Gibt es noch eine Rettung - Britta Winckler - E-Book

Gibt es noch eine Rettung E-Book

Britta Winckler

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Beschreibung

Die große Arztserie "Die Klinik am See" handelt von einer Frauenklinik. Gerade hier zeigt sich, wie wichtig eine sensible medizinische und vor allem auch seelische Betreuung für die Patientinnen ist, worauf die Leserinnen dieses Genres großen Wert legen. Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete. »Hallo, Herr Doktor Köhler, sehen Sie Gespenster?« Die Sekretärin von Oberarzt Dr. Brunner, die vorhin Melanie von Harden zum Stationsleiter gebracht hatte und gerade aus ihrem Vorzimmer gekommen war, blieb stehen und lächelte. »Sie machen ein Gesicht wie jemand, der einen Geist sieht.« Assistenzarzt Dr. Roland Köhler zuckte unmerklich zusammen. »Einen Geist?« murmelte er. »So könnte man es fast nennen.« Aus den Augenwinkeln heraus konnte er gerade noch sehen, wie die Frau, derentwegen er stehengeblieben war und der er nachgeblickt hatte, gerade im Lift verschwand. »Ich habe mich wahrscheinlich geirrt«, stieß er hervor. »Wobei? Worin?« wurde die Sekretärin neugierig. Dr. Köhler zögerte mit der Antwort, gab sich dann aber einen innerlichen Ruck. »Diese … diese Dame, die eben vorbeiging … hm, war sie beim … beim Chef?« fragte er etwas stockend. »Ja«, bestätigte die Sekretärin. »Weshalb interessiert Sie das?« Dr. Köhler winkte ab. »Ach, nur so«, erwiderte er. »Sie kam mit sehr bekannt vor.« »Es war Frau von Harden«, gab die Sekretärin unaufgefordert Auskunft. »Kennen Sie sie denn?« fügte sie fragend hinzu. »Ich dachte es«, gab Dr. Köhler zurück. »Anscheinend habe ich mich geirrt, denn dieser Name ist mir fremd. Eine frappante Ähnlichkeit hat mich genarrt.« »Das kommt vor«, entgegnete die Sekretärin lächelnd und wandte sich zum Gehen. »Ist Doktor Brunner zu sprechen wollte der Assistenzarzt noch wissen. »Ich möchte mich verabschieden bei ihm.« »Das hätte ich beinahe vergessen, Herr Doktor«, rief die Sekretärin. »Sie verlassen uns ja heute.« »Richtig«, bestätigte Dr. Köhler. »Übermorgen bin ich schon in Auefelden, in der Klinik am See, im Dienst.« »Das ist meines Wissens eine Frauenklinik«,

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Die Klinik am See – 8–

Gibt es noch eine Rettung

Cornelia darf nicht sterben

Britta Winckler

»Hallo, Herr Doktor Köhler, sehen Sie Gespenster?« Die Sekretärin von Oberarzt Dr. Brunner, die vorhin Melanie von Harden zum Stationsleiter gebracht hatte und gerade aus ihrem Vorzimmer gekommen war, blieb stehen und lächelte. »Sie machen ein Gesicht wie jemand, der einen Geist sieht.«

Assistenzarzt Dr. Roland Köhler zuckte unmerklich zusammen. »Einen Geist?« murmelte er. »So könnte man es fast nennen.« Aus den Augenwinkeln heraus konnte er gerade noch sehen, wie die Frau, derentwegen er stehengeblieben war und der er nachgeblickt hatte, gerade im Lift verschwand. »Ich habe mich wahrscheinlich geirrt«, stieß er hervor.

»Wobei? Worin?« wurde die Sekretärin neugierig.

Dr. Köhler zögerte mit der Antwort, gab sich dann aber einen innerlichen Ruck. »Diese … diese Dame, die eben vorbeiging … hm, war sie beim … beim Chef?« fragte er etwas stockend.

»Ja«, bestätigte die Sekretärin. »Weshalb interessiert Sie das?«

Dr. Köhler winkte ab. »Ach, nur so«, erwiderte er. »Sie kam mit sehr bekannt vor.«

»Es war Frau von Harden«, gab die Sekretärin unaufgefordert Auskunft. »Kennen Sie sie denn?« fügte sie fragend hinzu.

