HADES - Uschi Zietsch - E-Book

HADES E-Book

Uschi Zietsch

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Beschreibung

Ein Kult-Klassiker, ein Roadtrip der 1980er, aus den 1980ern mit außergewöhnlichen Abenteuern, bei dem auch der Humor nicht auf der Strecke bleibt. Schon jener Frühjahrstag ist ungewöhnlich, es ist viel zu heiß, und die sonnenwilden Leute zertreten sich fast gegenseitig in den Straßen der Stadt. Rydal und Ariane, ein auffälliges junges Paar, wollen mit der U-Bahn fahren, was an sich nichts Außergewöhnliches ist. Diese Fahrt entwickelt sich jedoch zum Horrortrip, sie müssen aus dem fahrenden Zug springen, um ihr Leben zu retten. Auf der Suche nach der Oberwelt geraten sie dabei immer tiefer hinab in die Abgründe der Stadt, und sie finden HADES, die Unterwelt, in der nicht nur die Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft, sondern auch die Alten aus der Frühzeit der Erde leben. Das Paar gerät in einen verwirrenden Strudel von unheimlichen märchenhaft-zauberischen, traurigen und heiteren Ereignissen, bis sie schließlich ganz unten dem Power-Prinzen begegnen, dem mysteriösen, mächtigen Herrscher über HADES, der über Leben und Tod gebietet, und alle Macht der Welt, geistige und magische, in sich trägt. HADES ist die Erzählung einer Pararealität aus den 80ern und über die 80er in München, in der souverän unsere Welt mit wahren, skurrilen und mystischen Elementen verwoben wird. Es zeigt sich, dass in der Unterwelt alles möglich ist, und dass es im Grunde genommen nicht viel dazu braucht, den richtigen Weg zu finden.

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Uschi Zietsch

HADES

Eine fantastische Novelle aus München

fabEbooks 

Über die Autorin

Uschi Zietsch wurde 1961 in München geboren. Sie ist verheiratet und lebt seit Jahren als Schriftstellerin und Verlegerin mit ihrem Mann und vielen Tieren auf einem  kleinen Hof im bayerischen Allgäu.

Ihre erste Veröffentlichung war 1986 der Fantasy-Roman »Sternwolke und Eiszauber« (auch als fabEbook erhältlich) im Heyne-Verlag. Darauf folgten bis heute kontinuierlich über einhundert Veröffentlichungen in den Bereichen der Science Fiction, Fantasy, Kinderbücher, TV-Serien und vielen mehr. Unter dem Künstlernamen »Susan Schwartz« schrieb sie jahrelang als Teamautorin bei »Perry Rhodan«, »Maddrax« und anderen Heftserien mit. Für die exklusiv bei BS-Editionen (Bertelsmann) erschienenen sehr erfolgreichen und beliebten Urban-Fantasy-Serien »Elfenzeit« und »Schattenlord« zeichnete sie für das gesamte Konzept und die Exposés verantwortlich und schrieb die meisten Romane.

Darüber hinaus gibt Uschi Zietsch Schreibseminare und ist Mit-Verlegerin des Fabylon-Verlags.

2008 erhielt sie den Literaturpreis von amnesty international für ihre Kurzgeschichte »Aische« zum Thema »Menschenrechte«.

Weitere fabEbooks von Uschi Zietsch:

Der Traum der Wintersonne

Der ALP

Sternwolke und Eiszauber

Der Stern der Götter

Die Chroniken von Waldsee Trilogie

Nauraka (Waldsee 4)

Fyrgar (Waldsee 5)

Der wahre Schatz (Story aus Waldsee)

Drakhim – Die Drachenkrieger

Umschlagbild: Klaus Holitzka

© des fabEbooks 2013 by fabEbooks

ISBN: 978-3-943570-16-8

Hinweis: Die Print-Ausgabe (ISBN 978-3-927071-03-2) enthält die deutsche Gespenstermär »Rattenfeuer«.

