Gotsbert (Deutsche Version) - Klaus D. Wagner - E-Book

Gotsbert (Deutsche Version) E-Book

Klaus D. Wagner

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Beschreibung

Karl der Große und Waldo, sein Freund aus Kindertagen, förderten Gotsbert als einen ihrer bevorzugten Schreiber, der nicht nur die Heilige Schrift kopieren, sondern auch eine Hagiographie, eine Heiligenschrift, über ihren Lieblingslehrer Otmar schreiben sollte, welcher der erste Abt der Abtei St. Gallen, einem Benediktinerkloster im frühen Mittelalter, gewesen war. Der fromme Otmar durchlief ein Leben voller frommer Taten und Wunder, während er seinem tragischen Ende entgegen sah. In den Würzburger Archiven existiert noch heute ein Dokument, welches die Schenkung von Gotsbert, einer Kirche in Seeburg, einem kleinen schwäbischen Dorf, am 12. Oktober 777 Anno Domini, aufzeichnet. In der Donatio Gotsberti steht auf Schafhaut geschrieben: Ich bin in Gottes Namen Gotsbert und spende eine Kirche, vertraglich festgelegt, für das Heil meiner Seele, dem Heiligen Märtyrer Nazarius, der da ruht im Körper im Kloster Lorsch, wo der Abt Gundeland im Namen Roms verantwortlich ist, damit ich immer in der Kirche im alemannischen Dorf Seeburg präsent sein möge, welche zu Ehren der Heiligen Maria, Mutter Gottes, gebaut wurde. Ausgeführt für das Kloster Lorsch am 21. Oktober im 9. Regierungsjahr König Karls. (777) Lassen Sie sich in das frühe Mittelalter entführen und erleben Sie die Intrigen zur Christianisierung der Alemannen.

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Der Autor

Klaus-Dieter Wagner wurde am 11. Juni 1952 in Esslingen bei Stuttgart geboren und verbrachte seine Jugend in Bad Urach, im Herzen der Schwäbischen Alb.

Nach dem Abitur studierte er Werbetechnik und Werbewirtschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Seine erste Anstellung erhielt er bei einer internationalen Werbeagentur in Frankfurt am Main.

1982 wanderte Klaus D Wagner nach Sydney, Australien aus und gründete 1988 seine eigene, erfolgreiche Marketingagentur mit vornehmlich deutschen Großkunden.

2001 erhielt Klaus D Wagner das Bundesverdienstkreuz als Anerkennung für seine sozialen Engagements zur Verbesserung der deutsch-australischen Beziehungen.

Das Ehepaar Wagner hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Sydney, Bad Urach und in Seeburg, wo dieser historische Roman seine Wurzeln hat.

Bisherige Bücher von diesem Autor:

Die Karolus Magnus Trilogie

Waldo - Der Priester Karls des Großen

Gotsbert - Der Schreiber Karls des Großen

Karolus - Das Leben Karls des Großen

SOUL - Thriller (mit Co-autor Roger McAuliffe)

PURE SÜNDE - Polemisch-romantische Tragödie

GOTSBERT

DER SCHREIBER KARLS DES GROSSEN 777AD

Karl der Große und Waldo, sein Freund aus Kindertagen, förderten Gotsbert als einen ihrer bevorzugten Schreiber, der nicht nur die Heilige Schrift kopieren, sondern auch eine Hagiographie, eine Heiligenschrift, über ihren Lieblingslehrer Otmar schreiben sollte, welcher der erste Abt der Abtei St. Gallen, einem Benediktinerkloster im frühen Mittelalter, gewesen war. Der fromme Otmar durchlief ein Leben voller frommer Taten und Wunder, während er seinem tragischen Ende entgegen sah.

Ein historischer Roman.

Buch #2: ‘Die Karolus Magnus Trilogie’

Übersetzerin vom Englischen: Christine Wendel-Roth, Frankfurt/Main

KLAUS D WAGNER

Historischer Roman.

Dieser historische Roman ist ein fiktionales Prosawerk, dessen Handlung in der Zeit Karls des Grossen spielt. Trotz erheblicher Recherchen werden oft fiktive Ereignisse und Personen aufgeführt und Orten zugeteilt welche von historischen Fakten oft stark abweichen und der Fantasie des Autors zuzurechnen sind.

© 2016 Klaus D Wagner, Sydney Australien

Ursprünglich auf Englisch geschrieben: ‘Godsbert - Charlemagne’s Scribe’

Übersetzerin vom Englischen: Christine Wendel-Roth, Frankfurt / Main

Cover Design: Klaus D Wagner

Seite →: Urkunde # 3220 Reg. 510. B Bayerischen Staatsarchiv, Würzburg

Seite →: Foto des Autors, Privatarchiv

Seite →: Vitae sancti Galli et Otmari, St. Gallen, Stiftsbibliothek

ISBN 9978-3-7407-3625-5

Dieses Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Mehr über den Autor und seine Bücher:                 www.klausdwagner.com

In Memoriam Gotsbert

“...damit ich immer in der Kirche im alemannischen Dorf Seeburg präsent sein möge...”

Schrieb Gotsbert 777AD in einem Dokument das noch heute in den Würzburger Archiven existiert.

Widmung

Dieses zweite Buch der Karolus Magnus Trilogie ist Gotsbert gewidmet, der vor ungefähr 1250 Jahren, am 12. Oktober 777 bei der Schenkung einer Kirche in Seeburg an das Kloster Lorsch, darum bat, für immer in diesem Alemannischen Dorf in Erinnerung zu bleiben.

...und an Waldo und Karl den Großen, die mich inspiriert haben diese Karolus Magnus Trilogie zu schreiben.

Natürlich danke ich auch meiner Familie und meinen Freunden sowie meiner Übersetzerin vom Englischen, Christine Wendel-Roth, für die Unterstützung während des Verfassens dieser historischen Erzählung.