»Ich dachte es«, gab Dr. Köhler zurück. »Anscheinend habe ich mich geirrt, denn dieser Name ist mir fremd. Eine frappante Ähnlichkeit hat mich genarrt.«

»Das kommt vor«, entgegnete die Sekretärin lächelnd und wandte sich zum Gehen.

»Ist Doktor Brunner zu sprechen wollte der Assistenzarzt noch wissen. »Ich möchte mich verabschieden bei ihm.«

»Das hätte ich beinahe vergessen, Herr Doktor«, rief die Sekretärin. »Sie verlassen uns ja heute.«

»Richtig«, bestätigte Dr. Köhler. »Übermorgen bin ich schon in Auefelden, in der Klinik am See, im Dienst.«

»Das ist meines Wissens eine Frauenklinik«, meinte die Sekretärin. Forschend sah sie den Arzt an. »Gefällt es Ihnen bei uns nicht mehr?« fragte sie verhalten.

»Es gefällt mir hier schon, nur …« Er druckste ein wenig herum und beendete dann seine Rede. »Ich bekomme dort mehr für meine Arbeit bezahlt.«

»Hm, das ist ein stichhaltiges Argument«, meinte die Sekretärin. »Aber nun will ich Sie nicht länger aufhalten. Der Chef ist in seinem Zimmer.« Verabschiedend reichte sie dem Arzt die Hand. »Viel Glück und alles Gute in Ihrer neuen Stellung, Herr Doktor«, sagte sie und setzte ihren Weg fort.

»Danke«, murmelte Dr. Köhler und schritt weiter, dem Dienstzimmer von Dr. Brunner zu.

Die Verabschiedung von Dr. Brunner dauerte nicht lange. Minuten später war Dr. Köhler bereits wieder auf dem Rückweg. Mit der Stationsschwester und zwei anderen Schwestern sprach er dann noch ein paar freundliche verabschiedende Worte und machte sich anschließend sofort auf den Weg zu seinem kleinen Zweizimmerappartement, das er unweit der Universitätsklinik gemietet hatte. Er mußte noch seine Sachen packen, denn er wollte noch vor dem Abend in Auefelden, in seinem neuen Wirkungskreis in der Klinik am See sein. Gespannt war er jetzt schon, was ihn dort erwarten würde. Neugierig war er aber auch auf seinen neuen Chef, den Leiter der Klinik, Dr. Lindau, und auch auf die jener Klinik angeschlossene Kinderstation und deren Leiterin. Er wußte nur, daß diese die Tochter des Chefarztes war und erst vor kurzen geheiratet hatte – einen Berufskollegen.

In seine Überlegungen hinein meldete sich plötzlich die Erinnerung an jene Dame mit dem Namen von Harden. War es möglich, daß es derartige Ähnlichkeiten gab? Im ersten Augenblick hatte er tatsächlich geglaubt, daß diese Frau von Harden das Mädchen war, das er von früher her kannte, für das er so viel übrig gehabt hatte, daß er bereit gewesen war, seinen Junggesellenstand aufzugeben. Doch das Schicksal hatte es anscheinend nicht gewollt.

Vor fast einem Dreivierteljahr war diese junge Frau plötzlich sang- und klanglos verschwunden. Er hatte nie wieder etwas von ihr gehört und gesehen. Nachdenklich fuhr er seiner Wohnung zu. Erst als er dort angekommen war, gelang es ihm, die Gedanken an jene Frau von Harden, die ihn sehr – wenn auch nur für Sekunden – an die Frau erinnert hatte, die ihm sehr nahe gestanden hatte, zu verdrängen und sich auf die nächste Zukunft zu konzentrieren.

*

Oberarzt Dr. Brunner sah auf die Uhr und schob mit einer energischen Bewegung die Papiere auf seinem Schreibtisch zur Seite. Es waren einige Krankengeschichten, an denen er gearbeitet hatte, nachdem Frau von Harden ihn verlassen hatte. »Haben wir noch etwas?« fragte er seine Sekretärin, die gerade sein Zimmer betrat.