Ein Kult-Klassiker, ein Roadmovie mit außergewöhnlichen Abenteuern, bei dem auch der Humor nicht auf der Strecke bleibt.

Schon jener Frühjahrstag ist ungewöhnlich, es ist viel zu heiß, und die sonnenwilden Leute zertreten sich fast gegenseitig in den Straßen der Stadt. Rydal und Ariane, ein auffälliges junges Paar, wollen mit der U-Bahn fahren, was an sich nichts Außergewöhnliches ist. Diese Fahrt entwickelt sich jedoch zum Horrortrip, sie müssen aus dem fahrenden Zug springen, um ihr Leben zu retten. Auf der Suche nach der Oberwelt geraten sie dabei immer tiefer hinab in die Abgründe der Stadt, und sie finden HADES, die Unterwelt, in der nicht nur die Ausgestoßenen der menschlichen Gesellschaft, sondern auch die Alten aus der Frühzeit der Erde leben. Das Paar gerät in einen verwirrenden Strudel von unheimlichen märchenhaft-zauberischen, traurigen und heiteren Ereignissen, bis sie schließlich ganz unten dem Power-Prinzen begegnen, dem mysteriösen, mächtigen Herrscher über HADES, der über Leben und Tod gebietet, und alle Macht der Welt, geistige und magische, in sich trägt. 

HADES ist die Erzählung einer Pararealität aus den 80ern und über die 80er in München, in der souverän unsere Welt mit wahren, skurrilen und mystischen Elementen verwoben wird. 

Es zeigt sich, dass in der Unterwelt alles möglich ist, und dass es im Grunde genommen nicht viel dazu braucht, den richtigen Weg zu finden.

Widmung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich mit ihren Einfällen und ihrem Ideenreichtum unterstützt haben. Damit niemand beleidigt ist, weil ich ihn vergessen habe, nenne ich keine Namen. (Es sei nur kurz bemerkt, dass ein besonders hervorzuhebender Vorname zweimal vorkommen würde, und sogar ein Engel (Nr. 402) war mit Rat und Tat zur Stelle.) Dieses Buch ist ein kleines Experiment und wurde gemeinschaftlich verbrochen, es ist auch Authentisches in aberwitzige Situationen verpackt worden, und es hat uns allen viel Spaß gemacht.

Nachtrag zu der 2013er fabEbook-Ausgabe: Na ja, so waren’s halt, damals, die 1980er mit ihren dicken Schulterpolstern und auftoupierten Haaren!

Ein Wort zuvor ...

Ich befand mich bereits in der Endfassung dieser Geschichte, ungefähr zwischen der vierten und der fünften Ebene, als mir ein Freund und Arbeitskollege folgende Geschichte erzählte:

»Du mit deinen komischen U-Bahn-Geschichten, das kann ich dir vielleicht sagen, aber ganz im Ernst! Jetzt erzähl ich dir mal eine Geschichte aus der ganz normalen Realität, die mir passiert ist: Ich bin nämlich eingezwickt worden!

