Goethes 'Faust' - Michael Jaeger - E-Book

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Michael Jaeger

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Beschreibung

Michael Jaeger REKAPITULIERT DIE ENTSTEHUNGS- UND DRUCKGESCHICHTE DES BERÜHMTESTEN GOETHESCHEN TEXTES.

An seiner Faust-Tragödie hat Goethe beinahe sein ganzes Leben lang geschrieben. Sie spiegelt die große Transformation, die die Welt des alten Europa vom modernen Industriezeitalter trennt, und kann daher als das Drama der Moderne gelten. Gestützt auf die neusten Ergebnisse der Faust-Forschung, führt Michael Jaeger in das riesige Werk, seine Entstehung und Deutung ein. Dabei folgt er dem Weg des Protagonisten von einer Gelehrtenstube im Ambiente der Renaissance bis zu einer großen Kanalbaustelle, auf der bereits die Dampfmaschinen in Betrieb sind.

Goethes Diktum, dass alles, was er geschrieben habe, «Bruchstücke einer großen Konfession» seien, nimmt Michael Jaeger beim Wort. Gestützt auf die neuesten Befunde der Faustphilologie und der mit ihr verbundenen Editionswissenschaft, rekapituliert dieser Band die bruchstückhafte Entstehungs- und Druckgeschichte des berühmtesten goetheschen Textes. Dabei zeigt sich, dass die fragmentarische Schreibweise eine offene Form des Dramas hervorbrachte, die dessen moderner Thematik besonders angemessen war. Denn der Faustautor hatte sich vorgenommen, die «Widersprüche disparater» zu machen, jene vor allem zwischen Ruhe und Bewegung, Reflexion und Aktion und zuletzt zwischen Weltbetrachtung und Weltveränderung. Auf diese Weise hat Goethe ein eindringliches Bild des revolutionären Bruchs gestaltet, der durch seine Epoche und durch sein eigenes Leben geht.

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Michael Jaeger

GOETHES FAUST

Das Drama der Moderne

C.H.Beck

Zum Buch

Goethes Diktum, dass alles, was er geschrieben habe, «Bruchstücke einer großen Konfession» seien, nimmt Michael Jaeger beim Wort. Gestützt auf die neuesten Befunde der Faustphilologie und der mit ihr verbundenen Editionswissenschaft, rekapituliert dieser Band die bruchstückhafte Entstehungs- und Druckgeschichte des berühmtesten goetheschen Textes. Dabei zeigt sich, dass die fragmentarische Schreibweise eine offene Form des Dramas hervorbrachte, die dessen moderner Thematik besonders angemessen war. Denn der Faustautor hatte sich vorgenommen, die «Widersprüche disparater» zu machen, jene vor allem zwischen Ruhe und Bewegung, Reflexion und Aktion und zuletzt zwischen Weltbetrachtung und Weltveränderung. Auf diese Weise hat Goethe ein eindringliches Bild des revolutionären Bruchs gestaltet, der durch seine Epoche und durch sein eigenes Leben geht.

Über den Autor

Michael Jaeger ist Privatdozent für Deutsche Philologie an der Freien Universität Berlin und als Gastprofessor an deutschen und ausländischen Universitäten tätig. Er hat zahlreiche Goethe- und Fauststudien verfasst, darunter die beiden großen Monographien Fausts Kolonie (2004) und Wanderers Verstummen (2014) sowie die beiden Essays Global Player Faust (2008) und Salto Mortale. Goethes Flucht nach Italien (2018).

Inhalt

Einleitung: Die Legende vom Teufelspakt und das Drama der Grenzüberschreitung

I. Frühneuzeitliche Revolutionäre und die Historia von D. Johann Fausten

II. Die neue Faustidee des 18. Jahrhunderts

Faustkonjunktur

Faustlesungen in Weimar

III. 1771/1774: Goethes erstes Faustmanuskript (Frühe Fassung/Urfaust)

1. Das Drama des Gelehrten

Unruhe im gotischen Zimmer

Magische Ausbruchsversuche

Akademische Tragikomödie

Mephistopheles

2. Die Tragödie Margaretes

«Kindermörderinnen» im Sturm und Drang

Offenes Kunstwerk: Fausts Drama und Margaretes Trauerspiel

Gemeinschaft und Gesellschaft

«Schönes Fräulein», «unschuldig Ding»

