Inner Circle - Wie Eis und Asche - Sophie Oliver - E-Book

Inner Circle - Wie Eis und Asche E-Book

Sophie Oliver

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Beschreibung

Nach glücklichen Jahren taucht Anne Catherine Marsden wieder ein ins Haifisch-becken der High Society. Ihr Mann hat eine neue Geschäftsidee, die den Inner Circle übertrifft und so gut ist, dass sie gefährliche Leute auf den Plan ruft. Leute, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Und solche, die in Annes Vergangenheit nach den Leichen in ihrem Keller graben. Wird die Liebe Anne retten – oder wird sie ihr zum Verhängnis werden?

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Kurzbeschreibung:

Nach glücklichen Jahren taucht Anne Catherine Marsden wieder ein ins Haifisch-becken der High Society. Ihr Mann hat eine neue Geschäftsidee, die den Inner Circle übertrifft und so gut ist, dass sie gefährliche Leute auf den Plan ruft. Leute, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Und solche, die in Annes Vergangenheit nach den Leichen in ihrem Keller graben. Wird die Liebe Anne retten – oder wird sie ihr zum Verhängnis werden?

Weitere Titel dieser Autorin bei Edel Elements:

Inner Circle  - Wie Feuer im RegenInner Circle  - Wie Wasser in deiner Hand

Sophie Oliver

Inner Circle - Wie Eis und Asche

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Sophie Oliver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur.

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart.

Lektorat: S. Lasthaus

Korrektorat: Susann Harring

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-221-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

1.

»Das wäre unerhört! Sensationell!« In Jamies Stimme lag eine Begeisterung, die Anne verloren geglaubt hatte. »Wenn wir das realisieren könnten …«

Aufgeregt sprang er von seinem Platz auf und lief zum Fenster. Er sah für einen Moment hinaus in den Garten, als ob er sich sammeln müsste, dann drehte er sich ruckartig um und vervollständigte seinen Satz: »Wenn wir das realisieren könnten, würde es sogar den Inner Circle in den Schatten stellen!«

Wie ein leichter Anflug von Übelkeit meldete sich das schlechte Gewissen in Annes Magen. Seit fünf Jahren machte sie sich Vorwürfe, weil sie Jamie geraten hatte, den InnerCircle zu verkaufen. Sie redete sich ein, es wäre ihre Schuld, dass ihr Mann rastlos nach einer neuen Aufgabe suchte, unzufrieden mit sämtlichen Geschäftsideen, die ihm vorgeschlagen wurden, weil er dem Netzwerk seines ehemaligen Online-Clubs nachhing. Fünf Jahre schon gehörte der Inner Circle Juri Ashkani.

Was Anne selbst betraf, bedauerte sie das nicht, hatte sie ihren Ehemann so doch ganz für sich, ohne ständiges Telefonklingeln und Terminstress. Die vergangenen Jahre waren wie ein Traum gewesen. Sie hatten die Welt bereist, gemeinsam und frei. Wäre es nach Anne gegangen, hätte dieses Nomadenleben ewig andauern können. Es tat ihnen gut. Jamie trug sein schwarzes Haar nun länger, und Annes honigfarbene Wellen waren von unzähligen hellen Strähnen durchzogen. Mit gebräunter Haut und diesem Strahlen in seinen wasserblauen Augen sah Jamie jünger aus als vor fünf Jahren, und Anne hoffte, bei ihr verhielt es sich ebenso.

Jedoch lagen Jamies Wurzeln in Großbritannien. Irgendwann hatte er Heimweh bekommen, nach gemäßigtem Klima und den sozialen Strukturen, in denen er groß geworden war. Sie versuchte das zu verstehen. Wahrscheinlich sehnte sich jeder, der ein Zuhause hatte, über kurz oder lang danach.

Zwar wusste Anne nicht, wie sich so etwas anfühlte, aber sie respektierte es.