Ich wollte vor ein paar Tagen am Abend mit der U-Bahn nach Hause fahren; wie immer geht es fürchterlich zu, aber dann sind wir nur noch zwei, die hineinwollen, ein alter Mann und ich. Nun weißt du ja ebensogut wie ich, dass der Schaffner - vor allem in der Hauptverkehrszeit - manchmal ›Vorsicht an den Türen‹, immer aber ›bitte zurückbleiben‹ sagt. Ich denke mir also nichts Böses, da ich ziemlich weit vorne in seiner Nähe war, und er wirklich nichts dergleichen verlauten ließ, und strecke meinen rechten Fuß aus, um in die U-Bahn zu steigen. In diesem Moment gehen doch tatsächlich, ohne Vorwarnung, ohne alles, die Türen zu, und mein rechter Fuß steckt bis zum Knie drin, der Rest vom Körper sowie mein linker Fuß aber sind draußen geblieben. Ich war natürlich voll bepackt mit Tüten und Taschen und schaffte es kaum, mein Gleichgewicht zu halten, aber was noch schlimmer war: Ich bekam mein Bein einfach nicht frei, so sehr ich auch zerrte, die Türen schlossen absolut fest und sicher. Ich schrie den Fahrer an, er möge doch bitte die Tür öffnen; mitfahren wollte ich sowieso nicht mehr, die Lust dazu war mir echt vergangen. Aber der stand nur da, mit verschränkten Armen, und schüttelte den Kopf. Der alte Mann schaute neugierig unter meinen fuchtelnden Armen hindurch auf mein halbes Bein, während ich weiterhin den Schaffner anschrie und auf die Tür einhämmerte. Inzwischen warfen sich die Leute von innen dagegen, drei recht kräftige Männer schoben irgendwie ihre Finger durch den Gummi und brachten tatsächlich die Türen auseinander. Durch den plötzlich fehlenden Widerstand und das Gewicht meiner Packtaschen fiel ich nach vorne, hinein in die U-Bahn und mitten auf die Leute drauf. Der alte Mann hinter mir nutzte die Gelegenheit und hopste mir nach, aber der Schaffner schloss die Tür, kaum, dass ich drin war, und nun – wirklich, das ist kein Märchen – wurde auch noch dieser arme Alte eingezwickt, und zwar genau in der Mitte! Die Leute tobten, der alte Mann begann zu kreischen, sein Hut fiel herunter, der Schaffner stieg in seinen Wagen. Also warfen sich wieder alle gegen die Türen, die einen schoben sie auf, die anderen zerrten den Alten herein, und in diesem Moment ging schon die Fahrt ab.

Diese Geschichte hab ich wirklich nicht zu deiner Erheiterung erzählt, sie ist wahr, wahrscheinlich hat sie kaum länger als eine halbe Minute gedauert – aber das kann ich dir sagen, der ganze Tag war mir versaut.«

1. Oben

Trotz der frühen Jahreszeit war es ziemlich heiß, als Jean und Anne sich in der Stadt einen Weg durch die Menschenmassen zum Café Chez Louis bahnten.

Leider war Louis noch nicht da, man merkte deutlich, dass etwas fehlte: seine ausdrucksvolle Tenorstimme, seine gewaltigen Fettmassen, sein unerwartet schönes, zartes Gesicht mit der hellblonden Löwenmähne und dem umwerfenden, strahlenden Lächeln, hinter dem keiner die Gefräßigkeit eines Piranhas und den scharfen Verstand eines Mathematikers vermuten konnte. Louis hatte eine Abneigung gegen Elektronik, seien es Computer, Mikrowellen oder auch nur einfache Fernseher; er nahm hin, was nicht zu umgehen war, aber gegen elektronische Kassen war er geradezu allergisch, und die portablen Kreditkartengeräte kamen schon gleich gar nicht in Frage. Er notierte die Preise der Bestellungen auf kleinen quadratischen Zettelchen, aber nicht etwa untereinander, sondern scheinbar willkürlich über das ganze Papier verteilt. Je mehr man bestellte, umso dichter und klarer wurden die Zeichen, bis am Ende bei der Abrechnung ein Bild, ein richtiges kleines Kunstwerk daraus entstanden war, das er dem Gast mit Datum und Signatur überreichte. (Damit provozierte er natürlich seine Gäste, viel zu bestellen und verdiente sich auf diese Weise eine goldene Nase; einmal von einem besonders Wagemutigen darauf angesprochen, warf er diesen kurzerhand hinaus und erteilte ihm Hausverbot auf Lebenszeit. Übrigens pflichteten ihm alle bei, jeder Gast war darauf stolz, von Louis bedient zu werden, und die Art seiner Rechnungsstellung wurde von allen geliebt.) Louis verrechnete sich dabei nie; man konnte sich blind darauf verlassen, dass er stets den richtigen Preis nannte. Und er betrog nie einen Gast, auch wenn der ihn noch so ärgerte (zum Beispiel, indem er ihm Trinkgeld gab). Er verwässerte vielleicht dessen Bier, goss Spiritus in einen Longdrink (für ihn waren nur Gin and Tonic und Martini dry echte, wahre Drinks, wenn es schon gemischt sein musste; ansonsten bevorzugte er den selten gewordenen irischen Whiskey, den er schwarz einschmuggelte), oder »verwechselte« Zucker mit Salz, aber er knöpfte einem Gast nie zu viel Geld ab. Seine kleinen Bilder waren heiß begehrt und wurden teuer gehandelt; bei einer solchen Exklusivität beschwerte sich niemand über die zu hohen Preise seiner Getränke. Nur wer so ein Kunstwerk besaß, durfte sich zu den wichtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft zählen. Um einem zufällig vorbeikommenden Touristen daher unnötige Peinlichkeiten zu ersparen, hing gleich rechts beim Eingang ein großes Schild:

Falls jemand über meine Preise disirritiert sein sollte, möge er sich bitte vertrauensvoll nicht an mich wenden!

Die meisten Leute waren Stammgäste: bekannte Künstler, deren Fans, Angeber und angehende wichtige Personen (oder die, die sich dafür hielten); und dann gab es noch Louis’ Freunde, wie zum Beispiel Jean und Anne, die das Café schon seit Anbeginn kannten und ebenso wie Rydal und Ariane, mit denen sie heute verabredet waren, sozusagen zum Inventar gehörten.

Die Barfrau winkte den beiden und deutete auf ihren Stammtisch, der sich inmitten von Grünpflanzen an der Tür zum Garten befand. »So ein verrücktes Wetter, nicht wahr?«, rief sie. »Setzt euch dorthin, der Garten ist noch nicht fertig!«

»Danke«, sagte Jean, während sie sich setzten, »zweimal Weissbier, wie immer, bitte!« Während sie auf ihre Freunde warteten, beobachteten Jean und Anne unauffällig die Leute. Am Tisch neben ihnen saß ein Mann ganz allein, vertieft in die Tageszeitung, vor sich eine dampfende Kaffeetasse. Alle anderen Tische waren ziemlich belegt, und Jean war froh zu wissen, dass ihr Stammtisch immer reserviert war; oft genug mussten die Leute wieder gehen oder versuchen, noch einen Stehplatz in der Ecke an der Bar zu erwischen. Ein kleiner, rundlicher, alter Mann unternahm soeben den vergeblichen Versuch, sich noch irgendwo dazusetzen zu können; alle winkten ab, dass sie Bekannte erwarten würden. Schließlich, vom vielen Hutabnehmen und -aufsetzen schon ganz erschöpft, entdeckte der kleine alte Mann den Tisch neben Jean und Anne und steuerte mit fast ängstlichem Gesicht darauf zu. Der Zeitungsleser nahm keinerlei Notiz von ihm, als er neben ihm verhielt; die Miene in dem freundlichen Gesicht des kleinen Mannes verriet, dass er daran gewöhnt war, übersehen zu werden. Höflich nahm er seinen verknautschten Hut zum -zigsten Mal ab und sprach mit heiserer, wohlmodulierter Stimme: »Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen setze?«

Der Zeitungsleser ließ langsam, ganz langsam die Zeitung sinken und richtete ebenso langsam seine Augen auf den kleinen alten Mann, der sich ein-, zweimal verbeugte, als der starre Blick eines Fisches auf ihn traf. »Na«, meinte der Zeitungsleser kühl, »darüber muss ich erst noch nachdenken.«

»Ist gut«, dankte der kleine Mann höflich und heiser, ganz Kavalier der alten, eigentlich schon sehr alten Schule. »Ich gehe inzwischen ein wenig auf und ab.« Er verbeugte sich nochmals, hob grüßend den Hut, bevor er ihn aufsetzte, und trippelte geduldig mit kleinen Schritten zwischen den Tischen auf und ab.