Materialismus

Margaretes Unruhe

Gretchenfragen

Sexuelle Revolution

Zeit der Angst

Realismus: Prosa des Schreckens

Kerker: Grauen

IV. 1790: Faust. Ein Fragment

Doppelleben in Weimar

Römische Faustarbeiten

Die italienische Neukonzeption des Faustdramas

Faust in der Hexenküche – Goethe im Park der Villa Borghese

Euphorie und Angst

Faustbegeisterung: «Immer vorwärts»

V. 1808: Faust. Eine Tragödie (Faust I)

1. Präludien

Zueignung

Vorspiel auf dem Theater

Prolog im Himmel

2. Der Tragödie Erster Teil

Die große Lücke

Giftflasche

Vor dem Tor: Osterspaziergang

Studierzimmer: Wette und Pakt

Walpurgisnacht

VI. 1827: Helena – Zwischenspiel zu Faust (1833: 3. Akt von Faust II)

VII. 1828: Faust. Zweiter Teil, 1. Akt (bis Vers 6036)

Prolog: Fausts Heilschlaf in anmutiger Gegend

Fausts Naturkontemplation

Die große Transformation der Welt

Papiergeld

«Das Hauptgeschäft zu Stande gebracht» – Die Vollendung der Fausttragödie

VIII. 1833: Faust. Der Tragödie zweiter Teil

1. Akt (ab Vers 6037)

Magische Geldvermehrung

Helenaprojektion

2. Akt

Menschen machen: Doktor Wagners Laboratorium

Klassische Walpurgisnacht

Meeresbilder: Triumph der Galatea

4. Akt

Système industriel: Fausts Plan und der Saint-Simonismus

5. Akt

Der Auftritt des Wanderers

Wanderers Verstummen

Fausts Fluch

Kolonisation: Das Ende der Metamorphose und das Ende Alteuropas

Fausts Utopie, Goethes Ironie

Nachbemerkung

Zitierweise und Literaturangaben

1. Zitierte Faust-Ausgabe

2. Weitere siglierte Goetheausgaben und unsiglierte Quellentexte, zitiert mit Angabe der Band- und Seitenzahl

3. Zitierte philologische und ideengeschichtliche Literatur

Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht …

Karl Marx, Friedrich Engels

I can’t get no satisfaction ’Cause I try and I try and I try and I try I can’t get no, I can’t get no …

Mick Jagger, Keith Richards

Einleitung: Die Legende vom Teufelspakt und das Drama der Grenzüberschreitung

Die Entstehung der Faust-Tragödie, des bekanntesten und wirkungsmächtigsten Werks Goethes, zieht sich über sein gesamtes Schriftstellerdasein hin. Während dieser Zeit zwischen 1770 und 1832 haben sich die Lebensverhältnisse in Europa auf revolutionäre Weise verändert. Die alteuropäische Welt verschwindet, und es beginnt mit der Französischen Revolution und mit der industriellen Revolution jene Epoche der Moderne, in der auch wir Heutigen noch leben. Als Faustautor hat Goethe den Beginn unserer modernen Ära, ihre Ängste und Sehnsüchte, ihre Enttäuschungen und Errungenschaften, literarisch abgebildet und kommentiert.

Im Gesamtwerk Goethes entspricht die Fausttragödie am genauesten seinem berühmten poetisch-autobiographischen Diktum: «Alles was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession» (MA 16, 306). Lebenslang war Goethe damit befasst, die Faustbruchstücke zu vervollständigen. Publiziert hat er das Drama zu seinen Lebzeiten immer nur fragmentarisch. Es sollte bis zur posthumen Ausgabe von 1833 dauern, ehe sämtliche Teile von Goethes Faust erstmals komplett gedruckt vorlagen. Man kann es als List der Literaturgeschichte ansehen, dass Goethes Fragmentprinzip eine offene und als solche spezifisch moderne Dramenform hervorbrachte, die nun gerade der modernen Faust-Thematik besonders angemessen war. Denn dieses Schreibverfahren erlaubte es dem Faustautor, je nach Veränderung der persönlichen Verhältnisse und der zeitgeschichtlichen Situation dem bruchstückhaft konzipierten Text stets neue Perspektiven auf die Verwandlung der Welt während der europäischen Revolutionsära zwischen 1789 und 1830 hinzuzufügen. Diese doppelte Modernität, Form und Inhalt betreffend, soll im vorliegenden Band in Rücksicht auf die Chronologie der fragmentarischen Entstehungs- und Druckgeschichte der Fausttragödie zur Anschauung kommen.

