Grandhotel Schwarzenberg – Rückkehr nach Bad Reichenhall - Sophie Oliver - E-Book
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Grandhotel Schwarzenberg – Rückkehr nach Bad Reichenhall E-Book

Sophie Oliver

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Beschreibung

Bad Reichenhall, 1911. Als reicher Mann kehrt Michael Schwarzenberg nach Bad Reichenhall zurück. Und auch wenn Anna nun verheiratet und Mutter eines Sohnes ist, fühlen sich die beiden noch immer zueinander hingezogen. Michael will um seine wahre und einzige Liebe kämpfen. Für Anna aber steht viel mehr auf dem Spiel: Folgt sie ihrem Herzen, könnte sie ihren Sohn verlieren. Doch ist sie bereit, für den Rest ihres Lebens eine Lüge zu leben?

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Das alte Reichenhaller Lied

Die handelnden Figuren

Bad Reichenhall, Königlich Bayerisches Staatsbad 1911

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Bad Reichenhall, Königlich Bayerisches Staatsbad 1912

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Bad Reichenhall, Königlich Bayerisches Staatsbad 1914

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Bad Reichenhall, Königlich Bayerisches Staatsbad 1917

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Bad Reichenhall Königlich Bayerisches Staatsbad 1926

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Bad Reichenhall Königlich Bayerisches Staatsbad 1927

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Glossar

Dank

Weitere Titel der Autorin:

Das Erbe von Gullrock Hall

Der Sommer der Oliven

Mein kleines Café in Primrose Hill

Grandhotel Schwarzenberg – Der Weg des Schicksals

Über dieses Buch

Bad Reichenhall, 1911. Als reicher Mann kehrt Michael Schwarzenberg nach Bad Reichenhall zurück. Und auch wenn Anna nun verheiratet und Mutter eines Sohnes ist, fühlen sich die beiden noch immer zueinander hingezogen. Michael will um seine wahre und einzige Liebe kämpfen. Für Anna aber steht viel mehr auf dem Spiel: Folgt sie ihrem Herzen, könnte sie ihren Sohn verlieren. Doch ist sie bereit, für den Rest ihres Lebens eine Lüge zu leben?

Über die Autorin

Geboren und aufgewachsen in Bayern, verließ Sophie Oliver nach dem Abitur ihre Heimat, um zu studieren und die Welt zu erkunden. Mittlerweile ist sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und lebt mit Familie und Hund auf dem Land. Sophie liebt die bunte Vielfalt, Schräges genauso wie Schönes sowie »all things British«. Ihre Lebensneugierde drückt sie in ihren Romanen und Kurzgeschichten aus, wobei sie sich darüber freut, in verschiedenen Genres schreiben zu dürfen.

Sophie Oliver

Rückkehr nach Bad Reichenhall

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Ulrike Brandt-Schwarze

Covergestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-6887-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Das alte Reichenhaller Lied

Kennst du nicht das Tal, am Fuß vom Untersberg,

wo um den Kaiser wacht der kluge, treue Zwerg.

Von Bergen umkränzt, durchflossen von der Saal,

da liegt das schöne alte Reichenhall.

Wo jene Quell entspringt, die weit das Land ernährt,

die reichen Segen bringt und jeder Bayer ehrt.

Der ihren Namen dankt, die Stadt in jenem Tal,

da liegt das schöne alte Reichenhall.

Wo freundlich niederglänzt, von Staufens höchste Wand

ein Kreuz aus Eisen steht, gepflanzt von kühner Hand.

Als wollt aus lichten Höh‘n, es rufen in das Tal:

Da liegt das schöne alte Reichenhall.

Wo Alt und Jung so gern stets frohe Lieder singt,

wo leicht die Gämse springt und laut die Zither klingt.

Wo scharf die Büchse knallt, im grünen Saalachtal,

da liegt das schöne alte Reichenhall.

Melodie: Carl Hünn (1831 – 1906); Text: Franz Wisbacher (1849 – 1912)

Die handelnden Figuren

Anna Achleitner, später Schwarzenberg, geb. Gmeiner

Leonhard Achleitner, Bürgermeister

Karl Achleitner, ihr Sohn

Mathilde Mandling, Haushälterin

Michael Schwarzenberg, Hotelier

Franziska Schwarzenberg, seine Tochter

Mathias Schwarzenberg, sein Sohn

Stanley Meyers, Geschäftsführer des Grandhotels

Konrad von Feil, Salinenmeister

Hedwig von Feil, seine Frau

Katharina Bahlow, seine Tochter

Wolf Bahlow, ihr Sohn

Adele Gärtner, Hausmädchen

Albrecht, Hausdiener

Thomas Fischer, Rittmeister

Augustine Fischer, seine Frau

Hertha Zuck, Mitarbeiterin im Café Flora

Therese Bauer, Küchenchefin im Café Flora

Luis Zuegg, Ingenieur

Eberhard Eichinger, Sekretär des Bürgermeisters

Bad Reichenhall,Königlich Bayerisches Staatsbad1911

1

Seit der feierlichen Eröffnung des Grandhotels Schwarzenberg vor einer Woche befand sich Anna in einer Art Schockstarre. Michael Schwarzenberg, ihre erste Liebe, ihre große Liebe, der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte, war mit einem Paukenschlag nach Bad Reichenhall zurückgekehrt. Fünf lange Jahre, nachdem sie sich unter Tränen am Bahnhof voneinander verabschiedet hatten. Er hatte sein Glück in Amerika machen wollen, was ihm offensichtlich gelungen war. Der mittellose ehemalige Salzarbeiter war nun der Besitzer der Dawson Company und durfte sich zudem Hotelier nennen. Darüber hatte er wohl die arme Häuslerstochter Anna Gmeiner vergessen, der er daheim die Ehe versprochen hatte.

Zwei Briefe kurz nach seiner Überfahrt waren alles gewesen, das Anna erreicht hatte, danach hatte sie keinerlei Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Sie hätte ihn auch ohne einen Pfennig genommen, so verliebt war sie gewesen, aber ihr Vater hatte den Standpunkt vertreten, Michael könne keine Familie ernähren und die Einwilligung zur Ehe verweigert. Anna, damals noch nicht volljährig, musste sich fügen. Ein Jahr wollte Michael wegbleiben, es zu etwas bringen, und dann zu ihr zurückkehren. Stattdessen hatte die Ferne ihn verschlungen, in eine bittersüße Erinnerung verwandelt, die in Anna die ewige Frage aufwarf, was hätte sein können.

Und nun prangte sein Name in goldenen Lettern an der Fassade des palastartigen Gebäudes, das einen gesamten Häuserblock im Zentrum Bad Reichenhalls einnahm. Grandhotel Schwarzenberg. Ein Haus, das auch in Berlin oder Paris aufgefallen wäre. Vier luxuriös ausgestattete Stockwerke mit Zimmern und Suiten, Gourmetrestaurant, Ballsaal und einer weitläufigen Terrasse, die den hauseigenen Park überschaute.