Jean hustete in sein Bier hinein, und Anne setzte gerade zu einer Bemerkung an, als in diesem Moment Rydal erschien. Er war ein hochgewachsener, bestimmt zwei Meter langer und muskulöser Mann, eine auffallende Erscheinung, die alles andere zurücktreten ließ.

»Ariane kommt etwas später«, erklärte er nach der Begrüßung, seine Stimme klang dunkel und ruhig. »Sie ist noch beim Verleger.« Er versuchte seinen mächtigen Körper vorsichtig auf einem der zierlichen Stühle unterzubringen, ohne dabei den Tisch umzuwerfen, und bestellte sich ein Bier. »Verdammt heiß heute«, ächzte er. »Die Welt wird immer verrückter. Die Stadt ist das reinste Tollhaus.«

»Wem sagst du das«, seufzte Jean.

»Hat Ariane eine neue Story?«, erkundigte sich Anne neugierig.

Rydal nickte. »Und ob. Sehr short und sehr verrückt. Sie behauptet, sie geträumt zu haben.«

»Erzähl!«, forderte Jean ihn auf. »Wir verraten dich auch nicht!«

»Nun, ich kenne selbst kaum den Inhalt«, meinte Rydal. »Ihr wisst doch, wie geheim sie immer tut.« Er lehnte sich zurück und trank bedächtig sein Glas in einem tiefen Zug zur Hälfte leer. Die anderen drängten ihn nicht, obwohl sie vor Neugier fast platzten. »Handlungsort ist eine dieser Cocktailpartys, ihr wisst schon, wo man hingehen muss, um gesehen zu werden«, fuhr er dann fort. »Es soll wieder einmal ein neuer Star in die Gesellschaft eingeführt werden – ein bezauberndes Mädchen mit Flair, dem gewissen Etwas. Mitten in den Konversationsball hinein platzt dann plötzlich ein Verrückter mit einer irrsinnig gefährlichen Waffe, fuchtelt damit herum und kreischt, dass er alle erschießt, und er will Geld, und Schmuck, und sie sollen ihn doch nicht für blöd halten, und so weiter. Das Mädchen hält sich unterdessen hinter den anderen Partygästen versteckt und zischt einem Nachbarn zu: Schnell, ziehen Sie mich aus! – Was denn, hier und jetzt?, meint der. Ich weiß, dass Frauen auf mich fliegen, aber so ... oder brauchen Sie so was, ich meine den gewissen Kitzel, und – Machen Sie schon!, unterbricht sie ihn, und er: Na gut, Publikum hat mich ohnehin nie gestört. – Also tut er wie befohlen und öffnet nicht ohne Genuss Reißverschluss und Knöpfe, das Kleid fällt, ebenso alle anderen Hüllen, und nur mit den hochhackigen Schuhen bekleidet schwebt die neue Leinwandgöttin auf den Verrückten zu und redet beruhigend auf ihn ein.«

Jean und Anne lachten.

»Ja, es ist in der Tat komisch«, meinte Rydal lächelnd, »aber was meint ihr? Wer schießt schon auf eine wunderschöne nackte Frau, die lieblich wie eine Elfe, eine Fee gar, vor ihm steht?«

»Keiner, der nur eine Spur von Gefühlen besitzt und Frauen nicht hasst«, erwiderte Jean und Anne nickte zustimmend.

»Darauf legte das herrliche Geschöpf es eben an«, sprach Rydal weiter. »Und der Verrückte ist natürlich kein Frauenhasser. Er beginnt zu schwitzen und zu zittern und warnt sie eindringlich, nicht näher zu kommen, sonst würde er sie abknallen. Sie aber sieht schon in seinen hervorquellenden fiebrigen Augen, dass sie gewonnen hat, und geht weiter auf ihn zu, betörend flötend: Können Sie wirklich schießen?«

»Und?«, fragten die anderen beiden gleichzeitig.

