Gladiatorin - Freiheit oder Tod - Lesley Livingston - E-Book
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Gladiatorin - Freiheit oder Tod E-Book

Lesley Livingston

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Beschreibung

Gefangene. Rebellin. Legende.

Fallon ist die Tochter eines Keltenkönigs und Schwester der legendären Kämpferin Sorcha. An ihrem siebzehnten Geburtstag brennt Fallon darauf, im Schlachtfeld ihre von Caesars Armee getötete Schwester zu rächen. Doch stattdessen wird sie von Sklavenhändlern gefangen genommen und an eine Eliteschule für weibliche Gladiatorinnen im verhassten Rom verkauft. Als die größte Gefahr erweisen sich allerdings Fallons verbotene Gefühle für einen jungen römischen Soldaten ...

Alle Bände der „Die Gladiatorin“-Reihe:
Gladiatorin – Freiheit oder Tod (Band 01)
Gladiatorin – Verrat oder Triumph (Band 02)
Gladiatorin – Sieg oder Verderben (Band 03)

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Seitenzahl: 482

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© Joseph O’Brien

DIE AUTORIN

Lesley Livingston hat sich schon als Schülerin für Mythologie begeistert und am liebsten Geschichten von legendären Kämpfern in sagenumwobenen Ländern gelesen. Sie hat ihren Studienabschluss an der Universität von Toronto gemacht und war über zehn Jahre lang Mitglied einer Shakespeare-Theatergruppe. Sie lebt auch heute noch in Toronto und als echte Kanadierin ist sie stolz darauf, schon einmal den Stanley Cup, die wichtigste Eishockey-Trophäe der Welt, in ihrem Wohnzimmer beherbergt zu haben.

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@hey_reader

Lesley Livingston

GLADIATORIN

Freiheit oder Tod

Aus dem Englischen

von Silvia Schröer

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We acknowledge the support of the Canada Council for the Arts.

Nous remercions le Conseil des arts du Canada de son soutien.

Wir bedanken uns für die Übersetzungsförderung des Canada Council for the Arts.

1. Auflage 2019

Deutsche Erstausgabe September 2019

© 2017 by Lesley Livingston

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel

»The Valiant« bei Razorbill/Penguin Random House LLC, USA.

© 2019 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Silvia Schröer

Umschlaggestaltung und Illustration:

Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung mehrerer Bilder

von Shutterstock (Saveliev Dmytro, Serhii Bobyk)

MI · Herstellung: eR

Satz: Kompetenzcenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23867-4V001

www.cbj-verlag.de

Für John

I

Der vom Rücken der galoppierenden Pferde aufsteigende Dampf mischte sich mit dem Morgennebel. Unser Streitwagen raste zum anderen Ende des Vergessenen Tals und Maelgwyn Eisenhand – mein Wagenlenker, ständiger Begleiter und häufiger Gegner – zog die Zügel an.

»Nein!«, schrie ich. »Schneller! Treib sie an!«

Mael machte sich nicht einmal die Mühe, mir einen Blick über die Schulter zuzuwerfen. Er wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos wäre. Stattdessen gab er den Pferden den Kopf frei und ließ sie laufen. Wir flogen über den Boden wie Raben im Sturzflug über einem Schlachtfeld. Die Pferde schnaubten und gaben alles. Ihre Hufe trommelten über den grasigen Pfad und sandten einen feinen Sprühnebel in die Luft, der in unserer Fahrspur waberte.

Mit einem Speer, den ich fest in meiner rechten Faust hielt, stand ich breitbeinig hinter Mael und stemmte meine Füße gegen die schaukelnde Bewegung auf der Plattform des Wagens. Der Wind pfiff in meinen Ohren und der Boden unter unseren Rädern sauste dahin, sodass er nur noch verschwommen zu erkennen war. Noch nie zuvor waren wir so schnell gewesen und mein Herz hämmerte in meiner Brust. Ich verlagerte mein Gewicht und schob mich an Mael vorbei, trat von der Plattform des Streitwagens nach vorn und balancierte auf die vierkantige Deichsel hinaus, die zwischen den beiden Pferden entlangführte.

»Fallon – sei vorsichtig!«, rief Mael, als ich mit einem Fuß vom Holz abrutschte.

Ich stieß die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen aus, als ich beinahe stürzte und mein Speer mir fast entglitten wäre. Ich packte meine Waffe fester, fand mein Gleichgewicht wieder und spähte nach vorn zum fernen Ende des Tals, wo der Boden plötzlich steil anstieg und sich zum Hügelgrab eines längst vergessenen Kriegers auftürmte. Ein einzelner, grob behauener Stein krönte die runde Hügelkuppe, an deren Fuß wir ein mannshohes Ziel aufgestellt hatten – einen Baumstumpf, mit Heu gepolstert, eingewickelt in Segeltuch und bemalt mit der schiefen Fratze eines römischen Soldaten.

Ich grinste, meine Haut prickelte erwartungsvoll. Der Wind zerrte mir die Haare aus dem Gesicht und aus den Augen, und ich sah alles kristallklar. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben und wartete nur auf mich.

Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, arbeitete ich mich auf der Deichsel vor, während die Pferde weiterpreschten. Ich hielt den Atem an, bis ich den Rhythmus ihrer paarweisen Hufschläge in meinen Knochen spürte. Dann schulterte ich den Speer mit einem Ruck und rannte die Deichsel des Streitwagens entlang, bis ich zwischen den Schultern der galoppierenden Pferde zu stehen kam, meine Füße breitbeinig auf dem hölzernen Joch, mit dem sie an den Wagen geschirrt waren.

Mein Ziel heute Morgen war genauso einfach wie unmöglich: erfolgreich ein Streitwagen-Manöver ausführen, das »der Flug der Morrigan« genannt wurde, benannt nach der gefürchteten geflügelten Kriegsgöttin, die über die Schlachtfelder flog und die Seelen der würdigen Toten einsammelte. Ich hatte dabei zugesehen, wie meine ältere Schwester Sorcha es immer wieder versuchte. Es galt, in voller Fahrt über die schmale Deichsel eines Streitwagens zu balancieren, einen Speer auf ein Ziel zu schleudern, sich so lange zwischen den Pferden zu halten, bis der Speer feststeckte, und dann wieder in den sicheren Streitwagen zurückzurennen. Es war gefährlich. Es war atemberaubend.

Es war die Königsdisziplin eines echten Cantae-Kriegers.

Noch niemand, den ich kannte, hatte es bisher geschafft. Noch nicht einmal Sorcha.

Das letzte Mal, als Mael und ich es versucht hatten, hatte ich komplett den Halt verloren, war zwischen die Pferde gefallen und hatte mich gerade noch mit einem Arm und den Knien an der Deichsel festklammern können. Wenn ich gestürzt wäre, wäre ich wahrscheinlich getötet worden – von den Hufen niedergetrampelt oder den Wagenrädern überrollt. Aber der Göttin hatte es an diesem Tag noch nicht beliebt, mich zu holen, und Mael hatte es geschafft, die Pferde zum Stehen zu bringen, bevor ich meinen Halt verlor. Es hatte Wochen gedauert, bis die Blutergüsse verblassten, und Mael hatte mich fast eine halbe Stunde lang mit hochrotem Gesicht angeschrien und geschworen, dass wir so etwas nie und nimmer, im ganzen Leben nicht wieder versuchen würden.

Er hätte wissen müssen, dass ich nicht lockerlassen würde, bis wir es wieder taten.

Und so jagten wir in halsbrecherischem Tempo über den Boden des Vergessenen Tals. Denn bei Tagesanbruch würde ich, Fallon, jüngste Tochter von König Virico, dem Anführer des Stammes der Cantae von Prydain, siebzehn Jahre alt werden. Alt genug, um in die Kriegerschar meines Vaters aufgenommen zu werden, genau wie meine Schwester vor mir. Und ich war entschlossen, noch bevor es so weit war, den Flug der Morrigan zu beherrschen.

Und Mael, mit seinen geschickten, ruhigen Händen am Zügel, würde mir dabei zusehen.

Von irgendwo aus der Anderswelt, stellte ich mir vor, sah auch Sorcha mir zu.

»Auf dem Schlachtfeld bist du entweder ein Krieger oder im Weg«, hatte meine Schwester mich eines Nachmittags ausgeschimpft, als mein hölzernes Übungsschwert sein Ziel weit verfehlte. Sie selbst hatte schon unter Beweis gestellt, dass sie eine der besten Kriegerinnen des Cantae-Stammes war, und das war eine Lektion, die sie mir immer wieder eingebläut hatte, bis zu dem Tag, an dem sie starb – getötet in einem Gefecht, bei dem sie die Insel der Mächtigen gegen Caesars einfallende Legionen verteidigt hatte.

»Bist du Waffe oder Opfer?«, hatte Sorcha gefragt. »Entscheide dich, Fallon!«

Und so habe ich mich entschieden – an diesem Tag und an allen folgenden.

