, hatte die Uni geschmissen und war wegen Diebstahls verhaftet worden. Bevor er starb, wohnte er bei seinen Eltern.

»Das passt nicht ins Profil«, sagte Ostertag. »Mauerflüchtlinge sind Idealisten oder wenigstens ideologisch motiviert. Dieser Mann wirkt, als hätte er glücklich und zufrieden in einem Staat gelebt, der entschlossen gewesen war, sich um ihn zu kümmern.«

»Vielleicht liebte er die Freiheit um ihrer selbst willen«, sagte Frank. »In der Schule wollte er nicht von Lehrern herumgeschubst werden und außerhalb nicht von den Kommunisten.«

»Die Wohnung seiner Eltern befindet sich nur wenige Straßen von der Brücke entfernt«, sagte Lise und tippte auf den Report. »Legt nahe, dass es vielleicht eine impulsive Tat war, nicht unbedingt geplant.«

»Und er passt ins Profil«, sagte DeMille. »Nicht für Flüchtlinge, aber für Agenten.«

Ostertag runzelte die Stirn. »Einer von uns?«

»Einer von ihnen«, sagte DeMille. »Werner Probst gehört zu genau der Sorte Mann, welche die Stasi gern benutzt: bewegte Vergangenheit, wacklige Gegenwart. Jemand, der moralisch flexibel genug ist, ihre Arbeit erledigen zu können, und arm genug, es zu müssen.« Chuck schürzte die Lippen, starrte auf das Papier, nickte dann zustimmend. »Fünf Dollar, dass er bei der Stasi war.«

»Nur fünf?«, fragte Ostertag.

»Zehn«, meinte Chuck.

Reed beobachtete schweigsam den Dialog und wünschte, er könne etwas beitragen.

»Also«, sagte Frank. »Warum würden die Russen ihn erschießen?«

»Die Ostdeutschen«, korrigierte Wohlreich.

»Wir alle wissen, dass die Russen dort am Drücker sitzen«, sagte Frank.

»Wenn er ein Stasiagent war«, sagte Lise, »haben die Grenzer, die ihn erschossen haben, es wahrscheinlich nicht gewusst. Was entweder bedeutet, dass er es leid war, Agent zu sein, und sich absetzen wollte, oder er hatte den Auftrag, sich als Doppelagent unter die Flüchtlinge auf der anderen Seite zu mischen, um über unsere Aktivitäten zu berichten. Also sind die Grenzer entweder Helden, weil sie ihn aufgehalten haben, oder jemand wird seinen Job verlieren.«

»Findet raus, was zutrifft«, sagte Wohlreich. Er war nicht ihr Chef, tat aber gerne so. Das Gespräch wurde von Bettina Schaal, der Chefsekretärin, unterbrochen. »Wallace«, rief sie vom Türdurchgang ins Büro. »Wir haben eine neue Nachricht von Longshore.«

Reed schnappte sich Schreibblock und Stift und erhob sich. »Vielleicht weiß er etwas über Probst«, murmelte er. Longshore war ihr eigener Agent, der verdeckt auf der anderen Seite der Mauer arbeitete. Er war schon seit Jahren bei der Stasi und schickte fast täglich eine codierte Nachricht. Zweifellos war er der wertvollste Aktivposten, den die Cabin hatte.

»Viel Glück«, sagte Ostertag mit einem Augenzwinkern für Bettina. Reed legte die Stirn in Falten; der Mann zwinkerte allem zu, was einen Rock trug.

Reed folgte Bettina ins Büro des Chiefs. Gordon Davis saß an seinem Schreibtisch und blätterte in Giselas Report.

»Chief«, sagte Reed und Davis sah auf. »Wir haben eine Nachricht von Longshore.«

»Kam gerade rein«, sagte Bettina. »Sie ist auf dem Rekorder.«

»Gut«, sagte Davis und wies auf Giselas Bericht. »Vielleicht kann das ein wenig Licht in diese Sache bringen.«

»Das hoffen wir auch, Sir«, sagte Reed. »Haben Sie den Bestätigungscode für heute?«

Jede codierte Mitteilung schloss irgendwo eine Bestätigung mit ein, einen geheimen Code im Code, der den Empfänger wissen ließ, dass der Sender nicht kompromittiert worden war. Im Fall von Longshore, wo die Meldungen schlicht als Morsezeichen-Piepton in einer Funkübertragung hereinkamen, tauchte die Bestätigung als erster und letzter Buchstabe jeder Nachricht auf. Nur so wusste man, dass die Mitteilung von der richtigen Person stammte.

»Der heutige Bestätigungscode lautet V«, sagte Davis. »Bringen Sie mir alles, sobald Sie fertig sind.«

»Natürlich, Sir.« Reed nickte dem Chef zu und ging dann in das Nebenzimmer, wo eine Funkanlage schwer auf dem Tisch thronte. Longshores Mitteilungen kamen gewöhnlich am frühen Morgen, aber konnten grundsätzlich jederzeit eintreffen, Tag und Nacht. Deswegen hatte man einen impulsgesteuerten Rekorder aufgestellt, der automatisch alles aufzeichnete, was auf dieser Frequenz einlief. Reed zog die Bandspule vom Aufnahmegerät ab, fädelte ein neues Band ein und brachte das bespielte in ein weiteres Zimmer, das bis auf einen Tisch, einen Stuhl, ein Bandgerät und einen Stahlsafe, der fest an Boden und Wand geschweißt war, vollkommen leer war. Er schloss die Tür hinter sich – sie war entschieden robuster als die restlichen Türen im Gebäude – und schob sorgfältig sämtliche zusätzliche Türriegel vor. Es war der sicherste Raum der Cabin und das aus gutem Grund: Sollte ein feindlicher Agent den Inhalt des Safes in die Hände bekommen, würde man nicht nur Longshores Codes entschlüsseln können, sondern möglicherweise auch seine Identität.

Reed legte Schreibblock und Stift auf den Tisch, dann das Band daneben. Zu guter Letzt zog er seine Waffe aus dem Holster unter seinem Jackett und überprüfte das Patronenlager, um sich zu vergewissern, dass sie geladen und schussbereit war. Es war eine High Standard .22 LR mit integriertem Schalldämpfer, Standardausrüstung für CIA-Geheimagenten. Sollte jemand versuchen, in den Raum einzudringen, während er sich hier befand, war er bereit, sich zu verteidigen.