Rydal grinste. »Nun, er beginnt zu kreischen. Verdammt, schreit er, zu ...«

»...viel erzählst du hier!«, unterbrach Ariane in diesem Moment. Keiner hatte ihre Ankunft bemerkt, und sie fuhren wie ertappte Kinder zusammen. Ariane stand zornig und belustigt zugleich hinter Rydal, ihre graugrünen Augen funkelten, und in ihrem rotgoldenen Haar sprühten kleine Blitze. »Alles weitere könnt ihr später nachlesen«, fuhr sie streng fort. »Ihr wisst ...«

»Wir wissen, dass du deine Geschichten beschützt wie eine Bärin ihr Junges«, warf Jean versöhnlich ein und bot ihr den letzten freien Stuhl an. »Komm, Iana, sei nachsichtig und schenke mir dein strahlendes Lächeln, ohne das ich nicht leben kann.«

Sie runzelte kritisch die Stirn, beugte sich plötzlich über ihn und drückte ihm die Lippen auf die rechte Wange, ehe sie sich setzte. »Du weißt doch, dass ich im Grunde nur dich liebe«, sagte sie zuckersüß mit schmachtvollem Augenaufschlag.

Louis erschien nicht viel später, schwitzend und völlig außer Atem. Er goss sich ein Glas voll Gin, tat einen Spritzer Soda daran (was seinen völlig verstörten Zustand noch unterstrich) und wankte wie ein Betrunkener zu seinen Freunden, obwohl er noch nicht einmal daran genippt hatte; seine Fettmassen schwabbelten wie Götterspeise, und das schweißnasse Hemd klebte an ihm. »Ich sage euch, diese U-Bahn ist der Zug des Teufels!«, fluchte er. »Irgendwann kommen wir alle nicht dahin, wo wir hinwollen, sondern fahren direkt hinab in die Hölle!« Theatralisch deutete er mit dem dicken Zeigefinger auf die Erde.

»Was ist denn passiert, Louis?«, erkundigte sich Rydal mitfühlend.

»Wir steckten fest in so einem verdammten Tunnel«, erzählte Louis zwischen zwei kräftigen Schlucken, und die Freunde merkten, dass er nicht scherzte, sondern es ihm schrecklich ernst war. »Irgendeine Betriebsstörung ... ein Selbstmord ... ihr kennt das ja. Als es dann endlich weiterging, fuhren und fuhren wir durch den Tunnel, und das Licht flimmerte unsicher, als ob es sich überlegte, weiterzubrennen oder auszufallen ... die Leute wurden hysterisch, eine regelrechte Raumangst brach aus – und ich mittendrin. Nein, ich sage euch, das mache ich nicht noch einmal mit, meine schwachen Nerven halten das kein zweites Mal aus. Ich kaufe mir jetzt ein Auto. Jean, hilfst du mir? Du haust doch die Leute gern mit Gebrauchtwagen übers Ohr.«

»Du brauchst vor allem etwas, das deine Fettmassen aushält, und eine Tür, die sich weit genug für dich öffnet«, bemerkte Jean trocken. »Ich werde dir helfen, weil du dir ohnehin bloß ein Goggo kaufen würdest, nur weil es ein Kreuzerlein billiger ist; und dein wochenlanges Klagegeschrei über die Kosten des Krans, der dich aus der Kiste herausholt, will ich mir ersparen. Wie viel willst du denn ausgeben?«

»Weniger«, antwortete Louis schnell. »Und bitte: ich brauche sofort ein Auto. Nie mehr fahre ich U-Bahn, weder heute noch sonstwann.« Er sah die Freunde der Reihe nach an, die nicht recht wussten, ob sie lachen oder weinen sollten und daher verlegen zur Seite blickten; irgendein fremder, unnennbarer Schrecken furchte sein schönes, blasses Gesicht, und seine Worte wirkten alles andere als lächerlich, als er flüsterte: »Und ihr solltet es auch nicht tun. Wirklich, ich meine es bitterernst. Ich habe gesehen ...«

Die jungen Leute schwiegen betreten und atmeten erleichtert auf, als Louis an der Theke verlangt wurde; seine Miene wurde augenblicklich dienstlich, und er entfernte sich rasch.