Wenigstens war Jamie damit einverstanden gewesen, sich London behutsam wieder anzunähern, anstatt direkt zwei Tickets nach Heathrow zu buchen. Nachdem sie beide, oder vielmehr er, in Singapur beschlossen hatte, es wäre genug mit dem Herumreisen, waren sie zuerst nach Irland geflogen. Ein ausgedehnter Aufenthalt bei Jamies Familie hatte sie auf die Rückkehr nach England eingestimmt. Die Wiederanpassung an das starre Klassensystem der Engländer war Anne schwergefallen. Zu süß hatte die Freiheit geschmeckt. Aber sie war nun nicht mehr allein, sondern Teil einer Familie – etwas, wonach sie sich zeitlebens gesehnt hatte. Deshalb nahm sie gern Rücksicht auf die Wünsche ihres Mannes.

Ohne Jamie hätte ihr das Reisen ohnehin keinen Spaß gemacht. Ihre gemeinsamen Erlebnisse waren wunderschöne Erinnerungen geworden, die Anne hütete wie einen Schatz. Wann immer sie die Augen schloss, konnte sie Meereswellen hören und den Duft von Jamies sonnengebräunter Haut riechen. Im Londoner Regenwetter, besonders im herbstlichen, wärmten diese Gedanken wie kleine Sonnenstrahlen.

Bereits kurz nachdem sie ein hübsches Stadthaus bezogen hatten, war Jamie zufällig in einer Bar seinem alten Studienfreund Philip Carr über den Weg gelaufen. Bei zahlreichen Gläsern Draft-Bier war eine Idee entstanden. Und jetzt saßen sie in Philips Wohnzimmer in Norfolk und bauten Luftschlösser. Gemma, Philips Frau kam herein und stellte ein Tablett mit Tee und Schokoplätzchen auf den Wohnzimmertisch. Bevor sie wieder hinausging, zwinkerte sie Anne zu.

»Können wir es denn realisieren?«, fragte Jamie.

Philip goss Tee ein und verteilte die Tassen. »Was den technischen Ablauf betrifft, wäre es möglich. Der finanzielle Aufwand steht auf einem anderen Blatt. Ja, wir könnten es realisieren, es würde allerdings richtig teuer werden.«

»Lass das Finanzielle meine Sorge sein. Wie ist die rechtliche Situation?«

»Freunde machen wir uns damit nicht, das wissen wir beide. Einige Leute werden bestimmt etwas dagegen haben. Aber falls wir es durchziehen wollen, kann uns niemand hindern.«

»Wie lange wird es dauern?«

Anne wollte wirklich aufmerksam bleiben und Jamie bei seinem neuen Vorhaben unterstützen. Sie hätte sich nur gewünscht, er würde ein anderes Projekt verwirklichen, irgendeines, nicht dieses. Trotzdem würde sie sich aktiv daran beteiligen. Dummerweise setzte Philip gerade jetzt zu einem ausführlichen Monolog über Softwarefragen an. Sie konnte es nicht verhindern, ihre Gedanken schweiften ab. Nun blickte sie hinaus in den Garten. Er war weitläufig, ohne Zaun, und ging in flaches Marschland über, welches schließlich ins Meer mündete. Zuerst hatte Anne sich in Norfolk am Ende der Welt gefühlt. Die Fahrt von London hatte eine Ewigkeit gedauert und alles, was sie seit ihrer Ankunft gesehen hatten, waren weite Ebenen, hohes Gras, Wasser und Vögel. Doch je länger sie hier war, desto ansprechender fand sie es. Die herrliche Luft erinnerte sie an Cornwall, die Landschaft hingegen sah anders aus, weniger spektakulär, zahmer, aber dennoch gefällig.