Eine Woche lang hatte sich Anna zu Hause in der Schachtstraße verschanzt. Ebenfalls mitten im Ort, doch glücklicherweise nicht in Sichtweite des Hotels. Warum war er zurückgekommen? Auch aus der Ferne hätte er sich gewiss sein können, dass er ihr Herz gebrochen hatte. Wann war er so grausam geworden, dass er das Bedürfnis verspürte, sie durch seine Anwesenheit zu quälen? Musste er alte Wunden wieder aufreißen, indem er in eine Stadt zurückkehrte, die ihm niemals eine Heimat gewesen war?

Ebenso wenig wie Michaels Beweggründe verstand Anna den hasserfüllten Blick, den er ihr bei der Einweihung seines Grandhotels zugeworfen hatte. Weshalb waren die tiefen Gefühle, die er damals für sie empfunden hatte, in offenkundige Abneigung umgeschlagen? Obwohl sie keine Antworten auf ihre Fragen finden würde, kreisten Annas Gedanken um nichts anderes.

»Es ist in Ordnung, wenn du Mathilde zum Einkaufen auf den Markt schickst oder raus an die frische Luft mit Karli, aber heute ist Sonntag, und wir werden gemeinsam in die Kirche gehen«, bestimmte Leo, Annas Mann. »Du kannst dich nicht ewig hier drin verstecken«, setzte er mit sanfter Stimme hinzu.

Er trat neben Anna, die am Fenster des Schlafzimmers stand, hinausblickte und doch nichts sah. Ohne Vorwarnung war sie erneut mit den Ereignissen konfrontiert worden, die Michaels Weggang nach sich gezogen hatte. Leid, Tod und Unglück, Dinge, die sie vergessen wollte. Dies gelang ihr mittlerweile zumeist, jedoch nicht immer. In manchen dunklen Nächten erwachte sie aus quälenden Albträumen, und dann waren es Leos starke Arme und seine liebevoll tröstenden Worte, die Anna wieder beruhigten.

Mit einem leisen Seufzen drehte sie sich zu ihm und lehnte sich gegen seine Brust. Er würde sie beschützen, vor allem, was da kommen mochte. Das hatte er stets getan, seit dem Tag, als er in Annas kleines Häuschen gekommen war und sich als ihr zukünftiger Ehemann vorgestellt hatte. Er war der Vater ihres Sohnes, der Mann, der sie liebte und der ihr ein Leben in Sicherheit schenkte. Alles, was Michael hätte werden sollen, war Leo geworden.

Anna schlüpfte in ein leichtes, fliederfarbenes Kleid nach der neuesten Mode, das ihr Gatte für sie beim Schneider nach Maß hatte anfertigen lassen. Es wurde unter der Büste durch ein schmales Band hübsch betont und umspielte locker ihre schlanke Figur. Auf das hochgesteckte honigblonde Haar setzte sie einen wagenradgroßen Hut, um ihr Gesicht zu verbergen, sobald sie den Kopf neigte. Sie befürchtete, dass sich das heute als hilfreich erweisen könnte. Viele Bad Reichenhaller erinnerten sich daran, dass Anna Achleitner, geborene Gmeiner, mit Michael Schwarzenberg verlobt gewesen war, und die fleißigen Kirchgänger und Tabernakelwanzen würden ihr beim Gottesdienst neugierige Blicke zuwerfen. Immerhin war Anna mittlerweile als Bürgermeistergattin eine Person von öffentlichem Interesse.

Der vierjährige Karl trug einen sommerlichen Matrosenanzug und sah mit seinen blonden Locken und den fröhlich dreinblickenden hellen Augen entzückend aus. Seine Gegenwart gab Anna stets Kraft. Sie empfand eine tiefe Liebe zu ihrem Kind, die sie in manchen Momenten schier überwältigte. Diese Liebe war anders als die zu Leo, anders, als es die großen Gefühle für Michael gewesen waren – sie war wie eine Naturgewalt unverrückbar in Annas Seele verankert. Ohne zu zögern, würde sie ihr Leben für das ihres Sohnes geben. Mutter zu sein, hatte ihre Seelenwunden geheilt.

Auf dem kurzen Weg zur Ägidikirche, vorbei an Läden und Cafés, wurden sie allenthalben von den Leuten gegrüßt. Leonhard Achleitner war in zweiter Amtszeit Bürgermeister, beliebt bei den Bad Reichenhallern und mit seiner jungen Familie geradezu ein Aushängeschild für den Ort.

Anna hielt Karl an der rechten Hand und hatte sich mit der Linken bei ihrem Mann untergehakt.

»Er wird nicht da sein«, versicherte sie sich mehr selbst als Leo. »Michael war noch nie ein Freund der Kirche.« Ebenso wenig wie ich, setzte sie in Gedanken dazu.

Er antwortete nicht, aber sie sah, dass er die Lippen zusammenpresste. Kurz drückte er ihre Hand. In den vergangenen Jahren hatte Anna erfahren, dass Leo kein Mann vieler Worte war. Nach außen hin wirkte er oftmals beherrscht und emotionslos, aber das war er nicht. Innere Konflikte trug er lieber mit sich selbst aus, ohne sie mit ihr zu teilen. Anfangs hatte sie darunter gelitten und sich ausgeschlossen gefühlt. Doch im Laufe der Zeit hatten sie voneinander gelernt. Immer öfter ließ er sie an seinen Gedanken teilhaben, und sie verübelte es ihm nicht, wenn er einmal nicht gleich über etwas reden mochte. Dieser Kirchgang, bei dem alle Welt mit Argusaugen beobachtete, wie die Achleitners auf die Rückkehr von Michael Schwarzenberg reagierten und ob es Spannungen zwischen ihnen gab, musste auch für Leo schwierig sein.

Im Kirchenschiff nahmen sie ihre Plätze ein, Anna auf der Frauenseite. Karl hatte darauf bestanden, wie ein großer Junge bei seinem Vater auf der Männerseite zu sitzen. Anna ließ ihren Blick schweifen und stellte erleichtert fest, dass Michael, wie sie erwartet hatte, nicht anwesend war. Aufatmend senkte sie den Kopf. Gleich wird der Pfarrer durch die Sakristei eintreten, dachte sie, als das Knarzen des bereits geschlossenen Portals einen Nachzügler ankündigte. Das leise Gemurmel verstummte gänzlich, und zahlreiche Augenpaare verfolgten Michael Schwarzenberg, wie er durch den Mittelgang schritt. Bereitwillig rückten ein paar Herren zusammen, sodass er sich schräg vor Anna am Rand einer Reihe auf die Bank setzen konnte.

Mit zitternden Fingern schlug sie das Gesangbuch auf. Beim ersten Lied versagte ihr die Stimme. Sie musste darum kämpfen, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Was hatte sie sich nur gedacht? Ihm auf ewig aus dem Weg gehen zu können? In einer kleinen Stadt wie dieser? Sie hatte sich nichts vorzuwerfen, brauchte sich weder vor ihm zu verstecken, noch war sie ihm Rechenschaft schuldig. Entschlossen straffte Anna die Schultern und schaute starr zum Altar, ohne ein Wort von der Predigt mitzubekommen.