Reed kniete sich vor das Kombinationsschloss des Safes und arbeitete sich sorgfältig durch die Nummernfolge. Der Safe öffnete sich mit einem Klick, und Reed zog den Code-Schlüssel heraus: ein gebundenes Buch ohne Schutzumschlag, vielleicht drei Zentimeter dick, dessen Einband einige Wasserflecken aufwies. Player Piano von Kurt Vonnegut jr.

Reed fädelte das Band ein, drückte auf Play und hörte dem knisternden, leeren Rauschen zu. Wenige Sekunden später war der erste Teil der Nachricht zu hören: eine etwa acht Sekunden lange Abfolge von Geräuschen in so dichter Folge, dass er sie kaum als Morsezeichen interpretieren konnte. Er lauschte weiter und nach fast sechzig Sekunden ertönte wieder eine Sequenz. Vier weitere folgten, jede acht Sekunden lang, alle im Abstand von ungefähr einer Minute. Er wartete weitere fünf Minuten, lauschte der statischen Stille und vergewisserte sich, dass dies die ganze Mitteilung war: sechs Sequenzen. Er spulte das Band zurück, spielte es verlangsamt ab und begann, die Morsezeichen zu transkribieren; wenn zuvor jede Sequenz acht Sekunden gedauert hatte, waren es nun fast vierzig. Die Punkte und Striche waren jetzt besser zu hören, und er notierte sie, indem er mehrmals zurückspulte und immer wieder lauschte, um sicherzugehen, dass seine Aufzeichnungen korrekt waren. Dann begann er mit dem Decodieren.

Der erste Buchstabe war kein V.

Irritiert blickte Reed auf die Nachricht. Hatte er einen Fehler gemacht? Dies war die einundvierzigste Mitteilung, die Longshore unter Benutzung des Player Piano-Codesystems abgesetzt hatte. Reed hatte jede einzelne von ihnen persönlich decodiert. Er wusste, was er tat, und der erste Buchstabe sollte der Bestätigungscode sein. Doch es war ein X.

Longshore hatte nicht die korrekte Bestätigung benutzt.

Reed stieß einen langen Atemzug aus. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Vielleicht hatte die Stasi ihr Verschlüsselungssystem geknackt – stets eine Gefahr, seit sie begonnen hatten mit Player Piano zu arbeiten – und dies war Longshores Art, der Cabin mitzuteilen, dass jemand zuhörte und die gesamten Informationen in dieser Nachricht bewusst falsch waren. Oder vielleicht war es das viel schlimmere und weit wahrscheinlichere Szenario: dass Longshore entdeckt und enttarnt worden war und die Stasi ihn zwang, Falschinformationen zu senden. So oder so war alles in der Nachricht fragwürdig.

Sein Vorgesetzter würde dennoch wissen wollen, was darinstand. Reed entschlüsselte den zweiten Buchstaben und fand … noch ein X. Es gab nur extrem wenige englische Wörter, die mit einem X begannen, und keines von ihnen würde glaubhaft in der verschlüsselten Botschaft eines Stasi-Doppelagenten erscheinen. Benutzte er eine Abkürzung?

Reed versuchte den dritten Buchstaben und bekam ein C.

Dann ein E.

Dann O, P, J, N und A.

Das war weder eine Abkürzung noch ein Akronym und ließ sich auch mit nichts anderem erklären. Es war Buchstabensalat. Ein falscher Bestätigungscode wäre schon eine Hiobsbotschaft, aber das hier war eine komplett vermurkste Nachricht. Reed überprüfte seine Arbeit erneut und ging dann zur Aufnahme, um noch einmal von vorn zu beginnen. Er spielte das Band noch langsamer ab als zuvor, um sicherzustellen, dass er es richtig transkribiert hatte. Doch alles war korrekt. Seine Methoden waren fehlerfrei, seine Zahlen stimmten.

Und trotzdem war alles bedeutungsloser Nonsens.

Immerhin wussten sie, wie mit einem falschen Bestätigungscode umzugehen war. Sie hatten ihre Abläufe und Pläne für den Ernstfall.

Eine komplette Nachricht jedoch – das war sehr viel schlimmer …

Donnerstag, 19. Oktober 196111:30 Uhr Berlin-West

Wallace Reed und Gordon Davis gingen schnellen Schritts durch die Innenstadt. Die Waffen unter ihren Jacketts waren geladen und schussbereit, ein gepanzerter Aktenkoffer war mit einer Handschelle an Reeds Handgelenk befestigt. Sie waren auf dem Weg Richtung Westen zum US Military Office in der Nähe des Flughafens Tempelhof. Das war nicht mehr nur die Angelegenheit einer einzelnen Abhörstation, die Regierung verlangte einen ausführlichen Bericht.

»Hören Sie auf, sich umzudrehen«, sagte Davis. »Sie sehen aus wie ein Spion.«

»Tut mir leid«, sagte Reed und schüttelte den Kopf. Er zwang sich, durchzuatmen. »Ich bin nur besorgt, dass uns jemand folgt.«

»Natürlich folgt uns jemand«, sagte Davis. »Sein Name ist Wohlreich: Er ist etwa einen Block hinter uns und passt auf uns auf.«

Reed schluckte. »Und wer passt auf ihn auf?«

»Er war der beste Außendienstler des BND, bevor er zu uns kam«, sagte Davis. Er hielt kurz inne, fuhr dann fort: »Und davor der beste bei der Wehrmacht. Er ist in Ordnung.«

Reed blickte geradeaus und versuchte, mit Davis Schritt zu halten. »Ist Ihnen wohl dabei? Mit Nazis zu arbeiten, meine ich.«

»Ehemaligen Nazis.«

»Macht es das besser?«

»Es ist zweifelsohne besser«, meinte Davis. »Ob es gut ist, steht auf einem anderen Blatt.«

»Das gefällt mir überhaupt nicht«, sagte Reed.