Philips Haus war auf eine gemütliche Art und Weise alt. Der Unterschied zur vornehmen Patina der Harkdale-Immobilien hätte größer nicht sein können. Obwohl sich auch dieses Anwesen seit Jahrhunderten in Familienbesitz befand, war es nicht Respekt einflößend aristokratisch, sondern ein heimeliges Nest, in dem sich sicherlich schon viele Carr-Generationen wohlgefühlt hatten. Neben der Sitzgruppe stand ein altes Klavier. Anne konnte der Versuchung nur schwer widerstehen, den Deckel hochzuklappen. Was würde sie spielen? Debussy vielleicht? Oder Schuberts Forelle, ein fröhliches Lied, das dem kleinen Arthur Carr gefallen könnte? Nach ihrer Reise um den Globus war dieses Haus auf dem Land wie eine mütterliche Umarmung. Noch angenehmer wäre es, wenn ihr Besuch rein privat gewesen wäre. Aber sie musste sich langsam damit abfinden, dass die zweisame Zeit mit Jamie vorüber war und ein neuer Lebensabschnitt begann. Wie bei allen ihren Karriereschritten hatte Anne auch bei diesem vor, ihr Bestes zu geben, deshalb beendete sie ihren sehnsüchtigen Rundumblick in der heilen Welt und konzentrierte sich wieder auf Philips Ausführungen.

»Wir sollten es so lange wie möglich geheim halten«, meinte Jamie gerade. »Was denkst du, Anne?«

»Auf jeden Fall. Es wäre falsch, bereits vorab Ankündigungen zu schalten und die Werbetrommel zu rühren. Ich würde vorschlagen, dass wir mit einem Paukenschlag online gehen.«

2.

Juri saß in seinem Rolls-Royce und schrieb eine E-Mail. Er hielt kurz inne, um über eine Formulierung nachzudenken, und blickte aus dem Fenster. Gerade eben fuhren sie durch Knightsbridge. Vor Harrods hatte sich, wie so oft, eine Gruppe von Pelzgegnern versammelt, die Plakate schwenkte und versuchte, den Passanten Flyer zuzustecken. Die konsumwilligen Kunden ließen sich davon aber, ebenfalls wie so oft, wenig beeindrucken. Jeden Tag prallten vor dem Großkaufhaus Welten aufeinander. Die Aktivisten wurden gern ignoriert. Pelzbehangene Damen strömten an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Da half es auch nichts, wenn sich nackte Tierrechtler komplett in Frischhaltefolie wickelten wie Hähnchenschenkel im Kühlregal, oder sich mit Zuckersirup einschmierten, der Blut darstellen sollte. Es interessierte schlichtweg niemanden, was Juri beunruhigend fand. Wenigstens Touristen hielten das Spektakel auf ihren Handykameras fest, um den Daheimgebliebenen zu zeigen, wie verrückt die Leute in der großen Stadt waren.

Irgendwie würde das Ganze ein interessantes Ölbild ergeben, dachte Juri. Auf einer riesigen Leinwand, wie eines jener alten Schlachtengemälde. Neben ihm kam ein Ferrari zu stehen, nicht ohne den Motor ein letztes Mal aufheulen zu lassen. Am Steuer saß ein junger Mann mit schwarzem Haar und olivfarbenem Teint, sicher noch keine zwanzig Jahre alt. Er telefonierte und ließ dabei den Blick abschätzig über den Royce gleiten. Juri hatte sich den Wagen erst vergangene Woche gegönnt, er war nagelneu. Natürlich wusste er um dessen Wirkung. Damit würde er das Klischee des reichen Russen weiter bedienen, aber das war ihm egal. Er benutzte das Auto als fahrendes Büro, in dem er täglich viele Stunden zubrachte, da legte er Wert auf Komfort. Überhaupt, wer wollte sich schon in einen Ferrari quetschen? Wenn irgendetwas gewöhnlich war, dann doch wohl der!