Inhalt

In memoriam

Prolog

Historie

Bodensee

Abtei von St. Gallen

Urteil

Opfer

Gift

Lehrling

Unterbrechung

Familie

Warnung

Teufel

Angriff

Entdeckung

Vampire

Ausreißer

Wölfe

Hexen

Heimkehr

Königlicher Schreiber

Das Vaterunser

Homage an Reichenau

Ein Schreck für Gotsbert

Ankunft in Seeburg

Gefährliche Aufgabe

Neue Horizonte

Otmars Geheimnis

Erkundungsreise

Höle der Wunder

Verborgenes Juwel

Die Honigfalle

Verführung

Glaube und Wunder

Stadt Gottes

Schutzengel

Von Seeburg nach St. Gallen

Übertriebene Wahrheit

Epilog

Das Leben des Heiligen Otmar

Postscriptum

Inspiration

Donatio Gotsberti in Seeburg

Ich bin in Gottes Namen Gotsbert und spende eine Kirche, vertraglich festgelegt, für das Heil meiner Seele, dem Heiligen Märtyrer Nazarius, der da ruht im Körper im Kloster Lorsch, wo der Abt Gundeland im Namen Roms verantwordich ist, damit ich immer in der Kirche im alemannischen Dorf Seeburg präsent sein möge, welche zu Ehren der Heiligen Maria, Mutter Gottes, gebaut wurde. Ausgeführt für das Kloster Lorsch am 21. Oktober im 9. Regierungsjahr König Karls. (777)

Klaus D Wagner

Prolog

In den Würzburger Archiven existiert noch heute das links abgebildete Dokument, welches eine Schenkung von Gotsbert einer Kirche in Seeburg, einem kleinen schwäbischen Dorf, am 12. Oktober 777 Anno Domini, aufzeichnet.

Gotsberts Mentor, der Priester Waldo, hatte sieben Jahre zuvor, im Jahr 770 Anno, eine Schenkung von zwei Kirchen in derselben Gegend vorgenommen und begab sich dann in die Abtei St. Gallen in der heutigen Schweiz, unmittelbar nördlich des Bodensees, um dort Mönch zu werden.

Da es sich bei diesem Roman um den zweiten Band der Trilogie zu Karl dem Großen handelt, fasse ich im Folgenden kurz zusammen, was im ersten Buch namens ‘Waldo‘ vorgefallen ist:

Bei Waldos Taufe in Worms, bei welcher die wichtigsten Edelleute der Zeit anwesend waren, trifft Pippin, der Thronanwärter für die europäische Krone und Waldos Taufpate, auf die junge und wunderschöne Bertrada und zeugt noch in derselben Nacht ein Kind mit ihr.

Pippins Vater, „Karl Martell“, der „Hammer“, lag in St. Denis im Sterben und wies seine Söhne an, die Herrschaft zu übernehmen und die Kämpfe auszufechten, welche erforderlich waren, die Franken zu einigen und das zu schaffen, was später als Karolingisches Reich bezeichnet wurde.

Karl, der künftige Karl der Große, wurde außerehelich geboren, da sein Vater Pippin konstant überall in Europa in den Krieg ziehen musste. Karl wuchs mit seinem besten Freund Waldo in Burkheim, in der Nähe des wichtigsten Rheinüberganges auf, mit dessen Verwaltung Waldos Vater, namens Richbold, beauftragt worden war.

Karl und Waldo waren ungefähr sieben Jahre alt, als Pippin überraschend auftauchte, um sie zu einem Ausflug ins Elsass mitzunehmen. Bei ihrer Rückkehr in Burkheim stellte er ihnen einen bewanderten Lehrer, den Mönch Otmar, bereit, um ihnen die Grundlagen des Rechnens, Latein, etwas Griechisch aber auch Naturwissenschaften wie Astrologie und Botanik nahe zu bringen.

Als die Jungs circa 14 Jahre alt waren, nahm Pippin sie mit nach Ravenna und Pavia, den kultiviertesten Städten, die sie jemals zu Gesicht bekommen sollten.

Als Waldos Vater verstarb, wurde beschlossen, dass er Mönch im Kloster auf der Insel Reichenau werden sollte. Es war ein trauriger Abschied, als den Jungen befohlen wurde, nunmehr getrennte Wege zu gehen: Waldo ins Kloster und Karl in die militärische Ausbildung.

Sie verloren sich für viele Jahre aus den Augen und wurden hervorragende Vertreter ihres Fachs. Waldo wurde ein Missionar und Priester, der in die barbarischsten Regionen Schwabens zog, die voller Heiden waren.

Er wählte einen jungen Novizen aus, der ihn begleiten sollte, den jungen Gotsbert von der Bertholdisfamilie, welcher die Gegend und den örtlichen Dialekt gut kannte.

Eines Tages suchten zwei Edeldamen Zuflucht in ihrem Dorf Seeburg. Adelinde, die gerade Witwe geworden war, wurde nicht nur Waldos geschätzteste zum Christentum Bekehrte sondern auch seine Geliebte.

Im Juni des Jahres 770 besuchte Karl, der in der Zwischenzeit Karolus Rex (später als Karl der Große bekannt), der König der Franken, geworden war, Waldo in Seeburg, um ihn um einen Gefallen in Bezug auf seinen verhassten Bruder Karlmann zu bitten.

Während seines Besuchs verliebte sich Karl in Adelindes jüngere Schwester Hildegard und schwor sie zu ehelichen unter der Voraussetzung, dass er den unvermeidlichen Kampf gegen seinen Bruder überlebte.

Wie es sich herausstellte, konnte Waldo Karl auf eine sehr geheimnisvolle und weltliche Weise helfen.

Karlmann verstarb an einem starken Nasenbluten. Niemand wagte sich damals, anzudeuten, dass er durch eine Vergiftung zu Tode gebracht worden sein könnte.

Es hat mir großes Vergnügen bereitet, die historischen Details aus der Zeit des frühen Mittelalters zu erforschen. Dies tat ich in der Kenntnis, dass einige der historischen Quellen zutreffender sind als andere. Immerhin stammen diese aus einer Zeit, die 1250 Jahre zurückliegt. Vielleicht gehen diese ja in die Legenden der Zukunft ein.