Um das Drama der modernen Zeit in Szene zu setzen, greift Goethe zunächst auf die Legende vom Teufelsbündner Doktor Faustus aus dem 16. Jahrhundert zurück. Dessen Geschichte vermag Goethe für seine Zwecke umzuschreiben, weil auch der Protagonist der alten Legende die Figur einer Umbruchszeit ist, der Wende vom ausgehenden Mittelalter zur beginnenden Neuzeit, und weil bereits der legendäre Faust den Grundkonflikt zwischen Tradition und Moderne verkörpert. Die seiner Arbeit am Mythos vom Teufelspakt zugrundeliegende Idee einer epochenübergreifenden Aktualität des Faustcharakters spricht Goethe 1827 in prägnanten Worten aus, über vier Jahrzehnte nachdem er damit begonnen hatte, die Faustgeschichte auf seine Weise zu gestalten: «Fausts Charakter auf der Höhe, wohin die neue Ausbildung aus dem alten rohen Volksmärchen denselben hervorgehoben hat, stellt einen Mann dar, welcher, in den allgemeinen Erdeschranken sich ungeduldig und unbehaglich fühlend, den Besitz des höchsten Wissens, den Genuß der schönsten Güter für unzulänglich achtet, seine Sehnsucht auch nur im mindesten zu befriedigen, einen Geist, welcher deshalb, nach allen Seiten hin sich wendend, immer unglücklicher zurückkehrt. Diese Gesinnung ist dem modernen Wesen so analog, daß mehrere gute Köpfe die Lösung einer solchen Aufgabe zu unternehmen sich gedrungen fühlten. Die Art wie ich mich dabei benommen, hat sich Beifall erworben» (WA I 41. 2, 290).

Die in dem von Goethe nachgezeichneten Psychogramm des legendären «Mannes» aufgezählten Aspekte wird man als Erscheinungsformen einer existentiellen Unruhe ansehen, die im Konflikt mit den Bedingungen des Daseins, den «allgemeinen Erdeschranken», ihren Ursprung hat. Ungeduld, Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit heißen denn auch die ständigen Begleiter des vergeblich gegen sein irdisches Los Revoltierenden. Nichts genügt seinen Ansprüchen, der geistige «Besitz des höchsten Wissens» nicht, der materielle «Genuß der schönsten Güter» auch nicht. Was auch immer er versucht, er mag sich «nach allen Seiten» wenden, endet stets mit der Enttäuschung seiner Sehnsucht nach dem Unbedingten und führt ihn zurück ins Unglück seiner eingeschränkten Existenz.

Im Zentrum von Goethes lebenslangem Unternehmen, Fausts Tragödie als Analogie der Moderne zu schreiben, werden die Schilderungen der Ausbruchsversuche des Ungeduldigen aus den Schranken seines Daseins stehen, jene faszinierenden Abenteuer, die verbunden sind mit dem Wagnis der permanenten Grenzüberschreitung. Mit Marshall Berman könnte man im Blick auf Goethes Faustdrama von der literarisch gestalteten paradoxen «Erfahrung der Modernität» sprechen. Denn gemeinsam mit den Menschen dieser Epoche ist auch der Protagonist der goetheschen Tragödie beflügelt «von dem Willen, sich selbst und seine Welt zu verändern, zugleich aber getrieben durch die peinigende Angst vor dem Verlust der Orientierung sowie vor der Desintegration der Realität und vor dem Zerfall des Lebens. Sie alle kennen den überwältigenden Reiz und den deprimierenden Schrecken einer Welt, in der alles Ständische und Stehende verdampft» (Berman, 13).

Wird in dieser Aussicht der Horizont des goetheschen Textes in die Weite des 19. Jahrhunderts geöffnet, wo Fausts Drama auf den von Karl Marx und Friedrich Engels beschriebenen Maschinenlandschaften seine Fortsetzung findet (Marx/Engels 4, 465), so reicht die Geschichte der Moderne in der anderen Blickrichtung zurück bis zu den geistigen Revolutionen des Renaissance- und Reformationszeitalters, vor deren Hintergrund «Fausts Charakter» in einer Legende des 16. Jahrhunderts sichtbar wird.