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der E-Mail zu. Vor dem Mittagessen musste er unbedingt noch einige Punkte auf seiner Agenda abarbeiten. Der Fahrer parkte in einer Seitenstraße, während Juri schrieb. Sobald er fertig war, ließ er sich vor dem zweiten Shoppingtempel in Knightsbridge, Harvey Nichols, absetzen und fuhr mit dem Lift nach oben. Er war mit Eliza im Restaurant verabredet. Nach dem Mittagessen würden sie sich Stockwerk für Stockwerk zurück ins Erdgeschoss arbeiten und Weihnachtseinkäufe erledigen. Schon beim Hineingehen waren ihm die spektakulär dekorierten Schaufenster aufgefallen. Harvey Nichols, Harrods und Selfridges standen alljährlich im Wettkampf um den auffälligsten Weihnachtsschmuck. Während Selfridges in diesem Jahr eine Art Guckkasten-Fenster entworfen hatte und Harrods dem opulenten Weihnachtswahnsinn frönte, hatten die kreativen Köpfe bei Harvey Nichols sich für eine Mischung aus Alice im Wunderland und Die Schneekönigin entschieden. Auf schneebedeckten, knorrigen Bäumen hingen Designerschuhe. In feinstem Porzellangeschirr auf einer eisig gefrosteten Kaffeetafel lagen Ohrringe, Armbänder und Halsketten. Man hätte stundenlang stehen bleiben können, so viel gab es zu bestaunen. Doch Juri hatte keine Zeit. Er wusste, wie sehr Eliza Pünktlichkeit schätzte, deshalb wollte er sie nicht warten lassen.

Nach dem Essen bestellten sie Kaffee. Gerade als Eliza Zucker in den Espresso gab und ihre Einkaufsliste aufzählte, trat eine Frau zu ihnen an den Tisch – eine typische Vertreterin des englischen Adels: die Figur schlank – sei es durch den Personal Trainer geformt oder durch regelmäßiges Reiten –, leicht gebräunter, auf keinen Fall zu dunkler Teint, sündhaft teuer gesträhntes Haar, das beinahe natürlich blond wirkte, und nur wenig Make-up. Überdies ließen ihre klassische Kleidung sowie die elegante Sprechweise keinen Zweifel daran, welcher Gesellschaftsschicht sie angehörte. Ihr Name war Florence Smythecroft. Juri kannte sie von den letzten Inner-Circle-Veranstaltungen. Ihren Titel konnte er sich nicht merken. Später würde Eliza ihm erklären, dass Florence, genannt Flossy, eine Geborene und im Gegensatz zu den Ungeborenen bereits vor ihrer Eheschließung Mitglied der Aristokratie gewesen war. Ein Spitzenmodell aus bestem Stall. Nur Sekunden später würde Juri das alles wieder vergessen haben. Das Einzige, was ihm im Gedächtnis bleiben würde, war die beeindruckende Tatsache, dass die zierliche Flossy acht Kindern das Leben geschenkt hatte. Welche selbstverständlich in Internaten untergebracht waren. Wie sollte man sonst seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen?

»Eliza, Darling, wie schön, dich hier zu treffen.« Nachdem sie sich mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßt hatten, setzte sich Florence zu ihnen. Sie war nett, beherrschte die Kunst des Small Talks perfekt. Als Eliza sich kurz frisch machen ging, kam sie allerdings schnell auf den Punkt.

»Mr Ashkani«, begann sie, »mein Mann und ich sind seit Jahren Mitglieder im Inner Circle. Seitdem Sie ihn sich angeeignet haben, fällt auf, dass plötzlich viele sogenannte Models bei Veranstaltungen auftauchen. Mir persönlich ist es egal, wenn diese Damen Berge von Drogen konsumieren. Es schert mich auch nicht, ob sie sich die durch die Nase oder andere Körperöffnungen einführen – selbst wenn einige seriöse Mitglieder die neuen Sitten auf den Toiletten von Thornhill Hall abstoßend finden. Absolut inakzeptabel sind jedoch die E-Mails, die jene Models an meinen Mann und andere Herren aus unserem Freundeskreis schicken. Man könnte den Eindruck bekommen, der InnerCircle sei eine Kontaktbörse für Huren. Überdies macht es sich auf Galaveranstaltungen schlecht, wenn zugedröhnte Mädchen sich wahllos an sämtliche Männer heranmachen, ungeachtet der anwesenden Ehefrauen.«

Juri wollte protestieren, doch Flossy hob eine Hand.