»Der BND ist unser bester Verbündeter gegen die DDR und die Sowjetunion«, sagte Davis. »Und der BND hat vieles von seiner Stärke ehemaligen Nazis zu verdanken – er wird von einem geführt, verdammt nochmal. Genau wie Sie bin ich damit nicht glücklich, aber die Kommunisten sind jetzt unsere größere Bedrohung, und die Arbeit von Geheimdiensten erfordert flexible Moralvorstellungen. Sie wissen das.«

»Allerdings«, sagte Reed.

»Und jetzt stecken Sie mittendrin«, sagte Davis. »Die Vereinigten Staaten und die UdSSR sind globale Supermächte, und das verschafft ihnen etwas weit Gefährlicheres als Atomwaffen.«

»Kontrolle?«, fragte Reed.

»Momentum«, sagte Davis. »Sie sind wie diese mechanischen Kinderspielzeuge. Wir haben sie bis zum Anschlag aufgezogen, und sie werden nicht aufhören, bis sie ans Ende gelangt sind.«

»Was ist das Ende?«

»Die Auflösung der Sowjetunion und der Triumph der amerikanischen Demokratie.« Davis warf Reed einen Blick von der Seite zu. »Haben Sie die Werbebroschüre nicht gelesen?«

Reed versuchte, über den Scherz zu lachen, aber Hurrapatriotismus war nicht mehr so lustig, seit jemand eine Mauer hochgezogen hatte. Zu viele Leute nahmen ihn nun ernst. Dennoch versuchte er, brav mitzuspielen. »Natürlich habe ich sie gelesen«, sagte er und lächelte. »Zwei Mal sogar.«

»Geben Sie das niemals öffentlich zu«, sagte Davis. »Wahre Patrioten glauben das alles schon beim ersten Mal.«

Sie liefen weiter, und als sie die Dienststelle in Tempelhof erreicht hatten, zeigten sie am Eingang ihre Ausweise vor. Ein US-Armeesoldat brachte sie zum Aufzug. Im ersten Stock mussten sie nur kurz warten, bis ein Mann von der hiesigen Niederlassung des US-State Departments sie abholte und in sein Büro führte.

»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte er und schloss die Tür. »Ich bin Mike Hogan.«

»Gordon Davis«, sagte Davis und schüttelte ihm die Hand. »Section Chief der Abhörstation 7. Das ist mein leitender Kryptograph, Wallace Reed.«

Hogan streckte die Hand aus, und Reed versuchte, sie zu schütteln, stellte aber fest, dass seine Hand immer noch von der Aktentasche in Beschlag genommen wurde. »Entschuldigung«, murmelte er. Er schob die Tasche in die linke Hand und streckte seine rechte so weit aus, wie die Kette es erlaubte. »Wallace Reed, Sir. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Hogan schüttelte ihm die Hand, ignorierte sein unbeholfenes Gefummel und ging zu dem hohen, schwarzen Sessel hinter seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz. Wie ich höre, haben Sie einen Field Agent verloren?«

»Das ist noch nicht sicher«, sagte Davis, »obwohl es nicht gut aussieht.« Er zog einen kleinen Schlüssel aus einem verborgenen Futteral in seinem Hosenbund, schloss damit die Kette an Reeds Handgelenk auf und benutzte dann einen weiteren Schlüssel, um den Koffer zu öffnen. Die Männer nahmen Platz, und Davis fuhr fort: »Ein BND-Agent mit dem Tarnnamen ›Longshore‹ hat jetzt fast drei Jahre lang für uns als Doppelagent gearbeitet. Er betreibt einen unserer Zahlensender. Als die Mauer gebaut wurde, hielt er die Stellung und sandte uns weiterhin Geheimberichte. Seine letzte Lieferung ist aber … suspekt, gelinde gesagt.«

»Ich bin kein Spion«, sagte Hogan, »vergeben Sie mir also mein Unwissen: Was ist ein Zahlensender?«

»Ein Zahlensender ist einfach jemand mit einem Sendegerät, der über Kurzwelle codierte Nachrichten schickt, meistens als Zahlenfolge«, erklärte Davis. »Es ist eine gute Methode, um Informationen zu übermitteln, besonders in einer Stadt wie dieser, weil der Feind nicht ermitteln kann, wer zuhört, und keinen Schimmer hat, was der Agent sagt. Wir haben fünf oder sechs Zahlensender, die für uns arbeiten, und die Stasi hat ebenfalls mehrere. Unser Job in den Abhörstationen ist es, ihre Zahlen zu transkribieren und herauszufinden, was sie bedeuten.«

»Bei einem Funksignal kann man den Empfänger nicht aufspüren«, sagte Hogan, »aber zu einem Sender kann man es ziemlich einfach zurückverfolgen. Wie ist es Longshore gelungen, dort drüben drei Jahre zu überleben, ohne geschnappt zu werden?«

Davis blickte Reed an: »Wally?«

Reed legte den Aktenkoffer auf seinen Schoß, ließ das Schloss aufschnappen, hob den Deckel an und zog eine kleine Metallschachtel mit vier schwarzen Ziffernblättern heraus. Er versuchte, klar und deutlich zu sprechen, ohne sich seine Nervosität anmerken zu lassen. »Das ist ein FS7- Transmitter, das Standardgerät für verdeckte Operationen. Es passt in eine Hand, ist also tragbar und einfach zu verbergen, aber es kann ein starkes Signal erzeugen, das man überallhin in die Stadt senden kann.«

»Die Gefahr ist nicht die Größe des Senders«, entgegnete Hogan, »sondern die Länge der Übertragung. Wir haben Erfassungsgeräte, die man unter einem Trenchcoat verstecken kann – sie fangen ein Signal auf und summen ein wenig, wenn man sich in der Nähe eines Transmitters befindet. Ich bin mir sicher, dass die Stasi sie ebenfalls besitzt. Wenn Ihr Mann zu lange sendet, können sie ihn aufspüren – wie ein Hund, der etwas wittert.«

»Longshore braucht nie so lange, dass das passieren könnte, Sir«, erklärte Reed. Er legte den Sender auf den Schreibtisch und zog eine weitere, größere Schachtel aus seinem Aktenkoffer. »Hier habe ich ein Codewandlergerät, einen sogenannten Schnellgeber. Das ist ein RT-3 Burst Encoder«, sagte er. »Innen befinden sich zwei Walzen. Lassen Sie es mich demonstrieren.« Er öffnete den Deckel und legte den Mechanismus frei. Hogan beugte sich über den Schreibtisch, um besser sehen zu können. »Diese Stahlwalze hat fünfundzwanzig Seiten, jede mit einem Stufenschalter. Man stellt den Schalter auf die Buchstaben ein, die man senden will, und dreht diese Kurbel. Äh …« In der offenen Schachtel befand sich ein kleiner Griff. Reed entnahm ihn, steckte ihn in ein Loch an der Seite und begann zu drehen. Beide Walzen begannen zu rotieren, die aus Stahl langsam, die kupferne schneller, und während sie sich bewegten, klickte eine Reihe von Metallzacken zwischen ihnen auf und ab.