Bitte verzeihen Sie mir daher, dass ich in diesem Roman einige Vorkommnisse wiedergebe, von denen ich nur annehme, dass diese so geschehen sein könnten.

Keinesfalls habe ich beabsichtigt, die wahren historischen Figuren mit Erzählungen von unbegründeter Grausamkeit verzerrt darzustellen. Ganz im Gegenteil, ich war immer bemüht, nicht in Beschreibungen von Barbarei und Grausamkeit zu verfallen, die mit dem frühen Mittelalter oft in Zusammenhang gebracht werden.

Am Ende können Sie ein Manuskript lesen, das von einer Heiligenschrift stammt, die im frühen Mittelalter von Gotsbert verfasst wurde und den alten traditionellen Ausdrucksstil des Lateinischen nutzt. Dr. A. Potthast übersetzte diese am 25. Dezember 1856 in der Nähe von Kattowitz in Schlesien.

Walahfrid Strabo, ein gebildeter Mönch aus dem Kloster St. Gallen, kürzte das Manuskript und formulierte es wiedermals auf Lateinisch in einem wohlgefälligeren Stil um.

Es kann davon ausgegangen werden, dass er an der Original-Hagiographie, die von Gotsbert verfasst worden war, weitere Streichungen und Korrekturen vornahm, um sicher zu stellen, dass Otmar von der damaligen römisch-katholischen Kirche zum Heiligen erhoben wurde, was auch geschah.

Diejenigen, die dieses Buch unvoreingenommen lesen, werden sich hoffentlich mehr um die Authentizität ihrer spirituellen Gefühle als um die historische Wahrheit jedes berichteten Aspekts in diesem Roman kümmern.

„Lege feliciter“

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Historie

Karl der Große verzweifelte am barbarischen Zustand seines Königreiches. Er hatte viele große Schlachten gewonnen und das Karolingerreich weit in seiner Größe ausgedehnt, aber er sah seinen Erfolg oft als wertlos an.

Das Licht des Wissens würde wohl niemals die unkultivierten Reiche erhellen, die Gott ihm anvertraut hatte. Seine Untertanen hatten keinen Wissensdurst. Sie waren gegenüber den Wundern der menschlichen Weisheit und des Verständnisses blind.

Er hatte ihre Augen für die Herrlichkeit des Christengottes mit der Macht des Schwertes geöffnet. Jetzt würde er auch die überwältigende Macht der göttlichen Erleuchtung nutzen, um die dunklen Löcher ihres Geistes zu erhellen.

Der Wissensdurst, der Karl den Großen so ausmachte, wurde in seiner Kindheit von seinem Lehrer Otmar angefacht, der ihn zu der Überzeugung brachte, dass das Lernen die Quelle allen Mutes und aller Macht war.

„Timendi causa est nescire“, trichterte ihm Otmar unerbittlich ein. „Unwissenheit ist die Ursache der Furcht.“

Dieses geheime Motto behielt Karl der Große sein ganzes Leben lang für sich. Er teilte es mit niemandem, bis nach Otmars Tod die Zeit gekommen war, um seinen geliebten Lehrer vor den Augen der Welt mit einem Buch über dessen Leben zu ehren.

Karl der Große verehrte Otmar, der ein Mönch und Priester und später der erste Abt der Benediktinerabtei von St. Gallen war.

Otmar entzündete die Flamme der Kulturreform in dem Jungen Karl, der eines Tages der große Kriegerkönig Karl der Große werden sollte. Er lehrte Karl die Wichtigkeit der Literatur, des Schreibens, der Künste, der Architektur und des Rechts für die Nationenbildung.

Er erinnerte ihn ständig daran, dass er eines Tages der König des christlich-karolingischen Reiches sein würde. Während es mit der Macht des Schwertes aufgebaut würde, würde auch noch etwas Weiteres benötigt, damit es wachsen und als ein wahrhaftig großes Reich fortbestehen könnte.

An einem bestimmten Punkt, erklärte er, würde eine Neubelebung der Bildung, eine wahre Wiedergeburt der Kultur, benötigt, damit das Fränkische Königreich überleben und aufblühen könnte. Er schlug die Aufzeichnung zweier kultureller Manifeste, der Admonitio generalis und der Epistola de litteris, vor.

Es würde weitere 40 Jahre dauern, bevor der junge Prinz Karl als Karolus Rex oder als Karl der Große, wie man ihn später ehrerbietig bezeichnete, diese zwei Manifeste erstellen und veröffentlichen ließ.

Seine Renaissance sollte eine besondere Wirkung auf die Bildung und Kultur im karolingischen Königreich der Franken haben.

Für Karl den Großen bestand eine der größten Errungenschaften der karolingischen Renaissance in ihrer Auswirkung auf die Fortentwicklung der schreiberischen Fähigkeiten.

„Ein Mangel an Lateinkenntnissen in unserem Königreich“ sagte er, „schränkt die Anzahl der Menschen, die als Hofschreiber dienen können, erheblich ein. Ohne sie haben nicht genug von uns die Möglichkeit, lateinische Texte zu lesen, die jedoch grundlegend für unsere Entwicklung als Nation sind. Viele unserer Priester können noch nicht einmal die Vulgata-Bibel lesen. Wie sollen wir als Volk wachsen, wenn wir noch nicht einmal schreiben und die patristischen und klassischen Texte lesen können.“

Die Karolingische Renaissance setzte das Lateinische als die allgemeine Verwaltungssprache durch und führte einen winzigen kalligraphischen Schriftstil ein, der die Kommunikation im Großteil des Reiches ermöglichte.

Um den Schreibproblemen darüber hinaus den Kampf anzusagen, ordnete Karl der Große die Schaffung von Schulen in der Charta zum Freien Denken an, die 787 herausgegeben wurde. Ein Großteil seines Reformprogramms bestand darin, viele führende Gelehrte des damaligen Christentums an seinen Hof in Aachen zu bringen.

Karl des Großen Verehrung Otmar gegenüber wurde von Waldo, seinem Freund aus Kindertagen, geteilt. Karl der Große war der uneheliche Sohn des Karolingerkönigs Pippin und verbrachte seine Jugend in Waldos Zuhause, dem Haushalt dessen Vaters Richbold, des Grafen von Breisgau.

