Happy End bei Waldi und Co - Gert Rothberg - E-Book

Happy End bei Waldi und Co E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Ist das wahr?« Andrea von Lehn machte beinah einen Luftsprung vor dem Telefon. »Drei junge Dackel? Was sagen Sie? Das sei gar nicht zum Freuen? Aber es gibt doch nichts Schöneres als Dackelkinder.« »Ja, wenn die Mutter sie aufziehen kann«, sagte Polizeimeister Kirsch am anderen Ende der Leitung. »Aber die Dackelhündin ist von einem Auto angefahren worden und schwer verletzt. Deshalb wurde sie doch aufs Polizeirevier gebracht. Und hier sind nun ihre Jungen auf die Welt gekommen.« Andrea erschrak. »Ach, so ist das. Sie brauchen also die Hilfe meines Mannes, Herr Kirsch.« »Ja. Der Herr Doktor müsste gleich kommen. Wir wissen uns keinen Rat. Es passiert schließlich nicht alle Tage, dass in unserer Wachstube Dackel zur Welt kommen. Aber das allein ist es noch nicht. Wir haben Angst, dass uns die Hündin eingeht.«

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Extra – 127 –Happy End bei Waldi und Co

Gert Rothberg

»Ist das wahr?« Andrea von Lehn machte beinah einen Luftsprung vor dem Telefon. »Drei junge Dackel? Was sagen Sie? Das sei gar nicht zum Freuen? Aber es gibt doch nichts Schöneres als Dackelkinder.«

»Ja, wenn die Mutter sie aufziehen kann«, sagte Polizeimeister Kirsch am anderen Ende der Leitung. »Aber die Dackelhündin ist von einem Auto angefahren worden und schwer verletzt. Deshalb wurde sie doch aufs Polizeirevier gebracht. Und hier sind nun ihre Jungen auf die Welt gekommen.«

Andrea erschrak. »Ach, so ist das. Sie brauchen also die Hilfe meines Mannes, Herr Kirsch.«

»Ja. Der Herr Doktor müsste gleich kommen. Wir wissen uns keinen Rat. Es passiert schließlich nicht alle Tage, dass in unserer Wachstube Dackel zur Welt kommen. Aber das allein ist es noch nicht. Wir haben Angst, dass uns die Hündin eingeht.«

»Mein Mann wird gleich kommen, Herr Kirsch.« Andrea beendete das Gespräch und lief ins Sprechzimmer ihres Mannes. Er hatte es zwar nicht gern, wenn sie so hereinplatzte, aber diesmal war es wirklich nötig.

Hans-Joachim von Lehn verabschiedete sich gerade von einer älteren Dame. Sie hatte eine Siamkatze auf dem Arm und schien beruhigt zu gehen.

»Du musst sofort zum Polizeirevier fahren, Hans-Joachim.« Andreas Gesicht war jetzt so erregt, als nenne sie die Polizei im Zusammenhang mit einem Mord.

»Muss ich jetzt schon mitten in der Sprechstunde zum Polizeirevier fahren, um deine Strafmandate zu bezahlen?«, fragte Hans-Joachim.

Andrea sah ihn empört an. »Wer hat das letzte Strafmandat bekommen, du oder ich?«

»Das war reiner Zufall, dass es mich auch einmal erwischt hat, Andrea.

Aber ich habe nur in Ausübung meines Dienstes an einer unerlaubten Stelle geparkt.«

»Gott sei Dank hast du immer eine gute Ausrede.« Andreas Augen funkelten. »Aber lassen wir das. Ich bin ja gewöhnt, dass mir immer Unrecht geschieht. Du darfst jetzt in Ausübung deines Dienstes wegfahren.« Andreas Stimme hob sich etwas. »Im Polizeirevier braucht man deine Hilfe.«

