Glück im Nixengrund - Gert Rothberg - E-Book

Glück im Nixengrund E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Der Postbote von Bachenau ging schmunzelnd auf das Tor des Tierheims Waldi & Co. zu. Dort stand die junge Frau des Tierarztes Dr. von Lehn und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Sofort nahm sie ihm den Packen Post ab und stöhnte dabei: »So viel! Aber für mich ist sicher nichts dabei. Ich sehe nur Drucksachen, Werbesendungen und Veterinär-Zeitschriften.« Andrea von Lehn hatte übersehen, dass der Postbote noch einen Brief in der Hand hielt. Jetzt reichte er ihr das Kuvert. »Dieser Brief ist zwar nicht an Sie adressiert, Frau von Lehn, aber er dürfte hierhergehören.« Er rückte seine Mütze in den Nacken und lachte. »So etwas ist mir auch noch nicht passiert. Aber wie ich immer sage, bei unserer Post geht nichts verloren. Da, lesen Sie!« »An den Dackel Waldi im Tierheim Waldi Co., Bachenau«, buchstabierte Andrea. Jetzt lachte auch sie. »Das ist wirklich der erste Brief, den unser Waldi & Co., Bachenau, bekommt.

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Extra – 107 –Glück im Nixengrund

Unveröffentlichter Roman

Gert Rothberg

Der Postbote von Bachenau ging schmunzelnd auf das Tor des Tierheims Waldi & Co. zu. Dort stand die junge Frau des Tierarztes Dr. von Lehn und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Sofort nahm sie ihm den Packen Post ab und stöhnte dabei: »So viel! Aber für mich ist sicher nichts dabei. Ich sehe nur Drucksachen, Werbesendungen und Veterinär-Zeitschriften.«

Andrea von Lehn hatte übersehen, dass der Postbote noch einen Brief in der Hand hielt. Jetzt reichte er ihr das Kuvert. »Dieser Brief ist zwar nicht an Sie adressiert, Frau von Lehn, aber er dürfte hierhergehören.« Er rückte seine Mütze in den Nacken und lachte.

»So etwas ist mir auch noch nicht passiert. Aber wie ich immer sage, bei unserer Post geht nichts verloren. Da, lesen Sie!«

»An den Dackel Waldi im Tierheim Waldi Co., Bachenau«, buchstabierte Andrea. Jetzt lachte auch sie. »Das ist wirklich der erste Brief, den unser Waldi & Co., Bachenau, bekommt. Ob er diese Ehre zu schätzen weiß? Das muss ich ihn doch gleich einmal fragen.« Sie nickte dem Postboten zu. »Danke.« Während sie auf das große Wohnhaus zuging, sah sie noch immer auf den weißen Briefumschlag. »Natürlich eine Kinderhandschrift. Da bin ich aber neugierig.«

Andrea vergaß, sich nach Waldi umzusehen. In der Diele rief sie dem Hausmädchen zu: »Waldi hat heute einen Brief bekommen. Es gibt doch noch Überraschungen auf dieser verrückten Welt.« Sie drückte dem Mädchen den Stapel der übrigen Post auf den Arm. »Geben Sie das bitte meinem Mann ins Sprechzimmer.«

Marianne sah Andrea etwas verwundert nach. Mit dem Brief an Waldi, das konnte doch nicht stimmen. Wer würde denn an einen Hund schreiben? Schließlich wusste doch jedes Kind, dass Hunde nicht lesen konnten. Sicher hatte sich die junge Frau nur einen Scherz erlaubt, wie sie es in ihrem Übermut oft tat.

Damit war die Sache für Marianne erledigt.

Nicht aber für Andrea. Sie lag inzwischen in einem Polstersessel, die Beine auf der Lehne und las den Brief.

Lieber Waldi, gestern hat mir mein Freund Dieter von Dir aus der Zeitung vorgelesen. Das hat mir gut gefallen. Ich finde es sehr mutig von Dir, dass Du der Chef von so vielen Tieren bist. Auch von denen, die größer und stärker sind als Du.

