Große Werke: Farm der Tiere / 1984 / Die großen Essays (3in1-Bundle) - George Orwell - E-Book
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Große Werke: Farm der Tiere / 1984 / Die großen Essays (3in1-Bundle) E-Book

George Orwell

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Beschreibung

Alles, was man von Orwell einfach gelesen haben muss – 3 Bände im E-Book-Bundle

Orwells unvergleichliche Zukunftsvision »1984«: Winston Smith, Geschichtsfälscher im Staatsdienst, verliebt sich in die schöne und geheimnisvolle Julia. Gemeinsam beginnen sie, die totalitäre Welt infrage zu stellen, als Teil derer sie bisher funktioniert haben. Die große Parabel »Farm der Tiere«: Man beraubt sie der Früchte ihrer Arbeit, sperrt sie ein, beutet sie aus. Die Tiere auf dem Gutshof haben genug und proben den Aufstand – für eine bessere Welt, in der alle Tiere gleich und frei sind. Klartext: »Die großen Essays« zeigen den politischen Autor in Reinform, deutlich, gewitzt, klug; einer, der kein Blatt vor den Mund nahm.

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Seitenzahl: 932

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Sammlungen



George Orwell

Die großen Werke

Farm der Tiere.

Ein Märchen

1984.

Roman

Warum ich schreibe.

Die großen Essays

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Copyright © 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen

der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotive: Silhouette Schweinekopf, Shutterstock / Vasya Kobelev; Silhouetten Windmühle, Farmhaus, Häuschen, Zaun, Shutterstock / kamomeen; Hintergrund, Shutterstock / svekloid; außerdem lizenzfreie Motive aus Dingbat*font »Barnyard« und Dingbatsfont »Trees TFB« (Farm der Tiere). – Hintergrund, Shutterstock / svekloid; außerdem lizenzfreie Motive aus Dingbatsfont »Eyez« und Dingbatsfont »Military RPG« (1984). – Silhouette Schreibmaschine, Shutterstock / svekloid, Eroshka (Die großen Essays)

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz: Achim Münster, Overath

ISBN: 978-3-641-30588-8V001

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Farm der Tiere

1984

Warum ich schreibe

Eine Hinrichtung – August 1931

Einen Elefanten erschießen – September 1936

Erinnerungen an einen Buchladen – November 1936

Rezension zu Adolf Hitlers Mein Kampf – März 1940

Mein Land von rechts und links – September 1940

Faschismus und Demokratie – Februar 1941

H. G. Wells, Hitler und der Weltstaat – August 1941

Rückblicke auf den Spanischen Bürgerkrieg – Juni 1943

Antisemitismus in Großbritannien – April 1945

Überlegungen zum Nationalismus – Oktober 1945

Die Verhinderung von Literatur – Januar 1946

Bücher vs. Zigaretten – Februar 1946

Warum ich schreibe – Juni 1946

Wie die Armen sterben – November 1946

Schriftsteller und der Leviathan – Juni 1948

Überlegungen zu Gandhi –Januar 1949

Editorische Notiz

George Orwell

Farm der Tiere

Ein Märchen

Aus dem Englischen von Heike Holtsch

KAPITEL I

Den Hühnerstall seines Gutshofes hatte Mr. Jones am Abend abgeschlossen, aber so betrunken, wie er war, hatte er nicht daran gedacht, auch die Ausschlupfklappen zu schließen. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe schwankte hin und her, als er über den Hof torkelte, an der Hintertür des Herrenhauses die Schuhe abstreifte und sich aus dem Fass in der Vorratskammer noch ein Glas Bier einschenkte, bevor er hinaufging ins Schlafzimmer, wo Mrs. Jones schon schnarchend im Bett lag.

Sobald aus dem Zimmer kein Licht mehr zu sehen war, begann in den Ställen geschäftiges Treiben. Am Tag hatte nämlich die Nachricht die Runde gemacht, dass Major, der altehrwürdige, preisgekrönte Eber, in der Nacht zuvor etwas Sonderbares geträumt hatte, wovon er den anderen Tieren berichten wollte. So war man übereingekommen, sich am späteren Abend, wenn man vor Mr. Jones sicher war, in der großen Scheune zu versammeln. Der alte Major (so wurde er von allen genannt, obwohl der Name, unter dem er viele Preise gewonnen hatte, eigentlich Willingdon Beauty lautete), genoss auf dem Hof ein so hohes Ansehen, dass alle bereit waren, auf die eine oder andere Stunde Schlaf zu verzichten, um sich anzuhören, was er ihnen mitzuteilen hatte.

Im hinteren Teil der Scheune hatte sich Major bereits unter einer Laterne, die von einem der Balken herunterhing, auf einer mit Stroh gepolsterten Rampe niedergelassen. Im stolzen Alter von zwölf Jahren war er mittlerweile recht korpulent, aber durchaus noch eine ehrfurchtgebietende Erscheinung, mit einem klugen, gutmütigen Gesicht, obwohl man ihm nie die Hauer abgeschliffen hatte. Nach und nach trudelten die anderen Tiere ein und machten es sich jedes nach seiner Fasson bequem. Als erste erschienen die drei Hunde Bluebell, Jessie und Pincher, gefolgt von den Schweinen, die sogleich im Stroh vor der Rampe Platz nahmen. Die Hennen hockten sich auf die Fensterbretter, die Tauben flatterten auf die Dachbalken, die Schafe und Kühe legten sich wiederkäuend hinter die Schweine. Die beiden Kaltblüter Boxer und Clover betraten die Scheune gemeinsam. Für den Fall, dass eines der kleinen Tiere sich unter dem Stroh gemütlich eingerichtet hatte, setzten sie mit äußerster Vorsicht einen ihrer fellbedeckten Hufe vor den anderen. Clover war eine etwas untersetzte Stute in den besten Jahren, die nach der Geburt ihres vierten Fohlens nie wieder ihre ursprüngliche Figur zurückerlangt hatte. ­Boxer war ein riesiger Ackergaul mit einem Stockmaß von über einem Meter achtzig und so stark wie sonst nur zwei Pferde zusammen. Eine Blesse ließ ihn ein wenig dümmlich erscheinen, und er war tatsächlich nicht unbedingt der Hellste, doch aufgrund seiner Charakterstärke und seiner Arbeitskraft wurde er allseits respektiert. Nach den Pferden kamen Muriel, die weiße Ziege, und Benjamin, der Esel. Benjamin war das älteste Tier auf dem Hof, und das schlecht gelaunteste. Er machte nur selten das Maul auf, und wenn er es denn tat, kam meistens eine ironische Bemerkung heraus – er sagte zum Beispiel immer, Gott habe ihm nur deshalb einen Schwanz gegeben, damit er die Fliegen vertreiben könne, er aber hätte gut und gerne auf beides verzichten können. Er war das einzige Tier auf dem ganzen Gutshof, das niemals lachte. Und wenn man ihn fragte, warum nicht, antwortete er, dass es seiner Ansicht nach ja wohl nichts zu lachen gebe. Nichtsdestoweniger und auch wenn er es niemals zugegeben hätte, war er ­Boxer sehr ergeben, und sonntags grasten die beiden immer nebeneinander auf der Koppel hinter der Obstwiese – natürlich ohne ein Wort miteinander zu sprechen.

Nachdem die beiden Pferde sich niedergelassen hatten, kam eine Schar von Entenküken, die ihrer Mutter ausgebüxt waren und einen Platz suchten, wo niemand auf sie treten würde. Schüchtern piepend watschelten sie hin und her, bis Clover schützend eins ihrer langen Vorderbeine ausstreckte und um sie legte, wo sie es sich gemütlich machten und sogleich einschliefen. Kurz vor Toresschluss kam auf einem Stück Zucker kauend die anmutige, aber etwas überkandidelte weiße Stute Mollie hereinstolziert, die Mr. Jones für gewöhnlich vor seinen Pferdewagen spannte. Sie nahm in einer der vorderen Reihen Platz und schüttelte ihre weiße Mähne, wohl in der Hoffnung, dass alle die eingeflochtenen roten Bänder bemerkten. Zu guter Letzt kam die Katze, die sich wie immer nach dem wärmsten Platz umsah und sich schließlich zwischen Boxer und Clover drängte, wo sie während Majors gesamter Rede zufrieden vor sich hin schnurrte, ohne auch nur ein einziges Mal wirklich hinzuhören.

Bis auf Moses, den zahmen Raben, der schlafend auf seiner Stange draußen vor der Hintertür hockte, waren nun alle Tiere versammelt. Als Major sah, dass alle es sich in gespannter Erwartung bequem gemacht hatten, räusperte er sich und ergriff das Wort:

»Liebe Freunde, wie ihr schon gehört habt, hatte ich letzte Nacht einen merkwürdigen Traum. Doch mehr dazu später. Denn zunächst habe ich euch noch etwas anderes mitzuteilen. Ich glaube nicht, dass ich noch lange unter euch weilen werde, liebe Weggefährten, und bevor ich aus dem Leben scheide, betrachte ich es als meine Pflicht, all das Wissen, das ich erworben habe, an euch weiterzugeben. In meinem langen Leben hatte ich viel Zeit, mir Gedanken zu machen, während ich allein in meinem Stall lag. Und ich darf wohl behaupten, dass ich verstanden habe, worum es in diesem Leben geht, ebenso wie im Leben aller anderen Tiere auf dieser Erde. Genau darüber möchte ich heute zu euch sprechen.