»Sieht aus wie die Spieluhr meiner Tochter«, sagte Hogan.

»Die Zacken sind elektrische Kontakte«, sagte Reed. »Die Kupferwalze wird von einer Reihe isolierter Stellen durchbrochen, so dass die Verbindung ein- und ausgeschaltet wird, während sich der Kontakt über die Oberfläche bewegt.« Reed lächelte. »Es ist also eine Spieluhr, irgendwie, aber mit einem programmierbaren Morsecode.«

»Nicht schlecht«, sagte Hogan. »Wie schnell kann es übertragen?«

»Man muss die Kurbel dreizehn Mal drehen, um die ganze Walze zu übertragen«, sagte Reed. Normalerweise sind das fünfundzwanzig Zeichen in etwa acht Sekunden, obwohl man unter Zeitdruck die Kurbel in dieses andere Loch stecken kann und es dann in drei schafft.« Er steckte die Kurbel in ein zweites Loch und demonstrierte das schnellere Tempo. »Von unserer Seite aus ist es dann nicht mehr so leicht zu decodieren, denn selbst wenn wir die Aufnahme langsamer abspielen, laufen die Morsezeichen ineinander. Manchmal ist es das aber wert, etwa, wenn man ernsthaft befürchtet, entdeckt zu werden. Die Aufnahme von heute Morgen wurde jedoch in normaler Geschwindigkeit hergestellt. Wir haben eine klare Entschlüsselung.« Reed betätigte die Schalter, klickte sich durch jeden einzelnen, um zu zeigen, wie einfach es war, sie einzustellen. »Ein erfahrener Nutzer, der seine Nachricht schon auf einem separaten Zettel verschlüsselt hat, schafft die fünfundzwanzig Zeichen in etwa einer Minute, dreht die Kurbel, sendet sie, stellt weitere fünfundzwanzig Zeichen ein und so weiter. Die Nachricht von heute Morgen benötigte sechs Zyklen, was insgesamt nahezu sieben Minuten dauert, aber die aktive Übertragung machte davon nur achtundvierzig Sekunden aus, jeweils in Einheiten von acht Sekunden. Es ist praktisch unmöglich für ein Funkpeilsystem, einen Sender in so kurzer Zeit aufzuspüren. Wir sind ziemlich sicher, dass die Stasi von Longshores Übertragungen weiß, aber es gibt nahezu keine Chance, ihn dabei zu erwischen.«

»Nahezu«, wiederholte Hogan. Er fixierte kurz den Schnellwandler, legte dann den Finger auf einen der Schalter der Walze und schob ihn vor und zurück. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Buchstaben verpasst haben?«, fragte er und sah auf. »Ein einziger verpasster Punkt in einer Morsenachricht könnte die gesamte Sequenz durcheinanderbringen.«

Reed lächelte nervös. »Das ist gewiss nicht der Fall, Sir. Ich habe diese Nachricht fast zwanzig Mal …«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte Hogan. »Ich will nur sichergehen. Wenn Sie nicht gut in Ihrem Job wären, säßen Sie nicht hier.« Er musterte ihn kurz, ließ den Blick dann zu Davis schweifen. »Lassen Sie uns über die Verschlüsselung selbst reden.«

»Wir nutzen normalerweise ein ›One-Time-Pad‹, ein Einmalschlüssel-Verfahren. Das ist ein Blatt mit einer Abfolge zufälliger Zahlen, die für die Nachricht vermischt werden. Er hat eine Kopie, wir haben die andere.«

»Vermischt?«, fragte Hogan.

»Indem man sie addiert«, sagte Reed. »Der erste Schritt ist eine einfache Caesar-Verschlüsselung: A ist gleich 1, B ist gleich 2 und so weiter. Wollen sie beispielsweise ›Hallo‹ sagen, wäre das …«

»A ist gleich 1?«, fragte Hogan. »Die CIA hat doch sicher etwas Anspruchsvolleres zu bieten?«

»Das ist nur der erste Schritt«, sagte Reed. »Die Bedeutung von A ist nicht wichtig, weil die Zahlen im zweiten Schritt addiert werden. Aber zurück zu unserem Beispiel. Wenn ich also wie gesagt ›Hallo‹ sagen will, würde ich mit den Zahlen 8–1–12–12–15 beginnen.«

Hogan zog die Augenbrauen in die Höhe. »Sie kennen die auswendig?«

»Er denkt in Codes«, sagte Davis. Reed spürte, wie er rot anlief, machte aber weiter. Es fiel ihm leichter, über Verschlüsselungen zu reden als über sich selbst. »Ich nehme also diese Zahlen: Die erste ist eine Acht. Dann schaue ich in meinem One-Time-Pad nach, und dort ist die erste Zahl, sagen wir mal, eine 2. Ich addiere sie und erhalte eine 10. Und die Person mit dem identischen Pad sieht die 10, zieht die 2 ab und sagt ›Oh, er meint 8, also ist dieser Buchstabe ein H‹. Und jeder, der das entsprechende Pad nicht hat, ist komplett außen vor. Dieses Verfahren kann unmöglich geknackt werden.«

»Nahezu«, sagte Hogan.