Aber ich wollte Dich etwas fragen, lieber Waldi. Hättest du in dem schönen Tierheim nicht noch Platz für drei junge Collies? Sie sind so arm, weil sie keine Mutter haben. Ein böser Mann hat sie erschossen. Sie war eine so liebe Lassie. Und sie hat mir gehört. Deshalb gehören ihre Kinder auch mir. Aber ich darf sie nicht behalten. Meine Mutti und ich leben nämlich jetzt in einem Gasthof, weil uns mein Vati fortgeschickt hat. Und meine drei Collies müssen in einer alten Regentonne auf dem Hof wohnen. Aber selbst darüber schimpft der Wirt den ganzen Tag. Gestern hat er mir vor Wut das Milchfläschchen zerschlagen. Dabei brauche ich es so nötig, um meine Collies zu füttern.

Weißt Du, Waldi, ich werde ja sehr weinen, wenn ich mich von meinen Collies trennen muss, aber ich bitte Dich trotzdem ganz lieb: Nimm sie zu Dir und passe gut auf sie auf. So wie auf Deine anderen Freunde.

Ich weiß nur nicht, wie meine Collies zu Dir kommen sollen. Meine Mutti und ich haben kein Geld für die Bahnfahrt. Aber vielleicht weißt Du Rat. In der Zeitung hat ja gestanden, dass Du so gescheit bist.

Ich muss Dir noch sagen, wie meine Collies heißen: Kasper, Friedo und Ambo. Mein Freund Dieter hat diese Namen mit ausgesucht.

Bitte, bitte, lieber guter Waldi, hilf meinen Collies und mir. Ich streichle Dich dafür ganz lieb.

Deine Kathi König.

Andrea von Lehn kämpfte mit Tränen der Rührung, wie immer, wenn es um die Sorgen kleiner Kinder und um Tiere ging.

Jetzt erst sah sie, dass in dem Briefumschlag noch ein Zettel steckte. Die Notiz darauf war in derselben Handschrift geschrieben wie der Brief. Ich bin Dieter Wessel und zehn Jahre alt. Kathi ist erst fünf Jahre, sie kann noch nicht schreiben. Deshalb musste ich es tun. Kathi hat einen Dickkopf. Ich musste alles so schreiben, wie sie es wollte. Kathi und ihre Mutter wohnen im Gasthof ›Weißer Hirsch‹ in Lauterbach. Bitte, liebes Frauchen oder Herrchen von Waldi, holen Sie die drei armen Collies.

»Das werde ich auch tun.« Andrea sprang auf. Mit dem Brief und dem Zettel in der Hand lief sie ins Sprechzimmer ihres Mannes.

Dr. Hans-Joachim von Lehn sah etwas ungehalten zur Tür, beugte sich aber gleich darauf wieder über den Behandlungstisch. Dort lag ein weißer Spitz. Neben ihm stand ein älterer Herr.

Andrea kannte ihn sehr gut. Es war der Studienrat Klemmer. Er hatte im Gymnasium versucht, ihr Mathematik beizubringen. Andrea erinnerte sich daran nicht sehr gern. Studienrat Klemmer allem Anschein nach auch nicht. Er sah sie jetzt empört an. »Noch immer das alte Temperament, Frau Andrea? Wie können Sie es wagen, so in die Sprechstunde Ihres Mannes hereinzuplatzen? Ich verstehe nicht, dass er sich das nicht verbietet.«

In Andreas Augen blitzte der Übermut auf. »Er ist nicht mein Lehrer, Herr Klemmer.« Mit einem abgrundtiefen Seufzer setzte sie hinzu: »Gott sei Dank nicht.« Sie stieß ihren Mann in die Rippen. »Das würde mir wirklich noch fehlen, Hans-Joachim.« Nun neigte sie sich über den Spitz. »Was fehlt ihm denn?«

»Wie herzlos Sie das fragen, Frau Andrea«, regte sich Studienrat Klemmer auf. »Sehen Sie nicht, wie sehr mein Bingo leidet?«

»Der fühlt sich ganz wohl«, stellte Andrea sehr sachlich fest. »Wenigstens sieht er so aus.« Sie streichelte den Spitz, der sich sogleich erheben wollte.

