Grenzunterführung - Alexander Splitter - E-Book

Grenzunterführung E-Book

Alexander Splitter

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Buch beinhaltet eine Sammlung von Erzählungen über Menschen und Ereignisse aus einer dunklen Zeit der Geschichte in der Sowjetunion. Es richtet sich an junge und an ältere Menschen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alexander Splitter

Grenzunterführung

© 2018 Alexander Splitter

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-3390-0

Hardcover:

978-3-7469-3391-7

e-Book:

978-3-7469-3392-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Grenzunterführung

Für das Leiden gab es kein Ende

Die Königin des Todes

Der Durchbruch im Eisernen Vorhang

Lenas Geschichte

Wir kriegen Dich

Grenzunterführung

Heute bin ich zu Fuß unterwegs. Ich besuche meinen Freund Nuri, er hatte es sich gewünscht. Ich vermute, dass er mir Wichtiges zu sagen hat, deswegen machte mich auf zu ihm, ohne zu zögern. Der Weg führt entlang des Flusses. Das Flussbett ist hier tief und breit, doch ein Schiff sieht man selten den Fluss befahren. Nuri sagt, dass der Fluss ständig sein Flussbett ändert, was Probleme für den Schiffsverkehr bedeutet. Der Weg, den ich nehme, ist ein Feldweg, ohne jeglichen Belag, mit reihenweisen Schlaglöchern. Er ist befahrbar nur für Pferdewagen und sonstige von Tieren angetriebene Verkehrsmittel. Ab und zu reitet jemand auf einem Esel vorbei. Mit einer kurzen Begrüßung in turkmenischer Sprache reitet er an mir vorbei. Wir beide kennen uns nicht. Der Esel ist schon eine große Hilfe in dieser schlecht automatisierten Gegend. Die Stadt lässt sich mit einem Esel einfacher erreichen. Das Nachhause bringen von Einkäufen ist damit einfacher. Das Dorf lässt sich auch mit einem Boot erreichen. Da ich weder ein Tier zum Reiten noch ein Boot besitze und auch kein Busverkehr vorhanden ist, habe ich mich entschieden, den Fußweg zu nehmen. Im Haus von Nuri herrscht auf den ersten Blick Armut, kein schönes Mobiliar, kein warmes Wasser, keine Elektrizität noch sonst etwas von den Möglichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer ihn kennt, weiß, dass dies nur auf den ersten Blick so scheint. Das Haus befindet sich in einem Dorf, etwa fünf Kilometer von der Stadt entfernt. Nuri besitzt ein paar Schafe, die auf der Weide grasen, im Gehege gackern die Hühner. Das Allerwichtigste aber ist sein Esel. Mit seiner Hilfe bringt er, so wie seine Dorfleute auch, den Einkauf aus der Stadt nach Hause. „Eigentlich ist es bequem“, sagt Nuri, „wir Asiaten haben uns an den Esel gewöhnt.“ Gestern bekam ich seinen Brief. „Wir sahen dich lange nicht“, schrieb er. „Bibischirin möchte dich auch gerne sehen, sie redet ständig von dir. Uns selbst geht es gut.“ Ihre Sehnsucht nach mir ist groß, und ich teile das Gefühl. Aus dem Grund habe ich mich entschieden, meinen Freund heute zu besuchen. Er steht vor der Tür, hält seine Hand wie eine Schirmmütze über die Augen, damit die Sonne ihn nicht blendet, „Iskander“, er nennt meinen Vornamen auf turkmenische Art, „ich bin glücklich, dich zu sehen“. Wir umarmten uns. Bibischirin stand hinter ihm, sie bezauberte mich mit ihrem sanften Lächeln. Ich verneigte mich tief vor ihr, „sie sind zu mir wie meine Mutter“ sagte ich. Der Grund meiner Zuneigung lag darin, dass ich vor einem Jahr von zu Hause ausgezogen bin. Jetzt lebte ich in dieser Stadt, weit weg von meinen Eltern. Die Muttergefühle brauchte ich, wie jeder Sohn. Nuri nahm mich an der Hand, wie man ein Kind an die Hand nimmt. „Komm, wir setzen uns unter den Apfelbaum.“ Im Schatten des Apfelbaums ist es angenehm kühl. Auf dem Tisch unter dem Apfelbaum steht eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Tee. Auf dem Tisch stehen außer dem Tee eine Schale mit Würfelzucker sowie eine Schale mit aufgeknackten Nüssen und eine Schale mit gebrochenem Fladenbrot. Bibischirin bastelt am Herd, sie kocht für uns das Mittagessen. Ein leckerer Duft von Lammfleisch verbreitet sich überall. Das Gefühl, dass beide von meiner Ankunft wussten, verlässt mich nicht. Woher sie das nur wissen konnten? Ich selbst habe ihnen das vorher nicht gesagt. Es scheint mir, dass Nuri das Lamm für mich geschlachtet hat. Gastfreundschaft ist bei ihm das oberste Gesetz. Ich frage ihn, warum er das macht. Seine Antwort ist, dass weder Bibischirin noch er viele gute Freunde haben. Nachher frage ich ihn auch, woher er wusste, dass ich heute komme. Er legt die Hand auf seine Brust und sagt, dass sein Herz es ihm gesagt hat.“ Die Antwort reicht mir. Wir trinken Tee, wobei er mir eine Geschichte erzählt, die ich niemals vergessen werde.