I. Frühneuzeitliche Revolutionäre und die Historia von D. Johann Fausten

Diese Legende geht wohl zurück auf einen um 1480 in Knittlingen geborenen Georg Faust, der im süddeutschen Raum als Astrologe und Alchemist ein unstetes Wanderleben führte und der um 1540 in Staufen unter nicht ganz geheuren Umständen den Tod fand. Seine sagenumwobene Geschichte nimmt 1587 in der Historia von D. Johann Fausten erstmals ein literarisches Aussehen an. Sie zeigt uns die ruhelose Existenz eines frustrierten frühneuzeitlichen Wissenschaftlers, der sich der Magie zugewandt und schließlich gar dem Teufel verschrieben hat, um endlich die Grenzen des Wissens und Begehrens durchbrechen zu können. Solchermaßen stellt die Historia den Prototyp der Fausthandlung für die späteren Jahrhunderte bereit, und diese Überlieferung war Goethe wohlvertraut, sowohl in ihrer orthodox-theologischen Ausprägung wie auch in ihrer bereits bei Christopher Marlowe als Tragicall History beginnenden dramatischen Version sowie in den daran anschließenden Übersetzungen, Puppenspiel- und Bühnentexten.

Faust, so jene frühneuzeitliche Legende, der herkömmlichen akademischen Welt überdrüssig, beschwört den Teufel, mit dem er in Gestalt des Mephostophiles einen Pakt schließt. 24 Jahre soll Mephostophiles Fausts Diener sein und ihm helfen, die Grenzen der Erkenntnis und des gewöhnlichen Daseins zu überwinden, Mephostophiles soll Abenteuer und Weltreisen zum Vergnügen seines Herrn organisieren, soll Faust dann Helena, die schönste aller Frauen, zuführen, ihm zur Hand gehen in den magischen Künsten, die wunderbaren Reichtum und schrankenlose Macht versprechen, ehe am Ende dieser Frist Faust von Mephostophiles erdrosselt wird und zur Hölle fährt, wo Fausts Seele dann ihrerseits Knecht im Reich des Teufels sein muss. In seinem Begehren, in neue Seinsbereiche vorzustoßen, zeigt sich der legendäre Doktor Faustus als ein – wenn auch noch magisch operierender – Vertreter jener frühneuzeitlichen Pioniere, die zur gleichen Zeit die Grenzen der vertrauten Lebenswelt überwinden und in unbekannte Wissens- und Weltkontinente aufbrechen, wie etwa Kolumbus, Kopernikus, Vesalius oder Magellan.

In Rücksicht auf den historischen Kontext gehöre «die archaische Geschichte vom Teufelsbündner Dr. Faustus», so erläutert Nicholas Boyle den ideengeschichtlichen Zusammenhang, «nicht nur zu den sehr wenigen Mythen, die als authentisch modern gelten dürfen (…), in diesem Mythos geht es um die Definition der Moderne selbst, und wohl aus diesem Grund ist der Faust-Mythos in der frühmodernen Epoche entstanden. Die Geschichte Fausts ist die Geschichte eines Menschen, der sich bewusst und mit Vorsatz von seiner Vergangenheit trennt, von allem, was er bisher gelernt hat. Faust (…) verwirft die Tradition zugunsten eines ihm versprochenen völlig Neuen» (Boyle 2006, 37).

In entsprechend schrillen Tönen erklingt denn auch in der Historia von D. Johann Fausten die Ermahnung, die gott- und traditionsgegebenen «Erdeschranken» zu respektieren. Gleich auf ihrem Titelblatt teilt der anonyme Verfasser mit, dass man es mit einer Geschichte zu tun bekomme, die aus den vom «weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler» Faust hinterlassenen Schriften «allen fürwitzigen und Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel, abscheuwlichen Exempel und treuwherziger Warnung zusammengezogen» worden sei (Historia, 3). Vor Augen geführt werde dem Publikum, wie es in der Vorrede ergänzend heißt, «wohin Sicherheit Vermessenheit unnd fürwitz letzlich einen Menschen treibe und ein gewisse Ursach sey deß Abfalls von Gott» (Historia, 5). Damit sind die Schlüsselbegriffe der als Warnschrift konzipierten Geschichte Fausts ausgesprochen: Vermessenheit und Vorwitzigkeit. Schrankenlose Wissbegierde also treibt Faust zum Bruch mit dem Gott der Bibel und in den Pakt mit dessen Widersacher. Im Hintergrund dieser theologischen Didaktik steht die Curiositas-Kritik des Kirchenvaters Augustinus und deren Neuformulierung beim Augustinermönch Martin Luther. Faust, der archetypische Renaissance- und Reformationsmensch, der neuzeitliche Akademiker und Wissenschaftler, Zeitgenosse der großen Wissenschaftsrevolutionäre und Entdecker, kann nicht genug bekommen in seinem Wissensdrang, möchte alles wissen, alles beherrschen, über das Leben und seine Elemente schrankenlos verfügen und verfällt aufgrund dieser Hybris dem Teufel.