Schon drückte sein Herr ihn auf den Tisch zurück. »Ich bitte dich, bleibe liegen, Bingo.« Er sah den Tierarzt vorwurfsvoll an. »Haben Sie den Splitter in der Pfote gefunden? Und werden Sie jetzt Penicillin spritzen?«

Dr. Hans-Joachim von Lehn sagte: »Nein, das werde ich nicht tun, weil es nicht nötig ist. Der Hund hat einen kaum sichtbaren Schnitt im Ballen. Von Splitter keine Spur. Bitte, glauben Sie mir das, Herr Klemmer.«

»Nein, das kann ich nicht glauben. Sie waren nicht sorgfältig genug. Sie müssen Ihren Beruf verfehlt haben, Herr Doktor. Ich werde Bingo zu einem anderen Tierarzt bringen. Aber ich sage Ihnen schon jetzt, wenn dem armen Tier ein bleibender Schaden entsteht, mache ich Sie dafür verantwortlich.« Studienrat Klemmer hob seinen Spitz auf den Arm, sah noch einmal mit einem wütenden Blick von Andrea zu ihrem Mann und verließ das Sprechzimmer.

Andrea sank auf einen Stuhl, Hans-Joachim aber lachte. »Jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass du nie in die höhere Mathematik eingestiegen bist, mein Liebes. Bei diesem Lehrer hätte ich auch nicht mehr als das Einmaleins gelernt.«

»Willst du damit sagen, dass ich nicht rechnen kann, Hans-Joachim?«, empörte sich Andrea.

»Ich werde mich hüten, dir so etwas vorzuhalten. Das hieße ja, dass mein nächster Patient eine geschlagene Stunde warten müsste, bis er verarztet wird.«

Dr. von Lehn wollte zur Tür des Wartezimmers gehen. Aber da war Andrea schon bei ihm und hielt ihn am Ärmel seines weißen Kittels fest. »Dein nächster Patient muss ohnehin jetzt warten. Da, setz dich hin, und lies diesen Brief. Aber beeile dich, bitte. Ich muss sofort wegfahren.«

»Wegfahren?« Dr. von Lehn sah seine Frau wenig begeistert an. »Du hast ein besonderes Talent, Andrea, mich zu ungelegener Zeit mit ungelegenen Überraschungen zu beglücken. Er griff nach dem Brief und stöhnte: »So lang? Hat es wirklich nicht Zeit bis zum Mittagessen?«

»Nein. Jetzt und hier musst du den Brief lesen, Hans-Joachim. Du könntest schon damit fertig sein, wenn du gleich angefangen hättest. Aha, du schmunzelst schon. Aber das wird dir am Ende des Briefes genauso vergehen wie mir.«

Dr. von Lehn winkte mit der Hand ab und fing an zu lesen. Andrea beobachtete ihn. Als er den Brief weglegte, fragte sie: »Ich darf also fahren und die Collies holen, Hans-Joachim?«

»Was heißt das – darf? Du setzt doch immer deinen Kopf durch, Andrea. Aber heute könntest du einmal auf meinen Rat hören. Ich kenne die Strecke von Bachenau nach Lauterbach. Sie ist stark befahren und gefährlich. Nein, nein, ich bezweifle deine Fahrkunst nicht.« Hans-Joachim legte den Arm um seine Frau … Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ich weiß genau, dass du auf der ganzen Fahrt nur an die drei Collies denken wirst, und vielleicht auch an das kleine Mädchen. Auf dem Rückweg kann es noch schlimmer werden. Du brauchst nur mit dem Kind etwas Erschütterndes zu erleben, vielleicht die schmerzliche Trennung von den Hunden, dann bist du ganz durcheinander. Bitte, Andrea, lass einen anderen fahren. Tu es mir zuliebe.«

»Und wen?«, fragte Andrea mit sehr unzufriedenem Gesicht, obwohl sie sich den Argumenten ihres Mannes nicht ganz verschließen konnte.