Hans-Joachim sah sie lachend an. »Ich soll einen Polizisten behandeln?«

»Du bist schrecklich, Hans-Joachim. Wann wirst du endlich lernen, mich ernst zu nehmen? Natürlich braucht nicht ein Polizist den Tierarzt. Das weißt du auch ganz genau. Eins, zwei drei, vier Dackel brauchen deine Hilfe. Beeile dich.«

»Gleich vier Dackel?«, staunte Hans-Joachim, zog aber schon seinen weißen Kittel aus. »Hat sich unser lieber Polizeimeister Kirsch eine Dackelzucht zugelegt?«

»Ja, so ist es beinah.« Nun erzählte Andrea aber doch ganz schnell, was passiert war. »Ich komme mit, Hans-Joachim. Um die kleinen Dackel muss ich mich kümmern. Du wirst sicher mit der Mutter genug zu tun haben.« Sie lief schon aus dem Sprechzimmer, um dem Hausmädchen Betti Bescheid zu sagen, das sich inzwischen um Peterle kümmern musste.

Hans-Joachim von Lehn vertröstete die Herrchen und Frauchen seiner Patienten im Wartezimmer und holte seinen Wagen aus der Garage. Andrea wartete beim Tor schon auf ihn und stieg in seinen Wagen ein.

Bis zum Polizeirevier in Wildmoos hatten die beiden nur ein paar Minuten zu fahren. Polizeimeister Kirsch stand schon vor der Haustür und hielt Ausschau.

Er atmete auf, als das Tierarztehepaar aus dem Wagen stieg.

»Ihnen steht ja der Schweiß auf der Stirn, Herr Kirsch«, sagte Hans-Joachim.

»Wundert sie das, Herr Doktor? Als wir neulich den Gangster jagen mussten, war ich nicht so aufgeregt. Ich weiß auch gar nicht, was den Leuten eingefallen ist, dass sie die verletzte trächtige Hündin zu uns gebracht haben. Als ob wir keinen Tierarzt hätten.« Er ging voraus und öffnete die Tür der Wachstube. »Da, sehen Sie sich die Bescherung an.«

Andrea drängte sich an ihrem Mann vorbei und schob zwei jüngere Polizisten beiseite, die ratlos vor der »Bescherung« standen, wie Polizeimeister Kirsch den Zuwachs nannte.

In einem großen Karton, den die Polizisten wohl schnell herbeigeschafft hatten, lag eine goldbraune kurzhaarige Dackelhündin. Sie hatte die Augen geschlossen, aus ihrer Nase sickerte Blut. Eng an sie geschmiegt lagen drei kleine Dackel. Sie waren noch feucht.

Andrea wurde blass und machte ihrem Mann Platz. Er tastete die Hündin vorsichtig ab und schob ihre Augenlider zurück. »Wir nehmen sie mit.« Hans-Joachim stand schon wieder auf. »Ich habe keine Hoffnung, dass wir sie durchbringen. Sie scheint schwere innere Verletzungen zu haben.« Er sah auf den Brustkorb der Hündin. »Der Atem ist schon zu flach. Bitte, Andrea, lauf zum Wagen. Im Kofferraum ist eine kleine Kiste. Bringe sie herein. Wir werden die Jungen von der Mutter wegnehmen.« Er öffnete seine Tasche und zog eine Spritze auf, während Andrea zum Wagen lief.

Die Polizisten machten betretene Gesichter. Die Hündin tat ihnen leid. Sie hatten gehofft, dass der junge Tierarzt sie würde retten können.

In aller Eile wurde die kleine Kiste mit Zeitungspapier ausgepolstert. Andrea legte die drei jungen Dackel hinein und ging mit ihnen schnell zum Wagen. Sie konnte das Elend der Dackelmutter nicht mit ansehen.

Hans-Joachim stellte die Hündin in dem Karton in den Fond des Wagens. Andrea behielt die Kiste mit den jungen Dackeln bei sich. »Hast du wirklich keine Hoffnung, die Mutter durchzubringen, Hans-Joachim?«, fragte sie.