Waldo und Karl wuchsen zusammen am Oberrhein bei Burkheim auf, bis sie in ihren frühen Zwanzigern getrennte Wege gingen. Karl sollte bei seinem Vater, König Pippin, Kriegsführung lernen und Waldo sich dem religiösen Leben im Kloster der Abtei Reichenau widmen.

Dort lernte Waldo abgesehen von vielen anderen Dingen das Schreiben. Jahre danach brachte er diese Fähigkeit einem zehnjährigen Laienbruder namens Gotsbert bei, der wie er selbst der Sohn eines Adligen war. Waldo war von den schreiberischen Fähigkeiten des Jungen so beeindruckt, dass er seinen Freund Karl, den künftigen König Karl den Großen, darauf aufmerksam machte.

„Waldo“, sagte Karl eines Tages, „du weißt, dass ich seit langem den Wunsch habe, Otmars Biographie schreiben zu lassen. Bisher habe ich gezögert, diese heilige Aufgabe einfach irgendeinem Schreiber aufzutragen. Ich glaube, jetzt haben wir jemanden, der dies unter deiner Leitung übernehmen kann. Wir werden beobachten, wie sich seine Fähigkeiten innerhalb der nächsten Jahre entwickeln. Erweist er sich als fähiger Schreiber, werde ich ihm die große Ehre gewähren, die Lebensgeschichte unseres geliebten Lehrers Otmar niederzuschreiben.“

Jahre später bewies sich Gotsbert tatsächlich als äußerst fähig und er wurde von Karl dem Großen angewiesen, Otmars Biographie zu schreiben.

Der junge Schreiber erkannte zwar, welche Ehre diese Aufgabe bedeutete, aber er wurde hauptsächlich von Furcht überwältigt. Karl der Große würde nichts anderes tolerieren, als eine perfekte Biographie des Mannes, den er so verehrte und der in seinen Augen bereits einer der größten Heiligen der Christenheit war.

Es handelte sich für Gotsbert also nicht nur um eine große Ehre, sondern er konnte diesen Auftrag gar nicht ablehnen. Er wusste, dass ihn mehr als eine Herausforderung nämlich ein fast unmögliches und sogar gefährliches Unterfangen erwartete, da ihn nicht nur der König sondern auch der Bischof von Konstanz und die dortigen Edelleute, die etwas schlimmes zu verbergen hatten, beobachten würden.

Er behielt Recht. Die ihm übertragene Aufgabe brachte ihn an seine innerlichen Grenzen und marterte ihn während des gesamten Schreibprozesses. Dies ging so weit, dass er manchmal sogar Selbstmord in Betracht zog. Denn da waren noch Otmars ruchlose Feinde, die alles dafür tun würden, um sich zu versichern, dass diese Biographie niemals ans Tageslicht käme.

Gotsbert erinnerte sich an etwas, das ihm Waldo einmal gesagt hatte, als er versuchte, ein besonders schwieriges Schriftstück zu meistern: „Fürchte Dich nicht vor der Perfektion, Gotsbert, Du wirst sie ohnehin niemals erreichen, niemand kann das.“

Jetzt aber erwartete Karl der Große absolute Vollkommenheit von ihm und er durfte ihn keinesfalls enttäuschen...

St. Gallen, 6. Dezember 777

I

Bodensee

Der Nebel auf dem Wasser barg eine Ruhe, die genauso alt zu sein schien wie der See selbst. Die blasse Sonne auf dem schiefergrauen Himmel wirkte wie eine glühende Perle. Als sie zum Horizont hinuntersank, verschwand sie hinter herannahenden Sturmwolken, die vom Norden heranrollten und den Bodensee in tiefe Schatten hüllten.

Die plötzliche Dunkelheit überraschte die nachtaktiven Tiere, die sich noch vor dem Tageslicht in Felsspalten und zwischen Bäumen versteckt gehalten hatten. Einige rührten sich nur widerwillig und krochen argwöhnisch in die sich ausbreitenden Schatten.

Eine einsame Figur, die an dem Nordufer stand, starrte in die Finsternis über dem Bodensee. Das frühe Verschwinden der Sonne entmutigte ihn. Er fühlte sich als leichte Beute für die für die Seele gefährlichen Geister, die alle Arten von ominösen im Dunst herumwirbelnden Formen herbeizauberten.

Er hörte wie seine eigene Stimme die Stille durchbrach: „ Und die Dunkelheit lag auf der Oberfläche der Tiefe … und das Gesicht Gottes stieg aus den Wassern auf.“

Er versank in einer schaurigen Stille, wie eine eisige Wolke. Aus einem entfernten Winkel seiner Erinnerung tauchten die Worte seines Mentors und Meisters Waldo von Reichenau auf, die im Dunst herum zu schweben schienen.

“Gott ist hier genau jetzt an unserer Seite. Wir können ihn im welligen Wasser, in den Vögeln in der Luft, im Boden, auf dem wir gehen, oder sogar im Gemüse in unserem Garten sehen. Trachtest Du danach, Gott zu finden, musst Du Dich nur umsehen.“

Oh, Gotsbert, schalt er sich selbst, Du schändest die göttliche Liebe und den Schutz des Allmächtigen mit Deiner kindischen Furcht vor dunklen Schatten und finsterem Dunst. Du bist von der Wanderung dieses Tages erschöpft und lässt Dich von Deiner Phantasie übermannen. Habe Gottvertrauen! Gott wird über Dich wachen, bis die Mönche in ihrem Boot ankommen. Der Allmächtige ist gnädig und allgegenwärtig.

Genau in diesem Augenblick zeigte der Allmächtige seine Macht mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Sekunden später erleuchtete eine Reihe von beängstigenden Blitzen den See. Gotsbert glaubte im Leuchten kurz ein Boot auf dem Wasser zu sehen, bevor es wieder von der Finsternis verschluckt wurde.

Hatte er wirklich ein Boot gesehen oder war dies nur eine Wunschvorstellung? Er starrte wieder in die Dunkelheit über dem See und versuchte angestrengt, Geräusche auszumachen.