»Vielleicht unseren Eugen Luchs. Er wäre der richtige Mann. Leih ihm deinen Wagen, damit er nicht seinen großen Wohnwagen in Bewegung setzen muss.«

Noch einmal versuchte Andrea, doch selbst fahren zu können. »So viel ich weiß, ist unser Herr Tierschriftsteller gerade beim Ausarbeiten seiner nächsten Sendungen als Rundfunk-Märchenonkel. Das hat mir die kleine Peggy erzählt. Sie war gestern hier.«

»Für ein paar Stunden wird er sich von seiner Arbeit losreißen können. Eugen Luchs ist schließlich ein beweglicher Mann. Geh schon, Andrea, und erledige diese Sache. Ich muss jetzt wirklich an meine Patienten im Wartezimmer denken.« Hans-Joachim von Lehn küsste seine Frau und schob sie aus dem Sprechzimmer.

Andrea drehte sich in der Diele noch einmal um. »Das Weib soll dem Mann untertan sein«, maulte sie. »Irgendso einen Unsinn muss ich wohl geschworen haben, als ich dich heiratete. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Aber wer ist das schon, wenn er liebt?« Jetzt lachte sie wieder, warf ihrem Mann noch eine Kusshand zu und lief aus dem Haus.

Andrea hatte nicht weit zu gehen. Der Knotenpunkt zwischen dem Tierheim Waldi & Co. und dem Kinderheim Sophienlust war »Swasiland«. So hatten der Tierschriftsteller Eugen Luchs und sein Pflegekind, die kleine schwarze Peggy, das herrliche Stückchen Land am Bach getauft.

Durch die Äste der Bäume und Sträucher leuchtete der komfortable Wohnwagen von Eugen Luchs. Auf der Treppe saß die kleine Peggy. Nun kam sie Andrea erfreut entgegen. »Besuchst du uns, Tante Andrea? Das ist aber fein.«

Die Tür des Wohnwagens wurde geöffnet. Ein untersetzter rotblonder Mann mit Vollbart trat heraus. Auch er begrüßte Andrea sehr erfreut. Sie waren hier alle gute Freunde.

Andrea brauchte nicht viel zu erklären. Sie gab Eugen Luchs den Brief der kleinen Kathi und fragte, ob er die drei Collies holen wolle.

»Liebend gern«, sagte Eugen Luchs. »Peggy wird es auch gut tun, wieder einmal herauszukommen. Ich habe sie in letzter Zeit etwas vernachlässigen müssen.« Er seufzte. »Die Arbeit hatte mich in den Klauen.« Er schüttelte den Kopf. »Was für Einfälle Kinder haben. Da schreibt die kleine Kathi, oder besser ihr Freund Dieter, an den Dackel Waldi. Auf so eine Idee käme nicht einmal ein Schriftsteller. Aber Kinder sind gute Diplomaten. So mancher Erwachsene könnte von ihnen lernen.« Er zog die kleine Peggy an sich und strich ihr über das krause schwarze Haar. »So, Peggy, wir starten. Am Abend sind wir mit den drei Collies zurück, damit du morgen wieder in die Schule gehen kannst.«

*

Simone König stand am Fenster ihres Zimmers im Gasthof »Weißer Hirsch« in Lauterbach. Sie strich sich über das schwarze Haar. In ihren grauen Augen standen Tränen. War dieses Bild, das sie jetzt schon seit geraumer Zeit in sich aufnahm, Wirklichkeit? Saß ihre kleine Kathi da unten auf dem Hof, neben einer alten umgekippten Regentonne, auf einer Schütte Stroh?

Simone trocknete ihre Tränen. Ja, es war Wirklichkeit. Das Mädchen in der roten Latzhose, in der weißrot karierten Bluse mit den Puffärmeln war Kathi. Ihr blondes Haar, mit einer roten Schleife auf dem Hinterkopf zusammengehalten, leuchtete in der Sonne.