»Ich unterstelle Ihnen nichts. Aber offenbar wurde der Club seit Ihrer Übernahme von Personen infiltriert, die unter Jamie Harkdale niemals Zutritt hatten. Sehr bedauerlich. Mein Mann und ich haben unsere Mitgliedschaft nach der letzten Veranstaltung bereits gekündigt. Und wenn Sie nicht möchten, dass unser gesamter Freundeskreis es uns gleichtut, dann unternehmen Sie etwas gegen diese Prostituierten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Bitte sagen Sie Eliza, dass ich losmusste. Ich sehe sie ohnehin kommende Woche bei der Geburtstagsfeier von Tante Rose.«

Damit stand sie auf und ließ einen sprachlosen Juri am Tisch zurück. Der anfängliche Schock über das Gehörte wandelte sich rasch in Zorn. Teils darüber, sich derartig abkanzeln lassen zu müssen. Hauptsächlich aber, weil sie auch noch recht hatte. In der Tat waren Juri die vielen wunderschönen jungen Damen ebenfalls aufgefallen, welche die Inner-Circle-Veranstaltungen in letzter Zeit schmückten. Sie waren zu gut gelaunt, um natürlich zu sein, zu protzig gekleidet, um geschmackvoll zu wirken. Selbstredend war ihm sofort klar geworden, dass es sich nicht um Models, sondern um Edelprostituierte handelte. Er hatte nur gehofft, das wäre für die anderen Gäste nicht so offensichtlich gewesen. Die E-Mail, die er heute im Auto verfasst hatte, sollte dieses Problem eigentlich lösen. Aber offenbar war das Ganze bereits eskaliert. Er würde sich persönlich darum kümmern müssen. Da Eliza noch nicht zurück war, zog er sein Telefon aus dem Jackett.

»Ich komme heute noch mal ins Büro«, sagte er zu der Person am anderen Ende der Leitung. »Haben Sie mein Schreiben gelesen? Es ist weitaus schlimmer als dargestellt. Wir müssen etwas unternehmen. Ich lasse mir meinen InnerCircle nicht von ein paar Nutten kaputt machen. Wir sehen uns später.«

Trotz des unerfreulichen Gesprächs mit Flossy gelang es Juri, seine schlechte Laune für sich zu behalten. Eliza schaffte es bis zum Erdgeschoss sogar, ihn aufzuheitern. Sie war wirklich ein Sonnenschein. Er wusste, er konnte sich glücklich schätzen, mit ihr zusammen zu sein. Was begonnen hatte wie eine Affäre, hatte sich zur besten Beziehung seines Lebens entwickelt.

Nach dem Verlassen des Kaufhauses schlenderten sie von Schaufenster zu Schaufenster und bewunderten die Dekoration.

»Das ist am schönsten«, sagte Eliza und erinnerte dabei an ein kleines Kind unter dem Weihnachtsbaum. »Wie ein russisches Wintermärchen. Findest du nicht?«

Ein riesiger Spiegel fungierte als zugefrorener See, auf dem Schaufensterpuppen mit Schlittschuhen ihre Runden drehten. Sie trugen selbstverständlich Designerkleidung, Fellmützchen und teure Handtaschen. Man hatte sogar Sträucher aufgestellt, die wie überzuckert wirkten. In der Spiegelfläche konnte Juri sein eigenes Gesicht erkennen, die markanten Wangenknochen, den entschlossenen Mund. Er dachte an seinen Bruder. Andrej wäre jetzt Anfang fünfzig. Ob sie sich noch immer so ähnlich sehen würden wie damals?

»Ja. Es erinnert mich an meine Heimat. Allerdings waren die Winter bei uns nicht wirklich märchenhaft.« Um die Kälte zu vertreiben, welche die Erinnerung an seinen in Kindertagen ertrunkenen großen Bruder bei ihm auslöste, zog er Eliza an sich und küsste sie zärtlich. Ihre Gegenwart hatte einen wohltuenden Einfluss auf ihn, egal welche Sorge ihn gerade quälte.

Nachdem er Eliza nach Hause gebracht hatte, ließ er sich ins Büro fahren. Nicht ohne vorher versprechen zu müssen, sich zu beeilen und anschließend zu ihr zurückzukommen.