Das Gewicht des Speers auf meiner Schulter und das Schwert an meiner Hüfte waren mir inzwischen genauso vertraut wie meine Tunika und meine Stiefel oder mein Lieblingsumhang. Genauso beruhigend wie das raue Lachen meines Vaters oder das prasselnde Feuer in seiner großen Halle. Genauso aufregend wie Maels sanftes Lächeln, das immer öfter mir zu gelten schien …

Das Donnern der Hufe der Streitwagenpferde pulsierte in meinen Adern. Jeden Augenblick würde Mael den Wagen in eine scharfe Kurve lenken müssen, um nicht gegen die steilen Grabhügelseiten im Vergessenen Tal zu rasen.

Jetzt oder nie…

Meine Finger schlossen sich fester um den Speerschaft und das Ziel ragte hoch vor mir auf. Ich verlagerte mein Gewicht leicht nach vorne, spürte, wie der Speer sich in einem Moment perfekten Gleichgewichts neigte … und warf. Das schlanke Wurfgeschoss schnellte durch die Luft wie ein todbringender Raubvogel, schwarz gegen das Morgenrot.

Ich hielte den Atem an.

»Treffer!«

Nicht perfekt – der Speer hatte das Ziel um eine Handbreit weiter links getroffen als dort, wo das Herz eines Menschen aus Fleisch und Blut geschlagen hätte –, aber immerhin, es war ein guter, sauberer Treffer. Maels begeisterter Aufschrei bestätigte das. Ich stieß meine Faust siegesgewiss gen Himmel und breitete dann meine Arme aus wie Flügel. Einen flüchtigen Moment lang fühlte ich mich, als wäre ich die Göttin Morrigan, die tief über ein Schlachtfeld hinwegsegelte, um die Seelen der ruhmreichen Toten aufzulesen.

Dann, als Mael den Streitwagen langsam in eine Kurve lenkte, strauchelte eines der Pferde.

Das Tier versuchte stolpernd, seinen Tritt wiederzufinden, und das Joch, auf dem ich balancierte, wankte. Meine Geste des Triumphs verwandelte sich in hektisches Flattern, als ich mein Gleichgewicht verlor und in der Luft nach Halt suchte. Ich hörte, wie Maels Jubeln sich in einen Warnschrei verzerrte, als ich über die Schulter des Pferdes kippte und hilflos durch die Luft segelte. Mein Kopf schlug hart auf und die Welt versank in Dunkelheit.

Dumpfe Stille erstickte den morgendlichen Gesang einer Lerche.

»Fallon!«

Die Wärme auf meiner Wange rührte entweder vom Kuss der Sonne her oder von Tränen, die ich vergossen hatte. Oder war es Blut? Wahrscheinlich war es das, dachte ich benommen. Ich habe mir den Kopf angehauen und den Schädel gespalten und jetzt werde ich sterben. Am Morgen meines siebzehnten Jahres.

»Fallon!«, schrie Mael wieder.

Seine Stimme klang gleichzeitig sehr nah und trotzdem weit entfernt.

»Ich muss tot sein«, murmelte ich. »Oder ich träume …«

Wenn es ein Traum war, dann war es ein lebhafter. So klar wie der Traum, der mich oft nachts heimsuchte, in dem Morrigan, die Göttin des Todes und des Krieges, mir erschien, furchterregend und majestätisch in einem Mantel aus Rabenfedern. Mit einer Stimme wie Rauch und Asche nennt sie mich »Tochter«.

Ich schlug meine Augen auf und starrte in Maels Gesicht. Seine Nase war nur wenige Zentimeter von meiner entfernt. Ich begriff, dass die Wärme auf meiner Wange sein Atem gewesen war.

»Du träumst nicht, Fallon«, sagte Mael mit weit aufgerissenen, besorgten Augen.

Ich grinste zu ihm hoch.

Wer will schon von Morrigan nur träumen, dachte ich, wenn man wie sie fliegen kann?

So wie ich gerade. Der Nervenkitzel dieses Augenblicks kribbelte immer noch in meinen Adern.

»Also, wenn ich nicht träume«, zog ich ihn auf, »dann muss ich wohl tot sein.«

Der Schrecken in Maels Gesicht wich einem Blick voller Wut. »Tot bist du auch nicht«, blaffte er und konnte dabei den Zorn in seiner Stimme kaum im Zaum halten. »Aber gewiss nicht, weil du es nicht versucht hättest.«

»Warum bist du so wütend?«, fragte ich irritiert und stöhnte auf bei dem Versuch, mich auf einen Ellbogen zu stützen. In der Nähe entdeckte ich meinen Speer, der immer noch im Torso der Übungspuppe vibrierte. »Sieh doch!« Ich zeigte über seine Schulter. »Wir haben es geschafft –«

»Du hast es geschafft«, sagte Mael. »Und dann habe ich dich fast umgebracht!«

»Das war nicht deine Schuld –«

»Doch, war es!« Er starrte wütend auf mich hinunter. »Und wenn du mich je wieder dazu bringen solltest, etwas so Dummes und Leichtsinniges zu tun, bringe ich dich vielleicht tatsächlich um und es wird kein Unfall sein!«

»Mael –«

»Versuchst du, Oluns Prophezeiung zu erfüllen?«, fragte er. »Ist es das, was du versuchst?«

Ich verdrehte die Augen. Es stimmte, der Chefdruide meines Vaters, Olun, hatte vorausgesagt, dass ich eines Tages in die Fußstapfen meiner Schwester treten würde. Aber sie war auf dem Schlachtfeld ums Leben gekommen. Das Vergessene Tal war nichts weiter als eine friedliche Aue.

»Ich war ein Trottel, mich von dir überreden zu lassen.« Mael schüttelte den Kopf. »Du scheinst entschlossen, Morrigan auf die Probe zu stellen.«

Ich öffnete den Mund, aber diesmal brachte ich keine scharfzüngige Antwort zustande. Ich war es gewohnt, dass er mich ausschimpfte – wir waren zusammen aufgewachsen, seit ich fünf und er sechs war – und die meiste Zeit hatten wir damit verbracht, voller Inbrunst zu streiten. Mael war der jüngste Sohn von Mannuetios, König der Trinovanten im Norden, und als kleine Jungen waren er und sein Bruder Aeddan als Ziehkinder zu unserem Stamm geschickt worden – damit sie als einer von uns zu Männern heranwuchsen und den Frieden zwischen den beiden Fürstentümern sicherten. Eines der ersten Dinge, die Mael getan hatte, als er mich kennenlernte, war, mir während eines spielerischen Kampfes meinen kleinen Finger mit einem hölzernen Übungsschwert zu brechen. Seitdem hatte er sich einen nervigen, übertriebenen Beschützerinstinkt angewöhnt, der ständig seiner natürlichen Neigung, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit mir zu streiten, in die Quere kam. Es trieb mich in den Wahnsinn. Wir zwei zusammen waren wie Feuerstein und Eisen – wenn wir aufeinandertrafen, stoben die Funken. Meistens fiel es mir schwer zu entscheiden, ob ich Mael nicht ausstehen konnte … oder ob ich ohne ihn verloren wäre. Aber als ich zu ihm hochblickte, sah ich echte Sorge in seinen Augen. Er hatte wirklich befürchtet, ich sei verletzt.

»Mael«, sagte ich und wollte ihm die dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen. »Es tut mir leid. Ich –«

Meine Entschuldigung wurde von seinen Lippen auf meinen erstickt, die meine Worte mit einem überraschenden, drängenden Kuss zum Verstummen brachten. Ich riss die Augen auf … dann schloss ich sie. Ich versank in einer rot leuchtenden Dunkelheit. Mein Herz war ein glühendes Kohlestück, das in Flammen aufging, und alles, woran ich denken konnte, war, dass sich so Glück anfühlen musste. Leidenschaftlich und fordernd. Meine Lider flatterten wieder auf und ich blickte hoch zu Mael, in die dunklen Silbersprengsel in seinen Augen. Sie funkelten wie das Eisenerz, das unser Schmied einschmolz, um Schwerter und Dolche und alle möglichen anderen gefährlichen und wunderschönen Dinge zu schmieden. Plötzlich kannte ich die Antwort.

Verloren.

Ich wäre komplett verloren ohne Mael.

Mein Puls rauschte laut in meinen Ohren und meine Finger gruben sich in seine langen Haare, als ich ihn wieder zu mir hinabzog. Mael drückte mich mit seinem vollen Gewicht zurück ins feuchte Gras und seine großen Hände schoben sich unter mich, seine Fingerspitzen wanderten langsam von meinen Schultern den ganzen Weg hinunter zu meiner Hüfte. Er schlang seine Arme um meinen Oberkörper, hob ihn von dem moosigen Untergrund hoch und zog mich eng an seine Brust. Sein Mund wanderte von meinen Lippen seitlich zu meinem Hals, unterhalb meines Ohrs – und dann hörte ich mich selbst keuchen, erst vor Überraschung und dann aus Protest, als er sich plötzlich wieder von mir löste.