Sie ist so blond wie ihr Vater, dachte Simone, und sie hat auch seine braunen Augen geerbt. Jetzt ist Kathi wieder barfuß, doch das scheint ihr nichts auszumachen. Hauptsache, sie ist bei ihren drei Collies. Diese kleinen tapsigen Gesellen sind ihr ganzes Glück. Sie sind ja das einzige, was sie noch an Nixengrund, ihre Heimat, erinnert. Und wie genau Kathi die Hunde unterscheiden kann. Immer wieder verbessert sie mich, wenn ich die drei verwechsle. Was wird sie sagen, wenn ich ihr auch noch diese Freunde nehmen muss? Und was soll ich mit ihnen tun? Sie verschenken, sie voneinander trennen? Dann bin ich doch genauso barbarisch wie Harald, als er Kathi und mich aus dem Nixengrund fortschickte. Aber ich muss etwas unternehmen. Ich kann nicht länger darauf warten, dass sich Harald eines Besseren besinnt und uns zurückholt. Ich muss arbeiten, Geld verdienen, damit Kathi und ich nicht zugrunde gehen.

Simones Blick fiel auf den schwarzen Geigenkasten, der auf einer wackeligen Kommode stand. Er war außer einem Koffer mit den nötigsten Kleidungsstücken das einzige, das sie aus dem Nixengrund gerettet hatte. Aus dem schönen weißen Haus zwischen den alten Bäumen, nur einen Steinwurf entfernt vom Sanatorium ihres Mannes.

Was hatte Harald gesagt? »Ja, nimm ihn nur mit, deinen Geigenkasten. Damit bist du gekommen, damit kannst du auch wieder gehen. Aus Simone König kann wieder Simone de la Fere werden, die große vielbewunderte Violinspielerin. Ich wünschte, ich hätte dich nie aus deiner Welt herausgeholt, dann wäre mir die größte Enttäuschung meines Lebens erspart geblieben. Ich hätte damit rechnen müssen, dass Künstler unbeständig sind, dass sie keine Treue kennen.«

»Ich habe dich nicht betrogen, Harald«, flüsterte Simone. Sie drückte die Hände auf die Brust, ihr Atem ging schwer. »Es war ein unseliger Irrtum. Aber auch wenn ich ihn dir erklärt hätte, wären Kathi und ich trotzdem nicht mehr bei dir. Du hast kein Verständnis für menschliche Schwächen, für Charakterfehler …«

Simone brach ihr Selbstgespräch ab und beugte sich aus dem Fenster. Wer war das, der Mann und das kleine schwarze Mädchen, die jetzt bei Kathi standen und mit ihr sprachen? Was wollten sie von ihr?

Simone lief, aus Sorge um ihr Kind, aus dem Zimmer. Als sie über den Hof ging, sah sie, dass Kathi einen der jungen Collies an sich drückte und auf die beiden anderen zeigte. Jetzt drehte sie sich um und rief: »Das ist meine Mutti.«

Der Mann kam auf Simone zu. »Frau König?«, fragte er.

Simone nickte.

»Ich bin Eugen Luchs, und das ist meine Peggy. Wir sind gekommen, um die Collies abzuholen.« Der Schriftsteller strich sich durch den Vollbart, weil ihn diese auffallend schöne Frau etwas verlegen machte. Ihr argwöhnischer Blick entging ihm nicht.

Jetzt fragte Simone König: »Die Collies wollen Sie abholen? Aber wie kommen Sie dazu? Ach so, schickt mein Mann Sie? Will er wenigstens die Hunde behalten?«

Ihre Stimme klang bitter.

»Nein, der Herr kommt nicht von Vati«, nahm Kathi dem Schriftsteller die Antwort ab. Sie suchte die Hand der Mutter. »Mutti, ich habe gewollt, dass meine Collies in ein Tierheim kommen. Dieter hat für mich einen Brief geschrieben. Ich bin so froh, dass meine Hunde jetzt wieder einen Platz haben.«

Kathi sah jedoch keineswegs froh aus. Ihr Gesicht war sehr blass, und ihre Stimme zitterte.

»Darf ich Ihnen alles erklären, Frau König?«, fragte Eugen Luchs.

Als Simone nickte, erzählte er von Kathis Brief, vom Tierheim Waldi & Co., von Andrea von Lehn und von ihrem Auftrag, die Collies zu holen.