Was, liebe Gefährten, ist denn das Wesentliche in unser aller Leben? Machen wir uns doch nichts vor: Unser Leben ist armselig, arbeitsreich und kurz. Wir werden geboren, wir bekommen gerade genug zu essen, damit wir nicht vorzeitig unseren Atem aushauchen, und diejenigen von uns, die über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, sind gezwungen, bis zur Erschöpfung zu arbeiten – bloß um mit erschreckender Grausamkeit geschlachtet zu werden, sobald der jeweilige Nutzen nicht mehr vollständig gegeben ist. Kein Tier im Alter von über einem Jahr weiß noch, was Glück oder Freizeit überhaupt bedeuten, weder hier noch sonst irgendwo in Europa oder in einem anderen Teil der Welt. Das Leben eines Tieres bedeutet Elend und Versklavung. So und nicht anders lautet die Wahrheit.

Aber liegt das in der Natur der Sache? Ist das Land, in dem wir leben, etwa so arm, dass es uns kein anständiges Leben ermöglichen kann? Nein, liebe Gefährten, und noch mal nein! Der Boden ist fruchtbar, die klimatischen Bedingungen sind vorteilhaft, und dieses Land wäre sogar in der Lage, eine weitaus größere Anzahl von Tieren zu versorgen, als es gegenwärtig der Fall ist. Allein dieser Hof könnte ein ganzes Dutzend an Pferden ernähren, noch dazu zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen – und sie alle könnten ein angenehmes und würdevolles Leben führen, ein Leben, das jenseits dessen liegt, was wir uns derzeit überhaupt vorstellen können. Warum also fristen wir ein so unwürdiges Dasein? Weil fast die Hälfte dessen, was wir produzieren, von den Menschen beansprucht wird. Darin, liebe Weggefährten, liegt die Ursache all unserer Probleme. Und diese Probleme lassen sich mit einem Begriff zusammenfassen: Mensch. Der Mensch ist unser einziges wirkliches Problem. Würde der Mensch von der Bildfläche verschwinden, hätte sich damit auch die Hauptursache für den Hunger und all das, was wir sonst noch erdulden müssen, dauerhaft erledigt.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das konsumiert, ohne etwas zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er besitzt nicht die Stärke, um den Boden zu beackern, er verfügt nicht über die Schnelligkeit, ein Kaninchen zu fangen. Und dennoch spielt er sich zum Herrscher über alle Tiere auf. Er lässt sie für sich arbeiten, gewährt ihnen nur das absolute Minimum, damit sie gerade noch existieren können, und behält den größten Teil für sich. Wir sind diejenigen, die schuften und den Boden düngen, aber keiner von uns besitzt mehr als die eigene Haut. Ihr Kühe, die ihr hier vor mir sitzt, wie viele Hektoliter Milch habt ihr im letzten Jahr produziert? Und was wurde aus all der Milch, die euch zur Verfügung hätte stehen sollen, um kräftige Kälber großzuziehen? Unsere Ausbeuter haben sie sich einverleibt, ohne euch auch nur einen Tropfen davon zu lassen. Oder ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr im letzten Jahr gelegt, und aus wie vielen dieser Eier sind Küken geschlüpft? Der Großteil kam auf den Markt und brachte Jones und seinesgleichen eine Menge Profit. Und du, Clover, wo sind denn die vier Fohlen, die du zur Welt gebracht hast und die dir in deinen besten Jahren eigentlich Freude machen und Gesellschaft leisten sollten? Sie alle wurden im Alter von nur einem Jahr verkauft, und du wirst kein einziges mehr wiedersehen. Und als Gegenleistung für all den Aufwand und deine Mühe, was hast du jemals bekommen, außer einem Stall und einem mäßig gefüllten Futtertrog?

Unter diesen unwürdigen Bedingungen erreichen wir nicht einmal unsere natürliche Lebenserwartung. Ich selbst kann nicht klagen, denn ich bin einer derer, die noch vergleichsweise glücklich dran sind. Ich habe ein Alter von zwölf Jahren erreicht und über vierhundert Kinder. So sollte es im Leben eines Schweins auch sein. Doch letzten Endes entkommt kein Tier dem grausamen Schlachtermesser. Für euch Mastschweine, die ihr hier vor mir sitzt, hat es sich binnen einem Jahr ausgequiekt, und zwar auf dem Schlachtblock. Dieser Horror steht uns allen bevor – Kühen, Hühnern, Schweinen, Schafen, ausnahmslos allen. Selbst Pferden und Hunden blüht kein besseres Schicksal. Noch am selben Tag, an dem du, Boxer, nicht mehr über deine gewohnte Muskelkraft verfügst, wird Jones dich an den Abdecker verschachern, und der wird dir die Kehle durchschneiden, deine Knochen abkochen und das Fleisch an die Jagdhunde verfüttern. Und was die Hunde hier in unseren eigenen Reihen betrifft: Sobald sie alt sind und kaum noch Zähne im Maul haben, wird Jones ihnen einen Ziegelstein um den Hals binden und sie im nächsten Teich ersäufen.

Ist es da nicht sonnenklar, liebe Gefährten, dass alles Übel unseres jämmerlichen Daseins der Tyrannei des Menschen entspringt? Wenn wir den Menschen los wären, würden wir von den Früchten unserer Arbeit selbst profitieren. Nahezu von einem Tag auf den anderen würden wir in Wohlstand und Freiheit leben. Was also müssen wir dafür tun? Uns Tag und Nacht mit Leib und Seele dem Umsturz verschreiben. Das ist meine Botschaft an euch, liebe Weggefährten. Der Umsturz! Ich weiß nicht, wann dieser Umsturz kommen wird, ob in einer Woche oder in hundert Jahren. Aber eines weiß ich so genau, wie ich dieses Stroh hier unter meinen Füßen sehe: Früher oder später wird uns Gerechtigkeit widerfahren. Darauf müsst ihr den Blick richten, liebe Gefährten, für den kurzen Rest des Lebens, der euch noch bleibt. Und vor allem: Tragt diese meine Botschaft weiter an diejenigen, die nach euch kommen, damit künftige Generationen weiter dafür kämpfen, bis der Sieg errungen ist.

Und denkt immer daran, liebe Freunde, ihr dürft nicht nachlassen. Ihr dürft euch nicht von irgendwelchen Gegenargumenten beirren lassen. Hört nicht darauf, wenn man euch einreden will, der Mensch und die Tiere hätten ein gemeinsames Interesse, der Wohlstand des einen wäre auch der Wohlstand der anderen. Das ist nichts als Lüge. Der Mensch dient keinem anderen Interesse als dem eigenen. Deshalb muss unter uns Tieren Einigkeit herrschen. Wir müssen für einander einstehen. Denn alle Menschen sind Ausbeuter. Und wir als Tiere müssen zusammenhalten.«

Genau in dem Moment brach ein ungeheurer Tumult aus. Denn noch ehe Major seine Rede beendet hatte, waren vier große Ratten aus ihren Löchern gekrochen und hatten sich auf die Hinterbeine gesetzt, um ihm ebenfalls zu lauschen. Die Hunde hatten sie plötzlich entdeckt, und nur indem sie blitzschnell wieder in ihre Löcher zurückschossen, kamen die Ratten mit dem Leben davon. Mit erhobenen Schweinevorderfüßen bat Major sein Publikum um Ruhe.

»Ja, liebe Gefährten«, begann er, »das ist auch so ein Punkt, über den wir uns einig werden müssen. Wild lebende Tiere, wie beispielsweise Ratten oder Kaninchen –, betrachten wir sie als unsere Freunde oder als Feinde? Am besten stimmen wir darüber ab. Hiermit setze ich also folgende Frage auf die Tagesordnung: Gehören Ratten zu uns?«

Sogleich erfolgte die Abstimmung, und die überwältigende Mehrheit war sich darin einig, dass Ratten als Freunde betrachtet werden sollten. Es gab nur vier Abweichler: die drei Hunde und die Katze – wobei sich herausstellte, dass Letztere sowohl dafür als auch dagegen gestimmt hatte. Major ergriff abermals das Wort:

»Viel mehr habe ich auch gar nicht zu sagen. Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Denkt immer daran, dass ihr fortan die Pflicht habt, den Menschen und all sein Tun und Handeln als feindlich zu betrachten. Alles, was auf zwei Beinen geht, gehört zu den Bösen. Alles, was auf vier Beinen geht oder fliegen kann, gehört zu den Guten. Und noch etwas solltet ihr nicht vergessen: Bei der Bekämpfung des Menschen solltet ihr euch auf keinen Fall seine Verhaltensweisen aneignen. Auch wenn ihr ihn verdrängt habt, solltet ihr euch nicht zu den gleichen Lastern hinreißen lassen. Kein Tier soll jemals in einem Bett schlafen, Kleidung tragen, Alkohol trinken, Tabak rauchen, sich Geld aneignen oder ein Gewerbe betreiben. All das, was sich der Mensch zur Gewohnheit gemacht hat, ist schlecht. Und vor allem: Kein Tier soll jemals über die anderen Tiere herrschen. Ganz gleich, ob stark oder schwach, gescheit oder einfältig, wir gehören alle zusammen. Kein Tier darf jemals ein anderes töten. Denn alle Tiere sind gleich.