Der Windstoß, der jetzt zwischen uns fuhr, prickelte auf meiner Haut, während Mael sich mit einem Seufzer auf den Rücken warf. Dort lag er für einen Augenblick, schwer atmend und mit gerötetem Gesicht, und ich fragte mich, ob wir etwas furchtbar Falsches getan hatten. Es war das erste Mal, dass ich jemanden so geküsst hatte.

Aber dann drehte er den Kopf in meine Richtung. Seine grauen Augen blitzten gefährlich auf.

»Heute«, sagte er mit rauer Stimme.

»Mael?« Mir schwirrte der Kopf.

»Heute früh.« Er setzte sich auf, kniete sich vor mich, packte mich bei den Schultern und zog mich zu sich. »Heute noch, Fallon.«

Ich starrte ihn argwöhnisch und verwirrt an. »Was ist heute?«

»Ich werde zu Virico gehen und ihn um deine Hand bitten.« Seine Worte überschlugen sich fast. »Jetzt. Sodass er es heute Abend beim Festmahl der Vier Stämme verkünden kann. Vor allen anderen und –«

»Nein!«

»Was?«, stammelte Mael. »Fallon –«

Ich schüttelte ein bisschen zu energisch den Kopf. »Mein Herz … es gehört bereits dir, Mael«, sagte ich. »Du musst nicht um meine Hand anhalten –«

»Doch«, sagte er hartnäckig. »Das muss ich.«

»Du kriegst sie nicht!« Ich spürte einen winzigen Funken Panik in meiner Brust. »Noch nicht.«

»Ich dachte …« Er rang nach Worten, während sich seine Wangen röteten. »Ich dachte, du –«

»Das tue ich.«

Wie konnte ich es ihm erklären? Es war nicht so, dass ich ihn nicht wollte. Ich wollte ihn, auch wenn ich gerade erst anfing zu begreifen, wie sehr. Aber da gab es etwas, das ich zuerst wollte … brauchte.

Ich brauchte die Chance, mir einen Namen zu machen.

Ich biss mir auf die Lippe. »Es ist nur so, dass mein Vater mich heute Abend zu einem Mitglied seiner Kriegerschar machen wird. Da bin ich mir ganz sicher.«

Ich beobachtete, wie Maels Gesichtsausdruck sich umwölkte. Der leidenschaftliche Augenblick unseres Kusses stahl sich davon.

»Bitte, Mael.« Ich legte meine Hand auf seine Wange. »Du musst auf mich warten. Ich kann nicht zulassen, dass dem etwas im Wege steht. Dafür habe ich zu hart gearbeitet. Ich will Virico keinen Anlass geben, mir diese Ehre zu verweigern.«

Mael wich vor meiner Berührung zurück. »Manchmal frage ich mich, ob dir mehr an deinem Schwert liegt als an mir«, sagte er.

»Wie kannst du so etwas nur sagen?«, fauchte ich und ignorierte die leise Stimme in meinem Kopf, die dasselbe sagte. »Du gehörst bereits zur Kriegerschar! Willst du mir die Ehre und den Ruhm, an deiner Seite zu kämpfen, verweigern?«

Das hatte gesessen. Ich sah es in seinen Augen. »Nein«, sagte er. »Das würde ich dir nie verweigern, Fallon.«

Ich griff nach seinen Händen. »Warte nur noch ein bisschen, Mael, bis ich eine echte Kriegerin bin. Dann können wir zu meinem Vater gehen und alles haben, was wir wollen – zusammen.«

»Also gut«, sagte Mael schließlich und sein vertrautes Grinsen kehrte zurück. »Ich werde warten, Fallon, solange wie nötig. Aber vielleicht können wir die Wartezeit etwas verkürzen.«

Dann küsste er mich noch einmal, und ich vergaß ausnahmsweise völlig, mich mit ihm zu streiten.

II

Es war ein herrlicher, sonniger Nachmittag, der mir noch wunderbarer erschien, weil ich den Morgen damit zugebracht hatte, Mael im Vergessenen Tal zu küssen. Aber in meinem Haus in Durovernum – dem Haus, das ich mir einst mit Sorcha geteilt hatte – war es dunkel. Ich ließ den schweren ledernen Türvorhang hinter mir zufallen und entzündete die Lampen im Raum.

Im Laufe der Jahre hatte Sorcha mehr als ein Dutzend dieser Dinger gesammelt – glänzendes, filigran geschmiedetes Eisen oder geschnitztes Elfenbein oder bemalter Ton mit farbenprächtiger Glasur – und sie an unterschiedlich langen Ketten von den Dachbalken in unserem gemütlichen kleinen Haus hängen lassen. Am besten gefiel mir eine, die wie ein Vogel geformt war, mit blauen und grünen Glassplittern, die in die Flügel eingelassen waren und sie wie ein Feenlicht erstrahlen ließen. Die meisten Lampen waren von weit her gekommen, so wie die meisten wertvollen Dinge meiner Schwester; über das Meer gebracht von Handelsschiffen aus fernen Orten. Aus Orten wie Gallien und Griechenland und Ägypten. Und Rom.

Sosehr Sorcha sich auch darin gefallen hatte, bei jeder Gelegenheit ihren Hass auf Caesar zu verkünden, so wenig hatte dieser Hass ihrer Vorliebe für schöne, dekorative Dinge etwas anhaben können, die aus Ländern kamen, die seine Legionen erobert hatten. Wahrscheinlich war das nur eine der vielen Widersprüchlichkeiten meiner Schwester. Einmal habe ich am Stand eines Händlers ein Mosaik gesehen, das ganz genauso war, wie man sich Sorcha vorstellen musste – eine Vielzahl von scharfen, glänzenden Scherben, die zusammengenommen ein Gesamtbild ergaben. Eine ganze Geschichte erzählten.

Als ich die letzte der Lampen entzündete, dachte ich an den Tag zurück, an dem man mir mitteilte, dass meine Schwester tot sei, von den Römern ermordet. Die Frauen der Stämme von Prydain – die Cantae und Catuvellaunen, die Trinovanten und Icener – konnten wählen, ob sie an der Seite ihrer Männer kämpfen wollten oder nicht. Viele taten es, und so gekonnt, dass sie genauso gefürchtet waren wie die Männer – manchmal sogar mehr. Die Legionen hielten die weiblichen Krieger von der Insel der Mächtigen für Dämonen, Anomalien, deren Leichen sie nach der Schlacht haufenweise verbrannten, sodass ihre schwarzen Seelen nicht entkommen konnten, um sich anderer Körper zu bemächtigen. Natürlich war das komplett lächerlich. Ein primitiver Aberglaube. Die kämpfenden Frauen der Stämme von Prydain waren so gut, weil sie trainierten. Ich habe trainiert – hart.

So einfach – und so kompliziert – war das.

Ich stand vom ätherischen Schein des flackernden Lampenlichts eingehüllt da und starrte die zuckende Erscheinung an, die mir von dem glänzenden Bronzespiegel an der Wand – einem weiteren von Sorchas exotischen Schätzen – entgegenblickte. Beim Anblick der struppigen Gestalt zog ich eine Augenbraue hoch. Sogar in diesem unsteten Licht erkannte ich einen Schmutzfleck auf meiner linken Wange, der meine wenigen Sommersprossen halb verdeckte. Das Karomuster der langen Tunika, die ich über meinem dünnen Wollunterkleid trug, war einst von kräftigem Rot und Lila gewesen, die nun zu Schattierungen von Rostrot verblasst waren. Der Stoff war verschlissen und dreckig vom Erklimmen der Hügel, vom Durchwaten der Bäche und dem täglichen Kampf im Tal gegen Mael. Aus meinem Zopf, in den ich in den dunklen Stunden vor Sonnenaufgang meine Haare gebändigt hatte, waren einige Strähnen entwichen und umrahmten meinen Kopf als zerzauste, widerspenstige fuchsbraune Krone. Im Alter von siebzehn Jahren hatte ich vielleicht die schlanken Muskeln und die langen, starken Beine eines Kriegers, aber ich würde mich für den Augenblick zurechtmachen müssen, in dem mein Vater mir den Status als vollwertige Kriegerin gewährte.

Genau wie meiner Schwester zuvor.

Sorcha war ganze neun Jahre älter gewesen und sie hatte es mich nie vergessen lassen. Zwischen uns waren zwei Brüder geboren worden, aber noch vor ihrem dritten Jahr hatte sie das Sumpffieber geholt und unsere Mutter war ihnen nur wenige Tage nach meiner Geburt in die Anderswelt gefolgt, sodass Sorcha mich großgezogen – und mich von Ärger ferngehalten – hatte, da unser Vater, der König, zu beschäftigt war, über einen weit verzweigten Stamm von zänkischen Kelten zu herrschen, um mir Beachtung zu schenken. Die Tatsache, dass sie mir wahrscheinlich mehr Ärger eingebrockt als von mir ferngehalten hatte, hatte mich nie auch nur im Geringsten gestört. Sie war alles gewesen, was ich sein wollte, wenn ich groß war. Stark und schlau und genauso gefährlich wie das Schwert, das sie an ihrer Hüfte trug. Sorcha war für mich sogar noch mehr Göttin gewesen als Morrigan, die wir beide verehrten. Ich war ihr überallhin gefolgt, war ihr auf meinen kurzen Kinderbeinen hinterhergestolpert, wenn sie flink wie ein Reh durch die Wälder unserer Heimat gerannt war, immer auf der Suche nach einem Abenteuer – oder besser noch, um irgendwo einen Streit vom Zaun zu brechen.