»Nein«, sagte Davis. »Wortwörtlich. Mit diesen zufälligen Sequenzen ist ein One-Time-Pad hundertprozentig sicher. Die Nummer 10 in Reeds Beispiel könnte für jeden Buchstaben im Alphabet stehen, das ist wie eine mathematische Singularität. Alles, was Kryptographen nutzen, um Codes zu entschlüsseln, sämtliche Muster und Daten, fallen hier weg.«

»Beeindruckend«, sagte Hogan, obwohl er die Kehrseite der Medaille kaum eine Sekunde später erkannte. »Also sind Ihre einzigen Schwachpunkte materieller Art: eine Kopie des Pads bekommen und behalten, ohne dass die Stasi sie findet.«

»Ganz genau«, sagte Davis. »Es heißt ›One-Time-Pad‹, weil man es nur einmal nutzen kann – benutze es ein zweites Mal und ein Muster entsteht, mit dem man die Daten knacken kann. Vor dem Mauerbau haben wir tote Briefkästen benutzt, um die Zahlenpads für eine ganze Woche zu übergeben. Longshore konnte sie ein paar Stunden später abholen, deswegen hatte niemand von uns persönlichen Kontakt zu ihm. Seine Stellung innerhalb der Stasi ist zu heikel, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Aber dann wurde die Mauer gebaut, und wir konnten unsere toten Briefkästen nicht mehr erreichen. Neue einzurichten war ebenfalls unmöglich. Das Einzige, was er und wir erreichen können, ist die Mauer selbst, und die ist viel zu gut bewacht.«

»Offizielle Regierungsmitarbeiter können sich überall in der Stadt frei bewegen«, sagte Hogan. »Sogar jenseits der Mauer. Einer von uns könnte die Sachen ausliefern.«

»Eine ganze Abteilung von CIA und BND zusammen ist ausschließlich damit beschäftigt, jeden Schritt von DDR-Beamten zu beobachten, wenn sie unsere Seite betreten«, sagte Davis. »Ich versichere Ihnen, dass Sie alle mindestens genauso gut überwacht werden, wenn Sie auf die andere Seite fahren.«

Hogan machte ein finsteres Gesicht. »Ich fürchte, da haben Sie recht.«

Reed griff nach etwas in seinem Aktenkoffer, zog es aber nicht heraus. »Wir werden Sie jetzt in ein Geheimnis der höchsten Sicherheitsstufe einweihen.«

Hogans Blick wurde noch finsterer, aber Davis sprang beschwichtigend auf. »Das ist selbst in unserer eigenen Dienststelle geheim, sogar für die Mitarbeiter, die eine Unbedenklichkeitserklärung haben. Reed ist nicht hier, weil er im Rang höher steht als andere, er ist hier, weil er und ich die einzigen Menschen auf der Welt sind, die dieses Geheimnis kennen – wir und Longshore natürlich. Sogar eine vom Feind aufgeschnappte beiläufige Bemerkung über die Art dieses Geheimnisses könnte der Tod unseres Mannes sein.«

»Verstanden«, sagte Hogan. »Fahren Sie fort.«

Reed schluckte. »Longshores letzte Nachricht auf den alten Zahlenpads basiert auf einem neuen System: ein neues Pad, zu dem er und wir Zugang hatten, mit ausreichend Zahlen, damit er so lange wie möglich weitermachen konnte.« Reed zog seine Hände aus dem Aktenkoffer und legte eine Ausgabe von Player Piano auf den Tisch.

»Ein Roman?«, fragte Hogan.

»Er hatte eine Ausgabe bei sich, als die Mauer gebaut wurde«, sagte Reed. »Wir übertragen jeden Buchstaben des Buches nach derselben Caesar-Verschlüsselung, wie wir sie für unsere Nachrichten benutzen. Dann addieren wir sie, genauso wie bei einem One-Time-Pad.«

»Außer, dass die Zahlen, die das Buch ergibt, nicht zufällig sind«, sagte Hogan, der sofort die Schwachstelle erkannt hatte. »Ihre mathematische Singularität geht flöten.«

»Es ist nicht so sicher wie ein absolut zufälliges Pad«, nickte Davis. »Wir wissen um die Risiken. Aber es war das Beste, was wir unter den gegebenen Umständen tun konnten.«

»Die Mauer hat uns alle überrumpelt«, sagte Reed.

»Wenn Sie Ihren Job richtig gemacht hätten, wäre das anders gewesen«, sagte Hogan. Reed schreckte bei dieser verbalen Attacke zurück, aber Hogan fand wohl, dass die Zeit für Höflichkeiten vorüber war. »Wenn Sie einen Mann bei der Stasi hatten und dennoch nicht wussten, dass eine Mauer geplant wurde, dann ist er vielleicht nicht Ihr Mann bei der Stasi.«

»Diese Möglichkeit haben wir in Betracht gezogen«, sagte Davis.

»Und?«

»Und Longshores Informationen sind durchweg viel zu akkurat, als dass es sich um die Desinformationskampagne eines abtrünnigen Agenten handeln könnte. Er hat uns zu sehr geholfen. Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass er nur einer von mehreren Dutzend Doppelagenten der CIA in der DDR ist. Keiner von ihnen hat uns vor der Mauer gewarnt. Entweder ist jeder von ihnen ein Verräter, oder die DDR ist sehr, sehr gut darin, ihre Geheimnisse zu bewahren.«

Hogan dachte einen Moment darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Das gefällt mir immer noch nicht. Sie benutzen einen fragwürdigen Agenten mit einem unsicheren Verschlüsselungssystem – Sie haben Glück, dass es so lange funktioniert hat.«

»Ich denke, da liegen Sie falsch, Sir«, sagte Reed. Hogan blickte ihn an, und Reed wurde plötzlich sehr nervös. »Es gibt …« Er schluckte, setzte dann erneut an: »Es gibt hauptsächlich zwei Szenarien für einen kompromittierten Agenten: erstens, dass der Feind weiß, dass es sich um einen Verräter handelt, und er ihn mit falschen Informationen füttert, um uns zu verwirren. Wir sind stets in der Lage gewesen, Longshores Berichte durch andere Quellen zu verifizieren, können also ziemlich sicher sein, dass dies bei ihm nie der Fall war.«

»Aber Sie haben keine Gewissheit, bis die aktuellen Nachrichten nicht ebenfalls verifiziert sind«, sagte Hogan.