Ein zweites Donnerkrachen ließ die Erde erbeben und er fiel auf seine Knie, als wieder ein Blitz aufleuchtete. Er betete, dass die Mönche, die herbeiruderten, um ihn abzuholen, von dem Sturm gerettet würden.

Als der Regen herniederprasselte und der Wind wieder zu wüten begann, rief er laut: “Solange unser Herz ehrlich, unsere Absicht inbrünstig und unser Mut unerschüttlich ist und solange wir dem Herrgott in allen Belangen vertrauen, steuern wir sicher durch jeden Sturm.”

Manchmal lässt Gott einen Sturm abflachen, wenn man betet, aber manchmal lässt Gott den Sturm auch weiter wüten und beruhigt sein Kind anderweitig. Und manchmal tut Gott auch beides.

Als Gotsbert mit gefalteten Händen kniete und wegen des starken Regens kaum aus den Augen schauen konnte, konnte er plötzlich einen kurzen Blick auf die majestätischen Alpen weit entfernt hinter dem Bodensee erhaschen.

Zuerst dachte er, dies sei nur eine Vision, die er habe. Ich halluziniere, dachte er. Er stand auf und schützte seine Augen, um klarer sehen zu können. Er rang nach Atem, als er sah, dass sich eine Lücke zwischen den Wolken auftat, durch die er den schwachen Umriss der Berge sehen konnte. Gotsbert glotzte verwundert, während sich die Sturmwolken aufklarten und zarte Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Finsternis fochten. Dann bemerkte er, dass sich der Wind abschwächte und dass der Regen nachließ. Wenige Augenblicke später war er wieder nur von Dunkelheit und Ruhe umgeben.

Das Geräusch der Ruder, die in das Wasser getaucht wurden, erreichte ihn zuerst, bevor der Umriss des Bootes im Nebel sichtbar wurde.

Ein Mönch, der am Bug stand, winkte mit seinen Armen und schrie mit sich überschlagender Stimme: „ Gotsbert! Gotsbert! Ich sehe Dich! Es ist ein Wunder! Der Herr sei gepriesen!“

Während die Stimme über dem See widerhallte, fiel Gotsbert auf die Knie und weinte.

II

Abtei von St. Gallen

Das kleine Boot schob sich in völliger Dunkelheit zurück über den riesigen See. Es war bisher eine lange angsterfüllte Reise für Gotsbert, der die gesamte Zeit nichts sehen konnte. Zuguterletzt erreichten sie in Arbon das Ufer und er sah eine schemenhafte Figur, die mit einer hell leuchtenden Fackel winkte, welche die Ruderer zu einem langen hölzernen Anlegesteg lenkte.

Als er aus dem Boot kletterte, näherten sich ihm zwei Mönche mit Kapuzen, die schwach leuchtende Lampen trugen.

„Grüße von Bruder Waldo, Gotsbert“, sagte einer. „Er hat uns gesandt, um mit Euch nach St. Gallen zu wandern. Ich bin Ambrosius und das ist Bero.“

„Ihr seid ein willkommener Anblick, Brüder“, sagte Gotsbert. „Es war ein langer und erschöpfender Tag.“

„Ihr werdet Euch jetzt etwas ausruhen“, sagte Ambrosius. „Wir werden heute Nacht in Arbon bleiben und morgen im Morgengrauen nach St. Gallen aufbrechen.“

„Waldo ist erpicht darauf, Euch zu sehen“ sagte Bero.

Das ist er bestimmt, dachte Gotsbert, und tastete instinktiv nach Otmars Manuskript in seiner versteckten Schultertasche. Das Dokument war nicht schwer, aber er wusste, dass das große Gewicht der Erwartung und Verantwortung, das es in sich barg, die Wanderung nach St. Gallen erheblich anstrengender machen würde, als sie sonst gewesen wäre.

„Mein lieber Gotsbert,“ rief Waldo aus, als er seinen jungen Freund voller Freude vor den Toren der Abtei St. Gallen umarmte. „Der Herr sei gepriesen, dass er Dich den langen Weg von Seeburg sicher hierher geführt hat.“

„Der Herr sei wirklich gepriesen, geliebter Waldo. Ohne die Gnade und Güte des Allmächtigen wäre ich längst Fischfutter am Grund des Bodensees.“

„Was!“ rief Waldo ehrlich erschrocken. „War Dein Leben in Gefahr?!“

Gotsbert versuchte, die Sorgen seines Freundes mit einem Händewinken zu verjagen, aber Waldo legte einen schützenden Arm auf seine Schulter und geleitete ihn sofort durch das Tor zum Eingang der Abtei.

„Danke, Brüder!“ rief Gotsbert Ambrosius und Bero zurück. „Ich sehe Euch morgen.“

In der Abtei angekommen führte Waldo Gotsbert zur Bibliothek.

„Es gibt einen abgeschlossenen Leseraum für hochrangige Mönche hinter diesen Stufen“, sagte er, und zeigte auf eine enge Öffnung zwischen zwei Säulen. „Wir können dort ungestört sprechen. Richte Dich dort ein, während ich ein wenig Brot, Käse und Wein besorge. Es ist nur angemessen, dass wir uns an ein wenig Wein erfreuen, während wir über Otmar sprechen.“

Im Leseraum befanden sich mehrere Bänkereihen. Sie wirkten wie Kirchenbänke, aber ihre Ablage war drei bis vier Mal größer als bei normalen Bänken, die nur darauf abgestellt sind, ein Gebets- oder Messbuch aufzunehmen.

Gotsbert setzte sich auf eine der Bänke, zog langsam das Manuskript von Otmars Biographie aus seiner Schultertasche und legte es behutsam auf die große Ablage.

Während er unglücklich auf das vor ihm liegende Manuskript starrte, rief er sich die unliebsamen Umstände wieder ins Gedächtnis, die ihn zu diesem Punkt gebracht hatten.

Er konnte sich noch genau an Alles erinnern:

Vor fast vier Jahren hatte ihn Waldo in Seeburg zu einem Treffen mit Karl bestellt. Er wusste, dass Karl jetzt und auch damals der mächtige Kriegerkönig Karl der Große, Karolus Magnus, war und ist.