»Nein, ich habe keine Hoffnung. Es ist wie ein Wunder, dass sie mit diesen Verletzungen noch die Jungen zur Welt bringen konnte.«

»Weiß denn niemand, wem die Hündin gehört? Ich habe vergessen, die Polizisten danach zu fragen.«

»Ich habe sie gefragt. Bis jetzt kennt niemand die Hündin. Sie ist in einen Wagen gelaufen. Gar nicht weit von Sophienlust entfernt.«

*

Am Tor des Tierheims Waldi & Co. stand der Tierpfleger Helmut Koster. Er warf nur einen Blick auf die Dackelhündin, dann sagte er: »Es wird schwer sein, die Jungen mit der Flasche aufzuziehen. Wenn sie wenigstens ein paar Tage alt wären.« Er nahm Andrea die Kiste ab.

»Bringen Sie bitte die Jungen ins Haus«, bat Andrea. Dann begleitete sie ihren Mann mit der Hündin ins Tierheim. Sie wusste, die jungen Dackel waren im Moment bei Helmut Koster in bester Hut. Sie selbst wollte jetzt bei der Hundemutter bleiben.

Noch immer hoffte Andrea, dass ihr Mann ein Wunder vollbringen konnte. Aber schon eine halbe Stunde später verließ sie sehr traurig das Tierheim. Vor der Tür saß ihr Dackel Waldi. Er legte den Kopf auf die Seite und sah sie fragend an.

Andrea bückte sich zu ihm hinab. Sie hatte Tränen in den Augen. »Wir haben drei junge Dackel ohne Mutter, Waldi. Komm mit, ich werde sie dir zeigen.«

Waldi begleitete Andrea. Vor dem Wohnhaus wartete die Dogge Severin. Sie sah Andrea beleidigt an.

»Aha, Helmut Koster hat dich ausgesperrt, Severin.«

Andrea tätschelte den Kopf der Dogge. »Er wird dir nicht über den Weg trauen. Aber lass es gut sein. Sobald wir die kleinen Dackel über die ersten Tage hinweggebracht haben, kannst du auch zu ihnen. Ich weiß, dass du ihnen nichts tun wirst. Aber jetzt bleibe besser hier draußen.«

Als Severin sah, dass der kleine Waldi wieder einmal der Bevorzugte war, bellte er wütend. Waldi sah erstaunt zu ihm zurück, als wollte er sagen: ›Kannst du dich nicht daran gewöhnen, dass du auch mal zurückstehen musst? Der Chef des Tierheims bin schließlich ich. Nach mir wurde es benannt. Aber das möchtest du immer wieder vergessen, weil du meinst, immer der Größte müsse der Chef sein.‹

Helmut Koster hatte inzwischen die kleine Kiste mit Stroh ausgepolstert und auch noch einige Lappen hineingegeben, damit die kleinen Dackel nicht frieren mussten.

Andrea zuckte die Schultern. »Mein Mann konnte der Mutter nicht mehr helfen.«

»Das habe ich befürchtet. Wollen wir die Jungen hier in der Diele lassen?«

»Nein. Hier könnten sie Zugluft bekommen. Geben wir sie in die Kammer.« Andrea öffnete die Tür zu einer hellen Kammer, in der genug Platz war, um bequem an die Kiste mit den Dackeln heranzukommen.

Waldi stand auf der Schwelle, schnupperte und beobachtete, was geschah. Erst nach einiger Zeit wagte er sich an die Kiste heran. Andrea schob die Lappen beiseite. »Da, schau, Waldi.«

Waldi knurrte verhalten, aber das war nur sein Angewöhnen an die neue Situation. Bald darauf beugte er sich über den Rand der Kiste und schleckte das Fell der Dackel ab.