Kurz nach dem Vaterunser konnte sie nicht mehr dagegen ankämpfen. Wie magisch angezogen wanderte ihr Blick zu Michael hinüber. Langsam zählte sie die rot-weißen Marmorrauten des Mittelgangs, ihre Augen glitten über die gedrechselte Lehne der Kirchenbank, die seinen Rücken stützte. Sie beobachtete, wie die Schultern sich im gleichmäßigen Rhythmus seines Atems leicht hoben und senkten. Von hinten sah er aus wie früher, nur dass sein Anzug maßgeschneidert und das wilde braune Haar gebändigt war.

Als könnte Michael sie spüren, drehte er sich um und sah Anna direkt an. Sein Gesicht war schmaler geworden, erwachsener, doch wirkte es noch immer jungenhaft. Fünfundzwanzig Jahre musste er inzwischen alt sein, knapp zwei Jahre älter als sie. Mit Wehmut betrachtete sie die markant geschwungene Form seiner Lippen und die besondere Mischung aus grauen und blauen Farbwirbeln in den Augen, in denen sie sich oft verloren hatte.

Die Leute standen auf, weil der Pfarrer am Altar die Wandlung vollzog, und rasch wandte Anna den Kopf ab. Dabei fing sie Leos Blick auf, der sie beobachtete.

Als der Gottesdienst vorüber war, blieben die Kirchgänger wie üblich noch für ein Schwätzchen auf dem Ägidiplatz stehen, bevor sie heim oder zum Essen in eines der nahe gelegenen Wirtshäuser gingen. Am liebsten wär Anna einfach verschwunden, aber das war unmöglich. Bekannte schüttelten dem Bürgermeister die Hand, wechselten ein paar Worte mit ihm.

»Grüß Gott, Anna.« Beim Klang von Michaels dunkler, ein wenig rauer Stimme zuckte sie zusammen. Sie hoffte, ihn nicht per Handschlag begrüßen zu müssen, sonst würde er merken, dass ihre Finger trotz des Sommerwetters eiskalt waren. Glücklicherweise hielt er seinen Hut fest und begrüßte auch Leo mit einem Nicken und einem »Grüß Gott, Herr Achleitner«. Bei ihrer letzten Begegnung war Leo Michaels Vorgesetzter in der Saline gewesen, der Bürovorsteher, der ihm die Chance auf beruflichen Aufstieg gewährt hatte.

»Grüß Gott, Michael«, sagte Anna. »Geht es dir gut?« Gern hätte sie ihn ganz andere Dinge gefragt, keine Nichtigkeiten.

Als Antwort neigte er lediglich den Kopf ein wenig, während er ihr weiter in die Augen sah, dann beugte er sich unvermittelt nach unten und strich Karl mit der Hand durchs Blondhaar. »Wer bist du denn? Dich kenne ich noch nicht.«

»Ich heiße Karli und du?«

»Michael.«

»Kannst du angeln?«, fragte das Kind unbedarft und setzte gleich hinzu: »Ich geh gern fischen, meistens mit der Mama.«

Michael lächelte. »Das ist ja ein Zufall, ich angle auch sehr gern.«

»Sollen wir dich mal mitnehmen? Mama kennt eine Stelle bei der Hirschenmühle, da beißen die Forellen immer.« Karl strahlte Michael an. Der nickte und murmelte etwas Unverständliches. Als er sich wieder aufrichtete, entdeckte Anna zu ihrer Überraschung so etwas wie Rührung in seinem Blick. Er setzte den Hut auf, tippte mit zwei Fingern an dessen Krempe und verabschiedete sich knapp.

»Ist das ein Freund von dir?«, fragte der Junge seine Mutter im Weitergehen.

»Ich habe ihn vor langer Zeit gekannt, bevor er aus Bad Reichenhall weggezogen ist.«

Leo schnappte sich seinen Sohn und setzte ihn sich auf die Schultern, worauf Karl einen kleinen Jubelschrei ausstieß. »Jetzt ist Schluss mit der Fragerei. Mathilde wartet daheim mit dem Essen.«

»Galopp!«, rief das Kind entzückt.

»Na gut, dann muss das Pferdchen schneller laufen, damit der Braten und die Knödel nicht kalt werden.«

Während die beiden flugs die Ludwigstraße hinaufrannten, ging Anna langsam hinterher. Beklemmung breitete sich in ihrem Inneren aus, die Angst, dass sich alles verändern könnte. Es fühlte sich an, als schwebe sie im Zentrum eines Strudels und würde hinabgesaugt in Tiefen, aus denen sie aus eigener Kraft nicht wieder aufzutauchen vermochte.

Anna hatte eine schlaflose Nacht verbracht. Nachdem Leo zu seinem Büro aufgebrochen war, konnte sie das Bedürfnis nicht mehr niederkämpfen. Sie musste einer freundlichen Seele ihr Herz ausschütten.

So machte sie sich am Montagmorgen blass und mit müden Augen auf den Weg zum Café Flora.

»Die Frau Bürgermeister klopft an der Hintertür, statt den Vordereingang zu benutzen? Ja, wo gibt‘s denn so was?« Therese Bauer, langjährige Küchenchefin des Cafés und Annas mütterliche Freundin, öffnete lachend und machte eine einladende Geste.

»Ach, du weißt doch, dass ich mich immer hinten reinschleiche, wenn ich etwas mit euch zu bereden habe.«

Ein wenig verlegen trat Anna in die geräumige Küche. Seit Jahren fühlte sie sich Bad Reichenhalls beliebtester Konditorin, die ihr einmal durch schwere Zeiten geholfen hatte, eng verbunden. Mittlerweile waren sie per Du. Frau Theres bedeutete ihr fast mehr als ihre Freundin Hertha, vormals Küchenhilfe, kürzlich befördert zur Souschefin. Obwohl die beiden Frauen nicht verwandt und durch gut zwei Jahrzehnte getrennt waren, sahen sie einander ähnlich. Pausbäckig, mit ausladender Oberweite und ebensolchen Hüften, gutmütigen Augen und Stupsnasen, verkörperten sie das Idealbild der wohlgerundeten Zuckerbäckerin.

»Na, dann hole ich uns erst mal eine schöne Tasse Kaffee, und wir setzen uns draußen im Hinterhof auf die Bank. Wir haben noch nicht geöffnet, es sind also keine Gäste da, und ich hab reichlich Zeit.« Frau Theres griff nach einer Kanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee, auf der noch der Porzellanfilter stand. Sie nahm ihn herunter, goss drei Tassen ein und reichte zwei davon den jungen Frauen.