Durch dieses Wissen wurde seine Aufgabe, die auch so anspruchsvoll war, noch einschüchternder und sogar gefährlich.

Bei jenem Treffen befand sich Karl der Große in seinem Bett und erholte sich von einem Anfall. Er saß von Kissen gestützt und sah ihn lange mit drohendem Blick an, in dem kein Lächeln war, während er ihm erklärte, dass er persönlich Gotsbert dafür erwählt hatte, dass ihm die Ehre zuteil wurde, die Biographie Otmars, des ersten Abts von St. Gallen, zu schreiben.

Gotsberts anfänglicher Schock bei dieser Ankündigung wurde bereits Sekunden später zu Angst und Schrecken, als ihm die volle Bedeutung der Aufgabe klar wurde.

Otmar!, rief er sich selbst in Gedanken zur Ordnung und betete, dass sich sein Mangel an Freude über die durch seinen König zuteil gewordene Ehre nicht auf seinem Gesicht widerspiegelte. Er sah, dass Karl der Große seine Augen etwas zusammenkniff, wodurch sein Blick noch prüfender wurde. Mit größter Selbstkontrolle schaffte es Gotsbert, Karl und Waldo als Antwort ein strahlendes Lächeln zu verpassen.

Im Innern drehte sich jedoch sein Magen um und seine Gedanken überschlugen sich. Otmar! stöhnte er innerlich … Karls verehrter Mentor und Inspiration. Otmar, der in Karls Augen bereits einer der größten Heiligen der Christenheit war.

Die Biographie müsste eine wahre Hommage sein. Eine durchdachte Glorifizierung und verschönernde Charakterstudie und sie müsste eher aus Fiktion als aus Fakten bestehen, um den verehrten Otmar angemessen zu würdigen. Und ich weiß fast nichts über den großartigen Mann und ich habe ihn niemals getroffen. Er ist bereits lange tot.

Nun im Rückblick zu diesem Treffen und in Erinnerung an die furchterregende Aufgabe, die er damals vor sich hatte, berührte Gotsbert das Manuskript, das er in den letzten vier Jahren auf unerfindliche Weise über Otmar geschrieben hatte.

Er konnte nicht ermessen, ob das, was er geschrieben hatte, gut, schlecht oder mittelmäßig war. Alles, was er wusste, war, dass ihn dies den gesamten Schreibprozess hindurch gemartert und manchmal sogar an den Rande des Wahnsinns getrieben hatte. Die Erinnerung dieser schrecklichen Zeiten ließen einen Kloß in seinem Hals entstehen, während er seine Tränen hinunterschluckte. Hoffentlich war dies nun vorüber und hoffentlich konnte er nun sein eigenes Leben wieder aufnehmen und seine Arbeit für den himmlischen Herrn und König wieder fortführen, anstatt für den irdischen tätig zu sein.

Er riss sich zusammen, als er hörte, dass Waldo mit dem Wein und dem Essen zurückkam und stand auf, um ihn zu begrüßen.

„Nachdem wir uns zusammen an etwas Wein und Käse erfreut haben, Gotsbert“, sagte Waldo, „werde ich mich hinsetzen und Otmars Manuskript sofort durchlesen. Während ich das tue, kannst Du gehen und Dir den Staub und den Schmutz Deiner Reise abwaschen.“

III

Urteil

Die Angst begann Gotsbert zu ergreifen und ein Gefühl des Unbehagens nahm Besitz von ihm. Die Wäsche hatte seinen Körper erfrischt, aber sein Geist war noch immer müde.

Er ging so langsam wie möglich zurück zum Leseraum, um sich selbst Zeit zu geben, seine gebeugten Schultern und seinen erlahmenden Geist wieder in Gang zu bringen. Dies gelang ihm nur zum Teil und als er in den Raum ging und Waldos Gesicht sah, kam seine Furcht als stechender Schmerz in der Brust zu Tage und ließ ihn innehalten.

Gotsbert hatte Waldo niemals mit so versteinertem Gesicht und so ernst gesehen. Auch seine Stimme war ernst, als er sprach, aber nicht wütend. Zumindest nicht am Anfang.

„Ein gutes Urteilsvermögen, Gotsbert“, sagte Waldo, „entsteht durch Erfahrung. Und Erfahrung …nun gut … entsteht durch schlechtes Urteilsvermögen.“

Er wedelte mit Gotsberts Manuskript herum, wie mit einer weißen Fahne.

„Das ist eine Katastrophe, Gotsbert! Karl wird schäumen vor Wut.“

Er wurde still und schloss seine Augen, als ob er versuche, die Wut zu zäumen, die Gotsbert nun immer mehr in seiner Stimmte ausmachte.

„Vielleicht ist es mein Fehler“, sagte er und warf das Manuskript hinunter auf eine der Sitzbänke. „ Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, was von Dir erwartet wurde. Meine Erwartungen an Dich waren zu hoch … Du warst noch nicht bereit für diese große Aufgabe.“

Diese letzte Bemerkung war ein Stich in Gotsberts Herz und er musste sich zusammenreißen, seinen Kopf nicht vor Scham hängen zu lassen. Stattdessen starrte er seine Hände an, die er so fest ineinander verschränkt hielt, dass es ihm wehtat.

Waldo übte dann weitere Kritik an Otmars Biographie, während er durch den Raum ging und verschiedene fehlerhafte Textpassagen laut vorlas. Er machte Kommentare, hielt inne, und fuhr dann mit den Kommentaren fort.

Diese Abfolge wurde für fast eine Stunde immer wieder wiederholt. Jedes Mal, wenn Waldo sprach, versank Gotsbert immer tiefer in eine traumverlorene Verzweiflung. Während sein Blick seinem geliebten Meister beim Hin- und Hergehen folgte, füllten sich seine Augen mit Leere und er hörte Waldos Stimme als Echo in seinem eigenen Kopf.