Simones Arm lag fest um Kathis Schultern. Sie atmete auf. »Mit dieser Lösung wird mir ein schwerer Stein vom Herzen genommen, Herr Luchs. Aber müssen wir hier stehen bleiben? Wollen wir nicht eine Tasse Kaffee im Gasthof miteinander trinken?«

»Sehr gern.« Eugen Luchs begleitete Simone König über den Hof. Als die beiden sich einmal umdrehten, sahen sie die beiden Mädchen bei den Hunden auf dem Stroh sitzen: Einen größeren Gegensatz hätte es nicht geben können, als die blonde Kathi und die schwarze Peggy. Jetzt riefen sie, dass sie bei den Collies bleiben wollten.

Simone führte Eugen Luchs in einen kleinen Erker der Gaststube. »Hier frühstücken wir immer«, sagte sie und setzte sich.

Der Wirt kam an den Tisch – mit sehr neugierigem Gesicht. Er schien noch nicht erlebt zu haben, dass Simone vom König Besuch bekam.

Sie bestellte zwei Portionen Kaffee und sagte: »Der Herr holt die Collies ab.«

»Endlich! Dieses Theater auf dem Hof ist mir zu viel geworden. Tier bleibt Tier. Und wenn man selbst kaum noch etwas zum Beißen hat, soll man sich nicht auch noch drei Hunde aufhalsen. Die hätten ersäuft gehört, als die Mutter sie nicht mehr säugen konnte.« Breitbeinig und überzeugt, das Wahre gesprochen zu haben, stapfte der Wirt in die Küche.

Simones Gesicht hatte sich gerötet. »Er hat sein Geld bisher auf Heller und Pfennig bekommen«, sagte sie mit unterdrückter Stimme. Es war ihr anzusehen, dass sie sich vor Eugen Luchs rechtfertigen wollte.

»Menschen, die Tiere nicht lieben, sind meistens auch in anderen Dingen nicht sehr feinfühlend«, versuchte Eugen Luchs die Verlegenheit zu überbrücken.

Simone blickte auf ihre Hände. »Er hat ja recht. Wir haben kaum noch etwas zum Beißen«, flüsterte sie. Jetzt sah sie erschrocken auf. »Entschuldigen Sie, bitte. Ich wollte Sie nicht mit meinen Sorgen behelligen.«

Eugen Luchs schwieg, weil der Wirt den Kaffee brachte.

Erst als sie wieder allein waren, sagte er: »Ich habe früher oft die Hilfe anderer Menschen in Anspruch nehmen müssen, um auf den Beinen bleiben zu können. Aber ich hatte glücklicherweise auch manchmal Gelegenheit, das wieder gutzumachen. Das wollte ich Ihnen nur sagen, um Sie von dem Alpdruck zu befreien, zu mir nicht offen sprechen zu können, Frau König. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Simone sah ihn noch einige Sekunden an, dann antwortete sie: »Sie helfen mir ja schon. Sie nehmen mir die Sorge um die Collies ab. Ich habe mich von meinem Mann trennen müssen. Kathi und ich sind allein, und ich muss jetzt versuchen, für das Kind zu sorgen. Ohne die Belastung durch die Hunde werde ich es leichter schaffen. Leider habe ich nicht viel gelernt, das ich jetzt nutzen könnte. Ich war nur Geigerin. Zwar wurde ich auf dem Konservatorium ausgebildet, aber das wird mir nicht viel helfen.« Um ihren Mund spielte ein resigniertes Lächeln. »In meiner Situation braucht der Mensch einen bürgerlichen Beruf. Kathi auf der Wanderschaft, ein Zigeunerleben von Hotel zu Hotel, das kann ich mir nicht vorstellen. Kathi ist in der Freiheit eines großen Besitzes aufgewachsen. Was heißt aufgewachsen? Sie ist erst fünf Jahre alt und kommt im nächsten Jahr zur Schule.« Simone stützte den Kopf in die Handflächen.

»Haben Sie bereits ein Engagement?«, fragte Eugen Luchs.

»Nein. Ich bemühe mich erst darum. Ich weiß nicht einmal, ob ich es schaffen werde. Man vergisst heute schnell. Ich bin vor sieben Jahren zum letzten Mal aufgetreten.«

»Da müssen Sie noch sehr jung gewesen sein«, sagte Eugen Luchs spontan.