Und nun, liebe Weggefährten, werde ich euch erzählen, was ich letzte Nacht geträumt habe. Den Traum selbst kann ich eigentlich gar nicht so recht beschreiben, denn er handelte davon, wie es ist, wenn die Menschen verschwunden sind. Aber dieser Traum erinnerte mich an etwas, das ich schon längst vergessen hatte. Vor vielen Jahren, als ich noch ein Ferkel war, sangen meine Mutter und die anderen Säue immer ein altes Lied. Sie kannten nur die Melodie und die ersten drei Worte, und die habe ich in meiner Kindheit oft gehört. Aber das ist so lange her, dass ich sie vergessen hatte. Letzte Nacht jedoch ist mir in meinem Traum dieses Lied wieder eingefallen. Mehr noch: Plötzlich wusste ich auch den Text, denn ich bin mir sicher, dass es genau der Text ist, den die Tiere vor langer Zeit gesungen haben und der über Generationen in Vergessenheit geriet. Dieses Lied werde ich euch jetzt vorsingen, liebe Gefährten. Ich bin zwar alt und meine Stimme ist schon ein wenig brüchig, aber wenn ich euch das Lied beigebracht habe, könnt ihr es auch selbst singen. Es heißt ›Ihr Tiere hier und überall‹.«

Der alte Major räusperte sich noch einmal und begann zu singen. Wie er selbst gesagt hatte, war seine Stimme ein wenig brüchig, aber ungeachtet dessen konnte er gut singen und das Lied war mitreißend – mit einer Melodie irgendwo zwischen »Clementine« und »La Cucaracha«. Der Text ging folgendermaßen:

Ihr Tiere hier und überall,Aller Länder, aller Breiten,Hört meiner Botschaft frohen SchallVon kommend goldnen Zeiten.

Denn kommen wird er einst, der TagDa der Arbeit Frucht und Lohn,Die der Mensch uns hat lang versagt,Werden unser sein, bald schon.

Fort mit all den Nasenringen,All der Geschirre Schnallen,Trensen, Sporen, solchen Dingen,Und lautem Peitschenknallen.

Mehr als man sich kann erhoffen,Hafer, Gerste, Weizen, Heu,Klee und Rüben und Kartoffeln,Alles unser dann aufs Neu.

Sonne scheint auf alle Felder,Klarer alles Wasser sei,Sanft der Wind weht über Wälder,An dem Tag, wenn wir sind frei.

Für den Tag, da lasst uns streiten,Auch wenn wir dann nicht mehr sind,Freiheit lasset uns bereiten,Für Huhn und Gans, für Pferd und Rind.

Ihr Tiere hier und überall,Aller Länder, aller Breiten,Tragt weiter meiner Botschaft SchallVon kommend goldnen Zeiten.

Majors Gesang versetzte die Tiere in wahre Begeisterungsstürme, und kaum hatte er die letzte Strophe beendet, stimmten sie das Lied von vorn an. Selbst die einfältigeren unter ihnen hatten sich die Melodie und einige Worte des Textes gemerkt, und die gescheiteren, wie beispielsweise die Schweine und Hunde, konnten nach wenigen Minuten schon alle Strophen auswendig. Nachdem sie das Lied einige weitere Male angestimmt hatten, schallte »Ihr Tiere hier und überall« schließlich mit vereinten Stimmen über den ganzen Gutshof. Die Kühe muhten es, die Hunde jaulten es, die Schafe blökten es, die Pferde wieherten es, die Enten quakten es. Voller Freude sangen sie es gleich fünf Mal hintereinander und hätten es vermutlich die ganze Nacht lang gesungen, wären sie nicht jäh unterbrochen worden.

Unglücklicherweise war Mr. Jones von dem Aufruhr nämlich wach geworden und aus dem Bett gesprungen, um sich zu vergewissern, dass nicht etwa ein Fuchs auf dem Hof sein Unwesen trieb. Er hatte sich seine Flinte geschnappt, die stets griffbereit in einer Ecke des Schlafzimmers stand, und eine Ladung Sechser-Schrot in die Dunkelheit gefeuert. Als die Schrotkugeln auf die Scheunenwand einprasselten, löste sich die Versammlung hastig auf und alle eilten zu ihren Schlafplätzen. Die Vögel hüpften auf ihre Stangen, die anderen Tiere ließen sich im Stroh nieder, und im Nu kehrte auf dem Gutshof nächtliche Ruhe ein.

KAPITEL II

Drei Nächte später starb Major friedlich im Schlaf. Er wurde am Rand der Obstwiese begraben.

Das war Anfang März. In den drei Monaten darauf wurde im Verborgenen einiges angestoßen. Den gescheiteren Tieren auf dem Gutshof hatte Major mit seiner Rede eine vollkommen neue Perspektive eröffnet. Sie wussten nicht, wann genau der von Major prophezeite Umsturz stattfinden würde, sie konnten nicht einmal von der Annahme ausgehen, dass es noch zu ihren eigenen Lebzeiten dazu kommen würde, aber sie hatten klar vor Augen, dass es ihnen oblag, diesbezüglich Vorkehrungen zu treffen. Die nötige Unterweisung und Organisation fiel natürlich den Schweinen zu, die grundsätzlich als die klügsten der Tiere galten. Dabei taten sich besonders zwei junge Eber namens Snowball und Napoleon hervor, die Mr. ­Jones für den Verkauf herangezüchtet hatte. Napoleon war ein großer, ziemlich biestig wirkender Berkshire-Eber. Mit seinen schwarzen Borsten und weißen Flecken an den Beinen war er auf dem Hof der einzige seiner Art. Er redete nicht viel und stand in dem Ruf, über ein gehöriges Maß an Durchsetzungsvermögen zu verfügen. Snowball war lebhafter als Napoleon, darüber hinaus redseliger und einfallsreicher, galt aber als weniger charakterfest. Die anderen Eber waren allesamt Mastschweine. Das bekannteste von ihnen war ein kleines, fettes, aber flinkes Schweinchen namens Squealer, mit runden Backen, funkelnden Augen und schriller Stimme. Squealer war ein brillanter Redner und in der Lage, die kompliziertesten Sachverhalte einleuchtend darzulegen, wobei er mit wackelndem Ringelschwänzchen hin und her hüpfte, was ihn umso überzeugender wirken ließ. Squealer konnte Schwarz in Weiß verwandeln, sagten die anderen immer.

Die drei Schweine hatten Majors Ausführungen zu einem Gedankenkonstrukt ausgefeilt, das sie als Animalismus bezeichneten. Über Wochen hinweg hielten sie, sobald Mr. Jones zu Bett gegangen war, geheime Treffen in der Scheune ab, um den anderen Tieren die Grundprinzipien des Animalismus zu erläutern. Anfangs stießen sie auf ein gehöriges Maß an Begriffsstutzigkeit und Gleichgültigkeit. Manche der anderen Tiere hatten sogar die Auffassung vertreten, man sei Mr. Jones gegenüber zu Loyalität verpflichtet. Einige nannten ihn ihren »Herrn« und merkten so etwas an wie: »Aber er ernährt uns doch alle und ohne ihn werden wir bestimmt verhungern.« Andere wiederum stellten Fragen wie: »Warum sollen wir uns denn darüber Gedanken machen, was ist, wenn wir tot sind?« Oder: »Wenn dieser Umsturz sowieso kommt, ist es dann nicht egal, ob wir darauf hinarbeiten oder nicht?« Die drei Schweine hatten jedenfalls große Mühe, Tieren mit einer derartigen Auffassung klarzumachen, dass eben diese Ansichten im Sinne des Animalismus kontraproduktiv waren. Die dümmste aller Fragen kam natürlich von Mollie, der weißen, affektierten Stute, die von Snowball tatsächlich als Allererstes wissen wollte: »Wird es nach diesem Umsturz denn auch noch Zucker geben?«

»Nein«, antwortete Snowball nachdrücklich. »Wir verfügen auf diesem Hof gar nicht über die entsprechenden Anlagen, um Zucker herzustellen. Aber abgesehen davon wirst du gar keinen Zucker brauchen. Dir steht ja dann genug Hafer und Heu zur Verfügung.«

»Darf ich denn weiter eingeflochtene Bänder in meiner Mähne tragen?«

»Also, liebe Kollegin«, gab Snowball zurück, »diese Bänder, auf die du immer so viel Wert legst, sind doch gerade ein Zeichen für deine Versklavung. Siehst du denn nicht ein, dass Freiheit mehr wert ist als irgendwelcher Kopfschmuck?«

Dem konnte Mollie nichts entgegensetzen, aber sonderlich überzeugt wirkte sie nicht.

Noch weitaus mehr Schwierigkeiten bereitete es den Schweinen, die Gerüchte zu entkräften, die der zahme Rabe Moses in die Welt gesetzt hatte. Moses war für Mr. Jones eine Art Haustier, ein Spion und Schwätzer, und ein gewandter Redner noch dazu. Er gab vor, von einem sagenumwobenen Land gehört zu haben, das Zuckerbergen hieß und wohin alle Tiere kamen, wenn sie gestorben waren. Laut Moses sollte es sich irgendwo im Himmel befinden, ein Stück oberhalb der Wolken. In Zuckerbergen war angeblich sieben Tage in der Woche Sonntag, Klee hatte das ganze Jahr lang Saison, und an den Hecken wuchsen Zuckerwürfel und Leinsamenküchlein. Die anderen Tiere konnten Moses nicht ausstehen, weil er ständig solche Märchen erzählte und nie arbeitete. Aber einige glaubten, dass es Zuckerbergen tatsächlich gab. Dementsprechend harte Überzeugungsarbeit mussten die Schweine leisten, um den anderen klarzumachen, dass ein solcher Ort nicht existierte.