»Wie soll man das mit diesem Kauderwelsch schaffen?«, fragte Davis. »Dieses Szenario ist besorgniserregend, da stimme ich zu, aber es erklärt nicht diese eine Nachricht.«

»Schön und gut«, sagte Hogan. »Wie sieht das zweite Szenario aus?«

»Er weiß, dass man ihn mit falschen Informationen füttert, bleibt uns gegenüber aber loyal«, sagte Reed. »In diesem Szenario hat der kompromittierte Agent wieder zwei Optionen: Erstens, er ignoriert das falsche Material und sendet uns weiterhin die richtigen Informationen, mit dem Risiko, erwischt und getötet zu werden. Die Stasi kann schließlich mit einem Spion, den sie nicht manipulieren kann, nichts anfangen. Wenn sie ihn also nicht dazu benutzen können, um uns zu verwirren, werden sie ihn einfach ausschalten.«

»Tod ist keine gute Option«, sagte Hogan.

»Bestimmt nicht«, sagte Davis. »Aber wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, für die es sich lohnt, sein Leben zu lassen, wäre das eine Möglichkeit.«

»Der Bau einer Mauer beispielsweise«, sagte Hogan.

»Hätte er davon gewusst, ja«, sagte Davis. Reed spürte, dass er wegen der ständigen misstrauischen Andeutungen langsam wütend wurde.

»Die zweite Option des kompromittierten Agenten ist sehr clever«, übernahm Reed. »Er kann uns sämtliche falschen Informationen weiterleiten, die der Feind uns zuspielen will, sie jedoch mit einem Bestätigungscode als falsch markieren, damit wir Bescheid wissen.«

»Für Longshore gilt ein einziger Buchstabe«, sagte Davis. »Täglich neu zugewiesen. Wenn die Nachricht ›echt‹ ist, stellt er den Buchstaben des Tages an den Anfang jeder Nachricht und tut dasselbe an deren Ende, um die letzte Walze zu füllen. Ist die Nachricht falsch, nutzt er einen abweichenden Buchstaben, und dadurch wissen wir, dass man der Information keinen Glauben schenken darf.«

»Moment«, sagte Hogan und beugte sich vor. »Sie haben vorher behauptet, dass Sie mit ihm nicht in Kontakt treten konnten. Nun sagen Sie, dass Sie ihm täglich einen Code schicken?«

»Das Liefersystem für die Bestätigungscodes ist ein Geheimnis, das sogar Mr. Reed nicht kennt«, sagte Davis. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass es sich um einen einzelnen Buchstaben handelt, der nur in eine Richtung übermittelt werden kann. Der Versuch, ihm irgendeine substanzielle Nachricht zu schicken, ist unmöglich.«

Reeds Gedanken begannen zu rasen. Was unternahm Davis, um nur einen Buchstaben zu senden? Natürlich hatte er sich schon früher über das Liefersystem Gedanken gemacht, aber die Tatsache, dass es nur in eine Richtung funktionierte, war eine neue Einschränkung – und eine Einschränkung war für einen Kryptographen so etwas wie Gold. Momentan war allerdings nicht die Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er behielt die Information im Gedächtnis und konzentrierte sich auf das Gespräch.

»Worauf ich hinauswill«, sagte Reed, »ist die Tatsache, dass im vorliegenden Fall keines der beiden Szenarien zutrifft. Er sendet uns weder Geheimnisse von lebenswichtiger Bedeutung, noch sind sie deutlich als Lügen gekennzeichnet. Es handelt sich nicht einmal um wichtig wirkende Falschinformationen, was der Fall wäre, wenn die andere Seite ihn für sich gewonnen hätte. Was auch immer hier vor sich geht, ich glaube eigentlich nicht, dass er kompromittiert wurde.«

»Was ist mit einem dritten Szenario?«, fragte Hogan. »Longshore wurde gefangengenommen und verhört, aber er gab ihnen einen mangelhaften Code. Sie versuchten, uns etwas zu senden, doch alles, was hier ankam, war Kauderwelsch.«

»Das wäre immerhin die erste Theorie, die das Kauderwelsch erklären würde«, sagte Reed.

»Und das ist meine Arbeitshypothese«, sagte Davis. »Die Stasi fährt eine Desinformationskampagne, die unseren eigenen Doppelagenten dazu bringen soll, uns mit Lügen zu füttern. Das Beste, was wir tun können, ist, so zu tun, als wären die Nachrichten echt, und zuzusehen, wie sie ihre Zeit und Energie verschwenden, um uns irgendwelchen Nonsens zu schicken.«

Hogan warf Davis einen nachdenklichen Blick zu und ließ dann ein so brutales, raubtierhaftes Lächeln aufblitzen, dass Reed unwillkürlich zurückwich. »Ich habe Ihnen schon gesagt, Mr. Davis, dass Sie nicht hier säßen, wenn Sie schlecht in Ihrem Job wären.«

Reed schaute zwischen ihnen hin und her und fragte sich, ob er etwas verpasst hatte.

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte er.

»Mr. Reed«, sagte Hogan und fixierte weiterhin Davis. »Wie lautet der Name von Gordon Davis’ Gegenüber bei der Stasi, dem diensthabenden Sektionschef von deren Abhörstation? Den werden Sie doch wohl kennen.«

»Selbstverständlich, Sir«, sagte Reed verwirrt. »Sein Name ist Konrad Seidel, wir haben Akten über sämtliche …«

»Sie haben Akten«, sagte Hogan. »Wie lautet der Name ihres leitenden Kryptographen?«

»Jürgen Bauer.«

»Ihr Führungsoffizier?«

»Hans Nowak.«

»Ihr Rechercheur?«

»Äh … Martin … Sie haben zwei«, sagte Reed. »Ich glaube, der leitende heißt Martin Vogel? Sir, warum fragen Sie mich das alles?«

»Wie wir mehrfach in diesem Gespräch erwähnt haben«, sagte Hogan, »tun die alles, was auch wir tun. Die USA und die Sowjets sind wie Spiegelbilder, und die geteilte Stadt ist der Spiegel. Wenn Sie wissen, wer die Stasiagenten sind, wissen die Stasiagenten sicher auch, wer Sie sind. Während nun also diese Nachricht vor knapp einer halben Stunde eintrudelte und ihre Dienststelle für ein sofortiges Treffen mit dem State Department alles stehen und liegen ließ, garantiere ich Ihnen, dass die das registriert haben. Wenn Ihr Section Chief Davis wirklich versucht hat, die Stasi davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist, hat er spektakulär versagt.«

Reed starrte ihn schockiert an. Davis hielt kurz inne, stellte dann fest:

»Ich bin beeindruckt, Mr. Hogan. Sie sagten doch, Sie wären kein Spion.«

»Schlimmer«, sagte Hogan. »Ich bin Politiker.«

»Moment«, sagte Reed. »Werfen Sie Davis vor, zu … lügen? Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Ich werfe ihm vor«, sagte Hogan, »uns nicht alles mitzuteilen, was in seinem Kopf vor sich geht.«

»Und was wäre das?«, fragte Davis knapp.