Und dann, eines Tages, war alles anders geworden.

Caesar und seine Legionen landeten an unserer Küste – nicht nur einmal, sondern zweimal. Und beim zweiten Mal nahmen sie meinen Vater, König Virico, in einer hart umfochtenen Schlacht gefangen. Als die versammelten Stämme in ihren Streitwagen ausfuhren, um ihn zu befreien, führte Viricos Kriegerschar den Angriff an. Drei Tage später kam Vater nach Hause. Sorcha nicht. Meine kämpferische, schlaue, wunderschöne Schwester war fort. Tot.

Einfach so.

Es war jetzt fast sieben Jahre her, seit die Legionen unsere Küste verlassen und die Insel der Mächtigen für ausreichend erobert erklärt hatten. In all dieser Zeit waren die Römer nicht wieder nach Prydain zurückgekehrt, der Insel, die sie in ihrer sonderbaren Muttersprache Britannien nannten. Die Händler waren natürlich nie fortgegangen – sie waren schon hier gewesen, bevor Caesar einen Fuß an unsere Küste gesetzt hatte, und sie waren geblieben, als er »triumphierend« wieder abzog. Seitdem hatte man uns in Frieden gelassen.

Aber eines Tages würden die Legionen zurückkehren, um zu beenden, was sie begonnen hatten. Prydain war zu reich an Rohstoffen wie Gold und Zinn und Holz – und »barbarischen« Sklaven. Caesar und seinesgleichen würden dem nicht widerstehen können. Die römischen Armeen würden zurückkehren und wir würden kampfbereit sein, wenn es so weit war. Ich würde kampfbereit sein, genau wie meine Schwester es gewesen war.

Nur dass ich nicht durch ein römisches Schwert fallen würde.

An dem Abend, an dem Sorcha zum letzten Mal in ihrem Streitwagen ausgefahren war, hatte ich auf der Bettkante gesessen und ihr ihm Spiegel dabei zugesehen, wie sie die Schnallen ihrer Brustplatte schloss und ihre Schwerter an der Hüfte zurechtrückte. Wütend, weil sie mich schon wieder zurücklassen wollte, beschwerte ich mich lautstark bei Sorchas Spiegelbild, dass ich mit ihr ausziehen wollte, um gegen Caesars Legionen zu kämpfen.

Sie ignorierte mich, so lange sie konnte.

»Es reicht!«, fuhr Sorcha mich schließlich an. »Hast du wirklich darüber nachgedacht, was es heißt, eine Kriegerin zu sein, Fallon?«

Ich blinzelte sie an und sah zum ersten Mal in ihren Augen, wie aufgewühlt sie war.

»Hast du?« Sie seufzte. »Denn ich habe das. Es heißt, du tötest. Du tötest Männer. Du tötest Frauen. Und zwar während sie sich große Mühe geben, dich zu töten. Und sollte einer von ihnen besser sein als du, dann stirbst du. Bist du so erpicht darauf, mit dem Tod zu tanzen, kleine Schwester?«

Ich war zehn Jahre alt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Was ich hätte sagen sollen, war: »Geh nicht.«

Aber stattdessen war ich beleidigt und schwieg nur. Sorcha verließ unser Haus und kehrte nie wieder, um meine Antwort auf ihre Frage zu hören. Es war die erste Nacht, in der Morrigan mich im Schlaf besuchte und mich – mich, nicht Sorcha – ihre Tochter nannte. Es war eine heilige Sache, gleichzeitig Furcht einflößend und wunderbar, und ich habe nie jemandem davon erzählt. Aber ich bewahrte die Erinnerung an Morrigans Stimme für immer in meinem Herzen.

Ich versuchte, die Umklammerung dieser Erinnerung von mir abzuschütteln. Vergiss diese Nacht. Nach heute würde ich für die Cantae ein neues Mitglied der königlichen Kriegerschar meines Vaters sein und nicht mehr nur die kleine Schwester der legendären Sorcha.

Ich stellte mich vor den Spiegel und nahm den geschnitzten Knochenkamm zur Hand, der zwischen einem Haufen Armreifen und Ohrringen oben auf einer Weidentruhe lag. Der Anlass verlangte, dass ich mir wenigstens ein wenig Mühe mit meinem Äußeren gab. Normalerweise hätte ich nach den Dienerinnen gerufen, die mir bei solchen Dingen halfen. Aber heute hatte ich das Gefühl, mich alleine darum kümmern zu müssen. Ich wollte es genießen – das, was bereits geschehen war, und das, was noch kommen sollte – und zwar ohne das Getratsche der Sklavinnen in meinen Ohren. Das fröhliche Chaos des heutigen abendlichen Festmahls würde noch früh genug heranbrechen. Obwohl mich die Auswahl einer Tunika und eines passenden Unterkleids ablenkte – ein Unterfangen, für das ich wenig Geduld oder Geschick besaß –, konnte ich an nichts anderes denken als daran, was mein Vater wohl beim Festmahl sagen würde.

Während die Sonne in der Ferne über den violetten Hügeln unterging, malte ich mir aus, wie er mich mit lobenden Worten in seiner Kriegerschar willkommen heißen und mein Geschick mit dem Schwert und dem Speer preisen würde. Gewiss hätten sich in der großen Halle lauter Adelige aus Prydain versammelt – Aeddan, Maels zwei Jahre älteren Bruder, eingeschlossen. Nach dem Tod ihres Vater Mannuetios war er nun König der Trinovanten.

Bei dem Gedanken, ihn zu treffen, musste ich lächeln. Wir waren alle zusammen aufgewachsen, als Aeddan noch als Ziehkind bei unserem Stamm war. Aber Mael und ich hatten ihn schon eine ganze Weile lang nicht mehr gesehen. Nicht seit dem großen Verrat ihres Vaters. Aber nach unserem gemeinsamen Morgen im Tal war Mael zu Ohren gekommen, dass Aeddan und seine Gefolgsleute, die Stammesfürsten der Trinovanten, in Durovernum eingetroffen waren. Ich hatte ihn losgeschickt, damit er seinen Bruder willkommen hieß, während ich meine struppigen Haare bändigte.

Alle zwei Jahre, am Abend vor Lughnasa – was zufällig auch noch mein Geburtstag war –, kamen die Könige der Vier Stämme zusammen, um bei einem Festmahl gemeinsam zu schmausen und mit breitem Grinsen und reichlich dickflüssigem, schaumigem Bier aufeinander anzustoßen und so die Freundschaftsbande zu stärken, die sie in den Allianzen der letzten Jahre geschmiedet hatten. Aeddan war zum ersten Mal als König dabei; eben erst aus Rom zurückgekehrt, wo er viele Jahre im Exil verbracht hatte, nachdem sein Vater hingerichtet worden war, weil er lebenswichtige Informationen an die Römer verkauft hatte. Mael sprach nie über den Verrat seines Vaters, aber es war der Grund, warum er über das gewöhnliche Alter eines Ziehkindes hinaus bei den Cantae geblieben war.

Was seine Gefühle für seinen Bruder anging: Mael hatte immer gewusst, dass Aeddan nach seiner Rückkehr aus Rom König werden würde und nicht er, und darum hegte er keinen Groll gegen ihn. Wir drei – vier, wenn man die Male mitzählte, an denen Sorcha sich dazu herabließ, mit uns Unfug zu treiben –, waren zusammen aufgewachsen und ich hatte befürchtet, dass Mael seinen Bruder vielleicht irgendwann hassen könnte. Aber das tat er nie und das war eine Riesenerleichterung für mich. Wir waren wie Familie füreinander und für mich wäre es schlimm gewesen, wenn etwas zwischen uns gekommen wäre.

Ich war mit dem sorgfältigen Ankleiden fertig und legte mit zittrigen Fingern den filigranen Reif, den Torques, um meinen Hals. Draußen vor meiner Tür hörte ich Lachen und Rufe.

Die festliche Stimmung, die sich in den vergangenen Wochen langsam in Durovernum ausgebreitet hatte, war endlich vollends erblüht. Hinter den Holzpalisaden, auf den Feldern, die hinab zu den Stegen am Fluss Dwr führten, fanden Spiele und Wettkämpfe statt und Verkaufsstände boten knallbunte Stoffbahnen, Armreife und Felle, Essen und Trinken feil. Außerdem konnte man bei den Barden Lieder kaufen, um einen Liebhaber aus der Ferne anzulocken oder um über einen Rivalen Schande zu bringen, ohne dabei Blut zu vergießen. Wagenlenker jagten ihre von Pferden gezogenen Streitwagen die kurvigen Pfade hoch und runter (niemand von ihnen ganz so gekonnt oder waghalsig wie Mael und ich) und die Luft knisterte vor lauter Vorfreude auf das Festmahl, das nach Sonnenuntergang beginnen würde.