»Ist es wegen Michael?«, fragte Hertha wenig später mit sorgenvoll gerunzelter Stirn. Sie saß zwischen Anna und ihrer Chefin auf der bequemen, sanft geschwungenen Hausbank aus Lärchenholz, auf der die Angestellten bei sonnigem Wetter gern ihre Pausen verbrachten. Ihre schneeweiße, gestärkte Schürze strahlte im Morgenlicht. Es war rührend, wie sehr sie sich um Anna kümmerte. Während Michaels Abwesenheit hatte sie Anna regelmäßig nach Neuigkeiten befragt, doch diese hatte stets abwinken müssen. Hertha war schockiert gewesen, als sie von Michaels plötzlichem Auftauchen erfahren hatte. Die beiden waren einander zwar nur ein paarmal begegnet, aber Anna hatte der Freundin viel von ihrer großen Liebe erzählt, und diese nahm stets Anteil an Annas Leben. »Hast du mit ihm geredet?«

Anna schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Ich verstehe nicht, warum er wieder hier ist. Was will er in Bad Reichenhall? Wenn er nicht mehr in Amerika sein möchte, weshalb geht er nicht zurück nach Südtirol, in seine Heimat? Aus welchem Grund taucht er hier auf, sorgt für einen Riesenwirbel, indem er das beste Hotel am Platz kauft, und quält mich mit seiner Anwesenheit?« Tränen schossen in ihre Augen, und sie blinzelte ungehalten.

»Das hat sicher nichts mit dir zu tun. Er ist halt jetzt ein Geschäftsmann und es braucht nicht viel, um zu erkennen, dass ein Grandhotel in Bad Reichenhall eine Goldgrube ist. Ich hab gehört, das Schwarzenberg ist die gesamte Saison über ausgebucht. Dabei hat es gerade erst seit einer Woche geöff…«

»Hertha«, fiel Frau Theres ihr ins Wort, »ich glaube nicht, dass es Anna darum geht.«

»Er hat mich bei der Eröffnung angesehen, als würde er mich hassen. Und gestern nach der Kirche kam er auf uns zu und hat uns gegrüßt, aber so, als wären wir oberflächliche Bekannte.«

Hertha zuckte die Schultern. »Was erwartest du denn? Dass er dir um den Hals fällt? Du bist verheiratet, was interessiert es dich nach fünf Jahren, was der Michael denkt?«

»Da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung von der Liebe hast, Mädchen.« Energisch stellte Frau Theres ihre leere Tasse auf dem Boden neben die Bank ab. »Wird Zeit, dass du dir mal ein Mannsbild anlachst, dann verstehst du vielleicht, wie eine Begegnung mit einem verlorenen Herzensmenschen schmerzt.«

Hertha gestikulierte aufbrausend. »Frau Theres, das ist aber nicht nett. Ich meine doch nur, dass Anna eine gute Partie gemacht hat und mehr als zufrieden mit ihrem Schicksal sein müsste. Sie sollte sich fernhalten von dem Michael und dankbar für das sein, was sie daheim hat.« Schluchzend sprang sie auf, lief ins Haus und ließ eine erschrockene Anna zurück.

»Warum ist sie denn so empfindlich? Ich bin gekommen, weil ich euren Beistand brauche. Ich kann doch sonst immer offen mit euch über alles reden. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mich bei ihr entschuldigen muss, obwohl eigentlich sie schnippisch zu mir war.«

»Vergiss nicht, dass es Hertha bisher nicht vergönnt war, ihr Glück zu finden. Dabei geht sie stramm auf die fünfundzwanzig zu. Sie ist ein wenig dünnhäutig deswegen. Nimm es ihr nicht übel, wenn sie deine Sorgen gerade nicht versteht.«

Anna stand auf und hielt der mütterlichen Freundin ihre Tasse hin. Sie nickte. »Ich gehe besser nicht hinein. Richte ihr bitte aus, dass ich sie nicht mehr mit meinem Problem belasten werde. Auf bald, Theres.«

Es war dumm, auf Herthas Verständnis zu hoffen, oder gar Mitgefühl, sagte sich Anna. Wann würde sie endlich begreifen, dass sie sich selbst helfen musste und sich nicht auf den Beistand anderer verlassen durfte. Die Enttäuschung über Herthas Reaktion saß tief, aber Anna beschloss, sie zu verdrängen. Ohnehin wusste sie genau, was zu tun war. Sie konnte Michael nicht länger aus dem Weg gehen. Mit ihrem Besuch im Café Flora hatte sie die Sache lediglich ein wenig hinausgeschoben.

Leo würde den ganzen Montag im Rathaus verbringen und erst zum Abendessen nach Hause kommen. Daher bat Anna Mathilde, die langjährige Haushälterin der Achleitners, eine kleine Brotzeit vorzubereiten, die sie mitnehmen konnten, und spazierte mit Karl noch vor dem Mittagsläuten hinaus zu ihrem Angelplatz.

Kurz vor dem Triftrechen zweigte ein Bach von der Saalach ab, dessen Wasser ein paar Mühlen antrieb. Eine davon, die Hirschenmühle, lag besonders idyllisch eingebettet zwischen Wiesen und Auwald mit Blick auf die umliegenden Bergkämme. Unweit des hölzernen Mühlrads, ein Stück weiter den Bachlauf hinunter, ließen sich Anna und Karl neben einem ausladenden Holunderstrauch auf ihrer mitgebrachten Decke nieder. Die dicht belaubten Zweige boten Schutz vor der Sommersonne und neugierigen Blicken der Spaziergänger. Der Junge griff nach der Angel, noch ehe seine Mutter Streuselkuchen und Limonade ausgepackt hatte.

»Darf ich vor ans Ufer gehen?« Er sah flehentlich zu Anna auf.

Sie lächelte. »Magst du die Schuhe ausziehen?« Seine Antwort kannte sie, Karl liebte nichts mehr als Wasser.

»Ja, die Socken auch, dann kann ich reingehen.«

»Aber nur bis zu den Knöcheln.«

»Bis zum Bauch.«

»Nein, Karli, sonst wird die Hose nass, und es ist zu gefährlich. Bis zu den Knien.«

Freudestrahlend rannte das Kind barfuß ins kristallklare Wasser. Es jauchzte vor Freude und vergaß sogar zunächst die Angelrute, weil es schöne Kiesel entdeckte. Anna beobachtete alles von der Decke aus und genoss den friedlichen Augenblick. Später kletterte Karl auf einen am Ufer liegenden Findling und warf die Angel aus. So versunken war Anna in die Betrachtung ihres kleinen Sohnes, dass sie erschrak, als ein Schatten über sie fiel.

Er war gekommen.

»Bringst du deinem Kind das Schwarzfischen bei?«, fragte Michael. Er hatte sich ihnen unbemerkt auf dem schmalen Trampelpfad genähert, der zwischen zwei Wiesen hindurch ans Bachufer führte.

»Ja, genau wie dir früher.«

»Darf ich mich setzen?« Er sah auf sie hinab.

»Bitte.«

Karl entdeckte ihn und winkte erfreut. »Michael! Komm her!«

»Gleich. Ich rede zuerst kurz mit deiner Mama, ja?«

»Du wusstest, dass ich hier sein würde …«, sagte Anna leise.