Die verlässlichsten Getreuen waren die beiden Pferde Boxer und Clover. Sonst eher schwerfällig, wenn es darum ging, über den Rand des eigenen Troges hinauszublicken, akzeptierten sie die drei Schweine dann doch als ihre Lehrmeister und hörten sich alles an, was ihnen gesagt wurde, um es einfacher formuliert auch an die anderen Tiere weiterzugeben. Zuverlässig erschienen sie zu jedem der geheimen Treffen in der Scheune und waren stets die ersten, die am Ende eines jeden Treffens »Ihr Tiere hier und überall« anstimmten.

Und wie sich herausstellen sollte, kam der Umsturz früher und war unkomplizierter als erwartet. Mr. Jones, der sich in all den Jahren nicht nur als ein strenger, sondern auch als ein versierter Gutsherr erwiesen hatte, war nämlich in der letzten Zeit nachlässig geworden. Nachdem er infolge eines Gerichtsverfahrens eine beträchtliche Summe verloren hatte, war es mit seiner Arbeitsmoral nicht mehr weit her und er war dazu übergegangen, mehr zu trinken, als ihm guttat. Ganze Tage lang saß er in der Küche in seinem Lehnstuhl, trank ein Glas nach dem anderen und steckte Moses zwischendurch die eine oder andere in Bier getunkte Brotkruste zu. Seine Knechte wurden ebenso träge wie er selbst und dazu auch noch unredlich, sodass auf den Feldern bald das Unkraut wucherte, die undichten Dächer der Gebäude ungedeckt blieben, die Hecken aus der Form gerieten und die Tiere kaum noch etwas zu essen bekamen.

Es wurde Juni und die Heuernte stand bevor. Doch am Mittsommerabend, der auf einen Samstag fiel, machte sich Mr. Jones auf den Weg nach Willingdon und betrank sich im Red Lion dermaßen, dass er erst am Sonntagmittag zurückkam. Seine Knechte hatten am frühen Morgen zwar die Kühe gemolken, waren dann aber auf Kaninchenjagd gegangen, ohne sich darum zu scheren, dass die Tiere gefüttert werden mussten. Als Mr. Jones, der sich nach seiner Rückkehr sogleich auf das Sofa in der guten Stube gelegt hatte, am Abend noch immer mit der Zeitung über dem Gesicht schlafend dort lag, waren die Tiere kurz vorm Verhungern. Das konnten sie nicht länger hinnehmen. Eine der Kühe brach mit ihren Hörnern die Tür des Vorratsschuppens auf und die Tiere bedienten sich selbst an den Futtertonnen. Erst in dem Moment wachte Mr. Jones auf, und wenig später standen er und seine vier Knechte im Schuppen und ließen die Peitschen in alle Richtungen knallen. Das war mehr, als die ausgehungerten Tiere ertragen konnten. In allgemeiner Eintracht, denn es war ja nichts dergleichen im Vorfeld besprochen worden, stürzten sie sich auf ihre Peiniger, sodass Jones und seine Leute unversehens selbst zu Getretenen und Geschlagenen wurden. Die Situation geriet ihnen vollständig außer Kontrolle. Nie zuvor hatten sie erlebt, dass sich Tiere so aufführten, und der plötzliche Aufstand ausgerechnet der Kreaturen, die sie immer hatten verprügeln und malträtieren können, wie es ihnen beliebte, jagte ihnen höllische Angst ein. Schon im nächsten oder übernächsten Augenblick gaben sie jegliche Versuche sich zu verteidigen auf und ergriffen die Flucht. Es dauerte bloß eine Minute, da rannten alle fünf über den Feldweg in Richtung der Landstraße, gefolgt von den triumphierenden Tieren.

Als Mrs. Jones vom Schlafzimmerfenster aus sah, was dort unten vor sich ging, packte sie in aller Hast ein paar Sachen zusammen und schlich sich über einen anderen Weg davon – woraufhin Moses von seiner Stange sprang und laut krächzend hinter ihr herflatterte. Mittlerweile hatten die Tiere Jones und seine Leute bis zur Straße gejagt und das Gatter hinter ihnen zugeknallt. Und ehe sie sich’s versahen, war der Umsturz reibungslos über die Bühne gegangen. Sie hatten Jones vertrieben und der Gutshof gehörte ihnen.

In den nächsten paar Minuten konnten sie ihr Glück kaum fassen. Ihre erste Amtshandlung bestand dann darin, gemeinsam die Felder und das Weideland zu umrunden, als gelte es, sich zu vergewissern, dass sich nicht doch noch irgendwo ein Mensch versteckt hielt. Sodann ging es zurück zu den Gebäuden, um die letzten Spuren von Jones und seiner verhassten Herrschaft zu beseitigen. Als erstes wurde die Zeugkammer hinter den Ställen aufgebrochen und sämtliche Kandaren, Nasenringe, Hundeketten und all die grässlichen Messer, mit denen Jones für gewöhnlich Ferkel und Lämmer kastriert hatte, flogen in den Brunnenschacht. Zügel, Halfter, Scheuklappen, die erniedrigenden Futterbeutel wurden ins Feuer geworfen, das mitten auf dem Hof bereits eigens zu diesem Zweck brannte. Die Peitschen flogen sogleich hinterher und alle Tiere tollten vor Freude wild herum, als sie sahen, wie sie in Flammen aufgingen. Snowball warf auch die Bänder ins Feuer, die den Pferden an Markttagen in Mähnen und Schweife geflochten worden waren.

»Bänder gelten auch als Kleidung«, erklärte er, »als Zeichen menschlichen Daseins. Aber Tiere sollen sich nichts anziehen.«

Als Boxer das hörte, holte er den kleinen Strohhut, den er im Sommer immer getragen hatte, damit die Fliegen ihm nicht in die Ohren flogen, und warf ihn ebenfalls ins Feuer.

Binnen kürzester Zeit hatten die Tiere alles vernichtet, was noch an Mr. Jones hätte erinnern können. Anschließend ging Napoleon voraus zum Vorratsschuppen und gab jedem eine doppelte Portion Getreide, den Hunden noch jeweils zwei Stücke Hundekuchen dazu. Dann sangen alle zusammen »Ihr Tiere hier und überall«, sieben Mal hintereinander mit allen Strophen, und danach begaben sie sich zur Nachtruhe und schliefen so tief und fest wie nie zuvor.

So wie immer wachten sie jedoch im Morgengrauen auf, und erst als ihnen die großartigen Ereignisse bewusst wurden, stürmten sie alle zusammen zur Weide. Kurz hinter dem Eingang zur Weide befand sich eine kleine Anhöhe, von der aus man fast das gesamte Land, das zu dem Gutshof gehörte, überblicken konnte. Die Tiere eilten hinauf und sahen sich im klaren Morgenlicht um. Ja, es gehörte ihnen – alles, was sie von hier aus sehen konnten, gehörte ihnen! In ihrem Freudentaumel tanzten sie und machten Luftsprünge, wälzten sich im Morgentau, fraßen das süße sommerliche Gras in ganzen Büscheln, wirbelten mit Hufen und Klauen die dunkle Erde auf und ließen sich den satten Duft um Nüstern und Nasen wehen. Anschließend inspizierten sie den gesamten Gutshof. Vor lauter Staunen verschlug es ihnen die Sprache, als sie all das Ackerland, das Weideland, die Obstwiese, den Teich und das Stück Wald bewunderten. Es kam ihnen vor, als hätten sie all das nie zuvor richtig bemerkt, und noch immer konnten sie kaum glauben, dass es nun tatsächlich ihnen gehörte.

Dann machten sie sich auf den Weg zurück zu den Gebäuden, doch vor der Tür des Herrenhauses blieben sie erst einmal schweigend stehen. Auch das gehörte nun ihnen, aber noch wagten sie nicht hineinzugehen. Nach einer Weile jedoch stießen Snowball und Napoleon mit den Schultern die Tür einfach auf und eines nach dem anderen betraten die Tiere das Haus, mit äußerster Vorsicht, als fürchteten sie, etwas durcheinanderzubringen. Auf Zehenspitzen gingen sie von Raum zu Raum und wagten nur zu flüstern, während sie ehrfürchtig die luxuriöse Ausstattung bestaunten: die Betten mit den gefederten Matratzen, die Spiegel, das mit Rosshaar gefüllte Sofa, die gewebten Teppiche mit den bunten Ornamenten, die Lithografie der Königin über dem Kaminsims im Salon. Als sie die Treppe zur oberen Etage wieder herunterkamen, fiel ihnen auf, dass Mollie fehlte. Also gingen sie noch einmal hinauf und entdeckten sie vor dem Spiegel im feinsten der Schlafzimmer, wo sie sich eitel hin- und herdrehte, während sie sich eins der Bänder von Mrs. Jones, das sie sich von der Frisierkommode genommen hatte, an die Mähne hielt. Dafür fing Mollie sich sogleich einen strengen Tadel der anderen Tiere ein. Dann gingen alle zusammen wieder hinunter, wo sie die Schweineschinken in der Vorratskammer von den Haken nahmen, um sie zu bestatten, und Boxer mit einem Huftritt das Fass Bier eintrat. Ansonsten wurde in dem Haus nichts angerührt. Noch an Ort und Stelle wurde einstimmig beschlossen, es als Museum zu erhalten. Und alle waren sich auch darin einig, dass kein Tier jemals dort wohnen durfte.