Endlich färbte sich der Himmel im Osten indigofarben und die köstlichen Gerüche – Wildschweinbraten am Spieß und Wildeintopf, der in riesigen Kesseln köchelte –, die die leichte Brise heute den ganzen Tag verbreitet hatte, lockten die Adligen der Vier Stämme und ihre Angehörigen, Männer wie Frauen, zur großen Halle.

Nervös warf ich einen letzten Blick in den Spiegel. Ich hatte meine dicken, gewellten Haare gebürstet, bis sie mir glänzend über den Rücken fielen, und sie mir mit einem rotgoldenen Stirnreif, der über meinen Augenbrauen verschnörkelt war, aus dem Gesicht geschoben. Ich musste mir eingestehen, dass die Mühe sich gelohnt hatte. Ein Kleid aus laubgrüner Wolle unter einem rostbraunen und lilafarbenen Mantel schmeichelte der Form meines Körpers. Der Torques um meinen Hals glänzte und die zahlreichen bronzenen und silbernen Armreifen klimperten an meinen Handgelenken, als ich meinen Türvorhang zur Seite schob und den sich windenden Pfad hoch zur großen Halle meines Vaters ansteuerte.

Einmal drinnen, umfing mich der Geruch von geröstetem Fleisch und der Rauch von Torf und ich musste mich an dicht gedrängten Leibern vorbeischlängeln, um zu meinem Platz an der Feuerstelle zu gelangen.

»Heute bist du wie eine echte Königin gekleidet«, amüsierte sich Clota, die ranghöchste Dienerin meines Vaters, als sie sich vorbeugte, um meinen Becher mit Met zu füllen. »Und mehr als einer der Burschen hier scheint endlich bemerkt zu haben, dass du ein Mädchen bist.«

Ich verdrehte die Augen und nahm mir von einer flachen Schale mit Honighaferkeksen und Äpfeln, zu nervös, um wirklich Hunger zu haben. Ich rutschte auf der niedrigen Bank hin und her, die links von meinem Vater stand und fragte mich, wo Mael blieb. Clota hatte vielleicht gescherzt, aber tatsächlich konnte ich die Blicke aus allen Ecken des Saals förmlich auf mir spüren – Blicke, die über meine Glieder und mein Gesicht wanderten. Aber wenn ich versuchte, sie ausfindig zu machen, gab es nur eine Person, die dreist genug war, meinen Blick zu erwidern.

Und es war nicht Maelgwyn Eisenhand, sondern sein Bruder Aeddan. Ich grinste und hob grüßend meine Hand, aber Aeddan erwiderte mein Lächeln nicht. Stattdessen prostete er mir mit seinem Becher zu.

Er weiß Bescheid, dachte ich und mein Magen krampfte sich ein bisschen zusammen. Mael hat es ihm gesagt.

Aeddan war zwei Jahre älter als sein Bruder, aber die Verwandtschaft war unverkennbar. Beide hatten dunkles Haar, das sie lang trugen, und fast identische schiefergraue Augen. Wie sein jüngerer Bruder war Aeddan attraktiv, schlau und gut im Umgang mit dem Schwert. Aber – wenigstens für mich – haftete seiner Anwesenheit immer etwas Grüblerisches an, das knapp hinter dem Kreis des Feuerscheins im Schatten lauerte. Während Maels Augen hell strahlen konnten vor Leidenschaft oder dunkel lodern vor Wut, kam mir Aeddans Blick immer ein bisschen kalt vor. Scharf. Wie die Schneide eines guten Eisenmessers, das darauf wartete, benutzt zu werden. Der römische Lebensstil, den er sich in seiner Zeit dort angewöhnt hatte – er trank Wein und schlang seinen Umhang über einen Arm wie eine Toga –, verstärkte nur noch den Kontrast zwischen den beiden Brüdern. Aber so verschieden sie auch waren, ich habe immer beide geliebt: Aeddan wie einen Bruder, Mael … etwas mehr. Sehr viel mehr, wie es schien. Ich wandte meinen Blick von Aeddan ab, bevor er bemerkte, wie mir die Röte in die Wangen stieg.

In diesem Moment kam Clota vorbei und ich schnappte mir hastig noch einen Becher des würzigen Met von ihrem Tablett. Den ersten hatte ich viel zu schnell hinuntergestürzt, im Versuch, meine Nerven zu beruhigen. Ich ließ meinen Blick noch einmal durch den Raum schweifen und hielt plötzlich verzweifelt Ausschau nach Mael. Ich dachte, ich hätte ihn durch die großen Eichentüren kommen sehen, und erhob mich halb von meinem Platz, um zu ihm zu gehen. Aber da wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt von einem Gesprächsfetzen zwischen einem grauhaarigen, bärenhaften Catuvellaunen-Krieger und zwei jungen Männern, die so sonderbar, wie sie aussahen, freie Gefolgsleute eines gallischen Fürsten sein mussten, der zu Besuch war.

»Wie läuft es denn mit dem Widerstand?«, fragte der alte Bär. »Setzen die Averner und die Karnuten den Römern in Gallien immer noch zu und stecken ihre Festungen in Brand?«

Einer der Freien mit Tätowierungen auf den Wangen und rot unterlaufenen Augen zischte: »Es gibt keinen Widerstand, seit Arviragus sich ergeben hat. Dieser Feigling.«

Ich gab vor, nicht zu lauschen, konnte aber kaum verbergen, wie schockiert ich war. Arviragus? Ein Feigling? Unmöglich. Ich hatte den gallischen Kriegerfürsten kennengelernt, als ich noch klein und er nichts weiter als ein Prinz war, aber ich war beeindruckt gewesen von seinem Mut und seinem Geschick im Umgang mit dem Schwert. Er würde sich den Römern niemals ergeben.

»Er war kein Feigling«, sagte sein Kamerad laut kauend, mit einem Mund voller Fleisch. »Aber er war ein Narr. Sich von den Römern gefangen nehmen zu lassen. Da wäre ich lieber in mein eigenes Schwert gestürzt.«

»Pass auf, was du sagst!«, fauchte der alte Mann und seine Augen zuckten zu Virico, meinem Vater, der von seinem Platz aus den Blick über die versammelte Menge schweifen ließ.

»Warum?« Dunkles Bier schwappte über den Becherrand des jungen Kriegers. »Ich sage bloß die Wahrheit.«

Da begriff ich, er wusste entweder nicht oder es war ihm egal, dass mein Vater genauso wie Arviragus von Caesar gefangen genommen worden war. Oder dass seine geliebte Tochter Sorcha eine Armee angeführt hatte, um ihn zu befreien, und dabei selbst ums Leben kam.

Sein tätowierter Kumpan begann schallend zu lachen. »Vielleicht hat er recht, Biron. Vielleicht machen es diese Stämme von Prydain genau richtig. Warum überhaupt gegen die Römer kämpfen? Es ist einfacher, sie in dem Glauben zu lassen, dass sie ihren Willen bekommen haben, und am Morgen raffen sie ihre Röcke und lassen dich in Ruhe.«

Trunkenbolde, kochte ich innerlich und meine Hand schloss sich fester um meinen Dolch.

Ich war nah genug bei meinem Vater, um zu sehen, dass er diese Unterhaltung mitangehört hatte. Für einen Moment fragte ich mich, ob er diese Narren mit seiner Klinge zum Schweigen bringen würde, aber als einzige Reaktion stürzte er den Rest seines Getränks hinunter und erhob sich.

Wenn Virico Lugotorix sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, konnte man sicher sein, dass er die Aufmerksamkeit auch des betrunkensten Zechers auf sich zog. Im selben Moment wuchteten zwei Herdsklaven ein schweres Holzscheit auf das große Feuer. Während die Feuerfunken um ihn herum aufstoben, wirkte mein Vater wie der König eines feurigen Unterweltreiches. Sein kastanienbraunes Haar und sein Bart leuchteten und sein attraktives Gesicht glühte purpurrot.

»Tuatha!«, brüllte er. »Willkommen. Die Stimmen der Vier Stämme mögen euch vom Frieden singen. Die Insel der Mächtigen trägt euch auf ihren grünen Schultern. Füllt eure Bäuche und eure Herzen heute Abend in meinem Saal und lasst uns vereint sein als ein Volk. Ein Stamm. Noch mehr der guten Nachrichten bringe ich euch jetzt.«

Die Männer und Frauen im Saal verstummten und lehnten sich eifrig vor, um die nächsten Worte von Viricos großer Verkündigung zu verstehen. Auch ich lehnte mich vor, umklammerte den Rand meines Sitzes, während ich atemlos darauf wartete, dass mein Vater mich in seine Elite-Kriegerschar berief. Endlich würde ich die Chance bekommen, ihn stolz auf mich zu machen – genauso stolz wie einst Sorcha.