»Das weiß ich nicht«, sagte Hogan und wandte seine ganze Aufmerksamkeit Reed zu. »Wie steht es mit Ihnen?«

Reed blinzelte. »Ob ich weiß, was in Davis’ Kopf vorgeht?«

»Wissen Sie, was in Wallace Reeds Kopf vorgeht?«, fragte Hogan. »Ich weiß, wenn ich angelogen werde, aber das heißt nicht, dass ich die Wahrheit herbeizaubern kann. Das hingegen ist Ihr Job. Sie sind dazu da, Codes zu entschlüsseln, und dies ist ein Code. Also: Wie sieht Ihre Theorie aus?«

Reed blickte Davis an, der schwieg. Reed schluckte. Er hatte eine Theorie und spielte sie in der Tat schon eine geraume Weile im Kopf durch, doch es war keine gute Theorie, und er wollte sie hier ganz gewiss nicht preisgeben. Aber was sollte er machen? Er streifte Davis noch einmal mit einem flüchtigen Blick und sah dann wieder Hogan an. »Sir, ich … ich glaube, es wäre das Beste, wenn wir diese Situation nehmen, wie sie ist: Es handelt sich um eine codierte Nachricht mit wichtigen Informationen, die von einem Agenten geschickt wurden. Genau das, was sie vorgibt zu sein. Vielleicht besteht unser einziger Fehler darin, Sir, dass wir glauben, die Nachricht wäre an uns gegangen.«

Hogans Augenbrauen schossen in die Höhe. »An wen sonst hätte sie gehen sollen?«

Reed verzog das Gesicht, weil er es nicht laut aussprechen wollte. »Nun, Sir. Ich glaube … ich meine, es ist so, wie Sie sagten. Wir sind wie Spiegelbilder, und wir haben einen Doppelagenten bei der Stasi. Also denke ich, dass wir in Betracht ziehen müssen, einen Doppelagenten in der Cabin zu haben.«

Donnerstag, 19. Oktober 196115:32 Uhr Berlin-West

»Das war töricht«, sagte Davis, als sie zurück zur Cabin liefen.

»Er hat nach meiner Meinung gefragt«, protestierte Reed, aber Davis schnitt ihm das Wort ab.

»Und Sie haben ihm gesagt, man müsse dem ganzen Büro misstrauen. Selbstverständlich ist ein Doppelagent die naheliegendste Erklärung, und selbstverständlich werden wir ihn finden, aber das bedeutet nicht, dass Sie dem gesamten State Department mitteilen müssen, wir seien unterwandert.«

»Also vermuten Sie dasselbe?«

»Beleidigen Sie mich nicht«, schnappte Davis. »Natürlich tue ich das. Vermutungen sind mein Job. Und ich habe angenommen, dass Sie das auch so sehen, allerdings klug genug sind, es nicht herauszuposaunen.«

»Tut mir leid«, sagte Reed.

»Sie betreiben hier kein Hobby«, sagte Davis. »Sie sitzen nicht mehr im Bademantel da und lösen Kreuzworträtsel. Sie sind ein Spion der CIA, benehmen Sie sich also wie einer! Warum, glauben Sie, habe ich ihm die Geschichte von einem verlorenen Agenten untergejubelt? Weil wir das unter uns klären müssen, ohne dass das State Department uns dabei über die Schulter schaut.«

»Verstanden«, sage Reed, obwohl eine Frage ihm weiterhin im Kopf herumspukte: Warum hatte Davis sich überhaupt zum State Department begeben?

Sie legten den Rückweg schweigend zurück, und als sie das Büro erreicht hatten, nahm Reed mit gefurchter Stirn an seinem Schreibtisch Platz.

Frank schaute Davis’ Rücken hinterher, als dieser in Bettinas Büro und dann weiter in sein eigenes ging. Sobald die Tür sich schloss, blickte er Reed an.

»Unangenehme Besprechung?«

»Das kannst du laut sagen«, meinte Reed und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich glaube … Ich glaube, ich habe uns alle in Schwierigkeiten gebracht.«

»Das hört sich nicht gut an«, mischte Ostertag sich ein. »Was ist passiert?«

»Nur ein …« Reed hielt inne. Er würde denselben Fehler nicht noch einmal begehen: Wenn Davis vermutete, dass sich in der Cabin ein Maulwurf befand, sollte er das wirklich nicht durchs ganze Büro tratschen. In einer Situation wie dieser galt es, vorsichtig zu sein, weil man nie wusste, wer mithörte.

Moment …

Reed stierte auf seinen Schreibtisch und dachte nach. Wer hörte mit? Für wen in der Cabin war diese Nachricht gedacht? Die Art, wie sie übermittelt wurde, ergab nämlich wenig Sinn: Wenn die Stasi die Mittel besaß, ihrem versteckten Agenten ein ganzes Dechiffrierprogramm zukommen zu lassen, raffiniert genug, um eine Nachricht mit 150 Zeichen zu entschlüsseln, konnten sie dann nicht die eigentliche Nachricht mit denselben Mitteln senden? Warum mussten sie überhaupt die Frequenz von Longshore nutzen? Sie hatten ihre Anwesenheit verraten – und weit und breit war kein Grund dafür zu sehen, wenn es eine andere Möglichkeit gab, die Nachricht zuzustellen. Was wiederum heißen musste, dass dies der beste und einzige Weg war, diese spezielle Nachricht zu senden.

Reed sah drei Möglichkeiten:

Nummer eins: Es gab keinen Doppelagenten, aber die Stasi wollte sie glauben mache, es gäbe einen. Sie versuchten, Zwist in der Cabin zu säen, und sorgten dafür, dass jeder jeden verdächtigte – oder dass das State Department ihnen allen zusammen misstraute. Sollte das der Plan sein, war er schon aufgegangen.