„An dem Abend“, so fing er an, „hatte ich einen Auftrag zu erledigen. Ich freute mich, denn ich bekam meine Aufträge nicht regelmäßig und auch nicht oft. Manchmal dauert es drei Monate, manchmal noch länger, bis ich den nächsten Auftrag bekomme. Mein Job ist äußerst gefährlich. An dem Abend sollte ich illegal die Grenze überqueren. Ich stand vor dem Fenster. In mich gegangen schaute ich durch das Glas. Ich stellte mir den Weg vor, den ich heute Nacht vor mir hatte. Es ist ein Weg, den ich zig Mal gegangen bin. Er ist mir bekannt, bis ins kleinste Detail. Doch ist dieser Weg jedes einzelne Mal so gefährlich, dass es mir vorkommt, als wäre es immer wieder das erste Mal. Mein Vater hatte mir den Weg gezeigt. Er bekam oft Beinschmerzen und war nicht mehr gut zu Fuß. Mein Vater hat mich auch gewarnt, dass ich niemandem davon erzählen solle. denn der Weg würde mich irgendwann ernähren. Ich gehorchte ihm, sagte niemandem ein Wort, auch nicht meiner Frau. „Ich behielt mein Geheimnis für mich“, sagte Nuri, „bis ich dachte, es ist jetzt Zeit, Bibischirin muss es wissen. „Meine Tochter wurde erwachsen, sie fand ihr Glück mit einem Mann aus dem Nachbardorf. Ich freute mich, dass sie in das Dorf kommt, das ich ab und zu besuchte. An dem Tag hatte ich wieder einen Auftrag. Ich sollte einen Politiker über die Grenze bringen. Den Mann konnte man nicht auf diplomatischem Wege über die Grenze bringen. Die Gründe dafür waren mir nicht bekannt. Für ihn jedoch war es sehr wichtig, nach Afghanistan zu kommen. Meine Frau kam vorbei. „Grüße bitte unsere Gülschan.“ Bibischirin stand dicht neben mir, sie schaute mir in die Augen, „ich habe unsere Tochter schon lange nicht mehr gesehen!“ „Ich grüße unsere Tochter, Liebes, ich möchte sie auch gerne sehen.“ Ich fuhr mit der Hand zärtlich über ihre Wangen, drehte mich weg, schaute noch einmal durch das Fenster. Ich sah niemanden und ging nach draußen. Keine Umarmung, kein Kuss, kein Auf Wiedersehen, bei mir und meiner Frau ist das nicht üblich. Auf meinen verwunderten Blick sagte er, ich liebe meine Bibischirin wie am ersten Tag. Unsere Tochter bekam viel Zuneigung von uns, solange sie klein war. Mir ging durch den Kopf, was meine Frau heute Morgen zu mir sagte. „Amerikaner und Russen streiten um Afghanistan, und mich verlässt das ungute Gefühl nicht, dass am Ende ein Krieg ausbricht.“ sie hatte im Radio gehört, dass die Lage angespannt ist, und ihr Gefühl sagte, dass es für mich gefährlich sein konnte, die Grenze zu überqueren. Trotzdem hielt sie mich nicht auf. Draußen neben der Tür blieb ich eine Weile stehen. Dann nahm ich meinen Sack, schaute auf die Tür, flüsterte auf Wiedersehen, was sie im Haus nicht hören konnte, und verließ den Hof. Meine Aufgabe war schwierig und gefährlich. Ich sollte einen Politiker nicht nur über die Grenze bringen, sondern ihn bis ins Dorf begleiten, welches sich in der Nähe der Grenze befand. In meinem Sack trug ich ein paar Geschenke. Es waren nur Kleinigkeiten. Für meinen Schwager Turlibai hatte ich einen Belbog, ein Tuch, das die Leute in Asien anstelle