»Meine Tochter Fallon ist das Juwel meines Hauses«, fuhr er fort und zeigte auf mich. »Sie ist nun volljährig, und zwar genau seit heute Abend. Ihr Herz ist aus Gold und ihr Schwert ein Funken in der Dunkelheit. Und ich würde sie ihren Platz zwischen meinen Kriegerfürsten einnehmen lassen, so wie ihre Mutter und ihre Schwester zuvor …«

Meine Wangen nahmen eine rote Färbung an und ich fühlte mich beschwingt, während das Blut aus meinem Kopf zu meinen Füßen rauschte und wieder zurück und mich heiße und kalte Schauer durchliefen.

»… wenn nicht etwas dazwischengekommen wäre.«

Viricos Stimme verhallte in der Stille.

Dazwischengekommen? Ich sah zu ihm auf.

Er wich meinem Blick aus, und als er erneut sprach, klang es wie eine Messerschneide, die über einen Mahlstein gezogen wird. Er hob seinen Kopf und rief einen Namen: »Aeddan ap Mannuetios!«

Aeddan? Ich stand auf und wollte etwas sagen, aber in diesem Augenblick versagte meine Stimme.

»Tritt vor!«, befahl Virico. »Tritt vor und halte hier vor unseren versammelten Freunden in meiner Halle um die Hand meiner Tochter an.«

Nein, dachte ich. Er macht einen Fehler.

»Aeddan!«, brüllte Virico noch einmal. Er winkte ihn mit einer Hand, an deren Finger goldene Ringe aufblitzten, zu sich. »Herrscher über unsere teuren Freunde, die Trinovanten, und mein zukünftiger Sohn, tritt vor!«

Die versammelte Menge grölte, aber ich war so schockiert, ich brachte keinen Ton heraus. Die rauchgeschwärzte Luft schien immer dichter zu werden und löste Beklemmung bei mir aus.

Ich ließ meinen Blick hektisch durch den Raum schweifen, bis ich endlich Maels aschfahles Gesicht entdeckte. Er stand wie erstarrt neben einem Stapel Fässer mit Bier und Met, um ihn herum eine Gruppe lachender Fürsten und freier Gefolgsleute der Trinovanten – junge Männer aus Maels eigenem Stamm, alles Freunde von Aeddan. Sein benommener Gesichtsausdruck wechselte schlagartig zu Wut. Ich sah, wie er den Namen seines Bruders brüllte, auch wenn er durch den Lärm nicht zu hören war. Gleichzeitig bahnte Aeddan sich einen Weg durch die Menschenmenge in der vollgepackten Halle und nahm mit verlegenem Grinsen Beglückwünschungen entgegen, die er nicht verdiente. Nur ich sah, wie dieser bescheidene Gesichtsausdruck Aeddans dunkle Augen nie erreichte.

Das ist alles ein schrecklicher Fehler. Vater ist betrunken. Er denkt nicht klar…

»Mael!«, schrie ich über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg. »Tu etwas!«

Mael konnte Aeddan aufhalten. Er konnte ihn zur Vernunft bringen oder wenigstens seine absurde Forderung anfechten! Wir konnten das Ganze immer noch verhindern. Wir mussten nur zu meinem Vater durchkommen.

Mael schrie etwas zurück, aber ich verstand seine Worte nicht. Er war zu weit weg. Und Aeddan war zu nah, bewegte sich geschickt durch die Menge der versammelten freien Männer und Frauen auf mich zu.

»Vater!« Ich streckte eine Hand aus und griff nach Viricos Ärmel, aber die Rufe der Fürsten und ihrer freien Gefolgsleute ließen die Luft im großen Rundhaus erzittern und erstickten meinen Protest.

Viricos Kopf fuhr herum, seine Augen glänzten fiebrig im Schein des Feuers. »Ich wusste, dass du wütend sein würdest«, sagte er mit leiser, eindringlicher Stimme. »Aber ich kann dich nicht zu einer Kriegerfürstin machen, Fallon. Ich habe deine Schwester an das Schwert verloren. Ich werde nicht zulassen, dass du dasselbe Schicksal erleidest wie Sorcha. Ich kann euch nicht beide verlieren.«

»Nein!« Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. »Vater, das kannst du mir nicht antun.«

Aber genau in diesem Augenblick war Aeddan bei mir. Das Gebrüll der versammelten Menge wurde noch lauter, als er mich herumwirbelte und mich hart auf den Mund küsste.

Zum zweiten Mal an diesem Tag küsste mich ein Sohn von Mannuetios.

Nur dass es sich diesmal anfühlte, als würde mir Gift in den Mund laufen.

Mit aller Kraft versuchte ich, Aeddan von mir zu stoßen, aber ich konnte ihn nirgends hinschieben. Das Gedränge war zu groß. Die Frauen der Cantae strömten auf mich zu, um mich freudig zu umarmen und mir Glück zu wünschen. Einige von ihnen begannen zu singen und andere drehten sich tanzend im Kreis und warfen ihre Arme in die Luft. Wenn es etwas gab, was jeder ordentliche Kelte liebte, dann war es die Liebe. Sie besangen sie, kämpften für sie, weinten bitterliche Tränen in ihre Met-Becher um ihren Verlust und – wenn ein Lüftchen auch nur den geringsten Hinweis auf eine glückliche Verbindung vorbeitrug – ergriffen sie sofort die Gelegenheit, sie ausgiebig zu feiern.

Drüben, in der Nähe der Met-Fässer, brach Unruhe aus, als Mael versuchte, sich gegen die Massen zu Aeddan und mir durchzukämpfen. Ich meinte sogar gesehen zu haben, wie er jemandem einen Fausthieb verpasste. Aber dann blockierte Aeddan meine Sicht und zwang mich, einen Schritt zurückzuweichen. So von Nahem sah ich, dass sein Gesicht rot war – vom Trinken oder vor Verlangen oder wegen beidem –, und seine dunklen Augen leuchteten. Das Gedränge der Körper, die farbenprächtigen gewebten Mäntel und der klimpernde Schmuck, die geflochtenen Haare und angemalten Augen, Lippen, Münder, die verschlungenen Tätowierungen und Torques und die Rufe, der Geruch von Bier, Körpern und Fleisch … zum ersten Mal in meinem Leben, dachte ich, dass ich womöglich in Ohnmacht fallen könnte.

Als im Handgemenge bei den Fässern ein großer schäumender Kübel Met umkippte, verlagerte sich die Menge plötzlich in diese Richtung. Wutgebrüll und trunkenes Gelächter feuerte die Streithähne an. In dem folgenden Durcheinander duckte ich mich unter Aeddans Armen hindurch und rannte zu den Türen der großen Halle.

III

Blitze peitschten über den nächtlichen Himmel Durovernums. Während ich in der großen Halle gewesen war, hatten sich dunkle Sturmwolken zusammengebraut und es regnete in Strömen. Auf dem Weg zu meinem Haus konnte ich kaum etwas erkennen.

Im Inneren erweckte ich die aufgeschichtete Kohle in der Feuerschale zu mürrischem Leben. Es half nicht gegen die Kälte, die sich meiner Knochen bemächtigt hatte. Nicht nur, dass mein Vater mir genauso gut meine Schwerthand vom Arm hätte abhacken können, er hatte mir auch noch das Herz aus der Brust gerissen. Und dann dem Bruder des Jungen gegeben, den ich liebte. Mein Vater hatte mich nicht nur einmal, sondern gleich zweimal verraten.

Ich stieß eine Reihe von Flüchen aus, die sich alle um Viricos Namen rankten, und fiel vor dem Feuer auf die Knie. Und dann begann ich langsam und methodisch allen Schmuck, den ich erst ein paar Stunden zuvor so sorgfältig ausgewählt hatte, abzunehmen. Die Ringe und Armreifen und Ohrringe, die mich als Frau ausgaben … den Torques um meinen Hals, der mich als Prinzessin ausgab … sogar den Dolch an meiner Hüfte, der mich als Kriegerin ausgab. Plötzlich wollte ich nichts mehr davon haben. Ein Teil nach dem anderen nahm ich ab, ließ es ins Feuer fallen und sah dabei zu, wie die hellen Flammen das glänzende, wertvolle Metall schwarz leckten.

In diesem Moment wünschte ich, mein Vater wäre nie aus Caesars Feldlager zurückgekehrt. Es war seine Schuld, dass Sorcha tot war. Sie war ausgezogen, um ihn zu retten, und war als Heldin gestorben. Die Art von Heldin, die ich nicht werden konnte, weil mein Vater mir gerade eben jedes Recht und jede Möglichkeit dazu verwehrt hatte.

Und dafür hasste ich ihn.

Dafür und weil er mir Mael weggenommen hatte. Heute Morgen hatte ich Maels Heiratsantrag abgelehnt, und wofür? Für die Chance, ein Schicksal anzutreten, das sowieso nie für mich bestimmt war. Die Flammen der Feuerschale verschwammen vor meinen Augen, während ich Tränen der Wut niederkämpfte.