Nummer zwei: Es war eine Nachricht, bei der es um Leben und Tod ging, wie sie es bei dem Treffen besprochen hatten. Irgendetwas war so sehr schiefgelaufen, und die Notwendigkeit, zu kommunizieren, war so dringlich, dass die Angelegenheit es wert war, einen kompletten Kommunikationskanal – wahrscheinlich inklusive eines Agenten – unbrauchbar zu machen. Sollte es wirklich einen Doppelagenten geben, konnte ein so öffentlicher Kontakt nur so ausgehen, dass der Agent enttarnt und verhaftet wurde. Gäbe es also wirklich einen Doppelagenten, war das der Anfang vom Ende.

Aber, Möglichkeit Nummer 3: Vielleicht gab es einen Doppelagenten in der Cabin, aber Nachricht 41 war nicht für ihn, sondern über ihn. Vielleicht stammte die Nachricht von Longshore – nicht der verräterische Longshore, sondern der loyale –, der versuchte, sie zu warnen, ohne dem Verräter dabei einen Tipp zu geben.

Weil man nie wusste, wer mithörte.

Reed brütete über die letzte Möglichkeit. Wenn er da draußen wäre und brandneue Geheiminformationen über einen Agenten in der Cabin hätte, wie würde er vorgehen? Zuallererst würde er nach einem Weg suchen, eine Nachricht zu senden, die nur wenige von ihnen lesen konnten. Er würde einen Weg benötigen, der ihnen etwas sagte, ohne dem Verräter deutlich zu machen, dass er aufgeflogen war. Die unsinnige Nachricht 41 war da genau richtig, vorausgesetzt, es gab irgendjemanden, der sie überhaupt entziffern konnte. Aber wer und wie? Davis war der Einzige, der wusste, wer Longshore war, also könnte es eine Geheimnachricht nur für ihn sein, eine Nachricht mit einem Code, der etabliert worden war, noch bevor er undercover zu arbeiten begonnen hatte. Nur dass Davis sie nicht einfach für sich entschlüsselt hatte, sondern damit direkt zum State Department gegangen war. Die Person, die also die Nachricht erhalten und entschlüsseln sollte, war er demnach gewiss nicht.

War es möglich, dass die Nachricht für jemanden im State Department gedacht war? Wenn ja, wäre das die umständlichste Art, sie dorthin zu schicken. Warum sie erst hierher senden, außer man wäre sicher, dass sie direkt in Hogans Büro weitergeleitet würde? Und wie konnte man sich dessen sicher sein, außer Davis wäre irgendwie mit im Spiel? Aber warum wurde dann Reed mit hineingezogen, und warum dieses ganze Hickhack zwischen Hogan und Davis zum Thema Misstrauen? Nein, das waren zu viele Variablen. Das Spionagehandwerk würde trotz aller Finten und Tricks stets Ockhams Rasiermesser unterlegen sein: Die einfachste Erklärung war die beste.

Longshore hatte die Nachricht zur Cabin geschickt, weil jemand hier sie lesen sollte. Und er wollte nicht, dass irgendjemand sonst dazu in der Lage wäre.

Reed geriet kurzfristig in Panik, als er diesen Gedanken verfolgte: Warum das Verschlüsselungssystem ändern, außer man versuchte, den Code vor ihm zu verstecken? Und warum den Code vor Reed verbergen, außer er war der Doppelagent, den man zu entlarven versuchte? Aber Reed wusste, dass er kein Doppelagent war und auch kein Verräter oder Stasimaulwurf: Er hatte keinen Führungsoffizier oder Kontakte ins Ausland – oder auch nur irgendwelche anderen Kontakte außerhalb der Cabin. Dies waren seine einzigen Freunde und letztendlich auch seine einzigen Bekannten. Er wusste, dass er auf der sicheren Seite war.

Aber wusste Longshore das?

Ich muss mich auf das Naheliegende konzentrieren, dachte er. Die Nachricht war jemandem hier in der Cabin geschickt worden. Und nun musste er nur herausfinden, wer die Person war, die sie lesen sollte.

Ockhams Rasiermesser kam hier ebenfalls ins Spiel. Longshore hatte weder Zeit noch Gelegenheit gehabt, ein neues Codesystem mit irgendjemandem in der Cabin zu verabreden, was bedeutete, dass er immer noch Player Piano benutzte. Aber wie? Es musste da etwas geben, was Reed übersehen hatte.

Reed riss die Augen auf. Was, wenn sie eine ganze Nachricht übersehen hatten?

»Hallo, Wally«, sagte Frank und klopfte auf den Tisch. »Hey, alles okay?«

»Was?« Reed schüttelte sich und richtete sein Augenmerk auf seine Umgebung. Frank, Ostertag und Lise starrten ihn an. »Was ist los?«

»Das fragen wir dich«, sagte Frank. »Wir versuchen schon seit fünf Minuten, deine Aufmerksamkeit zu erregen.«

»Sorry«, sagte Reed, »ich muss noch einmal zurück.« Er ging in Bettinas Büro, und Ostertag rief ihm hinterher:

»Mr. Reed, geht es Ihnen nicht gut?«

Im Decodierzimmer schloss er die Tür, verriegelte sie und überprüfte seine Waffe. Er öffnete den Safe, zog seine Notizen und den Roman hervor und setzte sich ans Werk.

Ein Verschlüsselungssystem mit einem One-Time-Pad war recht anfällig. Nachricht 41 mit dem falschen Abschnitt von Player Piano entschlüsselt, und alles war für die Katz – selbst bei einem einzigen falschen Buchstaben. Aber was, wenn Nachricht 41 in Wirklichkeit Nummer 42 war? Was, wenn sie eine komplette Nachricht davor verpasst hatten – etwas, das nicht aufgenommen oder vielleicht nicht einmal gesendet worden war? Reed öffnete das Buch. Sogar nach vierzig vorhergehenden Nachrichten waren sie erst auf der zweiten Seite angekommen. Los ging es etwa in der Mitte der Seite:

GNAWED THROUGH THE INSULATION ON A CONTROL WIRE AND PUT BUILDINGS 17, 19 AND 21 TEMPORARILY OUT OF COMMISSION.