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Bereits seit Monaten unterrichtet Schramm nicht mehr; etwas soll vorgefallen sein zwischen ihm und einem Schüler. Die Kollegen haben es schon immer gewusst, hinter seinem Rücken zerrissen sie sich über ihn, der immer korrekt war, die Mäuler. Und in der Tat, Schramm war porös geworden über die Zeit mit dem Jungen, der ihm in seiner Radikalität gegen sich selbst so ähnlich schien, und plötzlich hörte Schramm ein »wir« und war wie verzaubert, vollkommen ungeschützt in einem Moment, und dann –. Mit unheimlicher Präzision zieht Nina Bußmann uns hinein in ein Indizienspiel von diabolischem Ausmaß: Während wir noch Opfer von Tätern zu unterscheiden suchen, drängt es uns unaufhaltsam zu jenem Moment, in dem zwei Menschen alles auf eine Karte setzen.
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2012
Bereits seit Monaten unterrichtet Schramm nicht mehr; etwas soll vorgefallen sein zwischen ihm und einem Schüler. Die Kollegen haben es schon immer gewusst, hinter seinem Rücken zerrissen sie sich über ihn, der immer korrekt war, die Mäuler. Und in der Tat, Schramm war porös geworden über die Zeit mit dem Jungen, der ihm in seiner Radikalität gegen sich selbst so ähnlich schien, und plötzlich hörte Schramm ein »wir« und war wie verzaubert, vollkommen ungeschützt in einem Moment, und dann –.
Mit unheimlicher Präzision zieht Nina Bußmann uns hinein in ein Indizienspiel von diabolischem Ausmaß: Während wir noch Opfer von Tätern zu unterscheiden suchen, drängt es uns unaufhaltsam zu jenem Moment, in dem zwei Menschen alles auf eine Karte setzen.
Nina Bußmann, geboren 1980 in Frankfurt am Main, studierte Literaturwissenschaften und Philosophie in Berlin und Warschau. Zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2011 erhielt sie für einen Auszug aus ihrem Debütroman Große Ferien den 3sat-Preis.
Nina Bußmann
Große Ferien
Roman
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4524
© Suhrkamp Verlag Berlin 2012
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Umschlagfoto: Plainpicture / Heidi Friauf
Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
eISBN 978-3-518-76630-9
www.suhrkamp.de
Große Ferien
Steil geneigte Rampen führten in die Garagen der Siedlung am Hang. Zuvor in je einseitig von einer Mauer, gegenüber von steilen Grasböschungen eingefasste Schächte. Dort blieb es auch hochsommers für die meisten Stunden des Tages dunkel und kühl. Die Steine speicherten die Nässe des Taus und der jüngsten Unwetter. Durchscheinendes Gespinst aus Algen überzog die Pflasterung, aus Pilzen und Flechten. Unter dem Ablassgitter stand das Regenwasser bis knapp an den Rost. Aus den Fugen zwischen den Pflasterplatten trieb vergeiltes Grün. Flach an den Boden gedrückte Grasrosetten, bleiche Pfeilkresse und Beifuß, fiederteilig belaubt, an den Stängeln behaart. Am Rand der Rampe, zur Böschung hin, Trupps von Taubnesseln, Schierling und Persischem Ehrenpreis.
Man sieht nicht, wie das Kraut wächst. Über Nacht ist es da. Einige wehren sich mit Gift gegen den unerwünschten Bewuchs, viele greifen zu Gasbrennern, armschlanken Apparaten; sie töten das Grün eilends ab, ohne dass man sich auch nur bücken muss. Das sieht schön aus, schön und vornehm. Auf Dauer wirksam ist es nicht. Schramm scharrte. Er hieb die Spitzhacke tief in die Ritzen, bis er die Stränge der Wurzeln zu fassen bekam, und lockerte sie in kleinen, wiederholten Bewegungen, einem Rucken und Hebeln. Manche Triebe ließen sich dann sogar schon mit den Fingern herauszupfen, andere durch Ziehen mit verkanteter Klinge heranholen; abschließend schabte er die Reste der Wurzelhärchen aus der Fuge. In hartnäckigen Fällen, bei schon verholztem, fest verhaftetem Wurzelstock, benutzte er zum Lösen ein Fahrtenmesser. Für besonders verengte Partien ein von ihm selbst hergestelltes Werkzeug. Einen etwa ellenlangen, am Ende zum spitzen Widerhaken gebogenen Draht.