»Trinkst du mit mir?«

Ich wirbelte auf meinen Knien herum, blinzelte die Tränen weg, und entdeckte Aeddan, der in meinem Türrahmen lehnte. Er schob die Kapuze seines regennassen Mantels aus dem Gesicht. An seiner anderen Hand baumelte eine kleine Amphore mit römischem Wein und zwei Becher.

»Nun, Frau?«

»Ich bin nicht deine Frau.«

»Noch nicht.«

»Niemals«, sagte ich. »Und wenn du mich noch einmal so nennst, wird es der letzte Laut sein, der sich aus deinem Mund herausgewunden hat.«

Er lachte.

»Komm schon«, sagte er grinsend. »Fallon, denk an deinen Vater.«

Misstrauisch stand ich auf, um Aeddan entgegenzutreten. Mein Kleid war klatschnass vom Sturm und klebte an meinem Körper, aber ich wollte mich nicht hinter verschränkten Armen verstecken. Stattdessen ließ ich meine rechte Hand nach unten zu dem Dolchgriff an meinem Gürtel wandern – bloß dass die Scheide leer war. Ich hatte den Dolch ins Feuer geworfen. Aeddans Blick zuckte von meiner Hand zur Feuerschale und er runzelte leicht die Stirn. Er trat ein und der Vorhang fiel hinter ihm zu, ließ das Rauschen des Regens verstummen.

»Denk daran, wie sehr Virico Bündnisse wie dieses möchte – braucht«, sagte er.

»Bestimmt hätte er mich auch deinem Bruder geben und trotzdem sein Bündnis mit den Trinovanten haben können.«

»Das stimmt.« Aeddan zuckte mit den Schultern und trat tiefer in den Raum. »Tatsächlich glaube ich, dass das Viricos erster Gedanke war. Aber zum Glück konnte ich meinen Onkel davon überzeugen, ihm anderes zu raten.«

Der gestampfte Erdboden des kleinen Rundhauses fühlte sich an, als würde er unter meinen Füßen wegsacken. Ich war so wütend, dass ich noch nicht mal Worte fand, die ich Aeddan hätte entgegenschleudern können. Mein Zorn machte mich sprachlos.

»Virico weiß, wie nah du und Maelgwyn euch immer standet«, fuhr Aeddan fort. Er ging durch den Raum zu einer niedrigen Bank und setzte sich, stellte die Weinbecher auf einen kleinen Tisch. »So nah wie Bruder und Schwester …« Der Schatten eines höhnischen Lächelns lag auf seinen Lippen. »Auch dein Vater hat das – nach einiger Überzeugungsarbeit wohlgemerkt – eingesehen. Er hat eingesehen, dass es nicht fair wäre, dich an jemanden zu geben, für den du nur Geschwister- und keine echte Liebe empfindest.«

Aber ich liebte Mael.

Und ich hatte die Gelegenheit gehabt, es ihm zu sagen – mit ihm zusammen zu sein – heute Morgen im Tal. Ich liebte Maelgwyn Eisenhand und Aeddan wusste das. Er hatte es immer gewusst, sogar noch bevor ich es wusste. Ich hatte es in seinen grauen Augen gesehen und ich sah, dass er seinen Bruder deswegen hasste. Wegen mir.

»Du darfst dich glücklich schätzen, Fallon, dass deinem Vater etwas an deinem Herzen liegt«, sagte Aeddan und machte sich am Korken des Weinkrugs zu schaffen. »So wie mir. Du solltest froh darüber sein.«

»Vergib mir, wenn ich nicht vor Freude überschäume«, zischte ich.

Aeddan erhob sich, die Amphore entglitt ihm und zerschellte auf dem Boden. Wein sickerte aus dem zerbrochenen Gefäß wie Blut aus einer Wunde.

»Da war immer etwas zwischen uns, Fallon«, sagte er eindringlich. »Nicht wahr? Wenn ich nicht weggegangen wäre – wenn Maelgwyn, und nicht ich, gezwungen gewesen wäre, nach Rom zu fliehen …«

Mit zwei Schritten durchquerte er den Raum und packte mich an den Schultern. Röte stieg in Aeddans kantige Gesichtszüge und eine Vene pulsierte seitlich an seinem Hals.

»Ich habe dich nie vergessen«, sagte er. »Ich wusste immer, dass ich eines Tages zurückkehren würde, um dich zu holen. Ich kann dir die Welt zeigen, Fallon. Ich werde dir die Welt zeigen. Es ist schon alles vorbereitet. Und du wirst glücklich sein – das verspreche ich dir! Rom ist ein Ort voller Wunder. Sie bauen Paläste aus schimmerndem Stein und die Luft riecht nach Parfüm. Aber da ist noch mehr, Fallon. Sie sind kämpferisch. Sie haben Kämpfer, Krieger, wie du sie noch nie gesehen hast.«

»Wie die römischen Legionen, an die dein Vater unser Volk verkauft hat?«, fauchte ich.

Mein Wutausbruch ließ Aeddan kalt. »Ich werde dir Dinge zeigen, die du dir nicht vorstellen kannst, Fallon. Nicht einmal in deinen Träumen. Und wir werden endlich zusammen sein.«

Ich starrte ihn ungläubig an. Ich hatte nie – nicht ein einziges Mal in meinem Leben – auf diese Art an Aeddan gedacht. Allein die Vorstellung, dass er dazu irgendeine Fantasie in seinem Kopf gesponnen und mich darin eingewickelt hatte, war mir völlig unverständlich. Er beugte sich vor und wollte mich wieder küssen, aber diesmal übernahm mein Instinkt, als Aeddans Finger sich in meine Haut krallten. Ich sprang zurück in Verteidigungsposition mit gebeugten Knien und gesenktem Kopf. Erneut griff ich nach meinem Dolch – der natürlich nicht da war –, biss stattdessen meine Zähne aufeinander und rammte mein Knie zwischen seine Beine, schubste ihn weg, als er schmerzerfüllt nach Luft schnappte und rückwärtstaumelte.

Hinter einer dunklen Haarsträhne funkelten Aeddans Augen gefährlich in der Dunkelheit. Er ballte seine Fäuste. »Das war nicht nett, Frau.« Sein Atem ging stoßweise. »Eine römische Frau hätte sich besser unter Kontrolle gehabt. Aber ich werde viel Zeit haben, es dir beizubringen –«

»Aeddan.« Maels Stimme schnitt durch die Luft wie ein Messer.

»Hallo, Bruder.« Aeddan richtete sich auf und drehte sich langsam um. »Bist du gekommen, um an meinem zukünftigen Eheglück teilzuhaben?«

Zwei Schwerter blitzten in der Dunkelheit auf und Aeddan fand sich plötzlich zwischen Maels Zwillingsklingen wieder, die sich über seiner Kehle kreuzten. Sie bissen in sein Fleisch, geradewegs über dem Königstorques, den er trug. Mael zwang seinen Bruder unbarmherzig rückwärts zur Tür.

»Verschwinde«, sagte er. »Bevor ich meine Schwerter mit deinem wertlosen Blut beflecke.«

»Und da dachte ich, dass du dich für mich freust, kleiner Bruder.« Aeddan reckte das Kinn, starrte über die Klingen hinweg Mael an, wich aber trotzdem zurück. »Oder wenigstens für sie. Ich biete Fallon eine Chance, dem allem hier zu entfliehen. Ich werde sie an einen Ort bringen, an dem sie leben wird, wie es einer Kriegerkönigin gebührt. Und du? Du würdest nur dafür sorgen, dass sie eines Tages bei einem Stammesüberfall getötet wird.«

»Ich sagte, verschwinde!«, brüllte Mael und holte mit seinen Klingen aus, um zuzuschlagen.

Aber Aeddan war schon weg, hinausgeschlüpft und im dunklen Regen verschwunden. Mael stand lange da, kehrte mir den Rücken zu und atmete schwer. Dann steckte er seine Schwerter zurück in ihre Scheiden und drehte sich mit qualvoll verzogenem Gesicht zu mir um.

»Wo warst du heute Abend?«, fragte ich.

»Aeddan«, zischte er. »Seine Stammesführer haben mich von dir ferngehalten.«

Seine grauen Augen waren voller Wut und Schmerz. In seinem Mundwinkel war Blut und der Schatten einer frischen Prellung zog sich über sein Kinn. Mir fiel wieder der Aufruhr in der großen Halle in der Nähe der Bierfässer ein.