II. Die neue Faustidee des 18. Jahrhunderts

Neben Faust agieren bereits im 16. Jahrhundert Mephistopheles, Wagner und Helena als Hauptdarsteller des Dramas. Dieses Figurenensemble trat dann schon bald auf den Wander- und Puppenspielbühnen des 17. und 18. Jahrhunderts eine steile Theaterkarriere an. Im Milieu der Populärkultur wurde Faust zu einer prominenten Gestalt, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts allerdings nicht mehr nur die unterhaltungsfreudigen Zuschauer des städtischen Jahrmarkttheaters fesselte, sondern bald schon die strengen Blicke solcher kritischen Zeitgenossen in Deutschland auf sich zog, die – wie etwa Johann Christoph Gottsched – im Vorfeld der Aufklärung auf vernunftgemäßere Schauspiele drangen. Dabei nahmen sie sich den formbewussten Klassizismus in Frankreich bei Corneille und Racine zum Vorbild. Das Zauber-, Teufelsspuk- und Höllenwesen in Fausts obskurer Geschichte wurde daher seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein Gegenstand der Polemik des aufgeklärten Geistes der Epoche.

Wenn Faust dennoch während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer neuen Theaterlaufbahn aufbrechen konnte, so war das nur nach einer Umwertung seiner Person möglich. Dabei war die Neukonzeption vor allem auf die Curiositas-Kritik der theologisch inspirierten alten Faustlegende bezogen. Faust vermochte nämlich seinen Weg ins Zeitalter der Aufklärung gerade deshalb so erfolgreich fortzusetzen, weil seine ursprünglich verteufelte «Neugierde» vom hochmütigen Vorwitz zur modernen Tugend der forschenden Wissbegierde umgedeutet wurde.

Diese Umwertung von Fausts alter Sünde in ein modernes Verdienst scheint erstmals bei Gotthold Ephraim Lessing literarische Formen angenommen zu haben, wenn auch nur in fragmentarischer Gestalt (Bauer, 102ff.). Statt der Höllenfahrt war die Erlösung des Wissbegierigen vorgesehen. Dieselbe sollte zuletzt aus Engelsmund den um ihren vermeintlich verdienten Lohn gebrachten Teufeln kundgetan werden: «Ihr habt nicht über Menschheit und Wissenschaft gesiegt; die Gottheit hat dem Menschen nicht den edelsten der Triebe (den Wissenstrieb also, Vf.) gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen» (Lessing 2, 780).

Zur Rechtfertigung Fausts im Geiste der Aufklärung ist es bei Lessing in expliziter Form jedoch nicht mehr gekommen. Er selbst hat 1759 nur eine einzige Faustszene in den «Briefen, die neueste Literatur betreffend» publiziert (Lessing 2, 487ff.), die freilich noch nichts preisgab von der geplanten Modernisierung der Faustthematik. Womöglich wurde Lessing das Vorhaben, Faust als Held der Wissenschaft in ein neues Licht zu stellen, auch vergällt durch die bereits in Gang gekommene, ebenso zeitgemäße zweite Karriere Fausts im Zeichen der – Lessings Ästhetik zuwiderlaufenden – Sturm-und-Drang-Bewegung. Deren Autoren hatten den alten Teufelsbündner nämlich entdeckt als Gestalt, die erhebliches nationales Identifikationspotential im neuen Konkurrenzkampf mit der französisch-klassizistischen Geschmackskultur bot. Die Zuschreibung, einen typisch deutschen Charakter zu verkörpern, sollte Faust während seiner nun anhebenden modernen Laufbahn nie mehr loswerden.