»Nein, Herr Oberarzt«, kam die Antwort. »Den Operationsplan für morgen haben Sie schon abgezeichnet, und die anderen Papiere sind unterschrieben.«

»Na fein, dann mache ich jetzt Schluß«, meinte Dr. Brunner, stand auf und vertauschte seinen weißen Arztkittel mit dem Jackett.

»Wo sind Sie dann in den nächsten Stunden zu erreichen, falls etwas …?«

»Wie immer um diese Nachmittagsstunde – im Börsenkeller«, fiel Dr. Brunner der Sekretärin lächelnd ins Wort. »Die Telefonnummer haben Sie ja, doch ich hoffe, daß ich ungestört meinen Kaffee genießen kann.«

»An mir soll es nicht liegen«, gab die Sekretärin lächelnd zurück. Sie wußte, daß ihr Chef fast regelmäßig um diese schon etwas vorgerückte Nachmittagsstunde – praktisch kurz vor dem offiziellen Dienstschluß – den Börsenkeller aufsuchte, um dort seinen Nachmittagskaffee zu trinken, bevor er dann in sein frauenloses Heim fuhr.

»Also dann bis morgen«, verabschiedete sich der Oberarzt und ging. Wenig später schon saß er in seinem Wagen und fuhr zum Börsenkeller, einem gemütlichen Lokal, in dem man ebenso einen guten Kaffee wie auch einen gepflegten Wein trinken konnte. Doch das allein war nicht der Hauptgrund für Dr. Brunner. Dort traf er sich sehr häufig mit Menschen, zu denen er eine innere Beziehung hatte – vor allem aber mit seinem Schulfreund, dem Bankier von Harden, dessen Bank sich nur einen Häuserblock weiter befand. Mit Thomas von Harden, dem knorrigen und traditionsbewußten Blaublütler, unterhielt er sich immer gern. Seit ihrer beider gemeinsamen Schul- und Studienzeit hatten sie sich nicht mehr aus den Augen verloren. Wenn er auch nicht immer der gleichen Meinung wie Thomas war, so waren sie beide doch wirklich gute Freunde bis zum heutigen Tag geblieben. Nicht zuletzt hatte Dr. Brunner, der schon seit mehr als zehn Jahren verwitwet war, in Thomas von Harden einen guten Berater in finanziellen Angelegenheiten und einen guten Verwalter seines kleinen Vermögens einschließlich der von seiner Frau geerbten Aktien. Ebenso wie er selbst, trank Thomas von Harden auch sehr gern einen guten Kaffee – eben im Börsenkeller.

Als Dr. Brunner nach einer kurzen Fahrt dort ankam, war er erfreut, den Bankier schon anzutreffen. »Du bist schon da?« begrüßte er den Freund.

»Wie du siehst …«, brummte Thomas von Harden und nippte an der Kaffeetasse. »Schließlich bin ich mein eigener Herr und kann meine Zeit einteilen, wie es mir beliebt.«

»Da bist du besser dran als wir Ärzte«, entgegnete Dr. Brunner und ließ sich von der Bedienung auch einen Kaffee bringen. Erst als dieser vor ihm auf dem Tisch stand, ergriff er wieder das Wort. »Was Neues?« fragte er.

Thomas von Harden schüttelte den Kopf.

»Was soll es in einer Bank schon Neues geben?« antwortete er mit einer Gegenfrage. »Höchstenfalls spielt die Börse mal verrückt oder die Kurse schnellen hoch, um dann gleich wieder abzusinken …«

»Das ist ja das lukrative Geschäft der Banken«, fiel Dr. Brunner dem Freund lächelnd ins Wort.

»Ich bin glücklicherweise auf Geschäftemacherei nicht unbedingt angewiesen«, brummte der Bankier.

»Ich weiß, denn Geld hast du ja genug«, meinte Dr. Brunner ohne Neid. »Es reicht jedenfalls«, gab der Bankier zurück. »Und was hast du Neues zu vermelden?« fügte er fragend hinzu.

»Nichts, was dich als Bankmann interessieren könnte«, erwiderte der Oberarzt. »Doch halt – etwas schon«, wurde er ein wenig lebhafter. »Ich habe nämlich heute zum ersten Mal deine Schwiegertochter gesehen. Eine sehr aparte Frau übrigens.«

»Meine Schwiegertochter?« Thomas von Hardens Gesicht verfinsterte sich etwas. »Was wollte die denn bei dir?«

»Das weißt du nicht?« Dr. Brunner zeigte sich erstaunt.