Waldo hörte auf hin- und herzurennen und blieb vor Gotsbert stehen. Er hielt ihm das Manuskript so hin, dass er es lesen konnte, und deutete auf einen bestimmten Absatz.

„Das sind frevlerische Worte, Gotsbert! Du musst sie aus dem Manuskript streichen! Nimm den Abschnitt heraus, der so anfängt: Als der heilige Otmar sagte, dass Gott sein einziger Zeuge sei” und so weiter bis zu dem Punkt, an dem Du sagst: “Otmar starb gefesselt an einen Baum auf der Insel Werd.“ Dieser gesamte Abschnitt muss gestrichen werden, Gotsbert. Wenn Karl liest, was Du hier geschrieben hast - großer gütiger Gott! Dann kann uns sogar der Allmächtige selbst nicht vor seinem Zorn retten.“

Waldo holte tief Atem und seufzte schwer, als er sich gegenüber dem am Boden zerstörten Gotsbert hinsetzte. Sein benebelter Blick starrte mit einer seltsamen Mischung aus Zärtlichkeit und Enttäuschung auf das blasse Gesicht vor ihm.

Gotsbert sah nur die Enttäuschung und wurde von Verzweiflung ergriffen. Er stellte sich vor, dass Waldo dachte, dass es niemanden gab, der so elendig ungeeignet für die Aufgabe war, Otmars Heiligenschrift niederzuschreiben wie er selbst.

Aber das war nicht das, was Waldo dachte.

„Das ist sehr gut geschrieben, Gotsbert, aber es wird völlig inakzeptabel für Karl sein“, sagte er nun bemerkenswert ruhig, wenn man in Betracht zieht, welcher Aufruhr in seinem Kopf herrschte.

Er hatte noch keine Ahnung, wie man es in der kurzen Zeit für Karl akzeptabel machen konnte, bevor sie es ihm zeigen müssten.

„Du bist mit Otmar zu ehrlich und realistisch umgegangen“, sprach Waldo. „Das hier ist ein glaubwürdiges Portrait von ihm, aber Karl möchte ein unglaubwürdiges. Ich dachte, dieser Punkt wäre Dir klar. Karl möchte kein unwahres Portrait sondern eines von übertriebener Wirklichkeit.“

Übertriebene Wirklichkeit! sagte sich Gotsbert selbst. So etwas gibt es gar nicht!

Waldo lächelte ihn schwach an und erahnte seine Gedanken. „Ja, ich weiß, es hört sich fast wie eine unmögliche Aufgabe an“, sagte er, „aber wir müssen es irgendwie gemeinsam schaffen -innerhalb einer Woche.“

Gotsbert ließ sich zurück auf seinen Sitz fallen. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber seine Sicht schien zu schwinden wie das Licht am Ende von jemandes Leben.

„Komm, lieber Gotsbert“, sagte Waldo fröhlich und half seinem Freund auf die Füße. „Hab Mut … und bete. Wir fangen nach dem Sonnenaufgang, nach den Laudes, den Morgengebeten, wieder an zu schreiben.“

“Schlaf gut und erinnere Dich daran, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat, um am siebten zu ruhen. Wir werden eine ähnliche monumentale Aufgabe durchführen, indem wir das Manuskript in sechs Tagen umschreiben und es am siebten Tag Karl präsentieren.

Alles wird gut.“fügte er herzhaft gähnend hinzu.

Eine Woche später schritten Waldo und Gotsbert die Stufen zum Eingang einer abgeschiedenen Kapelle im Dorf Wittenbach hinauf, wo sie mit Karl verabredet waren, um ihm Otmars Hagiographie vorzustellen.

Wittenbach war Otmars Geburtsort und war mit drei Stunden bequemem Fußweg nicht sehr weit von St. Gallen entfernt.

Die hölzerne Kapelle war in Anwesenheit von Karl dem Großen persönlich zu Otmars Ehren geweiht worden. Sie war mit diversen Gemälden von Otmar einschließlich einer kleinen Bronzestatue mit seinem Abbild, welche auf einem Sockel in der Nähe des Altars stand, verziert. Vor ihr stand Karl der Große mit zum Gebet geschlossenen Augen und gefalteten Händen.

Gotsbert und Waldo hatten sechs Tage lang unaufhörlich gearbeitet, um Otmars Heiligenschrift umzuschreiben. Gotsbert war genauso in körperlicher wie in emotionaler Hinsicht völlig ermüdet. In gewisser Weise war er so erschöpft, dass er sich über die schrecklichen Folgen, die es für ihn bedeuten könnte, wenn Karl der Große mit dem Manuskript nicht zufrieden war, gar keine Gedanken mehr machen konnte. Aber er bebte förmlich vor Angst und Furcht, was dies für seinen so geschätzten Mentor Waldo bedeuten könnte.

Gotsbert bemerkte, wie still es in der Kapelle war, und fragte sich, wie lange die Stille wohl anhalten würde. König Karl war allseits dafür bekannt, dass er seinem Temperament mit großem Nachdruck und großer Lautstärke Luft machte.

Sie waren beide verblüfft, als sie bemerkten, dass sich Karl der Große bereits in der Kapelle befand. Gotsbert und Waldo schauten sich an und dachten beide dasselbe: Karl ist äußerst erpicht darauf, das Manuskript zu sehen.

Waldo sah den Schweiß von Gotsberts Stirn tropfen und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken.

„Mein Herr König“, sagte er und teilte so ihre Anwesenheit mit.

Als Karl sich herumdrehte, um sie zu grüßen, glitt sein vergoldeter Umhang an der kleinen Statue Otmars entlang. Sie schwankte für eine Sekunde oder zwei auf dem Sockel hin und her und stürzte dann mit lautem Krachen auf den Steinboden.

Karl der Große beugte sich hinab und hob die Statue auf, die er nach kurzer Begutachtung wieder vorsichtig zurück auf ihren Sockel stellte.

Ein Omen des Verhängnisses, dachte Gotsbert.

“Es ist nichts zu Schaden gekommen, Gott sei gepriesen!“ rief Karl. „Willkommen meine lieben Freunde“, sagte er, als er nach vorne trat, um sie zu begrüßen.