Nachdem die Tiere gefrühstückt hatten, riefen Snowball und Napoleon sie abermals zusammen.

»Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter«, begann Snowball, »es ist jetzt halb sieben und wir haben einen langen Tag vor uns. Heute werden wir mit der Heuernte anfangen. Aber es gibt eine weitere Angelegenheit, die wir vorher noch besprechen müssen.«

Daraufhin teilten die Schweine den anderen Tieren mit, dass sie sich in den letzten drei Monaten Lesen und Schreiben beigebracht hatten, mit einem alten Schulbuch von Mr. Jones’ Kindern, das sie auf dem Müllhaufen gefunden hatten. Napoleon ließ einen Eimer schwarze und einen Eimer weiße Farbe holen und ging voraus zu dem Gatter, das in Richtung der Straße führte. Dann nahm Snowball (denn der konnte am besten schreiben) einen Pinsel zwischen die beiden Klauen eines seiner Vorderfüße, übermalte den Schriftzug Landwirtschaftlicher Gutsherrenhof auf dem obersten Brett des Gatters und pinselte Farm der TIERE – Genossenschaftsbetrieb an dessen Stelle. So sollte der Hof von nun an heißen. Dann gingen alle wieder zurück zu den Gebäuden, wo sich Snowball und Napoleon eine Leiter bringen ließen, die an die hintere Wand der Scheune gestellt wurde. In den vergangenen drei Monaten, so erklärten sie, sei es ihnen und Kollege Squealer gelungen, die Prinzipien des Animalismus in Form von sieben Vorschriften zusammenzufassen. Diese sieben Vorschriften würden nun an die Wand der Scheune geschrieben. Dabei handele es sich um unumstößliche Regeln, an die alle Tiere sich fortan halten müssten. Mit einigen Schwierigkeiten (denn für ein Schwein ist es nicht ganz einfach, sich auf einer Leiter zu halten) stieg Snowball Sprosse für Sprosse hinauf und machte sich an die Arbeit, während Squealer ein paar Sprossen unter ihm stand und den Farbeimer hielt. Dann wurden die Vorschriften in großen weißen Buchstaben, die man aus dreißig Metern Entfernung noch lesen konnte, auf die geteerte Scheunenwand geschrieben. Sie lauteten folgendermaßen:

Die Sieben Vorschriften

Alles, was sich auf zwei Beinen bewegt, gehört zu den Bösen.Alles, was sich auf vier Beinen bewegt oder Flügel hat, gehört zu den Guten.Kein Tier darf Kleidung tragen.Kein Tier darf in einem Bett schlafen.Kein Tier darf Alkohol trinken.Kein Tier darf ein anderes Tier töten.Alle Tiere sind gleich.

Die Vorschriften waren in sehr ordentlicher Schrift und bis auf »Bienen« anstatt »Beinen« und ein »s«, das falsch herum stand, fehlerfrei geschrieben. Snowball las sie noch einmal laut vor. Alle Tiere nickten zustimmend und die gescheiteren fingen sogleich an, sie auswendig zu lernen.

»Und nun, liebe Freunde«, rief Snowball und warf den Pinsel beiseite, »auf zur Heuwiese! Es ist doch wohl Ehrensache, dass wir das Heu schneller einbringen als Jones und seine Leute.«

In dem Moment fingen jedoch die Kühe, die schon seit einer Weile den Eindruck gemacht hatten, als sei ihnen unbehaglich, laut an zu muhen. Sie waren seit 24 Stunden nicht mehr gemolken worden und nun platzten ihnen fast die Euter. Nach kurzem Nachdenken ließen sich die drei Schweine ein paar Eimer bringen, und sie schafften es erfolgreich, die Kühe zu melken – waren ihre Vorderfüße doch recht gut dafür geeignet. Bald darauf standen dort fünf Eimer voll schäumend cremiger Milch, an der viele der Tiere offenkundig Interesse zeigten.

»Was passiert denn jetzt mit der Milch?«, fragte eines.

»Jones hat manchmal etwas davon unter unseren Brei gemischt«, sagte eine der Hennen.

»Lasst die Milch erstmal da stehen«, rief Napoleon und stellte sich vor die Eimer. »Darum kümmern wir uns später. Die Heuernte ist jetzt wichtiger. Kollege Snowball zeigt euch, wo wir anfangen. Ich komme gleich nach. Vorwärts, Kameraden! Das Heu wartet.«

Also gingen die Tiere alle zusammen zur Heuwiese und fingen mit der Ernte an. Doch als sie am Abend zurückkamen, mussten sie feststellen, dass die Milch verschwunden war.

KAPITEL III

Was für eine Plackerei! Aber die Mühe lohnte sich. Denn die Tiere brachten mehr Heu ein, als sie erwartet hatten.

Manches war richtig harte Arbeit, besonders deshalb, weil die Geräte nicht für Tiere, sondern für Menschen gemacht waren, und das war vor allem für diejenigen Tiere schwierig, die sich nicht auf die Hinterbeine stellen konnten. Aber so klug, wie die Schweine waren, fiel ihnen für jedes Problem eine Lösung ein. Die Pferde waren ohnehin mit jedem Winkel der Wiese bestens vertraut, daher verstanden sie, wenn es um Mähen und Harken ging, ihr Handwerk besser als Jones und seine Leute selbst es vermocht hatten. Die Schweine brauchten körperlich gar nicht mitzuarbeiten. Vielmehr instruierten und beaufsichtigten sie die anderen. Aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse übernahmen sie ganz selbstverständlich die leitenden Positionen. Boxer und Clover spannten sich gegenseitig vor den Pferderechen (natürlich ohne Zügel und Kandaren, denn die brauchte man ja gar nicht mehr) und drehten Runde um Runde über die Heuwiese, jeweils mit einem Schwein, das hinter ihnen herging und sie mit Rufen wie »Weiter so, Kollege!« oder »Hier nochmal ein Stück zurück, Kollegin!« anfeuerten, je nachdem, was gerade erforderlich war. Jedes der Tiere, auch die allerkleinsten, packte beim Wenden und Bündeln des Heus mit an. Selbst die Enten und die Hühner rackerten sich von früh bis spät unter der heißen Sonne ab und schleppten Heubündelchen in ihren Schnäbeln hin und her. Schlussendlich hatten die Tiere die Heuernte zwei Tage schneller eingebracht, als Jones und seine Knechte sonst immer dafür gebraucht hatten. Abgesehen davon war es die größte Menge Heu, die auf dem Gutshof jemals geerntet worden war. Nichts war verlorengegangen, denn die Hühner und Enten mit ihren scharfen Augen hatten selbst die letzten Halme noch aufgepickt. Und keines der Tiere hatte auch nur ein Maul oder einen Schnabel voll für sich behalten.

So ging die Arbeit auf dem Hof den ganzen Sommer lang weiter. Die Tiere waren so glücklich, wie sie es niemals für möglich gehalten hätten. Jeder Bissen machte umso mehr Freude, nun da ihnen das gesamte Futter, das sie selbst produzierten, auch selbst gehörte und ihnen nicht mehr von einem herrischen Ausbeuter genommen wurde. Die Menschen, diese Schmarotzer, waren weg, und so blieb für jedes der Tiere mehr übrig. Die Tiere hatten jetzt auch mehr Freizeit, obwohl sie mit manchen Arbeitsschritten noch unerfahren waren und gelegentlich auf Schwierigkeiten stießen. Bei der Getreideernte im Spätsommer beispielsweise mussten sie das Korn auf althergebrachte Art und Weise dreschen und die Hülsen wegpusten, weil es auf dem Hof keine Dreschmaschine gab. Aber dank der klugen Einfälle der Schweine und Boxers immenser Muskelkraft bekamen sie alles hin. Von Boxer waren alle äußerst beeindruckt. Schon zu Jones’ Zeiten hatte er schwere Arbeit geleistet, aber nun war es so, als leiste er nicht nur die Arbeit von zwei Pferden, sondern von dreien. Es gab Tage, an denen die gesamte Arbeitslast, die auf dem Hof anfiel, auf seinen kräftigen Schultern zu liegen schien. Von früh bis spät zog oder schob er Ackergeräte, war immer genau da zugegen, wo es die schwerste Arbeit zu verrichten gab. Mit einem der Hähne hatte er vereinbart, dass er ihn morgens eine halbe Stunde früher weckte als die anderen, damit er dort, wo es am dringendsten nötig war, schon etwas vorarbeiten konnte, bevor der reguläre Arbeitstag begann. Und stand man vor einem Problem oder kam nicht so recht weiter, lautete seine Devise: »Dann arbeite ich eben noch mehr.«