Er ließ sich neben ihr auf der Decke nieder, winkelte die Beine an und schlang seine Arme darum. »Natürlich. Dachtest du, ich hätte vergessen, wie oft wir gemeinsam hier waren? Hinter dem Hollerbusch an der Hirschenmühle? Außerdem hat mir ja dein Sohn davon erzählt.«

»Ich weiß nicht, woran du dich noch erinnerst. Du warst eine lange Zeit weg.«

Er stieß die Luft aus. »Und du hast dich schnell getröstet, Frau Bürgermeister. Dachtest wohl, es wäre besser, eine gute Partie zu machen, als auf den armen Südtiroler zu warten, der nichts als hochfliegende Träume hatte, aber keinen Knopf Geld.«

Die Bitterkeit in seiner Stimme brannte ein Loch in Annas Herz.

»Du hast keine Ahnung, wie es damals war«, flüsterte sie ihm zu, damit Karl nicht auf sie aufmerksam wurde. »Ein paar Monate, nachdem du weg warst, ist Vater zu den Holzknechten gegangen und bei der Arbeit tödlich verunglückt. Ich war ganz allein …«

»Das tut mir auch aufrichtig leid, Anna, das versichere ich dir. Trotzdem, wir waren verlobt, und du hattest versprochen, auf mich zu warten.«

Sie merkte, wie ihr Atem schneller ging. Am liebsten hätte sie ihn bei den Schultern gepackt und geschüttelt. »Ich habe gewartet! Aber dann …«

Er sprang auf, stemmte die Hände in die Hüften und lief ein paar Schritte hin und her, schließlich blieb er neben ihr stehen. Weil sie nicht zu ihm hinaufschauen wollte, erhob sie sich ebenfalls. Heute war sein Kinn nicht mehr glattrasiert wie am Tag zuvor in der Kirche, sondern hatte einen dunklen Bartschatten wie früher zumeist. Er trug auch keinen Maßanzug, sondern eine einfache helle Hose und ein Hemd. Dadurch sah er viel nahbarer aus. Doch so gab er sich nicht.

»Hast du dir eine schöne Ausrede überlegt?«, stieß er hervor. »Genau das habe ich befürchtet, dass du mir lahme Entschuldigungen auftischen willst. Aber wer weiß, am Ende steckst du sogar mit ihnen unter einer Decke.«

Weil das Kind neugierig herüberblickte, winkte ihm Anna fröhlich zu, nahm Michael am Arm und drehte ihn mit sich weg. »Wovon redest du bitte? Ich verstehe kein Wort.«

Er schnaubte wütend. »Mach mir nichts vor. Das war doch ein abgekartetes Spiel mit dem Talhofer und der Schlägerei und allem. Hast du dich nie gefragt, wer dahinterstecken könnte? Anscheinend nicht, denn dir geht es wunderbar, du bist Frau Bürgermeister und sitzt im gemachten Nest. Aber das eine sage ich dir, ich werde der Sache auf den Grund gehen, und die Verantwortlichen müssen sich warm anziehen. Ich bin nämlich nicht mehr der arme Arbeiter, den sie rumschubsen können.«

Damit marschierte er in Richtung Hirschenmühle davon und ließ Anna in einem Zustand höchster Verwirrung zurück. Karl musste mehrfach an ihrem Rock zupfen, bis sie bemerkte, dass er neben ihr stand.

»Warum ist der Michael weggelaufen? Mag er nicht mit mir angeln?«

Sie atmete tief durch und hob das Kind auf ihren Arm. Zart hauchte sie einen Kuss auf seine Wange. »Doch, mein Schatz. Aber ihm ist eingefallen, dass er dringend wohin muss und zu spät kommt. Deswegen ist er so schnell weg.«

»Ach so.«

Der Kleine schlang seine Ärmchen um ihren Hals und schmiegte sich an sie. Während Anna den Duft seines Haares einatmete, kämpfte sie mit Tränen, die sie nicht weinen durfte.

2

Katharina von Feil saß am Frisiertisch ihres Schlafzimmers auf Burg Schönegg. Gedankenverloren zog sie die Schildpattkämme aus dem Haar und begann ihre kupferroten Locken zu bürsten. In wenigen Monaten würde sie dreißig Jahre alt werden. Sie war eine schöne Frau mit Porzellanteint und feinen Gesichtszügen. Doch in den letzten Jahren hatte das Schicksal Schatten unter ihre Augen gemalt, die nicht mehr verschwanden, und sie war schmal geworden, weil sie an permanenter Appetitlosigkeit litt.

Hedwig von Feil, Katharinas Mutter, deren außergewöhnliche Schönheit die Tochter geerbt hatte, versuchte ständig, sie davon zu überzeugen, mehr zu essen, aber Katharina verspürte keinerlei Lust dazu.

»Warum läutest du nicht nach Adele, damit sie dir bei der Abendtoilette hilft?«, fragte Hedwig. Sie war mit einem Strauß orangefarbener Gerbera hereingekommen und stellte die Vase auf eine Kommode.

»Weil ich allein sein will.«

Im Spiegel sah sie, dass ihre Mutter abwartend hinter ihr stehen blieb und keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen.

Katharina drehte sich um und deutete auf die Blumen. »Ich möchte die nicht hier drin haben, bitte nimm sie wieder fort.«

»Was kann es schaden, ein wenig frisches Grün hereinzubringen?«

Wortlos erhob sich Katharina, nahm die Vase und drückte sie ihrer Mutter in die Hand, dann öffnete sie die Tür und wartete, bis sie gegangen war. Sie sah ihr hinterher, wie sie den Flur entlang Richtung Treppe schritt. Dann schloss sie die Vorhänge und ging zu Bett, wenngleich draußen noch die Sonne schien. Um nicht von Ferdinand zu träumen, nahm sie ein Schlafpulver, doch wie jeden Tag kam er zu ihr, schlich sich in ihren Kopf. Obwohl sie es nicht wollte, stellte sie sich vor, wie er am Schreibtisch gesessen hatte, ganz allein und spät nachts, und eine Pistole an seine Schläfe hielt und abdrückte. Wie er vornüber auf die Tischplatte sank und mit seinem Blut den Abschiedsbrief tränkte. Jenen Brief, in dem er weder sie noch ihren gemeinsamen Sohn erwähnte, sondern nur das Bedauern darüber, dass er sein ganzes Vermögen an der Börse verloren hatte. Nichts hatte er ihnen hinterlassen, nicht einmal eine Nachricht für den kleinen Wolf Ferdinand, wenn er größer war. Und weil Katharina lediglich die heimliche Affäre und nicht die Ehefrau gewesen war, hatte sie ihre Trauer nicht öffentlich zeigen dürfen. All die aufgestauten Gefühle, die Wut auf den Geliebten, der feige aus dem Leben geschieden war, hatten einen Zusammenbruch verursacht, unter dessen Folgen Katharina noch heute litt.