Ein Ausdruck der unermesslichen Erwartung hatte sich über das Gesicht Karls des Großen ausgebreitet. Er deutete mit seinem Finger auf das Manuskript, das er in Gotsbert zitternden Händen sehen konnte.

„Nun, gib es mir schon, Gotsbert“, befahl er grimmig aber fröhlich. „Ich kann es gar nicht erwarten, es zu lesen!“

Circa 20 Jahre früher...

Insel Reichenau, 1. Juli 757

1

Opfer

Niemand hält ein Kind so fest umklammert wie eine Mutter. Gersinde hielt ihren kleinen Jungen mit tränennassen Augen auf dem Arm. Sie umarmte ihn so heftig, dass sie ihn fast erdrückte.

Die kleine Familie hielt an, als sie die Tore der Abtei Reichenau erreichte. Als sie alle auf das Kloster auf der Insel starrten, drehte sich Gersindes Sohn um und sah sie an. Überwältigt von ihren Gefühlen warf sie ihre Arme um ihn. Ihr nur sieben Jahre alter Sohn war im Begriff, viele Jahre lang und vielleicht für immer weit entfernt von ihr zu sein.

Sie weinte vor himmlischer Freude genauso wie vor unerträglicher Trauer. Ihr kleiner Sohn Gotsbert würde nun Gott dienen und sie würde ihn ein letztes Mal als Kind in den Armen halten.

Als sie mit ihrem Mann und ihren zwei anderen Söhnen die Außenmauer entlang ging, sah sie das kleine Tor, das in die Wand eingelassen war, und bewusst in einer Größe erbaut worden war, die nur ein Kind durchschreiten konnte. Sie lobte und dankte dem Herrn, dass sie ihren Sohn nicht wie andere Mütter im Dunkel der Nacht durch das Tor schieben und dann eine Glocke läuten musste, um den Mönchen mitzuteilen, dass ein Kind dort wartete.

Stattdessen durfte ihr Sohn als Spross einer Adelsfamilie die Abtei, in der er dann persönlich durch den Abt willkommen geheißen würde, durch die Haupttore betreten.

Es war nunmehr ein Jahr seit dem Tag vergangen, an dem Gersinde und ihr Ehemann Waltram bemerkt hatten, dass ihr jüngster Sohn dazu berufen war, Gott zu dienen. Sie hatten den Ruf des Allmächtigen, ihren zweiten Sohn Mönch werden zu lassen, damit er sein Leben dem Dienen und dem Gebet widmet, nicht hinterfragt.

Der Wunsch des Allmächtigen wurde von der Kirche ausgesprochen und durch den Bischof von Konstanz vollstreckt. Er hatte das mönchische Schicksal ihres Sohnes mit solcher Inbrunst rechtfertigt, dass sie gleichzeitig von Gottesfurcht und der Freude des Heiligen Geistes erfüllt wurden.

“Oh Keuschheit und heilige Liebe” schmetterte der Bischof, während seine Hände ein unsichtbares Kind in die Arme wartender Engel zu heben schienen. “Oh ewige und gütige Liebe! Oh unschuldiger Gotsbert, der zum heiligen Dienste berufen ist! Durch die Berührung mit dem Willen Gottes wirst Du rein!”

Er unterbrach und rief die Namen der Eltern des Jungen aus: “Waltram, Graf von Bertholdisbaar! Gersinde, Gräfin von Bertholdisbaar! Das Licht des Allmächtigen erleuchtet Eure Herzen und seine Heilige Liebe hat von der Seele Eures Sohnes Besitz genommen.”

Der Bischof legte eine Hand auf den Kopf des Jungen Gotsbert, der vor ihm mit gebeugtem Kopf kniete und die Hände zum Gebet gefaltet hielt.

“Der allmächtige Herr des Himmels”, erklärte er, “hat Gotsbert zu sich berufen.”

Der Bischof salbte den Jungen, indem er das Zeichen des Kreuzes mit heiligem Öl auf seine Stirn zeichnete. Dann drehte er sich zu den Eltern um und forderte sie auf, hinzuknien.

“Euer Sohn ist ein Geschenk an den Herrn, das größte Geschenk von allen”, sagte er, während er sie ebenfalls mit heiligem Öl salbte.

Gersinde sah ihren Mann an, der die Stirn runzelte, aber zum Einverständnis mit den Worten des Bischofs nickte. Ihr eigener Kopf blieb unbeweglich und ihr Gesichtsausdruck verriet die frevelhaften Gedanken, die von ihr Besitz nahmen, nicht:

Mein geliebter Sohn ist kein Geschenk, sagte sie vehement zu sich. Er ist ein Opfer, das Gott aus Gründen heraus, die ich nicht verstehe, von uns gefordert hat.

Trotz ihrer tiefen Traurigkeit und ihres unermesslichen Schmerzes widersetzte sich Gersinde dem Willen Gottes nicht offen in Gegenwart des Bischofs. Sie blickte ihren im Gebet knienden Sohn mit außerordentlicher Zärtlichkeit an. Dann schloss sie auch ihre Augen und betete. Sie flehte Gott an, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Sohn, der so jung und verletzlich war, im Kloster die Liebe und Erfüllung finden würde, die sie ihm nicht länger geben konnte.

Benebelt von diesen Gedanken und Emotionen hörte sie die Stimme des Bischofs wie ein ersterbendes Echo in ihrem leeren Herzen.

“Danket dem Herrn”, rief der Bischof, “da er in seiner Güte das Geschenk annimmt, das Ihr ihm gegeben habt. Wer Gott für seine unermessliche Güte und nicht nur ob der Geschenke, die er von ihm bekommen hat, preist, liebt Gott wahrhaftig um seiner selbst und nicht um sich selbst willen.”

Während Gotsbert von Gott vielleicht als Geschenk angesehen wurde, war er für Bruder Eberwin, den Mönch, dem er unterstellt worden war, einfach ein Besitz, der nicht wirklich zu etwas nutze war.

Aber er würde das bald ändern. Innerhalb weniger Wochen würde er sicherstellen, dass der Junge seinen Lebensunterhalt wert sei.