Allerdings arbeiteten alle je nach ihrem Leistungsvermögen so tüchtig, wie sie konnten. Dank der Hühner und Enten beispielsweise kamen fünf zusätzliche Scheffel Getreide zusammen, weil sie alle Körner aufpickten, die noch vereinzelt auf dem Boden lagen. Keines der Tiere stahl etwas, keines beklagte sich über die eigene Futterration, und überhaupt hatte das in den Zeiten davor übliche Zanken, Beißen und Eifersuchtsgerangel so weit nachgelassen, dass es kaum noch vorhanden war. Keiner drückte sich vor der Arbeit – also fast keiner. Denn wie nicht anders zu erwarten, kam Mollie morgens nur schlecht aus dem Stroh und verabschiedete sich, wann immer sich die Gelegenheit bot, frühzeitig von der Arbeit, etwa mit der Begründung, sie hätte einen Stein im Huf. Auch die Katze legte ein recht erstaunliches Verhalten an den Tag. Sobald Arbeit anstand, war sie nirgends mehr zu sehen. Das war schon auffällig, oftmals blieb sie für mehrere Stunden verschwunden und erschien erst wieder zu den Malzeiten oder abends, wenn die Arbeit getan war – so als wäre nichts geschehen. Aber jedes Mal fand sie so glaubwürdige Ausreden und schnurrte so überzeugend, dass man dem nichts entgegenhalten konnte. Der Esel Benjamin, das älteste Tier von allen, blieb von dem Umsturz ziemlich ungerührt und verrichtete seine Arbeit im gleichen gemächlichen Tempo und mit der gleichen Sturheit, wie er es auch schon zu Jones’ Zeiten getan hatte. Er drückte sich vor nichts, riss sich aber auch nicht um zusätzliche Aufgaben. Zu dem Umsturz an sich und dessen Folgen hatte er keine eigene Meinung. Und wenn er gefragt wurde, ob er ohne Jones jetzt nicht besser dran sei, antwortete er nur: »Esel leben sowieso lange. Oder hat schon mal jemand von euch einen toten Esel gesehen?« Mit dieser kryptischen Aussage mussten die anderen sich dann zufriedengeben.

Sonntags hatten die Tiere frei. Gefrühstückt wurde eine Stunde später und anschließend gab es eine Zeremonie, die ausnahmslos jeden Sonntag stattfand. Als erstes wurde die Flagge gehisst. Diese bestand aus einer alten grünen Tischdecke, die Snowball in der Zeugkammer gefunden und auf die er mit weißer Farbe einen Huf und ein Horn gemalt hatte. Jeden Sonntagmorgen wurde sie an der Fahnenstange im Garten des Herrenhauses hochgezogen. Das Grün der Flagge, so erläuterte Snowball, symbolisiere das Grün der Weiden; Huf und Horn seien das Symbol der künftigen Republik der Tiere, die man gründen wolle, sobald die Menschen generell entmachtet wären. Nach dem Hissen der Flagge strömten die Tiere zu einer allgemeinen Versammlung, dem sogenannten Wochentreffen, in die Scheune. Dabei wurde der Arbeitsplan für die kommende Woche erstellt und es wurden Beschlussanträge eingebracht und debattiert. Immer waren es die Schweine, die einen Beschlussantrag einbrachten. Die anderen Tiere wussten zwar, wie man abstimmte, hätten sich aber niemals selbst einen Beschluss einfallen lassen. Bei den Debatten waren Snowball und Napoleon grundsätzlich diejenigen, die sich am aktivsten einbrachten. Doch die beiden waren nie gleicher Ansicht, das wurde allgemein zur Kenntnis genommen. Welchen Vorschlag einer von ihnen auch machte, man konnte sich darauf verlassen, dass der andere dem widersprechen würde. Selbst als man sich darin einig war, das aus der kleinen Koppel hinter der Obstwiese eine Seniorenresidenz für Tiere im Ruhestand gemacht werden sollte – dem konnte man wohl auch nur schwerlich widersprechen –, entbrannte eine hitzige Debatte über das angemessene Rentenalter der jeweiligen Tierarten. Zum Abschluss der sonntäglichen Treffen wurde »Ihr Tiere hier und überall« gesungen, und nachmittags hatten die Tiere dann Freizeit.

Die Schweine hatten die Zeugkammer zur Betriebszentrale umfunktioniert und sich dort häuslich eingerichtet, um sich an den Abenden mithilfe der Bücher, die sie aus dem Herrenhaus herbeigeschafft hatten, Kenntnisse in Schmiede-, Schreiner- und anderen Handwerkskünsten anzueignen und diese zu vertiefen. Darüber hinaus hatte Snowball es sich zur Aufgabe gemacht, die anderen Tiere in sogenannten Tierkommissionen zu organisieren. Darin war er unermüdlich. Er hatte eine »Produktivitätskommission für eierlegende Hennen« ins Leben gerufen, einen »Ausschuss zur Einhaltung des Reinheitsgebots von Kuhschwänzen milchproduzierender Kühe«, ein »Eingliederungsprogramm für potenzielle Mitarbeiter aus fachfremden Bereichen« (Ziel dieser Sozialisierungsmaßnahme war, wild lebenden Tieren wie Ratten und Kaninchen die Möglichkeit zu bieten, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen), einen »Verband für weißere Wolle« und diverse weitere Gremien sowie eine »Initiative zur Förderung der Lese- und Schreibfähigkeit«. Manche dieser Projekte waren allerdings von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Bemühungen, aus wild lebenden Tieren vollwertige Mitglieder der Tiergenossenschaft zu machen, beispielsweise, waren von Beginn an ein sinnloses Unterfangen, denn die Wildtiere waren schlichtweg nicht in der Lage, ihre alten Verhaltensmuster abzulegen, und je mehr Verständnis man ihnen entgegenbrachte, desto mehr nutzten sie es aus. Auch die Katze hatte sich an diesem Programm beteiligt und es einige Tage lang sogar sehr aktiv vorangetrieben. Einmal hatte man sie auf dem Dach bei einem Informationsgespräch mit einer Gruppe Spatzen gesehen. Sie hatte versucht ihnen zu vermitteln, dass sich alle Tiere zusammengeschlossen hatten, und jeden Spatz dazu eingeladen, gern auf einer ihrer Pfoten Platz zu nehmen. Doch trotz aller Überzeugungsarbeit blieben die Spatzen auf Distanz.

Die Lese- und Schreibinitiative hingegen galt als voller Erfolg. Schon im Herbst waren fast alle Tiere, die auf dem Hof lebten, immerhin bis zu einem gewissen Grad alphabetisiert.

Die Schweine selbst konnten ja längst lesen und schreiben und waren darin mittlerweile nahezu perfekt. Die Hunde konnten es auch schon leidlich, aber sie waren nicht daran interessiert, etwas anderes zu lesen als die Sieben Vorschriften. Muriel, die Ziege, hatte den Hunden da schon einiges voraus und las den anderen Tieren abends manchmal Ausschnitte aus Zeitungsartikeln vor, die sie im Altpapier gefunden hatte. Benjamin, der Esel, konnte genauso gut lesen wie die Schweine, verfeinerte diese Fähigkeit jedoch nicht weiter. Soweit er wisse, gebe es ohnehin nichts Interessantes, das zu lesen sich lohnte, gab er als Begründung an. Clover hatte schon das ganze Alphabet gelernt, konnte aber noch keine Wörter zusammensetzen. Boxer war bislang nur bis zu dem Buchstaben D gekommen. Oft malte er A, B, C, D mit einem seiner großen Hufe auf die Erde. Dann stand er mit angelegten Ohren da und schüttelte nur den Kopf mit der Stirnlocke, während er angestrengt überlegte, welcher Buchstabe als nächster kam. Wenn er dann soweit war, dass er sich auch E, F, G, H gemerkt hatte, hatte er A, B, C, D jedoch meistens schon wieder vergessen. So beschloss er schließlich, sich mit den ersten vier Buchstaben zufriedenzugeben, und schrieb sie ein oder zwei Mal täglich auf, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Mollie weigerte sich, mehr Buchstaben zu lernen als die fünf, die nötig waren, um ihren Namen zu schreiben. Die legte sie immer sehr sorgfältig aus Zweigen zusammen, dekorierte sie mit ein oder zwei Blüten und tänzelte voller Bewunderung darum herum.

Von den anderen Tieren auf dem Hof war jedoch keines weiter gekommen als zu Buchstabe A. Und wie sich ebenfalls herausstellte, konnten die einfältigeren Tiere wie etwa die Schafe, Hühner und Enten auch die Sieben Vorschriften noch nicht auswendig. So erklärte Snowball nach einigem Nachdenken, man könne die Sieben Vorschriften auch auf eine einzige Maxime herunterbrechen: »Vier Beine gut, zwei Beine schlecht«. Das, so erläuterte er, sei die Essenz des animalistischen Prinzips. Jeder, der das wirklich verinnerlicht habe, sei gegen menschliche Einflussnahme gefeit. Die Vögel erhoben zunächst Einwände, schließlich hätten auch sie ja zwei Beine, doch Snowball konnte sie davon überzeugen, dass das genau genommen nicht korrekt war:

»Die Flügel eines Vogels erzeugen Schubkraft, dienen also der Fortbewegung und nicht der Handhabung bestimmter Dinge, liebe Kollegen und Kolleginnen«, erläuterte er. »Von daher kann man sie durchaus als Beine klassifizieren. Das Unterscheidungskriterium des Menschen ist schließlich die Hand, das Instrument, mit dem er so viel Unheil anrichtet.«

Die Vögel konnten Snowballs Ausführungen zwar nicht ganz nachvollziehen, aber dennoch akzeptierten sie seine Schlussfolgerung. Und so begannen all die weniger gescheiten Tiere, sich die neue Maxime einzuprägen. Vier Beine gut, zwei Beine schlecht wurde auf die hintere Scheunenwand geschrieben, oberhalb der Sieben Vorschriften, in noch größeren Buchstaben als diese. Sobald sie die Maxime auswendig konnten, gefiel sie den Schafen sogar so gut, dass sie oftmals, wenn sie auf der Wiese lagen, vor sich hin blökten: »Vier Beine gut, zwei Beine schlecht. Vier Beine gut, zwei Beine schlecht.« Das ging manchmal stundenlang so, ohne dass sie dessen überdrüssig wurden.