»Wusstest du, was kommen würde?«, wollte er wissen. »Hast du mich deswegen heute Morgen zurückgewiesen? Um mit Aeddan zusammen zu sein?«

»Was?« Ich starrte ihn ungläubig an. »Wie kannst du so etwas auch nur denken? Ich meinte, was ich gesagt habe, Mael. Mein Herz gehört nur dir.«

Maels Wut verrauchte fast augenblicklich, aber der Schmerz haftete tief und dunkel in seinen Augen. »Fallon, es tut mir leid. Es ist nur …« Er schluckte schwer. »Seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, hast du allein einen Platz in meinem Herzen gehabt. Wenn ich schlafe, sehe ich dein Gesicht. Wenn ich aufwache, sehne ich mich nach dir. Du bist für mich genauso wild und schön und tödlich wie dein Schwert. Und darum habe ich dir versprochen zu warten, aber dann …«

»Dann was?«

»Dann war Aeddan da.« Sein Mund verzog sich angewidert. »Und er hat dich geküsst.«

»Ich habe ihn nicht geküsst.«

»Ich weiß!« Wütend strich er sich das nasse Haar aus dem Gesicht. »Das weiß ich jetzt. Ich werde zu ihm gehen. Zu Virico. Ich werde ihm sagen, dass wir unsere Herzen bereits einander versprochen haben.«

»Das geht nicht. Dafür ist es zu spät.«

Ich kannte meinen Vater. Hätte Mael sich einen Weg in der Halle zu mir erkämpft … wenn er sich vor Aeddan gestellt und ihn an Ort und Stelle herausgefordert hätte, hätte Virico sein Anliegen vielleicht in Betracht gezogen. Aber dafür war es jetzt ein ganzes Leben zu spät. Mein Vater würde sein Versprechen – eines, das er vor allen Vier Stämmen abgegeben hatte – nicht brechen und er würde seine Meinung nicht ändern. Er würde es nicht zulassen, von seinen Stammesfürsten schwach genannt zu werden. Oder feige. Das hatte er damals, als er aus der Gefangenschaft der Römer zurückgekehrt war, zu Genüge erdulden müssen. Wie konnte der König, hatten seine freien Gefolgsleute sich gefragt, statt sich das Leben zu nehmen, lieber die Schande römischer Gefangenschaft in Kauf nehmen? Wie konnte er lebend nach Durovernum zurückkehren, wenn seine eigene Tochter in der Schlacht gefallen war?

Es hatte Virico Lugotorix Jahre gekostet, sich den Respekt seiner Stammesfürsten zurückzuerobern.

Das würde er jetzt nicht aufs Spiel setzen. Nicht wegen mir.

»Und jetzt werde ich nie eine Kriegerin werden«, sagte ich langsam und jedes Wort lastete dabei schwer auf mir.

Mael warf mir einen scharfen Blick zu.

»Nicht.« Ich hielt warnend eine Hand hoch. »Wenn mein Vater mich gezwungen hätte zu wählen, wenn er überhaupt in Betracht gezogen hätte, mir eine Wahl zu lassen, dann sollst du wissen: Ich hätte mein Schwert für dich aufgegeben, Maelgwyn Eisenhand. Für dich. Nicht für deinen Bruder.«

»Tja, dafür ist es jetzt zu spät, nicht wahr?« Seine Stimme war wieder voller Bitterkeit. »Wenn wir heute Morgen zu deinem Vater gegangen wären, wäre nichts davon geschehen.«

»Wie hätte ich das ahnen sollen, Mael?«, schrie ich fast. »Ich bin diejenige, die hier mit nichts zurückgelassen wird, und du bist eifersüchtig auf kalten Stahl!«

Eine Welle des Elends überrollte uns beide und wir standen da und starrten uns mit hilflosem Bedauern und Sehnsucht an. Wie hatte alles nur so schnell schiefgehen können? Es hätte eine Nacht in Feierlaune für mich werden sollen. Aber mein stolzer Moment lag in einem Scherbenhaufen vor meinen Füßen.

»Wir gehen«, sagte ich. »Wir gehen noch heute Abend fort Richtung Westen. Dort gibt es Stämme, die sich glücklich schätzen würden, uns zu haben, und wir können zusammenbleiben.«

»Nein.« Mael ballte die Fäuste, seine Fingerknöchel traten weiß hervor. »Ich renne nicht davon wie ein Feigling. Das hier ist mein Zuhause, dein Stamm, und Aeddan hat kein Recht, uns das wegzunehmen.« Er schritt zur Tür, schlug den Ledervorhang zurück und ließ einen dunklen Regenschauer hinein.

»Mael!« Ich rannte ihm hinterher, packte ihn am Arm. »Wohin willst du?«

»Ihn suchen. Er wird das in Ordnung bringen.« Mael machte sich von mir los. Er zog seine Schwerter und stülpte sich die Kapuze seines Mantels über den Kopf. »Und wenn er es nicht tut, bringe ich ihn um.«

»Ich hätte ihn selbst getötet, wenn das eine Lösung wäre! Mael!«, rief ich. »Mael!«

Aber er war schon weg, wie ein Schatten verschwunden in der stürmischen Nacht. Was er zurückließ, war ein Loch in meiner Brust, das sich mit heißer, rasender Wut füllte. Ich war Herrin über mein eigenes Schicksal. Ich und die Göttin Morrigan. Niemand sonst – und mit Sicherheit kein Mann. Mael und Aeddan konnten bis aufs Blut um mich kämpfen. Mein Vater konnte mir mein Schwert verwehren. Aber sie konnten mich nicht von meinem Pfad als Kriegerin abbringen, außer, ich ließ sie. Sorcha hätte ihr Schicksal nie von jemand anderem bestimmen lassen.

»Dann geh«, sagte ich laut in die Leere des Raumes hinein. »Ich werde nicht hier sein, wenn du zurückkommst.«

IV

Als mein Vater ein kleiner Junge war, hatte er weit reisen und die Meeresenge im Westen überqueren müssen, um als Ziehkind bei einem wilden Kriegerstamm aufzuwachsen. Dort hatte er meine Mutter kennengelernt. Sie war damals nicht älter als ich gewesen, als ich zum ersten Mal Mael traf. Jahre später war Virico als erwachsener Mann zurückgekehrt, um um sie zu werben.

Sie hatte auf ihn gewartet.

Ich würde nicht darauf warten, dass Maelgwyn zu mir zurückkehrte.

Nicht in Durovernum.

Ich konnte auf keinen Fall irgendwo über Nacht bleiben, wo Aeddan oder mein Vater mich finden würden. Stattdessen holte ich mein Schwert in seiner rehledernen Scheide und stopfte es in den Schlafsack, den ich mir über die Schulter warf. Es gab einen Ort, an dem ich die Nacht verbringen konnte – einen Ort, an dem nur Mael nach mir suchen würde, wann auch immer sein närrischer Stolz und seine Wut verebbt waren.

Er hätte etwas sagen sollen, dachte ich bitter.

Das hast du auch nicht.

Bei diesem Gedanken blieb ich wie angewurzelt stehen. Nein, habe ich nicht. Hatte ich nicht.

Als der Augenblick gekommen war, in dem ich meinem Vater die Stirn hätte bieten sollen, hatte ich nur stumm dagestanden.

Opfer.

Nun ja. Nicht mehr. Ab jetzt würde ich die Waffe sein.

Ich streifte mir meinen Mantel über und schlang den Gurt meines Schlafsacks um meine Schultern. Mit einem letzten Blick zurück auf mein Haus – einen Ort, den ich wahrscheinlich nie wiedersehen würde – schlüpfte ich durch den Türrahmen hinaus in die Nacht. In der Ferne hörte ich den Lärm der Zecher, die in der großen Halle meines Vaters versammelt waren und immer noch meine widerwärtige Verlobung feierten. Aber darüber hinaus war das trubelige Dorf Durovernum ein Ort der Schatten und des Nebels. Der Regen hatte nachgelassen und ein silbriger Dunst sammelte sich in den Gräben. Die Dorftore waren bestimmt geschlossen und verbarrikadiert, die Wälle über Nacht bewacht, aber das war kein Problem für mich. Ich schlich zwischen den Rundhäusern der Stammesanführer entlang, vorbei an der Schmiede und den Ställen, zu der Stelle, von der ich wusste, dass der Erdwall bis kurz unter die Spitze der Dorfumfriedung aufgeschüttet war, sodass ich darüberklettern konnte. Ich hatte diesen Weg so oft mit Mael genommen, dass ich ihn wahrscheinlich auch blind gefunden hätte.

Mael.

Ich zog mir die Kapuze enger ums Gesicht. Ich würde ins Vergessene Tal gehen und dort warten, ob Mael mir folgte. Einen Tag – höchstens zwei –, und dann würde ich gehen.

Er wird kommen. Er muss.

Und dann würden wir weglaufen. Nach Westen. Über die Berge von Cymru, wo der Dobunni-Stamm lebte, und durch das Territorium der geheimnisvollen Silurer. Ich würde über die Irische See segeln, ins Land meiner Mutter. Ein Ort, von dem es heißt, dass sich der Erdboden, sollte er je die Schritte von Legionärssandalen zu spüren bekommen, von allein erheben würde wie ein ausgewachsener grüner Riese und sie wie Fliegen abschütteln.

Dort kann ich mir ein Leben aufbauen, dachte ich, während ich rannte. Wir können das.