»Das könnte Hexe eigentlich viel besser«, sagte Andrea. »Sie ist schon Mutter.«

Helmut Koster schüttelte den Kopf. »Nicht zu viel Unruhe, Frau von Lehn. Wenigstens nicht in den ersten Tagen. Ich gehe jetzt in die Küche. Betti hat schon ein Fläschchen mit einem Sauger vorbereitet.«

»Von Peterle.« Andrea lächelte. »Gut, dass wir die Fläschchen aufgehoben haben. Müssen wir die Milch verdünnen?«

»Ja. Ich mache das schon.« Helmut Koster verließ die Kammer.

Hans-Joachim kam vorbei. Er war schon wieder im weißen Kittel. »Kümmere dich zunächst um die Jungen, Andrea. Helmut Koster soll die Dackelhündin begraben. Am besten hinter dem Tierheim und möglichst sofort. Ich möchte nicht, dass die Kinder von Sophienlust die Hündin sehen und dann eine große Beerdigung machen. Das greift an.«

»Es war ein schönes Tier«, sagte Andrea. »Irgendwo muss die Hündin doch vermisst werden.«

Hans-Joachim hatte keine Zeit, sich auf dieses Gespräch einzulassen. Er musste wieder in seine Praxis zurück.

Andrea von Lehn und Helmut Koster mussten sich dann sehr lange bemühen, damit die jungen Dackel wenigstens ein paar Tropfen aus der Milchflasche bekamen. Die Dackelkinder stellten sich beim Saugen sehr ungeschickt an.

Andrea fiel es in dieser Zeit nicht auf, dass Waldi verschwunden war. Als sie die Kammer verlassen wollte, ließ Betti ihn gerade wieder zur Haustür herein. Er hatte davor laut gebellt.

Jetzt kam er mit seiner Frau Hexe zurück und ließ sich nicht davon abhalten, mit ihr in die Kammer zu laufen. Helmut Koster, der Hexe hinausdrängen wollte, gab das schließlich auf.

Hexe schnupperte und sprang gleich darauf in die Kiste.

»Sie will die Jungen wärmen«, sagte Andrea gerührt. »Wir dürfen sie nicht wegschicken.« Sie streichelte Waldi. »Du hast doch Hexe eigens geholt, was? Ja, du weißt, dass du dir nicht alles zutrauen kannst. Eine Mutter hat mehr Wärme. Auch für fremde Kinder.«

Hexe hatte sich schon hingelegt und zog die Jungen vorsichtig zu sich.

»Schade, dass sie die fremden Kinder nicht auch füttern kann.« Andrea verließ die Kammer und ging ans Telefon. Jetzt musste sie in Sophienlust berichten, was hier passiert war.

*

Erst drei Tage später durften zum ersten Mal einige Kinder von Sophienlust den Dackelnachwuchs bewundern. Sie wurden von den anderen Kindern sehr beneidet. Es nützte auch nicht viel, dass Denise von Schoenecker versprach, jeden Tag könnten nun drei oder vier weitere Kinder die jungen Dackel sehen. Alle wollten am liebsten sofort dabei sein, wenn die mutterlosen Jungen die Flasche bekamen.

Jedem, der zu den Dackeln kam, bot sich die gleiche Idylle. Hexe lag bei den Jungen, wärmte sie und war so besorgt um sie, als seien es ihre Kinder. Der Dackel Waldi inspizierte meistens nur die Kammer, dann ging er wieder auf den Hof. Die Dogge Severin war noch immer schlecht auf ihn zu sprechen, weil sie bis jetzt nur einen Blick in die Kammer hatte werfen dürfen. Und selbst dabei hatte Andrea sie noch am Halsband festgehalten.

Bisher hatte sich die Polizei vergeblich bemüht, herauszufinden, woher die Dackelmutter gekommen war. Es gab Leute, die sich erinnerten, sie schon einen Tag zuvor gesehen zu haben. Aber niemand hatte sie beachtet, weil jeder angenommen hatte, ihr Herrchen werde schon irgendwo in der Nähe sein.