»Wenn du dich standesgemäß benommen und nicht auf diese peinliche Liaison eingelassen hättest, wäre uns eine Menge Kummer erspart geblieben«, wurde ihre Mutter nicht müde zu betonen. Wobei sie nicht spezifizierte, ob sie damit meinte, dass ihre in Trennung lebende Tochter ein Kind von einem anderen bekommen, für Gerede gesorgt oder ihren Eltern aufgrund ihrer nunmehr angeschlagenen Psyche Umstände bereitet hatte. Kummer eben, was Hedwig generell enervierend fand, hielt er sie doch davon ab, sich mit sich selbst zu beschäftigen, weil sie sich um ihre Tochter kümmern musste.

Am nächsten Morgen beschloss Katharina für ihre Familie völlig überraschend, hinunter in die Stadt zu fahren. Gernot, Torwächter, Burggärtner und Mann für alles, der sich beharrlich weigerte, auf ein Automobil umzusteigen, kutschierte sie in einem zierlichen Einspänner zum Grandhotel. À la mode gekleidet in ein enteneiblaues, kurzärmeliges Kleid, das locker fiel und Katharina mehr Rundungen an den Körper zauberte, als dieser derzeit besaß, marschierte sie hocherhobenen Hauptes an der Rezeption vorbei durch die Hotelhalle. Sie trat hinaus auf die weitläufige Terrasse, die einen Blick über die parkähnliche Gartenanlage bot, die eines Schlosses würdig gewesen wäre. Die meisten der Tische waren besetzt, weil der Garten des Grandhotels ein beliebter Treffpunkt für Kurgäste war, aber sie fand einen freien Platz am Rand, der halb im Schatten lag. Sie trug zwar einen farblich zum Kleid passenden ausladenden Hut, doch es war ihr lieber, nicht in der prallen Sonne sitzen zu müssen. Die Leute hatten recht, wenn sie erzählten, dass dieser Garten den Kurpark an Schönheit bei Weitem übertraf. Aufwendig angelegte Blumenbeete wechselten sich mit kunstvoll geschmiedeten Sitzgelegenheiten und berankten Pavillons ab. Wandelwege führten den Gast an den duftenden Pflanzen vorbei, die in einem heißen Sommer wie diesem besonders gehegt und gepflegt werden mussten. Die bunte Landschaft vor ihren Augen erfreute Katharina, seit langer Zeit hatte sie nichts Schönes gesehen oder zumindest nicht bewusst wahrgenommen. Sie atmete tief durch und entspannte sich ein wenig.

Ein junger Kellner fragte sie nach ihren Wünschen, und sie bestellte ein Kännchen Kaffee. Serviert wurde ihr dieses von einem anderen Herrn, älter als der Ober, Anfang vierzig vielleicht, mit gebräuntem, wettergegerbtem Gesicht, aus der hohen Stirn gekämmtem braunem Haar und strahlend blauen Augen. Er trug nicht die Uniform der Hotelangestellten, sondern einen Tagesanzug.

»Ihr Kaffee, Madam. Weilen Sie bei uns im Hotel?« Sein Deutsch war gut, der amerikanische Akzent jedoch unverkennbar, besonders wenn er Madam sagte.

Erstaunt hob sie die Augenbrauen. »Vielen Dank.« Sie sah ihm dabei zu, wie er Tasse und Kännchen auf den Tisch stellte, dazu eine Zuckerdose und ein zierliches Porzellangefäß mit Milch. Am Ringfinger links fehlte die Fingerkuppe, dennoch fand Katharina seine Hände schön. Diese Feststellung verwirrte sie.

»Nein, ich bin kein Hotelgast«, sagte sie. »Ich bin nicht einmal zur Kur in der Stadt, sondern wohne hier. Allerdings war ich lange nicht außer Haus«, schloss sie leise und mehr zu sich selbst, als zu ihm.

»Das freut mich zu hören. Dass Sie hier leben, meine ich.«

Flirtete er mit ihr? Es sah nicht so aus, denn sein Gesicht blieb ernst, während er sprach.

»Sie sind kein Kellner.«

Nun verzog sein breiter Mund sich zu einem jungenhaften Grinsen. »Das merkt man gleich, nicht wahr? Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, mein Name ist Stanley Meyers, ich bin der Geschäftsführer dieses Hotels.«

»Ich dachte, das gehört Herrn Schwarzenberg.«

Weil Stanley Meyers etwas unschlüssig neben dem Tisch stand, machte Katharina eine einladende Handbewegung, und er setzte sich zu ihr.

»Gewiss, er ist der Hoteldirektor. Ich bin sein Stellvertreter.«

»Interessant. Woher stammen Sie?«

»Ursprünglich aus New York, aber ich habe lange Zeit in Kanada gelebt, bevor ich mit Herrn Schwarzenberg in diese schöne Stadt kam.«

»Waren Sie ebenfalls Goldschürfer?«

»Ja, unter anderem. Ich habe viele Dinge getan.« Die Art und Weise, wie er das betonte, machte Katharina neugierig. Am liebsten hätte sie mehr erfahren, besann sich aber dann auf ihre gute Erziehung.

»Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht ausfragen.«

»Ich finde es angenehm, wenn jemand sagt, was er denkt. Und besonders, wenn mein Gegenüber Fragen stellt, weil es etwas wissen möchte, nicht weil es die Konversation erfordert.«

»Mein Name ist Katharina Bahlow.«

Er bedachte sie mit einem weiteren intensiven Blick. Als er sprach, lag Bedauern in seiner Stimme. »Die Tochter von Konrad von Feil.«

Ein Page trat diskret an den Tisch und überreichte dem Geschäftsführer einen Zettel, woraufhin er sich erhob.

»Es tut mir leid, ich muss gehen. Aber es hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Frau Bahlow.«

Sie streckte ihm die Hand hin, und er ergriff sie. Ohne einen Handkuss anzudeuten, hielt er sie einfach einige Sekunden lang fest. »Kommen Sie bitte bald wieder auf einen Kaffee zu uns.«

»Das werde ich bestimmt.«

Als er davonging, bemerkte sie, dass er ganz leicht hinkte. Kurz bevor er durch die weit geöffneten Glastüren ins Innere des Hotels trat, drehte er sich noch einmal um, und ihre Blicke trafen sich.

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit verspürte Katharina Lust, sich zu bewegen. Lag es an der erbaulichen Atmosphäre im Hotelgarten oder an der Begegnung mit Herrn Meyers? Sie hoffte inniglich auf Ersteres, wusste aber, dass sie sich damit etwas vormachte. War es denn verwerflich, die Trauer endlich ablegen zu wollen? Zumal sie ihre Gefühle ohnehin nicht öffentlich ausleben durfte, da ihre Eltern wie immer das Gerede der Leute fürchteten. Sie verließ das Grandhotel und winkte ihren Kutscher zu sich. Vorsichtig zog sie die Nadel aus ihrem Hut und reichte ihn Gernot.