Nur Ariane, die sich als Erste fasste, rief ihm nach: »Aber was hast du denn gesehen, Louis?«

Er drehte sich zu ihr um, und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, als sie den Ausdruck in seinen sommerblauen Augen sah. »Hades ...«, flüsterte er kaum hörbar, dann verschwand er durch die Tür hinter der Theke in seiner Küche.

Anne schüttelte sich und rieb ihre Schultern. »Hu«, machte sie. »Das ist ja richtig gruslig. Louis ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.«

»Ach was, er spielt nur den Hysterischen«, erwiderte Jean. »Weißt du noch, vor zwei Monaten, als er sich plötzlich weigerte, Tomatensaft auszuschenken, weil er seiner Meinung nach Phosphor enthielt, der unsere Mägen durch die Haut grün durchschimmern ließe? Er hat immer irgendwelche Schauergeschichten auf Lager; wahrscheinlich hat er neulich ein Buch über griechische Sagen gelesen und ganz vergessen, dass Hades, sowohl der Gott als auch sein Reich, mit Beginn des Christentums untergegangen ist.«

»Ich weiß nicht ...«, sagte Ariane nachdenklich. »So wie heute habe ich ihn noch nie erlebt ... er hatte wirklich Angst.«

»Wahrscheinlich hat er heute Nacht schlecht geträumt. Ich kenne das, so ein Alpdruck kann dich den ganzen Tag verfolgen.« Jean erhob sich. »Komm, Anne, helfen wir ihm beim Autokauf. Das wird ihn schnell auf andere Gedanken bringen.«

»Ja, wir müssen ebenfalls gehen. Wir haben noch einen Termin.« Ariane warf einen schnellen Blick zu Rydal und sah das kurze Aufblitzen einer heftigen Sehnsucht in seinen schwarzen Augen; sie wünschte ihm (und sich selbst auch) so sehr, dass sein Testergebnis positiv ausfallen und ihnen beiden den Wunsch nach einem Kind erfüllen würde. Ein letztes Mal mussten sie noch in die Klinik, und sie war froh, dass die Entscheidung, welche es auch sein mochte, endlich fiel.

2. Unten

»Weißt du«, meinte Ariane kurz darauf, als sie mit der Rolltreppe zum Bahnhof hinabfuhren, »jetzt ist mir von all diesem Gerede doch ein wenig mulmig geworden.«

Rydal drückte sie an sich. »Ihr Künstler!«, lachte er und schüttelte den Kopf. »Man muss sehr vorsichtig mit eurer Fantasie umgehen ...«

Sie zog die Nase kraus. »Louis ist bei solchen Sachen sehr sensibel!«, entgegnete sie ernst. »Er hat einen sicheren Instinkt für alles Schlechte, genau wie ein Tier. Wahrscheinlich hat er mit seinem Gerede übertrieben, aber etwas Wahres ist bestimmt dran. Oder findest du die Vorstellung angenehm, mit der U-Bahn im Tunnel festzusitzen?«

»Nein, natürlich nicht. Aber es ist ja nicht am Ende der Welt. Wenn es zu lange dauert, steigt man einfach aus und geht zu Fuß zum Bahnhof.«

»Man steigt einfach aus?«

»Aber ja. Was denkst du?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ist es nicht finster?«

»Nur ganz tief drin. Es gibt überall Notbeleuchtungen. Die Bauarbeiter brauchen ja auch Licht.«

»Aber das Netz ist riesig. Wenn man sich nun verläuft?«

»Kommt man an einer anderen Stelle wieder heraus, fährt mit dem Bus oder dem Taxi und ärgert sich über den verpatzten Tag.«

»Ich bekäme Platzangst da unten.«

»Blödsinn.«