»Ich spreche kaum mit meiner Schwiegertochter«, erwiderte der Bankier abweisend. »Obwohl sie mit meinem Sohn unter dem gleichen Dach wie ich wohnt, gibt es nur sehr wenig Kontakt zwischen ihr und mir.«

Nachdenklich blickte Oberarzt Brunner den Freund an. »Du magst sie nicht, wie?« warf er die Frage auf.

»Jedenfalls war ich mit der Wahl meines Sohnes nicht einverstanden«, gab Thomas von Harden ausweichend zurück. »Doch du hast mir nicht geantwortet. Was wollte sie bei dir?« fragte er noch einmal. »Ist sie krank?«

»Nein, sie nicht, aber deine Enkelin…«

»Cornelia? So?« Uninteressiert klang diese fragende Bemerkung. »Ich sehe das Kind kaum. Mein Enkel Herwig ist mir wichtiger. Dem allein gilt meine Sorge, und ihn werde ich erziehen, wie ich es für richtig halte. Der Junge soll einmal anders werden als mein labiler Sohn, der sich von meiner Schwiegertochter so hat einwickeln lassen, daß er sie heiraten mußte.«

»Aha, verfrühte Schwangerschaft, nehme ich an«, meinte Dr. Brunner. »Hm, aber da hätte es doch andere Lösungen gegeben«, setzte er hinzu.

»Mag sein«, entgegnete der Bankier brummig. »Aber du weißt ja – Verantwortung und Pflicht sind zwei von den Begriffen, die in meiner Familie immer groß geschrieben wurden. Du verstehst! Tja, und so wurde ich eben Schwiegervater und auch Großvater.«

»Deine Aversion gegenüber deiner Schwiegertochter – hat die vielleicht etwas mit ihrer Schwester zu tun?« entfuhr Dr. Brunner die Frage.

Überrascht sah Thomas von Harden den Arzt an. »Schwester?« stieß er fragend hervor. »Ich weiß gar nicht, daß meine Schwiegertochter eine Schwester hat«, fuhr er fort. »Was ist mit der und was hat die mit meiner … meiner … hm … Aversion zu tun?« wollte er wissen.

Dr. Brunner bereute, daß er überhaupt davon angefangen hatte. Doch nun konnte er nicht mehr zurück. Thomas würde nicht eher Ruhe geben, bis er eine Antwort auf seine Frage bekommen hatte. »Nun, ich dachte, du wußtest es«, meinte er.

»Was zum Donnerwetter?« fuhr der Bankier auf.

Dr. Brunner schluckte, und mit knappen Worten erzählte er, was ihm seit einer guten Stunde bekannt war. »Es stand doch auch in der Zeitung«, schloß er.

»Ich lese nur die Börsenberichte«, knurrte Thomas von Harden. »Die Klatschspalten in den Zeitungen haben mich noch nie interessiert.« In seinen Zügen arbeitete es. Der Ausdruck in seinen Augen war bei dem kurzen Bericht Dr. Brunners noch härter geworden. »Unglaublich«, stieß er hervor. »Eine Kriminelle in meiner Familie, das … das …« Er konnte plötzlich nicht weitersprechen, so sehr erregte ihn diese Neuigkeit. Hinter seiner Stirn überschlugen sich die Gedanken. Von einer Sekunde auf die andere wurde ihm nur eines klar – nämlich, daß das ein unhaltbarer Zustand war, der schleunigst geändert werden mußte. Das war er sich und seinem Namen schuldig.

»Tut mir leid, daß ich dir das gesagt habe«, unterbrach Dr. Brunner das eingetretene sekundenlange Schweigen.

»Nein, nein, das war schon richtig«, gab Thomas von Harden mit gepreßt klingender Stimme zurück und erhob sich. »Entschuldige mich bitte, ich muß zurück in die Bank!« Grußlos ging er und ließ den verdutzten Dr. Brunner zurück, der sich fragte, was er nun falsch gemacht hatte. Er kannte Thomas von Harden gut genug, um zu wissen, daß der jetzt zutiefst erschüttert sein mußte, weil es plötzlich in seiner Familie eine Kriminelle gab.