Die meisten Leute vermuteten jetzt, dass die Dackelhündin ausgesetzt worden sei, obwohl sie ein reinrassiges und besonders schönes Tier gewesen war. Es kam ja immer wieder vor, dass Hunde gnadenlos ausgesetzt wurden. Polizeimeister Kirsch erzählte, dass das besonders oft während der Urlaubszeit passiere.

In Sophienlust sprachen die Kinder immer wieder davon. Ihre Tierliebe ließ jedoch nicht zu, eine solche Grausamkeit für möglich zu halten. Für sie war ein Hund ein treuer Freund, den man nicht verstoßen und auch nicht einem ungewissen Schicksal überlassen durfte. Deshalb glaubten sie bisher daran, dass sich die Dackelhündin verirrt habe und jetzt von jemandem verzweifelt gesucht werde. Vielleicht sogar von einem Kind.

Andrea und ihr Mann beschlossen, nun eine Anzeige in die Zeitungen der Umgebung zu geben, um auf diesem Weg nach dem Besitzer der Dackelhündin zu suchen.

*

Zu dieser Zeit stand die fünfjährige Gerti Fechner am Fenster ihres Zimmers und sah in den Garten hinaus. Ihre Blicke hingen sehnsüchtig an der Schaukel und der Rutsche vor dem kleinen Schwimmbecken. Es war sehr heiß, aber sie durfte nicht baden und auch nicht im Garten spielen. Sie hatte Fieber.

Gerti strich sich über das kurz geschnittene rotblonde Haar. Es war feucht. Vielleicht davon, dass ich auch noch im Bett liegen muss, wenn es draußen ohnehin schon so heiß ist, dachte Gerti trotzig. Tante Viola ist es am liebsten, wenn ich im Bett bleibe. Dann braucht sie sich nicht um mich zu kümmern.

Als hätten Gertis Gedanken ihre Tante herbeigerufen, wurde die Tür geöffnet, und eine große, überschlanke Frau trat ein. Das Haar hing ihr etwas wirr um den Kopf. Es war superblond gebleicht und zeigte den dunklen Ansatz. Ihre grünlichen Augen beherrschten das schmale Gesicht.

Mit wenigen Schritten war Viola Damm bei Gerti und fasste sie an der Schulter. »Hast du den Verstand verloren? Du kannst dich doch nicht hier ans offene Fenster stellen«, herrschte sie das Kind an. »Nachher klagst du wieder über Kopfschmerzen.«

»Aber es ist doch so heiß, Tante Viola. Ich kann mich gar nicht erkälten. Kopfschmerzen habe ich nur vom Weinen bekommen.« Gerti sah die Tante traurig an. In ihrem runden Gesicht mit der Stupsnase zuckte es schon wieder. »Ich muss immerzu weinen, weil meine Daisy nicht wiederkommt.«

Viola Damm schob das Kind durch das Zimmer und zeterte: »Ich bitte dich, verschone mich mit deinen Klagen. Seit Tagen malträtierst du mich damit. An meine Nerven denkst du wohl überhaupt nicht?«

Gerti legte sich ins Bett. »Aber du bist doch gar nicht traurig darüber, dass meine Daisy verschwunden ist, Tante Viola.« Das Kind stockte einen Moment, dann sprach es entschlossen weiter: »Du hast Daisy noch nie gemocht.«

»Jetzt wirst du auch noch frech. Aber ich muss mir ja von dir alles gefallen lassen. Der geringste Windhauch bläst dich um. Jetzt bekommst du Fieber, weil dein Dackel verschwunden ist. Was werde ich mit dir wohl noch alles erleben? Ich ernte nichts als Undank von dir. Welche Opfer ich bringe, um dir die Mutter zu ersetzen, das erkennst du nicht. Dabei könntest du mit deinen fünf Jahren schon verstehen, wie verlassen du ohne mich wärst.«

»Ich habe doch meinen Vati.« Das sagte Gerti wieder mit dem trotzigen Unterton in der Stimme, der die vierunddreißigjährige Viola stets zur Weißglut brachte.