»Ich gehe ein Stück zu Fuß«, teilte sie ihm lächelnd mit, »und werde einsteigen, wenn ich nicht mehr laufen kann.«

Vorbei am Hotel Luisenbad, das sie heute ausnahmsweise nicht an ihren Ehemann erinnerte, spazierte sie die gesamte Länge der Ludwigstraße entlang, bis diese in die Salinenstraße überging. Erst als es bergan den Burgberg hinaufging, winkte sie den brav nebenher kutschierenden Gernot zu sich und setzte sich in den Einspänner.

»Gott im Himmel!«, rief Hedwig von Feil entsetzt aus, als ihre Tochter den Wohnsalon im Erdgeschoss von Schönegg betrat. »Dein Gesicht! Es ist krebsrot. Wenn sich das beruhigt hat, wirst du einen Teint wie ein Landarbeiter haben … und erste Sommersprossen auf der Nase sehe ich auch schon. Was ist geschehen?«

Katharina zuckte gleichgültig die Schultern. »Nichts, ich habe eben ein wenig Sonne abbekommen. Was gibt es heute zu essen?«

Mit dieser Frage brachte sie die Proteste der Mutter abrupt zum Verstummen.

»Kalten Braten mit Salat und Pfannengemüse. Wäre das etwas für dich?« Die Hoffnung in ihren Worten war nicht zu überhören.

»Ich denke schon. Nach meinem Spaziergang habe ich Appetit.«

In dieser Nacht schlief Katharina ohne Veronal und so gut wie seit einer Ewigkeit nicht mehr.

Am folgenden Tag unternahm sie einen weiteren Ausflug. Dem Hausmädchen Adele trug sie auf, ihren kleinen Sohn Wolf Ferdinand entsprechend anzukleiden, denn sie wollte ihn mitnehmen. Der Vierjährige zeigte sich begeistert und hielt die ganze Kutschfahrt lang die Hand seiner Mutter. Katharina hatte ein schlechtes Gewissen. Ihr war bewusst, dass sie in ihrer Trauer das Kind vernachlässigt hatte. Sie musste sich zusammenreißen, mehr für ihn da sein. Zärtlich strich sie über Wolfs dunkles Haar, das dieselbe Farbe wie das seines Vaters hatte.

»Was wollen wir heute machen?«, fragte sie ihn.

»Papa besuchen.«

Katharina schluckte. »In Ordnung. Und danach?«

»Eis essen.«

»Ein Eis essen? Und wo?«

Der Junge nickte eifrig. »Im Park. Ich war mit Großmama da, ich weiß, wo der Eismann steht.«

»Gut, dann machen wir beide uns heute einen schönen Tag.« Sie tippte Gernot auf die Schulter. »Zuerst nach Sankt Zeno, bitte, und danach in den Kurpark.«

Auf dem Friedhof des Münsters standen Mutter und Sohn eine Weile schweigend vor dem Grab von Ferdinand Hofmeister, bis Wolf anfing, Fragen über seinen Vater zu stellen, die Katharina ihm gern auf ihre Weise beantwortete. Hatte sie anfangs befürchtet, dies könne ihr schwerfallen, stellte sie fest, dass es irgendwie befreiend war, vor dem Kind so zu tun, als wären sie tatsächlich eine richtige Familie gewesen. Weshalb ihn mit der hässlichen Wahrheit konfrontieren, die würde er noch früh genug erfahren …

In den Kurpark ging Katharina nicht gern, dort erinnerte sie alles an romantische Stelldicheins mit Ferdinand, an verbotene Treffen und aufregende heimliche Küsse. Ihrem Sohn zuliebe suchte sie dennoch den Eisverkäufer neben dem Brunnen auf, dessen im Stil einer venezianischen Gondel verzierter Eiswagen reichlich Kundschaft anlockte. Der schwarzhaarige junge Mann schien tatsächlich Italiener zu sein, zumindest sprach er nur gebrochen Deutsch. Er zwinkerte zuerst Wolf zu und dann Katharina.

Sie sah hinüber zum Grandhotel, das nur einen Katzensprung entfernt lag. Sie könnte Stanley Meyers wiedersehen. Immerhin hatte er sie gebeten wiederzukommen. Nur mühsam widerstand Anna dem Drang, durch die große Drehtür das Foyer zu betreten. Stattdessen schlenderte sie mit dem Kind an der Hand an der Fassade vorbei und bemühte sich, nicht suchend ins Innere zu starren. Ein paar Meter weiter, an der Ecke zur Kurstraße, hörte sie Laufschritte hinter sich und spürte eine leichte Berührung an der Schulter.

»Frau Bahlow.«

Überrascht blieb sie stehen und drehte sich um. Vor ihr stand Stanley Meyers, der von seinem offensichtlichen Sprint nicht außer Atem zu sein schien.

»Ich habe Sie durchs Fenster vorbeigehen sehen«, erklärte er.

»Und da sind Sie uns nachgelaufen.«

Er lachte. »Ja, wir wollen nicht um die Sache rumreden, ich bin Ihnen in der Tat nachgelaufen.«

»Darf ich vorstellen, das ist mein Sohn Wolf.«

Interessiert blinzelte das Kind gegen die Sonne hinauf zu dem hochgewachsenen Mann und streckte artig die Hand aus. Ohne zu zögern ergriff der die eisverschmierten Finger und schüttelte sie.

»Hallo, ich bin Stanley Meyers. Wolf ist ein guter Name.« Er nickte zur Bestätigung. »Ich kannte einmal einen Mann, der hieß Honiahaka, das bedeutet Kleiner Wolf.«

»Wirklich? Wie sah der aus?«

»Er war eigentlich überhaupt nicht klein, sondern ziemlich groß und trug eine lange Adlerfeder in seinem Haar.«

»Ein Indianer?« Verzückt riss der Junge die Augen auf. »Du kennst einen richtigen Indianer? Hatte er auch ein Pferd und Pfeil und Bogen?«

»Leider nein. Er war sehr arm. Aber sein Name war stark und gehörte nur ihm.«

»Genau wie meiner.«

Über den Kopf des Kindes hinweg lächelte Anna dem Amerikaner zu. »Sie haben wohl viele aufregende Dinge erlebt?«

»Wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen davon.«

Wieder dieser intensive Blick, der sich anfühlte, als würde es für Stanley Meyers in diesem Moment nur Katharina geben, als wäre sie wichtig für ihn. Wolf rannte ein paar Schritte weiter zu einem schmiedeeisernen Gartenzaun und hangelte sich an dessen Sprossen entlang. Sie sah zwischen dem Kind und ihrem Gegenüber hin und her.

Frau Geheimrat Stockenhuber, eine Freundin von Katharinas Mutter aus Wien, die mehr Zeit zur Kur in Bad Reichenhall als zu Hause verbrachte, ging mit aufgespanntem Sonnenschirm an ihnen vorbei. Sie nickte grüßend und drehte sich betont auffällig noch einmal um. Ihre Neugier war geweckt.