eines Gürtels benutzen. Draußen herrschte tiefe Dunkelheit. Unbemerkt verließ ich das Dorf. Am Dorfrand wartete auf mich ein Mann. Das Alter konnte ich im Dunkeln nicht abschätzen. Der Stimme nach konnte er aber noch nicht alt sein. Der Silhouette nach war er groß, schlank. Auch war er nicht sehr gesprächig. Der Mann zog aus der Innentasche seines Mantels etwas in ein Tuch Eingewickeltes und reichte es mir, „stimmt so“, sagte er. Ich verlor nur ein Wort, „gut.“ Das Bündel versank in meiner Manteltasche. Das ist meine Belohnung. Ich drehte mich von ihm ab, schaute in Richtung des Flusses. „Dorthin führt unser Pfad“, sagte ich leise. Mir schien die Dunkelheit so schwarz, man hätte sie mit einem Messer schneiden können. Jemand, der mit der Gegend nicht vertraut ist, sieht in solch einer Dunkelheit nichts. Ich aber fühle mich in dieser Gegend zu Hause. Der Fluss an dieser Stelle ist nicht breit, das Ufer ist zugewachsen. Gehen wir, flüsterte ich ihm zu. Ich ging vor ihm her, mein Begleiter folgte mir, ohne ein Wort zu sagen. Wir gingen eine Weile am Ufer entlang, bis wir an eine Art Öffnung im Erdreich kamen. Ich schob das Schilf davor auseinander, holte unbemerkt mein Messer heraus und ließ mich auf die Knie sinken. In dieser Stellung kroch ich in die Öffnung. Komm, flüsterte ich dem Begleiter leise zu. Er hörte meine Stimme und kroch auf den Knien mir nach. Das Messer, das ich bei mir hatte, sah er nicht. Das ist in Ordnung, dachte ich. Der Mann konnte nicht wissen, dass im Tunnel auch sämtliches Wild Aufenthalt sucht. Wenn er das Messer bei mir gesehen hätte, wäre ich ihm eine Erklärung schuldig gewesen. Vor einiger Zeit kroch ich durch den Tunnel und stieß auf einen Biber, er hatte sich im Tunnel breitgemacht. Ich erschrak und suchte das Weite. Er hat uns nur einen Schreck eingejagt. In dieser Nacht gab es keine Hindernisse. Der Tunnel ging zuerst nach unten, dann ging er ein Stück horizontal, dann wieder nach oben. Mein Begleiter begriff, dass es nach draußen geht und dass wir am anderen Ufer des Flusses ankamen. „Die Luft wird reiner“, flüsterte er. Ich bin an diesen Tunnel gewöhnt. Wir brauchten eine Viertelstunde, bis wir ins Freie kamen. Wir krochen heraus. Während wir durch den Tunnel krochen, verloren wir kein Wort. Das gefiel mir. „Der kommt durch“, dachte ich, „der kann schweigen.“ „Wir sind gleich über dem Fluss“, flüsterte ich ihm zu. „Ich schaue mich kurz um und bin gleich zurück.“ „Ich bleibe hier“, gab er zur Antwort. Er setzte sich vor die Öffnung. Wie einfach, dachte er, wenn alles so glattgeht, bin ich bald bei meinen Leuten. Süße Träume überwältigten ihn, „ich sehe meine Gulschechra und meine beiden Kinder“, flüsterte er. Auf demselben Wege schaffe ich es auch, mit ihnen zurückzukommen. Nach zehn Minuten kam ich zurück, ich unterbrach seine Träume. Die Luft ist rein, wir können gehen. Diese Seite der Grenze wird kaum überwacht. Selten schlendert ein Grenzschützer am Ufer entlang und Niemand denkt daran in den Tunnel zu kriechen. Wir gingen eine Stunde quer über Land. Vor uns sahen wir das Dorf.