Mit der Arbeit musste früh begonnen werden, noch im Morgendämmern. Das war die wertvollste Zeit. Solange die Luft in Schwaden über den nassen Gärten stand. Stille herrschte. Das war das Wichtigste. Kein Geräusch bis auf das Kratzen seiner Klinge am Stein. Aus einer Entfernung der Lieferverkehr vom Autobahnzubringer und in halbstündigen Abständen das Surren der Züge von der Bahntrasse im Tal. In der Siedlung schliefen die Hunde, die Rollläden waren herabgelassen. Meist nicht zur Gänze. Es blieb oberhalb der Fensterbrüstung ein Abstand, ein flaches Rechteck. Hinter den Mullvorhängen regte sich nichts, legte Haar sich dünn an faltigem Stoff, und in den Küchen vibrierten die Eisschränke. Und wer schon um diese Zeit keinen Schlaf mehr fand, ging dennoch nicht aus dem Haus. Der lag und horchte und wartete ab, lag und äugte zur Orchideenpflanze auf der Fensterbank, einem unter dem Gewicht der Blütenköpfe gebeugten, von mehreren Haltevorrichtungen gestützten Stamm. Zu oft hatte Schramm so dagelegen, steifkiefrig geharrt, dass der Morgen den Hang hinaufgekrochen käme. Rücklings, die Arme an den Seiten, mit hochgezogenen Schultern hatte er stillgehalten und auf die Laute aus dem Wald gehört. Balgende Katzen und das Schreien des Käuzchens. Neuerdings Schwarzwild. Die Überläufer schlugen sich durch das Gehölz bei den Tennisplätzen und kamen die Schonung hinab. Die Tiere vermehrten sich, da Feinde fehlten, rasch. Er hatte ihr Tappen und Schmatzen gehört, das Knacken junger Äste unter ihren Hufen. Sein Gehör war fein. Allzu fein. Was hatte er davon. Harren und horchen. Als könnte man nicht die wache Zeit nutzen, selbst das Tagwerk zu beginnen: Es fiel jedenfalls hinreichend an.
Viele meinen, das Jäten von Hand sei schädlich für Kreuz und Haltung, doch das trifft nicht zu. Man muss knien, kauern oder hocken, anders geht es nicht. Einseitige Belastung ist zu vermeiden. Schramm achtete auf Pausen, er wusste, er musste vorsichtig sein. Wenn er nur vernünftig blieb und vorsichtig, würde es nicht noch einmal passieren. Wichtig war, nicht in Eile zu geraten. Davon hing fast alles ab. Verblieben in der Tiefe der Fugen Rückstände von Wurzeln, bildeten sich leicht neue Triebe und erneut kam es zu unerwünschtem Bewuchs. Bei manchen Gewächsen war es eine Sache von Tagen. Am Ende der bearbeiteten Fläche angelangt, müsste er in absehbarer Zeit wieder von vorn beginnen, wenn er nicht von Anfang an bei der Sache blieb, wenn er, in der vielleicht kaum bewussten Hoffnung, das Ganze doch etwas abkürzen zu können, hier und da ein Hälmchen oder ganze Pflanzkörper übersah. Hast schadet bloß, aber das sagt sich leicht. Er hatte sich die ganze Auffahrt vorgenommen, spätestens bis zum Wochenende musste er zu einem Abschluss kommen. Die Natur stundet nicht, sie fragt nicht, ob man ihre Forderungen vielleicht lieber morgen erfüllen will! Ein schöner Garten, denken die Vorübergehenden, doch diese Schönheit gibt es nicht ohne Preis, es ist die Schönheit, die beständige Arbeit verlangt, und mit dem täglichen Harken und Scharren, Graben und Jäten ist es nicht getan, die Schönheit des Gartens erfordert beständiges Überlegen und Planen, Rechnen und Ordnen, Entscheidungen, die Wochen im Voraus zu treffen sind. Die Zierpflanze in ihrer Anmut weiß davon nichts und darf es auch nicht, das muss so sein! Die Rosenbeete wollen gekalkt, der Blauregen geschnitten sein, rechtzeitig vor dem Herbst die Dahlienzwiebeln ausgegraben und am trockenen Ort verwahrt. Die Tage flitzen. Je fester man sich dagegen stemmt, desto rascher flitzen sie. Wir ordnens, damits zerfällt, damit wirs wieder ordnen und so fort … Das klingt traurig, doch es ist auch schön, und es darf für niemanden eine Ausrede sein.
Für später war Besuch geplant, für den Nachmittag erwartete er den Bruder. Viktor. Tags zuvor war der Anruf gekommen; beinahe hätte Schramm ihn versäumt. Je nach Windrichtung war das Telefon, selbst wenn er es auf die höchste Lautstärke eingestellt hatte, nicht bis in jeden Winkel des Gartens zu hören. Oft genug war er auf Verdacht ins Wohnzimmer gelaufen, doch wenn er abheben und antworten wollte, rührte sich nichts mehr. Höchstens ein Kind, das sich einen Spaß machte, am Telefon zu schweigen, zu seufzen, zu lachen durch ein um den Hörer gebundenes Tuch. Gelegentlich ein Angestellter einer Firma, der eine Meinung erfragen, ein Kaufangebot unterbreiten wollte. Schramm hatte sich das Antworten längst abgewöhnt. Spätestens seit der Geschichte mit Waidschmidt hatte er damit aufgehört. Drauf und dran war er gewesen, den Anschluss abzumelden, oder besser noch, ohne Abmeldung den Stecker zu ziehen. Den Apparat eng in seine Kabel gewickelt und auf den Speicher damit: das wäre das Beste gewesen. So dass dem Anrufer kein Freizeichen, sondern Pfeifen ins Ohr schallte, wie Schramm es sich gern vorstellte, einen an schmerzhaften Frequenzen entlang vibrierenden, hohen Ton.
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