Die Räume der Inner-Circle-Verwaltung befanden sich nicht mehr in den Docklands. So leicht sich Jamie Harkdale von Thornhill Hall getrennt hatte, so vehement hatte er sich geweigert, Juri seine Immobilie am Canary Wharf zu verkaufen. Aber das war kein Problem. Leere Geschäftsräume gab es in London im Überfluss. Juri hatte sich für ein großzügiges Loft entschieden, welches nach dem Umbau seinen Zweck perfekt erfüllte. Es war funktional, dabei repräsentativ und beherbergte alles, was man für den Betrieb des Inner Circle benötigte. Sein eigenes Büro fiel bescheiden aus, da er ohnehin die meiste Zeit von unterwegs arbeitete. Aber Cheryl Carter, die Geschäftsführerin, konnte sich über einen Mangel an Luxus nicht beklagen. Ihre Räumlichkeiten hatte ein namhafter Innenarchitekt mit Werken bekannter Künstler ausgestattet, sodass sie wie eine Galerie wirkten. Zentrales Stück war eine abstrakte Skulptur aus Kupfer, die in der Mitte des Raumes auf einem Sockel stand. Weder Juri noch Cheryl konnten sagen, was sie eigentlich darstellte, aber man hatte ihnen versichert, es gäbe momentan nichts Exklusiveres auf dem Kunstmarkt.

Cheryl wartete bereits auf ihn. »Sie gehören zu einem albanischen Edelprostituierten-Ring«, begann sie ohne Umschweife, sobald Juri die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Ich konnte mich in einige E-Mail-Accounts der Mädchen hacken und ihre digitale Spur verfolgen. Alles deutet auf ein Etablissement in London hin, das von einer gewissen Madame Adea geführt wird. Hinter der selbstverständlich eine Armee gewaltbereiter Schläger steht, sonst hätte sie in diesem Business nicht lange überlebt. Anscheinend hat sie es in ihren Kreisen zu Weltruhm gebracht. Für sie arbeiten nicht nur die im InnerCircle unangenehm aufgefallenen Damen, sondern auch Schauspielerinnen und hochkarätige Topmodels. Man würde sich wundern, wer sich heutzutage alles prostituiert.«

»Geld lässt die Menschen verrückte Sachen machen«, sagte Juri. »Wenn der Preis stimmt, gibt es nichts und niemanden, der nicht käuflich wäre.«

»Das sieht man an Jamie Harkdale.«

»Oder an Ihnen«, erinnerte er sie. »Gehen Sie mit Ihrer spitzen Zunge etwas vorsichtiger um, Cheryl. Jamie Harkdale hat mir den Club nicht überlassen, weil er scharf auf mein Geld war.«

»Ich weiß. Er hat ihn verkauft, weil er nur noch Zeit mit seiner Frau verbringen wollte.«

»Und Sie haben ihn verraten. Die Loyalität gegenüber dem alten Schulfreund löste sich in Wohlgefallen auf, sobald es um Geld ging. Da wechselt man ganz schnell die Fronten.«

»Weil der Inner Circle mein Ein und Alles ist. Ich habe ihn mit aufgebaut. Ich will ihn führen.«

Ashkani stellte sich Harkdales bodenlose Enttäuschung vor, als er erfuhr, dass Cheryl weiterhin Geschäftsführerin bleiben wollte. Sicher hatte er damit gerechnet, dass sie kündigen würde. Wahrscheinlich war die Freundschaft der beiden nun zu Ende und Jamie um eine Illusion ärmer. Menschen waren wankelmütig, man konnte sich auf niemanden verlassen, nur auf sich selbst. Deshalb hatte Juri keine Freunde. Am nächsten stand ihm Eliza, aber sogar mit ihr teilte er nur einen winzigen Bruchteil der Dinge, die ihn beschäftigten. Oberflächlichkeiten, die ihm keine Probleme bereiten würden, sollte die Beziehung scheitern. Auch wenn er sich immer öfter wünschte, sich Eliza ganz öffnen zu können.