Napoleon zeigte keinerlei Interesse an Snowballs Kommissionen. Er war der Ansicht, Bildung für die Jungen sei wesentlich wichtiger als alles, was man Erwachsenen noch beibringen könne. Als Jessie und Bluebell kurz nach der Heuernte warfen, insgesamt neun stramme Welpen, nahm Napoleon sie, sobald sie entwöhnt waren, ihren Müttern weg und sagte, er selbst werde sich um ihre Erziehung kümmern. Er brachte sie auf den Heuboden, den man nur über eine Leiter von der zur Betriebszentrale umfunktionierten Zeugkammer aus erreichen konnte, und schottete sie dort ab, sodass sie bei den anderen Tieren bald in Vergessenheit gerieten.

Das Rätsel um die verschwundene Milch war auch bald gelöst: Sie wurde täglich unter das Futter der Schweine gemischt. Mittlerweile wurden auch die ersten Äpfel reif und das Gras der Obstwiese war übersät mit Falläpfeln. Die Tiere waren wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass jeder seinen gerechten Anteil davon bekäme. Doch eines Tages erging ein Beschluss, dass die Falläpfel einzusammeln und in die Betriebszentrale zu bringen seien, damit sie den Schweinen zur Verfügung stünden. Daraufhin erhob sich unter einigen Tieren protestierendes Raunen, doch es nutzte nichts. Denn in dem Punkt waren sich alle Schweine einig, selbst Snowball und Napoleon. Die Aufgabe, eine Erklärung dazu abzugeben, fiel jedoch Squealer zu:

»Liebe Freunde«, rief er. »Ihr denkt hoffentlich nicht, wir Schweine hätten diesen Beschluss aus Eigennutz gefasst, um uns einen Vorteil zu verschaffen. Viele von uns mögen überhaupt keine Milch und auch keine Äpfel. Wir beabsichtigen damit lediglich, unsere Gesundheit zu erhalten. Milch und Äpfel enthalten Nährstoffe, die unverzichtbar sind, damit Schweine gesund bleiben. Das ist wissenschaftlich erwiesen, liebe Freunde. Wir Schweine leisten schließlich Kopfarbeit. Das Management und die Organisation dieses Betriebs hängen vollständig von uns ab. Dabei ist unser oberstes Anliegen euer Wohlergehen. Von daher dient es eurem Wohl, dass wir diese Milch trinken und diese Äpfel essen. Denn habt ihr euch einmal klargemacht, was passieren würde, wenn wir Schweine unseren Pflichten nicht mehr nachkommen könnten? Jones würde zurückkehren. Ja, Jones würde zurückkommen. Es gibt doch sicher keinen unter euch, liebe Genossenschaftler und Genossenschaftlerinnen«, kreischte Squealer beschwörend und hüpfte mit wackelndem Ringelschwänzchen hin und her, »ganz sicher keinen unter euch, der will, dass Jones zurückkommt, oder?«

Wenn es eines gab, dessen sich die Tiere absolut sicher waren, dann war es, dass sie Jones nicht zurückhaben wollten. Und da ihnen nun die Sachlage unter diesem Aspekt klargemacht worden war, hatten sie dem nichts mehr entgegenzusetzen. Wie wichtig es war, die Schweine bei guter Gesundheit zu halten, lag jetzt klar auf der Hand. So einigte man sich ohne weitere Diskussionen darauf, dass die Milch und die Falläpfel (ebenso wie der Hauptanteil der Äpfel, die man, sobald sie reif waren, noch von den Bäumen ernten würde) den Schweinen vorbehalten waren.

KAPITEL IV

Bis zum Spätsommer hatte sich die Nachricht, was auf dem Gutshof geschehen war, über das halbe Land verbreitet. Tag für Tag schickten Snowball und Napoleon ganze Heerscharen von Tauben los, mit dem Auftrag, sich unter die Tiere auf den umliegenden Höfen zu mischen, um ihnen von dem Umsturz zu erzählen und ihnen die Melodie von »Ihr Tiere hier und überall« beizubringen.

Währenddessen saß Mr. Jones die meiste Zeit im Schankraum des Red Lion in Willingdon und erzählte jedem, der es hören wollte, von der ungeheuren Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, da ein paar nichtsnutzige Tiere ihn von seinem Grund und Boden vertrieben hatten. Die anderen Gutsbesitzer gaben ihm prinzipiell recht, aber das hieß nicht, dass sie ihm sogleich hilfreich zur Seite gestanden hätten. Insgeheim fragte sich nämlich jeder von ihnen, ob er nicht sogar von Jones’ Unglück profitieren könnte. Da war es ein Glücksfall, dass die beiden Besitzer der benachbarten Gutshöfe sich ohnehin nicht grün waren. Foxwood, einer der beiden Höfe, war sehr groß, aber auch ziemlich altmodisch und sehr vernachlässigt. Das Land war überwuchert von Dickicht, der Boden ausgelaugt und die Hecken in beklagenswertem Zustand. Mr. Pilkington, der Besitzer, war ein Gentleman, der es nicht so genau nahm und einen Großteil seiner Zeit mit Angeln oder Jagen verbrachte, je nach Saison. Pinchfield, der andere Hof, war kleiner und besser in Schuss. Der Besitzer, Mr. Frederick, ein zäher, gewiefter Mann, war ständig in Gerichtsprozesse verwickelt und stand in dem Ruf, ein hartgesottener Verhandlungspartner zu sein. Diese beiden Gutsherren hegten eine so starke Abneigung gegeneinander, dass sie sie einfach nicht überwinden konnten – nicht einmal, wenn es zu ihrer beider Vorteil gewesen wäre.

Nichtsdestoweniger fanden sie beide den Umsturz auf dem Gutshof von Mr. Jones äußerst bedenklich, sodass ihnen daran gelegen war, dass die Tiere ihrer eigenen Höfe nicht zu viel darüber erfuhren. Zunächst einmal taten sie so, als fänden sie den Gedanken, dass Tiere einen landwirtschaftlichen Betrieb in eigener Regie führten, geradezu lächerlich. In ein bis zwei Wochen wäre der ganze Spuk doch vorbei, taten sie es lachend ab. Dann streuten sie das Gerücht, die Tiere auf dem Jones-Hof (so nannten sie den Hof weiterhin, denn die Bezeichnung »Farm der Tiere« konnten sie nicht akzeptieren) würden sich ständig streiten und wären dabei zu verhungern. Doch als nach einiger Zeit klar wurde, dass die Tiere eben nicht verhungert waren, schlugen Frederick und Pilkington andere Töne an und behaupteten, auf dem Hof wäre es zu furchtbaren Gräueltaten gekommen. Es gäbe Kannibalismus, manche Tiere würden mit glühenden Hufeisen gefoltert und Vielweiberei wäre an der Tagesordnung. So sei das nun mal, wenn man die Gesetze der Natur missachte.

So richtig glauben konnte das allerdings niemand. Denn es kursierten auch Gegendarstellungen, denen zufolge auf dem ehemaligen Jones-Hof paradiesische Zustände herrschten, seit die Menschen vertrieben worden waren und die Tiere den landwirtschaftlichen Betrieb selbst organisierten. Und obwohl auch diese Version der Berichterstattung oftmals vage und verzerrt war, entwickelte sich im weiteren Verlauf des Jahres eine aufständische Welle, die das gesamte Umland erfasste. Bullen, die sonst eigentlich recht umgänglich gewesen waren, zeigten sich plötzlich rebellisch, Schafe rannten die Hecken ein und verschlangen Unmengen von Klee, Kühe traten die Melkeimer um, Jagdpferde sprangen über Zäune und warfen ihre Reiter auf der anderen Seite ab. Vor allem aber kannte mittlerweile jedes Tier die Melodie, manche sogar den Text von »Ihr Tiere hier und überall«. Denn mit erstaunlicher Geschwindigkeit hatte sich das Lied verbreitet. Die Menschen konnten ihre Wut über diese Hymne kaum noch zurückhalten, auch wenn sie weiterhin so taten, als hielten sie das Ganze für lächerlich. Nicht zu glauben, wie man einen solch offenkundigen Unsinn von sich geben könne, selbst als Tier! Jedes Tier, das beim Singen des Liedes erwischt wurde, bekam auf der Stelle ein paar Peitschenhiebe. Dennoch wurde das Lied zu einem Ohrwurm und war nicht mehr kleinzukriegen. Die Amseln pfiffen es von den Hecken, die Tauben gurrten es in den Ulmen, es mischte sich mit dem Rhythmus der Schmiedehämmer und begleitete das Geläut der Kirchenglocken. Die Menschen bebten innerlich, sobald es ihnen in die Ohren drang, hörten sie doch eine Prophezeiung dessen heraus, was ihnen noch blühte.

Anfang Oktober, als das Getreide gemäht, gebündelt und zum Teil bereits gedroschen war, kam eine Schar Tauben angeflattert und landete in heller Aufregung auf dem Hof. Jones und seine Leute, dazu noch ein halbes Dutzend der Knechte von Foxwood und Pinchfield, hatten das Gatter aufgebrochen und waren über den Feldweg im Anmarsch, alle bewaffnet mit Stöcken, bis auf Jones selbst, der mit einem Gewehr im Anschlag voranmarschierte. Offenbar wollten sie den Hof wieder unter ihre Kontrolle bringen.