»Frau Bahlow«, sagte der Amerikaner leise, »nur damit es kein Missverständnis gibt, ich bin kein … Wie sagt man das auf Deutsch? Ein Lebemann mit zweifelhaften Absichten. Ich bin nicht verheiratet und habe keinen Skandal im Gepäck.«

Katharina lachte auf. »Mein Zögern galt nicht meinem Ruf, sondern dem Ihren«, bekannte sie frei heraus. »Sicherlich haben Sie schon gehört, dass ich nur noch auf dem Papier einen Ehemann habe, wir aber getrennt leben. Alle hier wissen das. Wenn man uns beide zusammen sieht, wird das sich endlos drehende Klatschkarussell an Fahrt aufnehmen.«

»Da habe ich weitaus Schlimmeres erlebt, glauben Sie mir.«

»Also gut«, sagte sie mit einem Blick auf ihren Sohn, der am Ende des Zaunes angekommen war, einen Stock vom Boden aufhob und ratternd an den Streben entlang zu ihnen zurückrannte.

»Morgen Vormittag im Café Flora? Um zehn Uhr? Ich erwarte sensationelle Abenteuergeschichten.«

Endlich lächelte er sein jungenhaftes Lächeln. Katharina kam sich vor, als hätte sie etwas Besonderes erreicht.

»In Sachen Abenteuer werde ich Sie bestimmt nie enttäuschen.«

3

Am Abend brach ein sommerliches Wärmegewitter über Bad Reichenhall herein, und weil sich Karl vor Blitzen und lautem Donnerkrachen fürchtete, legte sich Anna zu ihm ins Bett, bis er eingeschlafen war.

Leo kam erst spät nach Hause, als sie schon ins gemeinsame Schlafzimmer gegangen war und gerade in ihr Nachthemd schlüpfen wollte.

»Nicht«, sagte er leise, »zieh es nicht an, es ist viel zu heiß hier drin für Nachtwäsche.«

Er trat auf sie zu und schloss sie in seine Arme.

»Dein Haar ist nass, bist du in den Regen gekommen?«

»Ja, aber das Gewitter ist schon weitergezogen. Es tröpfelt nur noch«, murmelte er zwischen zwei Küssen.

Sie knöpfte sein Hemd auf und streifte es ab. Das Licht der Kerze auf ihrem Nachttisch schenkte Leos Haut einen warmen Goldton. Sanft streichelte Anna über seine Arme hinauf zu den Schultern und den Rücken hinunter. Sie merkte, wie er eine Gänsehaut bekam, und legte sich mit einem aufreizenden Lächeln aufs Bett. Nach fünf Jahren Ehe sprach Leo noch immer auf jede ihrer Liebkosungen an. Anna genoss es, sein Verlangen mit einer Berührung entfachen zu können. Mochte er oftmals einsilbig sein, mit seinem Körper verriet er ihr mehr als mit Worten.

Sie liebten einander bei Kerzenschein in dem stickigen Schlafzimmer, in dem die Hitze des Sommertages stand. Als sie später nackt nebeneinander im Bett lagen, strich endlich kühle Nachtluft nach dem Gewitter durchs offene Fenster herein und über ihre erhitzte Haut.

»Was habt ihr heute gemacht?«, fragte Leo mit schläfriger Zufriedenheit in der Stimme.

»Ich war mit Karli beim Angeln.«

»Und? Ist er erschienen?« Nun klang Leo nicht mehr entspannt.

Das Kind würde es ihm sowieso erzählen und selbst wenn nicht, wollte Anna keine Geheimnisse vor ihrem Mann haben.

»Ja. Aber wir haben nur aneinander vorbeigeredet. Ich hatte auf eine offene Aussprache gehofft oder wenigstens darauf, dass er mir sagt, wo er all die Jahre war.«

»Darüber tratscht ganz Bad Reichenhall, weißt du es noch nicht? Angeblich hat sich Michael Schwarzenberg in Kanada den Goldsuchern angeschlossen und jahrelang in der Wildnis gelebt, bis er so viel Gold beisammenhatte, dass es für mehrere Leben reicht.«

»Kanada …«, murmelte sie nachdenklich. Was er dort wohl erlebt hatte? Laut sagte sie: »Er scheint irgendwie der Ansicht zu sein, ich hätte mich sofort in deine Arme gestürzt, nachdem er weg war.«

Leo drehte sich zu Anna und sah sie an. »Wir beide wissen, wie es wirklich gewesen ist. Du hast dir nichts vorzuwerfen, und auch mich trifft keine Schuld.«

»Er hat etwas von einem abgekarteten Spiel gesagt.«

»Was meint er damit?« Stirnrunzelnd legte er eine Hand auf ihre Hüfte und zog sie ein wenig näher.

»Ich weiß es nicht. Michael ist davon überzeugt, dass es nicht zufällig zu der Schlägerei, in die Veit Talhofer ihn damals verwickelt hat, gekommen ist. Du weißt schon, deswegen hat er seine Stelle in der Salinenverwaltung verloren.«

Leo zog die Hand zurück und rollte sich wieder auf den Rücken. »Das ist doch Unsinn«, sagte er in Richtung Zimmerdecke. »Jeder kennt den Schweinehändler. Der Talhofer ist ein Stänkerer, und Michael hat sich von ihm provozieren lassen. Es ist seine eigene Schuld, dass er als Wirtshausschläger kein Beamter werden konnte.«

Auf dem Nachttisch fing die Kerze an zu flackern, weil sie bis auf den Halter heruntergebrannt war. Rasch blies Anna sie aus. Dann küsste sie Leo nochmals und wünschte ihm eine gute Nacht. Während er fast sofort einschlief, lag sie noch lange wach. Ihr Vater hatte damals vermutet, dass der Schweinehändler Michael aus Rache provoziert hatte, weil die Gmeiners ihm zu wenige Ferkel abgekauft hatten. Es stimmte, er war ein böswilliger Mensch. Anna erinnerte sich mit Grauen daran, wie sie seinen Zudringlichkeiten nur knapp entkommen war. Aber er war auch recht schlichten Gemüts. Mit Schweinen mochte er sich auskennen, ansonsten schien er ziemlich einfältig zu sein. Warum hatte er ihren Verlobten damals im voll besetzten Bürgerbräu vor allen Leuten derart gereizt? Wenn Michael den Dummschwätzer nicht geschlagen hätte, wäre alles anders gekommen. Er hätte seine Anstellung nicht verloren, im Gegenteil. Stattdessen wäre er befördert worden, wer weiß, möglicherweise hätte er die Karriereleiter der Salinenverwaltung im Sturm erklommen – klug genug war er. Vor allem hätten sie heiraten können. Er hätte nicht nach Übersee gehen müssen. Und Vater nicht ins Holz. Johann Gmeiner wäre nicht von Holzstämmen zerquetscht worden, sondern hätte seine Tochter zum Altar geführt. Und sich vielleicht bald schon an Enkelkindern erfreut. Unzählige Male hatte Anna das fatale »Was wäre gewesen, wenn« im Kopf durchgespielt, auf das sie niemals Einfluss gehabt hatte. Diese Machtlosigkeit hatte sie fast verzweifeln lassen. Und nun goss Michael erneut Öl ins Feuer, indem er etwas von einer Verschwörung erzählte. Wie kam er darauf? Was wusste er?