*

Die Sekretärin fuhr erschreckt zusammen, als ihr Chef durch ihr Vorzimmer stürmte. Seiner finsteren Miene sah sie an, daß er aufs höchste erregt war und daß irgend jemand in der Bank mit einem kräftigen Donnerwetter aus dem Mund des Bankiers zu rechnen hatte. Aber wer?

Die Antwort auf diese Frage bekam sie sofort. »Mein Sohn soll sofort zu mir kommen«, stieß Thomas von Harden unwillig hervor und verschwand in seinem Allerheiligsten, einem Büro, das mit seiner Einrichtung und dem riesigen Schreibtisch einem Minister zur Ehre gereicht hätte.

Wie ein gefangener Tiger schritt Thomas von Harden minutenlang in seinem Arbeitszimmer hin und her. Hinter seiner Stirn arbeitete es, und in seinen Augen stand ein zorniger Ausdruck. »Ja …«, rief er knurrend, als es klopfte. Finster musterte er seinen Sohn, der mit einem schwachen Lächeln das Zimmer betrat.

»Du wolltest mich sprechen, Vater?« Volker von Harden verlor sein Lächeln, als er die Miene seines Vaters sah. »Ist es wegen meiner Reise in den Vorderen Orient? Ich habe die Papiere bereits fast alle beisammen und könnte also in drei oder vier Tagen abreisen.«

»Darüber reden wir später«, fuhr der Bankier seinen Sohn an. »Jetzt aber habe ich wegen einer anderen Sache mit dir zu reden. Es geht um deine Frau.«

»Um Melanie? Was ist geschehen?« Volker hatte plötzlich ein unangenehmes Gefühl.

»Geschehen, geschehen …« Thomas von Harden ließ einen Knurrlaut hören. »Wußtest du, daß deine Frau eine Schwester hat?« fragte er aufgeregt.

»Ja«, erwiderte der Sohn. »Melanie hat es mir vor langer Zeit gesagt, aber auch betont, daß sie mit ihr keinen Kontakt hat, weil …«

»Die Gründe interessieren mich nicht«, fiel der Bankier seinem Sohn heftig ins Wort. »Hat sie dir aber auch gesagt, wo sich diese Schwester zur Zeit befindet?«

Volker schüttelte den Kopf. »Nein, denn sie wußte es nicht«, erwiderte er.

»Aber ich weiß es – sie sitzt hinter Gittern wegen Beihilfe zu einem … einem …« Thomas von Harden unterbrach sich und schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. »Ist auch egal«, fuhr er zornig fort. »Tatsache jedenfalls ist, daß deine Schwägerin schon seit einem halben Jahr im Gefängnis sitzt. Ist dir klar, was das bedeutet?«

»Ich … ich … verstehe nicht, Vater«, stotterte Volker.

»Dann werde ich es dir verständlich machen«, schnaubte sein Vater. »Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß wir eine Kriminelle in der Familie haben. Das aber ist ein unhaltbarer Zustand, der geändert werden muß, weil unser Name nicht beschmutzt werden darf. Klar?«

Volker von Harden versteifte sich.

Ein wenig ratlos sah er den Vater an. »Das ist … ist … natürlich … unangenehm«, kam es stockend über seine Lippen, »aber was … was … kann man dagegen tun?«

»Ganz einfach«, erwiderte Thomas von Harden, »du wirst dich scheiden lassen. Das gereicht dem Namen von Harden zwar auch nicht gerade zur Ehre, ist aber immer noch erträglicher, als eine Kriminelle in der Familie zu haben.«

Fassungslos starrte Volker von Harden seinen Vater an. »Ich soll mich scheiden lassen?« stieß er fragend hervor. »Wie stellst du dir das vor? Wir haben zwei Kinder und …«

»Eins nur«, konterte der Vater, »denn den Jungen habe ich schon längst unter meine Fittiche genommen, wie du weißt.«

»Vater, das sind doch Haarspaltereien – ein Kind, zwei Kinder, eines für uns und eines für dich und …«

»Ich bitte mir etwas mehr Respekt aus«, fiel Thomas von Harden seinem Sohn aufgebracht ins Wort. »Ich weiß sehr wohl, was ich sage. Du wirst dich jedenfalls von deiner Frau scheiden lassen«, beharrte er auf seinem Standpunkt.