Damit hatte man jedoch längst gerechnet, und es waren bereits dementsprechende Vorkehrungen getroffen worden. Snowball, der sich in einem alten Buch, das er ebenfalls im Herrenhaus gefunden hatte, über die Feldzüge von Julius Cäsar schlau gemacht hatte, war verantwortlich für die Verteidigungsstrategie. Unverzüglich erteilte er seine Befehle und innerhalb von Minuten war jedes Tier auf seinem Posten.

Als die Menschen sich den Gebäuden näherten, ging Snowball zum ersten Angriff über. Sämtliche Tauben – eine Schwadron von insgesamt fünfunddreißig Exemplaren – flogen über den Köpfen der Menschen hin und her und ließen aus halber Höhe ihren Dung fallen. Damit hatten die Männer erstmal zu tun, und währenddessen kamen die Gänse aus der Deckung hinter einer Hecke und hackten mit den Schnäbeln auf die Waden der Männer ein. Das war jedoch nur ein erstes leichtes Manöver, um ein wenig Unordnung in die Reihen der Männer zu bringen, die es mit ihren Stöcken natürlich schafften, sich die Gänse vom Leib zu halten. Und der nächste Angriff erfolgte sogleich. Muriel, Benjamin und sämtliche Schafe stürmten angeführt von Snowball auf die Männer zu und stießen oder stachen sie von allen Seiten, wobei Benjamin noch eine halbe Drehung machte und mit den Hufen trat. Doch abermals konnten sich die Männer mit ihren Stöcken und genagelten Schuhsohlen verteidigen, sodass, als Snowball durch plötzliches Quieken das Signal zum Rückzug gab, alle Tiere kehrtmachten und zurück hinter das Gatter liefen.

Mit Triumphgeheul rannten die Männer wie wild hinterher. Sie hatten die Tiere in die Flucht geschlagen. Dachten sie zumindest. Denn genau das wollte Snowball. Sobald die Tiere wieder auf dem Hof waren, kamen die drei Pferde, die drei Kühe und die restlichen Schweine, die im Kuhstall im Hinterhalt gelegen hatten, und schnitten den Männern den Weg ab. Nun gab Snowball das Signal zum nächsten Angriff. Er selbst stürmte direkt auf Jones zu. Als Jones ihn auf sich zukommen sah, feuerte er eine Ladung Schrot ab. Die Schrotkugeln hinterließen blutige Streifen auf Snowballs Rücken, und eins der Schafe fiel tot um. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, warf sich Snowball mit seinem vollen Gewicht von hundert Kilo gegen Jones’ Beine. Jones landete auf einem der Misthaufen und die Flinte flog ihm in hohem Bogen aus den Händen. Am Furchteinflößendsten war jedoch Boxer, der auf die Hinterbeine stieg und mit den riesigen, eisenbeschlagenen Hufen ausschlug wie ein wilder Hengst. Als erstes traf er einen Stallknecht von Foxwood am Kopf und streckte ihn damit nieder, sodass dieser reglos liegen blieb. Als die Männer das sahen, ließen einige sofort ihre Stöcke fallen und wollten sich davonmachen. Panik überkam sie, und im nächsten Augenblick jagten alle Tiere zusammen die Männer über den ganzen Hof. Gestoßen, getreten, gebissen und zertrampelt wurden sie. Es gab kein einziges Tier, das nicht nach seinem Vermögen Rache an ihnen nahm. Sogar die Katze sprang plötzlich von einem der Dächer auf die Schulter eines Kuhhirten und schlug ihm ihre Krallen so fest in den Hals, dass er in furchtbares Schmerzgeschrei ausbrach. Als der Weg zum Gatter für einen Moment frei war, schafften die Männer es mit viel Glück in Richtung der Landstraße davonzulaufen. So endete der Ansturm nach wenigen Minuten mit einem kläglichen Rückzug über denselben Weg, auf dem sie gekommen waren, mit einer Schar Gänse im Rücken, die zischend hinter ihnen herlief und sie in die Waden pickte.

Alle Männer waren geflohen, bis auf einen. Im hinteren Teil des Hofes versuchte Boxer mit einem seiner Vorderhufe den Stalljungen umzudrehen, der noch immer mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag.

»Er ist tot«, sagte Boxer betrübt. »Aber das wollte ich doch gar nicht. Ich hatte ganz vergessen, dass ich meine eisernen Hufe anhatte. Wer wird mir denn jetzt glauben, dass das nicht meine Absicht war?«

»Keine Sentimentalitäten, Kollege«, rief Snowball, aus dessen Wunden noch Blut tropfte. »Wir befinden uns nun mal im Krieg. Und nur ein toter Mensch ist ein guter Mensch.«

»Ich will aber niemanden töten, nicht mal einen Menschen«, entgegnete Boxer mit Tränen in den Augen.

»Wo ist überhaupt Mollie?«, rief plötzlich eins der anderen Tiere.

Mollie war nirgends zu sehen. Für einen Moment gerieten alle in Aufruhr, weil sie fürchteten, Mollie sei ernsthaft verletzt worden oder die Menschen hätten sie gar verschleppt. Doch wie sich dann herausstellte, hatte sie sich im Stall versteckt und den Kopf in ihrem Heutrog vergraben. Nachdem der Schuss gefallen war, hatte sie die Flucht ergriffen. Als die Tiere wieder nach draußen gingen, hatte sich auch der Stalljunge, der nur etwas benommen gewesen war, wieder erholt und davongemacht.

Die Tiere, die sich nun alle versammelt hatten, berichteten einander aufgeregt und voller Begeisterung, was jedes von ihnen in der Schlacht erlebt hatte. Und kurzentschlossen wurde der Sieg gefeiert. Die Flagge wurde gehisst und mehrere Male »Ihr Tiere hier und überall« gesungen. Anschließend wurde das Schaf, das sein Leben verloren hatte, in einer feierlichen Zeremonie beigesetzt und ein Weißdornbusch auf sein Grab gepflanzt. Snowball hielt die Grabrede und betonte noch einmal, dass alle bereit sein müssten, wenn nötig ihr Leben für die Genossenschaft der Tiere zu lassen.

Einstimmig wurde beschlossen, einen militärischen Orden zu verleihen, den »Helden der Tiere erster Klasse«, mit dem Snowball und Boxer sogleich dekoriert wurden. Er bestand aus einer Messingmedaille (die eigentlich für Pferde gedacht war und wovon sich noch einige in der ehemaligen Zeugkammer gefunden hatten) und durfte an Sonn- und Feiertagen getragen werden. Es gab auch einen »Helden der Tiere zweiter Klasse«, der posthum dem Schaf verliehen wurde, das in der Schlacht gefallen war.

Darüber, unter welchem Namen die Schlacht in die Geschichte eingehen sollte, wurde ausführlich diskutiert und man einigte sich auf »Schlacht am Kuhstall«, weil dort die Tiere aus dem Hinterhalt gekommen waren. Mr. Jones’ Flinte, die auf dem Boden gelegen hatte, war gefunden worden, und dass im Herrenhaus noch Munition lagerte, war allgemein bekannt. Also wurde beschlossen, die Flinte neben der Fahnenstange aufzustellen und sie zwei Mal im Jahr abzufeuern: am zwölften Oktober zum Jahrestag der Schlacht am Kuhstall und an Mittsommer, dem Jahrestag des Umsturzes.

KAPITEL V

Als der Winter nahte, wurde Mollie zunehmend aufsässiger. Sie kam jeden Morgen zu spät zur Arbeit – immer mit der gleichen Ausrede, sie habe verschlafen – und klagte über irgendwelche Wehwehchen, obwohl sie sich eines gesegneten Appetits erfreute. Bei jeder Gelegenheit, die sich bot, verschwand sie von der Arbeit und ging zur Tränke, wo sie dann versonnen auf ihr eigenes Spiegelbild starrte. Doch es gab Gerüchte, dass etwas Bedenklicheres dahintersteckte. Eines Tages, als Mollie auf einem Büschel Heu herumkauend, unbekümmert über den Hof schlenderte und ihren langen Schweif hin- und herwarf, nahm Clover sie beiseite.

»Mollie«, sagte sie, »ich muss etwas Ernstes mit dir besprechen. Heute Morgen habe ich gesehen, wie du über die Hecke zum Foxwood-Hof gestarrt hast. Auf der anderen Seite stand einer von Mr. Pilkingtons Leuten, und ich war zwar ziemlich weit entfernt, aber wenn ich mich nicht getäuscht habe, konnte ich sehen, dass er mit dir sprach und du nichts dagegen hattest, dass er dir über die Nüstern strich. Was hat das zu bedeuten, Mollie?«

»Das hat er nicht. Ich war nicht da. Das stimmt doch gar nicht«, rief Mollie, während sie herumtänzelte und mit einem ihrer Hufe über den Boden scharrte.

»Mollie! Sieh mir in die Augen. Gibst du mir dein Ehrenwort, dass er nicht über deine Nüstern gestrichen hat?«

»Es stimmt nicht«, gab Mollie zurück, aber Clover in die Augen sehen, konnte sie dabei nicht. Und einen Augenblick später schwang sie die Hufe und galoppierte auf die Weide.