»Ja, du hast deinen Vati. Aber kümmert er sich um dich? Meinst du, er hätte Zeit, auf alle deine Wünsche einzugehen?«

»Vati hat nicht viel Zeit, weil er in seiner Fabrik sein muss. Aber wenn er bei mir ist, dann erfüllt er mir meine Wünsche. Er ist immer sehr lieb zu mir. Viel lieber als du. Und er mochte Daisy genauso gern wie ich.« Gerti sah angstvoll in das Gesicht ihrer Tante. Sie schien schon zu wissen, was folgte, wenn sie so mutig war.

Viola Damm ballte die Hände zu Fäusten und lief zur Tür. »Ich muss gehen, sonst vergesse ich, dass du krank bist. Für solche Dreistigkeiten hättest du Schläge verdient.« Sie öffnete die Tür.

»Aber Vati hat verboten, dass du mich schlägst.« Jetzt hörte sich Gertis Stimme triumphierend an.

Die Tür des Zimmers wurde zugeschlagen. Wenige Minuten später stand Gerti schon wieder auf und lief ans Fenster. Sie hatte den Motor eines Wagens gehört. Kam ihr Vati vielleicht schon nach Hause? Nein, das konnte nicht sein. Es war ja noch früher Nachmittag, und Vati kam meistens erst gegen Abend aus seiner Fabrik in Stuttgart nach Hause. Die Villa stand vor der Stadt, und ihr Vati hatte einen weiten Weg nach Hause.

»Vati!«, rief Gerti jetzt. Sie konnte kaum glauben, dass es doch der Wagen des Vaters war, der eben vor dem Haus hielt. Sie beugte sich hinaus, rief noch einmal und winkte.

Der große schlanke Mann, der aus dem Wagen ausstieg, sah zum Fenster empor. »Sei vorsichtig, Gerti«, rief er, »beuge dich nicht so weit heraus.«

Götz Fechner ging schnell auf das Haus zu. Sein Gesicht wirkte gelöst, in seinen braunen Augen stand Freude. Gerti ging es also schon wieder besser. Sie hatte eben lachend am Fenster gestanden.

Als Götz Fechner die Diele seiner Villa betrat, kam ihm seine Schwägerin Viola entgegen. »Du kommst heute so früh«, sagte sie. »Möchtest du Tee oder Kaffee?«

»Keines von beidem, Viola. Danke. Ich habe noch in der Kantine Tee getrunken.«

Götz Fechner lachte. »Mit einem englischen Geschäftsfreund. Ohne viel Tee lässt sich mit einem Engländer kein Geschäft abschließen. Ich glaube, heute kann ich mit Gerti in den Garten gehen. Es ist gut, dass ich mich entschlossen habe, etwas früher nach Hause zu fahren.«

Viola sah ihn entsetzt an. »Wo denkst du hin, Götz? Es ist unmöglich, dass du mit dem Kind in den Garten gehst. Das könnte Gertis Tod sein.«

In dem leicht gebräunten Gesicht Götz Fechners zuckte es unmutig, aber er beherrschte sich, als er sagte: »Du weißt, dass ich diese Übertreibungen nicht liebe, Viola. Außerdem stand Gerti eben ganz vergnügt am Fenster.«

»Schon wieder?« Viola presste die Fingerspitzen an die Schläfen. »Gerti kennt wirklich keine Rücksicht mir gegenüber. Eben war ich bei ihr und habe sie ins Bett gesteckt. Nun steht sie also schon wieder am Fenster.«

»So schlimm wird das für Gerti nicht sein, Viola.« Es war Götz Fechner anzumerken, dass er in einem friedlichen Ton mit Viola auskommen wollte.

»Du scheinst es auf die leichte Schulter zu nehmen, Götz, dass Gerti so anfällig ist. Ja, du sprichst mit mir so nachsichtig, als bildete ich mir nur ein, dass Gerti ein besonders gefährdetes Kind ist.«