»Das weiß ich zu schätzen, Cheryl«, lenkte er ein. »Ich meine nur, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Wir verfolgen alle unsere eigenen Pläne, ob das nun Jamie ist, Sie, ich oder Madame Adea. Aber selbstverständlich dürfen wir es uns nicht erlauben, dass unsere Mitglieder von Prostituierten belästigt werden. Wie haben die eigentlich Zugang zum InnerCircle bekommen? Wer hat sie aufgenommen?«

Cheryls cappuccinofarbener Teint verfärbte sich eine Nuance dunkler. Nervös zupfte sie an ihrer Bluse, bevor sie antwortete: »Das war ich.«

»Haben Sie keinen Hintergrund-Check durchgeführt?«

»Wir hatten in letzter Zeit wahnsinnig viele Anfragen. Ich war der Meinung, es wäre angenehm, die Anzahl der jungen Frauen unter den Mitgliedern zu erhöhen.«

»So wie in einer Diskothek? Sollten sie die Männer zum Konsum animieren? Wir wollen keine Cocktails verkaufen, wir sind der exklusivste Club der Welt! Das haben wir nicht nötig.« Juri bemühte sich darum, nicht laut zu werden. Es gelang ihm nur teilweise.

»Tut mir sehr leid. Ich habe einen Fehler gemacht.«

»Unter Jamie Harkdale wäre das nie passiert. Er legte Wert auf die Klasse seiner Mitglieder, nicht auf die Masse. Sollten Sie nochmals derartigen Mist bauen, ist unsere Zusammenarbeit beendet. Ist das klar?«

»Vollkommen. Ich werde mich bemühen, dieses leidige Problem zu lösen.«

»Das können Sie nicht allein. Wie ich erfahren habe, sind einige Mitglieder deswegen ausgetreten. Unser guter Ruf fängt an zu bröckeln. Damit uns nicht noch mehr verlassen, müssen wir schnell handeln. Jetzt geht es um Schadensbegrenzung. Finden Sie alles über Madame Adea und ihre Hintermänner heraus. Und ich meine wirklich alles! Zapfen Sie auch illegale Kanäle an. Sie haben Zeit bis morgen früh. Wir treffen uns um zehn Uhr wieder hier und besprechen, wie wir vorgehen wollen. Das Ganze muss unter uns bleiben. Achten Sie darauf, dass niemand Ihre Schnüffelei nachverfolgen kann. Mit der Halbwelt ist nicht zu spaßen.«

3.

»Anne!« Cheryl war teils erschrocken, teils erfreut. Nachdem sie das Büro verlassen hatte, wollte sie nur kurz im Supermarkt etwas zu essen besorgen, damit sie sich in ihrer Wohnung voll auf die Computerrecherche konzentrieren konnte. Sie würde Ashkani nicht noch einmal enttäuschen.

Die Feinkostabteilung ihres lokalen Marks & Spencers bot eine Auswahl an Fertiggerichten jenseits von Mikrowellenmakkaroni. Sie hatte sich für eine Trüffelsuppe, einen Brunnenkressesalat und eine Packung frischer Himbeeren entschieden und überlegte nun, ob sie sich ausnahmsweise noch ein Schokoladeneclair gönnen sollte, auch wenn dies ihre heutige Kohlenhydratbilanz sprengen würde. Sie war so sehr in Gedanken, dass sie Anne beinahe mit ihrem Einkaufskorb gerammt hätte.

»Hallo, Cheryl«, sagte Anne mit einem Lächeln. Ob es ehrlich oder nur gespielt war, ließ sich nicht feststellen. »Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wie geht es dir? Du siehst fantastisch aus.«

»Danke. Gut. Und dir?«

»Sehr gut.« Sie deutete auf die Sachen in Cheryls Korb. »Anscheinend gibt es bei dir heute schnelle Küche. Bei uns auch. Aber wie ich dich kenne, wirst du nach dem Essen noch die halbe Nacht am Computer verbringen. Hast du viel zu tun bei Juri Ashkani?«

Es war Cheryl peinlich, direkt darauf angesprochen zu werden. »Hör zu, Anne, du weißt, wie viel mir mein Job bedeutet. Er ist alles, was ich habe. Ich konnte ihn nicht aufgeben, egal, wer mein Boss ist. Ich hoffe, Jamie nimmt mir das nicht übel.«