»Wenn ich das aber nicht will?« fragte Volker mit verhaltener Stimme und versuchte energisch zu sein, was ihm allerdings nicht gelang. Er war es schon seit seiner Kindheit gewohnt, das zu tun, was der Vater verlangte. So war es auch bis zum heutigen Tag geblieben.

»Dann, mein Sohn, wirst du die Konsequenzen spüren«, erwiderte der Bankier. »Du würdest mich dann zwingen, dich nicht nur deines Postens in unserer Bank zu entheben, sondern ich würde dir dann auch nahelegen, aus der Villa auszuziehen und mit deiner Frau in einer an der Bleiben zu leben.« Scharf sah er seinen Sohn an. »Daß sich das dann natürlich auch äußerst negativ auf deine Finanzlage auswirken wird und damit auch auf deinen doch ein wenig aufwendigen Lebenswandel, dürfte dir wohl klarsein.«

Volker von Harden erblaßte. Die vom Vater eben angedeuteten Perspektiven behagten ihm ganz und gar nicht. Er wußte nur zu gut, daß er von seinem Erzeuger abhängig war. »Aber… aber … mit welcher … welcher Begründung soll … soll ich mich von Melanie scheiden lassen?« fragte er stotternd.

»Zerbrich dir darüber den Kopf«, gab Thomas von Harden kalt zurück. »Wenn ich mich recht erinnere, so hast du deine Frau nicht gerade aus Liebe geheiratet, sondern nur deshalb, weil Herwig unterwegs war.«

»Ja und nein«, entgegnete Volker. »Irgendwie liebe ich Melanie ja doch, habe mich zumindest an sie gewöhnt.«

»Unsinn«, fuhr Thomas von Harden seinen Sohn an. »Deine verschiedenen Eskapaden mit anderen Frauen – besonders die letzte – sprechen schließlich eine andere Sprache.«

»Das waren mehr oder minder harmlose Seitensprünge«, versuchte sich der Sohn zu rechtfertigen.

»Das ist deine Ansicht, und ich will darüber auch kein Urteil abgeben«, wurde der Bankier energisch. »Ich erwarte jetzt von dir, daß du an unseren Namen denkst, an die Familie von Harden, in der eine Kriminelle nichts, aber auch gar nichts zu suchen hat. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

»Das hast du, Vater …« Volker von Harden dachte an die vorhin ausgesprochene Drohung des Vaters. Sein labiler Charakter ließ es einfach nicht zu, daß er das bisher geführte aufwendige Leben aufgeben sollte. Das würde aber der Fall sein, wenn der Väter seine Drohung wahrmachte. Liebte er Melanie wirklich so sehr, daß er die vom Vater angekündigten Konsequenzen auf sich nehmen würde, wenn er sich weigerte, dem Verlangen des Vaters nachzugeben? Diese Frage rumorte sekundenlang hinter seiner Stirn. Die Antwort darauf fand er ziemlich schnell. Im Grunde genommen hatte der Vater ja recht. Eine Kriminelle als Schwägerin zu haben, zur Familie derer von Harden gehörend – das war nun wirklich nicht das Erstrebenswerteste. »Ich … ich werde mit … mit … Melanie reden«, stieß er stockend hervor.

»Freut mich, daß du vernünftig bist«, meinte Thomas von Harden in etwas gemäßigtem Ton. »Nur – du sollst nicht reden mit ihr, sondern ganz einfach die Scheidung verlangen, und zwar mit der eben zur Sprache gekommenen Begründung. Heute noch!« betonte er. »Die finanzielle Seite ist dabei zweitrangig«, fügte er hinzu. »Wichtig ist für mich jetzt nur, daß deine Frau innerhalb der nächsten Tage unsere Villa verläßt. Haben wir uns verstanden?«

»Ja, Vater«, murmelte Volker. »Nur – was wird mit meiner Geschäftsreise in den Vorderen Orient? Die müßte ich in ein paar Tagen antreten.«